Unterwegs zu einer Kulturgeschichte des Reißverschlusses

Wie das manchmal so geht: Da blitzt einem was durch den Kopf und setzt sich dann fest, als wär’s kristallisiert. „Warum heißt es eigentlich Reißverschluss und nicht Reißöffner?“, kam es mir neulich spontan in den Sinn. Es gibt doch auch den Flaschenverschluss u n d den Flaschenöffner.

Sollte es sich etwa um die sprachliche Ausprägung der Prüderie handeln? Den Reißverschluss zumachen, bevor noch etwas Heikles passiert? Kann doch wohl nicht sein, in diesen permissiven, exzessiven Zeiten. Andererseits ist es ein althergebrachtes Wort, das abgestorbene Verhältnisse mit sich trägt. Sieht ganz so aus, als wären wir hier einem Mysterium zwischen den Epochen auf der Spur. Aber hallo! Daher die gravitätische Überschrift.

Übrigens fällt mir gerade noch ein, dass ganz im Sinne von Monty Python (Sketch über den toten Papagei) „Den Reißverschluss zumachen“ ein sinnfälliges Bild für den Tod abgeben könnte. Ich meine ja nur.

Naja, vergiss es. Schluss mit dem Unsinn. So eine Nebensache kannst du schwerlich bei den Ruhrbaronen `reinstellen, dachte ich mir. Hier solltest du lieber recherchieren wie ein Berserker und nach Möglichkeit eine investigativ ermittelte Erzschweinerei `raushauen; einen grellen Skandal, nach dessen Bekanntwerden Karrieren jäh abstürzen. Auf dass die Kollegen bei Zeitungen und Sendern abermals staunen: Woher haben die Teufelskerle das jetzt schon wieder her?!

Doch dann siegte mein Trotz. Denn ist es nicht auch eine Aufgabe, das Kleine und Leichte, das Unscheinbare aufzuspüren?

Aber was heißt hier unscheinbar? Jede(r) hat jeglichen Tag mit Reißverschlüssen zu tun, es sei denn, das kleidsame Leben verliefe ausschließlich zugeknöpft oder hinge nur noch am Klettband. So viel Alltag steckt zwischen den Zacken! Auch sind System-Entscheidungen nötig: Ich plädiere hiermit entschieden für den Einzelreißverschluss, der sich mit keinem gegenläufigen Pendant verheddert.

Wo die Kultur bleibe? Ha! Es ließen sich bestimmt pfundweise literarische Fundstellen sammeln, in denen Reißverschlüsse signifikant vorkommen. Vor allem die großen Erotomanen dürften einiges zu bieten haben. Instinktiv würde ich bei John Updike und Philip Roth beginnen…

Auch im Kino wäre gewiss einiges zu holen, mutmaßlich höher verdichtet in den neckischen 1950er und frühen 60er Jahren (Stichprobe bei Doris Day ratsam), am wenigsten hingegen im Pornofilm härterer Prägung, denn da sind die bisweilen umständlichen Dinger im Gegensatz zur Handlung immer schon längst offen. Ach was, es hat sie sozusagen nie gegeben.

Sodann werden wir, wenn wir die Zeit finden, bildende Kunst und Musik abgrasen, auf dass aus unserer souverän gedeuteten Materialsammlung ein kiloschwerer Prachtband und ein Standardwerk werde und auch dieser kümmerliche Einstieg gänzlich neu geschrieben werden muss.

Keine Frage, dass sich über alle Funde und Befunde endlich eine Sitten- und Kulturgeschichte sowie eine Philosophie des Reißverschließens wölben wird. Religion lassen wir hübsch aus dem Spiel.

Apropos: Wer jetzt glaubt, all das müsse man mit Michelangelos berühmtem Gottesfinger illustrieren, der an einem Zipper zuppelt, der kommt stracks in die Klischee-Anstalt. Nein, auch das von Andy Warhol gestaltete Stones-Plattencover mit dem Reißverschluss („Sticky Fingers“) ist für solche Zwecke quasi verboten. Nun reißt euch doch mal zusammen!

Vollautomatischer Journalismus

Eine Marotte hat sich in der Fußball-Berichterstattung ausgebreitet. Man sagt nicht mehr, dies und das habe sich in der ersten Halbzeit ereignet, sondern „in Halbzeit eins“. Folglich fällt ein Tor auch nicht mehr in der 57. Minute, sondern in „Minute 57“. Wobei Pedanten trefflich darüber streiten könnten, ob dies denn exakt ein und dasselbe sei.

Aber egal. Klingt ja ungemein lässig. Wozu noch mühsam Worte beugen und ins Satzgefüge einpassen, wenn’s auch mit bloßer Nennung und Reihung getan ist?

