Parteienrechtler: „CDU hat ein großes Problem“

Die Plakate gesponstert, der Initiator auf einen lukrativen CDU-Posten gehievt: Die angeblich private Wählerinitiative „Wähler für den Wechsel“ war eng mit der Rüttgers-Partei verbandelt. Wähler und Spender wurden im Wahlkampf 2005 gezielt getäuscht

Parteienrechtler bezweifeln die Unschuld von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im Parteispendenskandal. „Dass die CDU in NRW sich nicht mit der Wählerinitiative abgesprochen hat erscheint mir mehr als zweifelhaft“, sagt der Parteienrechtler Hans-Herbert von Arnim. „Sollte herauskommen dass die CDU sehr wohl von den Spenden wusste und die Initiative Teil ihrer Wahlkampfstrategie war, so ist der Rechenschaftsbericht falsch und die CDU hat ein großes Problem.“

Zwei Wochen vor der Landtagswahl sind die neuerlichen Vorwürfe der verdeckten Parteienfinanzierung tatsächlich ein großes Problem für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).

Unter der logistischen Hilfe der CDU hatte sich 2005 eine Initiative namens „Wähler für den Wechsel“ für den damaligen Oppositionsführer Jürgen Rüttgers eingesetzt. Der Lippstädter Autozulieferer Hella hatte ihr damals 10 000 Euro zukommen lassen und dies zunächst als Betriebsaufwand und damit als steuerlich abzugsfähig verbucht. Die private Initiative ist überhaupt nicht berechtigt, diese Quittungen auszustellen. Erst auf Druck von Medienberichten korrigierte Hella nachträglich seine Angaben beim Finanzamt. Wahlkämpfer Rüttgers hatte am Freitag alle Vorwürfe von sich gewiesen. „Es hat keine Spende auf irgendein Konto der CDU gegeben. Es hat auch keine Spendenquittungen gegeben“, sagte der Christdemokrat. Alles andere sei außerhalb „unseres Verantwortungsbereichs gewesen“, so Rüttgers kryptisch.

Den entscheidenden Vorwurf der Opposition und des Parteienrechtlers aber kann die CDU bislang nicht entkräften: Sie war der Wählerinitiative offenbar so nahe, dass sie sich als Partei hätte outen müssen. Denn die einzige nennenswerte Aktion der Initiative waren die Plakate und die Anzeigen, die geschaltet wurden. Und genau diese wurden von der CDU organisiert. „Für die grafische Entwicklung der Anzeigen, die Entwicklung eines Logos für die Aktion, die Schaltung der Anzeigen und organisatorische Unterstützung etc. wurde die Agentur Equipe eingeschaltet und deren Honorar für vorstehendes von der CDU NRW übernommen“, so die schriftliche Antwort eines CDU-Sprechers. Damit aber sind die Initiative und die CDU nicht sauber getrennt.

Auch personell nicht. Zwar bezeichnet die CDU den damaligen Initiator der „Wähler für den Wechsel“-Gruppe, Tim Arnold, immer verharmlosend als Student, obwohl er schon Manager bei Bertelsmann gewesen war. Nur ein Jahr nach der Wahl wurden die engen Kontakte von Arnold zur CDU aber offensichtlich: Rüttgers machte den jetzt 40-Jährigen zum Leiter der NRW-Landesvertretung beim Bund in Berlin.

„Das Finanzgebaren der CDU-NRW bewegt sich offenbar in einer Grauzone“, sagte der nordrhein-westfälische SPD-Generalsekretär Michael Groschek. Ein zusätzlicher Skandal sei, dass die CDU eine lückenlose Aufklärung beharrlich verweigere.

Überprüfen wird diese dubiosen Vorgänge tatsächlich wieder einmal die CDU selbst – Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat angekündigt, die steuerlich falsch deklarierte Firmenspende an eine Wählerinitiative für die CDU zu kontrollieren. „Wann immer wir Anhaltspunkte für mögliche Verletzungen des Parteiengesetzes haben, prüfen wir den Vorgang“, sagte Lammert.

