Who the fuck is Alice?

Alice Schwarzer hat in Duisburg eine Vorlesung über Männer, Frauen und Gewalt gehalten. Dabei bezog die oftmals scharf kritisierte Feministin auch Stellung zum Fall Jörg Kachelmann. Doch was ist von der Frauenrechtlerin übrig? Oder: Who the fuck is Alice?

Alice Schwarzer ist und bleibt Deutschlands Feministin Nr.1 Foto: C.Hahn
Alice Schwarzer ist und bleibt Deutschlands Feministin Nr.1 Foto: C.Hahn

Die Tickets für die Vorlesung von Deutschlands Feministin Nr. 1 waren schnell vergriffen – auf dem Duisburger Campus tummelten sich am Dienstag Abend ungewohnt viele ältere Generationen. Im September wurde bekannt, dass Alice Schwarzer die diesjährige Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen erhält. Eine Aufgabe, die Weltoffenheit, aber auch Diskussionsbereitschaft erfordert.

Der erste Vortrag sollte sich um „die Funktion der Gewalt im Verhältnis der Geschlechter“ drehen. So richtig konnte sich kaum Einer vorstellen, was eine Alice Schwarzer darunter versteht. Im Vorfeld der Vorlesung spekulierten einige Besucher im Foyer des Audimax – wird sie sich zu Kachelmann äußern? Ja, sie wird. Freiwillig und direkt, wie manch einer der anwesenden 68-er es von Alice Schwarzer gewohnt ist.

Die Antwort

Seit vierzig Jahren ist Alice Schwarzer in Sachen Gleichberechtigung unterwegs – gegen Sexismus, gegen Diskriminierung und gegen den Abtreibungsparagraphen 218. Vierzig Jahre, die Alice Schwarzer zu einem Medienmagnet gemacht haben. Wann immer der Begriff der Gleichberechtigung in einer Polit-Talkshow fällt, ist die Mutter der deutschen Gleichberechtigung nicht weit. Dabei sagt sie selbst, dass sie es bedauert, immer auf die Frauenkiste reduziert zu werden. Leider haben wir in Deutschland nur die eine Ansprechpartnerin, wenn es um Frauenkram geht.

Alice Schwarzer bei der offenen Diskussion. Foto: C.Hahn
Alice Schwarzer bei der offenen Diskussion. Foto: C.Hahn

Kritiker behaupten, Schwarzers Ansichten seien veraltet und mittlerweile wirklich nicht mehr zeitgemäß. Und so war auch ihre Vorlesung am Dienstag nicht wirklich eine Überraschung. Wer ihr Buch “Die Antwort” (2007) nur grob überflogen hat, wird schnell erkannt haben, wohin das Ganze führt. Das Thema des sexuellen Missbrauchs ist wichtig und muss angesprochen werden – leider scheint Alice Schwarzer ihre bekannten Thesen aus aktuellem Anlass einfach mit ein paar frischeren Zahlen aktualisiert zu haben.

Das eigentliche Problem der ganzen Veranstaltung: Seit einigen Wochen begleitet Alice Schwarzer den Kachelmann-Prozess für die BILD-Zeitung. Hätte sie den Namen “Kachelmann” in ihrer Vorlesung nicht fallen lassen, wäre sie eindeutig glaubhafter. Denn wenn das Thema “Männer, Frauen und Gewalt” heißt, gehört dazu einiges mehr als ein Wettermoderator, über deren Schuld oder Unschuld wir bis heute nichts wissen. Wenn Frau Schwarzer den Kachelmann-Fall ziemlich am Anfang einer Vorlesung als “Schauprozess” tituliert, bleibt ein fader Nachgeschmack. Objektivität sieht anders aus.

Alice Schwarzer als BILD-Girl

Gerade weil das Thema des sexuellen Missbrauchs durch den Fall Kachelmann medial wieder präsent geworden ist, muss darüber geredet werden. Doch die Art wie Alice Schwarzer sich als BILD-Reporterin engagiert, lässt Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit aufkommen. Die BILD-Zeitung präsentiert jeden Morgen auf Seite 1 ein neues Nackedei, daneben steht nun die Berichterstattung zu Kachelmann. Gender-Bewusstsein geht anders. Meint man.

Denn Schwarzer sieht darin keinen Widerspruch – vielmehr hat die vermeintlch Kachelmann-freundliche Berichterstattung von Qualitätsmedien wie ZEIT oder SPIEGEL Alice Schwarzer gestört: „Es gab diese beiden gewaltigen Leitmedien, die die Stimmung in Deutschland zum Kippen brachten. An der Stelle habe ich mich eingemischt“, sagt Schwarzer.

Ist der Feminismus tot?

Doch wie viel Idealismus hat Alice Schwarzer noch? Ihre Arbeit für die BILD lässt sich vielmehr im Kontext ihres Lebens betrachten: 1978 verklagt Alice Schwarzer zusammen mit anderen Frauen den Stern (sog. Sexismusklage). Die Titelbilder seien zu sexy, ja geradezu sexistisch. Erfolg hatte sie damals wenig, aber es war immerhin ihre erste Aktion gegen pornografische Bilder. 2004 nahm Alice Schwarzer “Die goldene Feder” der Bauer Verlagsgruppe an – ein Verlag, der kurz vorher den deutschen Playboy verlegt hat. 2007 hat Alice Schwarzer Werbung für die BILD gemacht, 2010 schreibt sie selbst Beiträge für das Boulevardblatt.

