Update: Meinungsmache der Energiekonzerne – Blogs im Visier

+++ Update: Energieversorger nehmen Blogs ins Visier +++

Die Nummer ist ein wenig undurchsichtig. Auf der einen Seite heißt es, die Firma PRGS habe keine Strategie im Auftrag der Energiekonzerne ausgearbeitet, wie man eine verdammt erfolgreiche PR-Kampagne pro Atom macht. Schon gar nicht E.on Energie habe das bezahlt. Auf der anderen Seite gibt es ein verdammt umfangreiches Strategiepapier der Firma, das nie im Leben irgendeiner für taube Nüsse aufgesetzt hat. 

In dem Papier vom 15. November 2008 wird dargelegt, wie man die öffentliche Meinung so geschickt beeinflusst, dass am Ende alle Pro-Atom sind, wenn man nur lange genug Windräder zeigt. Interessantes Stück Arbeit das Ding. Wird später bestimmt in Seminaren zum Kampaigning eingesetzt.

Update:

Auf Seite 92 geht es dann um Blogs. Da steht, dass zunächst die relevanten Blogs herausgefiltert werden sollen und dann sollen über diese "Argumente pro Kernenergie in den Webdiskurs eingespeist" werden. Für die Bestandsaufnahme sollen die sechs Argumentationslinien "Angst, Hoffnung, Unabhängigkeit, Innovation, Kosten, Risiko"  herhalten. "Entsprechend der Ausrichtung identifizierter Blogs werden die entwickelen Argumente zielgruppenadäquat formuliert und eingespeist." So könne der zu überzeugende Depp "von eher geopolitisch interessierten Zielgruppen bis zu einzig energiepreisfokussierten Bürgern" am besten gefunden werden.

Neben den Blogs setzt der PR-Laden PRGS darauf, "Callcenter" einzusetzen, "die Verbraucher und Wähler auffordern, sich nicht nur zur Kernkraft zu bekennen, sondern dieses Bekentnis auch ihren Wahlkreis-Abgeordneten schriftlich mitzuteilen." Zitat:

An die Kernenergiebefürworter gehen variierte vorformulierte Schreiben inklusive frankiertem Umschlag.

Update Ende:

Mir hat noch gefallen wie Hessen als Testlaufgebiet definiert wird für eine Pro-Atom-Kampagne. Zitat: "Hessen bietet eine Testlaufstrecke für die klima- und energiepolitischen Argumentationslinien, Aktionsformen und Mobilîslerungspraktiken"

Spannend deswegen, weil RWE vor ein paar Wochen die Demo zusammen mit dem hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch am AKW Biblis gemacht hat. Dabei war der Protest ja angeblich allein von den Auszubildenden organisiert. Komisch, weil irgendwie scheint das in das PRGS-Konzept zu passen.

Weniger interessant finde ich die Nummer, dass und wie da Journalisten bewertet wurden. Mein Gott, dass der eine rot-grün und der ander eher schwarz-gelb denkt – das kann man auch an den jeweiligen Kommentaren ablesen. Dazu brauche ich keine PR-Strategen.

Lustig ist es hingegen, dass die PR-Fuzzis befürchten, die Versorger würden einen herben Imageverlust hinnehmen, wenn eine neue schwarz-gelbe Regierung den Ausstieg aus dem Atomausstieg einfach durchknüppelt. Deswegen soll immer mit der Versorgungssicherheit, mit Ängsten vor Russland und mit dem Klimaschutz argumentiert werden. Schleichend die Bevölkerung überzeugen.

Toll. Ich glaub, das war ein Schuss in den Ofen.

Ach was soll es, hier die PR-Studie in ganzer Pracht zum runterladen: klick (erster Teil) und klack (zweiter Teil)

Als ob die Justiz alles klärt – Spitzelskandal in NRW

Der Focus hat aufgedeckt, dass die CDU in Nordrhein-Westfalen Parteiarbeit nicht von Regierungshandeln trennen kann. Laut Focus hat der engste Mitarbeiter von Jürgen Rüttgers, Boris Berger, für die Partei Wahlkampf gemacht, beziehungsweise er hat in den Wahlkampf eingegriffen. Mir persönlich sind ebenfalls direkte Eingriffe von Berger im vergangenen Kommunalwahlkampf bekannt. In mindestens einem Fall hat er sogar einen CDU-OB-Kandidaten zu sich in die Staatskanzlei eingeladen hat, um sich mit ihm über die Kommunalwahl zu beraten. Der Focus hat in der Causa aus Emails zitiert, die Berger und der Generalsekretär der CDU, Hendrik Wüst, ausgetauscht haben. Zitat:

Der Chefplaner und engste Vertraute von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), Abteilungsleiter Boris Berger, hat nach einem FOCUS Online vorliegenden E-Mail-Verkehr seit Anfang September die CDU-Parteizentrale, Generalsekretär Hendrik Wüst und CDU-Pressesprecher Matthias Heidmeier beraten. Danach wurde Berger über die Schritte der CDU-Beobachtung von Krafts Wahlkampfauftritten durch professionelle Video-Teams informiert; er gab sogar Anregungen zur Perfektionierung der Maßnahmen.

Ein Skandal, sollte man meinen. Der Staatsbedienstete Berger mißbraucht im Namen seines Herrn Rüttgers seine Macht – und das Geld der Steuerzahler, um die SPD zu bespitzeln. Das geht nicht. Berger müsste eigentlich zurücktreten.

Doch genau das tut er nicht. Schlimmer noch. Die Reaktion der CDU auf die Enthüllung ist ein erneuter Skandal. Sowohl die Staatskanzlei als auch CDU-Mann Wüst setzen nicht auf Aufklärung des eigentlichen Fehlverhaltens, sondern sie schalten die Ermittlungsbehörden ein, um das Leck in den eigenen Reihen zu suchen. Sie mißbrauchen also nun auch noch die Staatsgewalt, um von ihrem Fehltaten abzulenken. Mehr noch: Die Staatskanzlei und die CDU mißdeuten die weitergeleiteten Emails als Bespitzelung der eigenen Untaten. Das Gegenteil ist richtig. Hier hat irgendwer Mut bewiesen und dabei geholfen Unrecht durch Rüttgers, Berger und Wüst aufzuklären.  Dafür sollte er gelobt und nicht verfolgt werden. Die Mächtigen in unserem Land NRW schießen aus dicken Rohren:

Zitat Staatskanzlei:

Die Bespitzelung der Regierungszentrale ist ein ungeheuerlicher Vor­gang. Offenbar wird die Staatskanzlei systematisch bespitzelt. Vor allem wird offenkundig ein bestimmter Mitarbeiter seit Jahren ausgespäht und auch in seine Privatsphäre eingegriffen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch der Ministerpräsident Opfer der Bespitzelungsattacken ist. Die Staatskanzlei hat heute unmittelbar juristische Schritte eingeleitet. Zusätzlich hat das Landeskriminalamt Untersuchungen aufgenommen.

Zitat Wüst:

Das Ausspähen von E-Mails in der Staatskanzlei betrifft offensichtlich auch E-Mails der Landesgeschäftsstelle der CDU Nordrhein-Westfalen, von Mitarbeitern und auch meinen persönlichen Mailverkehr. Das ist eine schwerwiegende Straftat. Wir bestehen auf eine strafrechtliche Klärung. Die Täter müssen ermittelt werden.

Besonders schlimm finde ich, dass sogar das Landeskriminalamt hier erneut für politische Zwecke mißbraucht wird. Die LKA-Beamten sollen helfen vom eigentlichen Skandal abzulenken. Es wäre gut, Berger, Rüttgers und Wüst hätten ihre eigenen Fehler aufgeklärt oder besser noch, sauber zwischen ihren Aufgaben getrennt. Dann wäre der Skandalicht möglich gewesen.

Dieses Land gehört nicht der CDU. Das müssen Berger, Rüttgers und Wüst einsehen – oder sie müssen gehen.

Next Exit Kundus – Über den Ausstieg aus Afghanistan

Foto. flickr.com / army.mil

Gibt es einen Weg raus aus dem afghanischen Schlamassel oder nicht? Joscha Schmierer hat dazu ein Essay geschrieben, das wir hier veröffentlichen. Schmierer war von 1999 bis 2007 strategischer Berater im Aussenministerium – zunächst von Joschka Fischer (Grüne) und dann von Frank-Walter Steinmeier (SPD). Lange davor war der spätere Realo-Vordenker der Grünen auf einem leitenden Posten im Zentralkomitee des maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW). Sein Beitrag ist auf jeden Fall interessant. Und da wir hier auf den Ruhrbaronen schon über die Frage des Abzugs aus Afghanistan geredet haben, dachte ich, wäre es interessant auch mal jemanden zu hören, der gegen den Sofortabzug stimmt. Der Schmierer-Essay erschien zunächst bei der Böll-Stiftung. Wir sind via Soldatenglück auf den Text aufmerksam geworden. Genug der Vorrede: Es spricht zu Ihnen Joscha Schmierer….

Über Exitstrategien wird im Allgemeinen dann zu diskutieren begonnen, wenn sich zeigt, dass man es versäumt hat, die strategischen Ziele einer Intervention rechtzeitig und sorgfältig zu definieren sowie sich der Mittel zu vergewissern, wie die Ziele bei ausreichender Geduld und Beharrlichkeit aller Wahrscheinlichkeit nach erreicht werden können.

