Das Ruhrgebiet ist reich an architektonischen Schätzen der Vergangenheit. Aber welche Wertschätzung genießen die Bauten der Gegenwart und Zukunft? Wer hat den Überblick darüber, wie facettenreich zeitgenössische Architektur zwischen Bergkamen und Xanten aussieht? Eine ausführliche Antwort darauf liefert – ausgerechnet möchte man sagen – ein Buch zweier Münsteraner. Ein Beitrag von unserem Gastautor Tim Walther
Die Architektin Bettina Meyer und der Designer Roman Skarabis haben 2011 den „Architekturführer Ruhrgebiet – Gegenwart und Zukunft“ herausgebracht. Die erste Auflage war schnell vergriffen, nun ist die zweite erhältlich. 352 Projekte in 41 Städten stellt das Duo vor: vom Supermarkt-Bau mit goldenem Dach in Dortmund-Huckarde über die Rathaus-Sanierung in Gelsenkirchen (Hans-Sachs-Haus) und Visionen, die bisher nur in Schubladen von Stadtplanern liegen.
Meyer und Skarabis haben bereits ihrer Heimatstadt Münster ein Architektur-Buch gewidmet. Die Idee, sich mit dem Revier zu beschäftigen, begründen beide am Mangel an Literatur. „Uns hat die Idee nicht mehr losgelassen einen Architekturführer für eine ganze Region zu machen, nicht nur für eine Stadt ein derartiges Produkt zu erfinden und sehr gut zu gestalten. Der Schlüssel ist vielleicht auch mein eigenes Staunen und meine Neugier über den architektonischen Wandel dieser Region. Was ist denn da alles passiert in den letzten Jahren? Diese Frage stand für mich immer Raum“, sagt Bettina Meyer, die im Pott aufwuchs.
Der Architekturführer des Duos ist daher nicht nur ein Buch für Architektur-Studenten, sondern bietet auch für Ruhrgebiets-Entdecker Ausflugstipps zu spannenden Bauten vom Beginn der 1990er Jahre (Stadtbahn-Haltestelle Ruhr-Universität) bis zur Gegenwart, etwa im Essener Kruppgürtel, dem Duisburger Innenhafen oder rund um den Dortmunder Phoenixsee. Vor allem die grafische Gestaltung mit Übersichtskarten, einer guten Gliederung und einem ausgeglichenem Verhältnis von Text und Bild machen das Buch zu einem Lesevergnügen, dem man vor dem Ort der Begierde oder zuhause nachgehen kann. Der Preis mag mit 38 Euro zwar happig erscheinen, aber Qualität und Quantität rechtfertigen diesen.
Unter den 352 Projekten fehlen weder prominente Beispiele wie der Umbau der Jahrhunderthalle in Bochum, die Thier-Galerie in Dortmund, die Arena auf Schalke in Gelsenkirchen oder das Museum Küppersmühle in Duisburg, noch faszinierende Unbekannte, etwa die Libeskind-Villa in Datteln, das Trainingszentrum des BVB in Dortmund, die Diyanet-Moschee in Moers, das Berufsförderungswerk in Oberhausen, der zentrale Busbahnhof in Unna oder das Thorn-Prikker-Haus in Hagen.
In mühevoller Recherche-Arbeit hatte das Duo eigentlich mehr als 352 Projekte gefunden, die sich für den Architekturführer eigneten. Der Zugang zu Informationen, Grundrissen und Beschreibungen der ausführenden Büros gestaltete sich teilweise schwierig. „Dutzende Projekte sind nicht veröffentlicht worden, weil sie in naher Zukunft nicht verwirklicht werden. Weitere Projekte waren ganz besonders bei privaten Bauherren nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Nicht jeder Bauherr mag es, wenn Busse vor seinem Haus anhalten und in seinem Vorgarten architekturinteressierte Menschen umher wandeln“, so die beiden Münstereren. Ferner habe man bei weiteren Projekten die Rechte für eine Veröffentlichung nicht bekommen, wenn z. B. alte Partnerschaften in Büros nicht mehr bestanden oderder Architekt einfach kein Interesse an einer Veröffentlichung hatte. „Es gab aber nicht nur Steine,die aus dem Weg gerollt werden mussten, sondern auch eine große Begeisterung für die Idee und Büros, die sich bei uns initiativ mit Projektvorschlägen gemeldet haben.“
Und was macht für beide das Ruhrgebiet architektonisch aus? „Die ganz besondere Symbiose zwischen Tradition und Moderne, welche sich auch in der Architektur widerspiegelt. Der Reichtum an industriellen Brachen und Industriedenkmälern, deren Neunutzungen einzigartig in ihrer Vielfalt und Interpretation sind. Diese Lebendigkeit und diesen Wandel einer ganzen Region kann man nur im Ruhrgebiet erleben.
„Ruhrgebiet Architektur – Architekturführer Gegenwart und Zukunft“, Bettina Meyer und Roman Skarabis, www.zeichen-raum.de
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