Immer wieder wurde in den letzten Jahren Kritik an der Vorzeige-Feministin laut. Jeder neuer, moderner Feminismus („Wellness-Feminismus“) wird von Alice Schwarzer abgelehnt und sie geht noch weiter: „Ich bin mit Verlaub nicht abzulösen!“, stellt Alice Schwarzer 2008 fest. Da scheint es fast ironisch, wenn Frau Schwarzer bei ihrer Vorlesung in Duisburg über mangelnde Solidarität bei Frauen spricht.

Schwarzer: ironisch und humorvoll

Alice Schwarzer sagt von sich selbst, sie sei humorvoller geworden und versuche, Vielem eine Prise Ironie entgegen zu bringen. Sie ist vielleicht eine Über-Feministin, am Ende aber nur eine Durchschnittsfrau. Denn nicht nur sie ist humorvoll: Die meisten jungen Frauen heute sind selbstbewusst und das mit einem Augenzwinkern. Sie können den Mann mal als Macho nehmen und mal als Freund. Aber immer als Mensch.

Innerhalb weniger Tage waren die Karten für Schwarzers Vorlesung vergriffen. Foto: C.Hahn
Innerhalb weniger Tage waren die Karten für Schwarzers Vorlesung vergriffen. Foto: C.Hahn

Und auch wenn Alice Schwarzer oft als verbissen bezeichnet wird: Vor ihrer ausgeprägten Toleranz gegenüber Boulevardmedien konnte man sie wenigstens als Feministin ernst nehmen. Durch ihr Verhalten in den letzten Jahren und insbesondere in den letzten Monaten hat Frau Schwarzer ihr Lebenswerk nach und nach degradiert.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet ein Mann das Bedürfnis vieler junger Frauen von heute auf den Punkt bringt, wenn Harald Schmidt ironisch anmerkt: “Wir werden nie vergessen, dass sie den Feminismus nach Deutschland gebracht hat, aber aus dem Tagesgeschäft soll sie sich bitte raushalten.”

Über die Szene des Ruhrgebiets

www.pottspotting.deBerlin, Hamburg oder Köln – das sind eindeutig Szenestädte. Das Ruhrgebiet kann da nicht mithalten. Um jungen Kreativen aus  dem Ruhrgebiet dennoch eine Plattform zu geben, haben Sven Stienen und Sven Neidig aus Bochum das Internet-Blog Pottspotting.de gegründet. Wir haben die Beiden getroffen und mit ihnen über das kreative Potenzial und den Sinn von RUHR.2010 gesprochen.

Was ist Pottspotting?

Stienen: Pottspotting ist ein Internet-Blog, auf dem wir gute Orte im Ruhrgebiet sammeln und vorstellen. Zu den Orten haben sich mittlerweile auch gute Initiativen und gute Leute gesellt. Wir machen das nicht nur an Orten fest, sondern berichten auch etwa über Künstler, Kollektive und Musiker. Alles, was uns auffällt und was wir gut finden.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Neidig: Wir haben ziemlich lange darüber gesprochen, ob das Ruhrgebiet eine Metropole ist, auch in Bezug auf die Kulturhauptstadt. Da kam dann auch oft der Vergleich mit Städten wie Berlin auf, wo das mit der Kultur ja scheinbar anders läuft. Und die Idee war, dass wir raus gehen und selbst gucken, was es denn hier alles gibt in der „Metropole“ und ob es nicht doch viel schöner ist, als man gemeinhin denkt. Zum anderen haben wir uns gedacht, immer nur theoretisch über Sachen zu quatschen, bringt ja auch nicht so viel – also muss man irgendwo anfangen und versuchen, irgendetwas zu bewegen.

Was hat euch in diesem halben Jahr Pottspotting am Ruhrgebiet am meisten überrascht?

Sven Stienen und Sven Neidig. Foto: C. HahnStienen: Wir hätten nie gedacht, dass hier wirklich so viel passiert und dass auch so coole Sachen passieren. Im Moment herrscht hier eine Aufbruchstimmung – wir merken das immer wieder in Gesprächen mit Kreativen und Kulturschaffenden, dass die Leute alle voll Bock haben. Die wollen was machen, die wollen was bewegen und das war echt unerwartet.

Neidig: Was mich teilweise überrascht hat, ist, wie viel unternehmerisches Denken da ist und das in einer sehr positiven Art und Weise. Wir haben zum Beispiel ein Feature mit jemandem aus Recklinghausen gemacht, der hat sein Leben lang auf dem Skateboard gestanden und auch in einem entsprechenden Laden gearbeitet. Irgendwann war in dem Laden keine Stelle mehr für ihn da. Jetzt hat er seinen eigenen Laden aufgemacht. Er ist zwar noch relativ jung, aber er hat es jetzt erstmal geschafft und ist Ladenbesitzer.