Was zum Beispiel jetzt als Exitstrategie für Afghanistan vorgeschlagen wird, ist der bessere und zielstrebigere Einsatz von Mitteln für Ziele, die immer schon bekannt waren, aber über nun acht Jahre lang nie mit der notwendigen Konsequenz verfolgt wurden: Der afghanische Staat sollte so geordnet und gestärkt werden, dass von seinem Territorium ausgehend nicht erneut ungestört terroristische Aktionen vorbereitet und angeleitet werden konnten, wie sie Al Qaida am 11.9.2001 in New York und Washington durchgeführt hatte.

Eine Restauration des Talibanregimes musste also dauerhaft ausgeschlossen werden, was eine Staatsverfassung und Regierung voraussetzt, ausreichende Sicherheitskräfte und eine Justiz, die den Anforderungen und Verpflichtungen einer UN-Mitgliedschaft gerecht werden. Und UN-Mitglied ist Afghanistan schon lange. Diese Ziele waren und sind hochgesteckt. Die Mittel, die für sie eingesetzt wurden, waren von Anfang an zu gering und schlecht koordiniert. Das rächte sich mit einem Neuerstarken der Taliban und eines vor allem paschtunischen Widerstands.

Es sind nicht nur die Taliban, die an einem funktionierenden staatlichen Gewaltmonopol und rechtstaatlichen Strukturen kein Interesse haben. Auf beidem musste der Schwerpunkt der Anstrengungen liegen, um die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen. Letztere ist, worauf Paul Collier, Ökonom und Afrikaexperte, jüngst nachgewiesen hat, immer die eigentliche „Exitstrategie“(1). Stattdessen wurde Trost im Aufbau einer demokratischen Fassade gesucht. Wahlen, ohne hinreichende institutionelle Voraussetzungen, können Betrug und Korruption fördern und die Spannungen im Land erhöhen.

Erfolglose Jagd auf die Al Qaida-Führung

Das Ausgangsproblem in Afghanistan war: Eine entsprechende internationale Politik hätte die Führung durch die USA gebraucht. Die aber gaben sich in Afghanistan mit einer ineffektiven und bisher erfolglosen Jagd auf die Al Qaida-Führung zufrieden und bereiteten den nächsten Krieg im Irak vor. Insofern sind erst mit der jetzigen US-Regierung die Voraussetzungen gegeben, um die strategischen Ziele des internationalen Einsatzes mit angemessenen Mitteln zu verfolgen. Das kann man Exitstrategie nennen. Es geht darum, die strategischen Ziele zu erreichen, bevor man den Einsatz beendet.

Die Diskrepanz zwischen diesen Zielen und den Mitteln, mit denen sie verfolgt wurden, ist die Ursache für das drohende Desaster. Man kann versuchen, es abzuwenden, ihm aber nicht entgehen, indem man sich absetzt. Im Vortext zu einem Kommentar Peter Blechschmids in der Süddeutschen Zeitung heißt es: „In Afghanistan gibt es für die Bundeswehr nur zwei Möglichkeiten: Mehr Soldaten oder Abzug.“ Freilich geht es hier nicht um die Entscheidung der Bundeswehr, sondern um die des Parlaments. Es steht auch nicht einfach das Scheitern der Bundeswehr auf dem Spiel, sondern das der Vereinten Nationen und der internationalen Bemühungen, durch Staatsbildung die Freiräume des terroristischen Islamismus einzuengen.

Aber solange es bei der deutschen Verantwortung für den Norden Afghanistans bleibt, kann die Folgerung aus den jüngsten Entwicklungen nur lauten, „dass man die Bedingungen für den Einsatz grundlegend verändert. Die jetzt erlaubten 4500 Soldaten reichen nicht aus, die erstarkten Taliban erfolgreich zu bekämpfen. Vor allem reichen sie nicht aus, um befriedete Regionen dauerhaft zu sichern.“ Die militärische Schwäche ist ein Manko für die zivile Entwicklung: „Wenn Dorfälteste befürchten müssen, von nur zeitweilig vertriebenen Taliban wegen der Zusammenarbeit mit den Ausländern ermordet zu werden, dann werden sie zur Kooperation nicht bereit sein.(2)“

Lehrstück Bosnien-Herzegowina

Richard Holbrooke ist heute der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan. Im Buch über seine Balkanmission erinnerte er 1998 an das anfängliche Versagen der IFOR bei der Implementierung des Dayton-Abkommens von 1995. Das Dayton-Abkommen sanktionierte einerseits die durch den Krieg erzwungene ethnische Territorialisierung, indem es sie institutionalisierte. Andererseits beharrte es auf einem gemeinsamen Staat der neu geschaffenen „Entitäten“, der Republica Srpska und der bosnisch-kroatischen Föderation. Im Rahmen dieses gemeinsamen Staates sollte auch die Rückkehr der Vertriebenen ermöglicht werden.

Beides, ethnische Territorialisierung und Rückkehr der Vertriebenen im Rahmen des gemeinsamen Staates, stand in Widerspruch. So musste die weitere Entwicklung zeigen, welche Seite den Vorrang einnahm. Das hing weitgehend vom Einsatz der IFOR ab. „Eingeschüchtert von dem Anblick der 60.000 IFOR-Soldaten taten die drei Volksgruppen in Bosnien bis zur Katastrophe im März (1996) fast alles, was die IFOR anordnete.“ Die Katastrophe bestand in der ethnischen Säuberung der serbischen Viertel Sarajewos durch serbische Banden, die eindeutig von Karadzic und seinen Leuten gelenkt wurden. Wohnungen und Häuser wurden angezündet, serbische Familien, die bleiben wollten, wurden bedroht.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass auch nur ein einziger Serbe in den Gebieten bleibt, die unter muslimisch-kroatische Kontrolle fallen“, zitiert Holbrooke Gojko Klickvic, den Leiter des Umsiedlungsbüros der bosnischen Serben. Unter ihrem Kommandeur US-Admiral Smith sah IFOR diesem Wüten tatenlos zu. Polizeiaufgaben seien ihre Sache nicht, meinte Smith. So unternahm er auch nichts gegen Karadzic, der sich zu dieser Zeit noch frei durch Kontrollpunkte der IFOR bewegen konnte. „Wenn (die NATO) härter vorgegangen wäre, sähe die Lage jetzt anders aus“, sagte UN-Sprecher Janowski. „Wir erleben zur Zeit mit, wie das multiethnische Bosnien das Klo hinuntergespült wird.“

Gute Politik braucht eine gute Umsetzung

Holbrooke fasst zusammen: „Die Ereignisse von Mitte März (1996) boten ein Schulbeispiel für die Hartnäckigkeit und Rechtlosigkeit der Serben und für das Durcheinander unter den mit der Implementierung beauftragten Organisationen. Die Ereignisse veranschaulichen auch eine von Washingtons wichtigsten und zugleich am meisten missverstandenen Maximen: Wird eine gute Politik schlecht ausgeführt, so wird sie zu einer schlechten Politik.(3)“ Als es später die Rückkehr der Muslime in den serbischen Teil Bosniens zu ermöglichen galt, wurde sie von serbischer Seite mit dem Hinweis auf die Ereignisse in Sarajewo, die sie selbst in Szene gesetzt hatte, sabotiert.

Dass bei entschlossenem Vorgehen von der Internationalen Gemeinschaft ein politisches Umfeld geschaffen werden konnte, in dem ein friedliches Zusammenleben von Bosniaken und Serben praktiziert werden konnte, zeigt ein Bericht der European Stability Initiative (ESI) über die Entwicklung im Kreis Doboj nahe der Grenze zwischen Föderation und Republica Srpska. Im August 1997 hatte SFOR dort die Kontrolle übernommen und die Einheiten der Spezialpolizei entwaffnet und aufgelöst, die bis dahin die Rückkehr der Flüchtlinge verhindert hatten. Eine Abteilung hatte sich der Neuorganisation verweigert. SFOR stürmte im November schließlich ihr Hauptquartier, beschlagnahmte alles, was sie fand, entwaffnete die Offiziere und entzog ihnen die Amtsbefugnis.

In den folgenden Jahren wurde die lokale Polizei mit Hilfe der von den UN gebildeten International Police Task Force (IPTF) umgeformt. Eine Priorität war es, alle Offiziere auszugliedern, die an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen waren. Die Auflösung der Strukturen der städtischen Polizei aus den Kriegsjahren machte die Rückkehr der Bosniaken möglich. Zum Zeitpunkt des Berichts waren mehr als die Hälfte der Bosniaken zurückgekehrt, die vor dem Krieg hier gewohnt hatten. Der Bericht nennt dies die unerzählte Geschichte Bosniens (4).

