„Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“ heißt ein Werk, auf das ich bei meinen Streifzügen durchs Netz gestoßen bin. Verantwortlich für die Herausgabe dieses Buches ist letztlich der damalige Vorstand des FC Schalke 04 um die Herren Assauer und Müller.
Von unserem Gastautor Thomas Weigle.
Anfangs des Jahrtausends sollten einige Straßen um die „Bierschüssel“ nach Schalker Fußballgrößen benannt werden. Dies provozierte eine Diskussion um die Rolle Schalkes in den 1000 Jahren. Schalke war die Übermannschaft zwischen 1933 bis etwa 1943: 6x Meister, 3x Vize und 1 Pokalsieg auf Reichsebene von 33 bis 42, in der Gauliga Westfalen gab es nur den EINEN, der alle 11 Titel abgriff, der nur 6x in 11 Spielzeiten verlor. Erst im Herner Regen endete 1947 die Herrschaft in Westfalen. Der BVB beendete mit 3:2 die westfälische Knappenherrschaft.
Die beispiellose Erfolgsserie der Schalker auf Reichsebene während der NS-Herrschaft ließ schon frühzeitig die Frage nach eventuellen Zusammenhängen zwischen dem sportlichen Erfolg der Gelsenkirchener Vorstädter und den NS-Herren aufkommen. Verstärkt wurde diese Diskussion geführt als bekannt wurde, dass mit Szepan ein Arisierungsgewinner unter den Meisterspielern war. Zuvor aber umschifften der DFB und seine Vereine lästige Fragen nach ihrem Verhalten während der NS-Zeit, wohl wissend, dass bei ehrlicher Antwort manches Vereinsschiff und/oder Vereinsführer auf Grund gelaufen wäre. „Sport und Politik haben nichts miteinander zu tun“, hieß und heißt es auch heuer in der Debatte um die Frankfurter Eintracht und die AfD. Das ist natürlich Blödsinn, denn gerade die Nazis leugneten vehement die gerne von bürgerlichen Sportlern propagierte parteipolitische Neutralität der Sportler und des Sportes.
Auch die Arbeitersportler, die sich in eigenen Vereinen und Verbänden organisierten, wussten um die politische Bedeutung des Sports. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, denn „Arbeiterverein Schalke 04“ dem organisierten Arbeitersport zuzuordnen. Hier trifft dieser Begriff auf die Herkunft der meisten Schalker Spieler zu, die sich so von den bürgerlichen Vereinen unterschieden, aber in deren WSV mitspielten.
Nicht immer gerne gesehen von der bürgerlichen Konkurrenz, manches Mal auch behindert im Aufstieg zur Spitze, bspw. durch einen zeitweiligen Ausschluss wg. Verstoßes gegen die Amateurbestimmungen, letztlich aber unaufhaltsam schon in den 20ern im Ruhrgebiet alle aus dem Weg räumend.
Noch gab es auf Reichsebene heftigen Gegenwind, so scheiterte man in Vor- und Zwischenrunden, arbeitete sich etwas langsamer als im Westen ganz nach oben. 1932 klopfte man erstmals an die Endspieltür, durch die dann allerdings die SGE ins Nürnberger Endspiel gegen die Bayern schlüpfte. Überraschend verloren die Knappen dann das Kölner Endspiel 1933 klar mit 0:3 gegen die Düsseldorfer Fortuna, aber dann mussten Nürnberg (34), Stuttgart(35), Nürnberg(37), Admira Wien(39), Dresdener SC(40) und Vienna Wien(42) den Meisterlorbeerkranz den Ruhrpottkickern überlassen, lediglich Hannover96 (38) und Rapid Wien am Tage des Überfalls auf die SU konnten die „Viktoria“ in ihren Besitz bringen. Ein Pokalsieg 1937 rundet die schönen Erfolgsjahre auf Reichsebene ab.
Begleitet wurden die schönen Erfolge, die wie die Autoren zu berichten wissen, von diversen Manipulationsvorwürfen um die Endspiele 1938 vs. Hannover (3:3 und 3:4), vs. 1939 Admira Wien (9:0) und 1941 vs. Rapid Wien, die beim 4:3 innert 10 Minuten ein 0:3 aufholten.