Es gibt das schöne Schlagwort von der Metropole Ruhr…

Stienen: Das findet bei uns nicht statt. Man wird nicht zur Metropole, indem man nur immer lauter ruft, man sei eine. Zum anderen fehlt eine kritische Masse an Leuten. Man sieht, dass gute Kulturveranstaltungen im Ruhrgebiet immer wieder große Probleme haben, weil das Publikum einfach fehlt. Dann fehlt vielleicht auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Um in so einer Liga konkurrieren zu können, müsste das Ruhrgebiet eine Stadt sein. Jede einzelne Stadt für sich hat nicht das Zeug dazu, eine Metropole zu sein. Aber alle zusammen schon – dazu müssten die Städte erst einmal zusammenwachsen von der Mentalität und vom Denken her, von der Infrastruktur.

Glaubt ihr, dass das Ruhrgebiet mitten im Wandel steckt – vom Kohlenpott zum kreativen Pott?

Neidig: Also wirtschaftlich ist es auf gar keinen Fall noch der Kohlenpott. Von der ökonomischen Basis her musste man sich völlig umorientieren. Das mit der Mentalität ist eine andere Sache. Zu einer Metropole gehört auch ein gewisses Selbstbewusstsein der Bewohner. Nach dem Motto „ich wohne in der Stadt und die hat einen Weltruf und man gehört halt dazu“. Und hier ist die Selbstwahrnehmung eher „wir sind irgendwie am Rand und nicht wirklich wichtig“. Tendenziell denkt man sich hier eher alles klein.

Stienen: Ich glaube, das setzt sich auch auf allen Ebenen fort. Hier wird viel Geld und Energie in Hochkulturprojekte investiert, um das fehlende Selbstbewusstsein aufzupolieren. Man schmückt sich lieber mit großen Leuchtturmprojekten, statt auf die eigenen Potenziale zu setzen, weil einfach das Selbstbewusstsein fehlt.

In ein paar Wochen ist die Kulturhauptstadt vorbei. Was glaubt ihr, was bleibt übrig?

In wenigen Wochen ist das Kulturhauptstadt-Jahr vorbei. Foto: C.HahnStienen: Wir glauben, dass die Kulturhauptstadt an sich viele schöne Projekte und viele schöne Events hatte, aber nachhaltig sind doch eher die Sachen, die ins Kulturhauptstadtprogramm vielleicht nur durch Zufall reingerutscht sind. Gerade die Leute, die von der Kulturhauptstadt enttäuscht waren und gesagt haben „warum werden wir nicht gefördert, wenn endlich mal Geld da ist?“ – gerade diese Leute haben aus Trotz in diesem Jahr unheimlich viel Initiative gezeigt. Diese Projekte sind die wirkliche positive Errungenschaft der Kulturhauptstadt. Das sind die Leute, die auch 2011, 2012 und 2013 weitermachen. Ich glaube, dass da ziemlich viel passieren wird und dass sich in der freien Szene jetzt super viel entwickeln wird.

Aber kann man denn Kreativität wirklich subventionieren und damit auch irgendwo erzwingen?

Neidig: Kreativität kann man nicht erzwingen. Menschen sind kreativ. Meiner Meinung nach muss man kreative Menschen lassen, die brauchen Freiraum. Und das heißt im Zweifelsfall 20 m² Leerstand irgendwo, wo man nicht sofort wieder raus geräumt wird. Wo man nicht so viel Miete zahlen muss, wo man nicht sofort Ärger kriegt, wenn man nicht vorschriftsmäßig einen Wasseranschluss hat oder sonstige Sachen. Das ist eigentlich nicht sehr viel, ist aber für Verwaltungen oft schwierig zu machen. Städte haben gerne Ordnung, aber der Aufwand, der betrieben wird, um ein Kreativquartier künstlich zu erzeugen, ist schon sehr hoch. Ich denke mit ähnlichem oder weniger Ressourcenaufwand könnte man auch Freiräume schaffen, in die man nicht eingreift und die von allein wachsen und sich entwickeln.

Stienen: Gerade dieser Versuch, von oben etwas zu installieren wie ein Kreativquartier, funktioniert nicht. Diese Viertel entstehen, wenn bestimmte Faktoren zusammentreffen. Die Kreativen gehen dorthin, wo es günstig ist, wo sie sich wohlfühlen und wo man sie machen lässt. Es geht nicht immer nur um Subventionen, sondern darum, einfach mal etwas zuzulassen. Und das ist das, was wir mit Pottspotting versuchen: wir dokumentieren und versuchen nicht, irgendwelche Meinungen zu machen. Wir wollen aufzeigen, was hier passiert – sei es, dass etwas gut funktioniert hat oder dass etwas schief gelaufen ist.

Berlin ist für viele die Szene-Stadt schlechthin. Haben wir auch eine Szene?

Stienen: Das Ruhrgebiet hat auch eine Szene, nur die ist sehr klein und sehr auf die einzelnen Städte bezogen. Dortmund hat eine Dortmunder Szene, Essen hat eine Essener Szene, Bochum hat eine Bochumer Szene. Mittlerweile fängt es so langsam an, dass die Leute auch mal in die Nachbarstädte fahren. Es fehlt noch die Masse, um diese Stadtgrenzen zu überwinden. In Berlin, Hamburg oder Köln ist das Ganze schon größer. Das ist die kritische Masse, die man braucht, um andere Leute anzuziehen. Also im Moment ist das Ruhrgebiet auch noch nicht so ein Anreiz für Leute von außerhalb, hierhin zu kommen.