Das Beispiel mag nicht typisch sein. Es zeigt jedoch, dass, wenn die internationalen Kräfte energisch auftreten und die kriminellen Strukturen aufbrechen, Wege der Verständigung eröffnet werden. Die ethnopolitische Repression scheint eher von oben institutionell gefördert als individuell verankert zu sein. In einer im Allgemeinen düsteren Lagebeschreibung nennen Patrice C. McMahon und John Western den selbstverwalteten Brcko District als eine weitere Erfolgsgeschichte. In Brcko hatten während des Krieges einige der schlimmsten Grausamkeiten stattgefunden, „aber heute leben dort die muslimischen, kroatischen und serbischen Communities in relativer Harmonie.“ Auch hier war das entschlossene und beharrliche Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft entscheidend (5).

Und Afghanistan …

Meine Absicht hier ist nicht, die Situation in Bosnien-Herzegowina und in Afghanistan gleichzusetzen. Die Ausgangsbedingungen waren verschieden, die geopolitische Formation, in der sich diese Konflikte entwickelten, bleibt verschieden. Aber in beiden Ländern zeigt sich, dass die Probleme internationaler Interventionen weniger daraus entspringen, dass sie einen äußeren Eingriff darstellen als vielmehr aus dem spezifischen Charakter der Intervention. Halbherzigkeit, schlechte Vorbereitung und Ausrüstung, mangelhafte Koordination und ungenügende Kooperation zwischen den Kräften im Inneren, die an Stabilität, Gewaltverzicht und Friedensordnung interessiert sind, und den internationalen Interventionskräften, die Diskrepanz zwischen den hochgesteckten politischen Zielen und den geringen oder falsch und unkoordiniert eingesetzten Mitteln schaffen erst eine Lage, in der es nur noch um eine Exitstrategie zu gehen scheint. Und dies, weil der Intervention selbst keine Strategie zugrunde lag, die Ziele und Mittel in ein angemessenes Verhältnis gesetzt hatte.

Die gravierenden Anfangsfehler – und in dieser Hinsicht gibt es genug Parallelen zwischen Bosnien-Herzegowina und Afghanistan – können sich so auswirken, dass die Rettung der Mission nur noch im Verzicht auf die ursprünglichen Ziele gesehen wird. Es gibt genügend Beispiele für solches Rückgehen: Somalia etwa. Gegenüber Afghanistan fällt eine solche Haltung in der deutschen Politik umso leichter, als die Beteiligung an der internationalen Aktion immer in Begriffen des engen Selbstinteresses und der Verteidigung der deutschen Sicherheit unmittelbar am Hindukusch reflektiert und begründet wurde.

In dieser Unmittelbarkeit eines engen deutschen Interesses ist die Beteiligung nicht plausibel, als Aktion zur Sicherung des Weltfriedens hingegen, wie sie durch die UN-Sicherheitsratsbeschlüsse legitimiert ist, hat sie die Vernunft, das allgemeine Interesse und das Interesse der meisten Afghanen auf ihrer Seite. Sie muss dem allerdings gerecht werden. Vor allem muss sie Entwicklung und Verbesserung der Lage der Afghanen ermöglichen. Eine Bedrohung des Weltfriedens im Sinne der UN-Sicherheitsratsresolution gefährdet nicht unmittelbar unser Leben, wohl aber unsere postheroische Lebens- und Denkweise. Für den Einsatz der Bundeswehr heißt das, dass mangelnde Ausrüstung und fehlende politische Unterstützung durch individuelles Heldentum der Soldaten weder ausgeglichen werden kann noch ausgeglichen werden soll.

In Afghanistan wäre ein Abzug der Bundeswehr, wie ihn etwa die Partei Die Linke fordert, ein internationaler Skandal. Lafontaine kann lange Willy Brandt zitieren, dass von deutschem Boden nie mehr ein Krieg ausgehen dürfe. Der Krieg in Afghanistan geht nun wirklich nicht von deutschem Boden aus und der UN-mandatierte Einsatz, um die Bedrohung zu beenden, die von der Lage dort ausgeht, ist keine deutsche Entscheidung. Für die Stellung der Bundesrepublik in den UN wäre es eine politische Katastrophe, wenn die Entscheidung des Deutschen Bundestages, sich an dem Einsatz zu beteiligen, aus innenpolitischen Gründen einseitig rückgängig gemacht würde. In Bosnien-Herzegowina dagegen lässt sich ein deutsches und europäisches Wegschleichen denken, das erst auffallen wird, wenn erneut offene Gewalt ausbricht.

Bemerkungen:

1. Gefährliche Wahl. Wie Demokratisierung in den ärmsten Ländern der Erde gelingen kann, München 2009

2. Das Ende der Illusionen, SZ vom 12.9.09

3. Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien, München 1998, S. 513- 518

4. A Bosnian Fortress. Return, energy and the future of Bosnia, 19. Dezember 2007

5. The Death of Dayton. How to Stop Bosnia From Falling Apart, Foreign Affairs, Sept.-Oct. 2009, S. 69 – 83, hier S. 72

Schalkes Ende ist kein Ende

Ich hab immer mal wieder in der Vergangenheit über Schalker Finanzprobleme geschrieben. Auch die jetzige Krise ist nicht überraschend. Sie rührt daher, dass Schalke seit Jahren mehr ausgibt als einnimmt. Früher musste sogar mal der  Stadion Wachdienst die Trikots auslösen, weil kein Bares mehr da war.

Foto: flickr / cerberusofcologne2008

Deswegen will ich was zu der aktuellen Krise sagen. Sie bedeutet immer noch nicht, dass Schalke Pleite ist. Und es heißt nicht, dass Schalke aufhören muss zu kicken. In der Vergangenheit hat die kreative Finanzbuchhaltung immer wieder Schlupflöcher gefunden, die nur gangbar waren, weil alle die Augen zugedrückt haben. Ein Ermittlungsverfahren wegen Bilanzfälschung wurde gegen eine geringe Strafzahlung eingestellt. Damals wurde das Parkstadion umgebucht, von der linken in die rechte Tasche verkauft und plötzlich konnte ein Buchgewinn ausgewiesen werden. Einer der Leute, die damals für das halsbrecherische Geschäft verantwortlich waren, ist heute noch im Amt. Peter Peters. In jedem normalen Betrieb wäre Peters nach so einer Nummer gefeuert worden und die Geschäftsführung hätte die Notbremse gezogen, um nicht alles zu riskieren.

Nicht in Schalke.

Hier wurde quasi direkt im Anschluss das nächste Harakiri-Ding gedreht. Alle Rechte wurden in eine Schalke-Konzern-Interne Agentur verkauft. Wieder ein Geschäft von der linken in die rechte Tasche. Diesmal mit einem höheren Luftgewinn. Letztlich aber wieder kein reales Geschäft. Und somit ein weitere Schritt Richtung Konkurs.

So ist es auch jetzt. Allen war lange klar, dass Gazprom schon gezahlt hat und nicht weiter zahlen wird. Trotzdem wurde wie blind auf die Russland-Karte gesetzt. Vielleicht auch deshalb, weil mittlerweile Schalkes Präsident Tönnies Fleisch in die russische Föderation exportiert? Was weiß ich.

Ich denke trotzdem, dass noch nicht Schluss ist. Denn es wird weiter von den alten Strippenziehern an den alten Strippen gezogen.

Ich rechne damit, dass der nächste Bilanztrick kommt. Vielleicht wird eine Beteiligung an der Schalke AG verkauft, an eine Versicherung oder so. Das wird dann als Notrettung für den Verein ausgegeben. Die aufgefrischte Schalke AG, die seit langem im Handelsregister der Stadt Gelsenkirchen lagert, könnte dann kurzfristig das Profigeschäft übernehmen und die Gehaltszahlungen garantieren. Die Fans würden das hinnehmen.

Es geht schließlich um die letzte Rettung ihres Clubs.

Wie beim Parkstadion-Deal und dem Agentur-Geschäft.

Es wird weiter gewirtschaftet, bis Schalke irgendwann in ein paar Jahren richtig abgebrannt ist. Dann werden die alten Strippenzieher gehen und sagen:

Wir wollten doch nur Meister werden.

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Kinder Verboten – eine lange Geschichte über SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier, Human Rights Watch und eine Villa in Amerika

Ich will eine Geschichte erzählen. Eine lange Geschichte. Eine Geschichte, in der es um die Wahrheit geht, um das Recht eines Menschen auf seine Würde und einen Freund. Diese Geschichte handelt von der Organisation Human Rights Watch, ihrer deutschen Direktorin Marianne Heuwagen und von der Villa Aurora, aber auch vom Auswärtigen Amt des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Es ist eine verwickelte Geschichte, mit Handlungsorten in Zentralasien, Bochum und Los Angeles.

SPD-Kanzlerdanidat Steinmeier mit der Direktorin von Human Rights Watch Deutschland, Marianne Heuwagen Foto: Reuters

Ich erzähle diese Geschichte, weil sie einen Blick in die Werteordnung eines deutschen Spitzenpolitikers erlaubt, wie das nur selten der Fall ist.

Wenn ich Franz Müntefering, den SPD-Chef, sehe, wie er bei der Notlandung kürzlich seinem Nächsten hilft, fühle ich mich gut aufgehoben.

Münte wird uns nicht verraten. Münte kümmert sich.

