NRW 9.5

Das waren mehr als Posen – gestern Abend bei der SPD-Landespartei. Hinter Glücksdaumen blitzte Generalsekretär Michael Groscheks satt befreites Lachen auf. Bei Spitzenkandidatin Hannelore Kraft konnte man eine Spontanheilung bewundern. Auch wenn Fußballvergleiche nerven, die Mülheimerin jubelte wie Klose, wenn der nach eintausendzweihundertvier Minuten Ladehemmung wieder mal ein Tor geschossen hat.

montage: ruhrbarone

Es gab tatsächlich ein paar passable Ergebnisse in den Großstädten. Und der SPD-Sieg bei den OB-Wahlen in Bielefeld ließ Hannelore Kraft für einen Augenblick alle Verkniffenheit, Münteferinghaftigkeit, Dauerdoppeldeckung aufgeben. Kein Wunder. Die SPD wird im Land nun etwas in Angriff nehmen, was außerhalb aller Reichweite erschien: den Wiedereinzug in die Landesregierung am 9.5.2010.

Die Rechnung ist einfach: Die NRW-SPD hat sich gestern – zwar auf niedrigstem Niveau, aber immerhin – kommunal konsolidiert nach einem Jahrzehnt im Sturzflug. Denken wir die gestrigen Wahlergebnisse ein paar Wochen weiter, werden die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten Ende September zwar nicht das Schrödersche Bundestagswahlergebnis 2005 einholen, es aber auch nicht stark unterbieten. Und das hat Auswirkungen in Berlin: Sackt die SPD im Westen nicht ab, kann es keine Bundeswunschkoalitionen geben. Die Kanzlerinnen-Union – nicht die SPD – wird geschwächt aus den Wahlen kommen. Merkel hat wiederum ihr Wahlziel verpasst, sie wird regieren können, aber in einer Minderheitsregierung, einer Zweiten Großen Koalition oder einer abenteuerlichen Dreiparteienkonstellation gegen Starkwindopposition.

Jeder dieser Konstellationen ist freilich äußerst schwach und eine Enttäuschung für die Wählerschaft. Jede fällt der Bundeskanzlerin vor die Füße. Vermutlich schon nach rund zweihundert Amtstagen – im Mai 2010 in Nordrhein-Westfalen. Ziemlich wahrscheinlich gibts eine Test- bzw. Denkzettelwahl und große Chance für die NRW-SPD. Samt Hannelore Kraft. Denn wer so feiert, erwartet alles, aber keine Personaldiskussion.

Deppendorfs Wahlversprecher

Ulrich Deppendorf (4. v. l.) wäre gern lässig wie Paul Newman in "Der Clou" (klick). Jetzt ist es so weit. In der ARD-Sendung "Klartext" zur Bundestagswahl 2009 haute der Leiter des Hauptstadtstudios einen großartig relaxten Wahlversprecher raus.

Schirmschuss: ruhrbarone/ ARD (ab 14:40)

Nachdem Struck (SPD), Gysi (LIN) und Künast (GRÜ) ihre millionenschweren Jobprogramme vorgestellt hatten, wandte sich Deppendorf an den CDU-Fraktionschef:

"Herr Kauder, von der Union sind keine Zahlen vorgegeben worden, da hört man relativ wenig Konkretes, es heißt nur im Wahlprogramm Arbeit für alles…" klack, hihi.

Das Opel-Orakel

Kein A. rsch weiß, wie es weitergeht mit dem deutschen Autobauer. Sicher ist nur, dass sich Bund, GM und die Opel-Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und NRW in dieser Woche wieder zusammen setzen wollen. Der GM-Verwaltungsrat hat sich jedenfalls immer noch nicht entscheiden, wer den Laden kriegen soll. In Detroit sollen sie sogar überlegen, Opel in Eigenregie zu sanieren. Oder kriegt BILD-Geheimfavorit Ripplewood den Zuschlag? Oder der Politik- und Gewerkschaftsdarling Magna? Oder Insolvenz? Fragen wir am besten mal das Youtube-Orakel. Demnach kommen die Verhandlungen kaum von der Stelle, drehen sich ganz schön im Kreis, klick.

