„Belagert Eure Abgeordneten“

Alexander Slonka (30) glaubt an die Mündigkeit der Bürger - und der Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag

Zur Stunde hält NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihre Regierungserklärung im Düsseldorfer Landtag. Der Sozialdemokratin und ihrer rot-grünen Minderheitsregierung  fehlt für jedes Gesetz mindestens eine Ja-Stimme oder Enthaltung aus der Opposition. Alexander Slonka, Geschäftsführer des Vereins „Mehr Demokratie“ begrüßt die Regierung ohne eigene Mehrheit. So werde der einzelne Abgeordnete und die Meinung der Bürger wichtiger.

Herr Slonka, In der jungen Düsseldorfer Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen muss Ministerpräsidentin Hannelore Kraft um jede Stimme ringen. Ist das eine furchtbar zähe Diskussion oder ein demokratischer Traum?

Alexander Slonka: Diese Regierungsform fördert die Debatte und das ist immer gut. Frau Kraft und ihre Regierungskollegen haben zu Beginn eine Koalition der Einladung ausgesprochen. Wenn das funktioniert und tatsächlich alle unabhängig von ihren Parteibüchern um die Sache streiten, wäre das zukunftsweisend. Das wird sich schon sehr bald an den großen Meilensteinen dieser Koalition zeigen. Zum Beispiel, ob ein Kompromiss mit den Linken für die Abschaffung der Studiengebühren gefunden wird oder ob die FDP tatsächlich auch die Schule mitreformieren will und längeres gemeinsames Lernen zulässt. Wenn immer auch der politische Gegner mitgedacht wird ist das ein Stärkung des Parlamentarismus.

Sie kämpfen dafür, Bürger an Entscheidungen teil haben zu lassen. Der ist aber bei einer Minderheitsregierung genauso wenig gefragt wie bei klaren Mehrheiten.

Trotzdem rücken die Abgeordneten wieder näher zu ihre Wählern. Denn der einzelne Abgeordnete wird viel wichtiger. Ministerpräsidentin Kraft fehlt ja aus der Opposition nur eine Person, die sich enthalten muss. Ein einzelner Abgeordneter. Und dann lohnt sich auch wieder der Gang zum Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten. Es lohnt sich, ihn zu überzeugen, sein Büro zu belagern. Denn natürlich sind die Bürger mit ihrem Engagement ökonomisch: Haben Sie das Gefühl, etwas erreichen zu können, sind sie sofort dabei.

Allerdings besteht doch auch die Gefahr, dass die Parteien nun einen Kuhhandel betreiben. Die Linke könnte beispielsweise sagen, wenn wir nicht länger durch den Verfassungsschutz beobachtet werden, stimmen wir der späteren Abschaffung der Studiengebühren zu.

Das ist eine Gefahr, natürlich. Aber nur, wenn im Hinterzimmer gekungelt wird. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Diskussion hier offen verlaufen muss, alleine schon, weil potentielle jede Partei mit der Regierung zusammen arbeiten könnte. Eine andere Gefahr ist auch, dass die Opposition die Regierung am ausgestreckten Arm verhungern lässt und alle Vorhaben torpediert. Das wäre faktisch das Ende. Aber auch das sehe ich in Nordrhein-Westfalen nicht: Bei der allgemeinen politischen Großwetterlage ist keine Partei daran interessiert, neu wählen zu lassen.

Dafür scheinen die Parteien mehr auf die Stimme der Bürger zu hören: Die CDU hat angekündigt, ein Volksbegehren gegen die geplante Gemeinschaftsschule zu organisieren.

Ja, und das wäre ein ganz geschickter Streich der CDU. Rot-Grün hat angekündigt, Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen zu erleichtern. Bislang müssen 8 Prozent der Bürger im Rathaus unterschreiben, das ist eine nahezu unüberwindbare Hürde. Sie müssten eine Millionen Bürger ins Rathaus bewegen! Zukünftig soll das Quorum niedriger sein und auch in den Straßen sollen Unterschriften gesammelt werden können. Wenn die CDU schlau ist, stimmt sie erst der Reform im Landtag zu – und nutzt dann das reformierte Instrument gegen die Gemeinschaftsschule der Koalition. Diese Minderheitsregierung lässt viel Raum für Phantasie.

„Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“

Ahh.. Wer so heißt wie der nervige Film-Junge, hat ein Problem

Vornamen entscheiden über den Schulerfolg. Eine aktuelle Studie der Oldenburger Universität zeigt: Kinder, die Kevin oder Jaqueline heißen, werden schlechter benotet als ein „Maximilian“ oder eine „Emma“. Der Leipziger Namensforscher Peter Ernst im Interview über schlechte Ideen aus Hollywood und die Namens-Wahl der Oberschicht

Herr Ernst, nach einer neuen Studie kann ein Name über den Schulerfolg bestimmen. „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“, heißt es dort. Wie sehr bestimmen Namen über unser Leben?

Peter Ernst: Sie sind extrem wichtig. Namen stiften Identität und anders als eine Frisur tragen die allermeisten Menschen ihr Leben lang denselben Vornamen. Er ist auch das Erste, dass uns über einen Fremden gesagt wird. Und sofort entstehen bei bestimmten Namen Bilder im Kopf. Eltern sollten dies sehr ernst nehmen.