Diese Geschichte, die ich zu erzählen habe, zeigt, wie anders das Büro von Außenminister Frank-Walter Steinmeier handelt. Sie zeigt, dass Steinmeier nicht nur den Deutsch-Türken Murat Kurnaz in Guantanamo verrotten lies. Diese Geschichte zeigt, dass diese Haltung Steinmeiers gegenüber dem Schicksal des Einzelnen auf seine ganze Umgebung abfärbt. Dass diese Berater aus seinem direkten Umfeld die Macht des Systems über den Menschen stellen. Ich weiß nicht, ob irgendeiner die Geschichte hier liest. Sie ist persönlich, mit Details überfrachtet, anklagend und viel zu lang.

Hier geht es nicht um Folter und Tod. Nicht um Gefangenschaft und Mord. Dies ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, gerade sechs Jahre alt, das ihre Tante besuchen will. Das Mädchen heißt Asha.

Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann sind unbequem. Sie stören vor allem die Mächtigen in Zentralasien. Sie durchkreuzen hier und da ihre Pläne. Zumindest versuchen sie das.

Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann haben bis vor ein paar Jahren in der usbekischen Hauptstadt Taschkent gelebt, der Heimat von Galima. Die beiden sind Journalisten. Sie haben über das Massaker von Andischan als Augenzeugen berichtet. Damals, als im Mai 2005 in der usbekischen Stadt ein paar hundert Menschen niedergemetzelt wurden.

Sie schrieben, dass der Diktator Islam Karimow hinter der Bluttat steckt, dass er damit seine Herrschaft sichern wollte. Sie haben dafür gekämpft, dass die Europäische Union Sanktionen gegen den Mörder nicht aufhebt. Galima Bukharbaeva und ihr Mann Marcus Bensmann mussten aus Usbekistan flüchten, weil sie nicht schweigen wollten. Sie waren in Lebensgefahr. Eine Kalaschnikowkugel durchschlug einmal den Rucksack von Galima, durchschlug ihren Pass und durchschlug ihren Presseausweis. Ich habe die Durschüsse, den Weg der Kugel an Galimas Rückgrat vorbei, mit eigenen Augen gesehen.

Galima und Marcus haben bei Ihrer Flucht aus Usbekistan alles zurückgelassen. Galima wurde in einem Diplomaten-Wagen aus der Gefahrenzone geschmuggelt. Es war kein deutscher Diplomat. Galima und Marcus mussten ihre Wohnung in Taschkent aufgeben und alles was darin war. Die Kleidung, die Bücher, die Ohrringe, die Urlaubsfotos, alles, was ein Mensch hat.

Aber sie haben auch die Familie von Galima verlassen. Die Freunde und alle anderen, die ihnen dort nahe standen.

Das war 2005.

Galima und Marcus leben seither aus dem Koffer. Sie haben versucht, eine neue Heimat zu finden. Sie haben in Aserbajdschan gelebt, oder in anderen Nachbarstaaten Usbekistans, wie Kirgistan oder Kasachstan. Sie wollten Usbekistan nah sein, um aus dem Land, das sie nicht mehr betreten dürfen, besser berichten zu können. Aber sie müssen die lange Hand des usbekischen Diktators fürchten. Oft genug schlägt dessen Geheimdienst auch im Ausland zu.

Die Angst hört nicht auf. Bekannte wurden gefangen, in Gefängnisse gesteckt, gefoltert und vergewaltigt.

Ihr Freund Alisher Saipov wurde im Oktober 2007 vom usbekischen Geheimdienst in Kirgistan ermordet. Mit Schüssen in die Knie und in den Kopf. Alisher und Galima waren die beiden wichtigsten Journalisten aus der Region.

Galima und Marcus mussten weiter flüchten. Sie kamen nach Deutschland, das war Ende 2007. Hier ist das Leben schwer. Fern von Galimas Heimat, fern der usbekischen Familie und Freunde. Galima und Marcus schlagen sich durch. Eigentlich wollten die beiden nur kurz in Deutschland bleiben. Nach den Präsidentenwahlen in Usbekistan zu Weihnachten 2007 hofften beide, sie könnten zurück nach Zentralasien, wenn der Verfolgungsdruck abnehmen würde.

Marcus versuchte es als Erster. Er flog im Januar 2008 alleine nach Kasachstan, um zu sehen, ob dort vielleicht ein Leben für beide möglich sei.

Der Plan scheiterte. Marcus wurde in der kasachischen Hauptstadt Astana gekidnappt, geschlagen, getreten. Seine Gesichtknochen zersplitterten, bevor ihn die Täter ohne Jacke und Schuhe in die nächtliche kasachsische Steppe warfen. Mitten im Winter, 20 Grad unter Null.

Marcus hat überlebt. Im Bochumer Bergmannsheil wurde er aufgepäppelt. Galima saß an seinem Bett, monatelang. Es war knapp.

Marcus und Galima sind meine Freunde. Ich kenne die beiden als engagierte Reporter. Ich habe angefangen, mich für diese Geschichte hier zu interessieren, weil ich mitbekommen habe, was ihnen widerfahren ist.

Nach Jahren auf der Flucht und dem mörderischen Anschlag waren Marcus und Galima erschöpft, ausgepowert. Trotzdem lernte Marcus wieder gehen und greifen. Trotzdem fing Galima wieder in Deutschland an zu Schreiben. Gegen die Macht des Herrschers in Usbekistan, jenen irrsinnigen Diktator Islam Karimow, in dessen Foltergefängnissen Menschen zu Tode gekocht werden.

Ich habe hier ein vertrauliches Dokument verlinkt aus dem Jahr 2002. Der britische Botschafter Craig Murray beschreibt darin die Lage damals. Die USA und mit ihnen auch die Deutschen haben sich mit dem usbekischen Diktator einen Verbündeten gesucht für ihren Krieg in Afghanistan, der abscheulich ist. Nicht nur der Krieg in Afghanistan selbst ist falsch, auch seine Folgen sind es. Seither hat sich nichts zum besseren verändert. Im Gegenteil. Danach passierte das Andidschan-Massaker und all die anderen Morde.

Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien. Und man könnte denken, ich schweife jetzt ab. Aber vielleicht gibt es doch einen Zusammenhang. Beachten Sie bitte den folgenden außenpolitischen Hintergrund, um die ganze Geschichte zu verstehen. Am Ende passt alles irgendwie zusammen. Oder auch nicht.

Im deutschen Außenministerium von Frank-Walter Steinmeier können die Geschichten von Galima und Marcus über den usbekischen Diktator nicht beliebt sein. Denn Karimow ist ein Verbündeter des SPD-Ministers und der deutschen Regierung im unseeligen Krieg in Afghanistan.

In Karimows Diktatur Usbekistan liegt ein Stützpunkt der deutschen Armee, er heißt Termes. Hierhin kommen die deutschen Panzer und Soldaten, bevor sie weiter nach Afghanistan geschickt werden, um dort zu kämpfen.

Die Deutsche Regierung gibt Karimow deswegen Geld. Die Deutsche Regierung hofiert Karimow. Die deutsche Regierung bildet usbekische Soldaten aus. Aber wichtiger noch: Das Außenministerium von Frank-Walter Steinmeier setzt sich für den Diktator in Usbekistan politisch ein.

Nach dem Massaker von Andischan hatte die EU Sanktionen gegen Usbekistan verhängt. Karimows Apparatschiks durften nicht mehr nach Europa reisen.

Eigentlich. Denn die Deutsche Politik brach die Sanktionen und ließ im November 2005 trotz Einreiseverbot der EU den usbekischen Innenminister Sokir Almatow in einer Spezialklinik nach Hannover behandeln. Almatow war einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker von Andischan. Das auswärtige Amt, damals noch unter Joschka Fischer, rechtfertigte die Einreise des Schlächters mit humanitären Gründen.

Danach dann setzte sich Steinmeier in der Europäischen Union dafür ein, dass die Sanktionen aufgehoben wurden. Und diesem Wunsch der Deutschen widersetzte sich die EU nicht lange.

Als Steinmeier das geschafft hatte, reiste als einer der ersten Karimow-Funktionäre der usbekische Stasi-Minister nach Deutschland. Er kam nicht mit leeren Händen: Der Stasi-Minister brachte die Geständnisse angeblicher Terroristen mit. In Deutschland wurden diese Geständnisse im Terrorprozess gegen die Sauerland-Gruppe benutzt.

Ich weiß nicht, ob die Geständnisse aus den usbekischen Folterkellern der Wahrheit entsprechen. Ich weiß aber, dass ich Foltergeständnissen nicht glaube. Und ich weiß, dass ich es widerlich finde, wenn deutsche Ermittler nach Usbekistan in die Folterkeller fahren, um die Geständnisse zu überprüfen, indem sie die Folteropfer vor Ort vernehmen.

Marcus und Galima haben über diese Sachen berichtet. Und über mehr. Sie haben über die Sanktionen geschrieben, haben aufgeklärt, dass sich vor allem das deutsche Außenministerium unter Steinmeier für den Diktator Karimow einsetzt.

Im vergangenen Jahr wurde Galima nun ein Stipendium angeboten. Sie sollte als „writer in exile“ in die Villa Feuchtwanger nach Los Angeles fahren. Dort sollte sie sich erholen. Und mit ihr Marcus. Die beiden wollten ein Buch über Zentralasien schreiben. Sie freuten sich auf die Ruhe, auf einen Zwischenstopp ihrer ständigen Flucht, sie wollten ihr Leben ordnen. Galima und Marcus traten ihr Stipendium in diesem Mai an.

