Schon im nächsten Jahr wird das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europas. Doch kaum einer kann sich vorstellen, was das heißt. Erleben wir Massenaufläufe, abgesperrte V.I.P-Zonen oder nur hier und da ein wenig Kulturdonner? Die neue Ruhrbaroness Olga Kapustina hat das schon mal mitgemacht. Bei einer Kulturhauptstadt. In Sankt Petersburg – vor fünf Jahren.
Ein Theater beginnt an der Garderobe, eine Stadt — am Bahnhof. Wer jetzt in Essen einreist, wird vom Hauptbahnhof zu einem Stadtbesuch kaum verführt. Hier wird gebaut. Genauso am Limbecker Platz. Selbst wenn shoppinglustige Touristen das große Kaufhaus dort stürmen wollen, müssen sie mit einiger zeitlichen Verzögerung wegen der Umleitungen und Straßensperrungen rechnen. Nicht nur am Bahnhof — überall in Essen wird gebaut.
Heute, ein Jahr bevor das Ruhrgebiet rund um Essen zur Kulturhauptstadt Europas wird, erinnert mich die Gegend an eine andere Kulturhauptstadt — die russische. Damals gab es in Petersburg eine grandiose Feier – und grandiose Vorbereitung dazu. Das war 2003. Die Petersburger Behörden gaben ihr Bestes, damit das 300jährige Jubiläum der Stadt zum Ereignis des Jahres wird. Es wurde sogar eine Sonderkommission für die Organisation des Festes unter Leitung des Präsidenten Wladimir Putin geschaffen.
Allein aus dem staatlichen Haushalt wurden für die Feier etwa 17 Mio. Dollar bereitgestellt. Die ganze Stadt wurde zu einer Baustelle. Die Denkmäler wurden restauriert, die Parkanlagen mit den neuen Bänken ausgestattet, die Fassaden frisch gestrichen, die Straßen repariert.
Vor allem die Straßen, durch die die hohen Gäste des Festes fuhren. Auf der Jagd nach Sauberkeit versuchten die Behörden, auch die Ratten und herrenlose Hunde auszurotten. Zwei Jahre später während der Vorbereitung zum G8-Gipfel gingen sie noch weiter und hatten die Obdachlosen aus der Stadt verjagt.
Sogar das launische Petersburger Wetter wurde besiegt. Die Regenwolken wurden während des Festes von Flugzeugen auseinander getrieben.
Zur Feier kamen Chefs aus allen möglichen wichtigen Ländern. Besonders Silvio Berlusconi und George Bush lobten das Fest. Es sei hervorragend gelungen. Die Gouverneurin Walentina Matwienko zog Ende 2003 folgende Bilanz. "Das Jubiläum fand eine große Resonanz in der ganzen Welt. 45 Staatsoberhäupter aus verschiedenen Ländern besuchten unsere Stadt. Kaum ein Staat hat uns kein Geschenk geschickt. Die Petersburger wussten solche Aufmerksamkeit zu schätzen".
Allein, die Menschen selbst schienen diese Auffassung nicht ganz zu teilen. "Fünf Jahre ist das nun her, aber ich kann immer noch nicht über dieses Fest sprechen, ohne zu schimpfen", sagt der Online-Radakteur Michail Rybaso. "Das war kein Fest für die Menschen hier, auch nicht für die Gäste der Stadt. Die ganze Show wurde nur für einen Haufen wichtiger Politiker aus verschiedenen Ländern organisiert. Die normalen Bürger galten für die Organisatoren als Störung. Es wurde uns sogar empfohlen, für die Festtage aus der Stadt rauszufahren."
Was soll ich sagen.
So war das auch.
Etliche Petersburger waren während der Feiertage auf einer Landpartie. Wer in der Stadt geblieben ist, erinnert sich an eine misslungene, aber teure Lasershow, an Gedränge auf der Hauptstraße, dem Newskij Prospekt, weil die besten Plätze am Ufer der für die hohen Gäste abgezäunt wurden, an gesperrte Straßen und miesen Empfang für das Handy.
Es heißt, die Kulturhauptstadt sei am besten mit den Worten zu beschreiben: "Hast", "Chaos", "Augenwischerei" und "Übertreibung". Ein russisches Sprichwort sagt: Der Kluge lernt aus den Fehlern der Anderen, der Dumme aus den eigenen.
Ich glaube nicht, dass hier im Ruhrgebiet die Fehler von St. Petersburg wiederholen werden. Ein Jahr vor der Kulturhauptstadt will man alles im besten Licht sehen. Das größte innerstädtische Shoppingcenter wird am Herbst 2009 fertig sein. Der Hauptbahnhof wird Gäste freundlich empfangen.
Nur die Chance, einen Platz für einen Englisch-Sprachkurs an der Uni zu bekommen, wird immer noch so hoch sein, wie die Chance auf den Gewinn einer lebenslangen Rente im Lotto.
Im Unterschied zur Essener Uni begann meine Alma-Mater in St. Petersburg wie ein Theater an der Garderobe. Da nahm eine alte Dame – hieß sie nicht Lidija Petrowna? – unsere Mantel in die Hand. Wer sie nicht grüßte, bekam eine kurze Vorlesung über Höflichkeit. "Als Petersburg noch Leningrad hieß, da sagten alle Guten Morgen." Lidija Petrowna hat uns beigebracht, dass die Kulturhauptstadt bei uns beginnt.
Was nutzt es, wenn der Status der Kulturhauptstadt Europas und die damit verbundenen Gelder nicht den Einwohnern der Stadt zugute kommt, sondern – wie es in Sankt Petersburg anscheinend der Fall war – ausschließlich der Profilierung im Ausland dient.
Auch wenn dieser Aspekt besser zum Artikel von David Schraven über Gazprom passt, muss man bedenken, dass Russland eine Exportquote eines Dritte-Welt-Landes hat.
Gäbe es kein Gas und Öl, sähe Russlands Wirtschafts alt aus.
Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Russland.
Auf der einen Seite diese große Kultur mit Tolstoi, Dostojewski, Tschechow, Turgenjew, Solschenizyn… Und auf der anderen Seite die skrupellosen Morde regierungskritischer Stimmen.