Mucker machen Marketing

Virales Marketing oder doch nur ein Spleen langhaariger Männer? Was passiert da um Recklinghausens Superstar Thomas Godoj?

 

 

 

 

Filmausschnitt: Kult A auf de.sevenload.com

 

RTL-Deutschlandsuchtdensuperstar-Gewinner Thomas Godoj aus Recklinghausen war hier schon mal Thema, als er von seinem Oberbürgermeister ganz offiziell umarmt wurde. Was Lokalpolitiker halt so machen. Was lokale Szeneleute so machen, ist zu sehen, wenn Ulle Bowski auf Sendung geht. Der arbeitslose "Gelegenheits"-Dingsbums aus RE lädt musikalische Gäste ein auf seinen eindrucksvoll wuchernden Balkon, macht flapsige Interviews und Filmchen übers Kulturleben in Recklinghausen. Und seit Godoj zum Popstar aufgepustet wurde, hat er sich natürlich dem Rocksänger und Local Hero an die Fersen geheftet.

Ich finde, das gelingt ihm witzig: Godoj auf Helium, als Uri Geller, als Turnierkicker oder Godoj in der Gewalt des Autogrammjägers. Vor allem, weil das Grundprinzip des Fernsehkassenschlagers von RTL – die Allgewalt über den aufstrebenden Künstler, seine Auftritte, Stimme, Medienkontakte – hier dreist unterlaufen wird. Oder handelt es sich bei Bowskis Zeug um eine besonders smarte Werbestrategie von RTL, Grundy und Bertelsmann?

„Wer bin ich?“ Oder: Ein heiteres Präsidentenraten

Ich traf T. auf dem Treppenabsatz wieder. Nach zehn Jahren. Hat mich gefreut. Sein neuer Arbeitsplatz mache ihm Spaß bislang, sagte er, es werde hier längst professionell gearbeitet, sagte er, auch deshalb könne er die Kritik am Lieblingssündenbock, sagte er, nicht ganz nachvollziehen, der nehme sich das nämlich sehr zu Herzen, sagte er, vielleicht zu sehr, sagte er noch. Dann klingelte sein Telefon, "da ist er ja", Abschied. Kleines Ratespiel: Wer ist wer?

Es freut mich wirklich, dass einer wie Thomas Ernst jetzt in Leitungsfunktionen im Bundesligafußball steht. Dass Leute wie Klaus Hilpert weg sind. Dass in Dortmund ein fröhlicher Brillenträger den Fußballlehrer gibt. Dass die magenbitteren Zeiten vorbeigehen. Dass "my generation" dran kommt.

Denn wer hätte sich vor zehn, fünfzehn Jahren vorstellen können, dass der Pressesprecher von Schalke ein ironisches Vademecum über seinen Verein zusammenträgt? Dass sein Kollege beim VfL Bochum auch mal ein Programmkino managte. Dass bei Rot-Weiß-Oberhausen ein Theatermannn den Laden zusammenhält, dass ausgerechnet dort, am trüben, tristen Niederrheinstadion, heiter mit Malocherschichten und anderen Ruhrgebietsklischees geworben wird – und dazu ein Überraschungsaufstieg in die Zweite Liga gelingt!

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass einer wie Thomas Ernst Bochum-Manager wird, der seinerzeit als Lizenztorwart mit Hools, Ultras, Fanzinemachern und Bochumer-Schauspielhaus-Leuten schräge Abende organisierte? Blau-weiße-Montage hießen die zu frühen Vorläufer von Scudetto und Co.  Gestandene Fußballprofis spielten da im Theater Unten zu den Klängen des unvergleichlichen Mambo-Kurts etwa das Rateteam von "Was bin ich?". Einer wie Michael Bemben gab dann Annette von Aretin oder Marianne Koch – erst mit Scham, dann mit großem Vergnügen.

Einerseits. Andererseits finde ich es gut, dass es Leute wie IHN beim VfL gibt. Den alten, knirschenden, lispelnden Ruhrpottpatron. Unaustauschbar. Unmöglich. Unangepasst. Godfather of Fußballbochum. Also: Wer ist er? (Moritz Fiege stimmt nicht)    
 

 

Von einer Frau besiegt?