Eingeladen hatten zu dem Stipendium ein Verein: er nennt sich Freunde der Villa Aurora. Eingeladen hatte vor allen die Kuratoriumschefin der Villa Aurora: Marianne Heuwagen.

Die Fast-Rentnerin war mal Journalistin. Seit ein paar Jahren ist sie Chefin der deutschen Sektion von Human Rights Watch und nebenbei ist sie wie gesagt Kuratoriumschefin der Villa.

In der Villa Aurora in Los Angeles hatte einst der deutsche Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seine Ehefrau Martha Zuflucht vor den Nazis gefunden. Die Villa wurde während der Diktatur in Deutschland eine Anlaufstelle für deutsche Exilanten. Viele hatten es schwer sich in der Fremde zurechtzufinden. Die Villa Aurora und das Ehepaar Feuchtwanger boten ihnen eine Insel an. Nach dem Tod der Feuchtwangers sollte der Gedanke an das Exil Aufrecht erhalten werden. Deshalb hat sich in den USA und Deutschland jener Freundeskreis gegründet, der aus der Villa eine Künstlerresidenz machte. Unter anderem wird jedes Jahr ein Schriftsteller oder Journalist aus einer Diktatur eingeladen. Dieser „writer in exile“ soll in der Villa Feuchtwangers fern der täglichen Kämpfe im Exil Ruhe finden, um sich einem langfristigen Projekt widmen zu können. Die Villa schreibt auf ihrer Webseite zu dem Writer in Exile Programm:

In Zusammenarbeit mit wichtigen Menschenrechtsorganisationen und der Feuchtwanger Memorial Library an der University of Southern California (USC) vergibt die Villa Aurora jährlich ein bis zu zwölfmonatiges Aufenthaltsstipendium für einen in seinem Heimatland verfolgten Schriftsteller (Feuchtwanger Fellowship). Mit diesem Programm erinnert die Villa Aurora an die historische Verfolgung und macht gleichzeitig auf die weltweit andauernde Unterdrückung freier Meinungsäußerung aufmerksam.“

Galima war bis zum Massaker von Andischan 2005 in der usbekischen Karimow-Diktatur eine der einflussreichsten Journalistinnen. Mutig hat sie trotz ständiger Drohung des Geheimdienstes gegen Folter, Korruption und Machtwillkür angeschrieben. Als sie nach dem Massaker fliehen musste, hat sie ihre Arbeit im Ausland fortgesetzt. Sie hat vor dem US-Kongress in Washington und vor dem EU Parlament in Brüssel Zeugnis über das Massaker abgelegt. Sie hat in der Herald Tribune und in der Süddeutschen Zeitung über das Regime in Usbekistan berichtet. Zudem verantwortet Galima aus dem Exil heraus die usbekische Webseite uznews.net. Diese Seite gehört zu den wichtigsten, unabhängigen Quellen über die Diktatur in Usbekistan. Für ihre Berichterstaatung erhielt sie in New York den Freedom of Press Award.

Galima organisiert, wo sie kann, den Informationsfluss über verhaftete und gefolterte Menschen in Usbekistan. Das usbekische Regime hasst sie dafür. Regelmäßig entfachen die regierungshörigen Medien in Usbekistan Hetzkampagne gegen Galima. Knapp ein Jahr nach dem Mord an Alischer Saipov bezeichnete die Sprecherin der usbekischen Staatsanwaltschaft Galima und Marcus auf einer von der EU inszenierten Medienkonferenz als

Informationsterroristen“.

Usbekische Freunde und Kollegen von Galima schweben in ständiger Angst, verhaftet zu werden, weil sie Galima kennen. Nicht zuletzt sorgt sich Galima immer um ihre Familie, die in Usbekistan geblieben ist.

Wenn die Freunde der Villa Aurora ihr Programm ernst nehmen, haben sie mit Galima die richtige Person eingeladen.

Allerdings war sich die Villa unter Heuwagen nicht sicher, ob sie Galima einladen soll. Streng genommen lebte sie ja schon nicht mehr in Usbekistan, und musste nicht erst ins Exil geholt werden. Andererseits muss ein Mensch immer sein Heimatland verlassen, um in ein Exil zu gehen und dann als „Writer in Exile“ zu gelten. Und das Programm heißt ja auch so. Wie dem auch sei, schließlich verzichtete das Kuratorium unter Heuwagen auf Haarspaltereien und lud, wie gesagt, Galima und ihren Mann Marcus ein.

Die Villa ist ein schöner Ort. Am Rand von Los Angeles stehen die drei Stockwerke im Stadtteil Palisades. Umgeben von Palmen und Ruhe. Ab und an eine Lesung oder ein Konzert. Ab und an eine Feier der deutschen Filmschaffenden – wenn zum Beispiel der Oscar verliehen wird.

An diesen Ort verfolgte Schreiber aus aller Welt zu holen, ist sicher eine gute Idee. Seit das Programm im Dezember 1995 ins Leben gerufen wurde, kamen Reporter und Schriftsteller aus Nigeria, Birma, Pakistan, Kongo, Turkey, Afghanistan, China und Algerien.

Die Villa ist aber auch ein Ort mit dem sich eitle Menschen schmücken können. Und damit komme ich zurück zu meiner Geschichte.

Asha ist die Nichte von Galima. Ein liebes Kind, aufgeweckt, lachend, interessiert, verspielt. Ein Kind mit dem Galima und Marcus gerne ihre Zeit verbringen.

Seit ihrer Flucht aus Usbekistan versucht Galima ihre Schwester und die Nichte Asha einmal im Jahr zu sehen. Irgendwo auf der Welt. In Indien, in Deutschland, in Kasachstan, in England. Meist haben sie es geschafft.

In diesem Jahr wollten sie sich in Los Angeles treffen. Galima und Marcus fragten bei der Villa nach, ob Asha mit ihrer Mutter, Galimas Schwester, bei ihnen in der Villa übernachten könnte. Für ein paar Tage nur. Zunächst sah alles gut aus. Galima und Marcus wollten für die Flugkosten und die Übernachtungen bezahlen, die Villa sollte damit nicht behelligt werden.

Zwar heißt es in der Hausordnung der Villa, dass Kinder nicht erwünscht sind im Haus von Lion Feuchtwanger, aber man werde vielleicht eine Ausnahme machen. Das sagte eine Mitarbeiterin zu Marcus und Galima, eine der leitenden Angestellten der Villa. Zunächst half die Organisation von Marianne Heuwagen sogar dabei, der Nichte von Galima und ihrer Mutter Visa zu besorgen für die USA.

Für Menschen, die im Exil leben, ist es wichtig, die Verbindung in die Heimat zu halten, in die Familie. Sie sind nicht freiwillig weg, im Urlaub. Sie sind dazu gezwungen, in der Fremde wie in einem Gefängnis zu leben, ohne Aussicht auf Heimkehr.

Exil und die Sehnsucht nach der zurückgebliebenen Familie gehören zusammen, wie Einsamkeit und Schmerz. Das muss gerade eine Organisation wissen, die sich der Erinnerung an das Exil-Elend auf die Fahne geschrieben hat. Zudem war Galima ja nicht wie die anderen eingeladenen Künstler nur für drei Monate in Los Angeles, sondern sollte für viele Monate bleiben.

Was ich damit sagen will: Ich denke, den Wunsch die Familie zu sehen, kann jeder verstehen, der mitfühlend ist.

Die Villa hat ein Gästezimmer. Wenn dieser Raum nicht von einem zusätzlichen Sitpendiaten genutzt wird, können Gäste dorthin eingeladen werden. So ziemlich jeder darf da schlafen. Für 75 Dollar die Nacht. Man muss sich nur mit der Führung der Villa verstehen. Mit Marianne Heuwagen etwa. Immer wieder kamen dorthin Leute wie Führungspersonal des Goethe-Instituts beispielsweise. Dieses Gästezimmer sei je nach Verfügbarkeit zum Besuch frei, sagte man Marcus und Galima. Die Nichte Asha und die Schwester könnten dort sicher die wenigen Tage schlafen. Galima und Marcus freuten sich auf die Nichte, auf ihr Lachen.

Alles schien gut zu sein.

Doch es kam anders.

Die Villa unter Marianne Heuwagen hat sich, wie gesagt, eine Hausordnung geschaffen, in der Kinder verboten werden. Und Marianne Heuwagen war entschlossen, die Hausordnung, die unter ihrer Verantwortung entstanden ist, über Gefühle zu stellen.

Heuwagen ließ mittteilen: Hausordnung ist Hausordnung – Basta. Insbesondere die sechsjährige Asha sei unerwünscht. Das Kinder-Verbot gelte.

Das ist dumm, aber nachvollziehbar. Verbohrte Kleingeister, die den Maßstab für Güte verlieren und Hausordnungen über Menschlichkeit stellen, gibt es überall.

Nicht nachvollziehbar ist allerdings, wie es weiterging.

