Asterix, der Kolonialismus und der Deutschlandfunk

Wandgemälde der Hauptfiguren in Brüssel Foto: Lin Mei Lizenz: CC BY 2.0

Auf der Internetseite des Deutschlandfunks ist ein Beitrag über Asterix erschienen, der den Leser staunend zurücklässt.

In einem auf der Internetseite des Deutschlandfunks erschienen Text hat der Autor Florian Werner versucht, Asterix neu zu lesen. Man wünscht sich, er hätte es gelassen. Werner liest die Ende der 50er Jahre gestartete Comic-Serie von René Goscinny und Albert Uderzo unter dem Blickwinkel des Kolonialismus. Dagegen spricht erst einmal nichts, denn die Welt, in der die Geschichten von Uderzo und Goscinny spielen, ist vom römischen Kolonialismus geprägt. Das uns allen wohlbekannte Gallierdorf ist das letzte Widerstandsnest im ansonsten von den Römern besetzten Gallien. Reisen führen Asterix, Obelix und Idefix unter anderem zu den Briten, den Ägyptern und Korsen. Sie alle leben unter römischer Herrschaft, sind Teil des römischen Reichs und typische Kolonien einer Landmacht.

Später kolonisierten dann Araber und Osmanen Teile Süd- und Südosteuropas. Die kolonisierten waren Europäer. Unter ihnen sollen etliche alte, weiße Männer gewesen sein.

Doch daran ist für Werner etwas falsch: „Vor allem aber erlaubt es die „Asterix“-Reihe europäischen Lesern, sich selbst mit den Opfern einer Kolonialgeschichte zu identifizieren, bei der sie eigentlich auf der Täterseite waren.“ Diese Aussage ist mit Geschichtsvergessen noch freundlich beschrieben. Europäer waren Kolonialisten und kolonisierte. Griechenland hatte unter anderem Kolonien im heutigen Spanien, Frankreich und auf Sizilien. Die Römer hatten ganz Mittel- und Südeuropa kolonisiert. Beide, sowohl Griechen als auch Römer, betrieben Siedlungskolonialismus und gründete Städte. Nicht wenige behaupten, dass die Teile Deutschlands, die einmal von den Römern kolonisiert wurden, bis in die Gegenwart zivilisierter sind. Ein Freund von mir ist der Ansicht, man könne bis heute nicht jenseits des Limes leben.

Aber für Werner scheint es vor dem 16. Jahrhundert keine Kolonien gegeben zu haben. Und so stellt er mit Erschrecken fest: „Die kolonisierten Personen sind hier durchweg weiße Mitteleuropäer, Männer vom alten Schlag, trinkfreudig und rauflustig.“ Auch wenn die Bevölkerung in den von den Römern kolonialisierten Gebieten, wie Mischa Meier es in „Die Geschichte der Völkerwanderung“ beschrieben hat, tatsächlich gemischt war, muss das für ein kleines, gallisches Dorf nicht unbedingt gelten. Majestix herrschet nun einmal nicht über Lutecia. Werner hat also Probleme, seine These, Asterix und Obelix seien eine Reaktion auf die damals beginnende Phase der Dekolonisation, in den Bänden bestätigen zu können. Wahrscheinlicher ist, dass sie einfach Unsinn ist. Einen klügeren Ansatz hatten da in den 90er Jahren Richard Herziger und Hannes Stein in ihrem Buch „Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler.“ Uderzo und Goscinny hätten die Römer als Vorgänger der Amerikaner gesehen, die mit der Globalisierung und Moderne die alten Traditionen gefährden. Die Gallier kämpften also gegen den Fortschritt. Damit sind sie aus einer postmodernen Perspektive keine Kämpfer gegen den Kolonialismus, sondern „Somewheres“, die für den Erhalt ihrer Heimat und traditionellen Lebensführung kämpfen wohingegen die Römer klassische Anywheres sind: Sie fühlen sich überall zu Hause, wo Sklaven für ihr Wohlergehen sorgen und man eine zünftige Orgie feiern kann. Sogar in der Schweiz.

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
6 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Der Sofa-Hunne
Der Sofa-Hunne
3 Jahre zuvor

Ich sehe die antiken Kolonialisierungen durch die Römer als vorgezogene Rache dafür, was die Nachkommen der Gallier und Germanen den späteren Italienern alles angetan haben und noch antun.
Wo ist das Problem? Und wir Hunnen sind dann sogar aus Europa verjagt worden, obwohl wir schon 5 Generationen hier heimisch waren.