Parteinrechtler von Arnim geht das nicht weit genug. „Ich fordere das Parteiengesetz so zu ändern, dass die Veröffentlichung der Namen von Großspendern nicht umgangen werden kann.“ Der Wähler müsse wissen, wer die Unterstützer von Parteien sind. „Wenn diese Transparenz über den Umweg einer befreundeten Initiative umgangen wird wird der Wähler in die Irre geführt“, so von Arnim.

Foto: Land NRW

Die liberalen Staatsdiener – ein Leben bezahlt von Bürgern

Seit Tagen wabbert eine Debatte durch Deutschland. Die Liberalen wollen den Staat klein halten. Sie wollen die „spätrömische Dekadenz“ derer bekämpfen, die von der Allgemeinheit leben. Nun: den Staat beschneiden wollen sie, aber sich auch an ihm satt essen: Die vordersten liberalen Wahlkämpfer leben seit Jahrzehnten von Staatsknete.

pinkwart_pkAndreas Pinkwart, Vize-Bundesvorsitzender und Landesvorsitzender in NRW

„Privat vor Staat“ (täglicher Wahlkampfslogan des FDP-Landeschefs) und „Eigenvorsorge muss ich wieder lohnen“ – Pinkwart ging nach seinem BWL-Studium in Münster, Promotion in Bonn als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu FDP-Bundestagsfraktion, danach Dozent an der FH Düsseldorf für öffentliche Verwaltung, BWL-Professor an der Universität Siegen, das Beamtenverhältnis ruht zurzeit

Wer über den spätrömisch-dekadenten Sozialstaat schimpft, muss noch längst kein Staatsverächter sein. Die erste Garde der nordrhein-westfälischen Wahlkämpfer lebt seit Jahrzehnten von öffentlichen Gehältern. Zum Beispiel auch der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, der im jetzigen Wahlkampf beinahe minütlich ein „Privat-vor-Staat“-Bekenntnis ablegt. Der Wirtschaftsprofessor hat nach seinem Abitur allerdings nie von oder mit der Privatwirtschaft gelebt. Nach seiner Promotion in Bonn war er im Bundestag angestellt, anschließend legte er eine Karriere an verschiedenen Unis hin, bis er als Professor in Siegen lebenslang verbeamtet wurde. Zurzeit ruht das Verhältnis – das lässt ihm Zeit, für geringere Staatsausgaben an Arbeitslose ans Mikro zu treten oder dafür zu plädieren, dass sich die „Eigenvorsorge wieder lohnen muss“ – für Menschen, die keine staatliche Pension erhalten wie er.

Pinkwart selbst sieht in seiner eigenen Staatsnähe keinen Widerspruch zur liberalen Ideologie. Und entdeckt über seine Biographie die Schönheit des Staates wieder. „Die FDP bekennt sich seit jeher zu einem starken Staat, der sich auf seine Kernaufgaben wie Bildung und Forschung konzentriert“, sagte mir Pinkwart vor einigen Tagen. Nur so könne ein leistungsstarker öffentlicher Dienst gewährleistet sein.

foto_clindner1Christian Lindner, Generalsekretär der Bundes- und (noch) der NRW-FDP

„Der Staat ist ein teurer Schwächling“ (6. Januar 2010) – Lindner gründete nach seinem Politikstudium ein Internetunternehmen, das nach wenigen Monaten pleite ging, seitdem finanziert er sich durch Abgeordnetengehälter, seit 2000 Landtagsabgeordneter, seit 2004 Generalsekretär der NRW-FDP, seit 2009 Bundestagsabgeordneter

Starker Staat? Beim Generalsekretär der Bundes- und nordrhein-westfälischen FDP, Christian Lindner, findet sich dieses Begriffspaar nicht. „Der Staat ist ein teurer Schwächling“ sagte er Anfang Januar in einem Interview. Zum Glück ist er aber stark genug, Lindners Bezüge zu zahlen: Der 31-Jährige ist seit knapp einem Jahrzehnt Abgeordneter. Einen kurzen Ausflug in die Internetbranche brachte ihm eine Pleite ein, seitdem ist der Lohn aus Steuergeldern sein Lebensunterhalt. Und findet das auch moralisch opportun. „Ich habe Anerkennung und Wertschätzung für Menschen, die ihre persönliche Leistungsfähigkeit in den nicht immer einfachen Dienst für unser Gemeinwesen stellen“, sagte er.

