2 bis 3 Straßen im Interview am Borsigplatz

Der Künstler Jochen Gerz macht derzeit im Ruhrgebiet zwei Projekte. Während der Bochumer Platz des europäischen Versprechens auf der Kippe steht, läuft das Projekt 2-3 Straßen ganz gut an.

Ursprünglich sollten bis zu 80 kreative Leute von außerhalb in den Pott ziehen und hier nachsehen, wie das so läuft. Dazu wurden ihnen billige Wohnungen in Mülheim, Duisburg und Dortmund angeboten. Über Ihre Erlebnisse sollen sie Protokoll führen. Daraus will der Künstler Gerz später ein Buch oder ein Plakat oder was auch immer machen. Leider wollten nicht genügend Leute von außen ins Revier kommen, deswegen durften sich auch Kreative aus dem Ruhrgebiet an dem Projekt beteiligen. Tobias Eule ist einer von ihnen. Der Architekt ist von Bochum nach Dortmund gezogen, direkt an den Borsigplatz. Ich habe mit ihm gesprochen.

Warum machen Sie als Architekt überhaupt bei der Straßen-Nummer mit? Wo ist der Reiz für Sie?

Ich habe mich mal vor ungefähr einem Jahr bei ehemaligen Kommilitonen darüber beschwert, dass wir während unserem Architekturstudium nie gelernt haben uns auch mal Schriftlich mit dem Thema Architektur auseinander zu setzen. Das empfand ich als eine verpasste Gelegenheit, denn ich hatte gemerkt, dass ich zwar sehr gerne Schreibe, aber es doch recht selten getan habe. Besagter Freund machte mich ein paar Tage später auf die Anzeige von 2-3 Straßen aufmerksam, auf die ich mich dann einfach mal beworben habe, frei nach dem Motto, wenn sie mich nehmen werde ich mich ein Jahr lang intensiv mit dem Schreiben und mit der deutschen Sprache beschäftigen. Dies ist meine individuelle Motivation, wegen der ich nach Dortmund gezogen bin, der Reiz des gesamten Projektes besteht aber darin, dass hier mit einen mal ca. 30 Menschen nach Dortmund verpflanzt wurden, die alle in einer Phase ihres Lebens stehen, in der sie sich irgendwie verändern wollen und die sich nun ein Jahr lang mit dem Thema Nachbarschaft auseinandersetzen. Die spannende Frage ist also in wie weit sich so eine Maßnahme dann auch wirklich auf das Wohnumfeld auswirkt.

Sie haben schon in Hattingen gewohnt, in Bochum, in Bottrop. Sie kennen das Ruhrgebiet. Glauben Sie Dortmunds Norden kann Sie noch überraschen?

Wenn ich mir die aufgezählten Städte angucke, kann mich der Norden Dortmunds schon überraschen, denn die Lebenssituation die hier vorherrscht gibt es in dieser Intensivität in besagten Städten nicht. Eine gute Freundin von mir hat aber eine Zeit lang in Gelsenkirchen gewohnt und dort ist die Lage ähnlich. Als erstes fällt einem auf, dass man als Deutscher hier in der Minderheit ist. Ich will das gar nicht werten, aber es fällt einem halt auf. Dann gibt es hier auch so manche Häuser die völlig Leer stehen und an denen die Fensterscheiben schwarz zugeklebt sind. Es ist eine Vorahnung, was aus dem Ruhrgebiet werden würde, wenn es wirklich zur massenhaften Abwanderung auf Grund fehlender Arbeit käme. Ein Quartiersmanager beurteilt die Lage um den Borsigplatz folgendermaßen. Es kommen viele Ausländer als erste Anlaufstelle an den Borsigplatz, weil die Mieten hier günstig sind, und wenn sie dann eine sichere Arbeit gefunden haben ziehen sie wieder weg. So ist die Stimmung hier, dagegen herrscht in Hattingen, Bochum und Bottrop schon noch heile Welt. Trotzdem sind die Menschen denen man begegnet und die man Anspricht hilfsbereit und offen wie überall im Ruhrgebiet, wenn auch ein wenig argwöhnischer.

Was heißt argwöhnischer?

Die meisten Menschen laufen hier oft einfach aneinander vorbei und wenn man sie anspricht ziehen sich manche erst mal förmlich in sich zusammen. Sobald sie dann aber merken, das man völlig normale Fragen stelle, z.B. wo der nächste Altglascontainer ist, oder dass man im Hausflur einfach nur ein paar nette Sätze wechseln will verlieren sie auch sofort diese skeptisch Haltung und sind nett und hilfsbereit wie ich es im Ruhrgebiet gewohnt bin. Man merkt daran aber schon wie verunsichert manche Menschen hier sind. Sie sind in unserer Gesellschaft irgendwie noch nicht heimisch geworden. Auf der anderen Seite Grüßen sich hier Schwarze oder Türken auf der Straße oft sehr freundlich, aber die verschiedenen Minderheiten bleiben anscheinend unter sich. Das ist natürlich ein Problem, denn eine Demokratie funktioniert ja nur wenn ihre Bürger sich als Teil der ganzen Gesellschaft sehen und somit auch bereit sind aktiv an der Entwicklung dieser Gesellschaft mit zu wirken.

Wieso hat der Künstler Jochen Gerz ausgerechnet Sie ausgesucht, um mit einem Berliner Musikverleger am Borsigplatz zu wohnen?

Während der Bewerbungsphase mussten wir unter anderem die Fragen beantworten, warum wir an dem Projekt teilnehmen wollen und was wir während der Zeit dort machen wollen und anscheinend war meine Antwort individuell genug um in die engere Auswahl zu kommen, trotzdem hat man mich nicht für den Standort Duisburg, für den ich mich eigentlich beworben habe genommen, denn eigentlich wurden Menschen gesucht, die von außerhalb des Ruhrgebietes in diese Region ziehen. In Dortmund konnte man aber sich erst Ende November mit den Beteiligten einigen welche Wohnungen zur Verfügung gestellt werden können, und weil man in der kurzen Zeit von einem Monat nicht genug Zeit hatte für jede Wohnung Bewohner von außerhalb zu bekommen, hatten auch wir Ruhrgebietler ein Chance. Die Rückfragen Ende November, ob ich auch in eine andere Stadt ziehen würde und ob ich denn auch wirklich jeden Tag schreiben wolle habe ich äußerst positiv beantwortet. Und weil die Vorstellung von Jochen Gerz war, dass die Teilnehmer sich eigentlich selbst aussuchen sollen, hat sich mein Wille zur Teilnahme dann halt durchgesetzt.

Sie haben den Künstler getroffen, der in Berlin geboren wurde, in Paris arbeitete und nun in Irland lebt. Hat der Künstler in Ihren Augen irgendeinen speziellen Bezug zum Ruhrgebiet?

Das kann sein, schließlich gestaltet Herr Gerz zur Zeit auch den Platz des Europäischen Versprechens in Bochum und hatte vor Jahren schon in Dortmund eine Aktion laufen die „Das Geschenk“ hieß. Ich glaube aber, dass das gar nicht entscheidend ist, vielmehr kreiert Jochen Gerz Situationen auf die Menschen reagieren und er ist vielleicht hauptsächlich daran interessiert wie die Menschen sich dann verhalten. Wo das ganze stattfindet ist wahrscheinlich sekundär, denn Menschen sind ja auf ihre Art und Weise überall in der Welt spannend. All zu sehr habe ich mich aber mit der Kunst von Jochen Gerz noch nicht auseinandergesetzt.

Wie beurteilen Sie den künstlerischen Ansatz? Können Sie bei der Erarbeitung des Ansatzes mitwirken?

Beeindruckend finde ich, dass ich den künstlerischen Ansatz am Anfang eher banal fand und mich aus ganz eigenen Interessen hierzu beworben habe, ich aber je länger ich mich mit Herrn Gerz befasse die Empfindung habe, er weiß schon was er da tut. Jetzt sitzen in drei Städten motivierte Menschen, die in ihrem Leben an eine Stelle gelangt sind, an der sie sich aus welchem Grund auch immer verändern wollen. Und all diese Menschen denken jetzt über Nachbarschaft nach, begegnen ihren Nachbarn und schreiben dann auch noch jeden Tag, was ja auch immer eine Reflexion des Erlebten beinhaltet. Insgesamt sind das pro Straße rund 10 Prpzent der Anwohner. Da ist es doch schon spannend, wie sich das über ein Jahr entwickelt. Und auch zu der Frage, wer denn den Text, der hier nebenbei entsteht überhaupt lesen soll antwortet Herr Gerz doch sehr souverän, dass solle man doch Aufgabe des Verlegers sein lassen und diesen gibt es außerdem schon. Ich bin zwar immer noch skeptisch was das gemeinsame Buch angeht, auf der anderen Seite schreiben jetzt fast 80 Leute jeden Tag Sachen auf, die Herr Gerz am Ende nach belieben zusammenstellen, kürzen und verändern kann, da bin ich dann doch mal gespannt.

Haben Sie Anweisungen bekommen, wie Sie sich verhalten sollen?

