Foto: Arcor-Pressebild
Seit eineinhalb Monaten terrorisiert mich eine Frau. Das Ungewöhnliche an diesem Fall: Die Dame existiert nicht mal und hat einen ganzen Konzern im Rücken. Sie wohnt in meiner 36-Quadratmeter-Wohnung, hat gleich fünf Verträge bei Arcor abgeschlossen und kostet mir den letzten Nerv. Die Maschinerie eines Großkonzerns reagiert nur schwerfällig, wenn man ihr falsche Datensätze einspeist. Vertreter entwickeln auf der Jagd nach Provisionen ungeahnt kriminelle Energien. Was dabei rauskommt, ist absurd und anstrengend.
Kapitel 1: Ein Kasten voller Briefe
17. Dezember, kurz nach Acht. Feierabend. Ich öffne meinen Briefkasten und sechs Umschläge fallen mir entgegen, fünf von Arcor, einer von der Telekom. Seit einem dreiviertel Jahr hatte ich nichts mehr von Arcor gehört. Sie hatten meinen Umzug vermasselt, ich musste fast vier Monate ohne Internet arbeiten, wir sind nicht im Guten auseinandergegangen. Jetzt ist als Adressat eine Sabine Schlange angegeben, wohnhaft bei mir und Neukunde bei Arcor. Geschwätzig muss diese Sabine sein. In den Umschlägen stecken insgesamt vier Simkarten über vier verschiedene Handyverträge und eine Benachrichtigung, dass zum Ende des Jahres ihr DSL-Anschluss aktiviert werde.
„Guten Tag Frau Schlange, vielen Dank für Ihren Auftrag.“ Ich bin irritiert und habe nicht mal ein Haustier.
Kapitel 2: Ein Name wie eine Geschlechtskrankheit
Knapp zehn Minuten stecke ich in der Warteschleife der kostenfreien Störungsannahme, rauche eine Kippe nach der anderen. Mein Fuß wippt aufgebracht. Ich rechne mit einer zähen Diskussion und einer Spüle voller Geschirr, die bis morgen kein Wasser sehen wird. Der Typ, der sich schließlich meldet, klingt sympathisch, sein Name eher wie die Bezeichnung einer Geschlechtskrankheit. Ich frage nach, mache einen Scherz und bringe ihn zum Lachen. Dann erkläre ich ihm die Problematik. Mein erster Verdacht: Irgendein Bursche oder ein Mädel in den Outbound-Callcentern hat meine alten Datensätze aufgefrischt, eine Sabine Schlange ins Leben gerufen und für fünf Verträge die Provisionen kassiert. Mein Kundenbetreuer, nennen wir ihn S., ist einsichtig, ähnliche Fälle – meint er – scheinen häufiger vorzukommen.
Er: „Es sei denn, Sie haben eine Umwandlung hinter sich…“
Ich: „Wie bitte?“ Dann beruhigend und eine Oktave tiefer: „Nein, nein, das können Sie ausschließen. So wichtig ist mir Arcor nicht.“
Er glaubt mir und nimmt die Stornierung auf. Betrugsversuch und Vertragsfälschung. Immer wieder lande ich für Rückfragen in der Warteschleife. Gut eine Stunde dauert unser Gespräch. Am Ende versichert S. mir, dass er alles in die Wege geleitet, ich keine weiteren Unannehmlichkeiten zu erwarten habe, mich ein Mitarbeiter in jedem Falle anrufen und mir ein Entschuldigungsschreiben zugesandt werde.
Ich: „Das Schreiben ist mir egal. Ich will nur meine Ruhe haben.“ S. gibt mir Recht.
Mein Geschirr bleibt ungespült und ich misstrauisch. Einen Anruf habe ich nie erhalten.
