Mud, Blood, Love – Eine Jungfrau als austauschbare Gesinnungsikone

 

Johanna (Lena Schwarz) schmeißt sich heroisch in die Schlacht. / Foto: Arno Declair

Schmeißt schon mal den Scheiterhaufen an, sie hört Stimmen – nicht ihre eigene, sondern die der Mutter Gottes. Die sagt ihr, dass sie auserwählt sei, Frankreich zu befreien. Mutig. Denn wir befinden uns im ausgehenden Mittelalter. Da redet man am besten nicht mit Gott, sondern mit der Kirche. An der vordersten Front des Schauspielhauses Bochum ficht Johanna von Orleáns derzeit eine blutige Schlammschlacht. Nach den Labdakiden und Peer Gynt inszeniert Roger Vontobel nun Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleáns“ und verwandelt die Bochumer Kammerspiele dabei in ein Darkstage-Dickicht, in dem geistliche und weltliche Herrscher die verworrenen Fäden ziehen. In seiner zweistündigen Inszenierung zeigt er, wie viel Schillers poetische Bearbeitung des Jungfrauen-Mythos noch immer über zeitgenössische Interessensklüngelei verrät.


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Wenn Walküren wütend werden…

 

Noch kann Brunhild (Magdalena Helmig) die Ankunft Siegfrieds kaum erwarten. / Foto: Charleen Markow

Was macht Brunhild eigentlich, wenn sie nicht gerade besungen wird? Sie zertritt Schaben und singt selbst – zumindest in der einstündigen Inszenierung von Arne Nobel. Der Monolog verhandelt die Geschichte der hintergangenen Walküre Brunhild und ist ein Teil der Angry-Young-Women-Reihe des Bochumer Rottstr5-Theaters. Mit „Brunhild“ greift Nobel erstmals die Problematik einer weiblichen Figur des Nibelungenzyklus heraus und liefert eine emotionsgeladene Interpretation des Sagenstoffes.

 

Im emotionalen Wolkenkratzer einer Walküre gibt es keinen Fahrstuhl, kein 73. Stockwerk, in dem sie sich aus dem Fenster stürzen könnte. Wenn sie des Hinaufsteigens müde wird, ist sie im Arsch.

Die Story: Eine Frau sitzt fest in Island auf einer Burg zwischen Feuer und Eis – verliebt, aber verraten. Die Details: Die Walküre Brunhild wird von ihrem Vater Odin dazu verdonnert, so lange ein einsames Dasein in den Mauern von Isenstein zu fristen, bis jemand kommen würde, um sie zu freien. Brunhild gelingt es jedoch, die väterliche Strafe um eine Bedingung zu erweitern. Der Freier soll ihr an Stärke überlegen sein und dies im Zweikampf mit ihr beweisen. Hierbei denkt sie an ihren Helden Siegfried, der ihr laut einer schicksalhaften Weisung versprochen ist. Das Problem: Auch König Gunter hat Interesse. Der Plan: Deswegen überzeugt er Siegfried davon, sich auf einen Pakt mit ihm einzulassen, auf Brunhild zu verzichten und stattdessen Gunters Schwester Kriemhild zur Frau zu nehmen. Der Clou: Er selbst kann Brunhild nicht bezwingen. Das soll daher Siegfried übernehmen – unter falscher Flagge, versteht sich. Das Ergebnis: Die Walküre wird verraten und gleich zwei Mal geschändet. Die Konsequenz: Die wirklich wütende Walküre wird magersüchtig, fällt schließlich in ihr altes Paarungsmuster zurück und wünscht sich am Ende doch wieder einen Helden.

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Auf die Dürre folgt die Depression

 

Nermina Kukic im Rottstr5-Theater. Foto: Rottstr5-Theater

Manchmal ist die persönliche Quengelei im Universellen verortbar. Heute Abend feiert The Waste Land, das Ulysses der Lyrik, von T. S. Eliot im Bochumer Rottstr5-Theater Premiere. Nermina Kukic bringt das Jahrhundertgedicht mit musikalischer Ergänzung von Ingmar Kurenbach auf die Bühne. Es wird rhythmisch und poetisch. Dazu kommen starke sprachliche Bilder, emotionale Apokalypse und berstendes Leid.