Die Anweisung die wir bekommen haben hat mir äußerst gut gefallen. „Wir wollen hier alle nicht mehr tun als wir tun wollen.“ Jochen Gerz will auf keinen Fall, dass die Bewohner hier bespaßt werden und irgendwelche Events geboten kriegen. Alles soll so unaufgeregt wie möglich laufen, aber doch halt kommunikativer. Projekte wie z.B. Malen oder Musizieren mit Kindern oder auch Interviewen von Nachbarn werden sehr begrüßt, aber jeder soll schon selbst entscheiden wie sehr er sich einbringt. Wobei ganz klar gesagt wird, dass man natürlich nur so viel aus diesem Jahr für seine eigene Entwicklung rausholen kann, wie man an Energie hineinsteckt, aber das ist ja bei allen Aktivitäten so. Und auch was den gemeinsamen Text angeht hat Herr Gerz in seinem Konzeptpapier formuliert, dass alles was geschrieben ist einen Wert an sich hat. Es gibt also auch hier keine Vorgaben, sonst würde das Ergebnis aber auch sehr viel eintöniger und damit auch langweiliger.

Macht Ihnen das Schreiben für das Projekt 2-3 Straßen Spaß?

Ja sehr, deshalb bin ich ja hier. Ich sehe das ganze ein wenig wie eine Ausbildung, in der man mit seiner Sprache jeden Tag ohne Vorgabe experimentieren kann wie man will. Schreiben als Selbstzweck ist doch, wie jede Aktion um seiner selbst willen, der pure Luxus.

Sehen Sie irgendwas spezielles an ihrer Gegend da in Dortmund? Ne besondere Solidarität oder so?

Das ist hier natürlich die Gegend um den Borsigplatz. In der Pommesbude gegenüber meiner Haustür wurde vor hundert Jahren der BVB gegründet, damals war da aber noch eine Kneipe. Das ist schon ein besonderer Ort für diese Stadt, wobei man hier sagt, dass die Bewohner des Borsigplatzes zwar noch den BVB im Herzen tragen, ob der BVB aber noch den Borsigplatz im Herzen trägt ist zu bezweifeln. Trotzdem, der Fußball verbindet und da ist es schön das dieses Jahr die Fußball WM ist, denn es dürften von jeder teilnehmenden Nation auch Menschen hier in der Nachbarschaft wohnen. 2-3 Straßen könnte zumindest hier am Borsigplatz gerade in dieser Zeit eine neue Dynamik entwickeln.

Städtebaulich hat diese Gegend außerdem durchaus ihre Qualitäten, mit einem für das Ruhrgebiet recht hohen Altbaubestand und Innenhöfen die durchaus das Potential haben verschiedenst genutzt zu werden. Der Stadtteil hätte also, wenn es das Schicksal freundlicher gemeint hätte auch das Zeug zu einem hippen Studentenviertel gehabt. Das ist jetzt im Dortmunder Kreuzviertel, welches einfach schon näher an der Uni liegt.

Sie sind Deutscher und damit rund um den Borsigplatz sowas wie ne Minderheit, ist das komisch für Sie?

Ehrlich gesagt gewöhnt man sich doch sehr schnell daran. Ich bin aber auch schon als kleiner Junge in eine Grundschule in Bottrop-Welheim gegangen, die einen hohen Ausländeranteil hatte und habe auch in Bochum auf der Dorstener Straße gewohnt, auf der alle paarhundert Meter ein türkisches Lebensmittelgeschäft war. Trotzdem fällt es mir einfach auf, dass kaum Deutsche unterwegs sind. Für die aus anderen Gegenden zugereisten Projektteilnehmer ist die Situation aber selbstverständlich viel ungewöhnlicher, so wundert sich mein Mitbewohner schon amüsiert über die legender knappen Sätze im Ruhrgebietes. Die übliche Kommunikation beim Bäcker „Watt machtat“ „Zweifuffzich“ ist für Zugezogene schon gewöhnungsbedürftig.

Oberflächlich haben die Leute da am Borsigplatz eines gemeinsam. Sie haben in der Regel wenig Geld und fühlen sich oder werden sogar tatsächlich ausgebeutet. Fühlen sie sich auch ausgebeutet? Soviel ich weiß kriegen Sie gerade mal einen Teil der Miete bezahlt und müssen dafür alle Rechte an dem abgeben, was Sie im Rahmen des Projektes schreiben?

Die schöne Anwerbung vom Mietfreien wohnen war zum Teil natürlich schon eine Mogelpackung, denn neben der Miete gibt es ja noch die Nebenkosten, die Strom- und die Elektrokosten, die wir selbst zahlen müssen und das ist zusammen ja genauso viel wie die eigentliche Miete. Was die Rechte zu dem Geschriebenen angeht ist der Vertrag den wir akzeptieren mussten schon sehr resolut. Man merkt halt, dass Herr Gerz schon sehr lange im Geschäft ist und deshalb Verträge aufsetzen lässt, in denen alles was zu seinen Gunsten denkbar ist auch hineingeschrieben wird. Herr Gerz hat die Ausschließlichen Rechte auf alles was wir Schreiben, in jeder erdenklichen Publikationsform, selbst Teletext und Schulfunk wird erwähnt. Besonders perfide ist der Unterpunkt in dem steht, das auch Texte und jegliche sonstige Aktivitäten von mir, die irgendwie mit dem Wohnen am Borsigplatz zu tun haben, auch dann Herrn Gerz gehören, wenn ich sie ihm nicht zur Verfügung stelle. Trotzdem fühle ich mich nicht ausgenutzt, denn ich weiß ja, dass solche Verträge pro Forma für alle Eventualitäten aufgesetzt werden und ich ja nicht hier bin um mit meinem Schreiben Geld zu verdienen, sondern um festzustellen, ob ich nach einem Jahr täglichen Schreiben erst mal davon gesättigt bin, oder ob ich immer weiter schreiben könnte. Was dann 2011 passiert bleibt abzuwarten und ist vielleicht für mich noch viel spannender als 2-3 Strassen.

Wie würden Sie ihr Verhältnis zum Künstler beschreiben? Chef und Angestellter? Gleichberechtigt? Oder sind Sie ein Versuchskaninchen?

Ich nenne meinen Künstler schon jetzt gerne meinen Meister, denn er dient mir als Inspirationsquelle. Auch ist er so was wie ein Trainer, der uns durch seine Ansprache schon zu motivieren versteht. Aber trotzdem sind wir natürlich gleichberechtigt, denn ich bin hier aus eigenen Antrieb, um mein eigenes Leben zu bereichern und wenn Herr Gerz was mit meinem Output anfangen kann ist das schön für ihn, wenn nicht interessiert mich das aber nicht die Bohne. Von daher sind Definitionen die an die Arbeitswelt erinnern völlig falsch, außer vielleicht der Begriff des Versuchkaninchen, wobei ich mich ja selbst in das Labor gestürzt habe und auch jeder Zeit wieder gehen kann.

Haben Sie Kontakt zu den anderen Leuten, die in dem Projekt mitmachen?

Zum einen habe ich natürlich Kontakt zu meinem Mitbewohner, den ich ja ohne 2-3 Straßen nie kennen gelernt hätte. Dann gibt es am Borsigplatz ein Büro in der Mitarbeiter von Herrn Gerz sitzen und sich um uns kümmern. Über sie enthält man dann z.B. Einladungen von anderen Bewohnern, morgen führt uns z.B. eine Teilnehmerin die aus Dortmund kommt durch die Stadt. Ich habe aber auch schon Teilnehmer auf der Straße getroffen, die mich dann gleich zu sich eingeladen haben. So schnell wie hier habe ich also noch nie Nachbarn kennen gelernt, aber darum geht es ja auch.

Glauben Sie aus ihrer Straße kann ein Abbild des Ruhrgebietes erschaffen werden? Oder werden einfach Klischees transportiert? Oder anders gefragt, wird auch eine Straße in Essen-Überruhr oder in Bochum-Stiepel im Rahmen des Projektes untersucht?

Die Straßen die für das Projekt ausgesucht wurden liegen alle in sogenannten Sozialen Brennpunkten. Das hat ja auch einen pragmatischen Grund, denn nur hier stehen die benötigten leeren Wohnungen zu Verfügung. Deshalb ist der Projekt schon auch Repräsentativ für andere prekäre Standorte im Ruhrgebiet. Die Lebenswirklichkeit von wohlhabenden Gegenden wie Bochum-Stiepel kann man hier aber bestimmt nicht untersuchen. Ob am Ende dann die Klischees transportiert werden bleibt abzuwarten. Jochen Gerz will das bestimmt nicht, ich Frage mich aber ob das wirklich so schlimm ist, wenn man sich dann über Fußball, Bier und Halal-Grillen näher kommt. Die Klischees sind ja immer auch Teil der Realität und wenn in dieser Region schon lauthals besungen wird, dass die Ruhrgebietler ehrliche Häute sind die sich ohne Schminke geben, dann erfüllt dieses Klischee als self fulfilling prophecy doch durchaus seinen Zweck.

Zum Schluss, wie ist das am Borsigplatz denn so? Wie man hört, ist die Gegend ganz schön runtergekommen.

