Facebook: Digitale Mordlust

„Und, was gibt’s Neues?“ frage ich meinen Freund nach einem langen Arbeitstag. „Maria* hat uns bei Facebook entfreundet“, antwortet er. Ich schaue ihn ungläubig an. Die Maria, die letztes Jahr nach einer gemeinsam organisierten Veranstaltung noch neben uns am Tisch saß? Die meine Mutter noch in ihrer Freundesliste führt?

„Warum?“, frage ich.
„Sie organisiert sich neu.“
„Hä?“
„Ich weiß auch nicht.“

So oder ähnlich verliefen in den letzten vierundzwanzig Monaten eine Handvoll Gespräche, deren Ursache mir immer noch Rätsel aufgibt. Entfreunden! Wer, bitte, kommt denn auf so eine bescheuerte Idee? Außer der eifersüchtigen Ehefrau eines alten Studienkollegen, einer ehemaligen Kommilitonin, die mich noch nie leiden konnte, und einer Autorin im weiteren Bekanntenkreis, der ich garantiert noch häufiger begegnen werde. Letztere hatte sich gefühlte 24 Stunden nach ihrer Freundschaftsannahme überlegt, dass sie mit uns eigentlich lieber nur über Google+ in Kontakt bleiben möchte. Facebook nutze sie, genau wie wir übrigens, „eher privat“. Und dann gibt es da noch die Bloggerin, die eines Tages beschloss, dass meine Mutter zwar im echten Leben ganz nett, im virtuellen aber nicht einflussreich genug ist, um auf ihrer Kontaktliste bestehen zu können. „Nicht ärgern, nur wundern“, hat eine Freundin zu solchen Phänomenen der zwischenmenschlichen Interaktion immer gesagt. Sie hat dann nicht nur mich von der Freundesliste, sondern sich selbst in Gänze aus dem Netzwerk entfernt.

Ich bin mir nicht sicher, ob all diesen Leuten bewusst ist, was sie da tun.

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Berlin-Wahl 2011: Wahlrecht für alle!

Jede Stimme zählt 2011 - auch die von Nichtdeutschen!
Jede Stimme zählt 2011 - auch die von Nichtdeutschen!
Jede Stimme zählt 2011 - auch die von Nichtdeutschen!

Unter dem Motto „Wahlrecht für alle!“ startete vor wenigen Tagen die Aktion Jede Stimme zählt 2011. Die Kampagne fordert die Einführung des Wahlrechts für EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige auch auf Landesebene. Anders als EU-BürgerInnen sind Letztere derzeit aber nicht einmal auf Bezirksebene wahlberechtigt.

Das Abhalten einer symbolischen Wahl für BerlinerInnen ohne deutschen Pass soll eine öffentliche Debatte über die Ausweitung politischer Partizipationsrechte anregen. Eine wichtige Initiative, wie ich finde, deren Ziel mir aus persönlicher Erfahrung sehr am Herzen liegt: Ich selbst darf erst seit 2009 an Bundestagswahlen teilnehmen. Zuvor hatte sich Deutschland jahrelang geweigert, Mehrfachstaatsbürgerschaften zuzulassen – als eines von wenigen Ländern weltweit. Mir war es also bis dahin zum Beispiel nicht möglich, mitzubestimmen, welche Partei die Steuern, die ich dem Staat zahle, ausgibt. Einbürgern lassen hätte ich mich nur können, wenn ich meinen Schweizer Pass – und somit meine Herkunft – aufgegeben hätte. Und das, obwohl ich in Deutschland Kindergarten, Grundschule, Gymnasium, Universität und Fachhochschule besucht habe, und mir ein einfaches Wahlrecht ohne deutsche Staatsbürgerschaft auch genügt hätte. Ein Einbürgerungstest blieb mir dank meines deutschen Abiturs übrigens erspart.

Wenn ich diese Geschichte im Ausland erzähle, ernte ich oft nur verständnisloses Kopfschütteln. Jede Stimme 2011 schreibt entsprechend: Viele europäische Metropolen wie Kopenhagen, London, Amsterdam oder Budapest haben bereits das Wahlrecht für ausländische Bürger eingeführt und positive Ergebnisse bei der Integration erzielt. Berlin darf als Metropole mitten in Europa hier nicht zurückfallen. Weitere Infos zum Projekt – auch für Förderer und freiwillige Mitarbeiter – findet Ihr hier.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Anninas Blog Girls Can Blog.

Blogs: O2 can do – unter Druck!

"Im System ist nichts eingetragen." - "Das kann nicht mein Problem sein."
"Im System ist nichts eingetragen." - "Das kann nicht mein Problem sein."