Nach welchen Kriterien entscheiden sich denn Eltern für einen Namen?

Das ist leider noch wenig erforscht. Grundsätzlich aber versteckt sich hinter einem Namen ein ganzes Programm. Alle Eltern wollen damit etwas bestimmtes ausdrücken, ihren Stil, ihre Erwartungen, ihr Wertesystem. Sie wollen dem Kind helfen und ihm alle Chancen eröffnen. Und geben ihm dann zum Beispiel den Namen Barack, weil sie Demokraten sind wie Obama. Der zweite Faktor sind religiöse Absichten. In katholischen Familie glauben die Eltern, der Name eines Heiligen könne die Eltern beschützen. Deswegen haben sie ihrem Nachwuchs früher, also vor allem im 19. Jahrhundert, auch häufig viele Vornamen gegeben – je mehr Heilige desto besser. Nun geht der Einfluss des Religiösen aber deutlich zurück.

Dafür scheint die Welt der Stars und Schauspieler wichtiger zu werden. Der Name Kevin wurde nach dem 90er-Jahre-Film „Kevin allein zu Haus“ so populär. Ist denn an dem Vorurteil der Lehrer etwas dran, dass die vielen Kevins aus bildungsfernen Schichten stammen?

Wir haben tatsächlich erste Hinweise darauf, dass gerade bildungsferne Schichten ihre Kinder nach Fernseh-Figuren taufen. Der Lebensalltag der Eltern spiegelt sich im Namen ihrer Kinder wieder. Wenn sie vor der Geburt viele Stunden vor dem Fernseher verbringen, werden sie automatisch auf Filmstars zurückgreifen. Genauso, wie bürgerliche Familien gerne auf historische Dichter- oder Musikernamen zurückgreifen. Aber diese Motivationsforschung ist noch jung und wir können keine exakten Aussagen treffen. Aber viele Studien belegen umgekehrt, dass fernsehnahe Worte wie Kevin oder Jaqueline häufig negative Assoziationen wecken.

Wer seinem Kind also zu guten Noten verhelfen möchte, verzichtet besser auf Anleihen aus Hollywood?

Ja, unbedingt. Der Erfolg eines Stars ist so kurzfristige, das kann stark nach hinten los gehen. Es kann eine Fortsetzung des Films geben in der der Held plötzlich zum Bösewicht wird und damit auch den Namen abwertet. Oder der entsprechende Schauspieler landet im Gefängnis. Die Welt der Schauspieler ist zu wechselhaft für einen lebenslangen positiven Namen.

Wie bewerten Sie ausgefallene Namen? Immer wieder weisen Standesämter Namen wie „Pipilotta“ oder Pepsicola ab.

Das ist einfach der Wunsch nach Distinktion. Gerade Familien, die weit verbreitete Nachnamen wie Müller oder Schmidt tragen neigen dazu, einen ganz besonderen Vornamen zu suchen wie etwa Thassilo Müller. Sie glauben, Auffallen wäre in jedem Fall gut und erhoffen sich dadurch bessere Chancen für ihr Kind. In Wirklichkeit wird es sich ein Leben lang erklären, immer wieder seinen Namen buchstabieren und Witze ertragen müssen. Ein Name wie Pepsi Cola ist ein Fluch. Das ist nur ein Egotrip der Eltern.

Kann denn ein besonderer Name nicht tatsächlich von Vorteil sein?

Ja und Nein. Ein ungewöhnlicher Name kann tatsächlich das Interesse an einer Person steigern. Generell aber ist die Wirkung eines Namens von so vielen Faktoren abhängig, dass sie nicht für ein ganzes Leben abgeschätzt werden kann. In den 1970er Jahren waren italienische Namen wie Luca, Andrea oder Mario beliebt. Heute heißen die Kinder Louisa und Theobald, vor zehn Jahren wären sie dafür in der Schule belächelt worden. Noch dazu werden Namen sehr regional populär und auch unbeliebt – in einem katholischen Dorf in Bayern heißen die Menschen anders als in Berlin, im Norden anders als im Süden.

Was raten Sie Eltern, die heute ein Kind bekommen?

Forscher Peter Ernst: "Versuchen Sie nie, lustig zu sein"

Ich würde dazu raten, sehr sorgfältig zu überlegen, Ihr Kind muss ein Leben lang damit herum laufen. Sie sollten unbedingt vermeiden, witzig sein zu wollen. Entscheidend ist der Wohlklang. Es sollte nicht nur ein Vokal vorkommen wie bei Yoko Ono, und bei einsilbigem Nachnamen sollte der Vorname nicht zu lang sein, das wirkt unharmonisch. Am sichersten ist es, dem Kind mehrere Vornamen zu geben, dann kann es sich später einen aussuchen. Wenn ich Anna Maria Christina heiße kann ich selbst wählen, welcher zu mir und meinen Vorstellungen am besten passt. Nur beim amtlichen Unterschreiben muss ich alle angeben und das ist ja selten. Ein wohlklingender seltener Name ist immer sehr angenehm.

Aber was ist selten? Die meisten Eltern suchen nach einer Rarität und müssen dann im Kindergarten feststellen, dass plötzlich die halbe Klasse Theo heißt.