Schlimm genug, dass D gegen E verloren hat. Ganz schön merkwürdig, dass die inoffizielle Turnier-Lala – White Stripes Seven Nation Army – verblüffend an Eviva Espana erinnert. Ruhig mal ausprobieren: PoopopopopopooopoooEVIVA Espana!

Aber am allerbösesten ist diese Bezopfte auf Spaniens Bank. Haben wir tatsächlich gegen eine Assistenztrainerin verloren? Gegen eine Frau? Das ist so grausam, so gemein. Kennt die wer? Oder ist das die Pflegerin von Spaniens Coach Luis Aragones, auch nicht mehr der jüngste… Andere Vorschläge, Hintergründe, Beruhigendes bitte hier posten. Sofort.

Clements Revanche

Wolfgang Clement geht in die nächste Runde. Weil ihm die vom Unterbezirk Bochum ausgesprochene Rüge wegen parteischädlichen Verhaltens nicht passte, rief der einstige NRW-Ministerpräsident die Schiedskommission des SPD-Landesverbandes an. Dort wird die Causa Clement am 12. Juli – parteiöffentlich – verhandelt. War der Wahl-Bonner den Verhandlungen im Bochumer Unterbezirk seinerzeit lieber fern geblieben, hat er sein Erscheinen zum Termin mit der Parteischiedskommission in Düsseldorf angekündigt.

Im hessischen Landtagswahlkampf hatte der heutige Wirtschaftsberater in einer Zeitungskolumne von der Wahl der SPD-Kandidatin Andreas Ypsilanti abgeraten. Das vor allem auf erneuerbare Energien setzende Wahlprogramm der Hessen-SPD hatte Clement, treuer Anhänger von Kohle, Gas und Atomkraft, als unverantwortlich kritisiert. Mehrere SPD-Ortvereine stellten daraufhin den Antrag auf Parteiausschluss wegen parteischädlichen Verhaltens. 

Bereits am 1. Juli kommt es zu einem sozialdemokratischen Streitgespräch in Köln. Jochen Ott, frisch gebackener Landesvize der SPD, wird sich auf Einladung des Kölner Stadtanzeigers mit Clement ein Wortgefecht liefern. Für Clement übrigens ein Heimspiel: Er ist als Berater auch für den Herausgeber des Stadtanzeigers tätig.   

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Revierfußballer des Jahres

"Es war eine Wahl von Experten. Es tut mir gut, es schadet niemandem."

Der beste Spieler der EM? Für mich, bisher: Hamit Altintop aus Gelsenkirchen-Ückendorf. Erst 25. Spielgestalter. Halbfinalist. Obwohl sie einen – wie sagt es H.? – "schwierigen", verrückten Trainer haben. Hamit macht das Spiel, veränderte sich von Rechts Hinten ins Zentralfeld. Rockt den Raum, immer am Gegner, versucht was, macht weite Wege, haut spektukuläre Dinger in den Strafraum. Und das vor allem dann: Wenn die Mannschaft zurück liegt. Das Geheimnis der Aufholtürken heißt Altintop. Oder das Bayern-Gen.

Genauso präsent stellt er sich den Mikrofonen nach dem Spiel, gibt schlaue Interviews (hier oder hier). Analysiert ohne Siegestaumel, schluckt souverän seinen Sprachfehler weg. Er weiß, was gut und schlecht war. Lässt sich nicht vom Atatürkischen-Pathos anstecken. Altintop macht den Unterschied. Und ist damit wenigstens ein Ruhrgebietskicker mit Fortune und Klasse. Deutschland kann bis auf Jens Lehmann auf Spieler aus dem RGB verzichten.

 

Foto: hamit-altintop.com

Public Viewing (2): Im Bett mit Netzer

Christina Stürmer singt dieses Lied zur Euro, und mich musste es erwischen: 39 Grad, Bettruhe, Langeweile. Da denkt man sich "Wetten, dass"-Wetten aus. An Hupkonzerten 16 Nationalitäten erkennen. Ich könnte das. Also Vormfernsehgedöse. Vitamingetränke. Sich über die  Fußballbegeisterung wundern. Und sich denken, im Bett ist meiner einer am besten aufgehoben. Stinkstiefelig, verschnupft, vergreist.