„April is the cruelest month“, lautete die berühmte Anfangszeile. „April ist der grausamste Monat“. Fünf Jahre lang las Kukic The Waste Land jedes Jahr im April. Irgendwann war klar, dass Kukic Das Wüste Land auf die Bühne bringen wollte. Arne Nobel, der Intendant der Rottstr5, gibt der ambitionierten Schauspielerin in seinem Theater die Gelegenheit dazu. Mit diesem Gedicht hat sich Eliot von der Seele geschrieben, was tatsächliche Dürre und Depression ihm angetan haben. Er ist wütend und benennt, was ihm widerfahren ist. Seine 433 Verse bieten reichlich Raum für Identifikation. Denn es sind dieselben alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden.

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Empire State of Mind

 

Herr Green (Daniel Stock), Karl Rossmann (Dimitrij Schaad) und Herr Pollunder (Manfred Böll). / Foto: Thomas Aurin

Moderne Bilder oben, Kafkas Worte unten. Der Applaus nach der „Amerika“-Premiere im Bochumer Schauspielhaus war lang anhaltend und in seiner Intensität konstant. Standing Ovations oder Buh-Rufe gab es keine. In zweieinhalb Stunden ohne Pause brachte Jan Klata das unvollendete Werk Franz Kafkas, das ursprünglich den Titel „Der Verschollene“ trug, auf die Bühne des Bochumer Schauspielhauses. Klata illustrierte den Text dabei reichhaltig, indem er die klischeehafte Ästhetik eines Amerikas ausgiebig zitierte, wie es sich in den vergangenen Jahrzehnten in die Köpfe seiner Beobachter gebrannt hat. Was blieb, war ein beeindruckender, aber nicht unbedingt einzigartiger Remix von Popkultur und gesellschaftlichen Klischees – durchzogen von Kafkas entlarvendem Geist.

 

Der 16-jährige Karl Rossmann wird von den Eltern verstoßen und nach Amerika geschickt. Rossmann scheitert in der neuen Welt schuldlos. Permanent ist der junge Rossmann Last, Unrecht und Härte ausgesetzt. Rührend in der Wirkung, tragisch in der Konsequenz. Er begreift weder das Leben noch, was ihm zustößt. Er begreift es nicht, weil es einfach nicht zu begreifen ist. Rossmann reiht sich ein in die Riege der bürgerlichen Individuen, die ihre eigene Vernichtung in masochistischer Weise inszenieren.

Come to where the Flavour is…

Klata gilt als einer der profiliertesten polnischen Regisseure und markiert mit seiner Inszenierung den Moment, in welchem der dem Leben ausgesetzte Mensch selbstreflexiv wird. Er inszeniert hier mithilfe der dramaturgischen Unterstützung von Olaf Kröck den Roman eines Mannes, der eine ausgeprägte Liebe für Untergänge hatte. Kafka schrieb die ersten sieben Kapitel der Geschichte in einem viermonatigen produktiven Rausch. Wie kein Zweiter beschrieb Kafka, der Freund der Söhne und der Untergänge, die Dramatik eines Wachkomas, das nichts als Enge und Ich-Dramatik bereithält. Es ist ein wuchernder Alptraum einer Lebenswirklichkeit, die sich rapide wandelt und in der jeder Keim eines Ausbruchsversuchs auf den Boden eines alles verschlingenden Treibsands gesät und somit von vornherein verloren ist. Diese Realität kann nicht mit Mitteln überwunden werden, die in ihr zur Verfügung stehen. Denn Ausbruch und Entkommen sind nicht vorgesehen.

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Matte Wetter, Teens & Pop-Musik

Die Zeche übervoll / Foto: OH Napoleon

 

Nicht nur Chris Roberts weiß: Man kann nicht immer 17 sein. Aber man kann  sich wenigstens noch mal anschauen, wie das früher eigentlich so gewesen ist.  Dazu besucht man am besten ein Konzert von Boyce Avenue. Im Rahmen ihrer Europa-Tour legten diese nämlich gestern einen Zwischenstopp in der Zeche Bochum ein. Ein Erfahrungsbericht:

Boyce Avenue waren da und die Teens hin und weg. Das Konzert der Manzano-Brüder in der übervollen Zeche Bochum war restlos ausverkauft. Dank gut gemachter Coverversionen, die sie über YouTube, Myspace & Co. veröffentlichten, haben Boyce Avenue mit ihrem Akustik-Pop-Rock weltweite Bekanntheit erlangt.