Doch derart maul- und tastenfaule Sportjournalisten werden sich wundern. Gerade weil auf diesem Feld die allermeisten Floskeln verwendet werden, hat das Intelligent Information Laboratory in Evanston (nahe Chicago) bei ihnen angesetzt. Das dort kreierte Programm „Stats Monkey“ ist bereits in der Lage, aus online verfügbaren Basisdaten (Teams, Spielernamen, Treffer, Zeitraster, Resultat) und fleißig gesammeltem Sportvokabular lesbare Berichte zu basteln, passende Überschrift inklusive. Natürlich lässt sich auch bestimmen, dass der hochgezüchtete Automatismus mehr oder weniger maßvoll die Perspektive dieses oder jenes Vereins einnimmt.

Gruselige Aussichten, nicht wahr? Zumal andere Institute drauf und dran sind, einfachere Wirtschafts- und Börsenberichte ohne weiteres Zutun menschlicher Journalisten zu generieren. Ja, selbst an Kinokritiken wagt man sich. Hier gibt es gleichfalls eine Datenbank mit gängigen Wendungen. Sodann werden positive mit negativen Ansichten gleichsam nach Proporz abgewogen, bis das System zu einer mittelprächtigen Meinung gelangt, die jeder persönlichen Färbung entbehrt. So war es jedenfalls bei ersten Tests. Auch da ließen sich allerdings ganz andere Befehle geben, sozusagen nach Mustertafel: „Erstelle Verriss / Formuliere Lobhudelei / Brich Polemik vom Zaun“.

Selbstverständlich haben einige Verleger bereits Interesse signalisiert. Manche dürften demnächst ins Zeitalter des Roboter-Journalismus einsteigen, zumindest probehalber. Werden Journalisten aller Sparten also nach und nach überflüssig? Die jungen US-Forscher wiegeln ab und behaupten, dass es hier lediglich ums journalistische Graubrot gehe. Medienmacher, denen lästige Arbeiten abgenommen werden, bekämen dadurch den Kopf frei für edlere Aufgaben: Kommentare, Analysen, Debatten, investigative Recherchen. Schön wär’s.

Doch wer heute im Lebensjahr fünfundzwanzig steht und Journalist werden will, darf sich jetzt ein paar zusätzliche Gedanken machen. Darauf Brief und Siegel am heutigen Wochentag eins.

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Nachtrag: Hiermit versichert der Autor, keine Maschine zu sein. *krrrrxxx*

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Geh mich wech mit Englisch!

Dieser Tage einen „Tatort“ nachgeholt, der im Milieu der Unternehmensberater spielte. Sobald da jemand sein Smartphone zückte und in geläufigem („verhandlungssicherem“) Englisch parlierte, war dies ein Zeichen des Bösen und hieß ungefähr: Seht her, so sind und so reden sie, die eiskalten Jobvernichter im Namen der Globalisierung.

Da dachte ich mir, es sei vielleicht an der Zeit für eine Tirade gegen die Allgegenwart der englischen Sprache. Am besten unter einem ruhrbaronisch regional kompatiblen Motto wie „Geh mich wech mit Englisch!“ oder gleich frei nach Frank Goosen: „Englisch is‘ auch Scheiße.“

Ich dachte beispielsweise an den Groll über diverse Handelswaren, die zuweilen nur noch mit englischsprachigen Bedienungsanleitungen daherkommen (welche man zudem nicht fertig gedruckt erhält, sondern erst mal downloaden muss).

Ich dachte missvergnügt an Journalisten-Kollegen, die bei Kinoterminen die Nase rümpfen, wenn die deutsche Fassung und nicht das dialektal vernuschelte US-Original vorgeführt wird. Dabei rezensieren sie fürs heimische Publikum, das die deutsche Version sieht. Doch was schert sie der gemeine Leser?

Ich dachte an dämliche, erbärmliche Anglizismen. Und überhaupt.

Schon wollte ich in irrer Schadensgier ausrufen: Es komme endlich der Tag, an dem auch die anglophone Welt unter der Knute der Wirtschaftszwänge Chinesisch lernen muss – mit allen Tonhöhen und Schriftzeichen! Und zwar bittschön kalligraphisch makellos hingetuscht!

Doch da hielt ich ein, dachte an Shakespeare, Poe & Co., an unsterbliche Zeilen der Rockmusik, andererseits an die ekelhaft nationalistisch getönten Phrasen gewisser deutscher Sprachwahrer…

Und schon war ich kuriert.