Das jetztzeitige Ruhrgebiet ist ja eine Kraftanstrengung um gegen das Phänomen der shrinking-cities in postindustriellen Ballungsräumen anzugehen. Das ganze trägt dann den schönen Namen Strukturwandel und kostet Land und Bund seit Jahrzehnten Millionen. Am Borsigplatz geht dieser Kampf teilweise verloren. Trotzdem sind wir hier noch weit entfernt von Zuständen wie Detroit, denn die Fenster sind zwar schwarz verklebt aber noch nicht eingeschmissen. Aber man muss gerade in Stadtteilen wie diesen alles tun um einer weiteren Verödung entgegenzuwirken, denn es gibt einen Punkt off-no-return ab dem keine Menschen mehr bereit sind wieder in die verlassenen, heruntergekommenen Stadtteil zu ziehen. Die Gegend hier steht an dieser Grenze und es sind kreative Lösungsmöglichkeiten gefragt um solche Quartiere wieder auf die Bahn zu kriegen. An den Plattenbaustädten in Ostdeutschland hat man gesehen, dass z.B. ein partieller Abriss kombiniert mit einer Umstrukturierung die Stimmung in den Städten positiv verändern kann. Dazu bedarf es aber Geld und gerade die Städten an der Ruhr bräuchten ein Äquivalent zu dem Soli-Ost. Ob dieses Geld überhaupt da ist kann ich nicht beurteilen, wenn nicht könnte es allerdings zu einer Abschreibung ganzer Stadtteile des Ruhrgebietes kommen, wie es in Duisburg teilweise schon der Fall sein soll.

Können Sie sich vorstellen, da wohnen zu bleiben, oder gehen Sie nach dem Projekt wieder weg? Falls ja, wohin denn? Nach Spanien?

Diese Wohnung kann ich mir nach diesem Jahr alleine nicht leisten und mein Mitbewohner wird höchstwahrscheinlich die Stadt verlassen, also ist auch für mich am Ende 2010 wieder ein Umzug angesagt. Sollte ich im Ruhrgebiet bleiben, werde ich wieder nach Bochum ziehen, weil mir die Stadt von ihrer Größe aber auch von ihrem Habitus zusagt. Aber wie gesagt sind die Teilnehmer hier, weil ihr altes Leben sie nicht mehr ganz ausgefüllt hat und somit bin auch ich in einem Veränderungsprozess, was dabei am Ende herauskommt und wohin die Reise geht bleibt abzuwarten.

Grafik: 2-3 Straßen

Foto: Tobias Eule

Pro Unfug – Sauerländer soll Ehren-Ruhri auswählen

Foto: Umweltministerium / Der Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) steht links

Der Verein Pro Ruhrgebiet bemüht sich, das Ruhrgebiet geistig zu vertreten. Der Verein steht unter anderem hinter dieser Internet-Seite, auf der die Einheitsstadt Ruhr propagiert wird. Das ist erstmal gut. Dazu lässt der Verein unter anderem den Bürger des Ruhrgebiets wählen. Als Identifikationsfigur. Das war zum Beispiel schon Rudi Assauer.

Nicht gut ist, dass der Verein Pro Ruhrgebiet jetzt tatsächlich NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) zum Jury-Chef für die Wahl des Revierehrenbürgers gemacht hat. Unter seinem Vorsitz soll am 8. April unter allen eingegangenen Vorschlägen der kommende Ehrenpreisträger ausgewählt werden.

Uhlenberg hat mit dem Revier so viel zu tun, wie ein Trecker mit einem Rennwagen. Der Mann kommt aus dem finstersten Sauerland. Hinter den Bergen bei den Zwergen. Der ist da in Soest Ehrenvorsitzender der CDU. Der Mann hat es nicht mal hingekriegt, die Gifte PFT aus dem Ruhrwasser rauszuwaschen. Der Kerl wirft Reportern vor, korrupt zu sein, wenn sie ihm unangenehme Fragen stellen. Und dieser Sauerländer soll jetzt sagen können, wer im Revier was tolles gemacht hat? Da kann nur Mist bei rauskommen. Mit dieser Jury-Besetzung hat der Verein Pro Ruhrgebiet bewiesen, dass er instinktlos ist – und das unabhängig davon, dass aus Uhlenbergs Ministerium heraus ein Ermittlungsverfahren gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Hauses befeuert wurde, wie bei den Ruhrbaronen nachzulesen ist.

Es ist instinktlos, keinen passenden Jury-Vorsitzenden aus dem Ruhrgebiet selbst zu finden. Gibt es hier nicht genug kluge, gute Leute, dass man auf einen dubiosen Politiker aus dem Sauerland zurückgreifen muss? Und wieso muss es ein amtierender Politiker sein? Gibt es keinen ehrenvollen Mann oder keine seriöse Frau ohne Parteibindung für den Job? Wer wird jetzt Preisträger? Einer aus Helgoland mit CDU-Parteibuch? Oder einer der andersweitig Parteipolitisch genehm ist? Meiner Ansicht nach wird der Ehrenpreis jedenfalls mit Minister Uhlenberg beschädigt. Er wird ab nun im Ruch der Parteilichkeit stehen. Und: Ist der Sauerländer eigentlich für den Ruhrbezirk und die Ruhrstadt, oder als Seitenrand eher dagegen und will das Revier geteilt halten? Will er Werl im Pott haben oder lieber nach Soest? Zu den Unterzeichnern der Ruhrstadt-Carta gehört Minister Uhlenberg jedenfalls nicht. Toll gemacht Pro Ruhrgebiet.

Davon ab scheint es beim Verein Pro Ruhrgebiet Probleme bei der Auswahl der Preisträger zu geben. Denn die „Bewerbungsfrist“ für den Bürger des Ruhrgebietes wurde um einen Monat verlängert. Wer sich also beim CDU-Sauerländer Uhlenberg um einen Orden als angemessener Ruhri bewerben will, sollte seine Unterlagen bitte bis zum 31. März beim nun offenbar zuständigen MUNLV einreichen.

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Ruhrgebietskiller Centro – ein Interview

Vor ein paar Wochen hat der Raumplaner und Architekt Walter Brune gemeinsam mit dem Architektur-Journalisten Holger Pump-Uhlmann ein Buch über das CentrO in Oberhausen veröffentlicht. Nicht das übliche Hochglanzgeschwafel. Sondern eine kenntnisreiche Abrechnung mit einer verfehlten Stadtplanung. Dabei schrecken die beiden Autoren nicht davor zurück, eine Vorgeschichte zu analysieren, die bis in die düstersten Zeiten von Johannes Rau (damals SPD-Ministerpräsident von NRW) zurückreicht, als nach vorne immer alles bieder evangelisch sauber roch und nach hinten hinaus der Mist stank.

Brune und Pump-Uhlmann sind für ihr Stück tief eingestiegen. Haben alte Berichte aus Untersuchungsausschüssen durchforstet, sich mit Diplom- und Magisterarbeiten beschäftigt und jede Menge Fachliteratur für Normalsterbliche übersetzt. Herausgekommen ist ein Buch, dass für jeden Ruhrgebietseinsteiger zur Pflichtlektüre werden sollte. Denn durch das Buch lernt man vieldarüber, wie hier Dinge laufen. Kaum verholen wirft beispielsweise Brune dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Burkhard Drescher vor, sich für das Projekt gegen das Interesse der Stadt aus Eigeninteresse eingesetzt zu haben. Nur an manchen Stellen, etwa wenn es um die Gewerbesteuereinnahmen von Oberhausen und die Veränderungen durch das Centro geht, bleibt das Buch flach. Aber das sind Nebensächlichkeiten, die auf jeden Fall nicht die Hauptaussagen des Buches beeinträchtigen.

Überraschenderweise sorgt das Stück im Ruhrgebiet bislang nicht für eine heftige Debatte. In der NRZ, Lokalteil Oberhausen, wurde es als „ärgerliches“ Machwerk abqualifiziert, das wenig Neues bringe. Tja, wenn der NRZ-Kollege alles schon gewusst hat, warum hat er das dann nicht mal aufgeschrieben? Die Diskussionen beschränkten sich im wesentlichen auf die üblichen Abwehrreaktionen. Kommt von außen, will uns was böses, ist gemein, der hat doch ganz andere Interessen. In der WAZ wurde das Buch übrigens kaum regional wahrgenommen. Schade.

Foto: Flickr.com

Am deutlichsten hat sich noch der angegriffene Drescher selbst der Sache angenommen. In einem Leserbrief für die Immobilienzeitung griff der heutige Berater, der nach seiner Zeit bei der Stadt Oberhausen hauptberuflich ins Immobilienfach wechselte, den Architekten Brune direkt an:

Es kommt mir durchaus witzig vor, dass Herr Brune seine 17 Jahre alten Thesen unreflektiert auf 127 Seiten im Jahr 2009 zur Veröffentlichung bringt und auch noch eine ganze Seite der Immobilien Zeitung dafür okkupiert. Gleichwohl, kalter Kaffee reift auch durch das Altern nicht. Der Leser sollte wissen – davon kein Wort im Artikel -, dass Herr Brune zu jener Zeit der Besitzer und Betreiber des Rhein-Ruhr-Zentrums war: 60.000 m2 Verkaufsfläche an der Stadtgrenze zwischen Essen und Mülheim. Dieses Zentrum ist ohne jegliche Beziehung zur Innenstadt von Mülheim in einem Gewerbegebiet errichtet worden, durch das Centro entstand ein direkter Konkurrent. Daher die Vehemenz der Ablehnung.

