Ihr wollt die Welt retten, Leute? Wegen Fukushima? Vergesst es! Diese Welt ist nicht zu retten. Die Sache ist vermasselt. Ein für allemal.
Ob die japanischen Helden die Katastrophe noch mal gedreht kriegen oder nicht. Kaum dass wir diese absolut unermessliche Tragödie wieder vergessen haben und ganz Japan gleich mit, weil das Land als Lebensraum wohlmöglich gar nicht mehr existiert, geht ein anderes Kraftwerk hoch. Die mathematische Wahrscheinlichkeit ist eine durchaus bittere Tatsache, weil, wenn auch nicht genau auf den Tag bestimmbar, absolut rational. Gänzlich resistent gegen jede Art der Emotion, von geradezu systemischer Hoffnungslosigkeit. Genauer gesagt: es könnten sogar mal 2 parallel an verschiedenen Orten aus den Fugen geraten.
Das ist aber gar nicht unser Problem, Leute. Die Crux ist, dass uns das nichts ausmacht, solange es noch nicht passiert ist. Wir können zwar alle möglichen Katastrophen berechnen. Aber das Ergebnis ist uns letztlich egal, wenn es uns im Moment gut geht. Machen tun wir erst was, wenn es zu spät ist. Und bei der Atomkraft ist es schon lange zu spät. Egal wie viele Leute jetzt noch auf die Straße gehen. Egal wie viele Politikerinnen und Politiker jetzt ihre Meinung wechseln. Egal wie viele Atommanager noch ein paar Krokodiltränen abdrücken.
Wir tanzen schon lange auf dem Vulkan. Egal ob Hartz IV- oder Boni-Empfänger. Es gibt einen gewaltigen Grad an struktureller Dämlichkeit der uns alle verbindet: Wir regen uns zwar liebend gerne auf, aber wir ändern uns nicht. Nicht im Geringsten. Wir sind für den momentanen Spaß gemacht Leute, nicht für das was danach kommt. Selbst wenn er nur darin besteht andere zu quälen, zumindest aber sich über sie lustig zu machen. Mitleid ist einfach nicht unsere Stärke, wenn es nicht Menschen trifft, die uns ganz persönlich was bedeuten. Zumindest nicht für länger als 10 Minuten am Stück. Mitgruseln schon eher. Zumindest solange wir selbst nicht in der Scheiße stecken.
Wer würde denn von uns freiwillig in ein komplett verstrahltes Atomkraftwerk gehen um es zu reparieren? Wir schaffen es ja nicht mal Jemanden, der einen anderen vor unseren Augen totschlägt, obwohl wir in der Überzahl sind, zurück zu halten. Wir könnten ja dabei auch eins auf das Maul kriegen. Und wer weiß, ob alle mitmachen? Und vielleicht ist der Kerl ja so stark, dass er uns alle mitsamt fertig macht? Dann doch lieber stehen bleiben und mit gruseln oder sich gleich verdrücken.
Ob wir uns das eingestehen wollen oder nicht, unsere Parole lautet, ob schlau oder doof, dick oder dünn, alt oder jung, Mann oder Frau: nach uns die Sintflut. Auch wenn wir andauernd von der Zukunft unserer oder anderer Leute Kinder faseln. Es ist uns ziemlich egal was aus ihnen wird, wenn wir nicht mehr da sind. Sonst würden wir ihnen, wenn überhaupt, was anderes hinterlassen als Geld, Klunker, Autos, Wochenendhäuser oder Lebensversicherungen. Wie wäre es stattdessen mit einer gesunden Umwelt? Mit weniger öffentlichen Schulden? Mit Kunst und Kultur? Mit Allgemeinbildung?Mit Mehrsprachigkeit?
Oder einfach nur mit weniger Kindern? Weltweit? Millionen von ihnen krepieren doch schon heute, ehe sie überhaupt das 6. Lebensjahr erreichen. Von den Millionen die sich als Arbeits- oder Sexsklaven verdingen müssen, viele übrigens mit der Einwilligung zumindest aber mit dem Wissen ihrer Eltern, ganz zu schweigen. Wir sind sowieso schon viel zu viele auf dieser Welt. Wir würden ihr und uns selbst einen riesigen Gefallen tun, wenn wir jedes Jahr weniger würden. Egal was uns die Religionsphantasten, Traditionsgläubigen, Familienideologen und Wachstumsfetischisten dieser Welt erzählen.
Sie reden allesamt Quatsch. Denn wenn wir uns selbst nicht rechtzeitig dezimieren wird es die Natur tun bzw. unser eigener Kampf um den Rest, der davon für uns noch zu gebrauchen ist. Der fälschlich von uns so genannten Mutter Natur ist das übrigens völlig egal. Sie ist ähnlich strukturiert wie die Mathematik. Unaufhaltsam logisch. Gott-und respektlos. Nicht darauf angewiesen ob sie jemand versteht, ja ob sich überhaupt jemand für sie interessiert. Mit einem Satz: das physikalische- materielle Universum kann gut ohne uns auskommen.
Deswegen könnte nicht geboren zu sein in nicht allzu weiter Zukunft der größte Wunsch vieler Menschen werden. Kaum vorzustellen wenn man gerade vor eine prall gefüllten Lebensmitteltheke steht oder ein wunderschönes Konzert hört oder mit Freunden eine Bergwanderung in Tirol macht oder auf dem lang erträumten Segelboot in die untergehende Sonne schippert. Oder wenn man einfach nur jeden Tag Geld bekommt ohne auch nur in Gedanken einer Arbeit nachzugehen während andere leiden, ja krepieren müssen, weil sie weder an einen Job noch an Moneten kommen können.
Ich weiß, dass solche Gedanken nichts anderes als ärgerlich sind. Sie bringen auch nicht viel, denn wer sollte z.B. entscheiden wo wer weniger Kinder bekommt oder sogar gar keine. Eine Weltregierung? Oder in Ermangelung einer solchen der Rat für Menschenrechte bei der UNO? Beides für mich eine eher gruselige Vorstellung ? Dann doch besser die sogenannte natürliche Auslese, oder? Die ist natürlich gar nicht natürlich, aber was soll es. Hauptsache man muss nicht selbst entscheiden. Ist viel zu schwierig. Gerade beim Kinderkriegen. Und grundsätzlich fragwürdig, wo doch rein wissenschaftlich gar nicht mehr klar ist, ob wir überhaupt einen eigenen Willen haben.
Jetzt mal angenommen die Forscher haben damit recht. Wobei man sich natürlich fragt, wie die ohne eigenen Willen überhaupt dazu gekommen sind, genau wissen zu wollen, ob sie einen haben. Aber egal. Der Gedanke, dass wir alle keinen eigenen Willen haben, ist doch faszinierend, oder? Man ist dann, rein logisch betrachtet, nicht mehr schuldig. Im Nachhinein und in Voraus, also immer und ewig. Das heißt z.B.: nie mehr Angst vor dem Jüngsten Gericht. Und keine unnötigen Erklärungen während man noch lebt. Alles geht seinen Gang. Nur dabei sein ist wichtig. Mitmachen statt irgendetwas irgendwo gegen zu unternehmen. Das ist es doch! Oder? Und war es das nicht schon immer? Zumindest für die meisten von uns?
Obendrein wüssten wir endlich und absolut sicher wieso uns die Zukunft sowas von egal ist: Weil wir nichts gegen sie tun k ö n n e n, Leute! Wir sind nämlich das Problem und nicht, wie die Guten von uns immer dachten, (auch) die Lösung. Ergo: wenn überhaupt rettet uns der Zufall. Und mal ehrlich Leute, haben wir nicht immer schon darauf gesetzt. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt heißt das seit einiger Zeit. Kennt ihr doch. Ideen die vorher noch keiner hatte. Wozu haben wir denn unser phänomenales Gehirn? Zumindest einige von uns. Und wozu das Copyright? Und den Nobelpreis? Wir sind doch keine Fatalisten!
Eine geniale Erfindung muss also wieder mal her, wie z.B. die Kernschmelze rückwärts durch dauerhaftes kollektives Anstarren eines Kraftwerks. Auch per Fernsehen und Internet. Oder das Perpetuum Mobile in Form eines immer und ewig laufenden Windrades, das nie repariert werden muss und zugleich unsichtbar ist. Samt Zu- und Ableitungen. Oder eine Rakete die 10 Milliarden Menschen aufnehmen kann, ohne beim Start in den Weltraum Energie zu verbrauchen. Ihr wisst doch: Nichts ist unmöglich.
Aber jetzt mal im Ernst, Leute. Was schreibe ich hier eigentlich für einen Unsinn? Es lag doch garnicht an der Atomkraft sondern an der Kühlung. Hätte die Kühlung funktioniert, dann wäre doch garnichts passiert. Wir müssen also nur die Kühlung verbessern. Sie muss völlig unabhängig werden von allen möglichen äußeren Einflüssen und immer Strom haben. Natürlich aus Sonnenenergie. Und dieser lästige Atommüll wird einfach per Rakete ins Weltall geschossen. Die Raketen haben wir, und da sich das Universum nachgewiesenermaßen ständig ausdehnt, ist das doch wohl die sicherste Entsorgung der Welt, oder?
Der im Folgenden veröffentliche Text ist in verschiedenen Teilen bei der Ruhrbaronen schon von mir veröffentlich worden. Auf vielfachen Wunsch habe ich diese Teile überarbeitet und hier zu einem großen Posting und damit zum Komplettdownload noch mal zusammengefasst.
Über die Kreativität als solche
Was macht ihn eigentlich aus, den sogenannten Kreativen? Seine Kreativität natürlich! Aber was macht die aus? Ist die eigentlich angeboren? Oder kann man die erlernen?
Beides scheint der Fall zu sein, wenn man den Wissenschaftlern traut, die sich damit beschäftigen. Seit den ersten Intelligenzdefinitionen die sich auch der Empirie zu stellen hatten, was natürlich mal wieder eine Idee des (amerikanischen) Militärs war, stand diese Frage im Raum. Welche Eigenschaften muss der Mensch haben, der in der Lage ist, etwas Neues zu denken. Sei es weil er dazu gezwungen ist, weil die alten Problemlösungen nicht mehr funktionieren. Sei es weil er einfach Spaß daran hat, Dinge nicht hinzunehmen wie sie sind. Sei es weil er in einem Metier beschäftigt ist dass davon lebt, dass nichts so bleibt wie es ist, wie z.B. in der Mode. Sei es weil er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit der Berufung verschrieben hat, ein Erfinder zu sein.
Intelligenz, so stellte sich heraus, ist nicht die Folge sondern die Voraussetzung von Kreativität. Blöde kommen – wie die meisten auch aus ihrer Alltagserfahrung wissen – selten auf neue Gedanken und können deswegen auch schlecht Probleme lösen. Zumindest nicht absichtlich und bewusst. Umgekehrt , so fanden unsere Forscher heraus, gilt aber nicht der Satz: Je intelligenter je kreativer. Es gibt (leider) auch viele Menschen mit einem hohen IQ denen nicht viel Neues einfällt. Selbst wenn es dringend notwendig ist. Erleben wir gerade wieder, oder?
Wo also ist das Gen, das der Intelligenz z.B. eines Rechengenies die Fähigkeit, ja sogar Neigung, hinzufügt, um die Ecke oder Quer oder anders herum zu kalkulieren? Die Sache auf den Kopf zu stellen? Sich aus den gewohnten Bahnen heraus zu katapultieren? Ob das ein richtiges Gen ist, weiß bis heute noch keiner so richtig. Aber es gibt, das weiß auch unsereins, Menschen die für alle andreren nachprüfbar so sind. Wir nennen sie gewöhnlich unkonventionell. Nicht nur anders im Sinne von Unterschied, sondern im Sinne von gegensätzlich, zumindest aber im Sinne von sich nicht dem Gängigen fügend. Unkonventionell eben.
Über diesen Verhaltenstypus gibt es entsprechend auch, und natürlich wissenschaftlich etwas komplizierter und ausschweifender, reichlich empirische Untersuchungen und die haben im großen und ganzen ein Ergebnis: er ist in allen diesbezüglich untersuchten Gesellschaften in der Minderheit. Auf gut Deutsch: Der Unkonventionelle ist, wie der Name es ja auch sagt, kein Herdentier. Wenn überhaupt und allerhöchstens macht er gut ein Drittel der Bevölkerung aus. Als Denkender aber nur!
Als Handelnder verringert sich seine Prozentzahl nochmal erheblich. Denn gegen die Konventionen zu handeln erfordert Mut , wie wir alle wissen. Und sein Auftreten hängt dazu noch von der Unterstützung der sozialen Umgebung ab. Sind alle um einen herum eher ängstlich sinkt der eigene Mut. Mit jeden weiteren Mutigen steigt er an. Auch das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. Bringen wir das ganze wieder mit der Kreativität zusammen so erfordert sie Intelligenz u n d Mut. Oft zumindest.
Wie kommt also jemand auf die Idee diese sehr besondere individuelle und zugleich nur wenigen Menschen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zugängliche Eigenschaft mit dem Begriff der „Klasse“ zu verbinden? Also einem recht hemdsärmelig gebrauchten soziologischen Begriff der sich z.B. , wie es sein berühmtester Vertreter Richard Florida tut, mit einer oder mehreren ganz bestimmten Berufskategorie verknüpfen lässt um sie (relativ) genau zählbar und damit räumlich und sozial verortbar zu machen? Oder konkreter gefragt: Ist z.B. ein Architekt schon per Berufsdefinition als Kreativer zu bezeichnen?
Wer sich jeden Tag unsere gebaute Umwelt anschaut weiß: das Gegenteil ist der Fall. Das gleiche gilt z.B. für Designer, Werbe- und Modefuzzis, die mittlerweile ebenso automatisch zur Kreativen Klasse gezählt werden. Dagegen haben sich die Banker, die lange quasi als Markenzeichen für Solidität eben auch als Ausgeburt des Unschöpferischen gegolten haben, in den letzten Jahren als ausgesprochen kreativ erwiesen. Womit augenscheinlich ein weiteres Problem der so viel gelobten Kreativität aufscheint: Kreativ in was und für wen? Oder anders ausgedrückt: Kreativität ist ähnlich wie Intelligenz und Unkonventionalität ein gefährlich inhaltsleerer Begriff. Und er ist keineswegs automatisch mit dem verknüpft, was der Begriff „Klasse“ andeutet: Elite im Sinne von verantwortlicher Führungsfähigkeit.
Jemand als Kreativen zu bezeichnen erfordert also weit mehr als eine bestimmte Berufsbezeichnung. Solche Personen lassen sich nach meiner Ansicht soziologisch gar nicht erfassen. Sie tauchen viel mehr immer wieder als Einzelpersönlichkeiten aus der Masse auf und suchen sich ihren ganz eigenen Weg. Sie lassen sich deswegen auch nicht kategorisieren oder sozial oder kulturell und erst recht nicht ökonomisch einordnen. Sie tauchen in der Unterschicht genauso auf wie bei den Reichen. Man findet sie nicht nur in den sogenannten innovationsfreundlichen Milieus und Berufsgruppen. Aber sie sind überall in der Minderheit. Auch da wo Erfindergeist zum Tagesgeschäft gehört. Und sie (be)suchen sich gegenseitig, weil sich die eigene Kreativität ohne Dialog und Außeninspiration nicht steigern lässt.
Deswegen haben sie immer schon das gebildet, was heute als „Cluster“ oder „Netzwerke“ bezeichnet wird. In der Provinz wie in den Metropolen. Ehe Richard Florida sie „entdeckt“ hat, waren sie schon lange da. Und überall machen sie immer die gleiche Erfahrung: Das ihre Kreativität über kurz oder lang den Rest der Gesellschaft nervt. Das ihr Gebrauchtwerden immer nur auf Zeit ist. Dass sie immer nur in bestimmten Phasen, ja manchmal nur für sehr kurze Momente die Heroen der Mehrheit sind. Das wird auch dieses Mal so sein. Egal ob in Ruhr oder Berlin oder sonst wo.
Die sogenannte Kreative Klasse
Der Erfinder dieses Begriffes ist, wie schon gesagt, eben dieser Richard Florida. Ein kluger Mann, keine Frage, und mittlerweile auch weltbekannt. Aber er ist keineswegs der erste, der sich mit der Wirkung von Innovationen bzw. von innovativen Menschen auf die Stadtentwicklung beschäftigt hat. Wichtig ist deswegen was sein sozialräumliches Kreativitätskonzept von anderen unterscheidet. Er hat nämlich der häufig prekären Gruppe der eher künstlerischen Kreativen (Tänzer, Musiker, Maler, Schriftsteller, usw.) die der durchschnittlich wesentlich besser bezahlten produktionsbezogenen Kreativen (Forscher, Entwickler, Vermarkter, Werber, Designer usw.) hinzugefügt und sie zu einer einzigen „kreativen Klasse“ erklärt, weil sie trotz ihrer unterschiedlichen Lebensbedingungen ähnlich Anforderungen an ihre Lebensumwelt stellen.
Ob das wirklich so stimmt, wäre noch einmal genauer zu betrachten, denn der prekäre Teil der kreativen Klasse mag zwar an den gleichen Orten leben wollen wie der erfolgreiche Teil, aber er kann die dortigen Mieten meistens nicht (mehr) bezahlen. Zumindest nicht in Hamburg oder München. Zunehmend aber auch nicht mehr in Berlin. Und in New York schon gar nicht. Hier überlegt die Stadtverwaltung seit längerem sogar, jungen – sprich (noch) nicht erfolgreichen Künstlern – einen Mietzuschuss zu gewähren, damit sie in Manhattan selbst, oder zumindest in der Nähe wohnen (bleiben) können. (Siehe hierzu vertiefend: http://www.ruhrbarone.de/gentrification-in-new-york-city-die-williamsburgh-story/)
Viel folgenreicher aber ist Floridas Ansatz für die damit zu gewinnenden statistischen Ergebnisse. In gewisser Weise ist mit diesem Ansatz nämlich zugleich sein Erfolg vorweg gesichert. Sehr verkürzt – und von Florida nicht unbedingt beabsichtigt – handelt es sich damit nämlich um eine Art selffullfilling prophecy die – zugegeben sehr vereinfacht – folgendermaßen lautet: Eine Stadt, in der viele faktisch Erfolgreiche und viele potentiell Erfolgreiche zusammen wohnen wird über kurz oder lang selbst erfolgreich. Die Städte müssen also „nur“ die besten Bedingungen für diese erfolgreiche „Klasse“ schaffen und der Rest geht dann wie von selbst. Umgekehrt lässt sich mit diesem Konzept schnell beweisen, dass Städte in denen diese „ Klasse“ überdurchschnittlich vertreten ist auch erfolgreicher sind als die, die nicht darüber verfügen. Und genau hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Genauer gesagt stellt sich die Frage wer ist jetzt das Huhn und wer das Ei. Die „kreative Stadt“ die die „kreative Klasse“ anzieht oder die „Kreative Klasse“ die eine Stadt zu einer solchen erst macht. Das Beispiel Berlin ist dafür geradezu prototypisch. Noch vor 10 Jahren hätte Berlin in den diesbezüglichen Städte-Rankings, wenn es sie da schon gegeben hätte, wahrscheinlich wesentlich schlechter abgeschlossen als heutzutage. Es hätte also gar keinen Grund für Kreative gegeben, dort hinzuziehen. Aber genau das ist vor allem bei dem Teil der kreativen Klasse geschehen, der weniger erfolgreich ist. Sie sind dort hingezogen obwohl es dort weniger Aufstiegschancen gab als in anderen Städten. Was übrigens bis heute gilt. Nirgendswo werden Kreative, egal welchen Erfolgsgrades , so schlecht bezahlt wie in Berlin.
Die zweite Frage ist: wie entsteht eigentlich eine „kreative Klasse“ oder ist die einfach immer schon da. Genauer gesagt, kann man Kreativität überhaupt systematisch „produzieren“ und wenn, wie? Und vor allem wo? Die, um die es hier in Berlin, München, Stuttgart usw. geht , kommen ja in der Mehrzahl nicht aus diesen Städten sondern sind Zugezogene. Und zwar in einem Alter in dem sich die Persönlichkeit nicht mehr wesentlich ändert. Kreativ „geworden“ sind sie also nicht in den berüchtigten Hotspots der kreativen Städte sondern, ja wo eigentlich?
Ginge es also in Ruhr nicht erst mal darum, die hier kreativ gewordenen auch hier zu halten? Und wie macht man das? Der Abgang dieser „Klasse“ aus Ruhr ist nämlich in den letzten Jahrzehnten, nach meiner eigenen Erfahrung, enorm gewesen. Vielleicht sollte man die Zahl erst mal genauer checken und diese Leute systematisch nach ihren Motiven fragen anstatt die hundertste Untersuchung darüber zu veröffentlichen, wie wohl sich die Hiergebliebenen doch in Ruhr fühlen.
Metropole oder Provinz?
Die Provinz ist für den oder die Kreative/n natürlich ein härteress Pflaster, wie man es im Ruhrgebiet bestens studieren kann. Wer hier gegen die Konventionen verstößt konnte es lange Zeit nur unter Einkalkulierung seines eigenen Untergangs tun. Die kulturelle und politische Hegemonie der Sozialdemokratie vereint mit der ökonomische Dominanz des Montanindustriellen Komplexes hat selbst noch zu Zeiten der IBA-Emscherpark bei den dort leitend Aktiven die Frage hervor gerufen , ob „Innovationen in einem strukturell innovationsfeindlichen Milieu“ überhaupt durchzusetzen sind.
Dass sich dann die städtebaulichen Erneuerer zwar durchsetzten, sich dabei selbst jedoch gegen jede äußere und öffentliche Kritik abschotteten, zeigte, dass in der Provinz selbst die Kreativen, und als solche sind die Leute um Karl Ganser sicher zu bezeichnen gewesen, den übergeordneten Gesetzen der Provinz zu fügen haben bzw. diese sich in deren Hinterkopf unhinterfragt, wenn nicht sogar unbewusst wieder einnisten.
Was der Provinzkreative aber eher lernt als der metropolitane Erneuerer ist Subversion und Durchhaltevermögen. Insofern sollte jeder Kreative in seinem Leben zumindest einige Jahre in der Provinz verbringen ehe er/sie sich zum Beispiel nach Berlin zu gehen traut. Da ist es nämlich im Ernstfall nicht viel besser. Genauer gesagt ist in der Metropole nur das Klima innovationsfreundlicher, nicht die realen Verhältnisse.
Da ein gutes Klima nicht zu unterschätzen ist, trifft man dort auch mehr Menschen, die es brauchen. Da es aber nicht ausreicht, wenn nicht auch Aufträge auf einen warten, die einen ernähren, wird diese Gruppe gerade in Berlin immer wieder um die dezimiert, die letztlich von ihrer Kreativität auch zu leben gezwungen sind . Nach einigen Jahren struktureller Unterbezahlung sind sie zum Tausch von richtigen Aufträgen gegen innovatives Klima gezwungen, sprich dazu, Berlin wieder zu verlassen.
Die, die erst gar nicht aus dem Ruhrgebiet weggehen, haben jedoch häufig weder ein förderliches Klima noch Aufträge. Zumindest nicht von außerhalb der Agglomeration. Egal wie viele Preise und Fachrenommee sie erobern, die Städte im Ruhrgebiet sind für sie keine gute Adresse, wenn man sich außerhalb um Aufträge bemüht. Und selbst innerhalb der Ruhrstadt werden die Bewerber aus den metropolitanen Kreativstädten systematisch bevorzugt . Selbst bei den Machern der Kulturhauptstadt. Selbst bei denen, die sich dort speziell der Förderung des Kreativen verschrieben haben. Bei der IBA-Emscherpark war es übrigens auch schon so.