Seltsam, die jungen Menschen mit schwarzrotgelben Hawaiketten, Goaties, freundlichen Augen, Migrations-Hintergründen, wie die sich freuen können?! Ambivalente Gefühle aus Neid und Abscheu. Wie beim Karnevalgucken, einerseits möchte man schon dabei sein, mitbützen, mitkippen, lachen, singen, wehmütig katholisch sein. Andererseits: Warum?

Hab ich erwähnt, dass wir seit Tagen zwei Buntspechte im Garten haben, sie hacken in den halbwelken Riesenkirschbaum, rufen dazu lustig aufgeregt und sehen ganz zerzaust aus – fast wie Deutschlandfans.
PS: Muss sagen, als das erste Mal die Fahnen wieder rauskamen, achtzehn Jahre ist das her, da war ich jünger und auch draußen gucken. Bis zum Halbfinale war es wirklich nett – dann kam der Mob. War schon damals nichts für mich, Stinkstiefel bleibt Stinkstiefel.

Ruhrland sucht DEN Ruhrbaron

 

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Ein halbes Jahr Ruhrbarone im Internet. Aber wer war eigentlich DER Ruhrbaron, der wichtigste, erfolgreichste, beste, erste? Oder DIE Ruhrbaronesse? Die Hitparade im 250. Jahr der Ruhrindustrie. Unsere Top 23.

Startnummer 23) Unser Schlusslicht ist Walter Borbet (1881-1942). Den Ingenieur kennt keiner mehr, obschon er Generaldirektor des Bochumer Vereins war und bei der Aufrüstung in Nazi-Deutschland krätig mitmischte. Heute gehört der Bochumer Verein übrigens der Georgsmarienhütte und die dem amtierenden RWE-Boss Jürgen Großmann. 

22) Als Hinterletzter der alldeutsche Chauvinist Albert Vögler (1877-1945), Generaldirektor der 1926 gegründeten "Vereinigten Stahlwerke", Nazihelfer. Mit der Fusionsfirma ein Hitler-Wegbereiter, Aufrüstungsprofiteur, Kriegsproduzent und dann – kurz vorm Zugriff der US-Truppen – Selbstmörder.

21) Wie Vögler war auch Fritz Springorum (1886-1942) Mitglied der 1928 gegründeten so genannten "Ruhrlade", ein genauso diskreter wie deutschnationaler Geheimbund von 20 Ruhrindustriellen; immerhin waren auch Hitler-Gegner dabei. Hauptberuflich war Springorum Aufsichtsratsvorsitzender der Hoesch AG in Dortmund und machte damit exakt den gleichen Job wie zuvor Vater Friedrich (1858-1938). Der war dazu mächtiger Präsi im "Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“. Humorbombe Bismarck hatte für den Dachverband der Ruhrbarone den Titel "Langnamverein" erfunden.

20) Wie die Zwei von der Hoesch AG war auch Emil Kirdorf (1847-1938) leitender Angesteller, kein Fabrikbesitzer. Als Sprössling eines rheinischen Textilunternehmens begann er seine Montankarriere auf der Wattenscheider Zeche Holland. Rasch stieg er auf zum "Schlotbaron", leitete die Gelsenkirchener Bergwerks AG, bis die in den 1920ern Europas größter Zechenverbund wurde. Betrieb Interessenpolitik im Rheinisch-Westfälischen-Kohlensyndikat, einer Art Ruhrpott Opec. Förderte Hugenberg, dann Hitler. Zum Dank gab’s das goldene Parteiabzeichen und ein Staatsbegräbnis mit Führer am Grab.

19) "I paid Hitler", so der Titel eines auf der Kriegsflucht diktierten Buches von Fritz Thyssen (1873-1951). Tatsächlich war Fritz eifriger Hitler-Förderer, durfte sich unter den Nazis seinen ständischen Gesellschaftsideen widmen. Nebenbei hatte er den Aufsichtsratsvorsitz der Vereinigten Stahlwerke inne, sabottierte 1923 im Ruhrkampf eifrig die Franzosen. Vor dem Weltkrieg kam es aber zum Zerwürfnis mit den Nazis. In Südfrankreich wurde er geschnappt und kam in Ehrenhaft in verschiedenen KZ. Nach dem Krieg emigrierte er zur Tochter nach Buenos Aires als geringfügig belasteter Nazikollaborateur. Vater August Thyssen (1842-1926) aus Eschweiler, nicht Duisburg, hatte mit der Firma Thyssen-Fossoul angefangen, später mit dem Kollegen Stinnes RWE gegründet, ein Ruhrmagnat.
 