Die Halle der Zeche war bis zum Bersten gefüllt. Wohin man auch blickte: 16- bis 18-Jährige Teens, Teens, Teens. Die Diskokugel drehte sich und die Kids schwitzten, was die Poren hergaben. Die Luftfeuchtigkeit erreichte schnell einen grenzwertigen Bereich und plötzlich glich die Zeche einer Sauna. Erstickend wirkende Luft mit verringertem Anteil an Sauerstoff: Matte Wetter, fast wie bei der Arbeit unter Tage. Die ausliegenden Flyer wurden kurzerhand zu Fächern umfunktioniert, um dem angeschlagenen Kreislauf ein bisschen Entlastung zu verschaffen.

Ausverkauft und volles Haus

Die Support Band OH Napoleon macht Indie-Pop, musiziert eigentlich zu fünft, kam an diesem Abend jedoch als Trio. Sie spielten vor einem mindestens 800-Leute-starken Publikum, von dem sie begeistert empfangen wurden. Inhaltlich wurde in ihren Texten nicht allzu viel verhandelt. Man könnte sogar behaupten, sie hätten in ihren Songs nicht wirklich viel zu sagen. Aber was heißt das schon? Manchmal bewegten sich die Texte

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Keine Kinder, aber Gedanken

"Seelenkarussel" / Foto: Chantal Stauder

Kunst gebiert keine Kinder, aber Gedanken. Und manchmal ist sie ein bisschen so wie der berühmte „Traum eines lächerlichen Menschen“ von Dostojewski. Vom 2. bis zum 9. April zeigt das Blaue Haus in Dortmund die Ausstellung „Seelenkarusell – Lyrische Malerei“. Zu sehen sind Bilder und Gedichte der jungen Künstlerin Alina Cebula. Anlässlich ihrer ersten Ausstellung sprach ich mit ihr über die Zuversicht, wenn es eigentlich nichts zu verlieren gibt und die Brotlosigkeit der Kunst. Dabei bewies sie durchaus Sinn für Humor.

Viele Menschen bevorzugen ein Leben, in dem man eine Lebensversicherung, eine Laptop- und eine Hundeversicherung braucht, um angstfrei Brötchen kaufen zu können. Auf`s Spiel gesetzt wird das allenfalls für drei Wochen mit einer rundum-sorglos-Versicherung für den Urlaub. Dem Risiko ‚Leben’ möchte man sich lieber nicht ungeschützt aussetzen. Aber jedes Leben wird von Zeit zu Zeit zum Kunstwerk und wenn man zufällig Künstler ist, zeichnet man auf, was sich abspielt. Deswegen ist der Künstler ein Sysiphos. Er kämpft gegen die Vergeblichkeit, obwohl er sie bannt.

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Es muss nicht immer Fremdschämen sein

Alejandro Manzano and Daniel Manzano in Strasbourg im November 2010/Foto: Wikipedia

Boyce Avenue beehren als Akustik-Act die Zeche Bochum.

Wenn musikalisch motivierte Menschen versuchen, trashige, totgehörte und völlig überproduzierte Pophits zu covern, dann löst das in der Regel eher Irritationen aus. Meistens klingt die Laiensession schräg bis unterirdisch (wird trotzdem auf Video festgehalten) und landet zu allem Überfluss als Coverspam auf YouTube.

Nun ja. Eigentlich möchte das niemand hören. Auch die Universal Music Group (UMG) wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zwei Jahre später auf die Noch-nicht-Künstler zukommen, um ihnen einen Plattenvertrag anzubieten. Genau so erging es jedoch Boyce Avenue, einer US-amerikanischen Alternative-Rock-Band aus Sarasota, Florida. Bekannt wurden sie durch Coverversionen bekannter Songs, die sie bei YouTube veröffentlichten. Im November 2009 unterzeichneten sie ihren Vertrag bei Universal.