Nur zur Klarstellung: Drescher unterschlägt bei diesem Angriff, dass Brune in seinem Buch sehr wohl auf seine Planungen für das Rhein-Ruhr-Zentrum eingeht. Brune sagt dort auch, er müsse sich als Fachmann zu den Fehlplanungen äußern und lasse sich nicht das Wort verbieten. Mir kommt der Angriff sowieso nicht ganz sauber vor. Wie stellt sich das Drescher vor? Soll jeder, der sich auskennt, die Klappe halten, damit nur noch Amateure über sein Handeln berichten können? Tatsache ist, nach Dreschers Zeit in Oberhausen ist die dortige alte Mitte kaputt und die Gemeinde komplett verschuldet. Die Ruinen eines Blenders, könnte man sagen. Zudem fällt mir da ein, dass sich seinerzeit der damals noch lebende WestLB-Chef Friedel Neuber bei Unternehmen im Ruhrgebiet umschaute, ob nicht irgendwo ein Job für Drescher zu finden sei, als der aus der Politik aussteigen wollte. Einem mir persönlich bekannten Unternehmer sagte Neuber: Man habe da noch einen Versorgungsfall. Hat eigentlich die WestLB die Finger mit im Centro-Gemenge gehabt? Wie dem auch sei: Drescher greift weiter Brune an.

Zu jener Zeit (als Drescher das Centro durchdrückte, d.A.) war Oberhausen geprägt durch den Abbau von über 40.000 Arbeitsplätzen innerhalb weniger Jahre und einen massiven Kaufkraftabfluss. Schon Anfang der 90er Jahre gab es bereits keine Stadtmitte mehr, sondern drei Teilzentren. Inzwischen sind alle Teilzentren erheblich aufgewertet worden und erfreuen sich einer guten Frequenz als Nahversorgungszonen. Dazu ist die Neue Mitte Oberhausen (NMO) gekommen. Über 12.000 Arbeitsplätze sind in der NMO entstanden, davon nur knapp 3.000 im Centro. Über 20 Mio. Besucher aus ganz Europa bringen Kaufkraft in die Region. Es ist durch diese private Investition in ein modernes, touristisch ausgelegtes Shoppingcenter ein Impuls ausgegangen, der Oberhausen zum stärksten touristischen Anziehungspunkt im Ruhrgebiet hat werden lassen. Aus dem alten montanindustriellen Herzen der Stadt ist eine neue, pulsierende ökonomische Mitte entstanden. Dadurch ist Oberhausen nicht nur dem Niedergang entkommen, sondern hat sich zu einem Zukunftsstandort entwickelt – einem der wenigen im Revier. Diese Neue Mitte ist eine Erfolgsstory, auch wenn Herr Brune seit nahezu 20 Jahren mit den gleichen dauerhaft widerlegten Thesen dagegen wettert.

Auch das ist in meinen Augen eine schräge Wahrnehmung, die nur schwer mit der Welt da draußen in Übereinklang zu bringen ist. Ich habe den Architekten Brune gefragt, was er zu den Angriffen von Drescher sagt.

Herr Brune, sie haben sich als Architekt und Stadtplaner mit dem Centro beschäftigt. Geben Sie uns eine Gesamteinschätzung: War die Nummer ein Erfolg?

Wenn man den Erfolg des Centro Oberhausen beschreiben möchte, muss man sich erst einmal die Frage stellen: Für wen war es ein Erfolg? Für die Stadt Oberhausen war es der totale Niedergang. Ein Spaziergang zusammen mit einem Journalisten der Financial Times vor ca. 14 Tagen über die Haupteinkaufsstraße Oberhausens, die Marktstraße, war für den Journalisten ernüchternd. Wir standen vor 30 qm großen Pfützen mitten in dieser Einkaufsstraße. Links und rechts säumten nur noch schäbige Buden die Straße. Kaufhäuser waren geschlossen. Die wenigen noch vorhandenen Geschäfte führen ein Nahversorgungssortiment. In der Regel sind es Ketten, wie Aldi, Rossmann, Tengelmann, etc. Die Stadt ist kaputt. Wir konnten es bei besagtem Spaziergang eindeutig sehen. Insofern war das Centro Oberhausen für die Stadt Oberhausen kein Erfolg.

Was das Centro anbelangt, hat man sich, meiner Einschätzung nach, sicherlich einen größeren Erfolg vorgestellt, denn es sollten Kunden aus dem gesamten Ruhrgebiet und den Niederlanden angezogen werden. Das war am Anfang auch der Fall, doch es hat sich sehr schnell gelegt. Im Übrigen ist das Mieterangebot sehr dürftig und hauptsächlich auf sehr junge Kundschaft ausgerichtet, die bekannterweise nicht sehr viel Geld zur Verfügung hat.

Trotzdem ist das Centro Oberhausen lebensfähig und hat durchaus so viel Kraft, den Städten Oberhausen und Mülheim den Einsatzhandelsumsatz zu entziehen.

Mit dem Centro sollte eine neue Mitte in Oberhausen geschaffen werden, das sagte zumindest immer der damalige Oberstadtdirektor und spätere Oberbürgermeister von Oberhausen Burkhard Drescher. Ist das Centro eine neue Mitte geworden?

Herr Drescher hat den Bürgern vorgegaukelt, eine neue Stadtmitte zu schaffen. Triste Gebäude, von Parkplätzen und Parkhäusern umgeben, die abends um 22:00 Uhr schließen, bedeuten keine neue Stadtmitte. In einer Stadtmitte muss man abends noch einmal eine Gaststätte aufsuchen oder an beleuchteten Schaufenstern vorbei flanieren können. Eine funktionierende Stadtmitte hat ein vielfältiges Angebot; die Bürger kennen ihre Stadtmitte, sind stolz darauf und verstehen sie als ein Stück Heimat. Das kann kein Shopping-Center bieten und der Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen hat nichts neu installiert, sondern hat die Bürger ihrer Stadtmitte beraubt.

Wollte man dieses Versprechen einlösen, hätte Herr Drescher die Innenstadt größtenteils abreißen müssen, um das Centro Oberhausen so in die Innenstadt zu integrieren, dass es nach allen Seiten verglast und somit offen wäre und ein Teil der Innenstadt darstellen würde. Das war aber nicht möglich und konnte daher von vornherein nicht gelingen. Außerdem war es auch nicht gewollt. Herr Drescher war von Anfang nur daran interessiert, dem englischen Investor dieses große Projekt zu ermöglichen und alles, was mit der Stadt Oberhausen und sonstigen Städten dadurch passiert ist, war ihm völlig egal.

Ich kann natürlich nicht beweisen, welche persönlichen Interessen hinter diesem Bestreben lagen. Aber ein solches Handeln kann nicht ohne Streben nach persönlichem Vorteil vonstatten gehen. Es entspricht nicht dem menschlichen Wesen. Beweisen kann man das natürlich nicht, aber die Dinge liegen in diesem Fall so offenkundig auf der Hand, dass man eigentlich gar keine Beweise benötigt. Insbesondere die Tatsache, dass Herr Ex-Oberbürgermeister Drescher kurz vor seinem Abgang noch schnell dafür gesorgt hat, dass Kraft seines Amtes 30.000 qm Erweiterung genehmigt und somit machbar wurden, obwohl er sich selbst vor Beginn der Genehmigung des eigentlichen Shopping-Centers dazu veranlasst sah, eine Baulast eintragen zu lassen, die eine Erweiterung eigentlich nicht möglich machte. Also: Trick hin, Trick her! Das hat schon Dimensionen, denen man in diesem Zusammenhang Bedeutung zumessen muss. Und gleich, nachdem alles gelungen war, ist Herr Drescher in die Privatwirtschaft gewechselt, denn es hätte ja sein können, dass in seinen Amtsstuben doch noch kritische Stimmen aufgekommen wären, die ihm als Oberbürgermeister einen weniger guten Abgang beschert hätten.

Haben die gut 500 Fördermillionen aus öffentlicher Hand für das Centro irgendetwas für die Menschen im Ruhrgebiet gebracht?

Mit 500 Mio. Fördermitteln aus öffentlicher Hand hätte man, wenn ich beispielsweise den Planungsauftrag bekommen hätte, die Marktstraße sowie die Anfänge der Nebenstraßen zunächst vollständig saniert, Bäume gepflanzt, Bänke aufgestellt und durchaus einen Teil der Straßen mit Glasdächern überdachen können, aber absolut gesehen nicht auf ganzer Länge, sondern immer nur Einzelpositionen von vielleicht 20 m – 30 m. Danach hätten wieder 100 m offene Flächen angeschlossen. In eine Straße muss auch die Sonne ungefiltert scheinen können. Unter den verglasten Abschnitten hätten kleine Pavillons aufgestellt werden können, in denen man Cafés, kleine Gasstätten oder Sonderverkäufe platziert hätte. Diese Details hätte ich mit den Mitteln leicht finanzieren können und dann noch weiteres Geld in die Hand genommen, um auf der Länge der Straße Bronzeskulpturen aufzustellen, um eine künstlerisch hochwertige Skulpturenallee zu schaffen. Im Frühjahr und Herbst wären entsprechende Blumenbeete saisonal bepflanzt worden, genauso wie es andere Städte auch machen. In der Weihnachtszeit natürlich mit weihnachtlicher Bepflanzung, Beleuchtung und Ausstattung. Alles in allem hätten diese Verschönerungen ca. 50 Mio. ausgemacht.