ZeroZero
ZeroZero
3 Jahre zuvor

Eine gute Serie zeichnet sich dadurch aus, dass sie verschieden gelesen werden kann. Nach der Biographie René Goscinnys kann man die Gallier auch als Außenseiter lesen, die sich ständig behaupten und um ihre Existenz als Volk kämpfen müssen.
Eine andere Lesart wäre eine europäische Version der US amerikanischen Superhelden, denn Goscinny, Morris und die anderen Frankobelgier waren große US Comicsfans, wenn nicht auch US Fans.
Ich empfehle mal diese Arte Doku
https://youtu.be/TuChLXVwkxM

Robin
Robin
3 Jahre zuvor

Mich verblüfft vor allem auch, dass sowohl dem Autor als auch beim DLF niemandem aufgefallen ist, dass ein 50er-/60er Jahre Comic über ein besetztes Frankreich (Gallien) vor allem auch eine Anspielung auf die Okkupation Frankreichs durch die Nazis darstellt, was keine 20 Jahre zuvor stattfand. (Wobei die Römer bei Asterix nicht für die Nazis stehen, sondern eher für sich selbst – bei den Goten hingegen schon mehr, aber sie sind keine Übermacht.)

Im franz. Original steht schon in der Einleitung zu den Comics, dass ganz Gallien von den Römern occupée (okkupiert, besetzt) ist, nicht kolonialisiert (das wäre colonialisée), und in der deutschen Übersetzung ist das genauso. Der Hinweise gibt es noch viel mehr in diesen Comics (ich hab ca. 2/3 von denen gelesen, viele davon mehrmals bis oft).

Ich finde es erschreckend, dass das derart komplett übersehen werden konnte, und das ausgerechnet von Leuten, die sich auf die Fahne schreiben, als Experten der Bevölkerung zu mehr Geschichts- und Kultursensibilität und -kenntnissen verhelfen zu wollen – vor allem wenn es Deutsche sind, die sich plötzlich so gar nicht mehr an die Nazi-Besatzung erinnern können oder wollen auch wenn sie Anspielungen darauf mit dem Lattenzaun um die Ohren gebrettert bekommen.

sneaking_beauty
sneaking_beauty
3 Jahre zuvor

Es ist ein wenig komplizierter, wenn man bedenkt, dass sowohl die damaligen Römer als auch die Gallier im Durchschnitt dunklere Haut hatten als ihre heutigen "Nachkommen" (Italiener und Franzosen/Waliser/Iren etc.). Nach der Antike kam ja noch die germanische Völkerwanderung und da kam es wohl zu einer großen Durchmischung der Gallier und Römer mit Franken und Goten. Das wussten schon Historiker im 19. Jahrhundert und das macht die Rassentheorien des 19. Jahrhunderts umso absurder. Die europäischen Völker waren schon damals gut gemischt.

Die römischen Herrscher waren in dem Sinne allerdings keine "anywheres" – sie wollten nur das "somewhere" vergrößern. Die "anywheres" von damals waren wohl eher Juden (neuerdings trifft man oft auf das antisemitische Topos gegen "Kosmopoliten", Globalisten und "Internationalisten"), die frühen Christen, oder griechische Gelehrte.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

@Robin Ich glaube eher, dass die Goten eine Anspielung auf das Kaiserreich sind,symbolisiert durch die Pickelhauben und den Befehlston, der sehr an Berichte aus Elsaß-Lothringen 1871-1918 erinnert, wo sich v.a. Offiziere des kaiserlichen Heeres gegenüber der Bevölkerung wie Sau benommen haben,wie es in den "Goten"karikiert ist. Es gab dazu von den Sozialdemokraten iniziierte Debatten im Reichstag.

M. Rath
M. Rath
3 Jahre zuvor

@3 Robin:
"Alesia? Ich kenne kein Alesia! Ich weiß nicht, wo Alesia liegt! Niemand weiß, wo Alesia liegt!"

Als Teenager (der schon als Kind in einen Kessel voller Lexika gefallen war) habe ich diese Phrase aus dem "Avernerschild" als Anspielung auf die Vergesslichkeit verstanden, was die Vichy-Regierung anging, die seinerzeit durch zarte Andeutungen auf die Karriere von Präsident Mitterand, den Barbie-Prozess und die Meidung des Begriffs "collaboration" für die erste "cohabitation"-Regierung der V. Republik auch in der breiteren deutschen Öffentlichkeit diffus bekannt wurde.
Das würde die These stützen, dass generell auf die Besetzung der Jahre 1940 bis 1944/45 angespielt wird.

Ich glaube heute jedoch nicht mehr, dass René Goscinny derart statisch gearbeitet hat. Schon als Stein/Herzinger in den 1990er Jahren das Fass aufmachten, "Asterix" als antiamerikanisch bzw. zivilisationskritisch interpretieren zu wollen, schien mir das eher eine Provokation gewesen zu sein, eine mögliche Lesart augenzwinkernd in den Vordergrund zu stellen (um noch einmal den alten Zivilisation-versus-Kultur-Sermon aufzuwärmen, bei Licht betrachtet ist selbst Herzingers und Steins Musterbeispiel, "Die Trabantenstadt", dafür nicht hinreichend).
Alesia zum Beispiel kann Vichy sein, muss es aber nicht. Interlineare Interpretation taugt nicht für komplexe, etwas anarche Kunst, der Spaß besteht doch in Andeutungen, die für bestimmte historische Figuren und Sachverhalte stehen können, es aber nicht müssen. Hardcore-Verweise würden die Qualität der von Goscinny geschriebenen Werke wohl kaum tragen.

Werbung