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Freedom of Speech

Das Buch zur Ausstellung (Cover)

Im Dezember haben die „Freedom of Speech“-Ausstellungen in Hamburg und Berlin für einige Debatten gesorgt: „Wie frei ist die Meinung?“, fragte der Tagesspiegel. Die taz schrieb von den „Grenzen des Sagbaren“, und der Welt ging es um „der Bilder Macht und Wahrheitsgehalt“. Die Hamburger Ausstellung ist noch zwei Wochen lang zu sehen. Jetzt ist auch das Buch zum Thema im Handel erhältlich. Darin machen die Autorinnen und Autoren die ganz großen Fässer auf. Ob nun die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands Posten, provokante Nazi-Inszenierungen im öffentlichen Raum von Christoph Schlingensief oder die Fake-Interviews des Schweizer Journalisten Tom Kummer: Es geht um Phänomene, die entweder die Grenzen der Redefreiheit austesteten oder von Zensur(forderungen) betroffen waren. Ziel des Ausstellungs- und Buchprojekts: Die Debatten sichtbar machen, die sich an den Exponaten entzündet haben.

Das Buch „Freedom of Speech“ zeichnet die Auseinandersetzungen um die Presseveröffentlichungen, Kunstwerke und Aktionen nach, die im Zentrum der beiden Ausstellungen stehen. Herausgegeben wird der Band von den Kuratoren Marius Babias und Florian Waldvogel. Die Analysetexte stammen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), die sich über einen Zeitraum von acht Monaten an dem Projekt beteiligt haben.

Einer der Autoren ist der Literatur- und Sozialwissenschaftler Rolf van Raden. Ich sprach mit ihm über Meinungsfreiheit und die Suche nach Wahrheit.

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Eine diskursive Demontage

Katja Uffelmann spielt mit vollem Einsatz. /Foto: Sascha Kreklau

Sie suchen „einen Hit, ohne -ler, einen Sta(r), ohne –lin“. Und veranstalten seit vier Wochen ein Casting nach dem anderen. Sie haben einen eingeladen, aber der lässt auf sich warten. Wagners Musikdrama „Der Ring“ ist in der Jetztzeit angekommen und wird von Ulf Goerke und Matthias Wulst folgerichtig zu einem diskursiven Musical dekonstruiert. Siegfried Superheld – ein diskursives Musical markiert den Start des Nibelungen-Zyklus im Bochumer Rottstr5-Theater.

Inklusive Bonus-Track: 13 Fragen an den Regisseur Ulf Goerke

„Subversiv wie Schlingensief, intellektuell wie Heiner Müller, erotisch wie Carla Bruni“ will diese Inszenierung sein. Drei Musicalmacher suchen für eine Neuproduktion einen Darsteller des Siegfried. Der neue Siegfried soll jedoch weder Held, noch Hitler, sondern überideologisch sein. Er soll als „eine Art Bedürfnisanstalt installiert werden“, die als Mannigfaltigkeit Raum für Utopie und Identifikation mit kalkulierter Halbwertszeit bietet. Geplante Obsoleszenz im Musentempel also. Die Musicalmacher wollen „eine Fresse, in die sie alles reinprojizieren können“. So umgeht das Stück die letztgültige und eindeutige Antwort auf die Frage, wie Siegfried sein müsste, verliert dabei aber die Nibelungenproblematik nicht aus dem Blick.

Magdalena Helmig als Zwerg Mime und Andreas Bittl als Siegfried/ Foto: Sascha Kreklau

Alles, was bei der Beantwortung der Frage, was ein Held ist, je scheiterte und historisch festgehalten wurde, lässt Goerke hier Revue passieren. Sämtliche Heilsversprechen erfahren ihre Auferstehung, um kurz darauf niedergemetzelt zu werden. Es ist eine Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche, eine Aufarbeitung, aber auch eine Abnabelung von den Konventionen des Umgangs mit den Nibelungen.

Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche

Von Wagners Hauptwerk bleiben Szenen von Siegfrieds Geburt, Jugend und Adoleszenz – Intermezzi mit dem zwergenhaften Schmied Mime im Ur-Wald, und Brünhilde. Die ewige Weisheit der heiligen Ordnung erhält dank diskursiver Dekonstruktion einen provokativen Gegenpart und verdrängt so die Sprachlosigkeit vor dem Monumentalen. Die Sagengestalt des Drachentöters wird mit Blick auf den potentiellen Darsteller fortwährend transformiert. Mit temporeichen Rollen- und Szenenwechseln entsteht bei dieser Inszenierung Rhythmus statt Zyklus. Sätze mit Symbolcharakter deuten die verschiedenen Diskurse an und aktivieren lebhafte Bilder, die in einem Gedankenfeuerwerk kulminieren – mit reichlich Potential für spontane Lachanfälle im Schlepptau. Dennoch wissen sie: „Die Nibelungen – das ist Trauma – und da müssen wir durch“.

