Aus dem All besehen

Es bleibt zwar weiterhin eine unlösbare Aufgabe, jemandem von außerhalb zu erklären, wo und was das Ruhrgebiet ist. (Do you know Cologne?) Aber dafür geistert seit einigen Jahren dieser Beweis für die eigentlich unübersehbare kontinentale Großbedeutung des Ruhrgebiets durch Pressearbeit: Denn vom All aus gesehen ließen sich des Nachts überhaupt nur drei helle europäische Lichtpunkte erkennen: die Großräume von Paris und London, sowie das Ruhrgebiet. Und weil es ein ziemlich gutes Gefühl ist, zwar komplett unbekannt aber insgeheim doch wichtig zu sein wie Paris, London, bietet der Regionalverband Ruhrgebiet eine dieser Nachtaufnahmen Europas auch zum Download an. Etwas verräterisch firmiert die Aufnahme (oben links) dort als "Illustration" der "Ruhr.2010". Und Illustration trifft es gut. Man könnte auch böse sagen: Schönfärberei, Verdummung, Verfälschung.

Ausgerechnet eine Werbepostille, die "reiseWELT 01.2009" von Welt (Springer), CP-Compartner (Essen) und Bertelsmann (Gütersloh) belegt jetzt, wie sich Ruhr-Lobbyisten ihr Gebiet seit Jahren künstlich aufgeblasen haben. Eine Aufnahme der NASA (Abbildung rechts) zeigt auf Seite 7 nämlich nicht, wie es in der naiven Bildbeschriftung heißt, "die energetischen Brennpunkte Europas: London, Paris und die Metropole Ruhr", sondern ein mitteleuropäisches Lichtermeer.: Belgische Autobahnen und Brüssel, das gleißende Nordholland, leuchtendes Nordengland, Glasgow-Edinburgh, Stockholm. Berlin wurde hier wieder mal geteilt, nur ein Stück ist zu sehen, ganz zu schweigen von Moskau, Warschau, Rom…

Noch ein Wort zur "reiseWELT". Das Joint-Venture von Springer, Bertelsmann und der Essener Platzhirsch-Agentur mit besten Verbindungen zu Regionalverband Ruhrund vor allem zur Ruhr Tourismus GmbH ist ingesamt ziemlich  durchsichtig ausgefallen: Einer doppelseitigen Anzeige des NRW-Wirtschaftsministeriums folgt ein doppelseitiges Gespräch mit der Ministerin Christan Thoben. Anzeigen der Ruhr Tourismus GmbH und der Ruhr 2010 auf ein Vorwort von Fritz Pleitgen (2010) und Axel Biermann (RTG).  Die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Anzeigenschalter überwiegen deutlich – was an der Finanzkrise leigen mag oder doch an der etatistischen Tradition des Ruhrgebietes. Schwer staatstragend darf natürlich auch MP Rüttgers sein Grußwort abgeben und sich über das "spektakuläre Satellitenbild" freuen: "Im Herzen des Kontinents strahlen Millionen Lichter der Metropole Ruhr (…) Mehr als ein Foto (…) ein Symbol für die Veränderungen in der Region". Würd ma sagen: geht so.

 

 

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Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

Hmm, mal sehen, wie lange es Düsseldorf, Köln und Bonn noch egal ist, dass sie auf den von MP Rüttgers gewürdigten Satellitenbildern unter „Metropole Ruhr“ subsumiert werden. (-:

Auch schön: die gleich mit erfundene „Metropole Nordrhein-Westfalen“ (S.3).

Arnold Voß
Arnold Voß
15 Jahre zuvor

Wenn man bei der Bildbarbeitung den Kontrastregler nach oben und den Helligkeitsknopf in Richtung Minus bewegt verschwinden die schwachen Lichter immer mehr und die starken werden dominanter. Die ca 15 Millionen Menschen die relativ dicht beieinander an Rhein und Ruhr und Emscher leben bilden zusammen mit ihren unendlich vielen Einrichtungen der Arbeit,des Transports und der Freizeit dann nun mal einen der stärkeren Lichtknoten. Daran ist nichts zu kritisieren, denn andere plustern sich werbe- und tourismusmäßig mit ähnlichen Methoden auf.