Was machen Hamburg und Berlin besser als wir? Ist es das Image, das eine gewisse Eigendynamik mit sich bringt?

Neidig: Man sieht es ja schon am ganz konkreten Beispiel der Mode. Man ist in solchen Metropolen einfach ein bisschen mutiger. Das fängt schon in Köln an, wenn man dort mit der Straßenbahn fährt, sieht man Leute, die einfach ein bisschen gestylter und cooler sind, als die, die einem hier so begegnen. Das ist einfach ein gewisses Selbstvertrauen, was da mitläuft.

Stienen: Aber auch da spielt die Menge der Leute wieder eine wichtige Rolle. Ich glaube nicht, dass das in Berlin von den Voraussetzungen her anders ist: Das Ordnungsamt macht da genauso Läden zu wie hier. Es gibt da aber auch Beispiele, dass politische Entscheidungen dazu führen, dass man einen Kiez sich einfach entwickeln lässt. In Berlin sind aber auch einfach viel mehr Leute, die Szene entwickelt sich dort viel schneller, Bars, Clubs und Galerien öffnen und schließen in einem schnelleren Rhythmus, da kommen die Behörden nicht immer nach. Auf der anderen Seite hat die Szene dort aber auch eine stärkere Tradition, da haben sich in der Wendezeit Strukturen etabliert, die bis heute eine gewisse Beständigkeit behalten haben, und so etwas fehlt im Ruhrgebiet. Hier fängt das gerade an, hier ist die Off-Szene eine kleine, aufblühende Geschichte. Die Überpräsenz der Regulierungen macht es aber schwer, solche Sachen dauerhaft zu machen. Wenn du hier irgendwas machst, dann steht das Ordnungsamt mit dem Zollstock daneben. Wenn das so läuft, kann aber nichts entstehen. Wo Kreativität und Kunst aufblühen sollen, da kann man nicht immer alles genau abmessen.

Kristina Schröder und die Frauenquote

Familienministerin Kristina Schröder setzt Unternehmen unter Druck. Sie will mehr Frauen in Führungsetagen sehen, sonst droht Deutschland die Frauenquote. Und die kann nicht gut sein.

Foto: www.kristinaschroeder.de

In einem Interview mit dem Handelsblatt sagt Familienministerin Kristina Schröder (CDU): „Ich kann nur solange guten Gewissens auf eine Quote verzichten, solange ich in der Wirtschaft eine stetige Verbesserung sehe.“ Das sei aktuell der Fall, so Schröder. Bis 2015 will sie 20% Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten sehen. Wie das gehen soll? Eine gesetzliche Berichtspflicht für Unternehmen soll her – diese sollen offenlegen, wer wie und warum im Unternehmen arbeitet. Eine Quotenregelung ist das nicht, „aber die Folge ist, dass die Unternehmen sich der Diskussion stellen müssen.“ Frauen- und Familienpolitik soll hier als Imageretter dienen. Die Telekom hat es vorgemacht und will bis 2015 eine Frauenquote von 30% erreichen. Freiwillig. PR goes Politik.

Nun ist die Mehrheit der Bevölkerung, egal ob Männchen oder Weibchen, weder im Vorstand noch im Aufsichtsrat. Der durchschnittliche Deutsche sitzt im Büro oder steht (noch) bei OPEL am Band. Aufsichtsräte sind ihm schnurzpiepegal, solange er seinen Job hat und das Geld pünktlich auf dem Konto landet. Über Frauen in Führungsetagen machen sich die meisten wahrscheinlich selten Gedanken – eine Frauenquote tangiert uns aber alle.

Es ist bitter, dass Frauenquoten zur Diskussion stehen. Keine Frau möchte zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil mal wieder jemand mit einer Gebärmutter und zwei Brüsten an der Reihe ist. Eine Quotenregelung würde die Frau mehr degradieren als es ihr nützen würde. Den Chef durch Leistung und nicht durch den Sexus zu überzeugen, hat schon immer mehr Spaß gemacht.

Natürlich ist es diskriminierend, wenn Frauen um die Dreißig beim Vorstellungsgespräch skeptisch gemustert werden, weil sie noch keine Kinder haben. `Da ist doch bestimmt was in Planung.´ Die Frage ist eher, warum die Personalchefs so denken? Angeblich tickt ja irgendwann die berühmte biologische Uhr:1, 2, oder 3 – letzte Chance vorbei. Und so sind die Gedanken der Personalchefs irgendwie verständlich: Sie gehen davon aus, dass Frau ein Kind bekommt und dann zu Hause bleibt. So war es bisher ja auch Usus.

Was wir brauchen, sind keine Frauenquoten. Wir brauchen eine Krippenplatzgarantie (Kristina Schröder hat schon einen Plan) und eine neue Denke (die muss sie wohl noch lernen). Und wir brauchen Männer. Männer, die damit zurecht kommen, wenn die Frau mehr verdient. Männer, die mehr als die verpflichtenden zwei „Vätermonate“ nehmen – nur damit das Elterngeld gezahlt wird. Und Männer, die nicht von der Erziehung komplett ausgeschlossen werden. Vor allem nicht in den ersten drei Jahren.