Ja, weil es fast unmöglich ist aus dem Trendbezug herauszutreten. Auch wir Forscher können keine Prophezeiungen machen, dazu ist eine Mode von viel zu vielen Dingen beeinflusst: Die Stimmung im Land, die Urlaubsvorlieben oder ein Ereignis können die Hitlisten sofort beeinflussen. Sollte Russland plötzlich eine sympathische demokratische Präsidentin namens Olga erhalten, hätten sie weltweit mehr Olgas. Ich warte nur darauf, dass wir bald viele kleine Lady Gagas in den Kindertagesstätten haben. Und genau diese direkte Verknüpfung mit einer bestimmten Person ist auch problematisch. Zu eindeutig zuzuordnende Namen wie Kevin sind schnell mit Vorurteilen belastet. Oder denken Sie an die vielen Adolfs nach dem zweiten Weltkrieg, die haben es ein Leben lang schwer.

Wie heißt denn Ihr eigenes Kind?

Mein Sohn heißt Albert. Das hat nicht mehr als zwei Silben und passt also zum einsilbigen Nachnamen Ernst. Uns gefiel der Klang und außerdem ist Albert ein Heiliger. Als zweiten Vornamen haben wir Eduard gewählt, nach einem sehr geliebten Onkel der Mutter.

Düsseldorf piekst Atom-Riesen

Zwischenlager in Ahaus

Nur vor das ferne Bundesverfassungsgericht zu ziehen reicht nicht: Die Düsseldorfer Landesregierung will den Atom-Anlagen im eigenen Land Nadelstiche versetzen.

„Wir wollen den höchsten Sicherheitsstandard für unsere Anlagen, unabhängig von den Erlassen der Bundesregierung,“ so eine Sprecherin des zuständigen Wirtschaftsministeriums. Die Auflagen würden zurzeit „gründlich überprüft“. Intern setzt das rot-grüne Kabinett darauf, dem Brennelemente-Zwischenlager in Ahaus und der Urananreicherungsanlage (UAA) im münsterländischen Gronau scharfe Auflagen zu setzen – und so das bundesweite Comeback der Atomenergie zu torpedieren. Düsseldorf ist zum Beispiel zuständig für die Sicherheitsstandards in der UAA und die Genehmigung der zahlreichen Castor-Transporte nach Ahaus.

Hier sieht die rot-grüne Minderheitsregierung in Düsseldorf die Chance, ihren Anti-Atom-Kurs öffentlichkeitswirksam vorzuführen. Schließlich hat auch die Debatte um Kernenergie Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ins Amt geholfen. Kraft und der grüne Umweltminister Johannes Remmel verkündeten bereits am Montag einmütig, gegen die langen Laufzeiten vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Und im eigenen Land sollen alle Mittel ausgeschöpft werden. Zwar existiert an Rhein und Ruhr kann eigenes Atomkraftwerk, aber die beiden Anlagen in Ahaus und Gronau sind bedeutend für die gesamte Atomindustrie. In der UAA in Grona wird der Anteil des spaltbaren Materials von Uran erhöht, wie es für die Brennstäbe in AKW benötigt wird. Das dabei entstehende Uranhexafluorid ist hoch giftig- schon bei geringem Kontakt besteht für Menschen keine Überlebenschance. Und in Ahaus dürfen maximal 3960 Tonnen Kernbrennstoff eingelagert werden – mehr als im Zwischenlager Gorleben.

Zwar liefert Urenco nur sieben Prozent des hoch gefährlichen Stoffes an die deutsche Atomenergie. Aber der Atom-Ausstieg hätte dem internationalen Marketing der Firma sicherlich geschadet. „Das wäre für uns wie ein Tempolimit auf der Autobahn für Porsche“, so der Urenco-Geschäftsführer Joachim Ohnemus. Nämlich ein gewaltiger Imageverlust. Bislang aber plant das Unternehmen, das zu je einem Drittel der Niederlande und Großbritannien und zu einem Drittel RWE und Eon gehört, einen massiven Ausbau. Bald soll die scharf bewachte Anlage ausreichend Uran für 40 große Kernkraftwerke anreichern können.

Matthias Eickhoff von der Initiative „Münsterland gegen Atomanlagen“ findet Nordrhein-Westfalen „prädestiniert für den Kampf gegen Atomenergie“. Weil das Land nur den Schrott der anderen Länder in Ahaus umschlagen muss, seien hier die großen Gefahren der Kernenergie besonders präsent. „Die neue Landesregierung muss Transporte nach Ahaus mit Auflagen überziehen und Urenco Hürden setzen“, so Eickhoff. Nur vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen sei viel zu wenig. „Die Atom-Gegner brauchen jetzt viel Phantasie,“ so Eickhoff.

Und die SPD sollte es diesmal auch ernster meinen: Schließlich hatte den Ausbau der Uran-Anlage in Nordrhein-Westfalen einst ein Genosse genehmigt: Der frühere Düsseldorfer Wirtschaftsminister Axel Horstmann gab Urenco das Ok – bevor der Sozialdemokrat nach der verlorenen Landtagswahl 2005 zum Atomkonzern EnBW wechselte.

