Nummer 1000. Das schaffen wenige. Egal, bei welchem Medium. Egal, bei welcher Serienart. Keine Ahnung, wer es überhaupt bis zur 1000 geschafft hat. Reich und Schön wahrscheinlich, Lindenstraße wohl, Doktor Who – keine Ahnung – und, und darum geht es hier, der Tatort. Das Erleichternde vorweg: nicht eine Sekunde in diesem Jubiläumstatort ist Til Schweiger zu sehen.
Man merkt, wie tief in bundesdeutscher Kultur man verortet ist, wenn der Sonntagabend irgendwie automatisch blockiert ist – für den deutschesten aller Krimis. Jahre- und Jahrzehntelang lacht man über dieses wiederkehrende Ritual der Anderen – und dann stellt man fest, dass man es sich selbst angewöhnt hat. Und der Pizza-Mann bei der Bestellung um 19.35 Uhr selbst die Pizza vorschlägt und auflegt und kommt, ohne dass man seinen Namen und den Lieferort benennen muss.
So war es natürlich auch heute gesetzt, den 1000. Tatort zu schauen. Und der Tatort war OK, wenn auch nicht überragend. Aber da sind die Geschmäcker ja verschieden – der eine mag die klassische Mördersuchgeschichte, der nächste braucht einen sozialkritischen Aspekt, einige lachen gerne, und wieder andere schauen mit cineastischen Auge – und wer blind und taub, und auch ansonten aller Sinneseindrücke beraubt ist, der mag wahrscheinlich die Schweiger-Tatorte.
Der Jubiläumstatort ist ein buntes Sammelsurium guter Tatorte, voller Anspielungen und Stilmischungen. Und einem guten Ermittlerduo. Maria Furtwängler als LKA-Beamte Charlotte Lindholm, gewohnt impulsiv, ein wenig dominant, aber auch zebrechlich. Axel Milberg als Klaus Borowski, wie immer etwas zu arrogant, aber trotzdem sympathisch. Es hätte natürlich auch andere Schauspieler bzw. Kommissare, die es verdient hätten, das Jubiläum zu gestalten. Ulrich Tukur. Axel Prahl. Joachim Król. Andrea Sawatzki. Jörg Hartmann. Um meine Favoriten zu nennen. Götz George war ja nicht einplanbar.
Borowski und Lindholm also. Fuhren im „Taxi nach Leipzig“ mit einem gebrochenen Ex-KSK-Soldaten, der dort seiner Ex wiederum mitteilen wollte, was für ein Arschloch ihr (morgiger) Ehemann und (sein ehemaliger) Bundeswehroffizier ist. Zwei Tote. Eine durchschnittliche Geschichte, nur das Ende war ein wenig überraschend – der Rest eher weniger. Aber man kann über 1000 Folgen lang eben nicht immer überraschend sein.
Der Fokus lag im Jubiläumstatort auf dem Filmischen, auf der Technik – es sollte etwas Künstlerisches werden, etwas Besonderes. So kam es dann wohl auch, dass es viel Spielerei gab. Der Mörder rechnet in Terminator-2-Overvoice seine Chancen durch, Lindholm erlebt im filmischen Flashback ihre unzufriedenstellende Kindheit nach, und Borowski analysiert das Aufschubbern seiner Fesseln im Stil eines Youtube-Videos.
Dann gab es noch Farbfilter, körnige Bilder, Zeitlupen, Scheinwerfer, die sich versetzt in der Kamera spiegeln (ich hasse diesen Filmeffekt, er zeigt mir unweigerlich die Künstlichkeit des Krimis – aber genug Andere wiederum mögen ihn – so sehr, dass er in Zeichentrickfilmen mittlerweile „nachgebaut“ wird) und und und.
Dazu auch ein wenig Wortwitz, abgelöst von beklemmenden Dialogen. Der hier gefiel mir am besten:
Lindholm: „Wieviele Amokläufe haben Sie erlebt?“
Borowski: „Ich habe eine Dokumentation gesehen.“
Lindholm: „Welche?“
Borowski: „Die auf arte.“
Sehr deutsch. Aber sehr lustig. Und dabei nüchtern. Fast schon englisch. Genug Nationalklischees.