18) Nicht als Nazi bzw. Naziabtrünniger, sondern als katholischer Reichstagspolitiker und Unternehmer machte sich Florian Klöckner (1868-1947) einen Namen. Sein Bruder Peter (1863-1940) hatte Klöckner & Co als Stahlunternehmen groß gemacht, ging nicht in die Vereinigten Stahlwerke, kaufte Humboldt und Deutz dazu. Heute gehören die  Überreste von Klöckner der Salzgitter AG – und seit 1993 ein Teil, die Georgsmarienhütte in Osnabrück, für zwei DM dem ehemaligen Klöckner-Manager Großmann. Der heutige RWE-Chef kopierte dann als Sanierer von maroden Unternehmen das einstige Erfolgsrezept Peter Klöckners – in den ersten Jahren nach 1897 erwarb sich der gebürtige Koblenzer den Ruf eines Firmensanitäters.

17) Ähnlich brüderlich wie bei Klöckner ging es bei Reinhard Mannesmann (1856-1922) und Bruder Max aus Remscheid zu. Wer kennt nicht die Röhren u.a. aus Mülheim? Kaum noch jemand. Denn der einstige Welt- und Mischkonzern mit Sitz in Düsseldorf wurde zur Jahrtausendwende von Vodafone feindlich geschluckt mit juristischem Nachspiel für Deutschbanker Josef Ackermann. Und auf den reimt sich? Richtig: "Erstick doch dran" (taz).

16) Schluck, schluck, weg sind sie! Das gilt auch für den einst so stolzen Konzern Stinnes, nun Teil der DB Logistics. Vor Urzeiten begann Mathias Stinnes (1790-1845) aus Mülheim/Ruhr als Schiffsjunge mit dem Geschäft. Freilich auf dem Binnenschiff des Vaters. Er wurde Binnenreeder und Bergwerksbesitzer. Hugo Stinnes (1870-1924), Enkel des Firmengründers, führte den Mischkonzern zum Weltrekord: 600.000 Mitarbeiter.

15) Kommen wir zur ersten Ruhrbaronesse unserer Liste. Emilie Flottmann (1853-1933) übernahm die Firmenleitung von ihrem verstorbenen Mann, verlagerte die Maschinenfabrik von Bochum nach Herne. Dort lief es so gut, dass ihr Sohn Otto Heinrich das Patent auf den Presslufthammer anmelden konnte. Heute hat sich in den Flottmann-Hallen bekanntlich Industriekultur breit gemacht.

14) Ein findiger Tüftler war auch Carlos Otto, besser bekannt als Dr. C. Otto (1838-1897). In Mexiko geboren, lernte der Chemiker bei Justus Liebig und entwickelte sich zum Pionier im Koksofenbau. Jetzt gehört die Fabrik in Bochum-Dahlhausen Preiss-Daimler, die sich ansonsten besonders um Bitterfeld bemühen. 

13) Wir bleiben in Bochum, kommen zum Bochumer Verein. Gleich zwei Ruhrbarone tummeln sich im Umfeld der Schwerindustrie mitten in der damals eher kleinen Bauern- und Bergbaustadt. Jacob Mayer (1813-1875) kam aus Württemberg und gründet mit einem Compagnon 1842 die Keimzelle des Werks für Stahlformguss, aus dem 1854 der Bochumer Verein wurde. Louis Baare (1821-1897) war erst Bahner und stand dann 41 Jahre an der Spitze des Bochumer Vereins, ein Nestor der Ruhreisenindustrie und Gründervater der Industrie und Handelskammer mittleres Ruhrgebiet. Die berühmten gusseisernen Glocken enstanden unter seiner Leitung, noch heute steht eine von 1867 vorm Rathaus der Stadt.