Was also ist zu tun? Soll man bleiben oder gehen? Und was macht man wenn man nicht gehen will oder kann? Wie kommt man dann im Ruhrgebiet an Aufträge die einen in Dimension und Aufgabenstellung wirklich voran bringen? Wie kommt man hier in die Liga, die auch in den Metropolen chancenreich mitbieten kann? Die Aufträge die das fördern gibt es nämlich auch hier.
Ob dabei die vom Gorny-Team kreierten Kreativquartiere helfen, werden wir in den nächsten Jahren erst feststellen können. Ich bin da eher skeptisch. Auf jeden Fall werden von den großmundig anvisierten -wie viele waren es eigentlich? – nur wenige überbleiben bzw. den Namen wirklich verdienen. Aber die von der gleichen Truppe dadurch vorangetriebene lokale und regionale Vernetzung zeigt jetzt schon unbestreitbare Erfolge. Ja sie verändert sogar schon etwas das so viel gerühmte Klima, in dem sie das Thema kulturstadtrelevant gemacht hat. Es wurde noch nie so viel über die Rolle der Kreativität für die Zukunft des Ruhrgebietes diskutiert wie jetzt.
Manchmal kann ich mich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass es mittlerweile mehr Menschen in der Ruhrstadt gibt, die ihre Kreativen suchen, beobachten und analysieren als Kreative selbst. Nichtsdestotrotz bewegt sich die Provinz wenigstens hier ein Stück in Richtung Metropole. Bei genauerer Betrachtung haben wir in unserem Land, ganz jenseits des Urbanitätstyps, allerdings schon immer Kreativquartier gehabt, und das flächdeckend: Unsere Kindergärten. Wir haben sie nur nie also solche begriffen. Aber das ist ein anderes Thema.
Kreativität braucht Inspiration
Ich bin in der Kultstadt Wanne-Eickel mitten im tiefsten Ruhrgebiet geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe in Dortmund studiert. Meinen ersten Job hatte ich an der Technischen Universität in West-Berlin (damals noch „Frontstadt“) bekommen, ging aber danach wieder zurück ins Ruhrgebiet. Meinen engen persönlichen Kontakt zur Spreemetropole habe ich jedoch weiter bewahrt. Seit fast 10 Jahren lebe ich sowohl in der Ruhr- als auch in der Hauptstadt und möchte auf beide nicht mehr verzichten, so lange ich noch mobil genug fürs regelmäßige Pendeln bin.
Mag sein dass mir niemand glaubt. Aber Ruhr kann inspirierender sein als Berlin. Ich z.B. brauche dafür Abwechslung und Ungewohntes, neue Gesichter wie neue Gegenden. Im direkten sinnlichen Austausch. Sie bringen mir neue Gedanken und Ideen. Es nützt mir nichts regelmäßig da zu sein, wo angeblich was los ist. Weder in Berlin noch in Ruhr. „Was los“- Orte gibt es in Berlin sehr viel mehr als in Ruhr. Ganze Stadtbezirke haben sich zu dem gemausert, was man heute Szeneviertel nennt. Nach Prenzlauer Berg („Prenzelberg“), Kreuzberg und Friedrichshain ist jetzt wahrscheinlich der Wedding dran. Zumindest sind erste Anzeichen dafür vorhanden.
Der dazugehörige Szenetourismus ist gewaltig. Immer noch mehr schlacksige dünne Männchen mit großen Brillen und auf wild geföhnten und gelegten Haaren mit darauf drapierten kleinen Hütchen. (Ich habe natürlich grundsätzlich nichts gegen kleine Hütchen. Einer meiner deutschen Lieblingssänger trägt ständig eins. Kommt letztlich immer auf den Kopf an der drunter steckt.) Immer noch mehr weißhäutige Mädchen mit ebenso großen Brillen, dafür aber umso kleineren Hund(ch)en, deren Frau(ch)en ihren nichtssagenden Gesichter mit Amy-Winehouse –Frisurvariationen Authentizität verleihen. Das ist im ersten Moment ganz spannend, wird aber sehr schnell langweilig. Da siehst du in jeder S-Bahn im Ruhrgebiet zwar nicht so gestylte, dafür aber wesentliche interessantere Menschen. Ihre Unterhaltungen, vertont in babylonischer Sprachverwirrrung, drehen sich nur sehr selten um die Szenenstandards Kunst, Kultur und neue Medien, dafür jedoch umso mehr um das, was man das reale Leben nennt.
Bei den „Skinny People“ (nicht nur) in Berlin geht es dagegen in der Hauptsache um verbale Selbstinszenierung. Ihre Internationalität demonstrieren sie dabei mit (schlechtem) Englisch und dieses möglichst in der amerikanischen Fassung, denn dann könnten die Zuhörer meinen, dass man/frau aus New York wäre. Es gibt nämlich mehr New Yorker in Berlin als in sonst einer deutschen Stadt. Ihre Zahl ist allerdings lächerlich klein gegenüber der Menge von Leuten, die so tun als ob und deren krampfhafte Intonation sie in jeder Sekunde dafür Lügen straft. Dann lieber Kanak-Deutsch vermischt mit Ruhrslang.
So halte ich mich in Berlin sehr wenig in den sogenannten Vierteln der „Kreativen“ auf. Nicht nur das man die Miete für ein Loft oder auch nur ein kleineres Apartment dort nicht mehr bezahlen kann. Es sind die besondere Art von Menschen die mich (und nicht nur mich) dort zunehmend nerven. Ihre ständigen Versuche anders zu sein als alle anderen, ihre angestrengten Bemühungen immer cool zu wirken, haben etwas tief Vergebliches und damit äußerst Lächerliches an sich. Als „boringly different” werden sie in New York selbst bezeichnet. „From being cool to being a fool it´s only a little step”. Stimmt!
Ich suche in Berlin sowie in Ruhr deswegen ganz bewusst die weniger „szenigen“ Orte auf um mich inspirieren zu lassen. Und dazu benutze ich das urbanste aller Fahrzeuge: das Fahrrad. Der 3D-Film den ich dann jedoch jeweils zu sehen bekomme, könnte unterschiedlicher nicht sein. In Berlin die fast immer währende Dichte und Höhe der kompakten großen Stadt, in Ruhr das nicht enden wollende Straßendorf mit Einsprengsel von etwas, dass man landläufig City nennt. Ja, und Stadtteilzentren gibt es auch. Hunderte. Viel mehr als in Berlin. Dafür aber kleiner und umso weniger frequentiert. Abends und nachts häufig komplett tot. Solche Gegenden gibt’s natürlich auch in Berlin. Mehr als die meisten denken. Aber der größte Teil des innerstädtischen Bereichs ist auf Grund eben dieser baulichen Hochstapelung und der Zuwanderung vieler junger Leute auch nach 20 Uhr flächendeckend belebt.
Das vermisse ich manchmal in Ruhr. Dieses räumlich breit gestreute und durchaus juvenile urbane Leben. Da muss ich dann doch regelmäßig ins Bermudadreieck nach Bochum um mir in der Ruhrstadt genügend Kompensation für die sonstige Leere zu holen. Wobei Leere nicht das wirklich trifft, was diesen zweifellos überwiegenden, wenn nicht dominanten Teil dieser ehemaligen Industrieagglomeration ausmacht. Es gibt sehr wohl Fülle in dieser Leere. Man muss sie nur entdecken wollen. Sie ist nicht offensichtlich, liegt nicht auf der Straße. Sie hat etwas Melancholisches, Verlorenes. Eine Urbanität die hinter den Kulissen stattfindet.
Sie hat, was die kreativen Menschen die (auch) dort leben, betrifft, etwas Dissidentenhaftes. Ihre Protagonisten verweigern sich nämlich den dröhnenden Treffpunkten der Selbst- und Fremdinszenierung. Des ständigen Sehen und Gesehen-Werdens. Zum einen weil sie es nicht nötig haben, weil ihre Selbstvermarktung auch ohne das gelingt. Zum anderen weil es die Inspiration des verschworenen kleinen aber feinen Kreises gibt, der vertrauten Gruppe, die sich in der urbanen Diaspora in eben ihrer Distanz zur „Szene“ heimisch fühlt. Die nur ab und zu die Impulse großer Gruppen und einer Menge fremder Gesichter braucht.
Besucht man diese Leute, sofern man von ihnen überhaupt weiß, ja sie sogar kennt, in der urbanen „Wüste“ der Ruhrstadt, so springt einem im selben Moment der Begriff der „Oase“ an. Ein gerade in seiner Abgelegenheit inspirierender Ort, der allerdings auch von seinen ständigen Besuchern lebt. Diese wiederum müssen in der Ruhrstadt – im Gegensatz zu Berlin – jedoch, wie die urbanen Wüstenkamele, bereit sein, längere Durststrecken der augenscheinlichen Leere zu überstehen.
Aber wie die Leere der Wüste eben selbst eine eigene sehr wohl inspirierende ästhetische Qualität hat, so hat diese auch das nicht endende Straßendorf namens Ruhr, die sogenannte größte Kleinstadt der Welt. Denn sie enthält im Gegensatz zu provinziellen Ordnung üblicher ländlicher Kleinorte so viele Brüche, Verschachtelungen und Fragmentierungen, dass auch der Weg zu den Oasen selten langweilig wird. Zumindest am Tag und in den frühen Abendstunden. Wer Gespräche führen will, kann das während dessen alle Nase lang tun. Er muss sich nur hinsetzen. Pause machen. Oder von sich aus Jemanden ansprechen. Selbst die schlichte Frage nach dem Weg kann hier ohne Weiteres zu einem überraschend langen Gespräch werden, dem sich in kürzester Zeit weitere (auf den Fremden) Neugierige anschließen.
Wer hoch interessante bisweilen sogar ausgesprochen schöne Gebäude bzw. Gebäudekomplexe sehen möchte kommt ebenfalls auf seine Kosten, sofern er die sonstige Banalität der Zwischenstadt nicht als Augenbeleidigung sondern als Ausdruck von Normalität auffasst. Auch Berlin ist in seiner Peripherie voll davon und nicht nur da. Wie alle Vorstädte dieser Welt. Die alte europäische Stadt, für die gerade aktuell wieder so viele der „Kreativen“ Schwärmen, macht nun mal auch in Europa nur noch einen Anteil von unter einem Prozent der städtischen Flächen aus. Das kann man bedauern und/oder sich in ihren letzten vorhandenen Enklaven ein mehr oder weniger teures Plätzchen sichern. Oder man kann sich dem stellen und auf Entdeckungsreise gehen. Im Emschertal zum Beispiel.
Gäbe es allerdings das B3E nicht, dann würde ich mich in Ruhr als Urbanaut , der ich nun einmal bin, nicht mehr so oft aufhalten. Dann wäre für mich Berlin eindeutig die erste Wahl in Deutschland. Egal wie viele tolle Museen, Theater, Konzerthäuser usw. usw. es in Ruhr gibt und noch geben wird. Egal wie viele kreative Oasen und Dissidenten sich im Ruhrstadtdschungel verstecken. Egal ob sich das ganze zu einer Stadt mit einer Verwaltung zusammenfindet oder weiter im Klein-Klein der Stadtfürstentümer verharrt.
Ich brauche auch die Impulse durch die dichte Menge der Unterschiede. Ich brauche auch das Schaulaufen der Vielen, die Selbstinszenierung der anderen, und sei es nur als Zuschauer. Ich brauche klassische sinnlich-interaktive Urbanität durch Menschendichte. Und da ist das sogenannte B3E im Ruhrgebiet (immer noch) nicht zu toppen. Und auch an diesem Ort –an dem es natürlich auch ein paar „Skinnys“ gibt – ist der Unterschied zu Berlin sichtbar. Nicht nur, dass es diese wenn auch nur städtisch punktuelle Dichte an so vielen Restaurants, Kneipen, Kinos usw. auf engstem Raum selbst in Berlin (noch) nicht gibt.
Hier begegnen sich in der Regel andere Leute. Sie sind bodenständiger und ihre Unterschiedlichkeit und Vielfalt ist real größer als in den meisten Szenevierteln Berlins. Dort werden sie in der Mehrzahl sowohl vom Outfit als auch vom Szene-Sprech von der mittlerweile weltweit recht einheitlichen Style- und Face-Book-Generation bestimmt. Und natürlich von ein paar echten und erfolgreichen „Kreativen“ die ihren Epigonen als umschwärmte Vorbilder gelten. Vielfältigkeit aus dem Worldwide Copyshop mit anschließender (Selbst-)Bildbearbeitung zwecks individueller Note. Nicht wirklich inspirierend eben.
Kreativität und Mobilität
Kreativität und Mobilität sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Wer Kreative locken oder halten will muss ihnen deswegen Orte bieten, zu denen man gut hin u n d wieder weg kommen kann. Denn Kreative wollen immer wieder geistig u n d körperlich unterwegs sein. Die virtuelle Welt reicht ihnen nicht aus. Sie sind sinnliche Wesen und lieben deswegen auch die physisch vermittelten Anregungen des Lebens. Würde man sie mit Schiffen vergleichen , dann wären sie speziell für die hohe See gemacht. Solch Schiffe brauchen Häfen, die am Meer liegen. Häfen die mehr bieten als Schutz und Verpflegung. Die mit der Welt verbunden sind und in denen zugleich die Welt zuhause ist. Ein großer Stadtsoziologe nannte das einmal auf das Festland übertragen eine „Karawanserei des Geistes“.
Ich würde es als gelebte Urbanität bezeichnen. Als Urbanität also, die sich nicht (nur) durch den gebauten Raum sondern durch die dort aktiven Menschen und ihre besondere Art und den besonderen Inhalt ihrer Kooperation und Interaktion definiert.
Im Jahrhundert des Klimawandels kann der Zugang zu diesen kreativen Orten nur der Bahnhof sein. Er ist das ökologische Tor der sogenannten „kreativen Stadt“ . Für eine oder einen KreativeN kann das nur ein ICE-Bahnhof sein. Einer von dem man nicht nur schnell zur nächsten ICE-Stadt sondern auch zum nächsten internationalen Flughafen kommt, denn der interkontinentale Verkehr wird auch in weiterer Zukunft per Luft stattfinden (müssen).
Vergleichen wir diesbezüglich Berlin und Ruhr, oder sagen wir konkreter den Berliner mit dem Essener oder dem Dortmunder Hauptbahnhof, dann gibt es funktional wie ästhetisch nur einen und zugleich überragenden Sieger. Nimmt man dann die Taktzeiten der S-Bahnverbindungen zwischen den großen Bahnhöfen Berlins und des Ruhrgebiets hinzu, vergrößert sich der negative Mobilitätsabstand zu Hauptstadt noch einmal erheblich. Nehmen wir den Luftverkehr dazu, so wird, spätestens mit der Fertigstellung des neuen Großflughafens Schönefeld, Berlin auch bei den Interkontinentalverbindungen Düsseldorf überlegen sein. Eine für finanzstarke Kreative besonders wichtige tägliche direkte New York Linie gibt es allerdings schon seit ein paar Jahren von Tegel aus.
Für die weniger betuchten Kreativen, und das ist die große Mehrheit, gibt es – seit gut 10 Jahren auf der ganzen Welt beobachtbar – eine neue Form der Mobilität, die aus der Natur des Fahrzeuges heraus eine vorrangig innerstädtische ist: das Fahrradfahren. Es ist mittlerweile sogar stilprägend für die sogenannten LoFiBos (Low Finance Bohemiens). Nicht nur was den Typ und das Design des Vehikel selbst , sondern auch was die seiner häufigen Benutzung entsprechende Bekleidung betrifft. Und je mehr diese Form der urbanen Mobilität zum „Style“ wird, desto mehr wird sie auch von den Kreativen übernommen, die sich ein Auto selbst der höheren Klassen leisten können bzw. auf dessen Besitz und/oder Nutzung schon aus Statusgründen nicht verzichten wollen.
Die Fahrradfreundlichkeit eines Ortes ist damit für Kreative nicht mehr nur ein ökologisches sondern auch ein lebenskulturelles Thema geworden. Sie ermöglicht den Differenz- und damit auch Identitätsgewinn als Pionier einer neuen urbanen Mobilität. Das ist in sich logisch, ist doch für Kreative Urbanität auch als materieller dichter und damit tendenziell autofreier Lebensraum ein verteidigungswertes Gut geworden. In gewisser Weise habe Kreative mit dem Fahrrad ein Vehikel gefunden das nicht nur zu ihrer Lebensart sondern auch zu dem von ihnen bevorzugten Lebensraum passt.
Und da holt das Ruhrgebiet mobiltätsmäßig wieder etwas auf. Aber (noch) nicht wirklich, denn schon in den rot-grünen Jahren Berlins, d.h. noch vor dem massiven Zuzug an jungen Kreativen, ist ein innerstädtisches Radwegeprogramm umgesetzt worden, dass sich sehen lassen kann. Hinzu kommen die überbreiten Bürgersteige, die auch da das Radfahren ermöglichen , wo es der dicht befahrende Straßenraum bzw. die fehlenden Radwege verbieten oder nur unter Lebensgefahr erlauben.
Für die Kreativen ist aber nicht nur das Rad sondern die leichte, flächendeckende und billige Kombination aus Pedal- und Schienen/Linienverkehr von großer Bedeutung. Erlaubt es ihnen doch auf das Auto aus finanziellen und/oder ökologischen Gründen zumindest als Besitz gänzlich zu verzichten. Zusammen mit niedrigen Mieten ergibt sich damit ein unschlagbarer materieller Vorteil vor allem für jüngere und/oder (noch) nicht erfolgreiche innovativer Menschen. Und genau diese Gruppe ist für die Zukunft von Ruhr besonders interessant. Es gibt also noch viel zu tun, was die Mobilitätserleichterung für diese Gruppe betrifft. Maßnahmen die im Endeffekt jedoch allen Bewohnern von Ruhr nützen würden.
Kreativität und Flexibilität
Kreativität ist weder zeitlich noch räumlich steuerbar. Deswegen werden Kreative nach dem Ergebnis und nicht nach der Effizienz ihrer Arbeit beurteilt und bezahlt. Die ist ausschließlich ihre eigene Sache und führt unausweichlich bei den noch nicht angemessen Entlohnten unter ihnen zu enormer (Selbst-)Ausbeutung.. Kreative sind ihrer Kreativität nämlich in gewisser Weise ausgeliefert. Sie kommt und geht wann sie will, lässt sich nicht erzwingen, ist im Prinzip überall möglich und kann sich sehr plötzlich beschleunigen oder auch bis zum Stillstand verlangsamen. Zeitliche und räumliche Flexibilität sind deswegen das Nonplusultra eines kreativen Prozesses. Das sieht für Außenstehende nach großer Freiheit aus, ist für die Betroffenen aber pure Notwendigkeit. Sie wissen einfach nicht genau wann und wo ihnen etwas einfällt.
Deswegen schleppen die Kreativen der Wissensgesellschaft fast immer ihren Laptop und ihr Handy mit sich herum. Wie es schon die Wandergesellen im Zeitalter der Manufaktur mit ihrem Handwerkszeug gemacht haben. Da kreative Prozesse oft in direkten Zusammenhang mit anderen geistigen und materiellen Produktionsprozessen stehen, die räumlich unbeweglicher sind, ist direkter und permanenter Kommunikationszugang die andere Seite der räumlichen Ungebundenheit. Konkret heißt das, ständig Online sein und/oder das Handy nie abschalten.
Das setzt wiederum eine bestimmte räumliche und technische Infrastruktur voraus. Kneipen, Parks, Hotels und andere öffentliche sowie private Orte die weder im Funkloch liegen noch für den flächendeckenden Online-Zugang private Kosten verursachen sind deswegen für Kreative beliebte Aufenthaltsorte jenseits der eigenen Wohnung und/oder des Büros. Erst recht, wenn Letzteres (noch) gar nicht vorhanden oder klitzeklein ist.
Verfügen diese Orte obendrein über inspirierende natürliche (Wasser, Flora und Fauna usw.), und/oder bauliche (Architektur, Ambiente usw.) und/oder soziale (Multikulti, hohe Besucherfrequenz, andere Kreative usw.) Elemente, dann werden sie besonders bevorzugt. Fügen sich alle Elemente an einem Ort zusammen wird er für die Kreativen zum sogenannten „Hot Spot“, was nichts anderes als eine begriffliche Übertragung des Begriffs Hot House (Treibhaus) auf Räume im Allgemeinen ist.
Dazu gehören, was die Nahversorgung betrifft, wenn möglich auch Restaurants, Kinos, und Geschäfte die 24 Stunden, zumindest aber bis in die späten Abend- respektive frühen Morgenstunden geöffnet haben. Arbeitspausen haben bei Innovationsprozessen keinen festen Rhythmus und damit auch nicht das Bedürfnis nach Ablenkung, Mahlzeit oder einfach nur „Chillen“. Vervielfältigungs- und sonstige mediale Produktions- und Reproduktionsdienstleistungen sollten, weil meistens „outgesourct“, auch in der Nähe und (fast) durchgehend zugänglich sein.
Es gibt aber für Kreative auch einen innerhäuslichen Anpassungszwang an die Gesetze der Flexibilität. Die überdachten und zugleich nicht öffentlichen Orte ihrer Arbeit, also Büro/Werkstatt und/oder Wohnung müssen schon deswegen multifunktional ausgestattet sein, weil es auf Grund der Nichtsteuerbarkeit von Innovationen für die Akteure keine Trennung zwischen Arbeit und Leben gibt. Weder eine räumliche noch eine zeitliche. Obendrein gilt, dass jede Innovation unerwartete Elemente ins Spiel bringt.
Für Kreative die nicht nur mit dem Computer sondern auch oder vorwiegend mit Pinsel, Farbe, Bleistift und Leinwand, ja sogar mit Modellen und/oder kleineren Werkzeugen und Maschinen arbeiten, ergibt sich dadurch in der Regel ein überdurchschnittlicher Platzbedarf. Viel natürliches Licht und große hohe Räume sind da ein großer Produktionsvorteil. Die Möglichkeit zu jeder Tages- und Nachtzeit einen gewissen Grad von Lärm/Unruhe zu erzeugen ebenfalls.
Lofts, erst recht in dickmäuerigen ehemaligen Fabrikgebäuden, sind deswegen für Kreative nicht nur Wohn- oder Lifestyle sondern vor allem notwendige bis optimale Arbeitsvoraussetzungen. Wenn dann in der Nähe dichtes Leben stattfindet d.h. das eigene oder mit anderen geteilte Loft Teil eines „Hot Spots“ ist oder dieser zumindest in erreichbarer Nähe liegt, dann ist der Standort perfekt.
Im Gegensatz zu Berlin gibt es Lofts und „Hot-Spots“ in dieser engen räumlichen Kombination im Ruhrgebiet so gut wie gar nicht, bzw. müssen sie hier erst entwickelt respektive gebaut werden. Das obwohl viele der durch den vielgerühmten Strukturwandel leergefallenen Fabrik- und Zechengelände innerstädtische Lagen haben oder hatten. Es ist vielmehr keiner (rechtzeitig) auf die Idee gekommen, sie auch in diese Richtung umzunutzen.