Loveparade: Alle wollen Opfer sein

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Adolf Sauerland: "Immenses Leid"

Zum ersten Mal seit der für 21 Menschen tödlich endenden Technoveranstaltung Ende Juli saßen sich heute die Verantwortlichen der Stadt, des Veranstalters Lopavent und der Polizei im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags gegenüber. Sie würdigten sich keines Blickes. Erstmals trat auch CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland auf. Mit Schweißperlen auf der Stirn saß er wortkarg im voll besetzten Saal.

Schnell nahm der Duisburger Stadtchef die Rolle eines Opfers ein. „Alle Duisburger und ich besonders leiden entsetzlich unter diesem schrecklichen Unglück“, sagte Sauerland mit brüchiger Stimme. „21 Tote bedeuten ein immenses menschliches Leid und damit eine Bürde, die mich und meine Kollegen und Kolleginnen gewiss unser Leben lang nicht mehr verlassen wird.“ Die Aufarbeitung der Katastrophe sei zu komplex, „als dass man es bei schnellen Lösungen belassen könnte“. Deshalb habe er sich entschlossen, trotz eines „fast beispiellosen öffentlichen Drucks mein Amt auszuüben“. Diese Form der Aufklärung sei er auch den Opfern und Hinterbliebenen schuldig. Der 55-Jährige saß geduckt neben seiner Juristin Ute Jasper, die aufrecht und mit überzeugter Stimme die Stadt von Verfehlungen frei sprach.

Dies tat allerdings auch erneut NRW-Innenminister Ralf Jäger – allerdings sprang er für die ihm unterstellte Polizei in die Bresche. Selbst wenn die Beamten Fehler gemacht haben sollten, so die Logik des Sozialdemokraten, seien daran andere Schuld. „Es ist unrealistisch, bei dem unfassbaren Chaos auf Veranstalterseite einen fehlerfreien Polizeieinsatz zu erwarten.“

Zentraler Punkt aller Fragen der Abgeordneten sind immer noch eine Reihe von Entscheidungen, die offenbar die verheerende Massenpanik im Tunnel ausgelöst haben. Dort wurden die 21 verstorbenen Besucher im dichten Gedränge erdrückt. Aber wie kam es zu dieser Dichte? Waren es die drei Personen-Ketten, die die Polizei kurz vor den Todesfällen bildete? Oder sorgten nachlässig auf dem Gelände verbliebene Zäune des Veranstalters für die Enge?

Laut Innenministerium hat Lopavent die Schleusen zum Hauptgelände um 12 Uhr viel zu spät geöffnet, obwohl sich dort schon ab zehn Uhr morgens Menschen anstellten. Dies habe zu einem sehr frühen Stau geführt. Auch steht die Frage im Raum, ob die Musik-Wagen still standen, weil Schaller ein Fernseh-Interview gab und der McFit-Fload im Hintergrund zu sehen sein sollte. Laut Sicherheitskonzept sollten die Wagen rollen, damit die Leute auf die Fläche gezogen werden.

Der Veranstalter hingegen bemängelt Polizeiketten, die auf den Zugangsrampen die Menschen in den Tunnel gedrängt hätten. „Lopavent hat die Loveparade zusammen mit Experten der Landespolizei geplant“, so der Anwalt des abwesenden Geschäftsführers Rainer Schaller. „Die Polizei fühlte sich für die Sicherheit der Parade verantwortlich.“ Die mehr als 30 Fragen der Abgeordneten, etwa nach den fehlenden Ordnern von Lopavent, beantworteten die Gesandten von Schaller hingegen nicht.

Für Politiker und Gutachter aller Parteien bot der Innenausschuss offenbar nur eine willkommene Gelegenheit, auf den Gegner zu zeigen. Die öffentlich zelebrierte Konfrontation im Düsseldorfer Landtag ist nicht zuletzt auch politisch motiviert: Der erst wenige Tage vor der Loveparade zum Minister berufene Ralf Jäger gehört der SPD an, CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist Christdemokrat. Und zwar ausgerechnet in Duisburg, im Wahlkreis von Jäger.

Bislang bleibt es den eigentlich Betroffenen und den Familien der Opfer vorbehalten, nicht voreilig Schuld zuzuweisen. Der Rechtsanwalt der Loveparade-Opfer, Gerhart Baum, rechnet noch mit monatelangen Ermittlungen bis zur juristisch sauberen Klärung der Schuldfrage. „Ich kann mir vorstellen, dass es überschneidende Verantwortungsbereiche für das Unglück gegeben hat“, sagte der FDP-Politiker und frühere Bundesinnenminister am Donnerstag. Erst nach Abschluss der Ermittlungen werde sich endgültig herausstellen, wer strafrechtlich oder zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne.

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Westfalen würden Nobbi wählen

Norbert Röttgen

Es riecht nach selbst gebratenen Frikadellen und Pomade. Zum ersten Rededuell um den Landesvorsitz der NRW-CDU kamen am Mittwochabend mehr als 800 Christdemokraten in die Stadthalle Münster Hiltrup. Die meisten sind über 60-jährige Männer in braunen Wildlederjacken. Könnten die Westfalen ihren neuen Landeschef alleine wählen, wäre Norbert Röttgen wohl das künftige Gesicht der CDU in Nordrhein-Westfalen. Das erste Duell mit Armin Laschet um den Vorsitz im größten Landesverband der CDU entschied der Bundesumweltminister für sich. Schon nach wenigen Worten erhielt Röttgen deutlich mehr Applaus als der ehemalige NRW-Integrationsminister. Röttgen gab präzisere Antworten und bezog klarer Stellung als sein Kontrahent und hatte den aufgeheizten Saal im Griff.