12) Am Bochumer Verein partizipierte auch Friedrich Grillo (1825-1888). Und nicht nur hier, er beteiligte sich am späteren Bergwerk Nordstern in Gelsenkirchen, verdiente sein Geld auch mit der Saline Königsborn in Unna. Grillo, aus einer ursprünglich französischen protestantischen Vertriebenensippe stammend, sorgte für die zeitgemäße Organisationsform für die Ruhrindustrie: Actiengesellschaften. Sein Geld investierte er nicht allein in Wertpapiere, auch fürs spätere Grillo-Theater griff er in sein Portemonnaie (frz./ sic!).

11) Friedrich Wilhelm Brökelmann (1799-1891) interessiert sich eher für die praktischere kommunale Daseinsvorsorge, etwa Straßenbeleuchtungen und fürs Jagen. Eigentlich aus Dortmund, in jungen Jahren Waise, half er Neheim-Hüsten industriell auf die Füße. Nachdem er seine Geschäfte als Handlungsreisender begann, schuf er die Hüstener Gewerkschaft, ein Vorläufer der Westfälischen Union in Hamm.

10) Ein weiter Seitenwechsel übers Revier an den Niederrhein. Was Brökelmann für Hamm, war Friedrich Freiherr von Diergardt (1795-1869) für Moers und den gesamten Niederrhein. Der Fabrikant für Samt und Seide hatte tausende Heimarbeiter am Start und ein boomendes Nebengeschäft. Er sorgte sich um den Eisenbahnanschluss und für reichlich Zechengründungen im flachen Land. Zwei davon hörten schließlich auf die Familie Diergardt.

9) Ganz im Süden, eigentlich weit weg vom Ruhrgebiet, lebte Leopold Hoesch (1820-1899). Von seinen Arbeitern nicht bloß als Baron, sondern sogar als Fürst betitelt, blieb Düren der Lebensmittelpunkt des Schwerindustriellen. 1871 im Siegesrausch gründete er die Hoesch AG in Dortmund. Keine Globalisierung, aber eine kleine Standortverlagerung. Aus dem Rheinland ins Ruhrgebiet – der Nähe zu den Rohstoffen und besseren Transportwege wegen. Man kennt das.

Acht) Und jetzt eine wirkliche Ruhrbaronesse. Helene Lohmann, geborene Berger (1784-1866) aus Witten. Sie mehrte das Vermögen ihres verstorbenen Gatten, wirkte 29 Jahre als höchst eigenständige Unternehmerin. Ihre Bilanz: Beteiligungen an 69 Zechen. Bruder Carl Ludwig (1794-1871) gründete das Gussstahlwerk Witten. Dessen Sohn Louis Constans (1829-1891) veredelte sie zu, ja doch!, Edelstahlwerken. Erfolgreich vor allem mit Gewehrläufen. Ob’s ihm im Ruhrtal zu militant wurde? Als nationalliberaler Reichstagsabgeordneter gehörte sein späteres Engagement der Moselregion.  

7) Nicht nur phonetisch war Louis Constans mit einer Luise vermählt. Luise Harkort, der Tochter vom Ruhrpionier Friedrich Harkort (1793-1880), genannt nach dem gleichnamigen See, nein, natürlich ist es umgekehrt. Der "Vater des Ruhrgebietes" ist zwar in aller Munde, war aber gschäftlich weniger erfolgreich als etwa seine Mutter Louisa, geborene Märcker (1718-1795). Sie sorgte fürs Grundkapital der berühmten Sippe, ließ auf der Ruhr Roheisen transportieren.