In Ruhr sind deswegen Fabriklofts zu Zeit, wiederum im Gegensatz zu Berlin, eher in städtischen Rand- oder Zwischenlagen zu finden. Manche davon sehr wohl mit inspirierendem Blick auf Wasser und/oder Natur und/oder guter, ja spektakulärer Industriearchitektur, dafür aber meilenweit entfernt von etwas, das man „Hot Spot“ nennen oder was man dazu entwickeln könnte. Erst recht wenn man nicht über einen privaten PKW verfügt. Für die Kombination aus Hot-Spot und Loft haben der Innenhafen von Duisburg und der Dortmunder Stadthafen noch die meisten Qualitäten, liegen aber nach meiner Einschätzung schon zu weit von den jeweiligen Hauptbahnhöfen entfernt.
Das Ruhrtal hat dagegen, was die landschaftliche Umgebung der dortigen Lofts betrifft, innerhalb des Ruhrgebietes faktisch ein Alleinstellungsmerkmal, liegt aber von den Nahverkehrsanbindungen noch weiter vom Schuss. Ganz anders z.B. das Girardet-Haus in Essen-Rüttenscheid, von dessen Art es in Berlin allerdings dutzende in innerstädtischer Lage gibt.
Bleiben die vielen Kanäle und still gelegten Kanalhäfen des Ruhrgebietes. Hier wäre die Bildung ganz spezieller und urban eigenständiger „Hot Spots“ möglich, wenn die Hausbootkultur massiv gefördert und wasseramtlich erlaubt wird. (Natürlich erst recht in Teilen der oben schon erwähnten Stadthäfen von Duisburg und Dortmund)
Das gleiche gilt für die Kultur der landgebunden Mobile-Homes die auf den großen noch vorhandenen wilden Freiflächen des“ Ruhr-Stadt-Dschungels“ eigene kreative Dörfer mit W-LAN-Anschluss ausbilden könnten. Auch hier wäre allerdings amtliche Erlaubnis und ideelle und materielle Unterstützung nötig.
Während sich Berlin auf Grund der kompakteren Stadtform mit den Mobile Homes, speziell in Form der „Wagenburgen“ schwer tut, hat sie sich auch bezüglich der schwimmenden Siedlungen schon einen Vorsprung erarbeitet, in dem sie dafür offizielle Stellen/Wasserflächen innerhalb des gesamten Stadtgebietes ausweisen wird, bzw. teilweise schon ausgewiesen hat. Fabriklofts aber auch Loft- und Atelierneubauten direkt am Wasser und zugleich in zentraler Lage gibt es schon lange und enorm großer Auswahl.
Aber auch im Ruhrgebiet werden zunehmend auch in innerstädtischen Lagen dauerhaft Räume frei werden. Unter anderem auch leerfallende Einzelhandelsgeschäfte/ Komplexe und öffentliche Gebäude, die entsprechende Raumgrößen und -höhen bieten und die vom Gesamtumfang eine sogenannten Clusterbildung auf einen Schlag ermöglichen. Kreative brauchen wie gesagt vor allen andere Kreative in der Nähe, denn erst als Horde oder Schwarm entfalten sie in einem unvermeidlichen qualitätsorientierten Ausleseprozesse ihre eigentliche urbane Intelligenz. Und genau hier könnte mittel- bis langfristig das Ruhrgebiet wieder aufholen, denn gerade die zentralen Lagen werden in den Boomregionen über kurz oder lang und trotz aller Kämpfe für eine gerechte Stadt nur noch der Minderheit der kommerziell sehr erfolgreichen Kreativen zu Verfügung stehen.
Hier könnte die Bochumer Innenstadt besonders interessant werden, denn mit dem dortigen Szeneansätzen in und um das Bermuda-Dreieck ist ein idealer Ausgangspunkt für ein sehr zentral gelegenes und überdurchschnittlich großes Kreativitätscluster gegeben, wenn die Bochumer Politik und Verwaltung sowie die lokale Wirtschaft die Zukunft ihrer City nicht mehr nur als Einkaufs- und Dienstleistungsstandort sieht.
Alice Herz Sommer ist die älteste Holocaust-Überlebende. Sie feierte am 26. November ihren 107. Geburtstag. Wir gratulieren und weisen gerne auf den Film hin, der über sie erschienen ist. Er heißt Dancing Under The Gallows.
Alice Herz-Sommer hatte eine bewegendes Leben. Sie kannte Franz Kafka und Gustav Mahler persönlich und sagt von sich, dass die Liebe zur Musik ihr das Leben gerettet hätte.
Freunde der Freiheit, Liebhaber der Sinnlichkeit, Fans der körperlichen Beweglichkeit, Erstreber innerer und äußerer Gesundheit, steht auf und tanzt. Lasst eure Muskeln und Glieder spielen, eure Hüften kreisen, eure Schultern zucken und eure Pos vibrieren. Es ist Zeit den Klemmis und Ordnungsfanatikern, den Demagogen und Ideologen, den Diktatoren und Despoten, den Gottes- und sonst wie –fürchtigen und all den dazu gehörigen Arschkriechern und Speichelleckern dieser Welt zu zeigen, dass unsere Körper uns und nur uns gehören.
Dass, wer auch immer ihn geschaffen, uns damit das größte aller Geschenke erwiesen hat: Uns nach unserem Gusto zu bewegen. Nach der Musik und dem Rhythmus der uns gefällt, nach Melodien die uns berühren und entlang der Gefühle die uns beglücken oder bedrücken. Dass wir keine Maschinen sind sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Wesen mit dem tiefen Bedürfnis danach sich nicht nur geistig sondern auch körperlich auszudrücken.
Tanzen, allein, im Paar oder in der Gruppe, macht uns zum Architekten und Choreographen unserer selbst, macht uns zu Künstlern im natürlichsten Sinne. Zum Erschaffer immer neuer Formen, in jeder Sekunde der Bewegung, zur Freude von uns selbst und anderen. Menschen die miteinander tanzen haben nicht die geringste Lust einander zu töten oder sonst wie ein Leid zuzufügen. Sie brauchen einander um sich gegenseitig zu inspirieren. Sich einander Lust zu bereiten, gemeinsam traurig zu sein oder ihren vielen anderen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Beim Tanzen folgen wir uns selbst und der Musik. Mag sein, dass es dabei Regeln gibt, aber wenn sie uns stören, werfen wir sie über Bord um die Einheit zwischen uns und der Musik (wieder) herzustellen. Beim Tanzen suchen wir uns selbst in der Musik und wenn wir uns oder besser die richtige Musik und den dazu passenden Tanz für uns gefunden haben sind wir in einer tiefen und zugleich unbeschwerten Weise glücklich, selbst wenn wir traurig sind
Deswegen lieben alle Menschen Musik überall. So unterschiedlich sie sein mag und sein muss um genau dieses individuelle Glück zu erzeugen. Deswegen lieben und verehren sie „ihre“ Musiker, deswegen können Musiker so mächtig sein ohne zu herrschen. Deswegen kann Musik für die Herrschenden gefährlicher sein als alle Waffen dieser Welt. Erst recht wenn die Menschen danach auch noch tanzen.
Also tanzt, was das Zeug hält. Bis der Arzt kommt. Bis ihr nicht mehr könnt. Tanzen kann Jeder. Dick oder dünn, groß oder klein, gebildet oder nicht. Schämt euch nicht eures Körpers und seiner Bewegungen, erscheinen sie euch noch so unbeholfen, sondern seid stolz darauf. Lasst euch gehen, fühlt euch wieder. Dafür ist Musik gemacht. Lasst euch dabei keine Vorschriften machen.
Eure Beine sind nicht zum Knien und eure Schultern nicht zum Beugen gemacht. Ihr seid Tänzer von Geburt. Schaut euch nur die Kinder dieser Welt an. Kaum das sie stehen und gehen können bewegen sie sich wie von selbst, wenn sie Musik hören und ihrer Gesichter strahlen dabei. Die von Jungen genauso wie von Mädchen.
Holt euch dieses Strahlen zurück, wenn ihr es verloren habt. Lasst es euch nicht nehmen, wenn ihr es euch bewahrt habt. Lasst es euch von Niemandem verbieten. Nicht von der Kirche, nicht von der Regierung, nicht von euren Eltern. Von Niemandem! Kämpft gegen alle, die es versuchen. Misstraut jedem, der Musik, und sei es auch nur eine ganz bestimmte, hasst, der Tanzen welcher Art auch immer unsittlich, unmoralisch oder gar unsozial findet.
Tanzen ist die natürlichste Sprache der Welt und Musik ihr weltweites Lehrbuch. Musik und Tanz kennt keine Grenzen und das erste was selbst die Soldaten nach einem Krieg tun ist miteinander Singen und Tanzen. Selbst mit den ehemaligen Gegnern. Musik und Tanz sind nämlich die beiden großen Verständiger und Versöhner dieser Welt. Wer tanzt reicht seine Hände zur Berührung und nicht um den anderen über den Tisch zu ziehen.
Wer die Musik und den Tanz für den Hass auf andere missbraucht, ist deswegen kein Musiker und kein Tänzer (mehr). So wie jemand der seine Freiheit missbraucht, um sie anderen zu nehmen kein Kämpfer für die Freiheit sein kann. Sowie jemand der Wahlen missbraucht, um, nach dem er gewählt ist, die Wahlen abzuschaffen, kein Demokrat ist. Der Tanz ist gelebte Freiheit die die der anderen nicht einschränkt. Wer tanzt, wünscht sich, dass auch anderen tanzen dürfen und können. Dass nicht nur seine Musik sondern auch die der anderen geachtet wird. Der weiß und spürt, dass es Menschlichkeit ohne Musik nicht geben kann.
Lasst deswegen nicht zu, dass sie in irgendeinem Land dieser Erde verboten wird. Das Musiker und Tänzer wegen ihrer Musik und ihres Tanzes ins Gefängnis kommen oder sonst wie bestraft oder diskriminiert werden. Wenn ihr sie schützt und befreit, dann befreit und beschützt ihr euch selbst. Dann macht ihr die Erde (wieder) ein Stück humaner.
Am besten geht das wenn ihr tanzt wo auch immer ihr seid. Ohne Scham und ohne Furcht. Mit all eurer Fantasie, eurer Kraft und eurer Sinnlichkeit. Tanzt den Taliban in Stücke. Wo auch immer er ist. Erst recht wenn er in euch selbst auftaucht. Tanzt ihn in Grund und Boden. Tanzt so lang bis er mittanzt und begreift, dass es einen Himmel (auch) auf Erden gibt. Und wenn am Ende all das nicht hilft, dann schickt ihn zur Hölle! Dann hat er es nicht besser verdient.
Wenn ich in Berlin gewesen wäre, dann hätte ich von meinem Loft-Büro im Wedding direkt auf den Gebäudekomplex schauen können, in dem die Berliner Grünen den Nominierungsparteitag für Renate Künast veranstaltet haben. Es sind die ehemaligen BVG Werkstätten die zu Zeit mit dem Geld der Lottostiftung zum Zentrum für zeitgenössischen Tanz ausgebaut werden. 100% Zustimmung für ihre Kandidatur fuhr sie ein und setzte lauthals auf Sieg. Damit ist der Berliner Wahlkampf eröffnet.
Wowereit hat schon viel früher seine erneute Kandidatur verkündet. Seine Ambitionen auf eine mögliche SPD-Kanzlerkandidatenschaft liegen offensichtlich seit längerem auf Eis. Seine darauf zurückgeführte und von den Medien immer wieder behauptete Amtsmüdigkeit hat ihm aber bislang nicht sonderlich geschadet. Mit der nun offiziellen Kandidatur von Renate Künast wird sie jedoch, egal ob real oder nur gefühlt, ab sofort zu Ende sein. Zum ersten Mal hat Wowereit einen ernst zu nehmen Gegner, und wenn er verliert ist es auch mit seinen Bundesambitionen aus.
Renate Künast, obwohl nicht in Berlin geboren und aufgewachsen sondern im Ruhrgebiet, gilt als waschechte „Berliner Schnauze“. Was nicht verwunderlich ist, denn wenn es zwei Menschengruppen in deutschen Landen gibt die sich mental und vom sprachlich Duktus erstaunlich ähnlich sind, dann sind es die Ruhris und die Hauptstädter. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Berliner sich zur Zeit auf dem auf- und die Revierbürger trotz allem Kulturhauptstadtgeschwurbels immer noch auf dem absteigenden Ast befinden.
Wichtiger aber für den Ausgang der Wahl ist, dass die Berliner mehrheitlich der Überzeugung sind, dass sie ihren Wiederaufstieg eben diesem „Und das ist gut so“ Wowereit verdanken. Er personifiziert das neue Berlin wie Niemand anders, egal ob er sich dabei gerade müde fühlt oder nicht. Er hatte nicht nur den ganz persönlichen Mut sich als schwul zu outen sondern auch den politischen Mut zu einer Koalition die sich in Deutschland bislang aus gutem Grund nur wenige trauen. Die damit verbundene politische und mentale Integrationsleistung im wiedervereinigten Berlin wird ihm jedoch einmal historisch als eine seiner größten politischen Leistungen angerechnet werden.
Deswegen ist, obwohl die Grünen zu Zeit auch in Berlin auf ihrem Allzeithoch schweben, das persönliche politische Risiko für Frau Künast nicht zu unterschätzen. Sie hat es durch ihre Sieg-und-nur-Sieg-Position obendrein ohne Not erheblich erhöht. Die Berliner sind aus ihrer wechselvollen Geschichte besonders misstrauisch gegenüber Leuten, die nur dann für sie aktiv bleiben wollen, wenn sie zu den Gewinnern gehören. Sie wollen dass man ohne Wenn und Aber zu ihnen und ihrer Stadt steht. Und sie haben es verdient.
Inhaltlich, und da hat die CDU in ihren ersten Verlautbarungen recht, hätten die Grünen in der Regierungsverantwortung in Berlin nicht allzu viel anders gemacht, als die jetzige rot-rote Koalition. Wahrscheinlich hätten sie auch die Stadtautobahn weiter gebaut und beim Projekt Media Spree haben sie sich sowieso nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist also ein Kampf innerhalb des Lagers links von den Christdemokraten, das in der Hauptstadt sowieso schon seit längerem das kulturelle und politische Sagen hat.
Aber da geht es um nicht weniger als den Führungsanspruch. Und das nicht nur in Berlin sondern im ganzen Land. Berlin ist hier „nur“ der erste Aufschlag und das in einer Zeit in der die Grünen nicht nur die SPD zu überholen beginnen sondern Anstalten machen, auch wieder zur Bewegungspartei zu werden. Nicht umsonst wurde das Parteitreffen im Wedding um einen Tag verschoben, damit die Delegierten und vor allem die Parteiprominenz sich auch mal wieder als Straßenkämpfer präsentieren konnten.
Gegen eine Atompolitik die durch die von purem Lobbyismus getriebene Dummheit und Dreistigkeit dieser Bundesregierung diesen rigorosen Protest geradezu herausfordert. Stuttgart scheint nur der Anfang gewesen zu sein. Deutschland gerät (wieder) in Bewegung und das wird am Berliner Wahlkampf nicht spurlos vorbei gehen. Der nun beginnende, von zwei auch deutschlandweit als prominent, eloquent und beliebt geltenden Politikern geführte Streit über die Zukunft der Hauptstadt wird nicht ohne Wirkung auf die Politik in ganzem Land bleiben und umgekehrt. Egal wie er stimmenmäßig ausgeht.
Dieser Artikel ist ausführlicher veröffentlich in der Zeitschrift „Verkehrszeichen““ Nr. 3 /2010
Ökologische Mobilität ist einer der zentralen Schlüssel zu einer lebenswerten städtischen Zukunft, die schon jetzt die sozialräumliche Realität der meisten Erdenbürger ist und weiter und verstärkter sein wird. Dabei ist weltweit eher der disperse vorstädtische Raum als die kompakte europäische Stadt älterer Prägung die typische baulich-räumliche Ausgangsituation. Das Ruhrgebiet ist damit der Prototyp des urban verdichteten Raumes, der in Anbetracht des schnellstens nahenden postfossilen Zeitalters einer dringlichen und nachhaltigen Verkehrslösung bedarf.
Einer Verkehrslösung von der eben diese Region jedoch auf Grund ihrer speziellen Verwaltungs- und Planungsgeschichte und ihrer eng damit verbunden politischen Mut- und Entschlusslosigkeit weiter denn je entfernt ist. Die Stadtandschaft an Ruhr und Emscher verfügt zur Zeit weder über ein flächendeckend integrierten öffentlichen Nah- und Güterverkehr noch über eine ebenso flächendecken flüssig funktionierenden privaten motorisierten Personen- und Lastenverkehr. Einzig und allein die Situation des nicht motorisierten privaten Nahverkehrs in Form des Fahrrades hat sich in den letzten 20 jahren erhbelich und nahezu flächedeckend verbessert. Vorbildlich ist er aber im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten noch lange nicht.
Insbesondere das nur rudimentäre U-Bahn-Netz und der zu langsame Ausbau der 6 Spurstraßensystems in Ost-West-Richtung, von den immer schon schlechten Nord-Süd-ÖPNV-Verbindungen ganz zu schweigen, haben, neben der systematisch vermiedenen Kooperation der für die Städteregion zuständigen Verkehrsbetriebe eine insgesamt und in jeder Weise suboptimale Verkehrslage und -infrastruktur hervorgebracht, die dem aktuell anvisierten Selbstbild der Metropole, erst recht aber einem irgendwie gearteten stadtökologischen Anspruch, hohnspricht.
Im Verhältnis z.B. zu Berlin können die Takt- und Umsteigezeiten sowie die tägliche Bedienungsdauer durch Bus und Bahn im Ruhrgebiet nur als elendig bezeichnet werden und verlocken zu allerallerletzt zum ökologischen Umstieg vom privaten PKW auf Schiene oder Busspur. Das Auto ist deswegen auch des Ruhrgbietlers liebstes Kind. Egal zu welcher Einkommensschicht er gehört und welche Partei er wählt. Erst recht wenn er bei einem öffentliche Nahverkehrsunternehmen beschäftigt ist.
Seinen Kauf strebt er schon weit vor dem 18 Lebensjahr an und er gibt es nur wieder her, wenn man ihm die Pistole an den Kopf hält. Wer im Ruhrgebiet keine Auto besitzt gilt entweder als verrückt oder als wirklich arm, zumindest aber als besonders arm dran. Alles andere ist wohlfeile grüne Propaganda.
Diese totale Dominanz des motorisierten Privatverkehrs ist zuvorderst in der dispersen Raumstruktur des Ruhrgebietes begründet. Kulturell verfestigt hat sie sich aber erst durch einen Nahverkehr der bis heute seinen Namen nicht verdient. Alle Versuche der letzten 20-30 Jahre diesen Zustand zum Positiven zu verändern scheiterten an ihrer politischen Halbherzigkeit und an der schlichten Tatsache, dass den Veranrwortlichen die eigenen Jacke näher als die öffentliche Hose ist. Den Chefs der vielen Verkehrsgesellschaften ist es mit ganz wenigen Ausnahmen, man kann es leider nur so drastisch formulieren, der Nutzen ihrer Einrichtungen für das gesamten Ballungsraum absolut egal, so lange sie nur ihre Posten behalten können.
Verkehrsmäßig leidet das Ruhrgebiet unter dem Phänomen struktureller Dummheit auf Grund lokalpolitischer Postenwirtschaft, und das mit erheblichen ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen. In absehbarer Zeit werden andere Ballungsräume gegenüber dem Ruhrgebiet ihren Verkehrsvorteil auf Basis eines jetzt schon besser funktionierenden Nahverkehrs, den sie weiter und zunehmend massiv ausbauen werden, ausspielen. Auf Basis eines unausweichlich weiter steigernden Ölpreises werden sie so den Umstieg immer größerer motorisierten Privatverkehrsanteile auf den ÖPNV ohne Zwangsmaßnahmen vorantreiben und so auch ihren Nahverkehr effizienter und damit kostengünstiger betreiben können.
So wie jetzt schon junge ökonomisch noch nicht erfolgreiche aber doch hoch talentiert Menschen gerne in Städte ziehen, wo sie sich ein Auto im wahrsten Sinne des Wortes sparen können, werden dies in den kommenden Jahrzehnten auch die älteren und besser verdienenen Generationen tun. Erst recht wenn sie in Berufsbereichen arbeiten, die räumlich relativ ungebunden sind. Genau dieses Segment standortunabhängiger und zugleich hoch qualifizierter Produktion wird zumindest in Europa erheblich zunehmen. Ebenso die gesundheitlich gut aufgestellten Menschen über 60 die sich für die Zeit nach der Arbeit auch noch einen Ortswechsel zutrauen.
Der sinkenden Anteil des motorisierten Privatverkehrs wird, selbst wenn der Anteil an Elektroantrieben kontinuierlich zunimmt, aber die kommenden Jahrzehnte das Entscheidende für die Luft- und Umweltverbesserung in den Ballungsräumen sein und diese wird zugleich zunehmend relevant für die Wohnortentscheidung und für die Ansiedlung neuer qualifizierter Arbeitsplätze sein. Das Ruhrgbiet, das schon länger nicht mehr die erste Wahl hierfür ist, wird dabei immer weiter ins Hintertreffen geraten. Egal wieviel Industrie- und sonstige Kultur , wieviel spektakuläre Architektur oder wieviel zusätzliche Grün- und Freizeitflächen es in Zukunft noch aufbieten wird.
In einem dispersen und multizentralen Raum wie dem Ruhrgebiet ist aber nicht nur der Ausbau des ÖPNV als solchem interessant, weil liniengebundener Kollektivverkehr jede Art nun mal nicht die Fläche so gut bedienen können wie Individual-Fahrzeuge jeder Art. Hier ist der Kobinationsverkehr aus Kollektiv- und Individualbewegung genauso entscheidend. Vor allem das Park-And Ride und das weniger bekannte Mixed-Use-System sind hier die Schalthebel der Verkehrszukunft. Park- And- Ride, was die jetztige und zukünftige Autogeneration und ihre Kombination betrifft. Mixed-Use vor allem was die Kombination von Fahrrad und ÖPNV betrifft. Das Fahrrad, auch und gerade als E-Bike, ist dabei das Leitfahrzeug, da es auf Grund seines Gewichtes im Gegensatz zum Auto oder Motorrad/roller in Bus und Bahn mitgenommen und nach dem Ausstieg wieder weiter gefahren werden kann.
Als in kürzester Zeit falt- und damit erheblich verkleinerbares Fahrzeug, die es mittlerweile auch als E-Bikes gibt, ergeben sich noch weitere Vorteile im Mixed-Use-Konzept. So ein Rad nimmt beim Transport weniger Platz ein und es lässt sich auch sehr unkompliziert mit dem Auto kombinieren. Park and Ride heißt dann, mit dem Auto bis an den Rand der (Innen)Stadt zu fahren und von da aus mit Bike, egal ob mit oder ohne Zusatzantrieb, weiter zu radeln. Im Ruhrgebiet scheint mir dieses Konzept insofern interessant zu sein, als dass hier noch eine andere Entwicklungsalternative zu diskutieren wäre, die ökologisch im ersten Moment eher erschreckend erscheint: die totale Automobilisierung kombiniert mit einem in der Fläche erheblich reduzierten aber dafür um so schnelleren ÖPNV.
