April 1945: Der Untergang

Der sogenannte „Führerbunker“ im Garten der im II. Weltkrieg zerstörten Reichskanzlei Foto: Bundesarchiv, Bild 183-V04744 Lizenz: CC-BY-SA 3.0


In Berlin hat der Kampf um das Zentrum begonnen. Von unserem Gastautor Manfred Barnekow.

In Berlin begann der Kampf um den unmittelbaren Innenstadtbereich mit Reichskanzlei und Führerbunker, wo sich vornehmlich SS unter dem Befehl des SS-Brigadeführers Mohnke verschanzt hatte. Zitadelle war der deutsche Codename für diesen dritten und inneren Verteidigungsring Berlins. Hier sollte sich das Ende in der Reichshauptstadt abspielen. Mohnke war wahrlich der geeignete Mann dafür, von brutaler Härte, mehrfach verwundet und mehrfach verantwortlich für die Ermordung alliierter Kriegsgefangener in den Jahren 1941 und 44. Auch der Mitverantwortung am Malmedymassaker war er verdächtig, da er sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befand und erst 1955 mit den Letzten zurückkehren konnte, entging er einem Kriegsverbrecherprozess. Noch einmal wird er auftauchen, bekannt geworden mit dem Sternreporter Gerd Heidemann, auf dessen berüchtigter Göringyacht er zu Gast war, wird er diesem den Kontakt zu einem Militaria Händler ebnen, einem gewissen Konrad Kujau. Als er die falschen Hitler-Tagebücher allerdings zu lesen bekommen wird, macht er Heidemann auf krasse Fehler aufmerksam. Vergebens.

Am 28.04.1945 ließ er seine Truppen sich Stellungen bauen, da nun die Sowjets seinen Verteidigungsbereich erreicht hatten. Lettische und französische SS-Soldaten waren dabei, sie hatten nichts zu verlieren und würden entschlossen bis zum Ende durchhalten. Im Reichstagsgebäude suchten vor allem Franzosen und Versprengte ihren Platz für den Endkampf. Das Gebäude war seit dem Brand von 1933 nicht mehr verwendet worden, den Nazis verhasst. Aus unerfindlichen Gründen aber hatte Stalin einen Narren an ihm gefressen. Die Rote Fahne auf dem Reichstag sollte den Sieg symbolisieren. Mohnke würde das das Halten des Bunkers auf dem Areal der Reichskanzlei erleichtern. Das Datum begann Stalin unruhig zu machen, Unmissverständlich erklärte er seinen Marschällen, was er wollte, das Ende der Schlacht zum 1. Mai. Zum Nachdruck erlaubte er Konew wieder in die Stadt vorzudringen; der hatte den Zoo fast erreicht, als er feststellen musste, dass die vor ihm stehenden Truppen schon keine Deutschen mehr waren, sondern zu Schukow gehörten.

Hitler sah das Ende kommen und begann sich an die Illusion zu klammern, Wencks 12. Armee war es erstaunlicher Weise gelungen, die sowjetischen Flanken zu durchbrechen und einige Kilometer nach Osten vorzudringen. Vermutlich war es der Überraschungseffekt, aber er bediente damit Hitlers Wahnideen. Indessen befreiten die Männer und Jungen der 12. Armee die schon eingeschlossene Garnison von Potsdam. Wenck benachrichtigte General Busse mit den eingeschlossenen Resten der 9. Armee, dass er nicht weiter vorankommen könnte und Busse zu ihm ausbrechen müsse, was dieser umzusetzen begann

Autoritätsstrukturen lösten sich auf. In Vorpommern fluteten die Reste der Heeresgruppe Weichsel zurück. Keitel und Jodl waren von Hitler aus Berlin fortgeschickt worden, um für Durchhalten zu sorgen. Bei Wenck waren sie gewesen, der ihnen erzählt hatte, was sie hören wollten, ohne die geringste Absicht der Umsetzung. Nun traf Keitel bei einer Straßenkreuzung nahe Neubrandenburg am 28.04. den OB der Heeresgruppe Weichsel Heinrici und den der 3. Panzerarmee von Manteuffel, die sich aufzulösen begann. Der erste Lakeitel seines Führers beschwor beide, Widerstand zu leisten, für den Führer, forderte Heinrici unmissverständlich auf, die fliehenden Truppen mit Standgerichten aufzuhalten, zu erschießen. Genau in jenem Moment tauchten ungeordnete Soldaten auf, die nach Westen strebten. Heinrici zog seine Pistole, hielt sie Keitel hin und sagte nur, er könne ja schon mal damit anfangen. Keitel verließ wortlos die Szenerie. Er wird Heinrici absetzen, der Nachfolger nie bei der Heeresgruppe eintreffen, weil er sich vorher für die amerikanische Gefangenschaft entscheidet. Ungeordnete Fluchten, Führungslosigkeit und Massaker sind die letzten Zuckungen des Krieges. Rokossowski aber kann umso schneller vordringen, Richtung Rostock, dann wird der Weg nach Wismar frei werden und dahinter käme schon Lübeck.