Polizei darf nur noch Gewaltvideos drehen

Ein ziemlich erstaunliches Urteil des Verwaltungsgerichts Münster. Das beschied soeben: die Polizei darf Teilnehmer an Demonstrationen nur noch filmen, wenn "erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit" bestehen. Immerhin handele es sich um einen starken Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht.

Bild: flickr.com

Geklagt hatten Atomkraftgegner aus dem Münsterland, verteidigt wurden sie von dem Münsteraner (Bürger-)Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler, klick. Im Juni vergangenen Jahres hatte ein Kamerafahrzeug der Polizei dauerhaft und intensiv eine – wie heißt es bei den Veranstalters so schön – eigentlich "ereignisfreie" Demo von 70 Atomkraftgegnern gefilmt, die gegen die Urantransporte von Gronau nach Russland protestierten. 

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Mülheim – ein Traum!

In Mülheim, im Mühlenfeld, im Gegenlicht – da ist die Welt noch in Ordnung! klick

Oh, Mülheim du Insel der Seeligen, du grünes Tal der Hoffnung, du Horst des Generationenfriedens. Anders als im abgerockten Rest der Welt, herrscht hier in der Sozialdemokratie noch große Zuversicht statt Politikverdrossenheit. Denn wozu gibt es denn das Planungsrecht, den Jugendstadtrat und die Errungenschaften der französischen Revolution?! Also am 30. August unbedingt wählen gehen. Wie sagt es Top-Befrager Sven Liebert so süß: "Das kann ich auf jeden Fall quasi nur bestätigen." Absolut. 

 

Wäre Bochum Literatur…

Bochum führt bekanntlich ein Buch im Stadtwappen. Gerne möchte die etwas zu große, zu leere Stadt auch als Literaturhochburg punkten. Kein Wunder, dass Wahlkampf hier ein Krieg der Wörter ist. Genauer: der Wie-Wörter. Mit einem klaren Ergebnis: Schlechter Stil. Mit Adjektiven unbedingt sparsam umgehen.

Fotos: ruhrbarone

Im Einzelnen:

"Menschlich" nennen sich sowohl CDU und SPD.

"Stark", SPD und FDP.

"Sozial", SPD und Soziale Liste.

"Mutig", CDU und SPD.

Als Alleinstellungsadjektive können wir nur "modern" für die CDU verzeichnen und "klug" für die SPD, bzw. "Dr." Ottilie Scholz.

Leis is nice

"Landtag NRW- Raum der Stille." Mein Header der Woche! Nur eine dürre Betreffzeile in der Mailbox, Zuschrift der Landtags-Pressestelle. Doch was für eine gute Idee: der Landtag, das Parlament – still, kein Wort.

Stattdessen meditierende Oppositionsführerinnen, tiefenentspannte Fraktionsgeschäftsführer, in sich ruhende Hinterbänkler, keine Zwischenrufe, keine kaugummiaufblasende Schulklasse auf der Besuchertribüne, keine Abgeordneten mit Handy am Kopf, Hand vorm Mund, einarmig mühen sie sich an der Saaltür, atemlose Interviews, keine stolzierenden Politiker in Wandelhallen. Stattdessen, endlich: Sense, Schluss, Silenzio im Raum der Stille*. Quiet nice.

Content für die Schnäppchenbörse

Rupert Murdoch will mal eben die Spielregeln im Internet ändern. Noch in diesem Jahr, so hat der Australier beschlossen, sollen die Webangebote seiner News Corp Zeitungen nicht mehr kostenlos sein. Zwar besitzt der SKY-Besitzer in Deutschland keine Zeitungswebseiten. Doch seine Initiative hat die Szene ganz schön aufgemischt. Auch den Ruhrbaron.