Kapitel 3: Arcor – Reloaded
19. Dezember. Wieder ein Brief. „Guten Tag Frau Schlange, am 08.01.2009 steht Ihnen Ihr Anschluss mit Arcor-Internet 6000 zur Verfügung.“
Klar, denke ich, der war bereits raus, kann vorkommen, und werfe das Schreiben zu den anderen auf die Fensterbank. Vier Tage später der nächste Umschlag. Adressat: Andreas Schlange. Ich stutze. Schlange wer? Langsam macht sich eine Identitätskrise breit.
„Sehr geehrter Herr Schlange, vielen Dank für Ihre Mitteilung vom 18.12.2008. Sie informierten uns, dass Sie eine Auftragsbestätigung erhalten haben, obwohl Sie keinen Auftrag erteilt hatten. Den Sachverhalt werden wir prüfen und umgehend Maßnahmen einleiten, damit sich dieser Vorfall nicht wiederholt.“ Der Wisch fliegt auf die Fensterbank.
Exkurs: Das DSL-Paket
Kurz nach Weihnachten finde ich einen kleinen grünen Zettel in meinem Briefkasten. Ein Paket konnte nicht zugestellt werden. Es wartet abholbereit in der nächsten Packstation. Ich befürchte Arcor, hoffe allerdings auf Geschenke. Am 2. Januar stapfe ich durch den Nieselregen zur Post, scanne das grüne Kärtchen ein, bestätige den Empfang mit meiner Unterschrift, damit sich die Schiebetür der Packstation öffnet und ich das Geschenk bekomme. Dann die Enttäuschung. Der Empfänger ist natürlich die Sabine, der Absender Arcor, und mir schnürt sich der Hals zu. Rein in die Post und das Paket zurückgehen lassen.
Die Dame hinter ihrem Schalter: „Das geht nicht.“
Ich: „Wieso? Ich will das Paket nicht entgegen nehmen und ungeöffnet zurückschicken.“
Die Dame hinter ihrem Schalter: „Sie haben den Empfang mit Ihrer Unterschrift bestätigt. Wenn Sie es zurückschicken wollen, muss ich Ihnen die normalen Versandkosten berechnen.“ (Anmerkung: knapp 7 Euro)
Ich: „Ich musste aber unterschreiben, damit sich die scheiß Tür an dieser Packstation öffnet. Sonst hätte ich doch nicht gesehen, von wem und für wen dieses Paket ist. Auf diesem verdammten Schein steht nur Schlange.“
Die Dame hinter ihrem Schalter bleibt hart und unser Gespräch führt sich im selben Wortlaut weiter. Gute fünf Minuten, vielleicht auch mehr. Dann nehme ich das Paket unter den Arm und laufe schnaubend durch das Dreckswetter zum nächsten Arcor-Laden. Das Geschäft ist voll, ich warte und lege schließlich dem Mitarbeiter das Paket auf den Tresen.
Ich. „Ein etwas komplizierter Sachverhalt aber ein eigentlich ganz einfaches Anliegen.“ In angebrachter Kürze erkläre ich dem Burschen meine Theorie von den gefälschten Callcenter-Verträgen und mache ihm deutlich, dass ich dieses verdammte DSL-Equipment im Laden lasse werde. Er gibt sich verständnisvoll, bestätigt mir auf Nachfrage, dass so etwas durchaus öfter vorkäme, und versichert mir eindringlich, dass er das Paket nicht entgegennehmen könne. Die zweite mühsame Diskussion beginnt, während sich hinter mir Kunde nach Kunde in die Schlange reiht.
Er schließlich: „In Ihrem Paket ist ein Retour-Schein. Den können Sie ausfüllen, auf das Paket kleben, und es bei der nächsten Post zurückschicken. Völlig kostenfrei.“
Ich: „Ich fasse das Paket nicht mehr an.“
Er: „Ich bitte Sie, Herr Schlange.“
Ich: „Nein.“
Er: „Och.“
Die Schlange aus wartenden Kunden hinter mir macht ihn sichtlich nervös. Er öffnet das Paket, füllt den Retour-Schein aus und klebt das Paket wieder zu. Ich – kein Unmensch – honoriere seine Hilfsbereitschaft, nehme das Paket zurück und laufe wieder zur Post. Derselbe Schalter, dieselbe Dame – sie schaut mich mitleidig an – ich lächle gequält, gebe ihr das Paket und fahr nach Hause.