6) Bei Harkorts die Louise, bei Krupp Helene Amalie (1732-1810). Sie besaß Anteile an der Wiege der Ruhrindustrie, der Hütte in Sterkrade-Oberhausen und in Neu-Essen. Ihr Enkel Friedrich (1787-1826) gründete seine Gusstahlfabrik erst als er die Hütte Gute Hoffnung herunter gewirtschaft hatte. Sein ganzes Erbe steckte er in die "Verfertigung des englischen Gussstahls", auch das nicht besonders gewinnbringend. Erst Alfred (1812-1887) rockte das Kruppsche Fachwerkhaus. Er hieß eigentlich Alfried, was nun gar nicht zur Kanonenfabrik passte, die der manisch-depressive Geist voran trieb. Seine Schreibwut ist legendär, heute würde man ihn wohl Spam-Person nennen, aber die Firma Krupp machte er zum Weltgiganten. Unter Sohn Friedrich Alfred (1854-1902) ging der Aufschwung weiter, dabei liebte F.A. Caprisonne mehr als Essens Ruß. Die Tochter heiratete nobel: Gemahl Gustav von Krupp zu Bohlen und Halbach war dann bekanntlich mittenmang bei Aufrüstung und Faschismus. 1943 musste der Erstgeborene dran, Alfried, der letzte Krupp. Nun heißt die Familie längst Berthold Beitz und der ist eine Stiftung. Oder so.

5) Heute würden wir Thomas Mulvany (1806-1885) wohl als Büttel einer Heuschrecke beschimpfen. Mit britisch-irischem Investivkapital im Rücken suchte der Dubliner im Ruhrbergbau sein Glück. Nicht alles glückte ihm. Aber weil er nicht nur Geld, auch Know-How im Tornister hatte, war er bald anerkannt. 1871 wurde er gar Vorsitzender des Langnamvereins. Seine irische Herkunft verleugnete er nicht, also hießen seine Zechengründungen Shamrock, Hibernia, Erin. Leben wollte er nicht im Pott, Mulvany residierte in Düsseldorf.

4) Wir nähern uns dem Mekka, wo alles begann. Osterfeld. Am Anfang war ein Priester. Franz von der Wenge zum Dieck (1707-1788) aus Schonnebeck. Der Domherr beantragte beim Kölner Erzbischof eine Schürfgenehmigung für Osterfeld und Buer. 1754 wurde mit dem Bau der St. Antony Hütte begonnen, am 18. Oktober 1758 glüht der erste Hochofen der Region, angefacht nicht von einem Ruhrbaron, sondern einem waschechten Freiherr.

3) Nach der Geistlichkeit übernahmen Kapitalisten. Heinrich Arnold Huyssen (1779-1870) war Oberbürgermeister von Essen, das gerade mal 4.000 Einwohner zählte. Wichtiger also seine kommerziellen Umtriebe. Zusammen mit den Compagnons Gottlob Jacobi und Franz Haniel schuf er die Gewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen. Jacobi (1770-823), geboren in Koblenz, kam aus Trier ins Revier, wurde Hüttendirektor von Neu-Essen in den wildesten Zeiten der Ruhrindustrie, als sich um Hütten gekloppt wurde wie um Goldclaims in Kalifornien. Jacobi war so vorausschauend in die Familie Haniel einzuheiraten – und dann wartete er auf seine Chance.

2) Die kam, als Maria Kunigunde von Sachsen (1740-1826) ihre Anteile an der Hütte in Sterkrade verkaufte. Die Fürstäbtissin des Reichsstift Essen sollte eigentlich schick heiraten, einen Habsburger. Doch die Pläne scheiterten, die Frau wurde Fürstäbtissin und geschäftstüchtig. Zwar verbrachte sie nur wenig Zeit im Essener Stift, doch das Vorkommen an Raseneisenerz an Emscher und Rhein hatte es ihr angetan. So gründete sie 1789 eine Hüttengesellschaft des Stifts, 1791 die Hütte Neu-Essen. Sie lotste Jacobi ins spätere Industrierevier. Und dann verkaufte die Kunstsinnige an Haniel. 

1) Duisburg, Ruhrort, das väterliche Packhaus, eine Art vorgeschichtlicher Logport, hier begann das Wirken von Franz Haniel (1779-1868). Mit seinen beiden Schwagern, Huyssen und Jacobi, gründet er schließlich die spätere Gutehoffnungshütte (GHH – übrigens auch Wurzel des MAN-Konzerns). Erfolge hatte Haniel bereits als Händler, Spediteur gefeiert. Die napoleonische Kontinentalsperre spielte ihm ins Blatt, genauso seine tüchtige Mutter Aletta und der Familienbetrieb Haniel, der 1756 als Weinhandel startete. 252 Jahre und kein Ende: Noch heute ist Haniel Familien- und Mischkonzern mit 56.000 Mitarbeitern. Haniel gehören 36 Prozent der Metro AG, aber auch Unternehmungen mit obskureren Titeln wie Xella, Takkt, HTS, ELG und Celesio.

