Es ist Zeit für eine neue Reihe: ‚Ruhrgezwitzscher‘. Hier gibt es Geschichten mit merkwürdigem Mehrwert. Der Pott zwischen Ansichten und Einsichten.
Das blaue Trikot mit der Nummer 25 des VfL Bochum prangt an der Wand wie ein Bärenfell. Die Kunstfasern schimmern im schwachen Licht der Glühbirne, die ein gelbliches Leuchten in die dunklen Ecken der Kneipe wirft. Bei der Wandfarbe war die Wahl auf Apricot gefallen. Eine Farbe, von der Ray Charles einst sagte, allein für sie lohne es sich, blind zu sein. Vielleicht steckt auch deswegen das Teelicht mit Weihnachtsmotiven in einem erblindeten Glasbehälter. Der Lauf meines Fingers wird von einer Nikotin-Staubschicht gebremst. Es riecht nach ranzigem Frittierfett und herbem Tabakrauch. Pommes-Currywurst ist heute im Angebot. Für 1,99 Euro, serviert auf geblümtem Porzellan. Links und rechts gibt Mobiliar des Typs ‚Gelsenkirchener Barock‘ dem Sichtfeld Struktur. An der Wand hängt ein Stillleben von Unbekannt. Es kommt mir bekannt vor. Das Klackern der Plastikwürfel wird nur von einem dumpfen Rums unterbrochen, der erklingt, sobald der lederne Würfelbecher auf die massive Echtholztheke klatscht. An der Theke trägt man Bart. Wolfgang hat schon wieder eine Sechs gewürfelt. Ulla zieht noch einmal genüsslich an ihrer HB, bevor sie den Frittierkorb schwungvoll aus dem Fett hebt, um den Garzustand der Pommes zu prüfen. Viel Zeit hat sie nicht. Wolfgang gewinnt.
„Zweiundzwanzig-Zwei. Na, dann komm mal her, du kleine süße Maus.“
„Wieso, was ist passiert?“
„Nichts Besonderes, aber einen kannst du uns ruhig noch machen.“
Die Runde geht auf Helmut, der sich den letzten Nüssel seines Pils in die Kehle kippt. Zum Kurzen gibt es eine Selbstgedrehte. Er greift zum Tabakbeutel. Aus den Boxen klingt den Gästen die Aufforderung entgegen, das Lasso herauszuholen. Das Paar am Nachbartisch fachsimpelt über britische Sportwagen. Ein Cabrio hatte Elsa noch nie und muss lachen, als sie sich vorstellt, wie sie wohl auf dem Beifahrersitz aussehen würde. Sie fürchtet, der Sitz sei sicher viel zu tief, so dass sie gar nicht mehr hochkommen würde. Vor allem nicht seit ihrer Hüft-OP.
Ein Mann setzt sich an meinen Tisch und nickt mir zu. Er setzt sich mehr auf die Kante als auf die Bank. Er setzt sich nur für kurze Zeit. Die zwei Bratwürste und eine Fanta sind so schnell verschwunden, wie Ulla sie serviert hat. Er atmet laut beim Essen. Er ist in Eile. Hastig schlingt er das letzte Stück Wurst herunter. Er steht auf und hetzt Richtung Ausgang. Ulla räumt ab.
„Pass ma auf. Ich lass nich zu, dass meine Tochter watt passiert. Oder meine Frau. Junget Paar. Datt stand inne WAZ und inne Bild. Im Hausflur überfallen und vergewaltigt. Da frag ich mich: Wo sind die Einwohner?“
„Ja, watt machste jetzt? Willste, datt jetzt jeder mit ne Waffe rumrennt? Datt musste doch mal zu Ende denken.“
„Wenn datt meine Tochter gewesen wär. Wenn ich den erwischen würde, ich würd den platt machen.“
„Der getötet hat, war 19 Jahre. Datt stand inne Bild.“
„25 Jahre. Auch für die, die unschuldige Menschen inne U-Bahn zusammenhauen.“
„Aber die warn doch noch gar nicht ausgewachsen. 17, oder watt warn die?“
„Du hast ja Recht. 25 Jahre sind `n bisschen hart. Aber die gehörn lebenslang innen Steinbruch.“
„Wollen wa ma über Amerika reden? Die ham ganze Viertel da, wo de dich nicht mehr reintrauen kannst. Nich mal die Polizei!“
„Die sperren allet ein. Kinder! Kinder sperrn die ein. Wenn de datt haben willst, dann lach ich mich kaputt. Mitte Blagen da nich zurechtkommen.“
„Den Bericht hab ich auch gelesen. Spiegel-Online.“
„Ich hab den ausse New York Times.“
„Die kannst du doch gar nicht lesen. Die is auf Englisch.“
„Ich hab die aber gelesen.“
„Ach, wo denn? Wo war datt denn? Wo hasse die her? Wo stand datt denn?“
„Im Computer.“
„Ach, hör doch auf!“