Der massive regionale Ausbau der E-Mobil-bezogenen Infrastruktur verbunden mit der Entwicklung eines urbanen E-Kleinwagentyps der unteren Preisklasse, der entsprechend der Anzahl der Mitfahrer auch die ständige Mitnahme von entsprechend vielen Falträdern erlaubt. Die Falträder sollten dabei als Zusatz Paket gleich mit gekauft werden können. Damit wäre die Flächenverkehr erheblich ökologischer als zur Zeit zu bewältigen und würde zugleich die Reduktion des ÖPNVs auf ein Nord-Süd-Raster einschließlich eines darin integrierten Ringverkehrs erlauben. Obendrein ließen sich unter diesen Bedingungen die Innenstädte mit Ausnahme des Gütervekehrs weitegehend vom motorisierten Verkehr freihalten lassen.
Sie würden von Innen durch den ÖPNV bzw. durch die Bahnhöfe erschlossen und von außen durch ein Park-And-Bikeride System. Beim einem konsequenten Rastersystem der ÖPNV-Strecken ließen sich in der Linie die Taktzeiten erheblich senken und damit an den Kontenpunkten optimale Umsteigezeiten erreichen. An den nicht in Innenstädten gelegenen Knotenpunkten könnte das klassische Park-And-Ride System angegliedert werden, dass den schnellen Umstieg vom PKW auf den ÖPNV erlaubt und zwar mit oder ohne Fahrrad.
Dazu müssen nur an wenigen Stellen neue Strecken oder Bahnhöfe angelegt werden. Es geht vielmehr um eine Streckenkonzentration bei gleichzeitiger Beschleunigung durch die erhebliche Verkürzung von Takt- und Umsteigezeiten. Die notwendigen Fahrzeuge dazu gewinnt man durch die Streckenreduktion selbst. Das setzt allerdings nicht nur eine einheitliche Verwaltung und Organisation des Ruhr-Nahverkehrs voraus sondern ein anderes Denken über die Zukunft dieser Stadtregion. Wer das nicht will, der wird sich in Anbetracht der Radikalität des hier vorgerstellten Konzeptes in seine alten Konzepte zurückziehen.
Weiter so wie bisher wird zu einer weiteren Verschlechterung des ÖPNVs und damit zu noch mehr Autos und damit zu mehr Staus führen. Die, die sich ein solches auf Grund von zunehmender Armut nicht mehr leisten können, werden dagegen wegen der absehbaren Kostensteigerung des ÖPNVs immer immobiler werden. Die soziale und räumliche Segregation wird sich dadurch im Ruhrgebiet weiter vertiefen und die jetzt schon vorhandene Nord-Süd-Spaltung weiter zunehmen.
Der Wiedereinstieg bzw. Aufstieg im heutigen Berufsleben setzt gerade im Ruhrgebiet eine hohe individuelle Mobilität voraus. Wer dieses für bestimmte Menschen systematisch abbaut muss sich nicht wundern, dass es in dieses Stadtregion zunehmend ganz Stadtteile gibt, die nicht nur sozial sondern auch räumlich vom Rest der Region abkoppeln, und zwar nach Unten. Damit einher wird die zunehmende räumliche Abkoppelung nach Oben kommen, denn in den wohlhabenderen Stadtteilen gibt es auf Grund des nahezu kompletten Autobesatzes kein ÖPNV-Problem. Egal ob auf fossiler oder postfossiler technischer Basis.
Preiswerte Mobilität ist aber auch für die interessant, die noch keine Auto haben dürfen oder sich keines mehr leisten wollen. Gerade junge und gebildete Menschen oberhalb des Führerscheinalters sind nicht nur auf Grund des in der Regel (noch) niedrigen Einkommens von einer ökologischen Art der Fortbewegung begeistert. Die ökologischte von allen, ist dabei das komplett durch eigene Körperkraft angetriebene Zweirad in Kombination mit einem schellen. mit regenierbarer Energie angetriebenem öffentlichen Nahverkehr. Nur in dieser Kombination lässt sich auch außerhalb verdichteter Stadtbereiche leben, ohne die Umwelt durch das Grundbedürfnis nach Mobilität zu schädigen. Das Ruhrgebiet erlaubt durch seine überdurchschnittliche Durchdringung von Stadt und Land gerade diese Art des familienfreundlichen Wohnens im Grünen, und das in der Nähe urban verdichteter Zonen mit dem entsprechenden kulturellen und konsumptiven Versorgungsangebot.
Diese besondere Qualität, die eben nicht nur für Familien sonder auch für Singles attraktiv ist, würde durch die Kombination mit einer stadtökologisch verträglichen Fortbewegungsweise zu einem Alleinstellungsmerkmal werden, dass in ganz Europa und darüber hinaus über kurz oder lang Menschen anziehen würde, die genau danach suchen. Die sich das Leben im verstädterten Raum ohne die unvermeidlichen Zwänge der Dichte und Kompaktheit, d.h. mit viel Grün und Wasser in der Nähe und mit Gartem vor und/oder hinter dem Haus wünschen. Die, die es dann gedrängter und quirliger wünschen, haben im Ruhrgebiet bei einem wie oben skizzierten Verkehrssystem die Möglichkeit sehr schnell von Innenstadt zu Innenstadt zu gelangen oder dort jeweils ganz ohne Auto zu leben.
Heutzutage kann man das im Ruhrgebiet nur, wenn man vor allem in den Abend und Nachtstunden zu erheblichen Mobilitätseinschränkungen bereit ist. Gerade für jüngere Leute ist das ein unzumutbarer Zustand. Die Fahrt an den Ballungsrand vor allem in Richtung Nord oder Süd dauert aber schon tagsüber im Verhältnis zum Auto, regelmäßige Staus inklusive, erheblich zu lang. Die oben beschrieben stadträumlichen Vorteile können deswegen zur Zeit nur auf Kosten erheblicher ökologischer Nachteile und und unter erheblichem Mobilitätsstress genutzt werden.
Dabei ist nicht nur die stark durchgrünte Stadtregion Ruhr attraktiv, sondern auch das weitere ländliche Umland jenseits des Ruhrtals im Süden und des Emschertals im Norden. Bergisches Land, Sauerland und Münsterland, aber auch das Rheintal im Westen sind einschließlich ihrer künstlichen und natürlichen Seen und Flüsse für die Agglomeration die bevorzugten Naherholungsgebiete. Auch sie gilt es deswegen mit dem ÖPNV besser zu erchließen. Die Strecken sind alle vorhanden. Auch hier sind es die Takt- und Umsteigezeiten, die das Auto zu bevorzugten Verkehrsmittel machen. Im Vergleich zur Erreichbarkeit des Berliner Umlandes per S-Bahn wäre auch hier die Hauptstadt ein guter Maßstab.
Die Chance des Ruhrgebietes liegt deswegen noch lange nicht darin, so wie Berlin zu werden. Metropolen dieser Art können räumlich schon deswegen nur verkehrsmäßig als Vorbild gelten, weil ihre sonstige Stadtlandschaft das räumliche Gegenteil zum Ruhrgebiet darstellen. Es geht viel mehr darum den alternativen Verdichtungstypus des Ruhrgebietes mit einem Verkehrskonzept zu versehen, dass dessen dezentrale Vielfalt erlebbar macht, ohne das damit gleichzeitig dessen besondere ökologische Lebensqualität zerstört und der indidvduelle Mobiltätsstress unnötig erhöht wird.
Weitgehend stressfreie regionale Mobiliät bietet, nicht nur an an regenfreien Tagen, aber da besonders, jetzt schon das zwischenstädtische Fahrradwegenetz über die stillgelegten Güterbahntrassen der Region durch den Emscher-Landschaftspark und im und um das Ruhrtal. Hier ist nämlich der motorisierte automobile Verkehr weitgehend zurückgedrängt bzw. auf relativ wenige Kreuzungspunkt beschränkt. Mit einem E-Bike werden die Entfernungen zeitlich weiter verkürzt und auch Steigungen von schwächeren Radlern locker genommen. Hier ist die Region auf dem besten Wege in eine ökologische Zukunft, die auch weltweit vorbildich werden könnte. Die Vision sollte dabei eine grüne Großstadt neuen Typs sein. Eine Stadtlandschaft nicht im übetragenen sondern im realen Sinne. Eine Versöhnung von Natur und Stadt durch eine neue Art der Fortbewegung.
Zur Zeit gibt es grob zwei Wertungen der massenmedialen Berichterstattung, wenn es ums Radeln in der Stadt der Städte geht. Es ist entweder ein wahnsinniges Abenteuer für Lebensmüde oder es ist das neue Bikerparadies, weil es mittlerweile über 600 km Fahrradwege gibt. Die Wirklichkeit liegt wie gewöhnlich genau dazwischen und über die will ich im Folgenden berichten.
Mein erstes Fahrrad mit dem ich in New York herumgeradelt bin hatte den vielversprechenden Typennamen „Metropolitan Iron Horse“ und kam aus Taiwan. Der New Yorker Verkäufer in Larry&Jeff´s Bycicle Shop in der Upper Eastside, einem der wenigen Läden die zu dieser Zeit schon Räder ausliehen, empfahl mir, doch gleich eins zu kaufen. Pro tag hätte mich das geliehene damals 20$ gekostet. Mein eisernes Metropolenpferd bekam ich stattdessen für gerade mal 250$. Das erschien mir ein klasse Deal zu sein.
Bis zum dritten Platten innerhalb von 2 Tagen, denn die Bereifung dieses Gefährts war auf keinen Fall für die damaligen und heutigen New Yorker Straßen geeignet. Zuviele Schlaglöcher, zuviele Glas- und Eisensplitter und zuviele zu hohe Bordsteine mit stahlverstärkter Kante. Schon nach einer Woche waren aber auch die Bremsen ausgeleiert bzw. lößten sie sich in ihre Einzelteile auf. Das häufige harte und schnelle Bremsen , dass der dichte Verkehr erforderte, machte ihnen sichtlich zu schaffen. Ich rüstetete also entsprechend auf.
Kaum dass ich das getan hatte, wurde mir das Fahrrad geklaut. Ich aber war so begeistert von meinen ersten kompletten Monat mit einer täglicher Dosis wildesten Metropolenverkehrs, dass ich mein Geld zusammenkratzte und mir ein neues und vor allem robusteres Fahrrad kaufte. Typ Mountainbike aber ohne Federung. Federungen machten und machen das Rad schwer. Da man es in New York zu dieser Zeit häufiger Mal tragen musste, um weiter zu kommen, oder aber die U-Bahn zu benutzen, war das Gewicht mindestens so entscheidend wie die Schlagloch- und Bremstauglichkeit.
Fahrradwege waren zu Beginn meiner Bikerkarriere in New York, sprich 1986, so etwas wie eine Wahnvorstellung. Es gab ja auch kaum Radfahrer mit Ausnahme der Kurriere und die brauchen sie bis heute nicht. Auch die New Yorker Polizei und alle Lieferwagenfahrer stehen damit zur Zeit auf dem Kriegsfuß, obwohl oder gerade weil es sie mittlerweile fast flächendecken gibt. Sie sind für beide Gruppen beliebt und zugleich notwendig als Entlade- und Kurzzeitparkzone, weil sie in der Regel am äußeren Rand der Avenues und der größeren Straßen eingezeichnet sind.
Ohne Bikelanes war das Leben überhaupt einfacher für Radler, weil ohne sie ihre Flexibilät im Straßenverkehr weniger eingeschränkt ist und sie trotzdem nicht schlechter vor Autos geschützt sind. Auch in Deutschland passieren die meisten Radfahrunfälle auf Radwegen. Als es sie in New York noch nicht gab, nahm man sich einfach eine ganze Spur der vielspurigen Einbahnstraßen und die Autofahrer gewöhnten sich sehr bald daran. Überholen war und ist bei diesem Straßentyp eben kein Problem und deswegen tut man es auch heute noch da, wo es keine Bikelanes gibt.
Die Radfahrer konnten und können so, wenn sie nicht alleine unterwegs sind, auch ohne Probleme zu zweit nebeneinader fahren, ohne die Autofahrer zu aggressivem Verhalten zu provozieren. 2 Biker fuhren und fahren auch heute noch, vom Platz her zusammen so groß wie ein Kleinwagen, da auf einer Spur, wo es die Anzahl der Spuren erlaubt. Größere Gruppen fahren im Pulk. Auf den Streets, die in der Regel viel schmaler als die Avenues sind und deswegen, vor allem als Einbahnstraßen, selten über mehr als eine Lane verfügen, fahren Radfahrer als Gruppe natürlich hintereinander.
Dabei haben sie das gleiche Privileg gegenüber den Autofahrern wie alle New Yorker Fußgänger: Sie dürfen, auch von der Polizei geduldet, bei Rot die Ampel queren. Für deutsche Verhältnisse unvorstellbar. In New York dagegen kann es einem als Radlergruppe passieren, dass die Autofahrer sogar dann noch warten, wenn sie schon Grün haben, damit alle Biker über die Kreuzung kommen.
Die New Yorker Autofahrer sind insgesamt eher vorsichtig, wobei die Ausnahme die Regel nur bestätigt. Das liegt zum einen am amerikanischen Rechtssysstem, dass einem bei schuldhaftem Versagen im Straßenverkehr, sofern der Unfallgegner über einen guten Rechtsanwalt verfügt, ein Vermögen kosten kann. Der Hauptgrund ist aber, dass Amerikaner überhaupt ein anderes, relaxteres Verhältnis zum Auto haben. Nicht umsonst wurde in diesem Land die Geschwindigkeitsbegrenzung nie ernsthaft in Frage gestellt.
Erst in der Kombination mit dem Ampelprivileg wird das Fahrrad in New York aber zu einem unschlagbar schnellen Verkehrsmittel, was vor allem den Messangerbikern von Anfang an zu Gute kam. Dabei haben sich, als das Fahrrad zunehmend zum Alltagsfahrzeug wurde, auch andere informelle Verkehrsregeln zwischen Auto- und Radfahrern entwickelt, die man allerdings kennen muss, um diesen Mobilitätsvorteil komplett einzustreichen.
1. Autofahrer hupen ein bis zweimal kurz, wenn sie Radfahrer überholen um dann vor ihnen rechts abzubiegen, sprich sie schneiden.
2. Radfahrer geben deutliche Zeichen wenn sie die Spur wechseln, damit die Autofahrer rechtzeitig reagieren können.
3. Das Fahren gegen die Einbahnstraße ist Radfahrern erlaubt, wenn sie sich entsprechend in der Platznahme verhalten, d.h. am äußersten Rand der Straße fahren.
Da in den New Yorker Einbahnstraßen aus Sparsamkeitsgründen die Autoampeln nur in eine Richtung zeigen orientieren sie die Radfahrer beim Gegen-die-Einbanhstraße-fahren an den Fußgängerampeln.
Auch gegenüber den Fußgängern gibt es wichtige informelle Verkehrsregeln, die nur von den Kamikazeradlern, die es natürlich auch in New York gibt, nicht eingehalten werden.
1. Radfahren kreuzen auf Grund ihrer schnelleren Beweglichkeit Fußgänger wenn möglich hinter ihnen, um sie nicht unnötig zu irritieren.
2. Wenn die Fußgänger Grün (in New York ist das die Farbe weiß) haben, haben sie natürlich Vorfahrt vor den Radlern, die bei Rot kreuzen, weil kein Auto quert.
Die Stadt und vor allem ihr unbedingt notwendiger Verkehrsflusss lebt von dieser gegenseitigen Rücksichtnahme, die allerdings klare Zeichen voraussetzt. Am Wenigsten können New Yorker mit einem Verkehrsteilnehmer anfangen, der nicht weiß was er will. Kommte ein New Yorker selbst in diese Situation nimmt er fast automatisch eine Position neben oder am Rande des Mobilitätsflusses ein, um ihn durch seine Unentschlossenheit nicht zu behindern.
Wer z.B. mit seinem Bike in die U-Bahn will, und er darf das bislang in New York zu jeder Zeit ohne extra dafür zu bezahlen, darf deswegen nicht zögern, wenn ihm der ausgesuchte Waggon ihm ersten Momemt zu voll erscheint. Entweder er geht rein und zu seinem Erstaunen machen alle dann doch irgendwie Platz. Oder er versuchts erst gar nicht und warten auf den nächsten Zug. Dazwischen gibt es nichts, was nicht zu absoluten Verwirrung bei allen anderen Beteiligten führen würde.
Kooperation ist in New York alles und Sorry das am meisten gesprochene Wort. Auch für Radfahrer. Leider gibt es neuerdings auch in dieser Stadt den Rechthabertypus, ausgestattet mit der üblichen wurstpellenartigen Kleidung und einer schrillen Klingel die er auch bei jeder Gelegenheit einsetzt.
Die überwiegende Mehrheit besitzte aber nach wie vor kein solches Warninstrument sondern spricht mit den anderen Verkehrsteilnehmer bzw. ruft ihnen etwas zu. Und natürlich kann da auch mal ein aufgeregter Schrei bei sein. „Watch it!“ oder „Head(s) up!“wenn der andere einen nicht rechtzeitig bemerkt. Oder“ I´m up on your left/right“ wenn man kurz davor ist jemanden von links/rechts zu überholen. Oder einfach nur ein mehr oder weniger lautes „attention“, wenn man Fußgänger aufmerksam machen will.
Das alles verlangt eine erhebliche und permanente Konzentration, vor allem wenn man sich auf den großen verkehrsträchtigen Trassen in Manhatten bewegt. Wenn möglich noch zur Rushhour. Und am Wochende im Central Park ist es auf der großen Acht, dem breiten und komplett asphaltierten Rundweg, nicht viel besser. Dafür wird man aber für diese Konzentration mit etwas belohnt, dass einem kaum eine andere Stadt bieten kann: Einem realen und zugleich phantastischen 3D-Filmerlebnis in dem man selbst mitspielt. Ganzkörperlich und mit allen Sinnen.
Erst recht wenn man sich über die großen Brücken bewegt, die mittlerweile fast alle eine eigene Fahrrad bzw. Fahrrad- und Fußgängerspur haben. Hier gibt es dann nur noch die Achtsamkeit auf die Fußgänger und die haben sich ebenfalls an die immer mehr werdenen Radfahrer gewöhnt. Was auf der Brooklynbridge zu einer ganz neuen Art von allabendlichem Verkehrsstau geführt hat. Hier reicht der hölzerne Fußweg einfach nicht mehr aus, um die Mengen an unmotorisiertem Verkehrsteilnehmern aufzunehmen, die zu dieser Zeit über diese weltberühmte Brücke wollen respektive müssen.
Immer mehr Leute fahren nämlich aus Brooklyn mit dem Fahrrad zur Arbeit. Dazu kommen die vielen Touristen, die sowohl mit geliehendem Rad als auch zu Fuß das besonder Lichte des Sonnenuntergangs hinter der Skyline von Manhattan erleben wollen. Daraus wird dann ein nicht enden wollende dichte Prozession, die sich oberhalb der Autos über dieses fulminante Bauwerk schiebt. Aber selbst da klappt es bislang noch mit der sprichwörtlichen Rücksichtnahme der New Yorker von der sich auch die Touristen in kürzester Zeit anstecken lassen.
Der ideale Fahrradtyp für New York ist das sogenannten Single-Speed. Ein Rad ohne Gangschaltung bzw. nur mit einem einzigen Gang, wenn möglich ohnen jede Federung, mit robusten Reifen und schnell und exakt ragierenden Bremsen. Es wird gerne mit einem sogenannten Fixie verwechselt, das obendrein keine Bremsen und keinen Freilauf hat , d.h. bei dem sich jede Bewegung des Pedals unmittelbar auf das Hinterrad überträgt. Das fahren auch in New York nur sehr wenige, denn es verlangt eine enorme Körperbeherrschung.
Das Single Speed dagegen ist, gerade weil man überall auch in Anwesenheit der Polizei, bei Rot über die Ampel darf, gegenüber einem Rad mit Gangschaltung, viel reaktionsschneller. Erst recht weil durch das überwiegend exakt rechtwinkelige Straßensystem der kreuzende Verkehr bzw. Nichtverkehr schnellstens sichtbar wird und die Entscheidung, doch noch über die Ampel zu fahren , dadurch in Sekundenbruchteilen gefällt werden kann. Runter oder raufschalten kostet in solchen Momenten nur unnötige Zeit. Obendrein sind die Steigungen, mit Ausnahme der großen Brücken, in New York eher gering. Nur im obersten Norden Manhattans kann es auch schon mal steiler werden.
Single Speeds sind in New York eben nicht nur Style, auch wenn sie stylish geworden sind. Ich habe mein Erstes bei Will in einem kleinen Fahrradladen an der Havemeyerstreet in Williamsburg/Brooklyn gekauft. Will kommt aus Iowa und wollte in New York mal Schauspieler werden. Stattdessen hat er, weil ihm als passionierten Radfahrer kein Bike seiner neuen Heimat angemessen erschien, einen eigen Bikelinie/Label entwickelt: New York City Bikes. Selbst der New York Times ist das damals eine Nachricht wert gewesen und seit dem konnte Will von seiner Leidenschaft leben.
Ansonsten braucht man in New York kein besonderen Pioniergeist mehr, um sich auf einen Drahtesel zu schwingen. Und das ist gut so. Der aktuelle Bürgermeister Bloomburg, der sich als Milliardär wohl eher mit der Limousine durch New York kutschieren läßt, hat erkannt, dass ,zwar nicht für ihn persönlich, aber doch für seine Stadt, das Fahrrad eine große Zukunft hat. Es ist nämlich in der Lage eines ihrer größten Probleme (mit) zu lösen: Die Luftverschmutzung.
Die mitterweile einflussreichen Fahrradfahrerorganisationen New Yorks, unter denen die wichtigste wohl „Transportation Altertnatives“ heißt und schon lange eine eigene Zeitschrift herausgibt, werden schon länger an den Verkehrsplanung der Stadt beteiligt. Es gibt seit gut 10 Jahren sogar ein jährliches Bike-Marathon bei dem die Stadt für einen Tag insgesamt über 100 Km Straßen sperrt und an dem mittlerweile über 30.000 Radler, darunter ein gehöriger Teil von außerhalb der USA, teilnehmen.
Ich kurve in dieser Stadt am liebsten alleine oder zu zweit rum. Auch auf den neuen Radwegen, wenn es sich so ergibt. Aber auf denen kann man das nur selten bequem nebeneinander. Dafür ist die Mehrzahl einfach zu schmal. Obendrein ist man dort häufig, wie in Deutschland, gezwungen zu nahe an den parkenden Autos vorbei zu fahren. Da bleibe ich doch lieber beim alten New York Bikestyle. Auch heute abend, wenn es mal wieder rüber nach Manhattan zum Tangotanzen geht.
Diese Story wurde bei den Ruhrbaronen von mir schon einmal in 10 Folgen veröffentlicht. Jetzt kann sie auf vielfachen Wunsch am Stück herunter geladen werden.
1. From No Go to Must Be
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich zum ersten Mal nach Williamsburg kam. Es war im Sommer 1985 an einem dieser feucht-heißen „Nothing is hotter than July“ Tagen. Die damals ziemlich runter gekommenen Waggons der JMZ-Linie, auf der NYC-Subway-Map auch heute noch braun eingezeichnet, hielten kreischend an der ersten Station in Brooklyn. Sie waren davor, vollgepackt mit mehrheitlich farbigen Passagieren, durch das Stahlgestrüpp der Williamsburg-Bridge über den East River gekrochen um danach aufgeständert in einem knappen Bogen über dem Broadway zu landen. Ja, Brooklyn hat auch einen Broadway, und der führt tief ins Innere dieses Mehr-Millionen-Boroughs, der vor der Eingemeindung nach New York City die viertgrößte Stadt der USA war.