wolfgrIngo Wolf, FDP-Innenminister in NRW

„Der Staat regelt derzeit zu viel und gängelt die Bürger“ (Januar 2010) – Wolf ging nach Jura-Studium und Promotion in Köln, als Zivilrichter ans Landgericht Aachen, danach Stadtdirektor in Euskirchen, Polizeidirektor in Euskirchen, seit 2005 Innenminister in NRW

Für das Gemeinwesen arbeiten auch der NRW-Innenminister Ingo Wolf und Fraktionschef Gerhard Papke, zumindest formal. Der eine findet den Staat übermächtig, der andere möchte nur diejeniegen Arbeitsplätze erhalten, die „wettbewerbsfähig“ sind. Dem freien Wettbewerb mussten sie sich allerdings nie stellen. Wolf hat nach seinem Jurastudium eine klassische Laufbahn im öffentlichen Dienst bis zum Oberkreisdirektor absolviert, Papke verdiente sein Geld immer in der Partei oder öffentlich subventionierten parteinahen Stiftungen. Keine Fraktion im Düsseldorfer Landtag ist so staatstragend wie die liberale Gruppe.

papkeGerhard Papke, FDP-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag

„Das Ziel ist: Runter mit den Staatsausgaben“, „Die FDP möchte Arbeitsplätze erhalten – aber nur die wettbewerbsfähigen“ und „Notwendig ist weniger Staat und mehr unternehmerisches Handeln“ – Papke ging nach dem Wirtschaftsstudium an der Ruhr-Uni Bochum, als Referent zur staatlich geförderten „Friedrich-Naumann-Stiftung“, danach Referent für die FDP-Bundestagsfraktion, seit 2000 NRW-Landtagsabgeordneter

Alle Fotos von den jeweiligen Werbe-Internetauftritten der Politiker. Die Fotos sind entsprechend zu den Quellen verlinkt. Bitte jeweils auf die Namen klicken.

Sierau der unglückliche Wahlsieger von Dortmund

Er ist der wohl unglücklichste Wahlsieger im ganzen Land. Ulrich Sierau war für 24 Stunden unangefochtener Oberbürgermeister von Dortmund — bis plötzlich ein Millionenloch in der Stadtkasse auftauchte, von dem er nichts gewusst haben will. In drei Monaten wird wieder gewählt.

Ullrich Sierau sitzt zwischen seinen Umzugskartons und poltert. „Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.“ Die Mine des weißblonden Sozialdemokraten verzieht sich ironisch. Sierau kämpft seit zwei Jahren darum, Oberbürgermeister in Dortmund zu werden. Für einige kurze Nacht war er es auch – jetzt wird in drei Monaten wieder gewählt, wieder muss Sierau in den Fußgängerzonen der Ruhrgebietsstadt frieren und gegen die selben Kandidaten der anderen Parteien antreten. Denn in Dortmund ist das politische Chaos ausgebrochen. Hier findet für Bürgerinnen und Bürger eine bundesweite Premiere statt: Die Bürgermeisterwahl muss wiederholt werden. Zahlreiche Bürger und Parteigänger haben den Urnengang vom vergangenen August angefochten. Sie werfen Sierau Wahlbetrug vor, weil er und sein Vorgänger ein riesiges Haushaltsloch verschwiegen haben sollen. „Ich wurde in eine Scheiße gerissen, aus der ich nicht mehr raus kam,“ sagt Sierau im Ruhrgebiets-Hochdeutsch. Seine hellen Augen funkeln. Der bullige Körper ist angespannt.

In Sieraus Story ist er das Opfer. Am Tag nach seinem fulminanten Sieg in der viel beschworenen Herzkammer der Sozialdemokratie musste der Stadtplaner im Radio anhören, wie sein Vorgänger Gerhard Langemeyer mit knappen Sätzen sein Grab schaufelte: Genosse Langemeyer verkündete auf einer Pressekonferenz einen Nothaushalt für die drittgrößte Stadt in Nordrhein-Westfalen. Langemeyer und die inzwischen strafversetzte Kämmerin kannten die klaffende Lücke im Haushalt, Sierau will von ihr nichts gewusst haben. „Das war ein Komplott des Wegguckens,“ sagt er heute. Der gestandene Genosse, durch alle Parteiebenen gewandert und in einer Kampfkandidatur zum OB-Kandidaten erklärt, ringt um Fassung, die Fäuste ballen sich neben der Kaffeetasse.