Gestern hatte ich eine telefonische Auseinandersetzung mit meinem Mobilfunkanbieter o2. Trotz meines Status als „Premium-Kundin“ weigerte sich die Servicemitarbeiterin, meinen überteuerten und veralteten Tarif umzuwandeln in einen, der meinen gegenwärtigen Bedürfnissen viel besser entspricht und mich etwa 50€ pro Monat weniger kosten würde. Das heißt, sie hat sich nur so lange geweigert, bis ich ihr damit gedroht habe, über die Haltung der Firma zu bloggen. Da ich meinen Blog noch nie als Druckmittel benutzt habe, war ich höchst überrascht darüber, dass meinem Wunsch, welcher zunächst als unerfüllbar galt, plötzlich doch nachgekommen wurde. Meiner Meinung nach ist das für sich genommen ein Skandal: Was ist denn mit all Menschen, die nicht bloggen oder oder für die Presse arbeiten? Haben die nicht auch ein Recht auf faire Konditionen?

Im folgenden ein Gedächtnisprotokoll meines Gesprächs mit der o2 Kundenbetreuung (das neuerdings übrigens nicht mehr umsonst ist, sondern auch „Premium-Kunden“ 0,30€ pro Anruf kostet).

Ich: Guten Tag, mein Name ist Annina Luzie Schmid und ich möchte meinen viel zu teuren Vertrag, den ich gar nicht mehr nutze, in einen billigeren umwandeln. Ihr Kollege meinte, das ginge nach dem 27. Mai. Da jetzt Juli ist, dachte ich, ich rufe mal an.

o2-Frau: Ihre persönliche Kundenkennzahl und Ihr Geburtsdatum, bitte?

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Berlin-Wahl 2011: Das Abgeordnetenhaus – Geschichte eines Feierabendparlaments

Das Berliner Abgeordnetenhaus um 1900

Am 18. September 2011 wird nicht nur die Berliner Bezirksverordnetenversammlung (BVV), sondern auch das  Landesparlament des Stadtstaats neu gewählt. Dieses Landesparlament, auch „Abgeordnetenhaus“ genannt, besteht aus Mitarbeitern, die zusammen ebenfalls als „Abgeordnetenhaus“ bezeichnet werden und in einem Gebäude regieren, das… na?… „Abgeordnetenhaus“ heißt. Alles klar.

Das Berliner Abgeordnetenhaus um 1900
Das Berliner Abgeordnetenhaus um 1900

Seit April 1993 regiert das Abgeordnetenhaus im Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags. Nachdem Gestapo-Gründer Hermann Göring im Dritten Reich einen Teil des Reichsluftfahrtministeriums darin untergebracht hatte, nutzte die Regierung der DDR das Haus als Sitz diverser Kommissionen und Horcheinrichtungen (sprich: Abhöranlagen) der Stasi. Zu jener Zeit verlief die Berliner Mauer direkt zwischen dem gegenüberliegenden Martin-Gropius-Bau und dem heutigen Abgeordnetenhaus. Das Landesparlament regiert also nicht, wie man vielleicht vermutet hätte, aus dem Reichstag oder dem Roten Rathaus heraus, sondern unweit des Potsdamer Platzes. Im Abstand von 14 Tagen finden dort Plenarsitzungen statt, in denen zum Beispiel Gesetze verabschiedet oder Regierende Bürgermeister gewählt werden.

Offiziell handelt es sich beim Berliner Abgeordnetenhaus um ein so genanntes „Feierabendparlament“. Das heißt, dass die Abgeordneten ihr Amt – theoretisch – in der Freizeit ausüben und ansonsten normal arbeiten sollten. Auf Länderebene gibt es das außer in Berlin nur in Bremen, auf kommunaler Ebene kommen solche Feierabendparlamente aber öfter vor. Und obwohl kaum vorstellbar ist, dass sich seriöse politische Arbeit auf Landesebene ehrenamtlich und nebenberuflich erledigen lässt, werden immer wieder Forderungen nach mehr Freizeitpolitikern laut. Das Hauptargument: Kosteneinsparungen. Da fragt es sich am Beispiel des Brandenburger Parlaments nur, für wen eigentlich?

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Bachmannpreis: Eat, pray, läster – Sinnsuche am Wörthersee

Der Wörthersee, fotografiert von obendrauf.