Danach hätte ich die restlichen 450 Mio. gut angelegt und aus der Rendite, die jedes Jahr mindestens 20 bis 30 Mio. hätte bringen können, hätte ich in vielen Bereichen der Stadt, insbesondere im zentralen Bereich – ähnlich meinem Vorschlag – entsprechende Gestaltungen und Unterstützungen vorgenommen. Mit 500 Mio. hätte man eine Stadt dauerhaft als strahlende Einkaufsstadt darstellen können, durchaus auch mit der Möglichkeit aus diesem Topf den Einzelhändlern helfende Zuwendungen zukommen zu lassen, und sei es auch nur in Form von Krediten, die sonst nicht so leicht von den Einzelhändlern zu bekommen gewesen wären, oder Zinszuschüsse, die Kredite bei normalen Banken erleichtert hätten.

Alles mit voller Kraft und voller Absicht das Geld nur dafür einzusetzen, die Innenstadt und somit die gesamte Stadt zu aktivieren und zu fördern. Das hätte Oberhausen auf den ersten Rang der Ruhrgebietsstädte gesetzt.

Was aber stattdessen geschah, bedeutet, 500 Mio. verplempert zu haben, und zwar für einen privaten Investor, der die Innenstadt mit diesem Geld gleichzeitig zerstört hat.

Wurden wenigstens die versprochenen 10.000 neuen Arbeitsplätze in Oberhausen geschaffen?

Es wurden nicht nur 10.000 Arbeitsplätze versprochen. In einem Zeitungsartikel aus dieser Zeit äußerten die Investoren: „Sollte das Ladenschlussgesetz aufgehoben oder verlängert werden, werden sogar 12.000 Arbeitsplätze neu geschaffen.“ Das sollte heißen: Allein 2.000 Arbeitsplätze mehr nur im Centro. Heute wird argumentiert, man hätte zwar im Centro nur 3.000 Arbeitsplätze schaffen können, aber in Nachbarprojekten sind weitere Arbeitsplätze entstanden, was das Gesamte aufbessert. Aber selbst wenn es insgesamt 3.500 Arbeitsplätze sein sollten (was ich bezweifle, da hier genauso fehlinformiert wird, wie in anderen Bereichen), wird vermieden zu erwähnen, dass mindestens die gleiche Anzahl an Arbeitsplätzen im völlig zerstörten Einzelhandel der Innenstadt verloren gegangen sind, so dass unterm Strich ein Null-Summen-Spiel anzutreffen ist. Die von mir geschilderte „strahlende Innenstadt Oberhausen“ hätte aber tatsächlich neue Arbeitsplätze schaffen können, nicht aber das Projekt Centro Oberhausen.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Herrn Drescher? Hat er dem Revier mit seinem Einsatz für das Centro genutzt oder geschadet?

Ich glaube, es versteht sich von selbst, dass die Einzelhandelsverlagerung aus Oberhausen, Mülheim, Essen, Bottrop und anderen nahe gelegenen Städten allen geschadet hat. Ein Shopping-Center in dieser Größe hat eine enorme Zugkraft auf den Einzelhandelsumsatz. Das konnte dem Revier keine positiven Impulse geben.

Die Landesregierung hatte festgelegt, dass die Verkaufsfläche auf 70.000 qm beschränkt werden sollte. Wurde diese Vorgabe eingehalten?

Ich habe die Ausführungspläne des Centro Oberhausen in meinem Büro. Wenn ich diese Flächen exakt nachrechne komme ich auf 97.000 qm Verkaufsfläche, wobei die Gastronomieflächen hierin eingeschlossen sind. Diese gehören natürlich auch zu einer Verkaufsfläche, denn die dort verkauften Waren werden ja nicht verschenkt. Also, auch die 70.000 qm wurden nicht eingehalten und hierüber hat sich auch niemals irgendjemand beschwert, schon gar nicht die Oberhausener Behörden. Im Gegenteil, sie haben die Größe genehmigt. Was sollten die Behörden auch anderes gegen die Anweisung des Oberbürgermeisters tun?

Heute gibt es in Essen den Limbecker Platz, andere Städte planen ähnliche Zentren. Welche Rolle spielt hier das Centro für den Wettlauf um das schönste Einkaufszentrum? Welche Auswirkungen hat der Wettlauf für die Innenstädte des Reviers?

Das von ECE am Limbecker Platz zusammen mit Karstadt errichtete innerstädtische Einkaufzentrum bewirkt durch die enorme Größe keine Stütze des innerstädtischen Einzelhandelsumsatzes. Natürlich werden die Kunden durch den Standort näher an die Innenstadt herangeführt, aber viele Kunden werden in dieser großen Fläche alle Kaufbedürfnisse befriedigt finden. Ein solches, in sich eingekapseltes Zentrum braucht die es umgehende Stadt gar nicht und leistet somit auch keinen positiven Beitrag zur Attraktivitätssteigerung einer Innenstadt.

Natürlich haben Sie recht, dass ein solches Projekt die Wettlaufbemühungen anderer Städte, ebenfalls ein Shopping-Center zu etablieren, beflügelt. So ist auch in Dortmund gemeinsam mit ECE geplant, ein innerstädtisches Einkaufszentrum am Westenhellweg zu bauen. Wenn solche Shopping-Center an zentraler Stelle liegen und nicht zu groß sind, dass sie sich selbst genügen und die umgebende Stadt noch brauchen und nur ein Teil der Sortimente anbieten, können sie natürlich positiven Einfluss auf die Stadt nehmen. Es ist immer eine Frage der Größe. Ich halte 20.000 qm Verkaufsfläche für die maximale Größe, um dem Einzelhandel der umliegenden Stadt noch eine Chance zu geben. Zudem sollte in solchen Projekten das Sortiment angeboten werden, das in der Innenstadt fehlt. So bildet sich aus vorhandenem und neuem Sortiment eine Einheit, die durch die Addition gesteigert wird.

Zahlreiche Gutachten sollten damals belegen, dass das Centro keine Gefahr für die Nachbarstädte darstellt. Haben sich die Gutachter alle geirrt? Und vor allem warum?

Es ist sehr offenkundig, dass die Gutachter in der Beurteilung des Centro Oberhausen unrichtige Aussagen tätigten. Es ist in Deutschland leider so, dass die Gutachter vom Investor bezahlt werden, weil die Städte hierfür angeblich kein Geld haben. Die 500 Mio. haben wohl nicht gereicht, ein paar Tausend hierfür auszugeben. Und so machen die Gutachter, was der Auftraggeber sagt. Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Warum wurden eigentlich Projekte wie die Überdachung der Marktstraße nicht verwirklicht? Mit Hilfe dieser Initiativen sollte doch die Oberhausener Innenstadt gestärkt werden. Gab es überhaupt echte Anstrengungen von Drescher, dem alten Zentrum zu helfen?

Die Überdachung der Marktstraße war eine Täuschung der Bürger. Sie sollten eine neue, strahlende Innenstadt erwarten dürfen, aber Drescher hat alles dagegen getan, denn er hatte überhaupt kein Interesse, dass das Centro Oberhausen durch eine attraktive Innenstadt Konkurrenz bekommt. Sondern im Gegenteil, die Planung des Centro sieht klar vor, den Einzelhandel aus der nahen Innenstadt abzuziehen und in das Centro zu verlagern. Insofern waren die gesamten Gedanken zu Überdachungen, etc. reiner Schwindel. Das zur Verfügung stehende Geld wurde ausschließlich dafür eingesetzt, das Centro Oberhausen zu fördern. Man scheute auch nicht davor zurück, noch eine Straßenbahnlinie von Mülheim bis zum Centro zu bauen, damit die Mülheimer bequem dort hin gelangen konnten.

Die alte Innenstadt von Oberhausen sieht heruntergekommen aus. Aus A-Lagen wurden B-Lagen. Kann man sagen, dass hier Werte vernichtet wurden? Und falls ja, kann man eine Größenordnung der vernichteten Werte nennen?

Man kann feststellen, dass durch den Wegfall des Einzelhandels aus den früheren 1-A-Lagen die Gebäudewerte erheblich gemindert und dadurch vernichtet wurden. Ohne zu rechnen kann ich behaupten, dass die Summe der abgewerteten Immobilien erheblich ist. Beispiel: Wenn man auf der Königsallee ein Gebäude kaufen wollte, was ich verschiedentlich tat oder begleitet habe, musste man mit einer 24fachen Jahresmiete rechnen. Wenn man in einer guten Düsseldorfer Nebenstraße, auf der auch Geschäfte sind, ein Haus kaufen wollte, musste man mit der 18fachen Jahresmiete rechnen. Wenn man ein Haus ohne Ladenlokal im Erdgeschoss kaufen wollte, rechnete man mit der 12fachen bis 14fachen Jahresmiete.