Joseph Roth und das Leuchten der Gegenwart

„Sie war schön. Ihr Angesicht war kühn, licht und entschieden. Ihr Haar hatte den Glanz des Kupfers, es klang beinahe, wenn man es ansah. Ihre Augen waren klug und stolz, wie zwei Gedanken. Ihre Stirn war klar wie ein Mittag.“

Aus diesen leuchtenden Zeilen könnte man jetzt eine Rätselfrage machen. Wer war’s, wer hat sie verfasst? Aber nein, ich posaune die Lösung gleich heraus: Joseph Roth („Radetzkymarsch“) hat mit diesen und weiteren Worten eine Frau beschrieben, die in der Russischen Revolution auf den Barrikaden gekämpft hatte und zu dem Zeitpunkt bereits an Typhus gestorben war. Politischer Aufbruch und Bereitschaft zum Liebeszauber gehen in diesem Text eine innige Verbindung ein.

Womit ich bei einer nachdrücklichen Buch-Empfehlung wäre: „Ich zeichne das Gesicht der Zeit“ (Wallstein Verlag, Göttingen, 544 Seiten, 39,90 Euro) versammelt Roths ausgewählte Essays, Reportagen und Feuilletons von 1916 bis 1939. Die 20er Jahre waren bekanntlich eine Zeit, in der das Feuilleton in hoher Blüte gestanden hat. Polgar, Tucholsky, Kisch und Kracauer haben damals geschrieben – und viele andere von ähnlicher Güte, darunter eben auch Roth. Welch ein geistiger Reichtum vor den barbarischen, finsteren Zeiten.

Der als Kolumnist gewiss nicht unbegabte Harry Rowohlt hat einmal sinngemäß festgestellt, wenn er im damaligen Umfeld hätte antreten müssen, so hätte er kaum etwas zu bestellen gehabt. Mag sein. Wir wollen und können das nicht näher überprüfen.

Wir können aber Roths wunderbar schlackenlose Prosa lesen, die sich den Verhältnissen geradezu anschmiegt und kein Wort zu viel mit sich führt. Und wie vielfältig ist dieser Band! Texte zur Zeitgeschichte des Judentums stehen neben feinsinnigen Alltags-Impressionen, funkelnden Reise- und Gesellschaftsbildern.

Im Gegensatz zum furiosen Journalistenfresser Karl Kraus plädierte Joseph Roth übrigens vehement für hellwache, entschiedene Zeitgenossenschaft. Gerade die treffliche Momentaufnahme weise weit über den flüchtigen Augenblick hinaus. Zitat: „Ein Journalist kann, er soll ein Jahrhundert-Schriftsteller sein. Die echte Aktualität ist keineswegs auf 24 Stunden beschränkt. Sie ist zeit- und nicht tagesgemäß.“

Sternenhoch gegriffen. Und doch: Hinein ins Stammbuch mit solchen Sätzen!

Immer wieder sonntags: Entgrenzter Journalismus

Über die Rubrik Marcel Reich-Ranickis in der FAZ-Sonntagszeitung (FAS) ärgere ich mich seit geraumer Zeit. Päpstlicher als jeder sonstige Papst, soll der Literaturkritiker dort angebliche Leserfragen nach dem Muster „Wer war am besten: Puschkin, Tolstoij oder Dostojewski?“ beantworten. Und er tut’s bereitwillig.

Kulturloser geht’s schwerlich. Blick zurück: Als Sieben- bis Achtjährige haben wir vielleicht gerufen „Mein Papi ist aber stärker als deiner!“ Damit wäre ungefähr die Niveaustufe solcher Vergleiche markiert.

Jetzt wurde es mal wieder geradezu obszön. „Wie beurteilen Sie Kurt Tucholsky?“, begehren Leser von MRR zu wissen. Der entblödet sich nicht, zu einer selbstgefälligen Antwort in zwei Teilen anzusetzen. Egal, was darin steht und wie gönnerhaft er sich gibt: Die bloße Tatsache, dass dieser Mensch sich aufschwingt, jenen von schräg oben herab wie mit Schulnoten zu „beurteilen“, macht frösteln oder wahlweise zürnen. Welch eine unwürdige Medien-Kasperei.

Noch weitaus schlimmer freilich kommt jener FAS-Autor mit dem Kürzel riw. (Klarname: Richard Wagner) daher, der allwöchentlich die Rubrik „Das war’s“ sudelnd bedient. Mit der Attitüde, vor nichts, aber auch vor gar nichts Respekt zu haben und politisch aber so richtig, richtig unkorrekt zu sein, schreibt sich der Mann in einen Rausch hinein. Irgend jemand sollte ihn mal bremsen, sonst glaubt er noch, sich restlos alles erlauben zu können. Gibt es denn keinen mehr in der Redaktion, der seine entgrenzten Elaborate gegenliest?