Aber Sieraus Story wollte im Rathaus kaum jemand glauben. Die Parteien, auch die jahrelang mit der SPD koalierenden Grünen, forderten seinen Rücktritt. Nach Wochen lenkt Sierau ein und verficht seitdem selbst eine Wahlwiederholung. Seit Mitte Januar wird Dortmund von dem dienstältesten Ratsherren, auch einem Genossen, regiert und Sierau residiert wieder in seinem alten geräumigen Büro als Planungsdezernent. Von der anderen Flurseite kann der 52-Jährige die Türme des historischen Rathauses sehen, in dem er für einen Tag als strahlender Regent und für viele Wochen als angefeindeter „Wahlschwindler“ saß.

Seitdem herrscht im Rathaus Anarchie. Feste Mehrheiten gibt es nicht mehr, für jede Sachfrage werden neue Koalitionen geschmiedet. Für eine ehemalige Industriestadt, in der die SPD seit Jahrzehnten regiert, ein Novum. Für die CDU ebenso, sie hatten jahrelang kaum eine Stimme in der Arbeiterstadt. „Das ist hier Demokratie in Vollendung“, frohlockt der Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Manfred Jostes. Um jede Entscheidung werde parteiunabhängig gerungen. So wurden in einer großen schwarz-roten Koalition das Sozialticket, ein verbilligtes Busticket für Hartz-IV-Empfänger und Herzensprojekt der Grünen, wieder abgeschafft. Der Vertreter von Sierau wurde hingegen in einem Jamaika-Bündnis gewählt. Der erneute CDU-Kandidat Joachim Pohlmann unterlag vergangenen August deutlich. Aber diesmal wird es wohl ein knappes Rennen. Oder eher ein langsamer Zieleinlauf. Keine der Parteien hat noch die Kraft, einen langen Wahlkampf hinzulegen. „Wir sind finanziell und personell ausgepowert“, sagt Jostes.

Ihre Energien verschwenden die Parteien schon seit Monaten im täglichen Kleinkrieg. Protokolle von längst vergangenen Gesprächen werden herangezogen um zu belegen, wer etwas von dem Schuldenberg der Stadt gewusst haben könnte. Warum die Pleite überhaupt verschwiegen wurde kann aber niemand erklären. Im Ruhrgebiet ist nahezu jede Stadt bankrott, die SPD-Bürgermeister von Oberhausen und Gelsenkirchen, den beiden ärmsten Kommunen im Pott, haben glänzende Wahlergebnisse eingefahren. Und dass es Dortmund nicht viel besser gehen kann war auch jedem klar. „Mir wurde mulmig, als die Kämmerin mich dann unterrichtet hat“, sagt Sierau. Er verstehe selbst nicht, wie das Loch seiner Kenntnis entging. „Ich höre sonst hier das Gras wachsen“, sagt er und zeigt aus seinem Fenster auf die Innenstadt, als gehörte sie ihm.

Doch mit so hohen Schulden hat der kommende Rathauschef wenig Spielraum. Das dringend notwendige Sparen spielt trotzdem auch bei dieser Wahl wieder keine große Rolle. Wer buhlt schon mit einer Streichliste um die Gunst der Bürger? Dabei könnte Dortmund den gesamten Kulturetat streichen, die Stadt würde immer noch Miese machen. Und so wird über die Renovierung des maroden Hauptbahnhofes gestritten, der eigentlich schon zur Weltmeisterschaft 2006 umgebaut sein sollte oder über neue Jobs für die ehemalige Industriestadt. „Eine vernünftige Ratsarbeit ist nicht möglich“, sagt die grüne Fraktionssprecherin Ingrid Reuter genervt. „Dortmund dümpelt kopflos vor sich hin.“ Jeder suche sich täglich das aus, was ihm persönlich gerade am besten passt. Die Grünen müssen fürchten, nach Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank zu rücken. Jeden Tag könnten sich zwei Parteien überraschend zu einer Koalition zusammen schließen. Theoretisch würde es für Rot-Grün wieder reichen, aber die „Stimmung ist schlecht.“ Deshalb kungeln jetzt CDU und SPD immer öfter, zuletzt haben die Genossen einen Schwarzen an die Spitze der kommunalen Versorgungsbetriebe gehievt. Aber die Landtagswahl im Mai kann ohnehin wieder alles umwerfen. Sicherlich wird Düsseldorf sich dann ins Dortmunder Personenkarussel einmischen. Schließlich ist die SPD-Stadt symbolisch wichtig für beide Parteien. Und bislang ist völlig unklar, ob schwarz-gelb an Rhein und Ruhr weiterregieren kann.