"Tarnkappe, Tarnkappe, Tarnkappe, Tarn...", heißt es beim Nibelungen-Reggae. /Foto: Sascha Kreklau

Die Schauspieler Magdalena Helmig, Katja Uffelmann und Andreas Bittl stehen auf drei hölzernen weißen Sockeln. Die Damen treten in prunkvollen Ballkleidern auf, während Bittl Anzug, lila Hemd und Clark-Gable-Bart trägt. Das Trio schaut sich in der Trümmerlandschaft der Gedankenfelder um und spannt unterschiedlichste assoziative Netze und Fluchtlinien. Dabei enttarnen sie die Illusion, dass das System unserer Weltbilder stabil sei. Ihr bombastisches Spiel, Betonung und Timing legen dem Stück ordentlich Gewicht bei. Ein Highlight: Alle drei können nicht nur spielen, sondern auch noch singen.

Tarnkappen-Trio

Uffelmann und Helmig wachsen als Zwerg Mime dank ihres inbrünstigen Spiels über sich hinaus. Beide sorgen bei dieser Inszenierung mit ihrem fulminanten Einsatz dafür, dass es einer der ganz großen Abende werden kann. Andreas Bittl ist bei all dem einfach nur supercool und lässig. Durch feine Nuancen einer gewissen Naivität gelingt es ihm, seiner Rolle eine unsagbare Komik zu verleihen. Nicht nur schauspielerisch kann er überzeugen, auch musikalisch punktet er vor allem mit der Tarnkappen-Reggae-Nummer.

Mit politisch inkorrekten, aber dreifach ironisch gebrochenen Flanken rollen Goerke und Wulst das Diskursfeld von hinten auf. Schonungslos wird das Mark der Inszenierungsproblematik freigelegt. Bisweilen thematisieren selbst goldene Glitzerschnipsel die Reflexion der Situation. Die Perspektiven wechseln fortlaufend. Denn diejenigen, die inszenieren, sind auch jene, die rezipieren. Die Musicalmacher markieren den selbstironischen Wechsel von Objekt- zu Metasprache höchst selbst, so dass Innen- und Außenperspektive gewissermaßen implodieren.

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Zahlen ’schönen‘ für den Quartalsbericht

Wer hier mitmischen will, muss regelmäßig Quartalsberichte abliefern. /Foto: Wikipedia Commons

Nicht nur weil riskante Bilanzpolitik und Finanzspekulation auf dem Kapitalmarkt scheinbar zum guten Ton unter Wirtschaftsunternehmern gehören, haben sich einige Unternehmen dazu verpflichtet, einen Quartalsbericht von ihren Managementabteilungen zu fordern. Wirtschaftswissenschaftler um Prof. Dr. Jürgen Ernstberger (Lehrstuhl für Accounting, insbesondere Auditing) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) kamen in einer Studie nun zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen in der Folge der Berichtspflicht bei ihrer Unternehmensführung statt auf Nachhaltigkeit auf kurzweiligen Erfolg setzen, um kurz vor der Prüfung die Zahlen zu schönen. Auf den ersten Blick legen die Ergebnisse der Studie die Forderung nahe, die Pflichtberichte wieder abzuschaffen. Auf einen zweiten Blick verraten sie jedoch einiges über verbesserungswürdige Aspekte innerhalb der Unternehmenspolitik.

Die empirische Grundlage der Studie bilden die Quartalsberichte von börsennotierten Unternehmen in 15 europäischen Ländern aus den Jahren 2005 bis 2009. Um die Auswirkungen der Quartalsberichterstattung zu untersuchen, wurden daraufhin verschiedene Faktoren gemessen. „In Tampa/Florida (USA) stellten die RUB-Forscher vor kurzem die Studie vor und erhielten den Best Paper Award der American Acconting Association als Preis für den besten wissenschaftlichen Beitrag“, heißt es in der Pressemitteilung der RUB. Ob die Nachteile einer Berichtspflicht die Vorteile überwiegen, haben die Forscher jedoch nicht explizit untersucht. „Als Wissenschaftler Wertentscheidungen zu treffen, ist immer schwierig“, so Ernstberger. Denn bei der Studie handelt es sich um eine so genannte Regressionsanalyse, aus der sich schon allein aufgrund der Methodik keine Kausalität ableiten lässt.

