Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sorgen mit einer Kette von Skandalen für eine Aufmerksamkeit, die sie sich für viele ihre Sendungen wünschen würden.
Zweimal spricht die als Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und Vorsitzender der ARD zurückgetretene, und später als Intendantin noch fristlos gekündigte, Patricia Schlesinger in einem ausführlichen Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ das Wort Fehler aus: Sie habe, sagt sie, über die Außenwirkung ihres Handelns zu wenig nachgedacht und Fehler im Programm des RBB gemacht. Der Sender hatte zuletzt die schlechtesten Quoten aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Alles, was in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen sorgte, redet Schlesinger klein.
Die Essen auf Senderkosten in ihrer Berliner Wohnung werden zu Netzwerktreffen, deren Charakter allen Beteiligten klar gewesen sei. Was einige der Gäste wie die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik vehement bestreiten. Dass ihr Mann, der ehemalige Spiegel-Ressortleiter Ausland, Gerhard Spörl, Aufträge der Messe Berlin bekam, der Aufsichtsratsvorsitzender der Messe, Wolf-Dieter Wolf, zugleich als Verwaltungsratsvorsitzender des RBB Schlesinger zu kontrollieren hatte, sei vollkommen korrekt gewesen. Indes „Aus heutiger Sicht wünsche ich mir, ich hätte meinen Mann gebeten, den Auftrag nicht anzunehmen.“ Die Staatsanwaltschaft Berlin scheint das anders zu sehen und ermittelt seit Anfang August gegen Schlesinger, Wolf und Spörl wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsannahme. Auch auf alle anderen Vorwürfe geht Schlesinger ein und versucht, sie unter den Tisch zu reden: Ihr hohes Gehalt hätte sie nicht geordert, sondern angetragen bekommen, ihr Dienstwagen sei ihr immer egal gewesen und die nach Medienberichten weit über eine Million Euro teure Renovierung der Vorstandsetage des Senders wäre vor allem wegen der Schadstoffbelastung nötig gewesen.
In der Zeit präsentiert sich Schlesinger als integre Sendermanagerin und Journalistin. Eine Sicht, die auch bei ARD und ZDF kaum jemand mehr teilt. Die Vorfälle um Schlesinger, die vor allem das Online-Magazins Business Insider an den Tag brachte, waren nur der Beginn einer Reihe von Enthüllungen, welche die Anstalten in ihrem Kern erschüttern. Und die sind nach wie vor Giganten der deutschen Medienbrache: Über 20 TV und 70 Radiosender betreiben die deutschen Rundfunkanstalten. Mit über acht Milliarden Euro finanzieren die Menschen und Unternehmen im Land die Sender über die Haushaltsabgabe. Ob sie wollen oder nicht.
Viel Geld, dass die Größe der Sender sicherstellt: ARD und ZDF sind nach wie vor mit Abstand die größten Fernsehsender der Bundesrepublik: 2021 lag das ZDF mit einem Marktanteil von 14,8 Prozent vor der zweitplatzierten ARD mit 12,1 Prozent. RTL (7,3 Prozent), SAT1 (5,2 Prozent) und Vox (4,6 Prozent) folgten mit großem Abstand. Ihren Erfolg zu verdanken haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten allerdings den älteren Zuschauern, die noch mit ihnen aufgewachsen sind und „Wetten dass?“ Abends im Bademantel mit den Eltern im Wohnzimmer sahen: Bei den unter 50jährigen liegt RTL vor Pro7 auf Platz eins. ARD, ZDF, SAT1 und VOX liegen auf Augenhöhe weit dahinter. Die auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen sollte man jedoch nicht als Zufriedenheit deuten. Immerhin über 70 Prozent der von Statista befragten TV-Nutzer hatten in den vergangenen 12 Monaten entweder Netflix oder Prime kostenpflichtig abonniert.
Es ein Imperium, das nun in der Kritik steht. Geschichte für Geschichte kommt ans Tageslicht: Da kommentiert der Grünen-Politiker Detlef Flintz als Mitarbeiter des WDR in den Tagesthemen die Energiepolitik der Bundesregierung. Ralf Seibicke, der damalige Vizechef der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), die über die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender entscheidet, erfreute sich an Gutachterverträgen des MDR Sachsen-Anhalt. Sabine Rossbach, die Direktorin des Hamburger NDR-Funkhauses, soll ihren Töchtern Jobs und Aufträgen aus dem Sender zugeschanzt haben. Etwas weiter im Norden beim NDR in Kiel wurde kritische Berichterstattung über CDU-Politiker durch freie Mitarbeiter von Redakteuren verhindert. So geht es seit Wochen fast jeden Tag und ein Ende ist nicht absehbar: Die ARD-Sender liefern unfreiwillig Geschichte für Geschichte.