Auch für Sierau ist die Wahl entscheidend. „Wenn ich nicht gewinne, bin ich politisch weg vom Fenster“, sagt er. Und fügt eilig hinzu, dass er aber natürlich gewählt würde. Die Bürger wüssten — er sei einer von ihnen. Und schließlich ginge es ihm ja hervorragend.

Die Geschichte erschien auch in der Frankfurter Rundschau

RAG bezahlt Politiker – Zehntausende für’s Kekseessen

Da haben ein paar Leute gutes Geld verdient. Und zwar Politiker. Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) beispielsweise bekam für Kekseessen und Haldenspaziergänge zehntausende Euro. Um genau zu sein, für vier Stunden 30 000 Euro. Der Bergbaukonzern Ruhrkohle AG hat der Christdemokratin 2009 dieses passable Jahresgehalt für den Vorsitz im Regionalbeirat gezahlt. Dabei dauerten die Sitzungen am 22. April und 15. Dezember 2009 jeweils nur knapp zwei Stunden. Bei Kaffee und Kuchen wurde über den seit Jahren geplanten Kohleausstieg geplaudert.

Offenbar ist dem RAG-Konzern die Perversität dieser Zahlung bewusst. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen an diesem Mittwoch hatte der Konzern noch von 15 000 Euro Aufwandsentschädigung gesprochen. Diese Summer erhalten auch die vielen Oberbürgermeister von Zechenkommunen. Aber Dinther, die gerne moralinsaure Landtagsreden hält, steckt sich das Doppelte ein. Ihr Stellvertreter von der SPD, Edgar Moron, immerhin noch das anderthalbfache und somit 22 500 Euro. „Wir zahlen ja auch für die Vor- und Nachbereitung“, sagt RAG-Sprecher Christof Beike. Wie lange die Sitzungen dauerten und wie viele Personen anwesend waren will er aber nicht sagen.

Wofür sie das Geld genau erhalten haben, können die Mitglieder im Beirat, die Abgeordneten Regina van Dinther, Josef Hovenjürgen (beide CDU) und Edgar Moron (SPD) auch nicht erklären. Van Dinther kassiert als Landtagspräsidentin und 13 394 Euro monatlich und findet die Summe angemessen. Ein Sprecher des Landtags versucht zu erklären. „Sie war im vergangenen Jahr viel auf alten Zechen-Halden.“ Ob sie seit der Gründung des Beirats im Jahr 2007 häufiger auf den künstlichen Kohlebergen unterwegs war kann er nicht sagen.

Formal soll das Gremium über den Kohleausstieg beraten. Es geht um die wegfallenden Arbeits- und Ausbildungsplätze, die Ewigkeitskosten der Bergbaus, der das gesamte Ruhrgebiet untertunnelt hat. Aber diese Probleme beschäftigen das Land schon seit Jahrzehnten. Und seit Jahrzehnten ist der RAG-Konzern mit der Landesregierung verbunden und hat über Jahrzehnte milliardenschwere Subventionen heraus geschlagen.

Der Staat ist es auch, der mit Milliarden den Kohleausstieg subventioniert — und dann über den Konzern wiederum seine Politiker davon bezahlt. Bundesregierung sowie Nordrhein-Westfalen und das Saarland hatten sich 2007 nach jahrelangem Streit darauf verständigt, die Steinkohleförderung in Deutschland 2018 auslaufen zu lassen. Bis dahin finanzieren Bund und Länder den sozialverträglichen Ausstieg aus dem Bergbau mit rund 21,5 Milliarden Euro.