Bild: ruhrbarone.de

So erwägt der Axel-Springer-Macher Mathias Döpfner, für Internet-Inhalte seiner Redaktionen Gebühren zu erheben. Auch WAZ-Mediengruppen-Mann Bodo Hombach – der schon einmal mit einem Zeitungsgebührensystem ähnlich der Rundfunkrefinanzierung liebäugelte – lobte Döpfner für die "wichtigste medienpolitische Intiative seit Jahrzehnten". Kai Dieckmann ist natürlich ebenfalls ein Gegner der kostenfreien Redaktionsinhalte im Internet – der Bild-Chef spricht von einem  "furchtbaren Geburtsfehler"; klick. Als Ruhrbaron möchte man ins gleiche Horn stoßen – zum letzten Hallali.

Ich habe schon vor Jahren über die "Internet gleich Umsonst-Draußen(und-Tauschen)"-Frage gestritten. Ende 2003 starteten wir in NRW mit einer neuen täglichen taz-Regionalausgabe. Jedes Jahr sollte die zehn Prozent zulegen, um weitermachen zu dürfen. Doch gerade ein neues Produkt, so argumentierten wir gegenüber den taz-Geschäftsführern, dürfe seine zusätzlichen und anlockenden Inhalte nicht umsonst im Netz feilbieten. Die Wachstumsmöglichkeiten am Kiosk und im Abo würden massiv konterkariert, wenn weder Neugierleser noch bisherige taz-Skeptiker wirklich das Blatt kaufen müssen, weil sie sich auch im Netz durchs Angebot blättern können. Und selbst professionelle Muss-Käufer aus Parlamenten, Parteien, Redaktionen können die taz-Artikel so frei Haus beziehen, ohne einen Obolus zu entrichten. Wie gegen das Internet wachsen?

Die Berliner Antwort blieb immer gleich, unbefriedigend: Untersuchungen hätten ergeben, dass der Werbewert der allgemein zugänglichen Inhalte im Internet die Einnahmezugewinne für die taz im Print übertreffe. Außerdem sei die taz die erste deutschsprachige Tageszeitung, die vollständig im Internet zu lesen gewesen sei – das müsse so bleiben. Markenkern, or so.

Mit solch Argumenten waren die taz-Chefs keineswegs alleine. Selbst anfangs zurückhaltende Verlagshäuser folgten in diesem Jahrtausend dem Trend, Webportale aufzubauen, auf denen mindestens ihre komplette Print-Ausgabe zu lesen war. Nach und nach öffneten Medienhäuser etwa die WAZ sogar ihre Zeitungsarchive für die Tiefenrecherche – kostenfrei und in Hoffnung auf das baldige große Geschäft mit der Webwerbung. Bis jetzt  – es würde nicht wundern, wenn das seit Monaten wegen Relaunch geblockte Zeitungsarchiv bei "derwesten" mit einem Gebührensystem wieder eröffnet wird.

Es wird in den nächsten Monaten putzig sein, zu beobachten, wie rasch der allgemeine liberale Allesveröffentlichungsdiskurs – befeuert von der NYT oder spon – einer genauso allgemeinen Content-Paid-Veredelungs-Rhetorik weichen wird. Dabei ist die dem Gesinnungswandel zugrunde liegende Einsicht in die Milchmädchenrechnung uralt, dass der Konsument, nicht für etwas bezahlt, was er auch umsonst bekommt. Die Verlagshäuser haben sich ganz bewusst jahrelang selbst kannibalisiert und ihre Produkte aus Zeitungspapier abgewertet, weil sie auf den  gewaltigen Werbebrocken Internet setzten. (Richtig logisch war die Kostenfreiheit der Redaktionssinhalte im Netz nur für die Journalisten, die ihre Online-Rechte an den Artikeln ohne jede Gegenleistung abzutreten hatten!)