Nun haben Laschet und Röttgen noch einen Monat und sieben weitere Konferenzen Zeit, die 160 000 Mitglieder im Land zu überzeugen. Laschets stärkstes Argument ist seine Präsenz im Düsseldorfer Landtag. „Diese rot-grüne Minderheitsregierung ist so instabil, dass sie morgen zerbrechen kann. Ich bin 100 Prozent im Landtag,“ stichelte er in Richtung seines Berliner Kontrahenten.

Dem kontert Röttgen, er könne die Interessen zum Beispiel der notleidenden Kommunen in Berlin vertreten. „Die erste Aufgabe von uns ist es, die Düsseldorfer Regierung so schnell wie möglich beenden. Ich sage klar, ich möchte die kommende Landesregierung hier anführen“, sagte Röttgen.

Bislang scheint Laschets Strategie, sich die öffentliche Unterstützung der Funktionäre im Land zu sichern, nicht aufzugehen. Möglicherweise nimmt ihm die Basis seine Nähe zum abgewählten Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers übel. Der hatte in der kargen Mehrzweckhalle seinen ersten Auftritt nach der Schlappe im Mai, beschränkte sich aber darauf, als unparteiischer Moderator wortkarg auf der Bühne zu sitzen.

Rüttgers hatte sich vor mehr als einem Jahrzehnt selbst in Münster-Hiltrup der Basis gestellt – und am Ende ja bekanntlich gewonnen. Nun hat er die Landtagswahl nach nur einer Amtszeit verloren und wird den Parteivorsitz abgeben. Alle 160 000 Mitglieder an Rhein und Ruhr können bis zum 30. Oktober per Brief seinen Nachfolger wählen.

Inhaltlich waren die beiden Rheinländer Laschet und Röttgen auf einem Kurs: Beide finden Thilo Sarrazin und seine ausländerfeindlichen Thesen inakzeptabel, beide wollen verhindern, dass es eine Partei rechts der CDU gibt und natürlich befürworten sie den Mindestlohn in bestimmten Branchen, wollen eine christliche Politik durchsetzen und die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen stellen. So suchen und betonen beide nur einen formalen Unterschied – der eine arbeitet eben in Berlin, der andere in Düsseldorf. Trotzdem gehören beide dem modernisierendem Flügel der Partei an und sind zum Beispiel für schwarz-grüne Bündnisse offen.

So ist das bürgerliche Westfalen eigentlich für keinen der beiden Großstädter ein Heimspiel. Hier sind die Kreisverbände von Bauern bestimmt, die Kirchen am Sonntag noch gefüllt und nicht selten ist der Schützenkönig auch Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes. „Warum haben wir nicht einen Handwerker an der Spitze im Land?“, fragt einer. Eine andere möchte die Landesmittel für Abtreibungen streichen, ein dritter die Zuwanderung stoppen.

Für die CDU-Basis war es die erste Gelegenheit zur Aussprache nach der verlorenen Landtagswahl im Mai. Sie kam auch zahlreicher als bei den meisten Veranstaltungen der CDU im verlorenen Landtagswahlkampf. Ein Fragesteller bezeichnet die Versammlung ironisch als „erweiterte Seniorenunion.“ Auch der Speisezettel war westfälisch auf sie abgestimmt. Es gab münsterländische Frikadellen und Pfefferbeißer. Mit Senf, aber ohne Brötchen.

Einundzwanzig Tote, Null Verantwortliche

Eine Tragödie ohne Schuldige?

Dieses bezahlte Urteil konnte nur ein Freispruch sein: Sechs Wochen nach der für 21 Menschen tödlich endenden Loveparade hat die Stadt Duisburg ein Gutachten zu ihrer Entlastung vorgelegt. Die Düsseldorfer Kanzlei Heuking sollte prüfen, ob in der Verwaltung Fehler gemacht wurden. Am Mittwochnachmittag zogen  die Juristen das vorhersehbare Fazit: „Die Stadt Duisburg hat ihre Amtspflichten beachtet und keine juristischen Fehler begangen.“

Wochenlang hat die Stadt Duisburg geschwiegen, nun sollten Juristen ihre Weste weiß waschen. Laut Anwältin Ute Jasper hätten diese „stur chronologisch die Sachverhalte geprüft“. In erster Linie hätten sie sich dabei auf Aussagen der Mitarbeiter verlassen. „Wir prüfen nicht, wer letztendlich Schuld war am tragischen Unglück,“ so Jasper. Sie hätten nur analysiert, ob formale Fehler begangen wurden.

Offenbar wollte die Stadt Duisburg nun in die Offensive gehen. Schließlich hatten die beiden anderen Beschuldigten der Tragödie, die Polizei und der Veranstalter Lopavent, schon über zahlreiche Medien ihre Unschuld versucht zu beweisen. Lopavent-Chef Rainer Schaller stellte Anfang der Woche Videoaufnahmen online, nach denen die Polizei für die tödliche Massenpanik im Tunnel verantwortlich sein soll. Sie hatte drei Ketten gebildet, die letztendlich den verheerenden Stau auf den Zugangswegen verursacht haben könnten.