Als man Galima schließlich den Beschluss mitteilte, dass der Besuch der Nichte und der Schwester nicht gestattet werde, sagte Galima, dass sie dann ebenfalls nicht in der Villa bleiben könne. Sie wolle nicht an einem Ort sein, der ihrer Schwester und ihrer Nichte Asha verboten werde, obwohl sie tausende Kilometer aus dem Verfolgerland anreisen würden. Für einen Besuch von vielleicht zehn Tagen.

Galima und Marcus sagten, sie würden aus der Villa ausziehen und zu Asha und ihrer Mutter gehen.

Die Villa-Mitarbeiter waren überrascht. Eine Mitarbeiterin bat, doch noch eine Woche mit dem Auszug zu warten – bis Montag, dann würde die Führung der Villa eine endgültige Entscheidung fällen.

Dann hieß es plötzlich, die Keine-Kinder-Regel hätten die Behörden von Los Angeles als Bauauflage verhängt. Wenn die Villa dagegen verstoße, bestünde die Gefahr, dass die Nachbarn der Villa den Regelverstoß sähen und ihn zu Anzeige brächten. Daher sei wohl keine Ausnahme vom Kinder-Verbot in der Hausordnung möglich.

Marcus und Galima wurden hingehalten. Man warte auf eine Entscheidung aus Berlin, hieß es immer wieder, ob Asha bei ihrer Tante übernachten dürfe.

Marcus und Galima gerieten in Stress. Jeden Tag, jede Nacht. Darf die Nichte kommen? Darf sie nicht kommen? Was sollen wir tun? Der Tag der geplanten Anreise rückte näher. Keine Reaktion.

Marcus schrieb Briefe an die Geschäftsführerin der Villa und an den damaligen Vorsitzenden der Villa, Freimuth Duve, Briefe, in denen er deutlich machen wollte, warum der Familienbesuch für einen im Exil lebenden Menschen wichtig sei und die Villa, sollte sie das „Writer in Exile“-Programm ernst nehmen, dieses verstehen müsste. Er versuchte seinen Standpunkt klar und deutlich zu machen. Auch um sich und seine Frau Galima zu schützen, vor dem emotionalen Stress einer Flucht aus dem Haus von Lion Feuchtwanger.

Mitch Markowitz ist ein Freund der Villa. Er wohnt nicht weit weg und kommt gerne auf einen Sprung vorbei.

Mitch Markowitz ist nicht irgendwer. Er hat bis vor wenigen Jahren als Drehbuchautor gearbeitet. Er schrieb Skripte für die Serien „Monk“ und „MASH“. Er hat das Drehbuch für „Good Morning Vietnam“ geschrieben und andere Filme.

Mitch Markowitz fühlt sich als Jude der Idee verbunden, Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung zu helfen, indem sie im Haus eines vor den Deutschen geflüchteten Juden eine vorübergehende Heimat finden.

Mitch hat die Geschichte von der angeblichen Keine-Kinder-Regel gehört; er hat von der Sorge Galimas und Marcus gehört und er hat an die Villa Aurora einen mitfühlenden Brief geschrieben:

I was just informed that a visiting journalist from Uzbekistan who had to escape from that country and having been denied her basic human rights there and had to flee and seek political refugee status, and is staying at Villa Aurora has been denied by the Villa to have have her six year old niece a short stay at the villa of two weeks.

This is astonishing to me. I know it is the policy of the Villa Aurora not to allow children to stay at the villa, but this woman is a political refugee who has fled her country because of political repression; she was marked for murder.

Her friends have been murdered.

Her husband was kidnapped and beaten and left for dead.

Now they are staying at the Villa as part of a program designed in part by the German government to aid political refugees like her.

Lion Feuchtwanger himself was a political refugee.

Do you think if he was staying at the house now it would be appropriate for a free government like the US or German to deny a young family member the right of a brief of two weeks if there was room in the house to give a political refugee some brief comfort?

I believe the Villa Aurora has been a great refuge for artists and writers and journalists for a long time and is a great resource both for our community and for the European and the world community, and it is a great treasure.

I admire the work you have done, and i been privileged all these years to have been and invited artist filmmaker, and have attended many wonderful gatherings there.

I have met many wonderful artists and journalists and these people have enriched my life immearsurably.

I hope you can prevail upon the German government to make an exception for Galima Bukarbhaeva and her husband Markus and allow a child, Galima’s niece, a brief stay at the villa.

Galima is not simply an artist who is staying at the villa at the pleasure of the German government.

She and her husband are people who have suffered greatly at the hands of one of the most corrupt and brutal dictatorships in the world — a distinction that government shares with the likes of Burma (where I have spent a great deal of time working with impoverished musicians), North Korea, and Iran.

Having escaped from the brutality of the Karimov regime, I believe Galima and her husband are refugees who deserve to be treated with a special brand of compassion and for whom certain rules, perhaps, need not necessarily apply.

I believe that for certain people who have been through a great deal of terror in their lives, we must be especially kind and especially generous and put certain rules aside.

Such people have suffered at the hands of history. We must honor them instead. Mr. and Mrs. Feuchtwanger, and other Jews during the war, writers, journalists, dissidents from various repressive regimes from around the world and all other displaced persons who have not been free to do in their home countries what they should have been free to do should, perhaps be shown a degree of courtesy the rest of us do not perhaps deserve.

As a Jew who did not live through the holocaust, for example, I do believe that people who did deserve more than I deserve. For someone who had to escape terror in their nation, I do believe they deserve a degree of courtesy I, or other artists perhaps do not.

Won’t you Please ask the German government to make an exception to their rules and allow this lady’s child to stay at the Villa for perhaps a week or two. It will be a very good deed. It’s rules, after all, that forced these people to flee their country in the first place. Can we show these people we are better than that?

Sincerely yours, and with great respect to you, the Villa Aurora, and the German government whom I admire and respect greatly,

Mitch Markowitz, Screenwriter

Es kam der entscheidende Montag, irgendwann im Juni.

Es kam allerdings immer noch keine Reaktion aus Berlin – keine Reaktion von Marianne Heuwagen und der Villa. Noch nicht mal der Hinweis, dass die Freunde der Villa und ihr Vorstand von dem Problem gehört hätten, und noch einige Zeit zur Beratung bräuchten.

Selbst am Abend, als der Arbeitstag in Berlin schon lange zu Ende war, kam keine Reaktion. Marcus und Galima gingen in das Büro der Angestellten, um nach dem Entscheid zu fragen. Noch am Freitag, hatten die Angestellten gesagt, sie seien nur Messanger, „Überbringer der Botschaft“, doch es kam keine Botschaft.

Es hieß nur von den Angestellten der Villa, man wisse nicht, wann die Entscheidung aus Berlin komme.

Berlin schweigt.

Man würde schon Bescheid geben, vielleicht morgen, vielleicht übermorgen. Galima und Marcus mögen sich gedulden.

Dann drehten sich die Angestellten der Villa ab und unterhielten sich untereinander über einen Film oder so, vielleicht auch über das Wetter.

Sie ließen Marcus und Galima stehen. Dumm stehen. Traurig stehen. Wütend stehen.

Galima und Marcus waren mit den Nerven am Ende. Galima schrie die Angestellten der Villa an, wenn sie nur Botschaften überbrächten, sollten sie endlich eine Botschaft überbringen und sagen, was los ist.

Nachher legte man Galima diese Erruption der Enttäuschung als „gestische Gewalttätigkeiten“ aus. Und man versuchte ihre Wut als „masslose Aggressivitäten bis hin zu fast körperlicher Bedrohung“ auszulegen. So steht es in Emails, die mir vorliegen.

Was für Worte. Ich kenne Galima. Sie ist sehr schlank, sehr weiblich. Was soll das sein: „eine fast körperliche Bedrohung“ eine „gestische Gewalttätigkeit“?

Galima hat die Angestellte der Villa beschimpft, ja. Sie hat sie angeschrien, ja.

Hatte sie ein Recht dazu? Bestimmt nicht.

Aber sie war auf jeden Fall ein Mensch in einer Notlage, machte sich Sorgen um ihre Nichte und hat sich mit Worten gewehrt. Sie hat keinen Stein geschmissen und keinen Menschen geschlagen.

Die Villa schmückt sich mit einem „Writer in Exile“-Programm. Ein „Writer im Exile“, wie Galima, hat im Kampf um die Freiheit des Wortes schlimmes erlebt. Die Diktatur, ein Massaker, die Flucht, der Kampf im Exil, die Drohungen des Staates, die verhafteten und ermordeten Freunde und Kollegen.

All das bleibt im Menschen, formt einen Menschen.

Wenn ich höre, wie arrogant die Villa und vor allem Marianne Heuwagen mit Galima und Marcus umgegangen sind, denke ich, die Leite wissen nicht, welche seelischen und psychischen Belastungen das Exilschicksal mit sich bringt.

Doch das war nicht alles. Heuwagen hat nachgelegt:

Am nächsten Tag kam ein Brief von der Geschäftsführerin der Villa, Mechthild Borries-Knopp. In einem Rundschreiben an alle möglichen Leute hieß es dort:

„Dear Galima and dear Marcus,

I am writing this letter to you on behalf of the Board of Directors of Villa Aurora and the Chair of our Kuratorium, Marianne Heuwagen, who is the director of Human Rights Watch in Germany.

….