„Rechtlich ist den Beiratsmitgliedern nichts vorzuwerfen“, sagt Parteienrechtler Martin Morlok, Jurist an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. „Aber das hier ist sehr leicht verdientes Geld“. Die Ruhrkohle habe sich mit üppigen Zahlungen an Bürgermeistern jahrelang politisches Wohlwollen gekauft. Das sie dies auch jetzt im Kopf habe liege nahe. Allerdings gibt Morlok zu bedenken: „Ich bin nicht gegen Nebeneinkünfte für Politiker.“ Dies verschaffe ihnen Unabhängigkeit von der Partei. „Allerdings sollte das Geld auch verdient sein.“

Auch viele Rathauschefs aus ehemaligen Kohlestädten sind Mitglieder im Beirat. Im Gegensatz zu den Landtagsabgeordneten sind sie aber dazu verpflichtet, Vergütungen über 6000 Euro an ihre Kommunen abzuführen. Aber selbst die Kommunen waren erstaunt über die hohe Zuwendung. „Die Summe ist mit großem Abstand der größte Posten in der Liste der Zusatzvergütungen“, sagt Christian Strasen, Sprecher des Oberbürgermeisters Thomas Hunsteger-Petermann aus Hamm. Der christdemokratische Rathauschef sitzt wie die meisten seiner Amtskollegen in zahlreichen Gremien. Aber selbst der milliardenschwere Energiekonzern RWE Energy lässt sich die politische Lobby-Arbeit weniger kosten: Hier erhält Hunsteger-Petermann von der RWE-Energy-AG 6450 Euro jährlich, von den Stadtwerken Hamm noch 4500 Euro. Auch der CDU-Abgeordnete Hovenjürgen, der offenbar wegen seiner Funktion als Vorsitzender des Landtags-Unterausschusses Grubensicherheit in das Gremium berufen worden war, räumte ein, dass die Vergütung „zu hoch“ sei. Im Februar werde er sich bei der nächsten Sitzung des Beirats für eine Absenkung einsetzen. Die im Juli 2009 erstmals ausgezahlte Jahresvergütung wolle er spenden.

Der Bericht erscheint auch in der Frankfurter Rundschau

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„Verzicht ist für‘ n Arsch“

Die Bochumer Opelaner wollen ihr Urlaubsgeld nicht hergeben. Weil die einstweilige Verfügung des Betriebsrates heute vor dem Bochumer Arbeitsgericht scheiterte, werden sie nun einzeln klagen. Die gesamte "Mitarbeiterbeteiligung" zur Rettung des ruinierten Autobauers könnte zu unzähligen Prozessen führen

 

Protestierende Opelaner – im Jahr 1968 FOTO: Uni Duisburg-Essen

Vielleicht kommt Roland Müller-Heidenreich mit seinem Sohn in diesem Sommer nur bis zu einem Zeltplatz im Allgäu. „Das Geld reicht nicht mehr bis Österreich“, sagt der Opelaner. Seit 28 Jahren fertigt der braungelockte Mann im Bochumer Werk II die Achsen. Nun wird der Alleinerziehende zum ersten Mal kein Urlaubsgeld vom Opel-Konzern erhalten. Die einstweilige Verfügung des Betriebsrates auf sofortige Zahlung wurde am Freitag vom Bochumer Arbeitsgericht aus formalen Gründen abgewiesen. „Diese Forderung ist menschlich nachvollziehbar, aber sie muss von jedem Arbeitnehmer individuell eingeklagt werden“, befand der Richter.

Opel steht nun eine Klagewelle ins Haus. Dabei wurden die Zugeständnisse der Mitarbeiter  bislang immer als eine unstrittige Säule des Rettungs-Konzeptes voraus gesetzt: An der neuen Opel-Gesellschaft sollen nach den bisherigen Plänen Magna mit 20 Prozent, der Mutterkonzern GM und die Sberbank mit je 35 Prozent und die Opel-Mitarbeiter mit 10 Prozent beteiligt sein. Sie sollen dafür ihr Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Lohnerhöhungen in Unternehmensanteile umwandeln.