Inzwischen stehen sich über die Loveparade drei widersprüchliche Gutachten gegenüber. Sie betonen jeweils die Unschuld ihrer Mandanten. Nur wenige Stunden vor der Duisburger Konferenz hatten Bonner Verwaltungsrechtler am Mittwochmorgen im Auftrag des nordrhein-westfälischen Innenministeriums ihrerseits ein Gutachten vorgestellt, nach dem die primäre Verantwortung für die Sicherheit auf der Loveparade beim Veranstalter Lopavent lag. Die Juristen kritisieren etwa, dass in dem von Lopavent vorgelegten Sicherheitskonzept weder eine Mindestanzahl der Kräfte des Ordnungsdienstes, noch die Sicherheitsdurchsagen festgelegt sind. Gleichzeitig weisen die Bonner Juristen der Stadt Duisburg die „allgemeine und übergreifende Zuständigkeit für die Sicherheit der gesamten Veranstaltung“ zu.

Vorhersehbar widerspricht die Kanzlei Heuking. „Die Stadt hat nicht die allgemeine Verantwortung für das Sicherheitskonzept“, betonte Jasper. Nicht beantworten konnte die Verwaltungsexpertin allerdings die Frage, wer am Tag der Loveparade die verhängnisvolle Stauung im Tunnel hätte verhindern müssen. Zwar sei in einigen Szenarien vor der Veranstaltung immer wieder betont werden, eine Stauung im Tunnel unbedingt zu verhindern. Und selbst nach diesem Gutachten hätte die Stadt als Ordnungsbehörde in einer Telefonkonferenz die Sperrung der Zugangswege bei einer drohenden Stauung veranlassen müssen. „Über die möglichen Telefonate liegen uns aber keine Informationen vor“, so Jasper. Warum ausgerechnet hier, am entscheidenden Punkt der Tragödie, nicht genauer überprüft wurde und er auch nicht in dem mehrere hundert Seiten dicken Gutachten erwähnt wird ist schleierhaft. Ohnehin steht die Kanzlei im Verdacht, der Stadt nahe zustehen: Seit Jahren erhält sie lukrative Aufträge der Kommune.

Der umstrittene Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) ließ sich in dem Konferenzsaal erst gar nicht blicken. Er wird am Donnerstag im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtages berichten. Hier wiederum wird Veranstalter Rainer Schaller nicht anwesend sein: Er bleibt die parlamentarische Aufklärung schuldig. Erst in letzter Sekunde hat er seinen Auftritt in der Fernsehsendung Kerner abgesagt, weil der „Druck“ zu groß gewesen sei. Knapp sechs Wochen nach der verheerenden Katastrophe ist niemand bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Den Schurken verstummen lassen

Der Bundesbanker

Keine Frage: Es lohnt sich keine Diskussion über Sarrazins „Thesen“. Es sind nämlich keine Thesen, sondern populärwissenschaftlich verbrämte Beleidigungen. Was sich lohnt, ist eine Diskussion über die deutschen Medien.

Warum darf sich der Buchautor mit seinem Machwerk in der Bundespressekonferenz inszenieren? Warum gibt der Springer-Verlag, der sich immer seiner Nähe zum Staat Israel rühmt, antisemitischer Dummheit ein Forum mit fetten Vorabdrucken? Warum stoppt die ARD nicht ihren eitlen Talker Beckmann, der Thilo S. in seine Sendung holte? Dass in Deutschland die Armut und Hoffnungslosigkeit bei nichtdeutschen und deutschen Menschen wächst, interessiert in Wahrheit die großen Meinungsmacher nicht. Das ist so bekannt wie vernachlässigt.

Thilo Sarrazin galt bislang als spleeniger Ex-Hauptstadtpolitiker mit Kaiserreich-Schnauzer und leicht glasigem Blick. Jetzt hat er es dank Unterstützung wichtiger Meinungs-Medien leider in die erste Liga der Hetzer gebracht: Sarrazin steht mit seinem unappetitlichen Sabber-Ausfällen gegen Juden und Migranten ab sofort in einer Reihe mit Jürgen Möllemann, Geert Wilders, Jörg Haider und jenem Neonazi, der einst in bepinkelten Jogginghosen seinem Arm zum Hitlergruß reckte.

Die Rechtspopulisten von Pro NRW sind begeistert. Die NPD klatscht Beifall. Hätte ein Funktionär dieser Rechtsradikalen ein Thesenpapier wie das Sarrazins geschrieben, hätten die Medien zum Glück keine Silbe darüber verloren. Nun aber redet der Bundesbanker und leider werden sich voraussehbar die Stimmen mehren, die ihn entschuldigen, er habe sich nur ungeschickt ausgedrückt und sein Buch ja gar nicht richtig gelesen oder andere irreführende Mär. Dabei sollte seine großbürgerliche Tirade auf alles was nicht deutsch und universitär gebildet ist eine Notiz in künftigen Chroniken sein. Heute aber sollten wir nicht die Medientrommel für das Buch eines Irrläufers rühren. Fernsehsender und Zeitungen sollten Sarrazin keine Interviews mehr schenken. So wie es auch das ungeschriebene Gesetz über die NPD vorsieht.