Wirklich unehrlich wird die Sache nach Innen wie nach Außen erst , wenn, wie Dirk es auch kritisiert, das Ganze Metropole Ruhr und nicht ganz schlicht und zutreffend Rhein-Ruhr-Agglomeration genannt wird.

Elmar
Elmar
15 Jahre zuvor

„Daran ist nichts zu kritisieren, denn andere plustern sich werbe- und tourismusmäßig mit ähnlichen Methoden auf.“

Doch: Schließlich sind wir Zukunftsregion 🙂
Und nicht diejenigen, die die weltgrößten Licht-Emissionen verursachen wollen. Also: Bitte nachts das Licht ausschalten. Steht dem Ruhrgebiet momentan auch viel besser.

Arnold Voss
15 Jahre zuvor

Gute Idee das! Damit könnte man im Rahmen des aktuellen Illuminationswahns sogar auffallen. Man müsste allerdings mindestens einmal pro Nacht das Licht wieder anschalten, denn sonst geriete man im allgemeinen touristischen Aufmerksamkeitskrieg zu schnell in Vergessenheit.

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

@ Arnold: Diese Superillu ist, abseits hiesiger Rathäuser und Staatskanzleien, und gerade weil sie Ernst gemeint ist, zur totalen Lachnummer geworden und erregt draußen, im so dilletantisch verfälschten Europa, günstigstenfalls Mitleid ? was ja auch eine Form von Aufmerksamkeit ist.

Vielleicht ist Mitleidstourismus das nächste große Ding. Dann gäbe es in der Tat „nichts zu kritisieren“.

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

@Voss & Haas: Nächtliche Lichtverschmutzung halte ich ohnehin für nicht besonders geeignet, um zeitgemäß für einen Standort zu werben. 😉

Die Protz-Zeiten sind vorbei. Nicht erst seit der Wirtschaftskrise – aber die hat den Prozess noch einmal beschleunigt. Bilder, die noch vor ein paar Monaten für Urbanität standen, wirken jetzt plötzlich wie Relikte aus einer seltsamen Zeit. Man denke nur einmal an die berühmte künstliche Insel vor Dubai, an SUVs etc. 😉

Tourismus-Werbung macht man besser mit einer speziellen Atmosphäre. Mit menschelnden Bildern. Wer das Ruhrgebiet zu NYC hochstilisieren will, macht sich da nur lächerlich – und enttäuscht die Erwartungen. Genau wie jene Touristen-Restaurants in der Nähe von Sehenswürdigkeiten. Draußen, an der Restauranttür sieht man Bilder von Mahlzeiten, die dann auf dem Teller ganz anderes aussehen (und leider auch schmecken). 🙂

Arnold Voß
Arnold Voß
15 Jahre zuvor

@ Dirk
Mitleidstourismus ist (auch) eine sehr gute Idee. Da könnte man viel von Politikern lernen, die immer wieder zu Krisenherden düsen um sich dort mit den Betroffenen ablichten zu lassen. Man muss das Ganze allerdings irgendwie mit Öko verbinden und der Dresscode muss auch stimmen. Also auf keinen Fall im Nerzmantel. Auch nicht im Winter. Am besten im Schimmi-Look. Da hätte man gleich auch etwas Authentisches, was die Einheimischen an die (Mitleid-)Touristen verkaufen könnten.

P.S. Es ist nicht so, dass ich dieses Satellitenbild nicht auch lächerlich finde. Aber die gesamte Tourismus-und Standortwerbung hat einen Grad von Darstellungsabsurdität erreicht, dass mich nichts mehr wundert.

Arnold Voss
15 Jahre zuvor

@ Mitleser

Dubai ist als Ganzes eines der teuersten Fake-Produkte der Welt und hat mit Urbanität ungefähr soviel zu tun wie eine Shoppingmal mit Genusskultur. Es ist gut, dass dafür einfach kein Geld mehr da ist.