Die aktuelle Bochumer Urlaubskürzung hingegen war noch nicht Teil dieser Vereinbarung und wurde von General Motors ohne Angabe von Gründen durch gezogen. Laut Betriebsvereinbarung steht Ihnen im Jul ein Urlaubsgeld von 50 Prozent des Bruttolohnes zu, auch eine Abschlagszahlung im Juli auf den Augustlohn für die rund 6000 Bochumer Opelaner steht dort fest geschrieben. Die Belegschaft scheint keineswegs bereit zu sein, diese und weitere anstehende Kürzungen hinzunehmen: Auf ihren roten T-Shirts prangte unter der Logo „Verzicht ist für‘ n Arsch“ drei nackte Hinterteile – sie stehen für das gefährdete Urlaubs- und Weihnachtsgeld und geringeren Lohn.

Die Bochumer Autobauer sind für ihre Kampfbereitschaft berühmt. Nur mühsam ließen sich die aufgebrachten Arbeiter im Gerichtssaal beruhigen. Ihre Stimmung nimmt vorweg, wie schwierig die Verhandlungen mit dem potentiellen Investor Magna werden könnten. „Mit der heutigen dramatischen Situation bei Opel brauchen wir jeden Cent“, sagt der Bochum Gesamtbetriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel. Mit den rund 2000 Jobs, die in Bochum weggekürzt werden sollen, seien die Menschen hier ohnehin schon besonders gebeutelt. „Wir geben nur dann Teile unseres Lohnes her, wenn damit der Bochumer Standort gesichert wird“, so Einenkel. Das Geld dürfe nicht in irgendwelche dunklen Kanäle fließen oder für den Personalabbau benutzt werden. „Bislang kann uns niemand sagen, wofür wir genau sparen sollen“, so Einenkel.

Arbeitsrechtler Michael Dornieden, der den Betriebsrat vor dem Bochumer Gericht vertreten hat, wird nun Opel wegen „sittenwidriger Schädigung“ in tausenden von Fällen verklagen. „Denn Arbeitnehmer müssen nun aufwändig und kostspielig das Geld einklagen, was ihnen vertraglich zugesichert ohnehin zusteht“, so Dornieden. Zusätzlich sollten die Opelaner nun einzeln vor Gericht ziehen. Es ist Dorniedens inzwischen zwanzigste Begegnung vor Gericht mit der Geschäftsführung von Opel. Er. „Und in diesem Jahr wird es eine ungeahnte Fülle von Klagen geben“, prophezeit der Jurist. Opelaner Müller-Heidenreich jedenfalls will noch am heutigen Freitag seine einstweilige Verfügung vorbereiten. Er sagt: „Seit 18 Jahren verzichten wir jedes Jahr auf einen Teil unseres Lohnes, und trotzdem werden unsere Jobs immer weniger.“

 

 

 

IJU – Die erfundene Terrorgruppe?

Im heute begonnenen Prozeß gegen die drei mutmaßlichen islamistischen Terroristen aus dem Sauerland geht es auch um die Aktivitäten der Islamischen Jihad Union (IJU).  Gibt es diese Gruppe wirklich  oder ist sie eine Erfindung des usbekischen Geheimdienstes?

Foto: Galima Bukharbaeva

Die deutschen Ermittler stützten sich bei ihren Recherchen auf die Ergebnisse von Geständnissen aus den Folterkellern des usbekischen Diktators Islam Karimow. Dort wurden schon ein Mensch zu Tode gekocht. Die Beweise für diesen bestialischen Mord liegen mir vor. Die Zusammenarbeit mit den usbekischen Foltermeistern ging für die Deutschen so weit, dass sie den usbekischen Stasi-Minister nach Deutschland einluden und den Folterknecht hier hofierten.

Die Zünder für die Bomben aus dem Sauerland lieferte übrigens ein V-Mann des türkischen Geheimdienstes. Auch das: dubios.