Bildungswende in der Backsteinsiedlung

Bürgerliche Siedlungen und Bierzelte - und bald eine Schule für alle: Ascheberg

Mitten im Münsterland wird die Bildungswende eingeleitet. Dort, wo Christdemokraten seit Jahrzehnten regieren, die Junge Union riesige Bierzelte füllt und Familien reihenweise in backsteinfarbenen Häusern wohnen, entsteht gerade die erste Gemeinschaftsschule. Die Gemeinde Ascheberg hat vom nordrhein-westfälischen Bildungsministerium in diesen Tagen grundsätzlich grünes Licht dafür bekommen, unter einem Dach die Abschlüsse der Haupt- und Realschule und das Abitur anzubieten. „Für uns ist das der einzig sinnvolle Weg“, so der CDU-Bürgermeister Bert Risthaus.

Die CDU besetzt mit 16 Sitzen die Hälfte aller Ratsmandate – die Grünen kommen in der knapp 15.000 -Seelen-Gemeinde gar nicht vor, die SPD hat 5 Sitze. Und dennoch macht Ascheberg nun die Bildungspolitik, für die die neue rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde. „Der Antrag der Gemeinde Ascheberg entspricht in großen Teilen den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen“, sagt die neue grüne Bildungsministerin Sylvia Löhrmann. Nach einigen formalen Nachbesserungen will sie den Antrag nun „sehr bald genehmigen.“

Löhrmann will in Nordrhein-Westfalen einen Eklat um die Schulform wie bei der Hambuger Volksabstimmung vermeiden. „Von unten“, so betont die ehemalige Lehrerin immer wieder, solle die Reform wachsen. Sie könne nicht verordnet werden, sondern müsse vor Ort gewollt sein. In Ascheberg ist dies der Fall. Alle vier Fraktionen des des CDU-dominierten Rates sprachen sich einstimmig für das längere gemeinsame Lernen aus, auch Eltern stimmten auf Konferenzen dafür. „Unsere Gemeinde wird für Eltern attraktiver, wenn wir dieses Angebot machen“, sagt Stadtchef Risthaus.

Risthaus

Der 39-Jährige scheint seiner Zeit voraus zu sein. Die rot-grüne Landesregierung will in den nächsten fünf Jahren mindestens 30 Prozent der weiterführenden Schulen zu Gemeinschaftsschulen umwandeln, in denen die Schüler der 5. und 6. Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Ab der 7. Klasse gliedert sich die Schule dann in einen Hauptschul-, einen Realschul- und einen gymnasialen Zweig auf.

Noch vor wenigen Monaten standen Christdemokraten mit grellen Plakaten auf Pausenhöfen und warnten davor, die Gymnasien würden unter rot-grün geschlossen. Der Wahlverlierer Jürgen Rüttgers malte das düstere Bild eines „Schulkampfes“ an die Wand. Auch die Gemeinde Ascheberg hatte schon vor einem Jahr ihr Konzept in Düsseldorf vorgestellt. Aber unter der abgewählten schwarz-gelben Regierung „tat sich wenig“, so Risthaus. Der Antrag blieb weitgehend unbearbeitet liegen.

Aber im Flächenland Nordrhein-Westfalen drängen nun die Eltern zur Reform: Die Hauptschulen verlieren jährlich ganze Klassengrößen und Gesamtschulen müssen viele interessierte Familien abweisen. Auch in Ascheberg ist die Hauptschule nur noch einzügig, vor wenigen Jahren hatten sich noch ausreichend Schüler für zwei Klassen pro Jahrgangsstufe angemeldet. Inzwischen besuchen die Hälfte aller Schüler ein Gymnasium oder eine Gesamtschule in der Nachbargemeinde. Sie pendeln dafür zwischen 15 und 30 Kilometer am Tag. „Das ist eine ungeheure Belastung“, so Jurist Risthaus. Dem 39-Jährigen blies nach eigenem Bekunden nur „wenig Gegenwind“ für sein Projekt ins Gesicht. „Vor Ort haben wir keine Alternative.“

In Ascheberg soll nun bereits 2011 die sogenannte Profilschule eröffnen. Sie wird den Startschuss für viele weitere Anträge geben. „Das Interesse der Gemeinden ist groß“, so Löhrmanns Sprecherin. Und auch Bürgermeister Risthaus sagt: „Zahlreiche Städte haben sich schon bei uns erkundigt.“ Wiederum sind es viele CDU-Städte aus dem Münsterland, die interessiert sind. Der deutschlandweit erbittert geführte Schulstreit wird vor Ort offenbar pragmatisch gelöst.

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Richter: Vier Quadratmeter zum Leben

Rechtlos hinter Gittern

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat heute entschieden: 8,3 Quadratmeter Zelle für zwei Häftlinge inklusive Klo sind ausreichend. Die Richter wiesen die Klage eines Häftlings auf Schadenersatz wegen „menschenunwürdiger Haftbedingungen“ ab. Die perfide Begründung: Wenn der Gefangene die Situation während seiner dreimonatigen Haftzeit in Duisburg-Hamborn als unerträglich empfunden hätte, hätte er sich vehementer um eine Verlegung gekümmert. Dabei hatte der Mann einen Vollzugsbeamten um die Verlegung in eine Einzelzelle gebeten. Danach aber, so die Richter, habe er „sein Anliegen nicht weiter verfolgt.“ Hätte er „nachdrücklich“ um eine Verlegung gekämpft, so sei davon auszugehen, dass die Anstaltsleitung seinem Gesuch nachgekommen wäre.

