Heute Vormittag konnte ich, obwohl er aktuell viel zu tun hat, kurz mit Arye Sharuz Shalicar (IDF-Pressesprecher) telefonieren. Eigentlich sollte es um seinen neuen Podcast – Nahost-Pulverfass: Täglicher Kriegsbericht aus Israel – gehen: Dazu morgen mehr im zweiten Teil vom Interview. Themen heute: Die Lage in Israel, die antisemitischen Demonstrationen in Deutschland und das Schicksal der deutsch-Israelin Shani Louk, deren Tod gestern leider bestätigt wurde.
„Das sind Tage von einer Tragödie“
Ruhrbarone: Vorgestern vor drei Wochen, einen Tag nach dem Terrorangriff auf Israel, haben wir telefoniert. Da wurdest du gerade eingezogen als Sprecher der IDF. Wie ist die heutige Lage im Vergleich zu vor drei Wochen?
Arye Sharuz: Das kann man eigentlich gar nicht fassen, was dieser 7. Oktober, sowohl in den letzten Tagen und Wochen für uns bedeutet.
In den nächsten Jahrzehnten und überhaupt in der Geschichte Israels und des jüdischen Volkes, wird der 7.10.2023 definitiv als einer der traurigsten Tage eingehen.
In der Geschichte des jüdischen Volkes gibt so Tage wie zum Beispiel die Reichsprogromnacht. Das geht in die Richtung. Das sind Tage von einer Tragödie, die uns natürlich als Volk und jetzt als Staat das ganze Leben begleiten werden. Der 7.10.2023 ist noch lange nicht abgeschlossen.
Ruhrbarone: Wir wollten heute eigentlich über deinen Podcast sprechen. Jetzt aus aktuellem Anlass: Auf Deiner Facebookseite und in einem Podcast hast du gestern den Tod von der Deutsch-Israelin Shani Louk bestätigt. Was ist ihr bekannt zu Ihrem Schicksal?
Arye Sharuz: Sie ist ja die deutsche Israelin, die auf diesem Pickup-Truck gefilmt wurde. Als die Hamas und Islamischer Dschihad hier eingedrungen sind, die haben ja mit Bodycams und mit Handys gefilmt. Die haben Kamerateams und Fotografen mitdabeigehabt, als die reingekommen sind nach Israel. Und habe ihre Verbrechen, ihre Morde und Vergewaltigungen, haben sie teilweise aufgenommen und ins Netz gestellt. Vor allem auf Telegram. Haben geprahlt, haben gelacht, haben gegrinst, haben laut „Allahu Akbar“ gerufen. In den Videos siehst du auch hunderte Zivilisten in vielen Videos, die mitfeiern und mitspucken. Und glücklich sind, zum Beispiel in dieser einen Situation, wo Shani Louk, mit dem Kopf nach unten, im Truck liegt. Man sieht nicht, ob sie lebt oder nicht lebt. Aber man sieht, dass ihr Bein, so wie es aussieht, gebrochen war.
Und jetzt ist bekanntgegeben worden, dass sie nicht überlebt hat, weil Schädelknochen gefunden wurden und Körperteile. Körperteile gefunden, die sich teilweise in Säcken befinden.
Ruhrbarone: Du sprichst von dieser Leichenidentifizierungsstelle in Ramle? (SPIEGEL+: Die Lastwagen bringen noch immer täglich neue israelische Leichen)
Arye Sharuz: In der Nähe von Ramle. Und diese Leichenteile, werden alle der Reihe nach identifiziert. Man hat schonmal nur eine Hand, einen Fuß, Zähne oder Schädelteile. Weil die Terroristen einerseits Körperteile abgehackt und andererseits sehr viele Menschen beim lebendigen Leibe verbrannt haben.
Wir reden von 1400 Opfern, wobei immer noch ungefähr 40 vermisst sind, wo man nicht weiß, wo man die jetzt sich befinden und 238 Geiseln in der Geiselhaft der Terroristen. Seit gestern wird Shani Louk unter den Toten gezählt und das ist natürlich eine riesige Tragödie, weil sie ein junges, nettes auch pazifistisches Mädchen war. Man kann dieses Verbrechen mit keinen Worten rechtfertigen.
Ruhrbarone: Gibt es noch mehr deutsche Tote und deutsche Geiseln oder ist sie die einzige bisher?
Arye Sharuz: Es gibt um die 10 bis 15 Entführte, die ebenfalls einen deutschen Pass haben, die wie Shani Louk Deutsch-Israelis sind. Wir machen aber prinzipiell keine Unterschiede, wer welchen Pass hat, bei den 238 Geiseln. Alte Menschen, Kinder, Frauen, Babys. Wo wir unsere Pflicht sehen und alles daran setzen, diese Geiseln zu befreien.
„Ich nehme Widersprüchliches wahr aus Deutschland.“
Ruhrbarone: Jetzt war ja vor einigen Tagen die Abstimmung der UNO und wir haben uns bei der Verurteilung der Hamas enthalten. Trotz der deutschen Opfer. Kannst du das irgendwie erklären?