Zu diesen Vorwürfen gesellen sich Klagen über zu teure und schlecht geplante Bauvorhaben wie des WDR-Filmhauses in Köln oder des Medienhauses des RBB in Berlin. Anstatt günstig zu bauen und mit dem Geld der Bürger sorgfältig umzugehen, haben die Sender einen Hang zu repräsentativer Architektur in teuren Toplagen wie dem Kaiserdamm in Berlin oder der Kölner Innenstadt.
Für die Anstalten und ihre Intendanten, die zum Teil wie WDR-Chef Tom Buhrow (411.000 Euro Jahreseinkommen plus 337.000 Euro Pensionsrückstellungen) deutlich mehr als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verdienen, kommen die Debatten über Filz, Verschwendung und Vetternwirtschaft zur Unzeit. ). Nach dem Einmarsches Russlands in die Ukraine hatten ARD und ZDF keine eigenen Teams im Land. Die Bild-Zeitung, Cicero sowie die öffentlich-rechtliche BBC und zahlreiche weitere Sender und Verlage schon.Nicht nur Konservative kritisieren die Anstalten wegen des häufigen Genderns im Programm, das von der Mehrheit der Bürger abgelehnt wird. Es gab Antisemitismus-Vorwürfe gegen Moderatorinnen wie Feyza-Yasmin Ayhan oder Nemi El-Hassan und dass im Jugendformat Funk für das Tragen des Hijabs geworben wurde, ohne auf die Kämpfe von Frauen gegen dieses islamistische Kleidungsstück einzugehen, wurde ebenso kritisiert wie die Leugnung des Genozids von Sebrenica in einer Folge des Podcasts „Sack Reis“ im Programm des Südwestdeutsche Rundfunks (SWR
„Demokratieabgabe“ nannte Jörg Schönenborn, der Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung des Westdeutschen Rundfunks, einmal die Haushaltsabgabe in Höhe von 18.36 Euro, die monatlich jeder Haushalt für die Finanzierung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk bezahlen muss. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts Civey im Auftrag des Business Insiders halten 68 Prozent der Zahler sie nicht mehr für angemessen. Zwar muss niemand bei den Sendern Angst davor haben, dass die Finanzierung gekappt wird. Aber auf Dauer, das dürfte den Verantwortlichen klar sein, fließt das Geld nur, wenn die Bürger hinter der Abgabe stehen.
Die Sender versprechen Besserung. Der SWR will, dass unabhängige Gremien seine Compliance-Regeln überprüfen und die ARD schnallt den Gürtel enger: Ein exklusives Event auf Gladbacher Schloss Bensberg wurde abgesagt. In der Einladung war es als „Früher ein fürstliches Jagdschloss, heute eines der führenden Hotels der Welt“ beworben worden.
Dass sich grundsätzlich im Umgang der Sendeanstalten mit dem Geld ändert, ist indes nicht zu erwarten. Der neue Rundfunkstaatsvertrag wurde nach jahrelangen Verhandlungen im Juni von den Bundesländern beschlossen und wird nun nach und nach von den Landtagen ratifiziert werden. In ihm heißt es „Zur besseren Überprüfbarkeit und Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung setzen die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio gemeinsam unter Einbeziehung ihrer zuständigen Gremien und unter Berücksichtigung von Empfehlungen der KEF Maßstäbe fest, die geeignet sind, die Bewertung der Einhaltung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie eine vergleichende Kontrolle der Ressourceneffizienz zu ermöglichen.“ Eine externe Kontrolle ist auch künftig nicht vorgesehen. Die „zuständigen Gremien“ wie die Rundfunkräte, identifizieren sich in der Regel stark mit „ihren“ Sendern. Harte Kontrollen haben die kaum zu fürchten. Und Ideen wie die der Initiative „Unsere Medien“, die einen stärkeren Einfluss der Landtage und mehr Unabhängigkeit der Rundfunkräte von den Sendern fordern, spielen in der aktuellen Debatte keine Rolle.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World
Die Mehrheit der Bevölkerung möchte nicht gegendert werden. Und trotzdem spricht Jörg Schönenborn, der Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung des Westdeutschen Rundfunk von „Demokratieabgabe“. Bei ARD und ZDF haben wohl mehr als nur Patricia Schlesinger die Bodenhaftung verloren.