Da sich die Häuser in der Oberhausener Innenstadt aber nicht als Wohnhäuser eigenen, als Büros nicht zu vermieten sind und das Erdgeschoss leer steht, kann man sich vorstellen, was man in diesem Fall überhaupt noch rechnen kann. Die Gebäude sind fast wertlos, es sei denn man bekommt einen Nahversorger ins Erdgeschoss, wie z. B. Aldi. Aber Aldi wird nur eine Miete zahlen, die sich bei netto sieben Euro je Quadratmeter bewegt, so dass auch dadurch keine deutliche Wertverbesserung eintritt. Nein, die Innenstadt ist vom Gebäudewert her ebenso zerstört worden, wie die Lebendigkeit der Stadt.

Es heißt, das Centro nutze der Stadt Oberhausen durch indirekte Einnahmen aus Gewerbe- und Einkommenssteuer. Stimmt das in Ihren Augen?

Die Frage bezüglich der Gewerbesteuer habe ich in meinem Buch eindeutig dargestellt. Es gab kaum positiven Effekte. Es ist ja so, dass die Einkommensteuer, die der Investor für den Überschuss aus den Mieten zahlen muss, mit der Abschreibung für das Gebäude kompensiert wird. Die Gewerbesteuer zahlen die meisten Mieter an dem Standort, an dem ihre Verwaltungen liegen, und da ein solches Shopping-Center meist aus großen Filialen besteht, sind die Verwaltungen dieser Filialketten meist nicht in Oberhausen ansässig. Auch hier kann man fast von einem Null-Summen-Spiel sprechen. Jedenfalls nicht von einem Ergebnis, von dem man sagen kann, dass das Projekt Centro Oberhausen die Finanzen der Stadt Oberhausen retten würde. Meinem Buch können Sie entnehmen, dass die Stadt Oberhausen vor Errichtung des Centro Oberhausen ein Zehntel so hoch verschuldet war, wie heute und nunmehr zu den ärmsten Städten des Ruhrgebiets zählt.

Wieso konnte Ihrer Ansicht nach das Centro überhaupt umgesetzt werden? Gab es eine moralische Verpflichtung des Landes, das Centro umzusetzen?

Wodurch das Centro überhaupt als Projekt erstellt werden konnte, geht eindeutig aus meinem Buch hervor. Weil ein früheres Projekt, das so genannte Triple Five gescheitert war, konnte die Landesregierung politisch zu einer Bringschuld verpflichtet werden. Das wurde ausgenutzt. Wenn es den Hauptinitiator, Herrn Heinz Schleußer, als damaliger Minister der Regierung in Düsseldorf, nicht gegeben hätte, der dort in Oberhausen seinen Wahlkreis hatte, gäbe es auch kein Centro Oberhausen.

Welches Motiv sahen Sie bei Drescher, dass Centro durchzudrücken?

Bezüglich Herrn Drescher’s Motiv möchte ich keine weitere Antwort geben.

Im damaligen SPD-geführten Landeskabinett gab es Widerstände gegen das Centro. Welche Rolle spielte es, dass dem Planungsminister Zöpel zunächst die Zuständigkeit für das Centro entzogen wurde, bevor er ganz aus dem Kabinett ausschied? Wer hat die Planungen im Kabinett warum unterstützt?

Das Ränkespiel im Landeskabinett bezüglich des Centro Oberhausen habe ich einige Zeit verfolgen können. Der SPD Minister Fahrtmann hatte sich damals energisch gegen das Centro ausgesprochen. Ebenfalls das CDU Mitglied Frau Thoben, aber offensichtlich ist Herr Schleußer mit seinem Ziel, das Centro Oberhausen mit Herrn Drescher zu verwirklichen, aus dem Machtkampf als Sieger hervorgegangen. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass sich Herr Zöpel, der sich vehement gegen das Centro eingesetzt hatte, eine „blutige Nase“ holte und schließlich aus der Landesregierung ausscheiden musste. Wer nun Herrn Schleußer unterstützt hat, kann ich nicht sagen. Möglicherweise Herr Rau persönlich. Aber das ist nur eine Vermutung. Auf alle Fälle kann ich feststellen, dass sich alle Beteiligten überhaupt nicht darüber im Klaren waren, was hier eigentlich gespielt wurde und welcher politische Schaden sich durch den Fall Oberhausen einstellte. Würden diese Personen noch einmal entscheiden müssen, wäre das Ergebnis sicher ein anderes.

Sie selbst haben Einkaufszentren geplant, etwa in Düsseldorf die Schadow-Arkaden. Oder in Mülheim beim Rhein-Ruhr-Zentrum. Sie waren auch im Gespräch als Planer für die Centro-Fläche. Kritisieren Sie das Centro jetzt nur, weil sie enttäuscht sind, das Sie hier nicht zum Zug kamen, wie das Drescher in seinem Leserbrief für die Immobilienzeitung nahelegte?

Als die kanadischen Investoren des gedanklichen Vorläuferzentrums zum Centro Oberhausen mit der Stadt Oberhausen Kontakt aufnahmen und wohlwollendes Entgegenkommen spürten, suchten sie einen Architekten und kamen zunächst zu mir. Ich habe den Herren erklärt, dass ich solche Zentren, insbesondere in dieser Größe, in meinem weiteren beruflichen Leben nicht mehr bauen werde, weil ich diese Initiative für falsch hielt und heute noch halte. Daraufhin haben sie mein Büro relativ spontan verlassen. Und auch die Landesregierung hatte es durch ein Votum geschafft, sich gegen diese kanadischen Investoren zu wehren und somit das Vorläuferprojekt zu verhindern. Da Drescher und Genossen meine Einstellung kannten, haben sie dafür gesorgt, dass die Centro Investoren gar nicht mehr bei mir vorsprachen, sondern andere Düsseldorfer Büros bevorzugten.

Darüberhinaus ist es richtig, dass ich vor 40 Jahren das Rhein-Ruhr-Zentrum für Stinnes geplant habe. Ich hatte damals ein Büro in New York und kannte die Szene der modernen Einkaufszentren in den U.S.A. sehr genau. Es waren auch andere Architekten aufgefordert worden, hierfür Pläne zu fertigen, aber meine Pläne wurden zur Ausführung herangezogen. Niemand hat vor 40 Jahren geahnt, welche negativen Auswirkungen solche Shopping-Center auf die Innen- und Nachbarstädte haben. Das Rhein-Ruhr-Zentrum sollte ja nicht den Einzelhandel aus Mülheim abziehen, sondern – an der Autobahn gelegen – eine alternative Einkaufsstätte für das gesamte Ruhrgebiet sein. Das dies nicht eintrat und mehr der Effekt zu Lasten der Stadt Mülheim eintrat, hatte mich dazu bewegt, mich an solchen Projekten nicht mehr zu beteiligen. Es geht sogar weiter. Ich habe daraus den Gedanken entwickelt, kleine Zentren ähnlicher Art, sogenannte Stadtgalerien, direkt in die Innenstadt einzubringen, und zwar an deren bester Stelle. So wie die Schadow-Arkaden und die Kö Galerie in Düsseldorf sowie ähnliche Projekte, die ich in vielen anderen Städten verwirklichen konnte. Hätte man eine solche Stadtgalerie mitten in die Marktstraße hineinplatziert, dann wäre ein anderer Effekt entstanden, nämlich ein positiver Beitrag zu einer blühenden Stadt Oberhausen.

Was sind die Unterschiede zwischen Ihren Planungen und dem Centro-Vorhaben?

Ich habe während meiner weiteren beruflichen Tätigkeit oft Anfragen erhalten, ob ich hier oder dort für große Konzerne ein Shopping-Center planen möchte. Ich habe alle Anfragen abgelehnt, mich aber durchaus dafür eingesetzt, meine Idee der Stadtgalerie – so wie ich sie genannt habe – in möglichst vielen Städten zu platzieren und halte es für eine hervorragende Chance für die Städte, den Einzelhandel attraktiver zu gestalten; natürlich unter vielen vorausgehenden Bedingungen. Und zu diesen Bedingungen habe ich bereits vor geraumer Zeit ein Buch mit dem Titel „Die Stadtgalerie – Ein Beitrag zur Wiederbelebung der Innenstädte“ (Campus Verlag) geschrieben. Auch in diesem Buch stelle ich eindeutig klar, dass ich erkannt habe, dass große Einkaufszentren, sei sie auf der „grünen Wiese“ oder am Stadtrand, für Städte tödlich sind, und dass eine gute Stadtgalerie unter den verschiedenen, von mir dargestellten Voraussetzungen durchaus gegensätzliche, positive Wirkung erzielt.