Die Williamsburg Bridge, die zu diesem Zeitpunkt vor Rost nur so strotze, ist eine der schönsten Brücken der Stadt. Komplett aus Stahlstäben gebaut die mit Abermillionen von Nieten zu einem 1,6 Km langen Ingenieurkunstwerk zusammengesetzt worden sind. Sie verbindet Williamsburg mit der Lower-Eastside in Manhattan, damals noch „Loi Saida“, genannt, weil sie zum größten Teil von Latinos bewohnt wurde. Genauso wie zu diesem Zeitpunkt auch ein großer Teil ihres städtebaulichen Gegenübers in Brooklyn.
Ihre fußläufige Überquerung galt in der Dunkelheit als lebensgefährlich. Tagsüber war sie die „Poor-People-Bridge“, denn sie wurde vor allem von Leuten begangen, die sich nicht mal die U-Bahn leisten konnten, aber trotzdem jeden Tag zur Arbeit nach Manhattan mussten. Wer genug Geld hatte nahm sich nachts ein Taxi über dir Brücke und musste sich daran gewöhnen, dass der Fahrer wie automatisch die Sicherheitsknöpfe der Türen betätigte, wenn er ihren Scheitelpunkt passierte.
Manche, in der Regel weiße, Fahrer weigerten sich zu diesem Zeitpunkt sogar überhaupt über die Brücke Richtung Brooklyn zu fahren. Sicherheitshalber nahm man sich einen der schwarzen Chauffeure, weil die, bis heute, in der Regel überall hin fahren. Seit einigen Jahren gondeln allerdings alle Taxifahrer gerne über die Brücke, weil auf der anderen Seite statt Gefahr eine Menge Touren auf sie warten. Williamsburg ist nämlich mittlerweile einer der hippsten Stadtteile vom ganzen Big Apple. Mit Sicherheit aber zur Zeit der bekannteste Neighbourhood in Brooklyn.
Was die internationale Kunstszene betrifft, gilt dieser Stadtteil seit der Jahrtausendwende sogar als Must Go Arrea. Als ich dort zum ersten Mal auftauchte wäre das dort niemandem auch nur im Traum eingefallen. Dabei hatte mich ein Künstler dorthin eigeladen, den ich ein paar Tage vorher auf eine Party in Manhattan kennen gelernt hatte, und der in den folgenden Jahren ein guter Freund wurde. Er hatte mich allerdings vorgewarnt. Ich sollte möglichst von der U-Bahn aus direkt den Bus benutzen, sprich möglichst wenig zu Fuß gehen.
Drive-By-Shootings waren zu dieser Zeit in bestimmten Stadtteilen New Yorks bei Drogendealern gerade in Mode geraten und Williamsburg gehörte dazu. In solchen Fällen hatte man sich nach dem ersten Schuss sofort flach auf den Boden zu werfen und, wenn Kinder dabei waren, diese fest an sich, ja noch besser unter sich zu drücken. Das geschah nicht täglich, aber einmal im Monat konnte man fest damit rechnen, und man wusste nie genau wo. Überfälle waren dagegen in solchen Stadtteilen an der Tagesordnung. Aber auch hier gab es Regeln. Geld abgeben und Fresse halten. Kein Versuch sich zu wehren. Keinen einzigen!
Besser war es auch, immer etwas Geld dabei zu haben. Die Superdroge Crack hatte zu diesem Zeitpunkt die Stadt gerade begonnen in den Griff zu nehmen und die Jungs- und Mädels die dringend neuen Stoff brauchten waren nicht zimperlich, wenn es bei den Überfallenen gar nichts zu holen gab. Sie waren selbst für Leute die sich an den Straßenraub gewöhnt hatten nicht mehr einzuschätzen.
Also nahm ich treu den Bus und als ich in der Nähe des uralten Fabrikgebäudes ausstieg, in dem S. wohnte hatte ich gehörigen Schiss. Müll auf der Straße. Jedes dritte Gebäude war zugenagelt oder nur zum Teil bewohnt. Aber die Leute auf den Straßen machten nicht den Eindruck, dass sie mich gleich überfallen wollten. Sie waren jedoch sichtlich erstaunt, dass sich ein gut gekleideter Weißer in ihre Gegend wagte.
Ich traute mich nicht nach dem Weg zu fragen und fand, weil ich das New Yorker Straßensystem mittlerweile durchschaut hatte, selbst zur Berry Street Ecke South Third. Ich nahm den kürzesten Weg, was Eingeweihte in solchen Stadtteilen eben nicht unbedingt tun, und zwar genau weil sie sich dort gut auskennen. Zu jeder No Go Arrea gehörten nämlich noch die No No Go Bereiche, die aber meistens nur ein einzelnen Block oder sogar nur eine Block-Straße oder -Ecke ausmachten. Davon gab es in Williamsburg einige und einer davon genau da wo ich her spazierte. Aber das Glück ist bekanntlich mit den Anfängern.
Später lernte ich solche Ecken nicht nur in diesem Stadtteil zur riechen bevor ich sie passierte. Über die Monate und Jahre lernte ich alle sozialen und baulichen Symptome zu lesen, die die verschiedenen Abstufungen von Gefahr in dieser Stadt sichtbar machten, bevor man so weit drin steckte, dass es wirklich riskant wurde.
Heute kann man sich nicht nur durch Williamsburg ohne jede Angst bewegen. Ich habe diesen Wandel von der No Go zur Must Go Arrea vor allem in diesem Viertel über nun fast 25 Jahre hautnah mit bekommen, denn ich habe seit 1985 fast jedes Jahr für mindestens 2 Monate dort gelebt und werde im Folgenden berichten, wie in dieser Zeit aus dem verrotteten und gefährlichen Viertel, nur eine U-Bahnstation von Manhattan entfernt, ein heute so genanntes Kreativquartier wurde. Eines über das mittlerweile auch das weltweite Feuilleton und die Reisemagazine berichten, die allerdings sehr wenig darüber wissen, wie so ein Prozess in Wirklichkeit verläuft und was er für die Leute vor Ort bedeutet.
2. Gute Aussichten
Den Hauptgrund für die kommende Aufwertung von Williamsburg bekam ich im wahrsten Sinne zu sehen, nachdem ich von S. an der mehrfach verriegelten großen Stahltür des 8-stöckigen Fabrikgebäuds abgeholt, mit einem uralten klapperigen Lastenaufzug in das oberste Geschoss geholpert und dort durch eine weitere mit 3 Schlössern und einem inneren Querbalken verschlossen Eisentür in ein riesiges, rundum verglastes, Loft geführt wurde. Der unverstellte Blick auf Manhattan und die Williamsburgbridge.
Genauer gesagt auf drei Brücken, denn hinter der stadtteilbezogenen Wasserüberführung reihte sich noch die Manhatten- und die Brooklynbridge- in südlicher Blickrichtung auf. Noch überwältigender war jedoch der Besuch des direkt über dem Loft liegenden riesigen flachen Dachs mit dem typischen aufgeständerten Wasserbehälter. S. hatte sich die oberste Fabriketage mit einer Künstlerkollegin geteilt, wobei sie den kleineren Teil, dafür aber die eigentliche Wassersichtfront mit östlichem direktem Blick auf Manhattan bekommen hatte. Dafür hatte S. sage und schreibe 600 m² mit den drei anderen Blickseiten von den 2, die südliche und die nördliche , wenn auch seitlich, ebenfalls die Skyline im Visier hatten. Nach Westen konnte man weit über Brooklyn selbst schauen.
Auf dem Dach aber gab es die Totale und das übertraf alles was ich auf den Rooftops in Manhattan mit Ausnahme vom, damals noch existierenden, World Trade Center und vom Empire State Building gesehen hatte. Die Skyline war von außen gesehen nämlich mindesten so beeindruckend wie von innen. Von hier aus war sie einmal in der ganzen Länge zu betrachten. Von Downtown bis Midtown. Selbst die Queensboroughbridge, die wie der Name schon sagt, den gleichnamigen Borough mit Manhattan verbindet und ebenso mächtig und filigran wie die Williamsburgbridge ist, war von hier aus im ständigen Blickfeld.
Dieses Panorama war und ist der Grund für das, was die folgenden 25 Jahre mit ganz Williamsburg geschehen sollte: Die sogenannte Gentrification. Das gab es nämlich auch dann zu sehen, wenn man hier nicht so hoch wohnte und zwar am Wasser. Ebenso unverstellt, noch direkter und für alle. Die Williamsburg-Waterfront war aber zu diesem Zeitpunkt nur an wenigen Stellen zugänglich, denn die Blocks entlang des Eastriver waren immer noch gewerblich-industriell genutzt, wenn auch bei weitem nicht mehr so intensiv wie noch in den 60ger und 70ger Jahren. Aber die Deindustrialisierung New Yorks war zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange und die gewerblichen Leerstände nahmen ständig zu.
So waren S. und seine Künstlerfreunde auch an ihre Lofts gekommen. In den ersten 5 Etagen ihrer Fabrik wurde jedoch noch körperlich schwer gearbeitet. Einer der vielen sogenannten Sweatshops auf Niedrigstlohnbasis die zu diesem Zeitpunkt noch in New York mit ihrer Verlagerung in die Entwicklungsländern konkurrieren konnten. Die Latinos der Umgebung fanden hier noch bezahlte Arbeit, mussten dafür jedoch Arbeitsbedingungen akzeptieren, die auch den New Yorker Behörden die Haare hätten zu Berge stehen lassen, wenn sie den vorbei gekommen wären. In solche Gegenden kamen die städtischen Ordnungskräfte aus gutem Grunde jedoch nicht so oft und die Arbeitslosigkeit in solchen Vierteln war so hoch, dass die, die dort noch Arbeit fanden, froh waren, dass sie überhaupt eine hatten.
Wenn man jedoch von dem Panoramablick auf dem Dach oder aus den riesigen fabrikmäßigen Fenstern eingefangen war, vergaß man das alles sehr schnell. Erst recht wenn man wusste, wie billig er war. S. zahlte für das ganze Loft nicht mehr als 600$, also etwas mehr als 1$ pro Quadratmeter. Und das eine U-bahn-Station von Manhattan entfernt. Er war genau deswegen aus Manhattan weggegangen. Dort konnte ein junger und noch nicht erfolgreicher Künstler selbst in der letzten Bruchbude im Keller die Miete nicht mehr bezahlen. Heute können es selbst die Erfolgreichen kaum noch.
Jetzt wird das auch in Williamsburg immer schwieriger. S. wurden vor ein paar Monaten mehrere 100.000$ von seinem Landlord geboten, wenn er nur endlich ausziehen würde. Der Umzug selbst würde ihm natürlich sowieso bezahlt. Seine Miete ist auch schon lange höher als zu Anfang. Aber durch die für amerikanische Verhältnisse immer noch recht mieterfreundliche Gesetzgebung des Staates und er Stadt New York, ist sie, dank eines kunstgesonnenen Rechtsanwaltes, den S. in Ermangelung von Bargeld immer nur mit Bildern entgolten hat, für ihn immer noch bezahlbar. Im Verhältnis zu den jetzigen Neuvermietungen sogar spottbillig. Was seinen Landlord natürlich in den Wahnsinn treibt.
Arbeitsplätze gibt es in der Fabrik überhaupt keine mehr. Dafür ein neuer Aufzug, der gesetzlich die Voraussetzung für die offizielle Wohnvermietbarkeit schafft und damit für enorme Mietsprünge bei Neuvermietungen.
Hintergrund ist ein lange Kampf der New Yorker Immobilienkamarilla zur Veränderung der Bodennutzungsregelung in Williamsburg, die am Wasser vor allem industrielle Nutzung vorsieht bzw. vorsah. Sie haben ihn am Ende gewonnen, mussten dabei aber ein paar Kompromiss mit der Bevölkerung schließen, die gerne noch gewerbliche Arbeitsplätze im Stadtteil behalten hätte. Nicht zuletzt weil die ihrer insgesamt eher niedrigen Ausbildung entsprachen.
3. Im Visier der Spekulanten
Die metropolitane Immobilienindustrie, New York nennt sich nicht umsonst „The Worldcapital of Real Estate“ , hatte zu dieser Zeit schon länger eine Blick in die „Outer Boroughs“ geworfen. Die Entdeckung der Urban-Waterfront war seit dem spektakulären städtebaulichen Projekt Battery-Park-City in vollem Gange, aber noch sehr stark auf die Wasserlinie um Manhattan fokussiert.
Die weitsichtigeren unter New Yorks Immobilienspekulanten, die örtlichen Banken eingeschlossen, hatten Williamsburg jedoch schon im Visier. Ebenso den heute so genannte DUMBO-Bezirk unterhalb der Manhattan-Bridge, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls hafenzugehöriges Gewerbegebiet mit riesigen Lagerhäusern war. Down Under the Manhattanbridge Overpath, wie DUMBO mit vollem Namen heute heißt, wurde jedoch aus einer (Immobilien)Hand entwickelt, während Williamsburg von mehreren Developern und lokalen Hauseigentümern/Spekulanten stufen- und straßenweise in den Griff genommen wurde.
Williamsburg war nämlich außerhalb seiner Waterfront noch zum großen Teil bewohnt und DUMBO war reines Gewerbegebiet mit damals schon größeren Leerständen. Umgewandelt musste die arbeitsbezogene Waterfront jedoch in beiden Fällen werden ehe damit richtig Geld verdient werden konnte, und zwar in ein Wohngebiet mit eben dem spektakulärem Blick auf Manhattan, der ich mich bei meinem ersten Besuch von S. so fasziniert hatte.
Sowas dauert auch im schnellen New York sehr sehr lange. Und in Williamsburg wuchs in der Zeit etwas heran, was die Developer zwar nicht geplant, was ihn aber letztlich die beabsichtigte Aufwertung erheblich erleichtert hat. S. und seine Freunde waren nur die erste Vorhut von etwas, das in nur wenigen Jahren zur regelrechten Invasion werden sollte. Die Übernahme der reichlich vorhandenen gewerblichen und wohnungsmäßigen Leerstände durch die heute so genannten „Kreativen“.
Williamsburg galt in der Stadt nicht nur als arm und gefährlich. Es war es auch. Wenn auch weniger als das nicht weit davon gelegenen Bushwick oder das gänzlich schwarze sogenannte BedStuy, ausgeschrieben Bedford Stuyvesant, das durch die späteren Filme bzw. „Joints“ von Spike Lee, dem ersten in Amerika und später auch in Europa berühmten schwarzen Regisseur, bekannt wurde. Er war zu der Zeit, als ich Brooklyn zum ersten Mal aufsuchte, knapp über 20 Jahre alt und hatte seinen ersten Independent Film gedreht: „She´s gotta have it“. Eine wundervolle Komödie über eine Afroamerkanerin aus Brooklyn die gleichzeitig mit 4, natürlich afroamerikanischen, Männern flirtete. Natürlich in schwarz weiß gedreht. Und Spike Lee war nicht nur Regisseur sondern auch einer der 4 schwarzen (Proto)Typen, die er nicht nur als Schauspieler sondern auch als Director witzig und selbstironisch persiflierte bzw. persiflieren ließ.
Nicht nur das schwarze New York lachte sich einen Ast, aber alle weißen New Yorker wussten natürlich, dass keiner von ihnen diesen Film hätte genauso drehen dürfen. Und Spike Lee wusste das natürlich auch. Am meisten schmunzeln musste natürlich alle, dass einer der Liebhaber aus Manhattan kam. Er war affektiert, selbstverliebt und obendrein kein guter Liebhaber, und diese Anspielung verstand natürlich auch ganz New York. Der ewige Zwist zwischen den (eingebildeten) Manhattanies und den (ehrlich-offenen) Brooklynites, den ich erst später so richtig durchschaute.
Jahre danach lernte ich nämlich beim Tango im Central Park ein wunderbares und eingefleischtes Manhattangirl kennen. Es oder besser sie ist mir bis heute eine sehr gut Freundin , war aber erst vor einem Jahr bereit, mit mir nicht in Manhattan sondern in Brooklyn essen zu gehen, weil man das, außer bei Peter Lugers, dort genauso wenig könnte wie wohnen. Peter Lugers galt auch schon zur Zeit meines ersten Williamsburgvisite als das beste Steakhouse von ganz New York.
Man musste sich mindestens eine Woche vorher dort einen Tisch buchen. Die Limousinen standen in Reihe vor der Tür und die Security. Denn das wunderschöne alte Brownstongebäude, in dem der deutsche Einwanderer Peter Luger Ende des 18. Jahrhunderts sein Restaurant eröffnete, stand zwar nicht weit von Manhattan, genauer gesagt am Brooklynfuß der Williamsburg Bridge. Aber eben der Williamsburg- und nicht der gar nicht weit davon entfernt gelegenen Brooklyn Bridge.
Da stand und steht heute das weltberühmte River-Cafe direkt am Wasser und man konnte dort, und kann natürlich auch heute noch, an warmen Sommerabenden unbeschwert draußen herumlaufen, um die Skyline von Downtown Manhattan in der Abendsonne erglühen zu sehen. Wenn man aus Peter Lugers raus kam, wollte man dagegen ganz schnell in die mitgebrachte Limo mit Fahrer oder in das nächste Taxi. Da es aber in der Gegend aus verständlichen Gründen nicht viele gab, hatten die Manager von Peter Lugers selber welche angeheuert, die immer abfahrbereit zur Verfügung standen.
Heute würde einem das kaum einer mehr glauben, denn die Williamsburg Waterfront ist mittlerweile genauso so sicher wie die Wasserterasse des River Cafes. Und viel größer. Damals allerdings standen dort bedrohlich leere und herunter gekommen Lagerhäuser, die riesige und noch aktive Domino-Sugar-Raffinerie und einige der zentralen Müllverarbeitungs- und Weitertransportstationen der Stadt New York. Alles was die Manhattanies halt nicht mehr so haben wollten. Und genau so sahen das auch die noch verbliebenen Einwohner von Williamsburg.
Anders die Künstler und Studenten in Manhattan. Sie waren auf Grund ihres in der Regel knappen Budgets dort immer mehr unter Druck geraten. Soho war schon komplett gentrifiziert bzw. zum high-class-shopping-quartier mutiert. Die Lower Eastside und das East Village standen kurz davor, bzw. war die Sache rund um den Tomskin Square schon wohnungsmäßig in vollem Gange. Den ebenso herunter gekommenen und drogenverseuchten Unionsquare versuchten die Stadtväter durch eine Dependance der New York University zurück zu erobern und hatten damit in den kommenden Jahren auch zunehmend Erfolg.
In der Welthauptstadt der Immobilienspekulation hatte das jedoch eine unausweichliche Folge: kontinuierliche bis exponentielle Mietpreissteigerungen. In dieser Zeit schrieb eine Studentenzeitschrift, ich glaube sogar die der Columbia Universität, dass Williamsburg eigentlich gar nicht so unsicher sei wie behauptet würde und nur eine Station von Manhattan entfernt läge. Was eindeutig stimmte. Und vor allem insgesamt nur 4 U-bahnstationen vom Union Square, an dem die neue Filiale der NYU entstand. Mit einem mal war damit eine U-Bahnlinie ins Bewusstsein der Stadt gerückt, die bislang – mit Ausnahme der Brooklynites die sie regelmäßig benutzen mussten – kaum jemand kannte: Die L-Linie.
Sie läuft im wahrsten Sinne des Wortes quer durch Manhattan um dann unter dem Wasser nach Brooklyn vor zu stoßen. Über Williamsburg und Bushwick geht sie dann über die Broadway-Junction tief in ein Stadtgebiet, das man in Manhattan nur vom Hörensagen kannte. Das heute sogenannte L-Country. In dem kurzen Stück innerhalb Manhattans heißt sie auch die 14Th Street Line, weil sie von der 8Th Avenue komplett und genau unterhalb dieser Verkehrsader verläuft.
Dadurch hat sie verkehrstechnisch einen für ihre Nutzer überzeugenden Vorteil: Sie quert nicht nur alle wichtigen Subwaylinien Manhattans, sondern sie erlaubt dank ihrer Bahnhöfe auch den schnellen Umstieg in jede von ihnen. Selbst zur Columbia Universität in Harlem ging es dadurch, dank des Express-Local-Systems von Brooklyn aus vergleichsweise schnell. Aber nur wenn man in Williamsburg, also genau auf der anderen Seite des Eastriver, eine Studentenbude hatte. Möglichst nah am ersten L-Haltepunkt hinter dem Fluss. Der hieß damals wie heute Bedford Avenue und um ihn herum ist mittlerweile das äußerst quirlige, hippe und mittlerweile auch teure Zentrum des neuen Williamsburg entstanden. Als ich die Bedford Avenue zum ersten Mal in meinem Leben entlang lief, und sie ist verdammt lang, war sie das genau Gegenteil.
4. Von den Szenepionieren zu den „Szenebuildern“
An der Bedford gab es mit der Ausnahme von zwei kleinen öden Bierkaschemmen keine Kneipe weit und breit. Vom christlich-polnischen Greepoint bis zum jüdisch orthodoxen Viertel südlich der Williamsburg Bridge gab es außer Peter Lugers nur eine einzige ernst zu nehmende Bar: das Teddys.
Aber diese heute noch existierende Kneipe liegt nicht an der Bedford Avenue sondern an der in gleicher Richtung laufenden Berry Street. An der Bedford gab es einen polnischen Metzger und einen italienischen Bäcker nahe der North 7th. Nicht weit davon eine noch heute von einheimischen Latinos betrieben Pizzeria und insgesamt zwei sogenannte Stehchinesen bei denen man auf ein paar abgewetzten Stühlen vor uralten resopalbeschichteten Tischen auch sitzen konnte.
Das eigentliche „Einkaufszentrum“ von Williamsburg lag damals entlang des Broadway unterhalb der darüber aufgeständerten und schon erwähnte JMZ –Linie. Genau auf der Grenze zwischen dem jüdischen und lateinamerikanischen Williamsburg. Ein kulturelle Demarkationslinie die drastischer nicht ausfallen konnte, denn es gibt nichts Kontradiktorischeres als der Unterschied zwischen dem Outfit einer lebenslustigen Latina und einer strenggläubigen Jüdin.
Die immer schwarz und mit Käppi und/oder Hut gekleideten jüdischen Männer mit ihre langen gekräuselten Schläfenlocken, den Bärten und den breitkrempigen Hüten vielen ebenfalls schon auf 100 Meter Entfernung zwischen den meistens wesentlich kleineren in der Regel mit Basecap behüteten männlichen Latinos auf. Die damals wie ein Fort bewachte und gesicherte örtliche Poststelle lag und liegt heute noch, wenn auch nicht weit vom Broadway entfernt, auf Latinogebiet.
Ansonsten gab es fast an jeder Straßenecke die üblichen kleinen vollgepackten, überteuerten und durch jede Menge Stahl gesicherten „Marcetas/Markets“ für die Nahversorgung. Sie wurden in der Regel von Latinos betrieben, die zwischen dem polnischen und dem jüdisch-orthodoxen Williamsburg entlang der Bedford Ave die Mehrheit der Bewohner stellten. Dazwischen haben sich in den letzten 2 Jahrzehnten kontinuierlich die mehrheitlich weißen Neubewohner geschoben und dabei vor allem die Polen und die Latinos verdrängt, bzw. deren angestammten Wohngebiete dezimiert.
