Betreibt die Stadt Dortmund mit ihrer Internetseite ein Medium, das gegen unabhängige Anbieter antritt und sie aus dem Markt verdrängt? Das Medienhaus Lensing (Ruhr Nachrichten), will das die Gerichte klären lassen. Unsere Autoren Peter Hesse und Stefan Laurin haben dazu verschiedene Meinungen.
Das Medienhaus Lensing verklagt die Stadt Dortmund
Die Ruhr Nachrichten begleiten mich mein ganzes Leben, es ist bis heute und seit den späten 1960er Jahren die Tageszeitung meiner Eltern. Noch heute schneidet mir meine Mutter (sie wohnt in Dortmund-Schüren) manchmal Artikel aus, wenn sie Themen findet, wo sie findet, diese könnten mich interessieren. Bin ich daheim, macht mich das Blättern in der Zeitung schon ziemlich ratlos: im Sportteil dreht sich zu 90 Prozent alles nur um Borussia Dortmund – eine reine Monokultur, als gäbe es den Boxsport oder Eishockey überhaupt nicht in der westfälischen Metropole.
Dann der Politikteil – dieser lässt Einordnungen und Haltungen vermissen und im Lokalteil geht es vordergründig zu viel um Handtaschenraub in Dortmund Brackel – oder um PR-Flankierungen zum Aplerbecker Apfelmarkt. Im Kulturteil lese ich gerne die Kino-Besprechungen von Kai-Uwe Brinkmann, ansonsten lässt mich die gedruckte Ausgabe ziemlich kalt. In meinem persönlichen Leseverhalten zappe ich mich täglich durch die online Angebote von der Zeit, der Welt, Spiegel online und der Neuen Züricher Zeitung um mich politisch und kulturell auf dem Laufenden zu halten, oder um mich in Sachen Wirtschaft, Wissen und Gesellschaft weiterzubilden.
Die Angebote der Ruhr Nachrichten holen mich hier nicht ab – und beim Fußball fühle ich mich bei den online-Angeboten vom kicker, dem reviersport, 11Freunde und transfermarkt umfangreicher, detailgenauer und schneller informiert. Lokale News, wenn zum Beispiel der tierärztliche Notdienst in Schwerte geschlossen werden soll, betreffen mich nicht persönlich. Müsste ich mir jetzt ausdenken, wie man das Modell Tageszeitung gerade für junge Leser wieder attraktiver machen könnte, würde ich auf die Wochenzeitung Die Zeit verweisen, die mit langen Dossiers zu allen möglichen Themen auf der Erfolgsspur ist – und damit einen großen Leserkreis erreicht. Ob das auch für die Ruhr Nachrichten funktionieren würde, weiß ich allerdings nicht. Karren, die in den Sand gefahren sind, wieder flott zu machen – das Bedarf viel Fleißarbeit und noch mehr Spucke. Aber auch Hezblut für das Erstellen einer Tageszeitung – und das sehe ich in der Welt der Bilanzen, des gestelzten BWL-Geschafels und des Spardiktats kaum noch.
Es ist allerdings ein gehöriger Fehler im System direkt gegen das Internetangebot der Stadt Dortmund zu klagen, weil dort die Themen zu presseähnlich aufgearbeitet sind.
Die Stadt, so heißt es in der Klageschrift, würde über die kommunale Informationspflicht hinausgehen – und außerdem dürfen Kommunen und Städte der Privatwirtschaft mit durch Steuern finanzierten Angeboten keine Konkurrenz machen. Schaut man auf das Angebot von dortmund.de finden sich dort Features über alltägliches innerhalb der Stadt: Sänger Alexander Klaws wird bei den Cityring Konzerten auftreten, das NRW- Wirtschaftsministerium hat das Dortmunder Konzept „Emissionsfreie Innenstadt“ mit einem Preis ausgezeichnet oder die Wüstenrot Stiftung hat ein Sanierungskonzept für die beschädigten Sonnensegel im Westfalenpark erarbeitet.
Vor Gericht zu ziehen erinnert an Nachbarschaftsstreitigkeiten wegen Ästen von Bäumen, die zu weit über dem Zaun hängen. Vielleicht schneidet sich das Medienhaus hier sogar ins eigene Fleisch, denn wenn die Stadt Dortmund bald zu Presseterminen einlädt, darf man sich nicht wundern wenn Vertreter von Lensing-Wolff- Medien nicht mehr ganz so kollegial behandelt werden, so wie es sich eigentlich gehört. Peter Hesse
Viel Glück, Lensing
Ich hoffe, das Medienhaus Lensing, der Verlag hinter den Ruhr Nachrichten, gewinnt seine Klage gegen die Stadt Dortmund. Lensing kämpft in dieser Auseinandersetzung stellvertretend für alle Medien Deutschlands, auch wenn diesem Verlag diese Rolle egal sein dürfte. Die Stadt Dortmund betreibt eine Internetseite, die für viele Bürger ein unabhängiges lokales Medium ersetzen könnte – und, im Gegensatz zu den Ruhr Nachrichten, kostenlos ist. Während die Ruhr Nachrichten auf dem Markt Geld verdienen müssen, um eine ganze Reihe wirklich hervorragender Lokaljournalisten, von denen ich nur einmal, Tobias Großekemper, Peter Bandermann und Gaby Kolle hervorheben will, verfügt die Stadt über eine Pressestelle, die ihre Sicht der Welt den ganzen Tag verkündet: Unkritisch und oft die Lage beschönigend. Und wenn der Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) der Meinung ist, er müsste Journalisten öffentlich beschimpfen, wird ihm dafür natürlich der Platz eingeräumt. Der PR-Apparat der Stadt versucht die einzig verbliebene Lokalzeitung zu verdrängen und tut dies auch wirtschaftlich: Auf der Seite Dortmunds können auch Anzeigen geschaltet werden. Mit einer Informationspflicht der Stadt und Pressefreiheit hat das nichts zu tun: Die Stadt ist kein Medienbetrieb, sie ist Teil des Staates. Und der hat keine Medien zu machen. Punkt. Aus. Ende. Wer das anders sieht, will einen anderen Staat – um nichts anderes geht es im Kern.
Was Lensing macht ist der Versuch sich zu wehren: Neben dem zwangsfinanzierten WDR mit seinem lokalen Angebot in Dortmund tritt nun auch noch die Stadt gegen ein freies und unabhängiges Medium an. Wer das duldet, dem liegt die Pressefreiheit nicht am Herzen. Ich hoffe, Lensing gewinnt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe nicht gegen Wettbewerb und Konkurrenz. Ich habe nur etwas gegen Wettbewerber, die ich mit Steuergeldern oder Gebühren zwangsfinanzieren muss – wie den WDR, wie die Städte. Und die direkt, wie bei der Stadt oder indirekt, wie der WDR über seine Gremien, von Politikern gelenkt und mitbestimmt werden. Es geht bei der Klage um den Fortbestand einer unabhängigen Presse auf lokaler Ebene. Das ist kein geringes Gut, das gilt es zu verteidigen. Stefan Laurin