Das größere Problem ist aber, dass Kristina Schröder über Frauen in Führungsetagen spricht. Sie sagt, in der Wirtschaft mangelt es an qualifizierten Frauen. Dass viele Unternehmen gern mehr Frauen einstellen würden, aber niemand Geeignetes finden. Nun ist es so, dass gerade Führungspositionen viel Erfahrung brauchen – Erfahrung, die Männer sammeln, während die eigene Frau um die Dreißig zu Hause sitzt und das Kind hütet. Eine sinnvolle Frauenförderung kann nur funktionieren, wenn man beide Geschlechter berücksichtigt.

Vielleicht hat Kristina Schröder auch endlich begriffen, dass der so oft beschriene Geburtenrückgang in Deutschland ein Protest ist. Denn fest steht: Je erfolgreicher eine Frau beruflich ist, desto weniger Kinder hat sie. Weil in Deutschland „Kind und Karriere“ immer noch ein Paradoxon ist, verlagern karriereorientierte Frauen ihre Prioritäten. Wir wollen keine Quotenfrauen sein. Denn eigentlich ist es ziemlich simpel: Gebt uns Krippenplätze, wir geben euch Kinder. Und das hat wahrlich nichts mit Gender Mainstreaming zu tun.

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Aigner sagt leise Adieu

Ilse Aigner hat sich ausgeloggt.

Wer A sagt, muss auch B sagen – dachte sich wohl Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner und kündigte am Freitag ihren baldigen Austritt bei Facebook an. Heute ist sie weg. Was unter ihrem Namen übrig bleibt, sind ein paar Fanseiten und der Versuch, die Goldgrube Facebook zu ändern.

Dabei sagt Facebook selbst: „Auf Facebook geht es um das Teilen von Inhalten.“ Ich kann mitbestimmen, mit wem ich meine Inhalte teile: Mit Freunden, mit Freunden von Freunden oder auch mit der ganzen Welt. Ich kann den Google-Robot blockieren und so verhindern, dass die eine Datenkrake auf die andere zugreift. Ich kann zwar mein Profil löschen, doch sicher bleibt es auf irgendeinem Server gespeichert. Wer bisher nicht begriffen hat, dass das Internet nichts vergisst, hat auch in den Social Networks nichts verloren. Nicht der Facebook-Nutzer per se ist naiv, sondern der Glaube an ein anonymes Internet.

Mark Zuckerberg wird Internet-Ilse wohl keine Träne nachweinen – er wird sich eher über die PR-Arbeit der letzten Wochen freuen, denn Facebook wird immer größer. Rund 200 Prozent Wachstum verzeichnet das Social Network gegenüber dem Vorjahr. Aigners Austritt war konsequent und längst überfällig – einen Sinn hatte er nicht.

Ich kenne niemanden, der Facebook seit Aigners Kritik verlassen hat. Dafür habe ich seit Anfang April viele neue Gesichter dort entdeckt. Wer sich die Frage stellt, wie man sich bei einer Plattform anmelden kann, die mit Daten dealen möchte, den frage ich: „Wie kann man Google benutzen?“

Google beantwortet momentan rund 90 Prozent der Suchanfragen in Deutschland. Nicht einmal in den USA hat Google solch eine Monopolstellung. Und: Google wird die Daten irgendwo sammeln. Mit Suchanfrage und IP und allem Pipapo – wer weiß, wofür sie noch gut sein können.

Google verdient sich mit Anzeigen eine goldene Nase. Vielleicht ist es ja auch die Weiterentwicklung des Kapitalismus, dass Google und Facebook keine gemeinnützigen Vereine sind. Wir bekommen den kostenlosen Service einer Suchmaschine oder eines Netzwerks und geben dafür unsere Privatsphäre auf. Die Frage ist nicht „Ist das okay, dass Facebook meine Daten verscherbelt?“. Sie sollte vielmehr lauten: „Welche meiner Daten kann Facebook verscherbeln? Und was wäre mir peinlich, wenn es morgen in der Zeitung stehen würde?“ Das sollten die Gedanken der Facebook-Jünger sein. Medienkompetenz 2.0 quasi.

Was Ilse Aigner nicht recht verstanden hat, ist der Unterschied zwischen Facebook und Google: Zu Facebook tragen wir unsere Daten hin, Google nimmt sich diese Daten einfach. Und viel verwerflicher als die Datenpolitik von Facebook ist die Einstellung vieler der 12 Millionen deutschen Facebook-Nutzer: Da wird von der Handynummer über den Beziehungsstatus bis hin zu religiösen Ansichten alles gespeichert.

Meine Facebooks-Friends sind nicht zwingend meine Freunde. Und meine wirklichen Freunde kennen mein Geburtsdatum und haben meine Handynummer. Es soll auch vorkommen, dass Freunde meine Adresse kennen und auf ein Bier vorbeikommen.

Ohne Facebook, total Oldschool.