Zu Anfang die Künstler und Studenten, später immer mehr gutverdienende Yuppies und junge wohlhabende Familien. Bevor jedoch die Letzteren in Williamsburg das Straßenbild bestimmten, musste erst der berühmt berüchtigte Sicherheitsfaktor erhöht werden. Auch als aus den ersten Pionieren eine kleine Community geworden war, waren Straßenüberfälle und andere gewalttätige Auseinandersetzungen in L-City nämlich nichts Ungewöhnliches. Sie hatten sogar manchmal eine geradezu absurde Note, wenn man nicht selbst betroffen war.
Ich hatte mittlerweile zusammen mit der Universität Aachen und der Columbia-Universität ein großes Studentenprojekt vorbereitet, dessen Kern ein 3monatiger Entwurfsworkshop im Loft von S. war. Mit insgesamt 120 Studenten. Die waren jedoch nicht alle gleichzeitig da, sondern reisten jeweils in 10-20ger Gruppen an, um dann 2 Wochen intensiv vor Ort zu arbeiten und zu recherchieren. Eine der anstrengendsten Zeiten meines ganzen Lebens, denn ich war der einzige fachliche und soziale Betreuer dieser jungintellektuellen Rasselbande.
Insgesamt hatten wir in dieser Zeit drei Überfälle, 2 Diebstähle und die völlige Zerstörung eines Leihwagens zu verzeichnen. Die Überfälle fanden in den drei damals klassischen Formaten statt: Messer, Baseballschläger und Pistolen. Alle glücklicherweise ohne jeden Personenschaden, denn alle StudentInnen waren von mir und S. direkt nach ihrer Ankunft ausführlich in „Streetsmartness“ unterrichtet worden. Und natürlich ohne das einer der Täter je von der Polizei gestellt wurde.
Eines Abends schlugen wir uns mal wieder zu Teddys durch. Wir waren guter Laune bis von Hinten jemand „Attention“ brüllte. Wir sprangen sofort auseinander und zwischen uns durch raste ein junger Schwarzer mit irgendetwas, um das er fest seine rechte Hand klammerte. 10 Meter vor uns drehte er im vollen Lauf noch mal kurz den Kopf und rief „Sorry“. Ehe wir aus dem Staunen heraus kamen rannte schwer atmend ein älterer Latino mitten zwischen uns durch. In einer Hand ein längeres Messer und offensichtlich der Verfolger des flinkeren Afroamerikaners. Und auch er drehte nach einigen Metern noch mal kurz seinen fast kahlen Schädel zu uns und brachte, wenn auch nicht so glasklar wie sein Vorläufer, ein deutlich hörbares „Sorry“ heraus.
Das war genau das, was Prince viel später in seinem wundervollen Song „Style“ präziser besungen hat. „ I got no job, but I got style“. Man könnte die beiden Protagonisten dieser Geschichte aber auch im wahrsten Sinne des Wortes als Vorläufer der Street Art bezeichnen, von der die spätere Künstler-Community Williamsburg behauptet, dass sie sie erfunden habe. Mit Sicherheit kann ich jedoch sagen, dass sie im Straßenraum Williamsburgs mindestens 10 Jahre eher ästhetische präsent war, als in Berlin. Zu der Zeit allerdings gab es noch keinen der in den üblichen Gazetten über Williamsburg schreiben wollte. Das etablierte Feuilleton hat es halt auch gerne etwas sicherer, ehe es auf Entdeckungsreise geht.
Für eben diese Sicherheit sorgte dann die Künstler- und Studenten-Community von Williamsburg selbst. Zusammen mit den angestammten Bewohnern, die die Zuzüglinge erst einmal sehr skeptisch beobachteten. Über die Jahre stellte sie jedoch fest, dass die Neuen auch Vorteile brachten. Der wichtigste war ihre Anwesenheit selbst. Und zwar auf den Straßen und das auch am Abend. Denn Künstler und Studenten gehen halt gerne aus. Und wenn es nichts in der Nähe zum Ausgehen gibt und die Restos in Manhattan viel zu teuer sind, dann machen die sich schon mal selbst ihre Kneipen auf. Dann sind auch im Dunkeln mehr Menschen auf der Straße und das macht die Straßen sicherer und die Überfälle weniger.
Erst recht wenn man dabei mit der Polizei zusammenarbeitet, bzw. diese sofort informiert, wenn was passiert, oder aber sie immer wieder drängt, endlich was zu unternehmen. Oder aber, wenn man sich einen bedrohlich aussehenden Hund kauft, der einen Nachts begleitet, wie es vor allem viele der weiblichen, heute so genannten Kreativen, in Williamsburg zu dieser Zeit getan haben. Wenn man dann das preiswert gemietete und selbst renovierte Fabrikloft auch, noch preiswerter, an die etwas Mutigeren unter den Touristen untervermietet, kommen noch mehr Leute ins Viertel, füllen die selbst eröffneten Kneipen und die Straßen die zu ihnen führen weiter auf.
Die Polizei fühlt sich ab da in einem solchen Stadtteil auch (wieder) wohler, weil sie sich von der Bewohnerschaft beim Kampf gegen das Verbrechen unterstützt fühlt. Sie kommt häufiger, was wiederum die Straßensicherheit erhöht und das lockt wiederum neue Leute in den Stadtteil, die sich bislang nicht getraut haben, und das wiederum vermehrt das Straßenleben und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. So geht allmählich die Zeit der Pioniere in die Zeit der sogenannten Scenebuilder über.
5. Nachbarschaftsgärten und Hausbesetzer
Schießereien, im Williamsburg sowie schon weniger als zum Beispiel in Bed Stuy, in der South Bronx oder in Central Brooklyn, wurden nach dem Zuzug der mutigen jungen und meistens engagierten Leute im Williamsburg zur absoluten Seltenheit. Es gab weiterhin die No-No-Go Arreas, aber die Stadtteilbereiche außerhalb dieser besonderen Risikozonen wurden immer sicherer. Die Hot-Zones wurden sozusagen eingehegt und ansonsten systematisch weiter gemieden. Die leeren Häuser wurden entweder ganz abgerissen oder renoviert und neu bewohnt. Da, wo nur leere Brachen überblieben wurden Nachbarschaftsgärten angelegt und/oder Selfmade-Autoreparaturen und Ersatzteillager errichtet.
Die Stadtverwaltung mischte sich ebenfalls positiv in diesen Verbesserungstrend ein, in dem sie Grundstücke die ihnen gehörten, dafür auch offiziell frei gab. Die örtlichen Kirchen unterstützen sogenannte Hausbesetzer mit Baumaterial und Expertenwissen. Die Kreativen-Community passte in dieses Selbsthilfe-Konzept bestens hinein, denn sie verdrängte zu diesem Zeitpunkt niemanden und war sogar Vorbild für die nun sich immer stärker entwickelnde Eigeninitiative der Bewohner.
Den eigentlichen künstlerischen Aktivitäten stand die lokale Mehrheitsgesellschaft jedoch eher skeptisch bis gleichgültig gegenüber. Auch den Szenekneipen und Galerien die mit der Phase der Szenebilder in den Stadtteil kamen. Aber auch die besetzen Leerstände und belebten damit das Viertel weiter. Im Gegensatz zu den Galerien und Künstlerstudios/Lofts waren die neuen Restaurants auch für die Polen und Latinos interessant. Zumindest für die, die sie bezahlen konnte, was nicht so schwierig war, weil die Preise sich dort auch für sie als erschwinglich herausstellten.
Obendrein nahm die Arbeitslosigkeit in Williamsburg langsam aber sicher ab, weil die ganze Stadt, ja die gesamte USA wieder Jobs für die Unterschicht anzubieten hatte. Es kamen die golden Jahre der Gentrification, denn alle im Stadtteil hatten was davon. Die Zugezogenen und die, die es in der Krise dort aus- und durchgehalten hatten. Der Stadtteil wurde immer sicherer, immer interessanter und vor allem ordentlicher. Der Müll auf den Straßen verschwand vollständig, es gab keine hohlen Fenster und Türlöcher mehr, und da wo es sie noch gab, da waren auf einmal ordentliche Zäune drum herum oder sogar Baugerüste die auf baldige Renovierung hinwiesen.
Die älteren Bewohner saßen wieder, wie früher, bei angenehmem Wetter auf der Treppe vor dem Haus. Auch nach dem es dunkel geworden war. Die jungen Leute saßen vor ihren immer noch etwas schmuddelig aussehenden ehemaligen Lagerhäusern und Fabriken, oder auf deren Dächern und schwätzen bis tief in die Nacht. Die Straßen der Latinos waren in den warmen Sommernächten wieder voller Salsa Musik zu der gerne auch auf der Straße getanzt wurde. Es gab sogar wieder eine kleine Stadtteilsalsoteca in der man fantastische Bands hören konnte. Beim Zuhören und dazu tanzen blieben die Latinos aber unter sich. Wie in ihren öffentlich und/oder kirchlich geförderten Kultur- und Sozialklubs.
Aber auch die jungen mehrheitlich weißen Zuwanderer brachten zunehmend ihre eigene Musik mit. Die ersten House-und Punk-Clubs entstanden aus privaten Roof- und Loftparties. Später kam Jazz und Rock dazu. Es war zunehmend, so sagten mir die Eingeweihten, wie in den Siebzigern in der Lower East Side in Manhattan. Damals war es da auch noch billig und sehr bunt. Als wäre das Eastvillage über das Wasser nach Brooklyn gesprungen. Es war auch das gleiche Aufbruchsgefühl. Nur dass die Leute jetzt viel jünger waren. Das konnte man zunehmend auch auf den Straßen von Williamsburg sehen.
Jugend und Aufbruch gingen in Williamsburg Hand in Hand. Die, die dazu kamen, waren immer noch jünger, als die, die schon ein paar Jahre an diesem Ort auf dem Buckel hatten. Und damit kam auch der neue Style. Das was später als LoFiBo-Mode in die Welt ging, wurde in Williamsburg, so sagen zumindest die Lokalpatrioten, geboren, und die Bedford Avenue wurde von der immer belebter werdenen „Hauptstraße“ zugleich auch zur dazu gehörigen Flaniermeile.
Der Ursprung der Low-Finance-Bohemien Coture war ein riesiges Lagerhaus an der Kent Street in dem man kiloweise Second-Hand-Klamotten kaufen konnte. Zu einem Spottpreis, was vor allem meine weiblichen Studenten, nach dem sie diesen Schuppen entdeckt hatten, dazu brachte, regelmäßig mit dem doppelten Gepäck nach Hause zu fahren, bzw. zu fliegen. Da war dieser Laden noch ein absoluter Geheimtipp. Die neuartige, ungewohnt bis abgefahrene Zusammenstellung alter Kleidungsstücke wurde zu einem eigenen ganz individuellen Street-Style, garniert mit Kuriositäten aus der Welt der Kurz- und Schmuckwaren der preiswerten Machart, Jahre später zu einer Art öffentlichem Wettbewerb auf W-Burgs Sidewalks.
Die Gründung eigener klitzekleiner Modelabels war danach fast unvermeidlich und die billigen Räumlichkeiten gab es ja immer noch. Zu den Kneipen, Restaurants und Clubs gesellten sich nun auch die ersten Boutiquen und Minischneidereien. Und die erste Stadtteilzeitung die darüber berichtete. Mittlerweile sind es deren 3 oder 4. Eine davon schon seit vielen Jahren nur mit hoch literarischen Texten. Alle Zeitungen sind umsonst, sprich durch Anzeigen finanziert.
Die erste Buchhandlung kam weit vorher. Zuerst auch nur mit gebrauchten Kunstbüchern. Danach dehnte sie sich Stück für Stück aus und man konnte dort auch neue Bücher bestellen. Um eine wirklich große Auswahl von Geschriebenem und/oder Bebilderten zu bekommen, musste man aber nachwievor rüber nach Manhattan. Auch die Künstlerhardware ist dort bis heute unübertroffen konzentriert. Galerien gibt es jedoch in Williamsburg mittlerweile so viele, dass es mindesten einen Tag braucht nur um sie alle gesehen zu haben.
Verglichen mit Manhattan ist das allerdings immer noch absolut lächerlich. Dort gibt es allein im Stadteil Chelsea 600! davon. Im W-Burg gibt es um die 70! Wobei die Schallmauer 100 in naher Zukunft erreichbar erscheint. Deswegen haben sich die Galerien schon seit längerem auch zu einer eigenen unabhängigen Selbstförderungsorganisation zusammen geschlossen. Aber das geschah erst als die Zeit der Scene-Builder dem Ende zu ging und die Phase der Scene-Seeker begann.
Scenebuilding ist zu einem großen Teil Unternehmensgründung und Professionalisierung. Aus Hobbys und Selbstausbeutung, aus Leidenschaft und Wahnsinn werden richtige Jobs die ihre Inhaber auf Dauer ernähren. Mit vielen Flops aber auch mit zunehmenden Erfolgen. Dazu braucht es aber auch Kunden und Abnehmer und vor allem Produkte die es woanders in der Stadt nicht gibt. Das ist in einer Stadt wie New York nicht so einfach. Dazu braucht es die kritische Masse in der Vielfalt und der Menge der Angebote, die sogenannte Take-Off-Geschwindigkeit in der Entwicklungsdynamik.
Das hängt eng mit dem Sceneseeking zusammen, weil die Kunden aus der eigenen kreativen Community und der sonstigen Nahbereichsbevölkerung nicht ausreichen, um den eigenen Laden auf Dauer ökonomisch tragfähig zu machen. Die Kunden und Besucher aus der Rest-Stadt und darüber hinaus müssen her, die Sceneseekers eben. Die, die genau solche Szeneviertel mögen und gerne dort konsumieren, zumindest aber sich regelmäßig und gerne dort aufhalten. Es galt also die restlichen Brooklinites, vor allem aber die Manhattanies zu „erobern“, bzw. anzulocken.
6. Sehen und gesehen werden
Der Manhattaner Kunstszene, zumindest aber einigen der dortigen Galeristen, war Williamsburg als Künstlerstandort schon sehr früh bekannt. Mein Freund S. hatte es z-B. in die Broadway-Galerie O.K Harris geschafft. Aber die dort Verantwortlichen kamen nie zu ihm, sondern er besuchte sie regelmäßig in Manhattan. Nur dann, wenn es wirklich etwas Neues in seinem Loft anzuschauen gab, kamen Leute aus Manhattan zu ihm.
Ein regeren personellen und informationellen Austausch gab es zwischen Manhattan und Williamsburg erst, als es dort auch Galerien gab, die sich einen, wenn auch kleinen, Rang und Namen am Kunstmarkt erobert hatten. Das gelang ihnen, in dem sie mutiger und innovativer in ihrer Künstler- respektive Kunstauswahl waren und sich eigene Vertriebswege aufbauten. Das Künstlerpotential war dagegen vor der Haustür und es nahm von Jahr zu Jahr zu.
Bis die etablierten Kunstzeitschriften endlich einen Artikel über W-Burg schrieben, bzw. schreiben ließen, vergingen fast 10 Jahre. Aufs Titelblatt schaffte es „Young and Wild W-Burg“ erst Anfang des neuen Jahrtausends. Danach erst begann der Stadtteil wirklich zu brummen. Vorher hatte jedoch schon die New Yorker und vor allem die Manhattan-Clubszene den Stadtteil entdeckt. Ungefähr zeitgleich mit der Gastroszene die sich nicht nur hier einander überlappen.
Auch hier waren es vor allem die jungen Leute, die die Angst vorm imagemäßig immer noch als unsicher geltenden W-Burg auf der anderen Seite des Ost-Flusses verloren. An den Wochenenden schaute man dann doch mal rüber und später auch unter der Woche und musste entdecken, dass sie Gegend ziemlich cool war. Die Gesetze von Sehen und Gesehen werden brachen sich Bahn und je mehr Leute als Besucher hingingen desto mehr kamen neue Besucher hinzu.
W-Burg wurde Kult, bekam den nickname Willi-Burg und nun hatten auch weitere Boutiquen und Restaurants ihre Überlebenschance. Natürlich mussten sie noch hipper sein als die, die schon da waren. Ein richtiggehender Innenarchitektur Wettbewerb begann parallel mit der zunehmenden Mode- und Outfitkonkurrenz der Besucher und der kreativen Community auf der Straße. Die Gebäude und der städtebauliche Gesamteindruck war dagegen, im Verhältnis zu Manhattan nachwievor bescheiden.
Williamsburg war stadtästhetisch immer noch ein hässliches Entlein, dass man nur auf den zweiten Blick schön finden konnte. Aber die Immobilienentwickler saßen diesbezüglich schon in der Warteschleife. Sie hatten zwar schon reichlich Grundstücke und Häuser gekauft, aber die Kunden die sie nach der Generalsanierung und den damit erheblich höheren Mieten beziehen sollten, fehlten noch. Die Besuche des Stadtteils nahmen zwar zu, auch die zuwandernden Künstler, aber nicht die kaufkräftige weil gut verdienende obere Mittelschicht, und schon gar nicht die ökonomische Elite der Stadt.
Die für diese Gruppe so attraktive Waterfront war immer noch nicht in Wohngebiet umgewandelt, denn gerade die auch zahlenmäßig stark gewordene Künstlercommunity wehrte sich in den diesbezüglichen öffentlichen Anhörungen besonders heftig, und die restlichen Bewohner fühlten sich dadurch aufgefordert es ihnen gleich zu tun. Weniger die Hausbesitzer als die Mieter unter ihnen natürlich. Und zunehmend auch die Stadtteilpolitiker, denn die wurden nun mal gewählt und dazu brauchten sie Mehrheiten, und das waren die Mieter und nicht die Landlords von W-Burg.
Die wenigsten Künstler und Galeristen hatten es in der Zwischenzeit zu Hauseigentum gebracht, was für sie natürlich in Anbetracht dessen, was sehr bals auf den Stadtteil zukommen sollte, das Beste gewesen wäre. Bei den zunehmend professionell geführten Restaurants, Clubs und Boutiquen war das jedoch anders. Hier hatten die Betreiber und ihre Berater sehr schnell erkannt, dass es gut ist, nicht nur den Betrieb sondern auch seine bauliche Hülle zu besitzen. Es gab also schon in der goldenen Ära der Gentrification mehr oder eben auch weniger Erfolgreiche unter den Kreativen. Aber sie saßen fast alle noch im gemeinsamen Boot und hatten ein gemeinsames Ziel: die Großspekulanten aus Manhattan von ihrem W-Burg möglichste fern halten.
Das große politische Streitobjekt war dabei natürlich die immer noch für Industrie und Gewerbe vorgesehene Uferzone und vor allem eine kleine grüne Brache zwischen den dort noch bebauten respektive gewerblich genutzten Flächen. Sie war auf Drängen einer mittlerweile gegründeten Bürgerintiative und den Lokalpolitikern von der Stadt New York übernommen worden. In dem mittlerweile auch in ersten Blueprints deutlich gewordenen Traum der Immobilienspekulanten war dagegen auch diese Fläche in eine Reihe von Hochhausbauflächen einverleibt worden, die die zukünftige Waterfront südlich und nördlich der Williamsburg Bridge vor allem vertikal gestalten sollten.
Williamsburg waren solche Highriser bislang aber völlig fremd. Nur einzelne Lagerhäuser und Fabriken waren hier bisher höher als 4 Geschosse, und genau das machte auch den besonderen Village-Charme dieses Viertels aus. Sowohl für die Besucher als auch für die Bewohner. Niemand wollte also die Hochhäuser, die zwar einen fantastischen Blick auf Manhattan, aber dafür keine Fernsicht mehr für den Rest der W-Burger booten. Vor allem aber keine grüne Lunge mehr mit Blick auf Manhattan für alle. Es gab noch einen kleinen weiteren Uferpark, aber der reichte natürlich bei weitem nicht für die in der Zwischenzeit viel zahlreicher gewordenen Bewohner aus.
Der grüne Stadtteil-Park der noch gar keiner war, wurde also zum Identifikationsobjekt und zu einer alternativen Vision für die Zukunft der Waterfront, denn an die Ansiedlung neuer hafenbedürftige Industrien glaubten auch, bis auf die Gewerkschaften, die meisten Alt- und Neubürger des Stadtteils nicht mehr. Er war jedoch, obwohl in öffentlicher Hand, immer noch eingezäunt und nur die immer wieder und eigenhändige und nächtlicherseits vorgenommene systematisch Durchtrennung des Maschendrahtes erlaubte es, durch Gestrüpp und Betonreste der ehemaligen Piers ans Wasser zu kommen.
Dort saßen dann alle friedlich beieinander. Jung und Alt, schräg oder normal, Künstler, Bohemiens und „einfaches“ Volk auf selbst gemachten Liegen und Sitzgelegenheiten und verbrachten, redend, schweigend, lesend und angelnd den Abend und häufig auch die Nacht. Die städtischen Ordnungskräfte gaben es nach einiger Zeit auf, den Zaun immer wieder zu reparieren. Es fanden die ersten Land-Art Aktionen statt, es wurden feste Sitzplätze in Eigenregie gebaut.
Es war eine wunderbar friedliche Insel und der Blick von dort auf die Skyline faszinierte auch mich über viele Jahre bis heute, denn nur der Park konnte gegen die Spekulanten durchgesetzt werden und ist mittlerweile schlicht und doch schön gestaltet, der Treffpunkt aller geblieben. Nur dass es nicht mehr dieselben sind, wie vorher.
Ich wohnte bis vor kurzem mindestens den ganzen Mai und September ganz in der Nähe dieses grünen Treffpunktes. Genauer gesagt nur 100 Meter entfernt in einem Loft in einer umgebauten Lastwagengarage.
7. Vom Lagerhaus zum Loft
Lastwagengaragen bzw. deren Reparaturwerkstätten gab es in Williamsburg zu Hauf. Die Güter auf den Schiffen an den ehemals florierenden Piers des Industrie- und Arbeiterstadtteils Williamsburg, von denen nur noch der an der Raffinerie in Funktion stand, wurden meistens direkt in die Lastwagen umgeladen und dann zu den naheliegenden Fabriken und Lagerhäusern oder sonst wo in die Stadt gebracht. Mit dem niedergehenden Hafen standen dann neben den Lager-, Ver- und Bearbeitungsstätten auch die Transportergaragen zunehmend leer.
Sie wurden von den kreativen Stadtteilzuwanderern mit viel Fantasie nicht nur zu Musikclubs und Restaurants sondern auch zu Lofts um- und ausgebaut. Ihre Höhe und ihre Fläche war dazu perfekt geeignet. Die Baubehörden drückten beide Augen zu bzw. wurden sie gar nicht erst informiert. Erst wenn man erwischt wurde, wurde nachinvestiert und nachgearbeitet. Vor allem was feuer- und hygienerechtliche Bedingungen betraf. Sanitärtechnisch waren die meisten Lofts zu Anfang auf einem sehr niedrigen Niveau ausgestattet.
Die Landlords waren erst einmal nur an der Miete bzw. überhaupt an Einnahmen interessiert, denn die Buden standen vor der Umnutzung oft viele Jahre leer. Sie spielten das Versteckspiel mit und so konnte so ein Umbau viele Jahre ohne große behördliche Kontrolle existieren. Ich hatte die ersten Jahre viele Monate an der Berry Street bei S. verbracht und haben dann Leute kennengelernt, die Lofts monatsweise vermietet haben. In einer dieser umgebauten Garagen, was weniger Blick bzw. mehr Ober- statt Seitenlicht bedeutete, denn die Garagen standen oft mit anderen Gebäuden Seite an Seite in einer Straßenflucht.