Die Amerikaner zogen in Richtung der Alpen. Sie glaubten noch, dort wäre die letzte Festung der Nazis. Hinter ihnen lag das am Vortag eingenommene KZ Dachau und ein Entsetzen, das nicht beschreibbar ist. Dachau bot einen Belsen nicht unähnlichen Anblick. Halbverhungerte und Tote, die überall lagen. Ein nicht ausgeladener Zug mit Viehwaggons voller Leichen. Darauf waren die Fronttruppen nicht vorbereitet. Sie handelten, sie taten, was sie als die richtige Reaktion darauf ansahen. Aufgegriffene SS Bestien wurden an die Wand gestellt und erschossen, andere erschlagen, niedergemacht. Eine Abrechnung, die nicht dem Wunsch der alliierten Führungen entsprach, ordentliche Gerichtsverfahren zu führen und darum abgebrochen wurde. Aber eine, die Befriedigung zurücklässt, dass es auch jene schmutzigen kleinen Mörder getroffen hatte, die in der Nachkriegszeit nur allzu oft sich herauswinden konnten.

Die Briten befreiten in der Heide ein Kriegsgefangenenlager bei dem Ort Sandbostel. In den Wochen zuvor aber hatten die SS Horden im Zuge der Räumungsphasen schon Tausende Häftlinge aus Neuengamme hierin verbracht, 3000 von ihnen waren tot, die anderen unversorgt und im Sterbeprozess. Montgomerys Truppen hatten nach Bergen Belsen schon den zweiten Blick in die Hölle getan. Sie werden an diesem Ort später deutsche Gefangene internieren und sie werden nicht sehr nett zu ihnen sein. In rechten Kreisen gilt Sandbostel seither als Selbstmitleidsanlass.

Endphasenverbrechen heißt in der heutigen Geschichtswissenschaft das Vernichten von Menschen im Chaos des Untergangs. Es war von Beginn des Zusammenbruches an die Absicht, möglichst keine Befreiungen zuzulassen. So kam es zu Todesmärschen in eisiger Kälte, die oft nur wenige überlebten, Bahntransporten in offenen Wagen, die die Opfer festfrieren ließen, zum zehntausenfachen Tod durch Verzicht auf Versorgung, Hunger und Krankheit, wie in fast allen Lagern am Ende.

Und es gab ein weiteres Phänomen. Transporte ins Nirgendwo blieben auch liegen, Gefangene kamen frei. Die örtlichen Behörden handelten hier. Sie bewaffneten Bürger, zumeist Jugendliche aus der HJ die mit gnadenlosem Fanatismus Jagd auf die orientierungslosen, hungernden und frierenden Menschen machen. Von den Frauen aus Stutthof am Strand Ostpreußens über die Gegend um Mauthausen, Gardelegen bis Celle dasselbe Bild. Es gab kaum Überlebende. All die guten Deutschen, die sich von Hitler um den Sieg betrogen fühlten und ihm übelnahmen, dass er sie in den Untergang mitnehmen wollte, hatten keine Hemmungen, ihre Mordgelüste an Unschuldigen bis zuletzt auszuleben, manchmal waren die Alliierten keinen Tagesmarsch mehr entfernt. Im Februar, als Dresden der städteplanerischen Überarbeitung unterzogen wurde, sei der Krieg so gut wie vorbei gewesen? Welch eine heuchlerische Lüge. Der Krieg war vorbei, als die Truppen der Sieger all den professionellen Tätern ebenso wie den barbarischen halbwüchsigen Hobbymördern für alle Zeiten das Handwerk gelegt hatten. Bis dahin machte Harris Strategie überraschend doch noch einmal Sinn.

 

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