Wer sich um seine Daten schert, sollte sich fünf Minuten Zeit nehmen und an den Privatsphäre-Einstellungen feilen. Mal darüber nachdenken, welche Angabe Facebook Geld einbringen könnte. Vielleicht auch die ein oder andere Info entfernen. Oder einfach das komplette Profil „löschen“ – aber sich bestimmt nicht darüber aufregen, dass Facebook böse ist. „Don´t be evil“ ist schließlich das Motto von Google und nicht von Facebook.

Und wem die ganze Sache mit den sozialen Netzwerken sowieso zuwider ist, dem sei Hatebook empfohlen. Dort heißt es: „Hatebook ist an anti-social utility that disconnects you from the things you hate.“

Vielleicht kann Ilse Aigner da Mark Zuckerberg als Enemy adden.

Die wirkliche Wahrheit über „Sex and the City“

Bereits gestern feierte „Sex and the City 2“ Vorpremiere. Tausende von Frauen stürmten auf ihren High Heels ins Kino, schlürften Prosecco und bedienten das Klischee vom shoppinggeilen Weib. Ein Insiderbericht aus der Frauenperspektive.

Vielleicht liegt das ja an diesem Y-Chromosom, aber ihr Männer versteht uns nicht. Ihr versteht nicht, warum wir uns 140 Minuten zurück lehnen und in eine Welt eintauchen, die mal so gar nichts mit der eigenen Wirklichkeit zu tun hat. In diesen 140 Minuten werden Sekretärinnen zu Vamps und Studentinnen zu Modeexpertinnen. Alles ist möglich in diesen zwei Stunden, solange Carrie Bradshaw es auch schafft.

Ihr wundert euch, warum wir uns Filme ansehen, die hauptsächlich Werbung für Modelabels beinhalten. Auch ich musste mal ein Opfer bringen und Star Wars gucken. Und jetzt frage ich mich, was absurder ist: Eine Frau, die von einer Zeitungskolumne lebt oder Jedi-Ritter, die coole Schwerter haben?

1.    Der Inhalt

Sex ist toll und seit dem Start der Serie 1998, ist Sex auch weiblich. Carrie, Charlotte, Miranda und allen voran Samantha sprechen über Sex mit Liebe, Sex ohne Liebe, schlechten Sex und guten Sex. Hauptsache Sex. Die Serie hat in dieser Hinsicht etwas erreicht: Frauen dürfen Wörter in den Mund nehmen, die man sonst nur von bösen Rappern hört. Frauen können und wollen offen über Sex reden. Wir artikulieren, was wir wollen. Und das, Männer, kann doch auch euch zu Gute kommen.

2.    Das Konzept

Das ist der Punkt, den Mann nicht nachvollziehen kann. „Warum schaut sich meine Freundin, Typ akademischer Abschluss und gut aussehend, so einen Schund an?“

Dabei ist das Erfolgsrezept denkbar einfach: Im deutschen Fernsehen sind Frauen im Alter von 20 bis 40 kaum vertreten. Ich meine damit nicht RTL und Co., die fest die Domäne der Seifenopern vereinnahmt haben. Ich meine starke, selbstbewusste Frauen – sie existieren im deutschen Fernsehen nicht. Warum? Weil die Probleme einer 40 Jährigen anders aussehen als die einer 25 Jährigen.

Carrie hat dagegen alles, was es zur Identifikation braucht: Sie ist nicht mehr 20, hat dennoch keine Kinder und lebt einfach einen gewissen Lifestyle. Egal, ob Frau sich selbst so sieht oder gern gesehen werden würde.

3.    Die Emanzipation

Weiblicher Sex hin oder her – die Emanzipation bei „Sex and the City“ mag für viele kläglich gescheitert sein. Es wird viel geredet über das Singledasein und über Beziehungen. Und was bleibt übrig? Eine Carrie, die 10 Jahre lang hinter Mr. Big her läuft, weil er es eben sein soll. Mr. Big fährt stets eine dicke Limousine und hat ziemlich viel Asche. Erinnert ein bisschen an den Prinzen mit seinem Gaul. Sie ist eben Carrie, die gerne Schuhe kauft und er der große Retter, der ihr den Kleiderschrank ihrer Träume baut.
Und auch wenn es eine Absage an die Arbeit von Alice Schwarzer & Co. ist: Es gibt Frauen, die das wollen. Männer sind praktisch. Sei es, wenn die Autoreifen gewechselt werden müssen oder wenn der Weinkorken klemmt.  Und dann gibt’s ja auch so etwas wie Liebe. Und die widerspricht nun wirklich keinem Emanzipationsgedanken.

4.    Die Klischee-Klitsche

Nein, nicht alle Frauen haben Schuhe im Kopf. Und nicht alle Frauen warten auf Mr. Big, der ihnen den perfekten Kleiderschrank in die perfekte Wohnung baut. Meistens können wir das alles selbst. Warum aber „Sex and the City“?
Gegenfrage: Warum Star Wars?

Dank „Sex and the City“ dürfen auch Frauen über 30 sagen, dass sie zu einem Mädchenabend gehen, ohne schief angeguckt zu werden. Sie dürfen sich dem Klischee hingeben, indem sie 50 Paar High Heels besitzen. Oder dieses Klischee widerlegen, indem sie in diesen High Heels einen wichtigen Geschäftstermin mit Bravour meistern.