Transparenz durch ‚Prime Standard‘

Will ein Unternehmen an der Frankfurter Wertpapierbörse mitmischen und in den dafür notwendigen ‚Prime Standard’ aufgenommen werden, muss es Quartalsberichte abliefern und weitere Transparenzstandards erfüllen. Eine Möglichkeit, zu einem positiven Quartalsbericht zu kommen, ist zum Beispiel, unmittelbar vor der Prüfung überdurchschnittlich hohe Preisnachlässe zu gewähren, um so die Umsatzzahlen kurzfristig zu erhöhen. In anderen Fällen wird einfach „weniger in Forschung und Entwicklung investiert, um kurzfristig den Unternehmenserfolg zu steigern“. Wenn das Management sich also für den schnellen, aber kurzfristigen Erfolg entscheidet, zieht ihr Verhalten langfristig schädlichere Konsequenzen für das Unternehmen nach sich. Sie schadet zum Beispiel einer potentiellen Wertsteigerung des Unternehmens. Vor allem in Fällen, in denen Unternehmen zudem schwerpunktmäßig auf Bilanzpolitik setzen, „eine geringere Anzahl von Analysten als Kontrollinstanz sowie einen schwachen Minderheitenschutz aufweisen“, ist dieser Effekt besonders deutlich zu sehen.

Korrelation ist nicht Kausalität

Da die Pflicht, vierteljährlich Bericht zu erstatten, dazu führt, dass einige Manager für ihren Erfolg und gute Zahlen tricksen (womit sie jedoch auf lange Sicht das Unternehmen entsprechend zugrunde richten), scheint die Studie nahe zu legen, die Berichtspflicht wieder abzuschaffen. Doch gibt die Studie an keiner Stelle darüber Auskunft, ob die Berichte die eigentliche Ursache für das unternehmensschädliche Verhalten der Manager sind. Auch die Wirtschaftswissenschaftler der RUB wissen: Korrelation ist noch lange keine Kausalität. So darf man aus der Tatsache, dass man die Feuerwehr oft bei Bränden findet, nicht folgern, dass die Feuerwehr die Ursache für Brände sei. Was die Schlussfolgerung betrifft, sollte man sich also davor hüten, die Ursache mit der Wirkung zu verwechseln. Mit der Forderung, die Manager von ihrer Pflicht zu den Quartalsberichten zu entheben, würde man nämlich gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.

Nachhaltigkeit gilt nicht als Erfolgskriterium

Denn dass die Unternehmen selbst eben jene Strukturen schaffen, die ein Verhalten der Manager begünstigen, das auf kurzfristigen Erfolg statt auf Nachhaltigkeit angelegt ist, wird bei der Debatte um die Berichtspflicht so gut wie nie berücksichtigt. Stattdessen werden wissenschaftliche Studien dieser Art dazu missbraucht, die Berichtspflicht als die Wurzel des Übels auszugeben. Das ist jedoch nicht einleuchtend, sondern lediglich argumentativ fragwürdig. Bekanntestes Beispiel für eine solche Argumentation ist der damalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Dieser weigerte sich (entgegen den Vorgaben der Deutschen Börse), eine regelmäßige vierteljährliche Berichterstattung durchführen zu lassen. Aber anders als er argumentiert, behindert nicht die Berichtspflicht langfristige Strategien, sondern die Unternehmen selbst. Nachhaltigkeit gilt in den meisten Unternehmen schlichtweg nicht als ein relevantes Erfolgskriterium, um die Entscheidungen ihrer Mitarbeiter zu beurteilen. Solange sich Unternehmen nicht damit auseinandersetzen, ob und inwiefern getroffene Entscheidungen ihrer Mitarbeiter positive Auswirkungen auf einen nachhaltigen Unternehmenserfolg haben und diese entsprechend belohnen, werden sich ihre Mitarbeiter mit dem kurzfristigen Erfolg von Quartalsberichten begnügen, um ihr eigenes Fortkommen und ihre Karriere zu sichern.