Foto: http://flickr.com/photos

Saurons Auge

bildschirmfotos: zdf.de/mediathek

Losgegangen, nein, losgefetzt ist sie, die Europameisterschaft mit einem wiederum wie entfesselten Jürgen Klopp als ZDF-Experten. Die Jungs hätten enorm viel investiert, johlte der Neu-Dortmunder unter einem riesigen magischen Auge wie in Tolkiens Herr der Ringe.

 

Kloppo jubelte jedenfalls wieder auf allerhökschtem Niveau: Die Jungs hätten die Räume gut zugestellt, die Jungs hätten gut verschoben, hätten Vollgas gegeben, die Jungs hätten die Polen geschickt angegriffen, wenn die im Ballbesitz gewesen wären (wann sonst?). Die Jungs hätten dann mental einen Wackler gehabt und einzelne seien von einzelnen Polen zu weit weg gewesen. Aber insgesamt hätten es die Jungs ganz großartig gemacht, das alles jauchzt der Ex-Mainzer Profi und Trainer ins Mikrofon, lässt sich dann auch noch einmal die Hintertorkamera geben, macht einen Kreis aufs Spielfeld, noch ein paar Striche und lässt die Spielszene weiterlaufen. Toll.  

"Rausköpfen mit Niveau"

Jürgen Klopp, der in Dortmund als Neu-Coach so etwas wie ein Hoffnungsträger ist, stand also geschlagene zwei Tage auf einer zugigen, verregneten Plattform in einem alpenländischen See zusammen mit dem dauerdoofen Kerner und diesem Urs Soundso, der mal Schiedsrichter war, aus der Schweiz kommt und nur etwas zu sagen hat, wenn er drangenommen wird. (Dass die anderen ihn mögen bzw. dulden, hat sich Urs Soundso übrigens teuer erkauft, vor zwei Jahren hat er mit einem 500 Euroschein in einem McDonalds am Kölner Dom für die ganze Mannschaft eingekauft! Echt. Peinlich)

Dauerlutschersendung
 
Klopp und dieser Urs Soundso sind wie beim so genannten Sommermärchen die gedungenen Fußball-Europameisterschafts-Experten für das ZDF, wobei man sich fragt, wie diese Experten auf der Bregenzer Seebühne irgend etwas vernünftiges über ein Spiel sagen können, das sie gerade am Fernsehen gesehen haben. Statt wieder einmal seltsam aufgekratzt taktische Selbstverständlichkeiten von sich zu geben, könnten sie an diesem Unort am Ufer des Gebirgsnebels viel besser die Bildregie analysieren, die Interviews am Spielfeldrand oder den Live-Kommentar – der von Bela Rethy hatte übrigens auch den ein oder anderen mentalen Hänger. Aber ob und wie Fußball gespielt wurde in Klagenfurt, in Basel oder in Wien, wissen die von der Opernbühne doch nur vom Übertragungsraten. Und wer immer noch meint, am Bildschirm sehen zu können, was ist, der sollte zu nicht unter 100 Stunden Medienkompetenz-Schulung verdonnert werden.

Mindestens genauso gespenstisch wie das aufgekratzte ZDF-Trio ist freilich das Erscheinen der Aberhundertschaften von Fußballreisegruppen auf den Tribünen in Bregenz. Sie kommen freiweillig und sorgten gestern tatsächlich für Atmosphäre, sprich: Atmo. Stemmten ihre Transparente, winkten mit schwarzrotgeilen Puscheln und machten genau das, was der Fernsehfunk im Ausnahmezustand braucht: keinen Ärger und reichlich Stimmungsbilder. Dass schon nach dem bundesdeutschen Favoritensieg im Vorrundenspiel tausende Autos hupend durch deutsche Großstädte kurvten, kann bei so viel Einsatz nicht mehr verwundern. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, mich künftig vor Saurons alles verschlingendem Auge in Acht zu nehmen. Und vor den Drei von der Drehbühne. Heute sind Netzing & Deller dran.