Aber das Protzen wird deswegen nicht aufhören. Das scheint mir doch eine Art antropologische Konstante zu sein. Es werden nur weniger an dieser eigentlich recht schlichten Selbstüberhöhungsmethode teilhaben können und die, die sich das noch leisten können, werden in ihrer Zeigelust auch im Interesse ihrer eigenen Sicherheit etwas eingeschränkter sein als bisher.

Im stillen bewundern viele Menschen jeden Geschlechts jedoch so jemanden wie z.B. Abramowitsch. Tolle Autos, ein Jacht mit Hubschrauberlandeplatz, Villen an den angeblich schönsten Orten der Welt, ein eigener Fussballclub, Bodyguards usw. usw… Das ist halt selbstgelebtes Kino. Muss man ja auch erst mal hinkriegen bzw. drankommen. Selbst wenn man es mit Lug und Trug und/oder mit der Waffe in der Hand erobert hat. Dagegen ist so einer wie Zumwinkel- rein protzästhetisch gesehen- nur eine reich gewordene Heftklammer.

Ansonsten stimme ich ihnen zu.

Dirk E. Haas
Dirk E. Haas
15 Jahre zuvor

Ja, man konnte es kommen sehen.

Was? Na, das hier:
?Da ist sie wieder, diese (multi-)kulturelle Vielfalt, die sich nach außen so schwer verkaufen lässt. Aber auch hier hat Pleitgen einen Slogan gefunden: Schmelztiegel sei das Ruhrgebiet oder gar ?ein deutsches New York.? ?
https://www.derwesten.de/nachrichten/waz/2009/3/11/news-114032942/detail.html

Es ist wieder Murmeltiertag im Metropolendiskurs (-:
https://de.wikipedia.org/wiki/Und_täglich_grüßt_das_Murmeltier

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

Das Problem in Sachen Ruhrgebiets-Vermarktung ist, dass die handelnden Akteure irgendwie immer von gestern sind. Wenn sich eine Gegend wie das Ruhrgebiet mit NYC vergleicht – macht sie sich nur lächerlich. Kaum eine Gegend der Welt geht bei diesem Vergleich nicht als Verlierer vom Platz.

Ich finde solche Vergleiche auch unglaublich provinziell. Jeder, der schon mal im Ruhrgebiet war, wird sofort merken, dass die Region keine Weltstadt ist. Warum also rumprotzen und mit Dingen werben, die man nicht einhalten kann?

Stefan Laurin
Admin
15 Jahre zuvor

@Mit-Leser: Ich finde es auch unsäglich peinlich. Schon das Metropolen-Gerede nervt. Das ist hier alles nur keine Metropole. Schlau wäre, die eigenen Stärken herauszuarbeiten und damit zu werben – auch wenn sie eher provinziell wirken. Das Ruhrgebiet spielt nun einmal nicht in der Liga von New York und auch nicht in der Liga von Berlin, Paris oder London (wobei da Berlin wirtschaftlich auch nicht reinpasst).

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

@Laurin: Das sehe ich genauso. Das Ruhrgebiet müsste einfach mit dem werben was es ist. Das Ruhrgebiet. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Problematisch ist leider, dass die Leute, die für das Revier werben oftmals die speziellen Stärken der Region gar nicht erkennen. Beziehungsweise sich nicht die Mühe machen den speziellen Ruhr-USP herauszuarbeiten.

Arnold Voss
15 Jahre zuvor

Wie wärs mit: „Ruhr – die interessanteste Provinz der Welt“
„..der Welt“ ist wohlmöglich auch etwas übertrieben, aber ist ja auch ein Werbeslogan. Und Provinz hieß das Ruhrgebiet wirklich mal.

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

@Voss: Gekauft. 🙂

Würde nur „interessanteste“ gern in „spannendste“ umwandeln. Spricht sich besser. 🙂

Arnold Voß
Arnold Voß
15 Jahre zuvor

Angenommen! Klingt auch besser! Jetzt brauchen wir nur noch jemanden der die Kohle für die Kampagne rausrückt…. oh, da fällt mir ein … gibts da nicht diese Versicherung … immer da, immer nah.. genau!..Provinzial.. oder ist die auch schon im Meer der Finanzkrise untergegangen?

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