Der Vorstoß der Verleger kommt natürlich zu spät – die Lage auf dem Markt, die Aussichten sind dramatisch. Das Hauptargument für die freie Zugänglichkeit waren möglichst hohe Userzahlen, die man sich analog der TV-Werbung von den Werbetreibenden bald kräftig bezahlen lassen kann. Doch die Hoffnungen auf Refinanzierung, auf einen alles ernährenden Werbekuchen im Internet sind vorbei. Murdoch und Co. haben das große Zittern bekommen und wollen medienatavistisch zurück an den Geldbeutel des Lesers. Dass das ausgerechnet im Internet, der globalen Schnäppchenbörse gelingt, kann aber ziemlich zweifelsfrei beantwortet werden: Nein.

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Mohamed war ein Prolet…

 . . . und ein paar weitere heitere Fußballgeschichten, weil es gleich wieder losgeht!!!

abb: stadtwerke bo/ ruhr nachrichten

RWE/ Für mehr als 30 Millionen Euros soll Traditionsclub und Viertligist Rot-Weiß Essen nun endlich doch ein neues Stadion bekommen kick. Ein Steinwurf entfernt vom alten Georg-Melches Stadion fällt deshalb am Samstag, High Noon, der feierliche symbolische Startschuss für die neue rot-weiße Spielstätte. Eine der letzten Amtshandlungen des scheidenden OB Wolfgang Reiniger (CDU). Immerhin ist das neue Stadion mit vier Tribünen geplant und damit gegenüber dem bisherigen Traditionsbau (3) klar im Vorteil. Klar im Nachteil sind Fußballtraditionalisten im Essener Norden. Statt Georg Melches – dem für die meisten vor allem nur noch rätselhaften Namen des Cluburvaters kick – soll die neue Arena laut "derwesten" einen Namenssponsor aus der Wirtschaft bekommen kick. Allerdings handelt es sich dabei um das allerunauffälligste Sponsoring der Fußballgeschichte: Die neue Anlage wird schlicht "RWE-Arena" heißen. Rheinisch-Westfälischer Kapitalismus, man muss ihn einfach lieben!

VfL/ Zwanzig Kilometer ostwärts heißen die Dinge schon längst anders. Namenssponsor des Rewirpower-Stadions sind die Stadtwerke Bochum und nach der Umbenenung des Ruhrstadion hat der kommunale Versorger nun die nächste Verwandlung ins Auge gefasst. In einer Anzeige haben sich die Bochumer Lizenzspieler in Haka-Pose ablichten lassen. Auffällig: Die Spieler aus der zweiten Reihe posen besonders grimmig. Auch die eher witzigen Ankündigungsplakate für die VfL-Spiele, die bislang die Abenteuer der Bochumerin Gerda zeigten, machen nun einem neuen Motiv Platz. Etwas Fankurve ist zu sehen und dazu das Motto: "Andere haben Trophäen, wir haben Euch!" Angesichts der chronischen Unzufriedenheiten mancher Bochumer Fanseele (kick) kann das allerdings auch als Klage verstanden werden.

BVB/ Im Pokal hat Lucas Barrios bereits getroffen, der neue Weltttorjäger des BVB, doch nun macht ihm Don Alfredo Pöge, Erbsenzähler des Weltfußballs den Titel streitig kick. Zu Pöge und seinen Fußballstistikern ist schon viel geschrieben worden, zum Beispiel im Spiegel.
Persönlich glaube ich ja, die alten Männer und der Republikflüchtling sind eine Art Fußballfreimaurerloge, die den Fußball unterwandern wollen, seine Geschichtschreibung monopolisieren um die ewige Herrschaft des Bösen einzuleiten.

S04/ Schalke hat(te) bekanntlich dieses interkulturelle Problem mit seinem Vereinslied. Für mich nur wieder ein Beispiel von "misheard lyrics". Auf der Nordkurve singen sie seit Jahren klar und eindeutig "Mo-ha-med war ein Prolet". Und was man so von Mohamed weiß – erst am Feuer, Walzwerk, Mannesmann, dann auf Stütze, nebenbei Taxi – muss ich sagen, sie haben recht!