Aber da ich sehr viele Zeit außerhalb des Lofts verbrachte war das relativ egal. Erst recht weil es auch eine wunderbare Dachterrasse für alle Mieter gab. Dort trafen sich alle „Lofties“ am Abend. Die meisten waren Künstler, viel davon aus Europa und später auch aus Asien und Lateinamerika. Die Umgangssprache war natürlich englisch bzw. amerikanisch. Manchmal aber auch Deutsch, den zunehmend hatte es sich auch in meinem Heimatland in einer kleinen Szene rumgesprochen, dass es in Williamsburg komplette Lofts auf Zeit und zu einem fairen Preis zu mieten gab.
Die weiteren Treffpunkte waren die Kneipen an und um die Bedford Ave und natürlich unser wilder Stadtpark am Wasser. Kocheinrichtungen gab es die ersten Jahre in den Lofts nur behelfsmäßig, so das man oft zum Essen ausging, was zu diesem Zeitpunkt in der Nachbarschaft sehr günstig war. Es gab zunehmend Auswahl bis man alles an internationaler Küche ein paar Straßen entfernt rauf und runter essen konnte. Und immer noch viel billiger als in Manhattan.
Dort bin ich nur noch zu Mahlzeiten gegangen, wenn ich dort auch unterwegs war und natürlich wegen meiner Freundin J. die sich schlicht weigerte außerhalb von Manhattan Nahrung zu sich zu nehmen. Da die Tangoszene und ihre Lokalitäten sich ebenfalls in Manhattan konzentrierte, und natürlich die Shoopingmöglichkeiten dort insgesamt tausend Mal größer waren, war ich gleichzeitig Brooklinite und Manhattanie. Ich kannte allerdings nach einiger Zeit auch die anderen Stadteile wie meine Westentasche, denn ich fuhr von Anfang an in dieser Stadt leidenschaftlich gerne Fahrrad. Aber das ist eine andere Geschichte.
Viele meiner sporadischen Mitmieter in unserem Loftkomplex hatten, wie die meisten der dauerhaften Zuzügler, diesen Stadtteil ja ausgewählt, weil er so nahe an Manhattan lag und trotzdem zunehmend ein Eigenleben entwickelte. Viele der Künstler arbeiteten in Ermangelung ihres Erfolges in einem ganz normalen Job in Manhattan. Meistens als Hilfskräfte, manche aber auch in einem qualifizierten Job. Eine beliebte Tätigkeit war für das schnelle Zwischedurchverdienen das „Artmoving“.
Die vielen Galerien und Museen in Manhattan setzen mit Vorliebe Künstler als Schlepper- und Transporteure von Kunstwerken ein, weil sie davon ausgingen, dass diese sozusagen naturgemäß vorsichtiger mit dem umgingen was sie zu tragen oder sonstwie zu bewegen hatten. Es gab sogar eine Agentur, die in Williamsburg die schnelle Verbindung zwischen den dortigen Künstlern und den Auftraggebern in Manhattan organsierte. Handys waren zu dieser Zeit noch nicht sehr verbreitet bzw. für die meisten Künstler zu teuer. Festnetz , Kneipe, Straße und Park waren die vorrangigen Kommunikationsmedien respektive Orte.
Roofpartys waren bei entsprechendem Wetter die fünfte große Interaktionsform. Die Szene lud sich dort gegenseitig ein, es gab zunehmenden Unterszenen und immer neue Clubs- und Restos als Treffpunkt, aber alles immer nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Bis später auch die Galerien zu beliebten Meetingpoints wurden. Und danach die ersten gemeinsamen Art- und Musikfestivals die Stadtteilszene gemeinsam organisierte. Alles erfahren konnte man in den Szenezeitungen die zu Anfang monatlich, dann aber wöchentlich erschienen und fast an jedem Treffpunkt auch auslagen. Aber mittlerweile auch, was die größeren Events betraf, in „Time Out“ und „Village Voice“, den angesagten Programm- und Szenemagazinen Manhattans. Heute ist natürlich das Internet hinzu gekommen.
An den Wochenenden kamen dann zunehmend so viele Besucher aus der restlichen Stadt und aus Manhattan dazu, dass sich spezielle In-Kneipen ausbildeten, wo die Szene unter sich bleiben wollte und konnte. Entweder gab es einen bestimmten Dresscode und andere äußere Zeichen oder sie lagen weiter von der Bedford weg als üblich. Oder man traf sich wieder wie früher in den Lofts selbst und feierte dort.
Die erfolgreichen Kreativen hatten meistens auch die Größten und deswegen am besten zum Feiern geeigneten. Die Unterschiede innerhalb des Loft-Lifestyles nahmen, was Ausstattung, Ausdehnung und Lage betraf damit auch zu. Der eigene und dauerhafte spektakuläre Blick auf Manhattan war jetzt auch innerhalb der Szene das äußere Zeichen des Erfolgs. Damit nahm unweigerlich auch die Wohnkonkurrenz innerhalb der Szene zu.
Es gab jetzt, wo der Stadtteil hip wurde, das Loft nicht nur als besonderen Arbeitsort sondern auch als neues Statussymbol, vor allem wenn man noch erfolgreichere Kreative aus dem nach wie vor unerreichbaren Manhattan beeindrucken wollte. Die Landlords wussten das natürlich und die Kauf- und Mietpreise für diese Räume stiegen an. Entsprechend entstanden die ersten nur auf Williamsburg fokussierten Immobilienbüros. Natürlich an der Bedford und Umgebung. Zu Anfang kleine Butzen im Souterrain, dann immer protzigere Läden mit einer großen mit vielen Angeboten bestückten Fensterfront.
Die Leute die meine Loft umgebaut und vermietet hatten, waren so klug gewesen für den ganzen Komplex von vorne herein einen langfristigen Vertrag abzuschließen. Die, die das nicht getan hatten, wurden sehr bald mit Mieterhöhungen konfrontiert, die, wenn sie sie nicht bezahlen konnten, unweigerlich zum Auszug führten. Mit dem vorhanden Mietbudget musste man dann den guten Lagen entsagen und sich woanders eine neue Bleibe suchen. So wurden auch die Teile Williamsburgs von den Zuzüglern infiltriert, die bislang davon verschont worden waren, was wiederum dort die Mieten tendenziell steigerte.
Damit war die friedliche Phase der Gentrification zu Ende. Jetzt kamen nicht mehr Leerstände und untergenutzte Räume ins Spiel sondern schon bewohnte. Die Verdrängung der angestammten Bewohner begann.
8. Die Preise explodieren
Die Phase der Scene-Seekers, die für den erhöhten Besuch des gentrifizierten Viertels von außen sorgen, brachte auch in W-Burg nicht nur die Professionalisierung und Einnahmesteigerung im Viertel voran, sondern unausweichlich Leute mit sich, die aus dem sporadischen oder regelmäßigen Besuch des Viertels einen Daueraufenthalt machen wollen. Die also zusätzlich auf den dortigen Wohnungsmarkt drängen.
Der aber war in Williamsburg in der Zwischenzeit schon durch die zunehmenden und qualifizierten Wohnbedürfnisse der kreativen Eroberer enger geworden. Genau das war das endgültige Einfallstor der Immobilienhändler. Genauer gesagt hatten die, die schon länger in Williamsburg spekulierten, genau auf diesen Moment gewartet. Auf die eigentliche Phase der Aufwertung, auf die, die sich auch in dauerhaft höheren Grundstücks-, Wohnungs- und Hauspreisen niederschlägt. Sie bedeutete zugleich auch den Durchbruch der überlokalen Großspekulanten an der Waterfront.
Die Ironie dabei war, dass gerade die Befürchtung der Verdrängung ihrer angestammten Wähler aus der polnischen und lateinamerikanischen Community, die örtlichen Politiker bewog, den Neubauplänen am Wasser schlussendlich zuzustimmen. Die Waterfront wurde nach fast 15jähriger Auseinandersetzung in Wohngebiet umgewandelt. Um die Protestler zu befrieden, wurde der wilde Stadtteilpark von der Neubebauung ausgenommen, die geplante Anzahl der Wohntürme am Wasser in der Zahl und in der Höhe reduziert und eine für alle begehbare Uferpromenade versprochen.
Für die Neubebauung außerhalb der unmittelbaren Waterfront wurde die Traufhöhe auf den Durchschnitt der vorhandenen Bebauung begrenzt. Dabei muss man jedoch den in New York überall möglichen Luftrechtekauf mit berücksichtigen. Der bedeutet nämlich dass, wenn jemand die mögliche Geschossanzahl nicht ausnutzt, er diese als zusätzliches Geschosshöhe an den Besitzer des nächst gelegenen Grundstücks verkaufen kann. Dem flächendeckenden Wohnungsneubau war damit auf einem Schlag in Williamsburg Tür und Tor geöffnet und der Markt dafür war endlich vorhanden.
Der Immobilienboom begann mit einem heute noch währenden Kampf um jede noch bebaubare Fläche, die nicht all zu weit vom Wasser entfernt liegt. Die, die diese Flächen rechtzeitig genug gekauft hatten, waren dabei natürlich im Vorteil und oft wechselten die Grundstückseigentümer monatlich bevor endlich gebaut wurde. Und jedes Mal wurde und wird natürlich die Baufläche teurer. Der Abriss von unter- oder abgenutzten Gebäuden wurde attraktiv. Williamsburg verändert innerhalb von nur wenigen Jahren sein Gesicht total. Im neuen Jahrtausend brummten endlich die Kassen der Immobilienbesitzer, denn jetzt wollte jeder vom Boom profitieren und die berühmt berüchtigten Mondpreise begannen zu entstehen. Die in New York in solchen Fällen übliche lokale Immobilienblase.
Damit war dieser Stadtteil endgültig im Gesamtimmobilienmarkt der Metropole angekommen. Hier wollten jetzt auch die hin, die in Manhattan genug verdienten und trotzdem dort nicht mehr die Mieten bezahlen konnten. Bzw. denen der Mietanteil an ihrem hohen Einkommen zu groß geworden war. Und auch die ausländischen Immobilienanleger hatten „Upcoming Williamsburg“ entdeckt. Unterstütz von einem immer stärker werdenden Euro. Die Immobilienpreise, vor allem aber die bei Aus- und Umzug fälligen Neumieten explodierten.
20 m² mit kleinem Bad und eingebauter Küchenzeile in einem der neuen Türme mit direktem Blick auf die Skyline kosten als Eigentumswohnung jetzt 600-700.000 Dollar. Ein One-Bedroom Apartment mit Blick zur Miete ist unter 3.000 pro Monat nicht mehr zu kriegen. Aber auch die Mieten um die Bedford Avenue sind trotz der vielen Neubauten in schwindelerregende Höhen geraten. Es reichte nicht mehr aus am äußersten Rand von Williamsburg und ganz weit weg von jedem Blick auf die Skyline und von einer Station der L zu hausen, um noch an der Szene teilhaben zu können. Jetzt versuchte man im anliegenden Bushwick einen bezahlbaren Unterschlupf zu finden. Wenn möglich in der Nähe einer U-Bahn-Station der Linie L die auch diesen Stadtteil durchquert. So ist man immer noch relativ schnell am Hotspot Bedford/North 7th, der letzten Station bevor es unter den Fluss nach Manhattan geht.
Von dort kreuzen jetzt jeden Abend die Yellow Cabs auf und bevölkern W-Burgs Straßen. Wer billiger fahren will ruft den Brooklyn-Taxi-Service an, eine von Latinos geführtes Unternehmen, das mit dem Williamsburg Boom mit gewachsen ist. Aber Limos gibt es jetzt hier auch zu mieten. Die ersten Hummer stehen in den Straßen rum. Schwere Jeeps sind gang und gäbe. Porsche und Maseratis noch selten. Selbst die farbige Schickeria lässt sich ab und zu sehen. In riesigen weißen Geländewagen. Sie kommen aus dem afroamerikanischen Brooklyn abends mal schnell ins nun vorwiegend junge und weiße Central-Williamsburg. Genauso wie die ebenfalls mehrheitlich weißen Manhattangirls and –boys, die hier jetzt täglich zum Lunch oder Dinner erscheinen. Selbst meine Freundin J. ist letztes Jahr gekommen und war begeistert.
Meine Künstlerfreunde aus meiner Loft Garage jedoch müssen dieses Jahr sehr wahrscheinlich dicht machen. Nach Ende des Vertrages wird die Mietet mindestens verdreifacht und muss jährlich neu ausgehandelt werden. Der Kaufpreis ist im Verhältnis zu der Zeit als sie nach Williamsburg kamen mindersten beim 10 fachen angelangt. Die Garage liegt in der zweiten Linie zur Waterfront und das Grundstück darf mindestens doppelt so hoch bebaut werden wie die heutige ehemalige Lastwagengarage. Sie überlegen in die Bronx zu gehen. Aber selbst diesen neuen Trend haben die Immobilienhaie schon mitbekommen.
Die Lage ist recht aussichtslos, was die nicht so erfolgreiche Kreativszene in Williamsburg betrifft und auch die Winner unter ihnen kommen in Schwierigkeiten. Die Studentenszene hat sich ebenfalls geändert. In Williamsburg können jetzt nur noch die Kinder reicher Leute studentisch wohnen. Aber deren Anzahl hat auf Grund des amerikanischen Millionärsbooms der letzten Jahrzehnte erheblich zugenommen. Da zahlen die Eltern gerne höhere Mieten, wenn der Sohn und/oder die Tochter wenigstens ein paar Jahre im nun hippsten und irgendwie noch immer Künstlerviertel der Welthauptstadt wohnen möchten. Wenn es von zu Hause nicht ganz so reicht, dann teilt man sich zu mehreren ein Loft, so wie die ersten kreativen Zuwanderer. Nur dass die Gesamtmiete jetzt ein Vielfaches höher ist. Auch das Straßenbild hat sich geändert.
9. Die Scenechanger
Die letzte Phase der Gentrification, die der Scene-Changers überlappt sich insofern, dass die Scene-Seekers, wenn sie denn dauerhafte Bewohner werden, selbst in die Rolle der Scene-Changer schlüpfen. Es kommen aber jetzt auch die hinzu, die mit der Szene vorher nicht einmal als Besucher was zu tun hatten. Sie suchen ganz allgemein nach Wohn- und Lebensraum in New York und bekommen von Experten oder Freunden den Tipp „Upcomming Williamsburg“. Die Szene dort interessiert sie nicht im Geringsten, sondern nur das, was sie als Ambiente und als Infrastruktur geschaffen hat. Das kann man ihnen auch nicht für Übel nehmen, denn so läuft Marktwirtschaft nun mal.
Aber sie bedeuten damit unausweichlich eine neue Stufe des Wandels. Zum einen weil sie gleich auf dem höchsten Mietniveau einsteigen, weil sie es auch bezahlen können und dafür natürlich auch Entsprechendes erwarten. Sie gehören deswegen in der Regel auch einer anderen sozialen Schicht, auf jeden Fall aber einer wesentlich höheren Einkommensklasse an als alle bisherigen Bewohner. Zum anderen beteiligen sie sich so gut wie gar nicht an den bestehenden bzw. gewachsenen sozialen Strukturen und Organisationen und bilden stattdessen eher ein eigenes Milieu aus. So auch in W-Burg.
Selbst die örtliche Kunstszene ist für sie eher Ambiente, denn Treffpunkt oder Raum des eigenen Engagements. Das gleiche gilt erst recht für die Beteiligung an den örtlichen Mieterorganisationen, die sich in W-Burg zunehmend im Abwehrkampf gegen die immer höheren Mieten befanden und noch befinden. Meistens bildet diese Kategorie der Zuzügler gerade in New York, aber nicht nur dort, auch eher Eigentum, als dass sie zur Miete wohnen wollen. Konflikte zwischen den Kreativen und diesen sogenannten Yuppies wurden so auch in Williamsburg unvermeidlich. Aber auch von den ursprünglichen polnischen und lateinamerikanischen Einwohnern ist diese Gruppe der neusten „Invasoren“ nur wenig gelitten.
Das alles spiegelte und spiegelt sich auch im Straßenbild wieder. Der Bohemien- bzw. der Buntheitsfaktor nahm in den letzten Jahren massiv ab. Das Schaulaufen derer, die unbedingt auffallen wollen, nahm dagegen kontinuierlich zu. Das Viertel ist jetzt auch offiziell hipp, denn es steht so in den New Yorker Reiseführen und in weltweiten Szenemagazinen. Deswegen tauchen auch die ersten Promis auf, zumindest aber wird jetzt vermutet, dass man dort entdeckt werden könnte, wenn man nur genügend aufgedreht rum läuft. Von einem Galeristen, Literaturagenten, Regisseur usw. Egal ob der in Williamsburg als Scout unterwegs ist oder vielleicht dort sogar fest wohnt.
Fotografiert und gefilmt wird in Williamsburg schon länger und viel, und zwar von den vielen Kunststudenten und Künstlern die dort wohnen. Aber die richtige Shootings der Meister aus Manhattan haben länger auf sich warten lassen. Einer der ersten habe ich selbst auf dem Dach bei S. noch erlebt. Die Locationscouts der New Yorker Filmgesellschaften suchen wie überall auf der Welt immer neue und interessante Orte. Filmleute habe auf Grund ihrer normalen Security auch nicht ganz soviel Angst vor Straßenüberfällen. Deswegen sind sie schon kurz nach der ersten Künstlerwelle aufgetaucht.
Der erste große Hollywoodfilm der Williamsburg ins internationale Licht rückte, war „ Perfect Murder“ mit Michael Dougles. Eines der Fabriklofts in Greenpoint war da eines der wichtigsten Aktionsstätten und ein dubioser Künstler nahm im Plot auch eine mörderische Hauptrolle ein.
Die ersten Locationsscouts kamen aber nach Williamsburg weil dort der spektakuläre Blick auf Manhattan von den Dächern auch noch billig zu kriegen war. In Manhattan kostet selbst die kurzeitige Nutzung solcher Spannungsorte zu dem Zeitpunkt noch locker das 10 fache. Heut sind auch da die Preise in Williamsburg, mit den sonstigen Mieten, enorm angestiegen.
Vor ein paar Jahren wurde ich mehrfach im Stadtteil angesprochen, weil ich offensichtliche irgendeinem berühmten Schauspieler aus einer bestimmten Perspektive und bei etwas weniger Licht sehr ähnlich sah. Meine Zeit als Promi-Copy währte allerdings nur eine Woche. Die Tatsache,das ich über viele Jahre so regelmäßig und jeweils lange genug vor Ort war, dass einige mich immer wieder erkannten, mich anfingen zu grüßen und mich natürlich zu fragen, was ich denn wieder hier mache, tat das seinige dabei. Mittlerweile kannten mich selbst die Bedienung einiger Lokale , wenn die denn mehrere Jahre dort tätig waren wieder. Von meinen Freunden und Arbeitspartnern ganz abgesehen.
Ich saß und sitze auch heute immer wieder mal nach getaner Arbeit am Abend auf einer der vor den vielen Szeneläden gestellten kleinen Bänke, auf denen man den Passanten auf der Bedford , so lange wie man will, zusehen konnte. Dabei hatte ich fast immer dieses herrliche New York Village Gefühl, was man in Manhattan zwar auch haben kann, nicht aber so relaxt. So bekam ich über die Zeit auch die Änderungen der Streetstyles und damit die soziale Zusammensetzung der Szene in ihrer äußeren Erscheinung mit.
Williamsburg wurde wirklich weltweit tonangebend. Hier habe ich fast alle szenigen Modeänderungen immer gut ein bis 2 Jahr eher mitbekommen, als sie in Berlin ankamen. Z.B. das man oder besser frau knallbunte Gummistiefel auch im Sommer trägt, oder die jungen Männer Hütchen und Bärtchen und die jungen Frauen Tag und Nacht riesige Sonnenbrillen. Single Speeds, d.h. Fahrräder ohne Gangschaltung und Fixies , d.h. Fahrräder mit feststehender Hinterradnarbe ohne Gangschaltung und Bremsen, wurden hier mindesten 5 Jahr eher als in Berlin gefahren. Das erste Single Speed in Deutschland habe ich allerdings in meinem Lieblingsfahrradladen im Bochumer Bermuda3Eck entdeckt. Weit bevor die Berliner überhaupt wussten, was das überhaupt ist.
Streetstylemäßig war allerdings der Wandel W-Burgs am deutlichsten an einer neuen Art von Hunden zu sehen, die vorrangig auch jetzt die jungen Frauen mit sich führten. Nach dem das Sicherheitsproblem auf den dortigen Straßen endgültig gelöst war, gab es lange Zeit keine Hunde mehr in W-Burg. Jetzt tauchten statt der damaligen richtigen Hunde zunehmend Zier- und Spielhündchen an der Seite der junger Leute auf. Der Weg vom Kampfhund zum Schoßhündchen zeigt am klarsten worum es in New York bei der Gentrification neben Infrastruktur und Urbanität am meisten geht: Um Sicherheit.
Aber auch die vielen individualistischen modischen Einzelinnovationen, von denen ich schon in einem der anfängliche Folgen berichtet habe, nahmen jetzt exponentiell zu. Eine junge Gruppe von Williamsburger Modedesignern hatte vorher schon das heute auch in Manhattan, und demnächst sicher auch in Europa in Erscheinung treten werdende Label „Booklyn Industries“ ins Leben gerufen.
Den ersten richtigen Verkaufsladen gab es natürlich an der Bedford nahe North 7th. Und natürlich den Stress mit der Lokal-Szene wegen des zunehmenden „kapitalistischen“ Erfolgs per Graffiti auf den Schaufenster und Türen der Boutique. Den gibt es allerdings seit Beginn der immer noch aktuellen Phase des Scenechanging nicht mehr.
Vielmehr ist neuste Mode jetzt auf der Bedford und drum herum normal. Auch die von „Brooklyn Industries“. Der noch verbliebene individuelle Style, neuerdings Controverse (Self)design genannt, weil jeder Style jetzt auch seinen Namen haben muss, denn Williamsburg ist jetzt „maßgebend“, also „supercool“, ist dadurch immer anstrengender geworden. Er wird schnell in der Szene selbst, dank Style Book auch weltweit, kopiert, weil was wirklich Neues auch in den heute sogenannten Kreativvierteln dieser Welt kaum noch einem einfällt.
Der Trend geht deswegen in den letzten Jahren vom Künstler zum Künstler(selbst)darsteller, was sich natürlich aus der Natur der Sache immer schon gegenseitig bedingte und wechselseitig spiegelte. In Williamsburg hat das jedoch dazu geführt, dass sich diese beiden inneren Bilder nun rollenmäßig im Straßenbild zunehmend als personell getrennt manifestierten. Als verschiedene Personengruppen.
Die die real kreativ waren und auch davon ihren Lebensunterhalt mit realer Entlohnung bestreiten konnten trennten sich von denen, die sich das wünschten aber nicht schafften. Und erst recht von denen die einfach nur so aussehen wollten. Letztere Gruppe nahm seit der Change-Phase ebenfalls rasant zu.