Apropos Nationalklischee: auch Folklore durfte im 1000. Tatort nicht fehlen. Rotkäpchen und die bösen Wölfe werden eingestreut. Nein, wirklich. Eine rotgekleidete Charlotte Lindholm findet auf der Flucht eine Hütte im Wald, abseits des Weges, und wird von Wölfen umzingelt. Borowski: „Wölfe greifen keine Menschen an – nicht in Mitteleuropa.“ Und dann tritt er gegen die Scheibe von dem Volvo, die Alarmanlage springt an und der Mörder findet sie wieder. Genau, all das in einem Tatort.
Am Ende dann ein unglückseliges Finale, unglückselig für Nicki, die dem vierten Kapitel des Krimis, der sich mühte durch die vier Kapitel, die Form eines Theaterstückes, oder zumindest eines Dramas, zu bekommen, es aber leider nicht ganz schaffte.
Nach dem Ende dann der Abspann mit gedeckter klassischer Musik, bevor dann die Doku zum Thema anfing. Auch das war toll am Jubiläumstatort – er ersparte uns eine Folge Anne Will, bei der heute sicherlich Donald Trump Thema gewesen wäre – sicher mit Jakob Augstein („Netanjahu hat uns Trump eingebrockt.“).
Alles Gute zu 1000 Folgen Tatort – wir sehen uns nächsten Sonntag. Mit Pizza. Und viel zu hohen Erwartungen.
Anstatt Trimmel ins Nachtprogramm zu verdammen, hätte die Ausstrahlung um 20.15 Uhr zeigen können wie herrlich politisch unkorrekt Fernsehen mal sein konnte.Rauchend, saufend, polternt,chauvinistisch und doch so herrlich unterhaltsam.Nicht so steril, so korrekt, so zwischen Comedy und jetzt machen wir mal Kunst.Mein Tatort ist schon lange tot und die Ferres scharrt schon mit den Hufen.
Spätestens seit Auftauchen der Frau Burda-Furtwängler als Tatort-Kommissarin sonntägliche Abende nicht mehr regelmäßig beim/im "Ersten" verbracht. Kurzzeitig kam in 2003 Hoffnung bzgl. Borowski/Milberg auf.
Jau, 3 Tatorte mit dem Herrn gesehen. Milberg kapierte (neudeutsch: "antizipierte") ziemlich schnell, hier könne der private Geldbeutel auch mit grottenschlechten Stories gefüllt werden … – und somit nahm er in Kauf, zu einem unterdurchschnittlichen aber gut bezahlten "Schauspieler" zu degenerieren.
Die "Nummer 1000" schauten wir uns an … – Fazit: "Ist das dann (Film)-Kunst oder kann/muss das weg?"
btw:
Die Darsteller von "Haferkamp" und "Kreutzer" sind verstorben.
Warum diese "Tatort-Typen" mit allen ihren politisch unkorrekten Macken nicht mal wieder wiederbeleben/(digital) fortschreiben?
Spinnerten zeitgenössischen Tatort-Plots fehlt jegliche Authentizität.
Und ja:
Wann wird im Namen der "Tatort-Regionalisierung" ein "Mosebolle"-Krimi ausgestrahlt?
Die BWLer in den Tatort-Redaktionen hätten – wenn "Mosebolle" Quote verspricht – kein Problem damit.
Zirkelschluss: Wer sitzt eigentlich in den "Tatort-Redaktionen"?
@2 :"Spätestens seit Auftauchen der Frau Burda-Furtwängler…"
Teile manche Ihrer Kritikpunkte am Tatort-Konzept der Gegenwart. Der "Mündter-Tatort" steht für mich z.B. auf einer Stufe mit "Mord ist ihr Hobby. Warum Sie aber Furtwängler als Frau Burda-Furtwängler bezeichnen, erschließt sich mir nicht. Geht es darum zu suggerieren, sie habe ihre Karriere auf dem Namen und Einfluß ihres Gatten aufgebaut ( das gute alte :"… die hat sich hochgeschlafen…" dräut im Hintergrund)?
Oder eher ein anti-kapitalistischer Reflex, der Frauen reicher Männer immer noch entgegen wirkt?