Let me remind you also of the concept of our Feuchtwanger Fellowship Feuchtwanger Fellowship. Each year, together with important human rights organizations and the Feuchtwanger Memorial Library at the University of Southern California (USC), the Villa Aurora awards the Feuchtwanger Fellowship. This is a grant for up to twelve months residency for a writer who is persecuted in his or her homeland. The program was founded in honour of the European exiles of the past who found refuge in Los Angeles. It is also intended to remind us of the intellectual repression that continues today.

Galima is the first fellow whom we granted the fellowship, although she already has found refuge in Germany since 2005, and is not in actual danger of being persecuted in Germany.

….

When XY (Namen unkenntlich gemacht d. Autor) proposed Galima as the Villa Aurora fellow for 2009, we had a lot of doubts first, because she already had lived in Germany since 2005, being married to a German, and thus not fitting in our concept (in accordance with the German Foreign Office) of helping writers who are living in their countries under continuous persecution or observation as dissidents.

But we were finally convinced by the project which Galima wanted to realize at the Villa: to write a book about her traumatic experiences in Usbekistan. We decided to make one exception in her case, and to grant this working fellowship to a journalist living in refuge in Germany in order to help Galima to be able to write this book and to reach a broader public in communicating her tragic experiences.

All the discussions, the tensions and misunderstandings have nothing to do with this fellowship and the conditions under which they are granted. If these discussions continue in this violent and insulting way, we might be forced to cancel the program for Galima, and grant the fellowship to a writer who needs it desperately, -unfortunately there are so many persecuted writers even nowadays in many countries, and this is such a generous and precious fellowship that we would like to grant it to somebody who can really appreciate and honour it.”

Haben sie den Brief von Frau Dr. Borries-Knopp verstanden?

Ich fass den langen Atem mal mit meinen Worten auf das Wesentliche zusammen:

Die Villa dient dem Gedenken Feuchtwangers. Wir sind wichtig und haben lange Namen. Galima passt nicht ins Konzept. Sie ist gar kein richtiger Flüchtling. Aber wir haben beide Augen zugedrückt. Und wenn Galima nicht die Klappe hält, fliegt sie raus. Der Wunsch seine Familie zu sehen ist kein Menschenrecht. Es gibt genügend andere erbärmliche Kreaturen, die wir uns holen können, die kein Ärger machen. Und unsere Wohltaten zu würdigen und zu ehren wissen.

Diese Aussage finde ich nicht nett. Es geht frei nach dem Motto: Tanz nach unserer Pfeife, Kaninchen. Wir bezahlen Dich schließlich.

Aber das ist nicht alles.

Bitte beachten Sie folgendes: Der Brief spielt mit Unwahrheiten.

Galima lebt gar nicht seit 2005 in Deutschland. Wie oben beschrieben lebte Galima damals mit Marcus in Kasachstan, in Aserbajdschan, in Kirgistan. Sie waren nach dem Massaker und der Entkommen aus Usbekistan vielleicht drei oder viermal in Deutschland – zu Besuch, um ein paar Wochen von ihrer ständigen Flucht zu verschnaufen. Erst nachdem Alisher Saipov ermordet wurde, kamen die beiden Ende 2007 für längere Zeit nach Europa.

Und welche Rolle spielt es überhaupt, ob Galima mit einem Deutschen verheiratet ist?

Die Geschäftsführerin der Villa verbreitet weiter Unsinn.

Frau Dr. Borries-Knopp besteht mir gegenüber darauf, dass dies ein interner Brief gewesen sei. Aber warum schickt sie dann den Brief nicht nur an den Vorstand sondern auch an Menschen, die nichts mit der Villa-Organisation zu tun haben. Der Adressenverteiler liegt mir vor. Ihre Rundmail bekamen alle möglichen Menschen, die sich für den Fall interessieren könnten und die sich mit Galimas Fall beschäftigt haben.

Diese Menschen, auch die honorigen Vorstände des Trägervereines mussten den Eindruck gewinnen, Galima sei eine ungebührliche, keifende Schnorrerin. Diese Menschen mussten denken, Galima sei gar keine Exilatin im Sinne des „Writer in Exile“-Programms.

Dieser Brief ist der Versuch einen Ruf zu ermorden.

Die Menschen, die den Brief bekamen, erfuhren nicht, dass man Galima und Marcus hingehalten hat. Über Tage und über Wochen. Sie erfuhren nicht, dass die Villa zunächst dem Aufenthalt von Asha und Galimas Schwester eher positiv gegenüberstand.

Bitte merken Sie sich das, weil das Erwecken von Eindrücken noch eine Rolle spielt in der Geschichte. Die Villa Aurora arbeitet mit Zwischentönen, um Leute ins schlechte Licht zu rücken.

Denn diese Attacke sollte nicht reichen. Die Villa hat weiter auf den Ruf von Galima geschossen.

Ich bringe jetzt einen Brief von Marianne Heuwagen, den Frau Dr. Borries-Knopp ebenfalls in ihrer Rundmail an alle möglichen Interessierten verschickt hat.

Ich zitiere die Passage, mit der Borries-Knopp eine Art juristische Stellungnahme von Heuwagen ankündigt:

“I am attaching a letter from Marianne Heuwagen, who is devoting all her work to human rights issues, to clarify the situation for Villa Aurora from the legal side of our situation.

Später hat Frau Dr. Borries-Knopp behauptet, Heuwagen habe keine juristische Stellungnahme abgegeben. Aber im ernst: wie ist der obige Satz anders zu verstehen? Es hieß: Heuwagen wolle “clarify the situation for Villa Aurora from the legal side of our situation.”

Aber egal: Bitte lesen Sie den folgenden Brief von Heuwagen aufmerksam durch. Denken sie daran, dass Galima ein Flüchtling ist, denken sie an die Kugel durch ihren Rucksack, denken sie an ihren erschossenen Freund Alisher Saipov und an ihren fast erschlagenen Mann Marcus.

Lesen Sie jetzt diesen Brief und denken Sie daran, dass ihre Nichte und Schwester in ein paar Tagen anreisen. Denken Sie daran, dass Sie in einem fremden Land sind und nicht wissen, wo ihre Verwandten oder sie selbst schlafen sollen. Denken Sie daran, dass ein Vertreter der Villa Aurora zuerst gesagt hat, es könne eine Ausnahme gemacht werden und die beiden können in der Villa bleiben. Denken Sie daran, dass dieser Vertreter der Villa Aurora zuerst geholfen hat, ein Visum zu besorgen, und dann weitere Hilfe verweigerte, weil „Berlin“ anders entschieden habe.

Denken sie an das Lachen eines sechsjährigen Kindes, ihrer Nichte.

Und jetzt lesen Sie den Brief:

„Dear Mechthild,

as you know, I know Marcus and Galima from my work with HRW (Human Rights Watch). You should stress in your conversation with them the following points:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission. It took us years to get the permits; it took us even more years to get the Villa running and operating. We cannot risk loosing any of those permits because one writer in exile wants his family and/or children to stay.

During all the 15 years we have been working on this, never once did anybody from the board or the dedicated volunteers who set up VA stay there for vacation purposes, not once, never. Their request has nothing to do with human rights and we should not allow them to misuse the issue of human rights and prosecution in this context, it is despicable

Last but not least, someone at VA should explain to them, that they better keep the ball low – as they say in German soccer, because Galima is really not the “writer in exile” the program was set up for and I would hate to see anyone in the press or German parliament raise that issue. She has been living in Germany already for four (!) years in a safe heaven: and she is by no means threatened, only if she would return to Uzbekistan, which she does not need to do, because her husband is German!

As you know, the program was set up for writers who are currently threatened.

We are already very generous in letting a couple stay and letting Marcus stay with her. There is no need to extend our hospitality to further family members, particularly children.

You can mention my name, if you wish, but I do not want to hear from Marcus or anybody else in that matter again, its is too annoying.

Kind regards

Marianne

Marianne Heuwagen;

Direktorin des Deutschland-Büros, Human Rights Watch”

Ich will auf diese Punkte eingehen:

Marianne Heuwagen hat diesen Brief mit der Autorität einer Direktorin von Human Rights Watch geschrieben. Von der Kanzel herab. Sie hat diesen Brief von der Villa-Geschäftsführerin über eine Rundmail verschicken lassen. Das ist zunächst intrigant geschickt, denn so könnte sie immer nachher sagen, ich wollte den gar nicht rumschicken – die Frau Dr. Borries-Knopp hat das auf eigene Rechnung getan.

Dann die Details: Marcus wurde ein knappes Jahr zuvor fast erschlagen. Nicht in Usbekistan, sondern in Kasachstan. Überhaupt, was spielt es für eine Rolle, was der Mann von Galima für eine Nationalität hat?

Gar keine. Galima kann in Deutschland leben, weil Galima gemäß des UN-Abkommen vom 28. Juli 1951 einen Flüchtlingpass besitzt. Die deutschen Asylbehörden haben in Galima das gesehen, was sie ist: ein politischer Flüchtling. Galima hätte nach ihren Berichten über das Massaker in Andischan in jedem freien Land Asyl bekommen. Deutschland war hier weder besonders gnädig, noch hat die Asylentscheidung mit der Ehe zu einem Deutschen zu tun.