Presseratsverdächtig sind jetzt seine mehr als zynischen, durchaus menschenverachtenden Einlassungen zum Freitod eines nicht allzu bekannten Schauspielers. Nun will ich nicht den ganzen Absatz zitieren, sonst würde ich am Ende noch das Copyright jenes Herrn verletzen. Jedenfalls wird aus dem Selbstmord im vermeintlichen Gefolge Robert Enkes eine todtraurige Lustigkeit herbeigezerrt. Wie die Angehörigen das wohl finden werden?

Ach, ich wüsste schon einige Worte, mit denen ich den zwischenzeitlichen Bertelsmann-Chargen riw., der leider zur FAS zurückgekehrt ist, öffentlich belegen würde, wenn’s nicht justiziabel wäre… Wie wär’s für den harmlosen Anfang mit „Glossen-Schmierant“?

Dämlich schon seine Marotte, sich von allen Dingen und Verhältnissen mit einem ach so lässig hingestreuten „sogenannte(n)“ zu distanzieren. Nichts ist, was es ist, alles ist aus dieser arroganten Drübersteh-Position nur „sogenannt“. Manchmal trifft’s, oft aber nicht. Noch dümmlicher freilich klingen die gewundenen, rituellen Schlussfloskeln, die mit klebrig triefendem Landser-Humor darauf hinauslaufen, zum Trost eine „kleine Tadschikin“ auf etwelchen Teppichen kosen und hätscheln zu wollen. Eroberungsgesten mit Ekelfaktor.

P. S.: Doppelt schade für die FAS, da doch so schätzenswerte Autoren wie Volker Weidermann oder Nils Minkmar etc. dort schreiben.

Kreativwirtschaft auf’m Platz

Heute um 20.30 Uhr beginnt die Rückrunde der Fußball-Bundesliga, die ARD zeigt das womöglich wegweisende Auswärtsspiel von Borussia Dortmund in Leverkusen. So weit, so nüchtern festgestellt.

Die Fieberkurve steigt jedoch. Als Dortmunder und BVB-Anhänger kann einem zugleich mulmig werden, sofern man nicht völlig benebelt ist. Trotz des famosen Zehn-Punkte-Vorsprungs hat Trainer Jürgen Klopp verdammt recht, wenn er das M-Wort nicht benutzen will. Ein paar Verletzungen, eine kleine krisenhafte Serie – und schon… Aaaaargh!

Derart euphorische Vorschusslorbeeren wie für den jetzigen Tabellenführer hat es für einen Verein außerhalb Bayerns wohl noch nie gegeben. Der erste Wettanbieter hat bereits jetzt Gewinne an jene ausgezahlt, die auf den BVB als Meister gesetzt haben. Verrückt. Daher schneller Themenschwenk.

Man kennt das: Im Umfeld von WM- oder EM-Turnieren werden stets weit ins (Multi)-Kulturelle und Gesellschaftliche ausgreifende Hypothesen gestemmt, warum die Kicker dieser Nation obenauf sind, andere aber darnieder liegen.

Welchen Maßstab aber will man im Vergleich der deutschen Städte anlegen? Hat sich die viel beschworene Dortmunder Kreativwirtschaft schon rundum ausgewirkt? Hat gar das Gewese der Kulturhauptstadt rings ums Dortmunder „U“ auch der Fußballmannschaft Flügel verliehen? Unsinn. Entscheidend is‘ auf’m Platz. Die mitreißende Leidenschaft kommt aus dem Spiel und mitten aus dem Team heraus, sie wäre eher gruppenpsychologisch zu verstehen. Ob sie etwas anderes repräsentiert, darf bezweifelt werden. Behaupte ich jetzt mal.
In der Süddeutschen Zeitung von heute steht ein ausführliches Interview, das (der Dortmunder) Freddie Röckenhaus mit dem BVB-Vorstandschef Hans-Joachim Watzke geführt hat, welcher (mit Seitenblick auf die Grünen) die „wertkonservative“ Haltung seiner gut dotierten Angestellten lobt. Die schwarzgelben Profis, so Watzke, dächten beim Spiel nicht so sehr an Arbeit und Geld, sondern an die „Chance zur Selbstverwirklichung“. Same old story: Elf Freunde sollt ihr sein. Man fühlt sich fast wieder wie bei Sepp Herberger selig. Ach, ist das heimelig!
Apropos Süddeutsche, FAZ & Co. Falls dem BVB das Meisterstück gelingen sollte, werden in den überregionalen Zeitungen wieder jene etwas gönnerhaften Artikel erscheinen, in denen steht, wie bitter nötig eine gebeutelte Stadt wie Dortmund eine solchen Schub doch habe. Es wäre schön, wenn ich mich irrte.

P. S.: Frage niemand nach dem Bild, ich verrate es sowieso. Die Pinguine in den Trikots von Brasilien und England gab’s zur WM 2002.

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