Arye Sharuz: Ich nehme Widersprüchliches wahr aus Deutschland. Einerseits sagt man, dass man komplett solidarisch hinter Israel steht in dieser Sache. Und „Nie wieder“ bedeutet „Nie wieder“. Und dass Israel das Recht hat, sich gegen diese Terrororganisationen zu verteidigen. Und dass man dieses Verbrechen so nicht durchgehen lassen kann. Und natürlich alles, was im Bereich der Geiseln ist.
Aber andererseits, siehst du halt, dass Deutschland sich in der UN enthält. Was natürlich kein richtiges Zeichen ist. Von allen Ländern auf der Welt sollte Deutschland das erste Land sein, das sich in dieser Situation eines Pogroms, von der Quantität will ich es nicht mit der Schoah vergleichen. Aber da wurden Körperteile abgehackt, exekutiert, Kinder getötet. Nur weil sie Juden sind. Deshalb sollte Deutschland, gerade in der Situation, eigentlich ganz, ganz vorne an erster Stelle sein und ganz klar und deutlich und laut sagen, dass wir keine Resolution, die gegen Israel gerichtet ist, unterstützen. Für mich persönlich und für viele in Israel war das enttäuschend. Ich glaube, der israelische Botschafter in Berlin hat auch gesagt, dass das enttäuschend und und falsch ist.
Ruhrbarone: Aktuell wird in vielen Städten gegen Israel demonstriert. Am letzten Samstag wurde in Duisburg, auf einer „Pro-Palästina-Demo“, abwechselnd „Kindermörder Israel“, „Israel bringt Kinder um“, „Allahu akbar“ und „Takbir“ skandiert. Was löst das bei den Israelis aus?
Arye Sharuz: Die Israelis sind gerade sehr mit Israel beschäftigt und haben viel zu tun und schauen nicht, was in London und Paris los ist. Ich als Deutscher kriege jeden Tag viel aus der alten Heimatstadt Berlin mit. Über Freunde. Erstmal: Es überrascht mich gar nicht. Diese aggressiven Jugendlichen und Männer, allen voran Männer, die sich auf Berliner Straßen, Duisburger Straßen und in anderen Städten in Deutschland und in Europa auf die Straße trauen und teilweise brüllen. „Free Palestine, from the River to the Sea.“ Da ist klar, dass das keine Menschen sind, die für die Palästinenser sind, sondern sie sind für die Auslöschung der Juden im Nahen Osten und überhaupt auf der Welt. Das muss man einfach mal ganz klar und deutlich so sagen.
Auf viele gutgläubige, naive, Deutsche wirkt das sehr hart. Wirkt das überspitzt. Ist es aber nicht. Wer sich wirklich mit dem Thema beschäftigt, der weiß: Diese Menschen sind nie auf die Straße gegangen, um irgendwas gegen die Hamasführung zu tun. Die im Ausland sitzt und viele Milliarden auf Konten hat. Während sie ihre Leute in Armut leben lassen.
Sie gehen nicht auf die Straße, um darüber zu sprechen, dass Kinder von der Hamas ermordet und verbrannt wurden. Sie gehen nicht auf die Straße, um die eigene Führung, die Hamas im Gazastreifen zu kritisieren. Dafür, dass sie in zivilen Einrichtungen, Krankenhäusern und Moscheen, dass sie dort ihre Kontrollzentren haben und von dort aus Raketen abfeuern. Mit voller Gewissheit, dass dieser Ort als menschliches Schutzschild genutzt wird. Und Zivilisten gefährdet werden. Wer das nicht klar ausspricht, dem geht es nicht um Palästinenser. Dem geht es nur darum, gegen Juden und gegen den jüdischen Staat zu sein.
Ruhrbarone: Arye, du hast gerade erwähnt, dass die normale israelische Familie gerade keine Zeit hat, um Medien zu konsumieren. Wie ist denn die Stimmung bei den israelischen Familien jetzt? Wenn man morgens auseinander geht es, wie groß ist die Angst, sich abends nicht mehr wiederzusehen?
Arye Sharuz: Ich komme abends teilweise sehr spät nach Hause, aber selbst um 12:00 Uhr, 01:00 Uhr nachts, wenn ich den Fernseher anmache, um vielleicht abgelenkt zu werden, werde ich nicht abgelenkt. Weil im Fernsehen laufen Interviews mit Eltern von entführten Kindern. Oder Berichte von Soldaten oder Sicherheitskräften, die am 7. Oktober versucht haben, die Lage in den Kibbuzen unter Kontrolle zu bringen.
Dreieinhalb Wochen nach diesem Massaker vom 7. Oktober, dreht sich alles hier in Israel nur darum. Die meisten Menschen hier im Land sind entweder irgendwie verwandt oder befreundet mit einem der Mordopfer oder Entführten oder befinden sich derzeit, wie ich zum Beispiel, im Reservedienst. Oder ist irgendwo freiwillig am Helfen, in irgendwelchen Hilfsorganisationen.
Ungefähr eine Viertelmillion Israelis ist vom Staat evakuiert worden, aus dem südlichen Teil, also alles rund um Gaza und aus dem nördlichen Teil, Grenze Libanon. Alles Familien, wie gesagt. Eine Viertelmillion, die ihre Wohnung verlassen mussten und jetzt vom Staat und von Hilfsorganisationen unterstützt werden.
Am Freitag hier im Blog der Ruhrbarone: Teil 2 des Telefonats mit Arye Sharuz!