Die Diskussion um die Straßennamen und die Rolle Schalkes erreichte schließlich auch den Vorstand, der selbstkritisch eingestand, dass man zu lange dieser Diskussion ausgewichen war: “ Schwierig zu beantwortende Fragen, die dem Verein…in vielen Facetten gestellt worden sind. Meistens sind diese von den Verantwortlichen des Clubs beiseite gewischt worden mit dem Hinweis, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Auch wir im aktuell amtierenden Vorstand haben dies ehrlicherweise lange so gesehen. Aber so kann man sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Schon gar nicht im Wissen um die herausragende Bedeutung des FC Schalke 04…“
Das Ergebnis dieser selbstkritischen und mutigen Anmerkungen war die Beauftragung des GELSENKIRCHENER INSTITUTS FÜR STADTGESCHICHTE die Rolle Schalkes während der unseligen zwölf Jahre wissenschaftlich zu untersuchen. Klar war auch von Anfang an, dass die Untersuchung, unabhängig vom Ergebnis, veröffentlicht werden würde. So geschehen dann im März 2005. Leider ist das Buch nicht mehr im Buchhandel, dafür aber im Netz erhältlich, wo ich es kürzlich erworben habe.
Die Autoren des bei KLARTEXT erschienen „Offiziellen Buch des FC Schalke 04“, wie es auf dem Cover heißt, gingen mit der gebotenen wissenschaftlichen Akribie an die Arbeit, werteten die vorhandenen Quellen sorgfältig aus.
Unter den Spielern und Mitgliedern des Vereins können 47 PGs namhaft gemacht werden, darunter die Meisterspieler Bornemann, Nattkämper und Szepan und mit Henriette Thiemayer auch eine Frau. Nur drei waren schon vor der Machtübergabe an die Nazis braun organisiert, von denen einer 1935 die Braunen verließ. Andere wiesen in ihren Stellungnahmen im Entnazifizierungsverfahren daraufhin, dass sie als öffentlich Bedienstete ihren Parteieintritt zur Wahrung ihrer Tätigkeit vollzogen.
Einfach von der Hand zu weisen sind solche Erklärungen erstmal nicht, auch der Zeitpunkt der Eintritte in die NSDAP zeigt, dass sich zumindest die sog. alten Kämpfer im Verein rarmachten. Die Vereinsführung allerdings wurde schnell von NS-Mitgliedern dominiert, wobei erstaunlicherweise der „Vereinsführer“ “ Fritz „Papa“ Unkel nicht NS-Mitglied war.
Das Vorgehen der Nazis sich gerne mit erfolgreichen Sportlern „zu schmücken“ ist auch aus anderen Diktaturen bekannt, dort wurden sie bspw. „Diplomaten im Trainingsanzug“ genannt. Fußball war in den 20ern Massensport geworden, erfolgreiche Mannschaften wie die Knappen kehrten nach errungenen Titeln im Triumphzug heim und durften sich in goldene Bücher eintragen (1934 sogar in Dortmund!!), Fresskörbe und Blumengebinde wurden an Haltestationen in den Zug gereicht, bevor sie endlich die Heimatstadt erreichten. Gerne konstruierten die Nazis eine Analogie zwischen ihnen und den Schalkern. So heißt es im „Buch vom Deutschen Fußballmeister“: Man möchte überhaupt feststellen, dass die Vollendung des Schalker Siegeszuges im Dritten Reich gerade symbolische Bedeutung zukommt. Denn hier, mit Schalke, errang eine Mannschaft, die aus der Tiefe des Volkstums emporsteigt und von einer großen Gemeinde und einer großen Gemeinschaft getragen wird, den goldenen Kranz des Sieges. Denn das darf man sagen: Schalkes Leistung ist Leistung aus Verbundenheit mit dem Volke. Gerade die Mannen um Kuzorra und Szepan haben gefühlt und erkannt, welche Kräfte in der Begeisterung einer großen Gemeinschaft stecken.“ In den „Abstimmungen“ und „Wahlen“ zum Reichstag mussten die Schalker immer wieder als Propagandalautsprecher der Nazis herhalten.
Die Frage bleibt offen, so die Autoren, wie viel davon eigene Überzeugung und was diktiert war. Die Gelsenkirchener Stadt-und Parteiführung ließ jedenfalls keine Gelegenheit aus, um sich im Glanz der Meistermannschaft zu sonnen.
Der Blick der Autoren geht dann auf einige Lebensläufe von Schalker NS-Mitgliedern ein und beschäftigt sich mit den Stellungnahmen und Erklärungen Schalker Protagonisten zu ihrem Verhalten in der NS-Zeit, die diese nach der Befreiung durch die Alliierten abgaben.