Die Unterschiede zwischen meinen Planungen und dem Centro Vorhaben sind eindeutig. Centro und Rhein-Ruhr-Zentrum sind typische, nach amerikanischem Prinzip geplante Groß-Shopping-Center. Meine Planungen, die ich seit mehr als 30 Jahren durchführe, haben damit keine Ähnlichkeit, da die Projekte erheblich kleiner sind (oftmals nur ein Zehntel so groß) und sich nicht nur auf den Einzelhandel beziehen, sondern darüber hinaus auch viele Dienstleitungen aufnehmen, wie z. B. in der Kö Galerie in Düsseldorf ein Kino oder in den Schadow Arkaden, ebenfalls in Düsseldorf, ein kleines Theater oder in der Heuvel Galerie in Eindhoven (NL) eine große Philharmonie. Darüber hinaus in den Obergeschossen Büros und sonst dergleichen. Ich plane immer eine multifunktionale Stadtgalerie, die viele andere Impulse an die Innenstadt abgibt.

Heute hat der Regionalverband Ruhr die Planungshoheit für den Pott. Welche Schlüsse sollte er aus dem Centro ziehen? Was erwarten Sie vom RVR?

Mit Bezug auf den Regionalverband Ruhr habe ich noch keine Wirkung bei dem hier aufgeworfenen Problem erkennen können. Insofern kann ich mir hierüber kein Urteil erlauben. Sicher wäre es für diesen Verband ratsam, wenn er sich gründlich mit meinem Buch „Centro Oberhausen – Die verschobene Stadtmitte“ beschäftigen würde, insbesondere mit den Hintergründen, die zum Projekt führten.

Das Buch: Centro Oberhausen – Die verschobene Stadtmitte gibt es unter anderem hier: klack

Herzlicher Glückwunsch Lukas

Der Blogger Lukas Heinser aus Bochum, bekannt über seinen Heimathafen Coffee and TV, ist neuer Chef von Bildblog. Das läuft gerade durch Twitter. Deswegen gratulieren wir mal freundlich. Und wieder zeigt sich, dass der Pott vorne liegt. 🙂

Lukas hat schon seit längerem für Bildblog im Umfeld von Stefan Niggemeier gearbeitet. 2008 wurde Lukas mit Coffee and TV zum goldenen Blogger des Jahres gewählt. Vor Kurzem erst hat er sein Studium erfolgreich in Bochum abgeschlossen. Die harte Tastatur des gebürtigen in Dinslaken aufgewachsenen Bloggers haben schon einige Reporter zu spüren bekommen. Neben der Bild haben vor allem die Rheinische Post und die WAZ auf die Nase bekommen. Bei Bildblog wird Lukas sicher mit seiner Medienkritik kräftig weitermachen und noch für einige Überraschungen sorgen.

Zum Schluss noch eine medienpolitische Betrachtung des Wechsels. Mit seinem neuen Chef Lukas Heinser kommt der Bildblog nach Bochum. Und zwar in die gleiche Straße, in der auch Coolibri sitzt. Damit sitzt der Ex-Dinslakener mit seinem bundesweit relevanten Qualitätsmedium neben den Billigstheimern aus dem Pott. Ich finde das spannend. Verschiedene Märkte werden bedient. Auch wir Ruhrbarone sitzen mehr oder weniger in Bochum. Bildet sich etwa hier ein neuer Mediencluster, ein Kreativitquartier? Ein neues Köln? Bald werden sicher die politischen Forscher der Sache auf den Grund gehen und Sonntagsreden dazu schwingen.

Wie dem auch sei: Mich freut es, dass mit Bildblog ein bundesweit relevantes Ding hierhin kommt. Ist doch was, oder?

Helmut Schmidt zu Afghanistan

Morgen will die SPD-Spitze mit dem Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt über die Afghanistan-Politik der Genossen reden. Ich denke Schmidt will auch da raus. Lieber heute als morgen. Hier ein Paar Zitate von ihm aus dem Jahr 2007:

In Afghanistan geht es in erster Linie um Menschen, die unter dem 11. September des Jahres 2001 gelitten haben, das heißt um die Bekämpfung von al-Qaida und nicht der Taliban. Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gegeben. Es hat immer das Argument gegeben, ihnen finanziell und handelspolitisch beizustehen. Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept, das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht verbietet die militärische Intervention in einem souveränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich auch sein mag.

Uns stellt sich nicht die Aufgabe, Afghanistan davon abzubringen, Mohn anzubauen. Eine zivile Gesellschaft aufzubauen ist kein Grund, dort einzugreifen. Der Grund für die Intervention war ausschließlich al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakistan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort einmarschieren?

Wenn ich damals Regierungsperson gewesen wäre – sagen wir Verteidigungsminister -, hätte ich wahrscheinlich darauf gedrungen, den deutschen Part so zu begrenzen, dass unser Engagement auf eine nominale Beteiligung hinausgelaufen wäre. Als ehemaliger Frontsoldat kann ich es gut ertragen, von einem amerikanischen Politiker als Feigling beschimpft zu werden.

Foto: Flickr.com/Hardo
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Nacktscanner – unsere Würde ist antastbar

Ich vermisse in der Diskussion um die Einführung der Nacktscanner an den Flughäfen einen Punkt, der mich persönlich wütend macht.

Was habe ich verbrochen, dass ich mich vor unterbezahlten Hilfskräften nackig machen soll?

Ich bin ein durchschnittlicher, weißer Deutscher. Ich bin kein Terrorist und ich will keiner werden. Ich finde unseren Staat im Prinzip super – besser jedenfalls als alles was es sonst auf der Welt so gibt. Vielleicht nicht ganz so toll, wie Norwegen, aber knapp dahinter. Ich habe nichts verbrochen.

Wieso soll ich mich also nackt betrachten lassen?

Mich ärgert es jetzt schon, wenn die privaten Wachdienste am Flughafen in meine Taschen schauen. Das sind irgendwelche Vögel. Die haben keine hoheitlichen Rechte und Pflichten. Das sind keine Polizisten, das sind unterbezahlte Wachdienstler.

Wieso dürfen die in meine Sachen schauen.

Ich war mal in Düsseldorf so ziemlich alleine im Sicherheitsbereich. Da wollte einer der Hiwis in meine Klamotten gucken. Ich hab ihn gefragt, welchen Verdacht er gegen mich hat. Auf dem Bildschirm beim Durchleuchten sei doch nichts zu sehen gewesen, was den Schluss nahe legt, dass ich Terrorist wäre. Er hat mir gesagt, die Hilfskräfte müssten in eine bestimmte Menge Taschen je Stunde schauen, das sei so vertraglich festgelegt. Und wenn wenige Leute da wären, müssten sie halt in jede Tasche sehen, also auch in meine. Egal ob da was auf dem Bildschirm zu sehen ist oder nicht.

Ich habe gefragt, was passiert, wenn ich mich weigere, weil es keinen Grund gibt, in meine Tasche zu sehen und in meine Privatsphäre einzugreifen.

Dann würde ich zu einer Körperuntersuchung weggebracht, hat der Hiwi gesagt. Da müsste ich mich dann ausziehen und man könne mir in den Arsch sehen.

Aha. Ich hab ihn dann in meine Tasche sehen lassen.

Ich kann also gezwungen werden, zu akzeptieren, dass irgendwer ohne Verdacht und ohne hoheitliche Befugnisse in meine Privatsphäre eingreift. Ich soll das normal finden.

Ich finde das ärgerlich.

Klar muss der Eingriff in die Privatsspähre gegen das Interesse der Allgemeinheit am sicheren Flugverkehr abgewogen werden. Und bei einer Tasche kann ich auch verstehen, dass da das Abwiegen gegen mich ausfallen kann.

Verdachtsunabhängig.

Aber wenn es ums nackig machen geht, kann ich nicht mehr nachvollziehen, dass hier das Abwiegen gegen mich ausfallen soll.

Denn hier geht es nicht mehr nur um den Eingriff in meine reine Privatsspähre. Hier geht es um meine tiefe Würde. Meine Würde als Mensch. Und die ist nach dem Grundgesetz unverletzlich.

Hat sich irgendeiner der Verfechter der Totalen Sicherheit mal gefragt, ob die jetzigen Kontrollen nicht ausreichend sein könnten?

Al Quida und die restlichen Terror-Organisationen haben es seit dem 11. September nicht mehr geschafft, einen nennenswerten Terroranschlag im Flugverkehr hinzukriegen.

Die Handlungsfreiheit der Banden wurde effektiv eingeschränkt. Die können nicht mal mehr ordentlich zum Bäcker gehen, geschweige denn in ein Flugzeug einsteigen.

Am 11. September hatte Al Quida ein gutes Dutzend Verbrecher in die Cockpits geschickt. Ausgebildete Leute, die Flieger steuern konnten und bekloppt genug waren, diese in ein Hochhaus zu stürzen.

Danach haben es die Terrorbanden auf einen Schuh- und einen Unterhosenbomber gebracht. In beiden Fällen Amateure, die sich im Wesentlichen nur selbst verletzt haben.

Al Quida hat Anschläge auf Züge versucht. Nicht auf Flugzeuge.

Jetzt gab es diesen einen Unterhosentrottel, der sich den eigenen Unterleib weggeschmorrt hat. Und wegen dem Narren sollen wir uns jetzt alle nackig machen?

Nee. Da bin ich nicht mit einverstanden. In diesem Fall muss das Abwiegen zwischen dem Totalitarismus der Sicherheit gegen meine Würde zu meinen Gunsten ausgehen.

Wenn ich mich nackig mache vor fremden Menschen, dann unterliegen die gewöhnlich der ärztlichen Schweigepflicht. Sonst läuft da nichts.