Ein lebensfremdes und unwürdiges Urteil. Denn erstens sind die Gefängnisse so überfüllt, dass den Gesuchen auf Einzelzellen nicht nachgekommen werden kann. Und zweitens verkennen die Düsseldorfer Juristen das stramm hierarchische System Gefängnis. Die Gefangenen sind darauf angewiesen, sich mit den Beamten gut zu stellen. Sie vergeben Freigänge, lassen den Besuch zu und teilen zu den begehrten Sportkursen ein, konfiszieren oder vergeben Fernseher. Ein ewig quengelnder Knacki muss um Vergünstigungen fürchten. Nur dem Leben im Gefängnis entrückte Richter können glauben, ein Mensch müsse auf vier Quadratmeter nicht leiden, müsse sich nicht schämen, auf der Toilette beobachtet zu werden.

Zum Glück gibt es inzwischen auch menschenfreundliche Urteile. Die Zahl anhängiger Beschwerden in gerichtlichen und in außergerichtlichen Verfahren von Gefangenen wird in NRW auf einige hundert geschätzt. Verschiedene Landgerichte und Oberlandesgerichte hatten in der Vergangenheit Schadenersatzforderungen von Häftlingen und früheren Insassen teils bestätigt, teils aber auch abgewiesen. Auch der Duisburger Häftling hatte vom Landgericht Duisburg zunächst Recht bekommen.

Der Guerillero aus Duisburg

"Duisburg mauert systematisch"- Blogger Rodenbücher

Die Stadt Duisburg schweigt über die genauen Planungen zur Loveparade. Mit einer einstweiligen Verfügung gegen eine Veröffentlichung des Duisburger Blogs xtranews.de hat sie sich blamiert – und das zurückgehaltene Dokument berühmt gemacht.

Als der Gerichtsvollzieher vor seiner Tür stand wusste Thomas Rodenbücher: Dies wird ein erfolgreicher Tag. Die Stadt Duisburg hatte dem Blogger einen großen Gefallen getan. Durch eine einstweilige Verfügung gegen eine Veröffentlichung des 41-Jährigen zur Loveparade verhalf sie seiner Webseite xtranews.de zu ungekannter Aufmerksamkeit. Ihre Leserschaft vervierfachte sich innerhalb weniger Stunden auf 12 000. „Politiker verstehen bis heute nicht, wie das Web funktioniert“, sagt Rodenbücher kopfschüttelnd.

Der jungenhaft wirkende Blonde scheint selbst noch etwas ungläubig darüber zu sein, welche Aufruhr seine Publikation verursacht hat. Über Umwege erhielt Rodenbücher vor zehn Tagen die 43 Dokumente des Anhangs eines juristischen Gutachtens, das die Stadt Duisburg selbst in Auftrag gegeben hatte. Tenor des Schriftstückes: Die Stadt habe keine Fehler bei der Planung der Loveparade gemacht, die Ende Juli 21 Menschen das Leben gekostet hatte. Den Hauptteil des Gutachtens hatte Duisburg ohnehin veröffentlicht, nur der Anhang blieb unter Verschluss. In ihm finden sich auf den ersten Blick nur bereits bekannte Grafiken über die Planungen zur Loveparade und Protokolle von Sitzungen der Polizei, Veranstaltern und Feuerwehr.

Die harsche Reaktion macht Rodenbücher nun stutzig, ob sich in den scheinbar harmlosen Dokumenten nicht doch ein handfester Fehler der Stadt verbirgt. „Hier wird systematisch gemauert“, sagt der gebürtige Duisburger. Sein Argwohn ist geweckt. „Dabei sind wir eigentlich ein Spaßprojekt“, sagt er grinsend.

Rodenbüchers Web-Karriere fing ganz harmlos an. Die Wut über eine ständig rote Ampel in der Duisburger Innenstadt führte ihn letztendlich in die Community der Blogger. Auf seiner erst vor einem Jahr frei geschalteten Seite regte er sich wortgewaltig über die kurze Grünphase auf. „Ich wollte meine Meinung raushauen“, sagt der studierte Soziologe. Inzwischen versteht sich der 41-Jährige durchaus als politischer Autor. Wie viele lokale Blogger möchte er am liebsten all die „Mauscheleien und Kungeleien“ der CDU-geführten Stadt aufdecken.

Für die Publikation des vollständigen Gutachtens will Rodenbücher nun „alles geben“. Er und seine Kollegen haben ihrerseits Beschwerde beim Kölner Amtsgericht eingelegt. Sollten sie bei der Verhandlung Anfang September scheitern, wollen sie sich durch alle Instanzen kämpfen. „Die Pressefreiheit ist in Gefahr“, sagt er ernst. Die juristische Keule der Stadt scheint die Blogger erst richtig angefixt zu haben. Geld einbringen wird sein Blog zwar auf absehbare Zeit nicht. Zum Überleben berät er deshalb Unternehmen, wie sie im Internet für sich werben können. „Guerillamarketing“ nennt er das. An seinem eigenen kleinen Guerrillakampf gegen das schweigende Duisburger Rathaus scheint er aber sehr viel mehr Spaß zu haben.