Überraschendes ist nicht zu finden, die Erklärungen unterscheiden sich nicht von denen, die Millionen andere ehemalige PGs und Volksgenossen abgegeben haben. Szepan hat durch Ariesierung profitiert, für mehr haben die Autoren keine Anhaltspunkte gefunden. Wie schon von anderen für den im „Dortmunder Wedding“ beheimateten BVB stellen diese Autoren fest, dass es in den 12 Jahren kaum eine Rolle gespielt habe, wer in der NSDAP war und wer nicht. Erst nach dem Krieg, v.a. im Rahmen der „Entnazifizierungsverfahren“, wurde die Mitgliedschaft in der NSDAP zum Thema. Natürlich erklärte man, dass man ja völlig unpolitisch gewesen sei. Nun ja.
Ausführlich beschäftigen sich Geschichtswissenschaftler auch mit der sozialen und geografischen Herkunft der Gründer- und späterer Generationen der Schalker Spieler. Mannschaftsaufstellungen, auch die der 20er Jahre aus den unteren Ligen, die Titel errungen haben, fehlen nicht.
Die Autoren resümieren, dass das Verhalten der Knappen von kleinbürgerlichen Vorstellungen geprägt war, die sich dem NS locker einfügten und unterordneten. So wurden die Richtlinien der Nazisportführung geschmeidig und lautlos übernommen. Der Ausschluss der jüdischen Mitglieder(s.o.) verlief ebenfalls schnell und reibungslos.
Ihre Namen und ihr Lebens-und Leidensweg werden referiert: ERNST ALEXANDER, PAUL EICHENGRÜN, ISIDOR(?) GOLDSTEIN, ARTHUR HERZ, AUGUST KAHN, SIEGMUND KATZENSTEIN und FRANZ NATHAN.
Richtig liegen die Autoren meines Erachtens, wenn sie am Ende schreiben:
„Die unpolitische Haltung vieler Spieler und Funktionäre des FC Gelsenkirchen Schalke 04 führte dazu, dass man über wenig gedankliches Rüstzeug verfügte, den Nationalsozialismus als das einzuschätzen, was er war, eine menschenverachtende Ideologie und ein verbrecherisches politisches System.“ So wehrte man sich auch nicht „gegen verschiedene Versuche der Vereinnahmung durch das NS-Regime und seiner Machthaber. Wurde allerdings(vermeintlich) in die engere Sphäre des Sportes eingegriffen, betonte man die eigene unpolitische, eben nur sportliche Haltung.“
Im Gegensatz dazu, und wie geschaffen für die augenblickliche Situation um die Frankfurter Eintracht, sind die Autoren der Meinung, dass die Demokratie täglich verteidigt werden muss, „und dass es hierzu einer Beschäftigung mit Politik im Sinne öffentlicher Angelegenheiten bedarf.
Insofern kann und muss mangelndes Interesse für Politik und für die Politisierung des Sports als Fehler angesehen werden. Aber im Nachhinein daraus einen moralisierende Vorwurf zu machen, wird der historischen Entwicklung nicht gerecht.“
Alles in allem ein anspruchsvolles Werk, welches nur noch im Netz erhältlich ist, bspw bei Amazon oder Ebay, ab ca.17 Euro. Beeindruckend ist auch die Anzahl der benutzen Archive und sonstiger Quellen, die für ein Buch, das vom Fußball handelt, nicht eben die Regel ist. Auch werden die benutzen Quellen, also Archive und Zeitungen vorgestellt, was hilfreich bei der Einordnung der Informationen sein kann.
Goch/Silberbach: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau, 360 Seiten Klartext
Essen 2005
Gestern fand ich folgende kurze Notiz in der NEUEN WESTFÄLISCHEN den FC Schalke 04 betreffend:
„Der FC Schalke 04 hat Schülerinnen und Schüler aus Gelsenkirchen für ihr Engagement gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus geehrt. Die erstmals vergebene und nach einem jüdischen Schalker Fußballer benannte ERNST-ALEXANDER-AUSZEICHNUNG ging in das GRILLO-GYMNASIUM. Die Schülerinnen und Schüler hatten durch Recherchen im ehemaligen Durchgangslager WESTERBORK in den Niederlanden geholfen, den Leidensweg des Schalkers nachzuzeichnen. ERNST ALEXANDER war nach einer langen Odyssee durch mehrere Lager schließlich im August 1942 in Auschwitz ermordet worden.“
Chapeau FC Schalke 04!!!