In diesem Viertel hatte man eben auch als Rechtsanwalt oder Broker, oder einfach nur als kunstsinniger Berufserbe oder als Durchschnittsstudent ohne jede besondere Ambition irgendwie kreativ auszusehen. Cool zumindest. Und die Standards dafür setzte und setzt immer noch die Szene bzw. die die sich dazu gehörig fühlten.
Das, was in der sozialen Realität zunehmend zerbrach, funktionierte immer noch als Style. Die Stylisten waren aber nicht mehr die Kreativen, zumindest nicht, wenn sie sich nicht selbst zur Modebranche zählten. Es waren selbsternannte „Kreative“, sozusagen ihre modischer Abklatsch als Lebensaufgabe.
Eine spezielle Gruppe unter ihnen die schon länger W-Burg bevölkerten waren die sogenannt PPA´s, ausbuchstabiert Parent Payed Artists. Sie hatten natürlich richtige, häufig sogar überdurchschnittlich große, Künstlerlofts, machten auch Kunst darin, aber jeder der nur etwas Ahnung hatte wußte, dass das sie weder davon lebten noch jemals davon würden leben können. Das allerdings taten sie über Jahre. Und sie trugen fast immer Klamotten und Schuhe auf den Spuren künstlerischer Arbeit sichtbar waren.
Die erfolgreichen Kreativen dagegen zogen und ziehen sich zunehmend aus dem Straßenleben zurück. Zumindest als Selbstdarsteller. Sie benutzen sie zunehmend wie die zu gezogenen Scene-Changer nur noch als Ambiente und Infrastruktur. Die Kreativendarsteller dagegen übernahmen und übernehmen weiterhin die Straße in einer Weise, dass es für den Eingeweihten schon eine lächerliche Note bekommen hat. From being cool to being a fool it´s only a little step. Die wirklich Coolen suchen derweil schon nach neuen Treffpunkten für die wirklichen In-People. Für die, die nicht mehr unbedingt anders sein wollen aber dafür nur noch unter sich. Wie in Manhattan eben.
Oder wie in einem Teil von Williamsburg, an dem der ganze Hype spurlos vorüber gegangen ist, obwohl dort die Leute wohnen, die wahrscheinlich am meisten an der Gentrification ihres Stadtteils verdient haben.
10. Die charedische Community
Das jüdisch-orthodoxe Williamsburg liegt, wie ich schon anfangs erwähnt habe, südlich der Williamsburg Bridge. Die Charedim, wie sie sich selbst nennen, von den liberalen Juden und von den angrenzenden Latinos auch abfällig Pinguine genannt, wegen der in der Regel schwarz-weißen Kleidung ihrer männlichen Mitglieder und ihres als watschelnd empfundenen Ganges, wären nicht im Traum darauf gekommen irgendwelche sogenannten Kreativen in ihr Neighbourhood zu lassen. Es sei denn sie würden ihrer Gemeinde angehören, also auch Charedim sein. Sie hätten das, wenn nicht, auch zu verhindern gewusst. Egal ob Künstler oder nicht.
Sie bilden schon seit ihrer Ankunft aus Osteuropa eine räumlich und sozial geschlossene ethnische Community die sich seitdem kontinuierlich ausgedehnt hat. Zur größten geschlossenen orthodoxen jüdischen Gemeinde außerhalb Israels. Zurzeit, keiner weiß es genau, denn die USA und auch New York haben keine Volkszählung oder ein Melderegister, ca. 200.000. Auch sie wohnen entlang der Bedford Avenue und drum herum. Mit eigenen Schulen und Krankenhäusern.
Wer ihr in Richtung Süden unter die Brücke durch folgt, der wird sehr bald in einer gänzlichen anderen Welt sein. Nicht bunt und hip, sondern eher schwarz weiß bis grau. Nur die Frauen tragen schon mal Mehrfarbiges, aber auch das nie in schreienden Tönen. Im modischen Kern ist die Kleidung der orthodoxen Stedel-Juden, was die Männer betrifft, dem polnischen Adel im 16. Jahrhundert nachempfunden. Allerdings mit genauen religiösen Regeln verbunden, die ich im Einzelnen bis heut nicht durchschaut habe. In Williamsburg wird sie übrigens für die ganze Welt hergestellt.
Die verheirateten Frauen haben durch die Bank eine Perücke auf, weil ihnen bei der Eheschließung aus religiösen Gründen die Haare geschoren werden. Die Männer tragen ab ihrem sechsten Lebensjahr die berühmt-berüchtigten Schläfenlocken. Alle jüdischen Feiertage werden hier konsequent eingehalten, es gibt mehrere große Synagogen, und die Männer zeigen all die verschiedenen Kleidungszeichen der verschiedenen Erleuchtungsstufen und ihr Gebetskissen mit sichtbarem Stolz.
Die großen Hochzeiten, vor allem der Rabbis und ihrer Familienmitglieder, haben tausende Besucher aus den ganzen USA und werden öfter auch in Williamsburg North gefeiert, weil die „Löckchenjuden“ dort einen großen Teil der Fabriken und Lager- aber auch der Wohnhäuser besitzen. In ihren Sweatshops, die durch die Gentrification erheblich weniger geworden sind, arbeiten bzw. arbeiteten in der Regel die Latinos.
Bei den großen Partys wird dann eine der großen Hallen arbeitsmäßig still gestellt und zum Feiern benutzt. Und die Orthodoxen können feiern. Laut, lustig und sehr musikalisch. Die besten Klezmermusiker der USA wenn nicht der ganzen Welt treten dann in Williamsburg an und die New Yorker Polizei muss den Verkehr umleiten, weil so viele Besucher mit schweren Limousinen vorfahren.
Ansonsten geben sich diese Leute eher schlicht, sprechen in der Regel jiddisch und/oder hebräisch und natürlich englisch und sind, was die älteren Männer betrifft, sehr freundlich. Auch zu Deutschen. Zumindest wenn sie , im Gegensatz zu andere Touristen, nicht mit der Kamera im Anschlag durch ihr Viertel laufen. Das zooartige fotografieren dieser Leute hat leider gerade auf Grund der Gentrification südlich der Brücke und dem dadurch bedingten Szenezulauf in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Erst „Künstler“ und dann „Orthodoxis“ gucken gehört vor allem bei den geschichtslosen Flachköpfen unter ihnen jetzt zum Standardprogramm.
Die jiddischen Frauen sind gegenüber Menschen die nicht ihrer Gemeinde angehören eher abgewandt bis abweisend. Sie schauen durch die „Anderen“, wenn sie sie denn überhaupt wahrnehmen, wie viele der jüngeren Männer übrigens auch, quasi hindurch. Auch außerhalb ihres Viertels. Als Autofahrer, ich habe unter ihnen noch nie eine Frau am Steuer gesehen, gelten die „Pinguine“ eher als Barbaren. Nicht zuletzt weil sie , trotz häufig überhöhter Geschwindigkeit, dabei permanent telefonieren und dadurch zur Unaufmerksamkeit neigen.
Ganz im Gegensatz zum eher relaxten, vorsichtigen und rücksichtsvollen Rest der New Yorker Automobilisten, was das Radeln auf den Straßen der Metropole insgesamt ungefährlicher macht als in einer deutschen Kleinstadt. Egal was man sonst so an Unsinn zu diesem Thema weltweit von Journalisten lesen und hören kann. Sie haben einfach keine Ahnung bzw. sie probieren es aus, ohne um die Regeln und Zeichen zu wissen, nach denen das Verhältnis von Drivern und Bikern in dieser Metropole organisiert ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Da die Orthodoxen wie alle religiösen Fundamentalisten nach der Heirat möglichst viele Kinder anstreben – es sind in ihrem Teil von Williamsburg im Schnitt 8-10 pro Familie – steigt der Wohnbedarf der Community jedes Jahr exponentiell. So wird das orthodoxe Williamsburg jährlich auf jeden Fall zahlenmäßig größer und die Gemeinschaft hat eine gewaltige Geldreserve angesammelt, um ihre räumliche Ausdehnung per Hausneubau und -ankauf zu finanzieren. Häufig wird die Sache in direkter Verhandlung in bar erledigt.
Das Ziel war dabei immer klar. Die nördliche Ausdehnung bis an die Williamsburg Bridge ist mittlerweile abgeschlossen und hat eine Menge Latinos auf die andere Seite der Brücke verdrängt. Nach Norden und Westen gibt es jedoch auf Grund der auch hier leer gefallen Lager und Fabrikgebäude und der vielen Brachen noch Ausdehnungsreserven. Der Neubau ist jedoch immer hoch und kompakt, denn auch dieser Gemeinde ist an möglichst wenigen ethnischen Konflikten gelegen.
Die finden natürlich trotzdem statt, denn das Misstrauen gerade der farbigen Bevölkerung gegenüber der Ausdehnung der „Pinguine“ ist groß. Obendrein gab es in deren Stadtbezirk nie ein Kriminalitäts- oder Drogenproblem. Zumindest kein öffentliches. Jiddish-Williamsburg war auch in den schwersten sozialen Krisenzeiten der Stadt immer ein absolut sicherer Ort. Gebrannt hat es hier nie und Drive-By-Shootings kannte man hier nur vom Hörensagen. Das auch dank einer eigenen enormen sozialen Kontrolle auf den Straßen und einer eigenen Bürgerwehr.
Sie trägt zwar bis heute keine Waffen und natürlich darf sie auch keine Verhaftungen vornehmen darf. Aber ihre Fahrzeuge sind per Walky Talky schnellstens vor Ort, sie haben eine Sirene und sind in ähnlichen Farben gehalten wie die Autos des NYPD. Ich habe es selbst erlebt, als es Drumherum noch verdammt gefährlich auf Williamsburg Straßen war, wie hier ein Drogendealer vor eine Schule in Sekunden von einer unglaublichen Menge Menschen umstellt wurde. Er hätte gar nicht so schnell schießen können wie immer neue Leute ihn ohne jede Waffe umzingelten. Und weg konnte er natürlich auch nicht mehr.
Kurze Zeit später war das Fahrzeug der Bürgerwehr da, natürlich auch mit unbewaffneten Insassen und die rief dann per Autotelefon die New Yorker Polizei. Diese lokale Schutztruppe war und ist offiziell natürlich nicht erlaubt, aber das NYPD drückte zu dieser Zeit – und ich glaube auch heute noch – beide Augen zu, wenn ein ganzer Stadtteil kostenfrei für seine Sicherheit sorgt. Heute allerdings hat diese eigene Security natürlich viel weniger zu tun und auch der Rest von Williamsburg ist so sicher wie es sein jüdischer Teil immer war.
Die Aufwertung dieses Teils von Upcoming W-Burg wurde ganz alleine von seinen angestammten Bewohnern gesteuert. Hier wurde niemand verdrängt. Hier verdrängte man, wenn überhaupt selbst. Hier spülte die Gentrification auf der anderen Brooklynseite der Williamsburg Bridge genug Geld in die Immobilienkassen, um der eigenen Gemeinde weitere Unterbringungsmöglichkeiten zu verschaffen bzw. zu erbauen. Auf jeden Fall blieb dieses Geld in Williamsburg und kam ihm insofern auch wieder zu Gute. Bei den großen neuen Türmen entlang des Wassers, war das mit Sicherheit nicht der Fall.
P.S.
Wer Aktuelles über die Gentrification in New York City lesen will schaue auf:
http://ny.curbed.com/tags/gentrification-watch
Wer Aktuelles über die Entwicklung speziell in Williamsburg lesen will schaue auf:
Und noch mal Emscherkunst 2010. Sie hat einen jungen Mann ins Ruhrgebiet gelockt, der den fremden Blick sehr ernst genommen hat. Den in Berlin wohnhaften gebürtigen Österreicher Florian Neuner.
Seine Leidenschaften: Zu Fuß gehen und in Kneipen halt machen um mit Leuten zu reden. Ersteres kein großes Hobby der Ruhrstädter, zweiteres schon. Beides hat Neuner im Ruhrgebiet ausgiebig getan und darüber hat er ein Buch geschrieben:Ruhrtext. Text deswegen, weil er die Stadt wie viele seiner literarischen Vorgänger als solchen liest. Als gebaute Sätze mit einem semantischen Sinn der sich nur durch das gehen/flanieren, d.h. durch genau diese dreidimensionale und sinnliche Art des laufenden Begreifens erschließt.
Flaneur und Ruhrgebiet scheint erst einmal ein Widerspruch in sich zu sein.
Aber der Autor stellt sich diesem in einer Konsequenz, die – wenn man bedenkt dass das Buch aus eigener Initiative entstanden ist – geradezu bewundernswert erscheint. Der Kerl ist wirklich durch dieses nicht enden wollende als geradzu antiurban geltende Stadtgestrüpp gelatscht, Tag um Tag, Monat um Monat, um uns Ruhries am Ende klar zu machen, dass es genau diese Mikrostruktur ist, die das Ruhrgebiet ausmacht. Nichts gegen die Industriekultur, nichts gegen die sonstigen Leuchttürme des Ruhrgebiets, aber es ist der Raum dazwischen, der nach seiner Ansicht die Identität dieser Stadtregion bestimmt.
Kein Wort über das Bermudadreieck in Bochum, kaum eins über das Kreuzviertel in Dortmund und über Rüttenscheid in Essen. Auch nicht viel über den neuen Innenhafen von Duisburg. Nichts über die neuen sogenannten Kreativquartiere. Keine der üblichen lobenden Ausführungen über die im landläufigen Sinne dann doch recht urbanen Teile dieser Stadtandschaft. Keine Hymne auf die Arbeitersiedlung als die große solidarische Wohnform der Industriegesellschaft. Stattdessen minutiöse Beschreibungen der Viefalt im Kleinen, durchmischt mit den weltweiten Elementen städtischer Peripherie und dem immer gleichen Containerarchitekturen entlang der nicht enden wollenden und nicht nur für den Fremden immer wieder undurchschaubaren Megastruktur der Autotrassen an Emscher und Ruhr.
Die Wahrheit lieben lernen, das könnte der unausgesprochene Leitsatz hinter diesen ausufernden Beschreibungen gebauter Dispersion sein. Diese gleichzeitige Verlorenheit und Aufgehobenheit in immer neuen Zwischenräumern, ist das große Thema dieses Buches. Vielleicht auch das des Autors selbst. Sie verdichtet sich auch für ihn sozial und kulturell immer wieder in den mehr oder weniger zufällig aufgesuchten Kneipen, in denen er sich mit ebenso zufällig ausgewählten Menschen trifft und, wenn es sich ergibt, sich mit ihnen unterhält, bzw. ihnen zuhört.
Das in diesen aneinander gereiten Zwischenräume jedoch insgesamt eine solche Menge an Menschen wohnen, das alles in allem dabei eine riesige Millionenstadt herauskommt, entgeht dabei auch diesem notorisch autoresistenten Ruhr- und Emscher-Eroberer nicht. Im Gegenteil, es ist gerade diese kompakte Riesigkeit einer Vielfalt im Kleinem die ihn offensichtlich fasziniert. Die ihn diese vielen Reisen in dir Nähe machen lässt. Zu Orten die die meisten Ruhries, mit Ausnahme derer die dort wohnen, kaum kennen weil sie sie auch nicht weiter interressieren. Und natürlich fällt im gerade als Fußgänger (aus Berlin) immer wieder und zu seinem Leidwesen auf, dass diese Ruhrstadt einen Nahverkehr hat, der ihrer Größe und räumlichen Dichte hohnspricht. Der Kommentar einer Wirtin macht den hier manifest werden Widerspruch des ganzen Buches kopfschüttelnd deutlich: Zu Fuß würde ich hier nicht weit laufen.
Stimmt. Niemand würde das hier tun, wenn er nicht dafür bezahlt würde. Das, was der Autor dabei so spannend findet, interessiert die meisten Ruhries nicht die Bohne. Wenn unmotorisiert, dann ist das mindeste als Fortbewegungsmittel ein Fahrrad. Auch mit dem sucht man dann eher die vielen grünen und blauen Freiräume oder die Orte wo sich das Leben verdichtet auf, als dass man sich der sogenannten Zwischenstadt anheim gibt. Die hat man ja in der Regel gleich „um die Ecke.“
Das ist auch ein Problem beim Lesen des Buches. Es kann einem leicht langweilig werden, denn die Beschreibungen sind sich oberflächlich gesehen recht ähnlich. Aber eben nur oberflächlich. Das was der Autor von sich selbst verlangt hat, das verlangt er auch vom Leser: Genaues Lesen bzw. genaues hinschauen. Auch wenn er über die Ruhrstadt und ihre Urbanität zwischendurch theoretisiert. Das wirkt manchmal etwas aufgesetzt, aber nicht uninteressant. Vieles ist dem diesbezüglich informierten Leser auch nicht neu. Aber wie er es mit dem Ruhrgebiet verknüpft, lässt einen dann doch auf neue Gedanken kommen.
Auf jeden Fall konnte ein solches Stadtbuch nur im Ruhrgebiet entstehen und Florian Neuner hat sich dieser besonderen Stadtlandschaft wirklich gestellt. Schon von daher unterscheidet es sich geradezu angenehm von all dem metropolitanen Marketinggeschwurbel das in und um die Kulturhauptstadt verbreitet wird. Man spürt beim Lesen auch zunehmend, dass er sich mit dem Gegenstand seiner Erforschung identifiziert, ohne sich mit ihm gemein zu machen. Statt der berühmt berüchtigten Liebe auf den zweiten Blick, die alle die gerne propagieren, die dann doch nicht bleiben, dominiert der harte und zugleich offene erste und deswegen immer auch fremde Blick das Buch. Schon deswegen ist es, trotz seines großen Umfang, unbedingt lesenswert.
Die Sache hat eine Menge Geld gekostet. Keine Frage. Aber sie hat sich für die Emscherzone, ja für das ganze Ruhrgebiet jetzt schon gelohnt. Emscher und Kunst, egal wie man zu den Werken im Einzelnen steht, sind in den Medien zum Synonym geworden. Vom Meideraum zum Ausstellungsgelände, oder in Neudeutsch „ from No Go to Must Go“, das ist die zentrale Nachricht an die Menschen in und außerhalb des Reviers.
Dass das Ganze nur mit dem Fahrrad zu bewältigen ist, passt zu einer Region die letztlich nur als Roadmovie zu begreifen ist. Wobei dieses Fahrzeug auch die ökologische Zukunft des Ruhrgebiets bestimmen wird. Mit dem Rad zur Kunst bzw. von Kunstwerk zu Kunstwerk zu fahren, und das entlang der Emscher, sagt mehr als jeder Masterplan über die Zukunft des Emschertals aus.
Für die Menschen in der Region ist es zugleich Kunst en Passant, Ästhetik im Vorbeigehen/fahren. In gewisse Weise zufällig und deswegen auch in angenehmer Weise überraschend. Von der Dimension so gewählt, dass man das Werk nicht übersieht, ja dass man zu ihm hin ge- und verführt wird. In der Gesamtlandschaft jedoch „nur“ eine Zugabe, eine sie nicht dominieren wollende Geste.
Teilweise bilden die Werke sogar ganz neue Aufenthaltsqualitäten, ja neue Plätze mit eigenen Funktionen wie bei den umgebauten Klärbecken in Bottrop Ebel. Die dann auch bleiben werden und natürlich im Erhalt wieder Geld kosten. Aber auch hier wird für das Geld etwas Wichtiges geboten: Lebensqualität durch Kunst. Durch künstlerische Intervention.
Andere Werke werden wieder verschwinden, zum Teil aus Mangel an Geld, zum Teil aus Absicht. Temporäre Kunst eben. Kunst auf Zeit die nach ihrem Verschwinden jedoch in Erinnerung bleiben wird, denn es gibt jetzt schon Menschen an der Emscher, die sich in bestimmte Werke geradezu verguckt haben. Die sie eigentlich in ihrer Nähe behalten möchten. Obwohl sie sich das am Anfang gar nicht vorstellen konnten.
Die Emschermenschen sind, obwohl es sehr interessante Museen und natürlich die übliche Kunst im öffentlichen Raum gibt, von der Emscherkunst mehr oder weniger überrascht worden. Sie ist anders als das was sie bislang kannten. Deswegen gab es auch Leute die ihnen diese Werke vor Ort vermittelt und näher gebracht haben. Und denen haben sie, wie mir berichtet wurde, einen Pinn in den Bauch gefragt. Dass das Kunst sei, war vielen von ihnen keineswegs im ersten Moment einsichtig.
Letztlich interessiert diese Frage die Menschen vor Ort auch weniger als die Künstler und die Kuratoren. Die Menschen vor Ort gehen eine eher sinnlich vermittelte Beziehung zu den Artefakten ein, die sie sehen und berühren können. Dass die Aussteller dem noch eine spezielle Veranstaltungsform hinzugefügt haben, in denen direkt mit den Anwohnern und örtlichen Kunstinteressierten über die Werke diskutiert werden konnte und kann, passt bestens dazu.
Der so organisierte direkte Kontakt der Künstler mit dem Emschervolk war dabei oft heftig und zugleich lehrreich. Der sogenannte fremde Blick traf auf den einheimischen und genau hier wird dieser fremde Blick erst fruchtbar. Es nutzt der Emscherregion nicht, wenn die Kunst keinen Dialog mit der Landschaft und ihren Menschen aufnimmt. Wenn der Fremde Blick nur einseitig ist, wenn sogenannte Miles and More Künstler hier einfliegen und ihre Kunstwerke wie Raumschiffe landen lassen. Dann kann das immer noch Kunst sein, aber sie bringt die Menschen hier nicht wirklich weiter.
Das ist allerdings erst einmal nur eine These. Die Frage ist nämlich, muss Kunst das wirklich? Hat sie sich nicht jeden Zweckes zu entziehen? Darf sie nicht so fremd sein wie sie will? Muss sie den Dialog überhaupt suchen? Bedarf sie der Vermittlung gar nicht, weil sie immer auch Konfrontation ist bzw. sein soll? Hat der Ort an dem sie wirken will ihr nicht letztlich egal zu sein? Ist es schon deswegen besser, dass die Künstler die an der Emscher tätig werden, nicht aus dieser Region kommen? Denn wer hier lebt und arbeitet könnte auch als Künstler zur Konformität mit den Verhältnissen neigen. Wohlmöglich sogar zur Heimattümelei, zur Sozialromantik, zum allseits bekannten Ruhrgebietskitsch.
Es ist dieses Verhältnis von örtlichem/regionalem Kunstschaffen und internationaler Kunst, das weiter zu klären ist. Es ist dieser wohlmöglich produktive Konflikt der für die nächste Runde Emscherkunst von besonderer Bedeutung sein könnte. Lokalität kann dabei natürlich nicht bedeuten, dass der internationale Anspruch dieser Ausstellung aufgegeben werden sollte. Die Frage ist viel mehr, wie Lokalität und Globalität in der Kunst zusammen geht und was das für die Zukunft der Emscherkunst bedeutet.
Die zweite wichtige Frage ist, wie bei einem möglichen nächsten Mal die Bevölkerung vor Ort eher und intensiver eingebunden werden kann als bei der Premiere. Das gilt auch für die vielen Menschen mit Migrationshintergrund und vor allem für die türkische Community. Hier geht es nicht nur um Sprache als inhaltliche Vermittlung zur weitaus größten Einwanderergruppe der Emscherregion, sondern auch um Sprache als Mittel der symbolischen Anerkennung. Schriftlich Ankündigungen und Erklärungen für die Emscherkunst sollten deswegen in Zukunft dreisprachig sein: Deutsch, Englisch und Türkisch.
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