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Public Viewing (1): IRgendWO

Gestern startete in Oberhausen der Zugucksommer, das "umsonst & draußen" dieser Zeit. Die Ruhrbarone werden auch hin und wieder zusehen in den nächsten drei Wochen. Heute beginnt unser Streifzug durch Fernsehlandschaften.  

FOTOS: Schurian/ Ruhrbarone

Es war rührend schön, trotz Coca-Cola Oase, trotz Videowand, gestern in Oberhausen. Eigentlich liegt das Kommerzensemble aus Backstein, Flachwasser und Schinkenstraße ja im Nirgendwo auf Gutehoffnungsgebiet. Irgendwo im  Drescherland, in Retorte, Decentro. Draußen gab es jedenfalls zwei Buden mit Bauchfleisch und eine kompakte Menschenmenge, vielleicht 1.000, die zusammen Union Berlin gegen RWO schauten. Es ging um den Zweitligaaufstieg. Wie immer beim Public Viewing war das Bild körnig und blass, von der Sonne überstrahlt. Und der Ton aus der "Alten Försterei" dröhnte, als käme er über Kurzwelle und dann aus den Gitarrenverstärkern einer Punkband. Zuerst trugen nur die Vereins-Vips optimistische T-Shirts, nach dem klaren Dreinullsieg streifte sich der ganze Platz das Aufstiegsmotto: "Maloche lohnt" über. Selten so ein glückliches Fußballvölkchen gesehen. Selten gab es solch einen überraschenden Aufstieg in die zweite Liga. Selten einen erfolgreicheren Abschied vom Traineramt (Hans-Günter Bruns will nicht mehr, wird Sportdirektor und Luginger fortan Trainer). Selten glücklichere Vereinsfrauen (siehe unten,die sich so freut, ist  die Freundin von RWO-Aufsichtsrat Thomas Dietz). Zur Feier also zwei Jubelserien aus Oberhausen, rührend schön trotz Coca-Cola-Oase, trotz Centro.

 

 

 

 

Laumann der Woche (*)

Zum "Laumann der Woche"*, ach was, zum Ehren-Laumann wird hiermit Fußballspaßvogel Josef Laumann ernannt: Denn der Ex-Schalker ist päpstlicher als der Papst erlaubt.

 

Fotos: nrw.de, flickr.com/photos/beamariepia, vfl-luebeck.de

 

Josef Laumann, also  d e r  Josef Laumann, war schon eine witzige Nummer, als er noch bei Schalke und dann bei Ahlen spielte. Weil sein Namensvetter, NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, partout nicht mit (uns von) der taz nrw reden wollte, die für den erzkatholischen Münsterländer Teufelszeug darstellte, wurde irgendwann der gleichnamige Regionalliga-Fußballer aufgesucht fürs ultimative Laumann-Interview: Den Minister kannte Kicker-Laumann nur aus den Nachrichten, mit Schalkes heutigem Wundertorwart Manuel Neuer teilte der Deutsch-Marokkaner das Zimmer, er studierte und fuhr BMW.

Jetzt hat Josef Laumann, den man richtig ohne Karl und mit PH schreibt, noch einen Beweis erbracht, dass man sich seinen Namen merken sollte. Trotz Vertrag mit Rot-Weiß Erfurt absolvierte Laumann in Arnheim ein geheimes Probetraining. Als er dort nach seinem Namen gefragt wurde, nannte er sich aber nicht Laumann, was holländischen Kollegen kaum aufgefallen wäre, sondern Josef Ratzinger. Ergebnisse: klick und klack

Fazit: Abgesehen von der Kündigung in Erfurt gab es aber insgeheim natürlich ein Lob von Laumann, dem Chef der CDU-Sozialauschüsse, es lautete ungefähr so: "Josef Laumann, Josef Ratzinger, gefällt mir. Das nächste mal nennste dich Josef von Nazareth!"


(*) Mit dem Laumann der Woche zeichnete die taz nrw seinerzeit besonders scheue, widerborstige Zeitgenossen aus, weil der Namensgeber des Preises sich genauso hartnäckig einem Interview verweigerte.