Dabei wollen wir keine Carrie sein, die 40 kg wiegt und auch keine Samantha, die beziehungsunfähig ist. Aber wir wollen 140 Minuten Freiraum, um auf diese traumhafte Polly-Pocket-Insel zu fliehen, dann aus dem Kino rauszukommen und zu realisieren, wo wir stehen: Nicht auf der Fifth Avenue, sondern mitten im Ruhrgebiet, wo die Tauben lebensgefährlich tief fliegen und unsere Traumschuhe erschwinglich sind.

Oder um es mit Yoda´s Worten zu sagen: „Das weibliche Geschlecht du verstehen musst, junger Padawan.“

Essen: Jugend forscht 2010 oder „Tu Gutes und rede darüber.“

Heute wurde Deutschlands Wissenschaftsnachwuchs in der Philharmonie Essen prämiert. Bundesbildungsministerin Annette Schavan war nicht die einzige, die die (fast) kostenlose PR für sich nutzte.

Foto: C.Hahn

Eines vorweg: Forschung ist wichtig und Forschung ist gut. Bildung ist die einzige Ressource, die uns noch bleibt, wenn alle Quellen leer gepumpt sind. Forschung lebt von Investoren. Gerade im Ruhrgebiet möchte man das unterschreiben.

Die Philharmonie in Essen strahlte bei der Preisvergabe von „Jugend forscht 2010“ und ließ die Debatten um die Bildungspolitik kurz verstummen. Denn heute waren alle stolz auf den Nachwuchs Deutschlands. Zurecht – denn hier präsentierten zum Teil minderjährige Genies ihre Werke. Da konnte selbst Annette Schavan mit ihrem Theologie und Philosophie-Studium einpacken.
Sobald man sich jedoch von dem Intelligent Input erholt hat, holt einen die Wirklichkeit wieder ein. Die Pressemappe platzt aus allen Nähten, gefüllt mit Infos zu den Sponsoren. Ein Firmenlogo jagt das nächste, auf der Suche nach ein bisschen Aufmerksamkeit.

Dieses Jahr schmückt das ThyssenKrupp-Logo das Wettbewerbs-Motto „Entdecke neue Welten“. Und so verläuft auch die gesamte Veranstaltung nach dem Motto „Unsere schöne PR-Welt“. ThyssenKrupp-Vorstandsmitglied Ralph Labonte hält die Eröffnungsrede und vergisst nicht, sein Unternehmen das ein oder andere Mal zu erwähnen. Tradition, Gegenwart, Zukunft – all das hat ThyssenKrupp. Jede Runde wird von einem anderen Unternehmen oder einer Stiftung gesponsert.

Wie sehr die stolzen Eltern ihre Sprösslinge sponsern, wird klar, als Annette Schavan ihre Rede hält: „Gerade in Zeiten der Krise darf niemand in Wissenschaft und Politik nachlassen. Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Wir brauchen mehr Investitionen in die Zukunft.“, lässt die Bildungsministerin verlauten. Tobender Applaus. Es ist klar, wo die stolzen Eltern stehen.

Ein bisschen Verwirrung kommt zwischenzeitlich auf: Zwischen Händeschütteln und Posing vergisst Schavan glatt das Programm, fragt nach einem kurzen Briefing und sammelt sich. Denn schließlich muss es weitergehen – so ein Termin mitten im Ruhrgebiet ist nicht die schlechteste PR. Wäre er doch nur eine Woche früher gewesen, vielleicht hätte sie für ihren Kollegen Rüttgers das Ruder rumreißen können. Ein Stückchen wenigstens.

Doch zurück zum Applaus: Schavan strahlt, schüttelt Hände, es ist ihr Job. Sie muss hier stehen und sie muss betonen, dass es auch gute Schulen in Deutschland gibt. Dass nicht alles schlecht ist an ihrer unserer Bildungspolitik. Aus aktuellem Anlass betont sie, man dürfe nicht an Bildung sparen. Applaus.

Ich hätte gern die Eltern der Sieger gefragt, welchen akademischen Titel sie haben. Oder ob die Eltern mancher Kinder nicht kommen konnten, weil kein Armani-Sakko im Schrank hängt oder schlichtweg nicht das Geld für die weite Anfahrt und ein Hotel da ist. Zwischen Jazzmusik und Perlenketten sehe ich Murat*. Er ist der einzige, der mir heute auf der Bühne aufgefallen ist, zwischen den Florians und Sebastians. Doch Murat kann man – wenn man aus dem Ruhrgebiet kommt – eigentlich nicht dazu zählen. Denn Murat kommt aus Süddeutschland und ist Gymnasialschüler.

Nach wie vor ein seltenes Bild: Frauen in der Wissenschaft / Foto: C.Hahn

Ich hätte auch gern auch Frau Schavan gefragt, woran es wohl liegt, dass gut 1/5 aller Projekte aus Süddeutschland kommen. Soll es wirklich so sein, dass wir ein Nord-Süd-Bildungsgefälle haben? Ich hätte gern gewusst, warum nur ein Mädchen aus Nordrhein-Westfalen am Finale teilnimmt. Und wie es kommt, dass unter den Erstplatzierten nur Jungen sind. Doch dafür bleibt keine Zeit.