Fazit: eineinhalb Stunden gestohlene Zeit, das Bedürfnis zu trinken und ein Paar durchnässte Schuhe. Danke Arcor.
Kapitel 4: Arcor immer noch Reloaded
10. Januar. „Guten Tag Frau Schlange, wie wir Ihnen in unserem letzten Schreiben mitgeteilt haben, ist es notwendig, dass die Deutsche Telekom AG Vorarbeiten für Ihren Anschluss ausführt. Dieser vereinbarte Termin kam nicht zu Stande.“ Als nächstes Datum wird der 22. Januar vorgeschlagen, Bereitschaft von 8 bis 16 Uhr. Ich sehe davon ab, den Termin zu stornieren. Die angegebene Hotline-Nummer kostet aus dem deutschen Festnetz 49 Cent pro Minute. Von meinem Handy aus sicher das Dreifache.
Wieder vier Tage versetzt gleich zwei neue Schreiben: „Guten Tag Frau Schlange, Sie kündigen Ihren Anschluss, da es bei der Beratung durch einen unserer Vertriebsmitarbeiter zu Missverständnissen kam. Schade, dass wir Sie aus diesem Grund als Kunden nicht behalten können.“
Es gab kein Gespräch, es gibt keine Kundin, es wird keine Partnerschaft geben.
Der zweite Brief ist förmlicher. „Sehr geehrte Frau Schlange, vielen Dank für Ihren Anruf vom 17.12.2009.“ – Ich hätte doch noch tiefer sprechen sollen, denke ich – „Sie haben sich über einen unserer Außendienstmitarbeiter geärgert und bitten um sofortige Stornierung Ihres Arcor-Auftrages. … Wir verstehen, dass Sie aufgrund der Geschehnisse Ihr Widerrufsrecht in Anspruch nehmen.“
Danke, allerdings flattert mir drei Tage danach eine Rechnung ins Haus. 30,82 Euro. Mir wird netterweise angeboten, den Betrag der Rechnung gutschreiben zu lassen. Ich muss lediglich bei der Hotline anrufen und mindestens fünf Euro mehr an meinen Handy-Anbieter abdrücken.
Kapitel 5: Das Ende?
Eine Dame der Verbraucherzentrale bestätigt mir, dass es immer wieder zu gefälschten Vertragsabschlüssen bei den diversen Telefonanbietern käme. Studenten, die ihr Leben im Callcenter finanzieren, erzählen mir vom Druck Abschlüsse zu machen, der miesen Bezahlung und der Konsequenz dem Datenpfusch. Also Anruf bei der Arcor-Pressestelle: Ich schilder die Sachlage, sie wollen einen Fall überprüfen, ich geb meine Daten – besser gesagt, die von der Sabine. Es ist Freitag 16.30 Uhr und mir wird ein Rückruf in den kommenden Tagen versprochen.
Und der kommt dieses Mal auch. Montag um kurz nach 10 direkt der erste: technischer Support. Der kleinen Arcor-Maus geht es während unseres Gespräches allerdings weniger um die Einzelheiten des Falles vielmehr um die Info, wer denn behauptet hätte, dass solche Betrugsfälle häufiger vorkämen. Ich halte mich an die relevanten Aspekte des Falles, unser Gespräch ist nicht sehr ergiebig, ich warte wieder auf den Rückruf der Pressestelle. Der folgt dann am Mittag. Ein kompetenter Mann, wie ich sofort merke. Mit sonorer Stimme erklärt er mir, dass doch alles ganz anders sei. Die gefälschten Verträge kämen von Außenvertretern eines Vertriebspartners. Es seien Adressen aus dem Telefonbuch oder gleich von der Haustür abgeschrieben worden und so in die Konzernmaschinerie gelangt. Den Rückruf zur Vertragsbestätigung und zum Datenabgleich habe man umgangen.