Galima Bukharbaeva (34) ist die bekannteste Journalistin Usbekistans. Sie berichtete als Augenzeuge über das Massaker von Andischan, bei dem usbekische Sicherheitskräfte Hunderte friedlicher Demonstranten erschossen und musste danach aus ihrem Land fliehen. Galima erhielt für ihre Arbeit den International Press Freedom Award des amerkanischen Committee to Protect Journalists. Sie konnte die angeblichen Anschläge, mit der die Islamische Jihad Union (IJU) in Usbekistan zum ersten Malin Erscheinung trat, vor Ort recherchieren.

Die Ruhrbaronin Annika Joeres hat mit Galima gesprochen. Hier ihr Interview:

Ruhrbarone ?: Frau Bukharbaeva, in dem Düsseldorfer Sauerlandprozess dreht sich alles um die Frage, ob die so genannte Islamische Jihad Union (IJU) als Terrorgruppe wirklich existiert. Sie soll aus Usbekistan stammen. Sie haben in diesem Land gelebt, als Journalistin gearbeitet – was wissen  Sie über die IJU?
Galima Bukharbaeva !: Die IJU ist ganz eindeutig eine Erfindung des usbekischen Geheimdienstes. Nach den drei Selbstmordattentaten in der usbekischen Hauptstadt Taschkent im Jahr 2004 wurde die IJU zum ersten Mal von der Regierung Karimov verantwortlich gemacht. Seitdem rechtfertigt er sein menschenverachtendes Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung mit der Gefahr vor dem Terrorismus.

?: Vielleicht profitiert Karimov davon, aber die Gruppe könnte dennoch existieren. Was macht Sie so sicher?
!: Nein. Ich war bei den Anschlägen vor Ort und habe mit den Ermittlern der Polizei gesprochen. Sie haben gelacht über die IJU, jeder wusste damals, dass es eine Erfindung war. Es gibt unzählige Ungereimtheiten. Zum Beispiel hat mir die Mutter einer angeblichen Selbstmordattentäterin erzählt, die Leiche ihrer Tochter sei bis auf eine Loch im Bauch unversehrt gewesen. "Und als der Ermittler mir ein Foto zeigte, sah ich mit eigenen Augen, dass der Körper der Selbstmordattentäterin bis auf die Bauchwunde unversehrt war."  Bei einer Explosion, die zahlreiche Menschen in den Tod gerissen haben soll! Die offizielle Erklärung der Ermittler war damals, die Frau sei so dick gewesen, dass die Detonation nicht die Haut  durchdrungen haben soll. Das ist einfach lächerlich.

?: Trotzdem kam es zu Prozessen gegen die angeblichen Terroristen der IJU. Es muss sie also gegeben haben.
!: Auch das war absurd. Ich war im Gericht, niemand hat etwas ausgesagt, selbst die Anwälte der Beschuldigten wurden von der Regierung bezahlt und sprachen kein Wort mit Journalisten. Das ganze ist ein großer Fake. Erst als in Deutschland die Sauerland-Terroristen auftauchten, wurde die IJU plötzlich wieder herangezogen, die großen Magazine Stern und Spiegel berichteten darüber. Deutschland geht der Karimovs Strategie auf dem Leim. Und es ist eine große Schande, dass ein Staat wie Deutschland sich auf Aussagen dieses verbrecherischen Geheimdienstes beruft.

?: Die deutschen Behörden sagen, sie seien selbst dorthin gereist um Zeugen zu vernehmen.
!: Kein Mensch in usbekischen Gefängnissen kann sich frei äußern. Ich weiß, wie Gefangene eingeschüchtert und gefoltert werden. Sie drohen zum Beispiel damit, Familienangehörige ebenfalls zu verhaften oder zu verletzen. Die Beschuldigungen sind abslut absurd, ich selbst wurde bezichtigt, eine Sprecherin von  muslimischen Terroristen zu sein. Die Vernehmungen sind reine Show und für einen Rechtsstaat wie Deutschland absolut unwürdig.

?: Wie erklären Sie es sich, dass Deutschland mit den usbekischen Diensten kooperiert?
!: Deutschland hat als einziges Land in der EU dafür gekämpft, die Sanktionen gegen Karimovs Terrorregime fallen zu lassen, Außenminister Frank-Walter Steinmeier bereiste das Land und empfing Delegationen. Es ist eine absolut unheilige Allianz.

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