Und dann bringt es Ralph Labonte es in seiner Rede auf den Punkt:“Wenn in den Bewerbungsunterlagen eine erfolgreiche Teilnahme an ´Jugend forscht´vermerkt ist, hat der Bewerber gute Chancen, ganz oben auf dem Stapel zu landen.“ Seine Auswahlkriterien sind klar. Labonte selbst ist gelernter KfZ-Mechaniker und hat es geschafft. Eine steile Karriere, die heute so wohl nicht mehr möglich wäre.

Elite fördert Elite, von der Krippe bis zur Bahre.

Applaus, der Saal leert sich. In der Halle gibt es Häppchen und Sekt, im RWE-Pavillon Buffet. Der Kellner kommt, er könnte Murats Bruder sein. Nur eben mit Schürze. Und im Ruhrgebiet.

*Name geändert

Die NPD und ihre Fans bei Facebook

NPD bei Facebook

Dass im Internet jegliches bisschen an Privatsphäre aufgegeben wird, weiß mittlerweile auch meine Oma. Dass sich dort auch gerne Rechtsgesinnte tummeln, ist ebenso wenig neu. Nur der kleine Aufstand, der sich aktuell bei Facebook breit macht, lässt die Kritiker der vermeintlich unpolitischen Jugend hoffen.

„Kein Facebook für Nazis – NPD Seite löschen!“ steht auf meinem Bildschirm. Alles klar, Daumen hoch und Fan werden, genau wie über 150.000 andere Facebook-Nutzer auch schon Fans sind. Die Idee der digitalen Bewegung ist denkbar einfach: Es wird eine Gruppe gegen die NPD gegründet, die NPD-Seite wird Facebook gemeldet und dann gelöscht. So sollte es laufen. Tut es aber nicht.

Die „soziale Heimatpartei“, wie die NPD sich selbst beschreibt, fordert die Rückkehr der D-Mark, verlinkt auf diverse NPD-Seiten im Netz und wettert gegen das Rettungspaket der EU. Alles im Rahmen des Gesetzes, versteht sich. Viel wurde über den Wahlkampf der großen Parteien im Web 2.0 geschrieben, doch dass rechte Parteien wie die NPD ebenfalls hier weiden, übersieht man gern. Wo die Linke in den Landtag einziehen darf, darf die Rechte doch wohl ein virtuelle Fans haben, oder?

Während ich das tippe, wächst die Zahl der Anhänger der NPD bei Facebook: Zehn Fans mehr hat die NPD-Seite allein in den letzten fünf Minuten gewonnen. Und weil die Gedanken auch in der Welt der Mark Zuckerbergs und Sergej Brins frei sind, bekennen sich über 1.500 Rechte öffentlich:

M. E. schreibt: „Und ich hoffe du gehst irgendwann wie Millionen andere hier lebende „Bürger mit Migrationshintergrund“ in deine angestammte Heimat zurück. Wobei du als BRD-Türkin ja nicht mal von einer angestammten Heimat sprechen kannst. Dem System sei Dank!“ Ganz selbstverständlich sagt M.E. das, weil Meinungsfreiheit in Deutschland herrscht und Facebook in den USA sitzt. Deswegen muss Facebook die NPD-Seite auch nicht löschen. Und deswegen wird Facebook die Seite aller Voraussicht nach auch nicht löschen.

Die Mitte als politische Orientierung ist hier hinfällig – jeder, der gegen die NPD ist, wird als Linker abgestempelt: „ACHTUNG: Seit einiger Zeit versuchen linke Gutmenschen und uns nicht willkommene Zivilokkupanten durch beleidigende und bedrohende Nachrichten an unsere Fans, bzw. durch Zumüllen unserer Kommentarspalten, unsere Arbeit zu sabotieren.“, heißt es vom Betreiber der Seite.

Früher versammelten sich Nazis in einer dunklen Kneipe oder bei Kameraden, heute gehen sie online. Mit Bild, Namen und Wohnort. Da ist Martin. Er wohnt an der Donau, ist Single und hört Bushido. Und ist Fan der NPD. Oder nehmen wir Robert. Robert ist auf der Suche nach Frauen und politischer Aktivist. Seine kleine Tochter lacht auf seinem Profilbild.

Die Rechte sitzt nicht mehr im Keller und hört illegale Musik. Sie sitzt bei Facebook und Twitter und schämt sich nicht. Die Rechte hat Kinder, hört HipHop von einem Halb-Tunesier und steht dazu. Sie muss nicht auf Demos gehen, denn sie hat seine kleine rechte Revolution zu Hause.

Die Tatsache, dass auf einen Facebook-Fan der NPD rund 100 NPD-Gegner kommen, nützt nicht viel. Zumindest nicht, solange Facebook es den Holtzbrinck-Netzwerken nicht nachmacht und Soziale Netzwerke zum Sperrgebiet für die Rechte erklärt.

Wie wichtig Social Networks als Propaganda-Werkzeug sind, wird auf der Seite der NPD Sachsen klar: „Also raus aus den Hinterzimmern, raus auf die Straße, aber auch rein in die neuen sozialen Netzwerke des Internet.“

Vielleicht ist der Anti-NPD-Aufruf bei Facebook ein bisschen naiv.

Einen Versuch wert ist er alle Mal.


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