Doch kein Grund zur Sorge: Arcor habe bereits personelle Konsequenzen gezogen, sowie Strafanzeige gegen den Vertriebspartner gestellt. Natürlich seien auch die Lücken im Sicherungssystem geschlossen worden.
„Aber Herr Schlange, Sie sind mir nicht nur als Journalist und Kunde wichtig, Arcor liegt vor allem auch der Mensch am Herzen. Wären Sie nun Frau Schlange, hätten Sie schon längst zur Entschuldigung einen Blumenstrauß bekommen. Bei Ihnen bin ich mir allerdings noch unsicher.“
Für einen kurzen Moment habe ich eine Flasche Scotch vor Augen, verzichte dann aber auf weitere Post von Arcor und verabschiede mich.
Am nächsten Tag dann ein erneuter Anruf: „Herr Schlange, das hatte ich gestern vergessen. Aus systemtechnischen Gründen könnte Ihnen noch eine Rechnung zugesandt werden. Ignorieren Sie diese bitte. Der Betrag wird Ihnen gutgeschrieben.“
Letztes Kapitel: Ein sauberes Paar Socken nach soviel Scheiße
Die Verbraucherzentrale rät: Kommen falsche Verträge ins Haus, sofort reagieren, dem Unternehmen mitteilen, dass kein Vertrag zustande gekommen ist. Rein vorsorglich sollte vom Widerrufsrecht gebraucht gemacht werden und gegebenenfalls der Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Ebenfalls wichtig – gerade im Fall eines Telefonanbieters: Die Telekom benachrichtigen, dass der Port nicht freigegeben werden darf. Sonst kann es passieren, dass man sich mit dem falschen Vertrag rumschlägt, und plötzlich das Telefon gesperrt ist, weil der neue Anbieter bei der Telekom Antrag gestellt hat, den Port zu übernehmen.
Dies Ärgernis blieb mir erspart. Dennoch: Jeder normale, nicht völlig lethargische Kunde dreht im Angesicht dieser maschinell erstellt Briefeflut durch. Es scheint, als käme ein stählerner Koloss in Bewegung, der sich ungerührt von Beschwerden und Einwänden bewegt und nichtmals merkt, ob ihm der mickrige Kunde vors Schienenbein tritt. Der verbockte Umzug lief ähnlich ab. Vier Monate lag ich in der Briefeschlacht mit Arcor, seitenlange Schreiben, Chronologien der Gespräche, horrende Telefonrechnungen für die Servicenummer. Alles vergebens. Immer wieder dieselben ignoranten Formschreiben – ohne nur das kleinste Einlenkung zum Problem. Dann der letzte verzweifelte Versuch: Anruf bei der Pressestelle. Rückruf am nächsten Tag, am darauffolgenden war der Vertrag gekündigt und drei offenstehende Monatsraten gutgeschrieben.
Ich hatte Glück, ich konnte über die Journalisten-Schiene zu einer Lösung kommen. Jedem anderen Kunden bleiben nur die Hotline-Berater, die kaum Zugriffe haben, keinen Ermessensspielraum und lediglich zur läppischen Adressänderung geschult wurden. Rechtliche Schritte kosten – Zeit, Geld und Nerven.
Es ist zum Kotzen, womit sich Leute rumschlagen müssen, weil irgendeinem Unternehmen Fehler unterlaufen. Es ist erniedrigend und ernüchternd, wie wenig Einfluss man auf die Zahnräder der Konzerne hat. Für Frust und verlorene Zeit kann kein Schadensersatz gestellt werden. Ein Blumenstrauß hilft da auch nicht, ist mehr ein schlechter Scherz mit Zuckerguss. Ich ziehe vor jedem den Hut, der sich durch diese Scheiße quält und am Ende noch ein sauberes Paar Socken findet.