Das wäre vielleicht anders, wenn es einen Verdacht gäbe gegen mich. Dann vielleicht. Dann würde ich mich nackt scannen lassen. Aber dann muss man mir den Verdacht begründen. Und die Leute, die mich nackig machen, müssen Träger hoheitlicher Aufgaben sein, nicht irgendwelche privaten Vögel, die weder der ärztlichen Schweigepflicht noch den Pflichten eines Beamten unterliegen.

Warum ich das so sehen? Weil ich schon die Hilfswächter sehe. Unterbezahlt, wie die sich einen Spaß machen. Die hübschen Mädchen durchleuchten. Oder wenn die sich die Fetten raussuchen.

Ich höre die Wetten. Hat die ein Intimpiercing? Schwappt von dem der Bauch über den Sack?

Jetzt soll keiner sagen, das wäre nicht so. Ich habe lange genug so Jobs gemacht. Ich kenne genug von den Leuten, die da arbeiten. Klar machen die das. Wer meint, das wäre nicht so, der kennt die Welt nicht. Da werden hundertprozentig Fotos gemacht, von den Nackten aus dem Scanner und ins Internet gestellt.

Bestimmt gibt es dann Regeln, die Wetten auf Intimpiercings verbieten. Aber dennoch wird es diese Wetten geben.

Ich frage mich, warum wir das zulassen sollen? Warum lassen wir es zu, dass unsere Würde auf den Flughäfen in dieser Art verletzt wird?

Ich appelliere an die liberalen Kräfte in diesem Land. Schützt die Würde der freien Bürger.

Ich appelliere an die Sicherheitsfanatiker, geht in Euch, Al Quida ist nicht mehr in der Lage so großen Schaden in der Luft anzurichten, dass wir uns alle ausziehen müssten. Unsere Maßnahmen reichen weitgehend aus.

Ich denke, das Problem liegt ganz wo anders. Wenn irgendeiner von den Geheimdiensten auf den Vater von dem Unterhosenbomber geachtet hätte, hätte auch der nicht in den Flieger einsteigen können. Der Vater hatte die Behörden vor seinem Sohn gewarnt.

Ist das nicht das eigentliche Problem? Die Geheimdienste waren nicht in der Lage die Information zu verarbeiten.

Und weil die Schlapphüte versagt haben, soll ich mich, sollen wir uns alle nackig machen?

Wäre es nicht sinnvoller, den Diensten die Hose stramm, anstatt uns allen die Hosen auszuziehen?

Foto: Flughafen Dortmund

Verfrühter politischer Nachruf auf Oskar Lafontaine

Ich kann mich erinnern, als Oskar Lafontaine damals hinschmiss, da war
er SPD-Chef und Finanzminister. Ein paar Tage später saß mein Onkel auf
unserer Terrasse in Bottrop und hat fast geweint, mit Tränen in den
Augen saß er da.

Er kam sich verraten vor, verlassen, alleine gelassen mit all den Clements dieser Welt, die mit den Stimmen der Arbeiter an die Macht kamen, um danach Aufsichtsräte von Gazproms und Zeitarbeiters Gnaden zu werden.

Mein Onkel hat also geweint, oder sagen wir fast geweint. Oskar war weg. Mein Onkel hat Oskar im Wahlkampf geholfen. In jedem Wahlkampf in dem Oskar mitgemacht hat. Er hat für ihn Plakate geklebt und hat Wahlkampfautos gefahren. Er war an Wahlständen hat dort diskutiert und Flyer verteilt. Er hat an Oskar geglaubt.

Mein Onkel war stolz, wenn Oskar kam nach Bottrop, dann waren die Marktplätze voll. Da reichte es aus, eine Notiz in der Zeitung zu bringen, und die Menschen kamen, sagt mein Onkel. Nicht ganz wie bei Willy, aber fast. Bei Peer Steinbrück oder Hannelore Kraft, müssen persönliche Einladungen verschickt werden, mit Rückantwortschein und der Mahnung um Erscheinen. Und dann kommen doch zu wenig. Die SPD geht in Bottrop in Säle, die mit Wandverhängen verkleinert werden können, falls zu wenige Leute erscheinen.

Irgendwann wurde mein Onkel wütend auf Oskar. Weil der ihn verraten hat und die Sache der Arbeiter.

Der Zorn war groß, sehr groß, fast wie auf eine Frau, die mit einem anderen abgehauen ist. Und SPD-Leute, wie mein Onkel, die verzeihen Verrat nicht. Nie. Wenn Du bei denen verschissen hast, dann hast Du bei denen verschissen. Bis Dein Name auf Deinem eigenen Grabstein wegverwittert ist.

Die Menschen und die Medien sind über Oskar hergezogen. Sie haben ihn Populist genannt, sie haben ihn Hammelfänger von Ratten genannt. Sie haben ihm alles Böse gewünscht und gesagt, er sei ein Machtmensch, dem es nur um Macht gehe.

Das ist nicht alles wahr und nicht alles falsch. Lafontaine hat eine Beschränkung der Bankenspekulationen gefordert, er hat eine Steuer auf Börsengewinne gefordert und eine Umverteilung von oben nach unten. Für diese Positionen hat er die Macht zum Handeln gesucht.

Dann wollte die SPD nicht mit ihm diese Dinge umsetzen unter den Genossen Schröder und Clement.

Deswegen war es richtig von ihm, die Macht in der Regierung fahren zu lassen. Und die SPD aufzugeben. Er hat nicht wie andere um der Macht Willen an der Macht geklebt. Sondern er hat die Macht des Handelns wegen gesucht. Als er die nicht bekam, hat er den Rücken gerade gemacht.

Und dann hat er sich eine neue Basis geschaffen, um von dort aus Macht für sein Handeln zu gewinnen. Er hat seine Positionen erneut aufgebaut, bis diese selbst teilweise von der CDU übernommen wurden.

Ein Machtmensch, der das richtige auch zur unrichtigen Zeit forderte, der unbequeme Wahrheiten gesagt hat, auch wenn diese keiner hören wollte, und der dafür einen hohen Preis bezahlt hat. Dafür gebührt ihm Respekt.

Ich habe seine erste Rede nach seinem Abdanken gesehen, damals. Ich meine es war in Saarbrücken. Da hatte auch ich Tränen in den Augen. Eine große Rede, ein großer Redner.

Lafontaine ist einer der Besten in Deutschland. Er hat linke Positionen wieder in die Politik gebracht. Er hat für Alte, für Arme gestritten, selbst dann noch, als er es zu Geld und Wohlstand gebracht hatte.

Leider haben die dauernden Anfeindungen und auch das Attentat bei Lafontaine Spuren hinterlassen. Er hat sich eingeigelt und als Mensch benommen, wie der letzte Sack. Ich hab ihn ein paar Mal persönlich erlebt. Mit dem Kerl hätte ich privat nie ein Bier getrunken. Ein Fiesling, der vor abstoßender Arroganz kaum gehen konnte.

Aber darum geht es ja auch nicht. Privat kann der machen, was der will. Es geht darum, was er in der Politik sagte und tat.

Und da hat er seine Positionen gut und clever vertreten. Er hat die Positionen der Armen und Benachteiligten laut und deutlich vertreten. Er hat den Stummen und Ohnmächtigen eine Stimme und Macht gegeben. Er hat sich Macht zum Handeln gesucht. Und versucht zu handeln, als er es konnte.

Das ist gut. In der Demokratie ist es wichtig, die Stimmen der Benachteiligten in den Parlamenten zu hören, damit die Gesellschaft nicht zerfällt.

Leider ist Lafontaines Partei im Westen, in NRW, ihm selbst nicht ebenbürtig. Da laufen zu viele Irre rum, die nicht in der Lage sind, es dem Oskar gleich zu tun. Ich habe keine Vordenker getroffen oder gehört, die mich beeindruckt hätten.

Das ist schlecht, weil die Belegschaft der Linken in NRW nicht in der Lage sein wird, die Stimme der Ohnmächtigen im NRW-Landtag zu vertreten. Sie droht mit ihrer Mikkerbelegschaft bei den Wahlen unter die fünf Prozent Hürde zu purzeln.

Es braucht aber jemanden, der Leute, wie den Mann meiner Cousine im Parlament vertritt. Der macht einen knallharten Job, malocht sich einen Puckel, ein Ex-Bergmann, der umgeschult hat. Bekommt kaum genug Geld zum Leben und soll von dem Moos immer mehr für Kinderbildung, Krankenschutz und Rente abzwacken.

Diese Menschen brauchen eine Stimme, sonst wenden sie sich von der Demokratie ab, weil sie sich verlassen fühlen von der politischen Klasse.

Das meine ich unabhängig von meiner politischen Meinung.

Nur wenn im Parlament alle wichtigen Strömungen vertreten sind, kann man über Debatten tragfähige Kompromisse finden, die unsere Gesellschaft nicht zersplittern lassen.

Wenn nur noch eine Positionen mit geringen Nuancen im Parlament existiert, ist das immer schlecht.

Ich vermisse Oskar Lafontaine in der deutschen Politik jetzt schon, wenn er nicht mehr als Spitze der Linken auftritt.