Zur Stunde hält NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihre Regierungserklärung im Düsseldorfer Landtag. Der Sozialdemokratin und ihrer rot-grünen Minderheitsregierung fehlt für jedes Gesetz mindestens eine Ja-Stimme oder Enthaltung aus der Opposition. Alexander Slonka, Geschäftsführer des Vereins „Mehr Demokratie“ begrüßt die Regierung ohne eigene Mehrheit. So werde der einzelne Abgeordnete und die Meinung der Bürger wichtiger.
Herr Slonka, In der jungen Düsseldorfer Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen muss Ministerpräsidentin Hannelore Kraft um jede Stimme ringen. Ist das eine furchtbar zähe Diskussion oder ein demokratischer Traum?
Alexander Slonka: Diese Regierungsform fördert die Debatte und das ist immer gut. Frau Kraft und ihre Regierungskollegen haben zu Beginn eine Koalition der Einladung ausgesprochen. Wenn das funktioniert und tatsächlich alle unabhängig von ihren Parteibüchern um die Sache streiten, wäre das zukunftsweisend. Das wird sich schon sehr bald an den großen Meilensteinen dieser Koalition zeigen. Zum Beispiel, ob ein Kompromiss mit den Linken für die Abschaffung der Studiengebühren gefunden wird oder ob die FDP tatsächlich auch die Schule mitreformieren will und längeres gemeinsames Lernen zulässt. Wenn immer auch der politische Gegner mitgedacht wird ist das ein Stärkung des Parlamentarismus.
Sie kämpfen dafür, Bürger an Entscheidungen teil haben zu lassen. Der ist aber bei einer Minderheitsregierung genauso wenig gefragt wie bei klaren Mehrheiten.
Trotzdem rücken die Abgeordneten wieder näher zu ihre Wählern. Denn der einzelne Abgeordnete wird viel wichtiger. Ministerpräsidentin Kraft fehlt ja aus der Opposition nur eine Person, die sich enthalten muss. Ein einzelner Abgeordneter. Und dann lohnt sich auch wieder der Gang zum Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten. Es lohnt sich, ihn zu überzeugen, sein Büro zu belagern. Denn natürlich sind die Bürger mit ihrem Engagement ökonomisch: Haben Sie das Gefühl, etwas erreichen zu können, sind sie sofort dabei.
Allerdings besteht doch auch die Gefahr, dass die Parteien nun einen Kuhhandel betreiben. Die Linke könnte beispielsweise sagen, wenn wir nicht länger durch den Verfassungsschutz beobachtet werden, stimmen wir der späteren Abschaffung der Studiengebühren zu.
Das ist eine Gefahr, natürlich. Aber nur, wenn im Hinterzimmer gekungelt wird. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Diskussion hier offen verlaufen muss, alleine schon, weil potentielle jede Partei mit der Regierung zusammen arbeiten könnte. Eine andere Gefahr ist auch, dass die Opposition die Regierung am ausgestreckten Arm verhungern lässt und alle Vorhaben torpediert. Das wäre faktisch das Ende. Aber auch das sehe ich in Nordrhein-Westfalen nicht: Bei der allgemeinen politischen Großwetterlage ist keine Partei daran interessiert, neu wählen zu lassen.
Dafür scheinen die Parteien mehr auf die Stimme der Bürger zu hören: Die CDU hat angekündigt, ein Volksbegehren gegen die geplante Gemeinschaftsschule zu organisieren.
Ja, und das wäre ein ganz geschickter Streich der CDU. Rot-Grün hat angekündigt, Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen zu erleichtern. Bislang müssen 8 Prozent der Bürger im Rathaus unterschreiben, das ist eine nahezu unüberwindbare Hürde. Sie müssten eine Millionen Bürger ins Rathaus bewegen! Zukünftig soll das Quorum niedriger sein und auch in den Straßen sollen Unterschriften gesammelt werden können. Wenn die CDU schlau ist, stimmt sie erst der Reform im Landtag zu – und nutzt dann das reformierte Instrument gegen die Gemeinschaftsschule der Koalition. Diese Minderheitsregierung lässt viel Raum für Phantasie.