Der Wörthersee, fotografiert von obendrauf.Jedes Jahr nehme ich mir vor, beim Bachmannpreis nicht zu lästern. Ich möchte über niemanden herziehen, niemandem die literarische Daseinsberechtigung absprechen, niemanden aufgrund spontan erfundener Kriterien schlechtreden. Dieses Jahr scheitere ich schon am Flughafen, fünfzehn Minuten nach der Landung, und ich mache die nächsten Tage auch kaum etwas anderes, denn das Lästern endet selbst dann nicht, wenn das eigentliche Wettlesen schon längst vorbei ist. Genau genommen endet es nie: Kuriose Fälle der Vergangenheit – Vortragsweisen, vermutete Groschenromanauszüge – bleiben ohnehin im Kopf.

Jedes Jahr verpasse ich die Lesung des Siegertextes. Manchmal aus Versehen wie damals bei Tilmann Ramstedt, meistens aber absichtlich wie dieses Mal im Falle Maja Haderlap: Nach ganzen drei Sätzen ihres Textes setze ich meine Prioritäten auf eine kalte Gurkensuppe auf dem Klagenfurter Benediktinerplatz. Und das, obwohl ich diesen Jahrgang für einen besseren als beispielsweise den letzten hielt. In aller Regel finde ich zehn von vierzehn vorgetragenen Texten schlecht, im Sinne von: wirklich überhaupt nicht gut genug. Wenn das das Beste ist, was die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat, sollte man Sperrbegriffe einführen, alle Fäkalwörter zum Beispiel, deren Verwendung die AutorInnen mindestens für die nächsten zehn Jahre daran hindert, ein Buch zu publizieren, oder sie nach Amerika schicken, damit sie dort lernen, wie gute Dialoge zu schreiben sind.

Und obwohl die Juroren beteuern, stets das „Neue“ zu suchen, stellen sie doch immer nur das Alte zur Diskussion. Es gewinnt zu oft der Ich-erzählte Bericht, am liebsten aus der Perspektive eines Kindes. Aus Liebe zur Kärtner Landschaft könnte ich mit der Entscheidung, der Haderlap diesen Preis zu verleihen, vielleicht leben, aber ich bin am Freitagmorgen zu der absolut unumstößlichen Überzeugung gekommen, dass der mit Abstand beste Text des Jahres von Linus Reichlin verfasst wurde – der es damit nicht einmal auf die Shortlist geschafft hat. Trotz eines erzählerischen Talents, das die Mehrheit der Jury, mit Verlaub, erblassen lassen müsste.

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Berlin-Wahl 2011: Gestatten, Bezirksverordnetenversammlung!

Mitte September wird im Stadtstaat Berlin mal wieder gewählt. Und zwar nicht nur das Abgeordnetenhaus, sondern auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

Die zwölf Berliner Bezirke
Die zwölf Berliner Bezirke.

Was war das noch gleich?

Hauptaufgabe der BVV ist die Kontrolle der Stadtverwaltung über die Bezirksämter. Derzeit gibt es in Berlin zwölf Bezirke, die jeweils einen Bezirksbürgermeister und fünf Stadträdte stellen. Diese werden aber nicht direkt, sondern indirekt über die 55 Bezirksverordneten ihres Bezirks gewählt. Die Bürger wählen lediglich ihre Lieblingspartei, die dann – je nach Wahlerfolg – eine bestimmte Anzahl Vertreter für die Dauer einer fünfjährigen Wahlperiode in die BVV schickt. Wahlberechtigt sind dabei alle in Berlin gemeldeten Menschen ab 16 Jahren, die entweder die deutsche Staatsbürgerschaft oder die eines anderen EU-Landes besitzen. Und weil Berlin nicht nur voller Blogger, sondern auch voller Assis und Punks ist, stehen sogar Parteien wie die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands zur Wahl. Kernforderungen: Abschaffung der Schulpflicht und Abkoppelung der Finanzwelt von der realen Wirtschaft!

Damit keine Verwechslungen aufkommen: Bezirksverordnete sind keine Abgeordneten, auch wenn viele von ihnen Fraktionsmitglieder sind. Sie müssten ihr Mandat sogar abgeben, wenn sie ins Abgeordnetenhaus einziehen würden (neben einer Reihe von anderen Gründen wie z.B. Tod). Anders als Abgeordnete des Bundestages, die sich übrigens erst vor wenigen Tagen eine Gehaltserhöhung genehmigt haben, erhalten Bezirksverordnete auch keine „Diäten“, sondern eine pauschale Aufwandsentschädigung von 320€ pro Monat, die sie durch Besuche von Fraktions-, Ausschuss- oder Plenumssitzungen aufbessern können – die werden nämlich mit so genannten „Sitzungsgeldern“ zusätzlich vergütet.