Was will Heuwagen dann damit sagen, dass Galima einen Mann in Deutschland hat? Ich höre einen Zwischenton. Meint Heuwagen, Galima habe sich einen Mann aus Deutschland geangelt, um hier im Westen rumzuschnorren? Soll die Behauptung, Galima sei eine Schnorrerin, zwischen den Zeilen verfestigt werden,  so wie es schon im Brief von Mechthild Borries-Knopp stand?

Vielleicht will Heuwagen aber auch sagen, dass sich die Probleme des Exils in Luft auflösen, wenn man mit einem Deutschen verheiratet ist?

Und wieder Unwahrheiten in den Zwischentönen. Galima hat nicht vier Jahre in Deutschland in einem sicheren Hafen gelebt. Was für ein verlogener Unsinn. Sie ist erst seit Ende 2007 dauerhaft im Land. Seit dem Anschlag auf Marcus in Kasachstan und den Mord an Alisher Saipow in Kirgistan ist klar, dass Galima auch in anderen Ländern als Usbekistan bedroht ist.

Auf einer Medienkonferenz, die das Auswärtige Amt in Bischkek organisiert hat, traf wenige Monate vor dem Mord an Alisher Saipov eine Delegation aus Usbekistan auf Marcus. Ein usbekischer Delegierter sagte, usbekische Dienste wüssten, dass Galima in Aserbaidschan ihre propagandistische Arbeit gegen Usbekistan fortsetzte. Marcus hat das als Drohung aufgefasst. Sie gaben ihr Quartier in Aserbaidschan auf. Alisher wurde wenig später im kirgisischen Exil erschossen.

Nachdem Marcus auf der Konferenz über das Massaker in Andischan berichtet hatte, stand ein usbekischer Delegierter auf und zeigte auf Marcus. Er sagte unwidersprochen im Beisein hochrangiger deutscher Diplomaten, die Tatsache, dass Marcus noch am Leben sei, wäre der Beweis für seine Lügen. Denn hätten die Usbeken in Andischan ein Massaker verübt, dann hätten sie als ersten Marcus erschossen.

Egal, zurück zum Brief von Heuwagen.

Wie gesagt: In der Villa gibt es ein Gästezimmer, in denen jeder Freund der Villa, oder sollte ich sagen, jeder Freund von Heuwagen und deren Freunden, für 75 Dollar schlafen kann. Dort haben immer wieder verschiedenen Gäste gewohnt, die zu Besuch kamen, um ein paar Tage abzuhängen. Das nur zum Satz:

During all the 15 years we have been working on this, never once did anybody from the board or the dedicated volunteers who set up VA (Villa Aurora) stay there for vacation purposes, not once, never.”

Das Gästeprogramm steht sogar im Internet. klick

Und hören sie die Drohung:

Last but not least, someone at VA should explain to them, that they better keep the ball low – as they say in German soccer, because Galima is really not the “writer in exile” the program was set up for and I would hate to see anyone in the press or German parliament raise that issue.”

Will Heuwagen Galima ausweisen lassen? Will sie Galima im Parlament und in der Presse als Sozialbetrügerin verunglimpfen, als Schnorrerin? Ihren Ruf ruinieren? Was soll das heißen?

Aber richtig will ich unten auf einen anderen Punkt eingehen. Heuwagen schreibt:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission. It took us years to get the permits; it took us even more years to get the Villa running and operating. We cannot risk loosing any of those permits because one writer in exile wants his family and/or children to stay.

Heuwagen schiebt hier die Verantwortung für das Kinder-Verbot in der Villa auf andere ab. Und zwar auf die amerikanischen Behörden. Genau auf die Behörden, die einst Feuchtwanger und seine Frau auf ihrer Flucht vor den Deutschen aufgenommen haben.

Heuwagen sagt, es ist nicht die Hausordnung, die Kinder verbietet. Eine Hausordnung kann der Hausherr, also sie selbst als Kuratoriumschefin, ändern, anpassen oder ignorieren.

Es sind aber laut Heuwagen die übermächtigen Behörden, die Kinder verbieten. Die amerikanischen Behörden sind es, die uns wohl meinenden Deutschen Milde und Mitgefühl untersagen.

Mitch war einer der Empfänger der oben angesprochenen Rundmail. Mitch hat auf den Brief von Heuwagen reagiert:

„Dear Marianne Heuwagen:

I have thought long and hard, and for days, about your letter concertning the journalist Galima Boukharbaeva printed above. While I can understand how it can be taken as a triviality as to whether or not the Villa Aurora would allow or not allow her small niece to stay with her for two weeks, I have heard both sides, from both sides, and I found the comments in your letter demeaning, arrogant, inappropriate, and very damaging considering your position at Human Rights Watch.

I was shocked by your words because you are speaking from a high public platform.

Words like that should not come from that platform.

If words like yours become public, they could, in fact damage an organization I believe has done a great deal of good work in a world of bad deeds.

Human Rights Watch is an organization that does not need any bad press.

I myself do some humanitarian work abroad in Burma, I teach the Karen people every year, gratis. My work is unsubsidized by any organization, or government, and I have been doing the work since 2001. I started two orchestras in Burma and this work, along with the work of other dedicated professionals, has resulted in a number of talented Karen students to receive scholarships and study at music conservatories abroad in places like Austria, Thailand, and Singapore. Some lives of impoverished and oppressed people, in other words, have been changed forever.I recieve no help whatsoever.

A letter like yours makes me glad I have not taken money from anyone because I have always been afraid of large organizations and the people who rise to the top within them. Who are they? What are their motives?

For example, an in all modesty, I think Human Rights Watch should maybe have a second look at who you are.

Who are you to decide what is a trifle in the life of someone who has been forced into political exile, whose friends have been tortured and murdered, whose husband has been beaten and left for dead, and who has to live in a country without her family?

Who are you to decide whether a visit from her niece is a bother or not, or for how many years she has lived somewhere or whom she married?

This is not any business of yours, and these are shocking words coming from some someone at Human Rights Watch. Just shocking.

It is one thing to take a side.

It is quite another to take an ATTITUDE, a condescending attitude, an arrogant attitude, and to EXPRESS that attitude to someone who has suffered greatly, particularly when you are doing that from the platform of a humanitarian organization. From the helm of a district office of an organization that espouses values that are defined to be high minded and humane, I don’t think it is appropriate.

If this issue was a bother to you, if ANY issue concerning ANY political refugee AT ANY TIME, and FOR ANY REASON, is a BOTHER TO YOU,

excuse my presumptive reasoning, but you may have the wrong job.

I once paid a visit a temple which is considered by Burmese, about an hour outside Rangoon, and which sits on a very serene lake, to be among the holiest Buddhist sites in Burma. A simple sign there, translated in English, Burmese, and Pali, reads, “The most important things in life are patience and tolerance.” In all of Buddhist thought, at the most holy of Buddhist sites in Burma, one of the most troubled, disgusting, military dictatorships in the world, as well as one of the most devout Buddhist nations, this is what the monks chose to say on the modest sign, erected there.

Let me leave you with this.

I choose to forgive you for what you have said to Galima.

But I also want to say that in doing so, you have done some damage, that you have misrepresented a great organization, and you left, in my mind, anyway, a great deal of doubt, about what your organization stands for, what you stand for, and why you have the job you have.

Mitch Markowitz

Screenwriter“

Gute Worte. Treffende Worte. Galima und Marcus haben die Villa nach dem Brief von Mariane Heuwagen verlassen. Sie sind in ein Motel gezogen. Sie haben auf eine Entschuldigung gewartet. Sie haben bei Freunden von Human Rights Watch nachgefragt, was die davon halten, dass die Deutschland-Chefin der Organisation so einen Brief an eine verfolgte Journalistin im Exil schreibt. Marcus und Galima haben gewartet. Nichts passierte.

Aber Marcus und Galima haben in den Staaten Freunde gefunden, die ihnen geholfen haben, Galimas Nichts und Schwester aufzunehmen.

Von der Villa Aurora und Marianne Heuwagen kam keine Reaktion.

Oder, nein, das ist nicht richtig. Eine Reaktion gab es – eine einzige. Die Villa Aurora hat Galimas und Marcus US-Visum offiziell kündigen lassen. Ausreise in maximal vier Wochen. Verpisst Euch.

Als ich das Ganze gehört habe, dachte ich spontan, dass es die von Heuwagen behauptete Keine-Kinder-Regel nicht geben kann. Nicht in Amerika.

Die dürfen da Waffen tragen, um zur Not die Regierung zu stürzen. Und dann soll im Land der Freien die Regierung irgendwem verbieten dürfen, Kinder aufzunehmen? An so eine Regel können nur Deutsche glauben, dachte ich.

Ich habe angefangen zu bohren. Zu suchen. Zu fragen.

Amerika ist frei.

Ich habe die Umbaugenehmigungen für die Villa Aurora bekommen. Ich habe die Betriebgenehmigungen bekommen. Ich habe die Änderungsgenehmigung bekommen und die Anhörungen. Einfach alles. Ich habe die Coastal Comission, die City of LA und den Bezirk Pacific Palisades genervt. Ich habe alle Stellen und Ämter durchstöbert.

Falls es jemanden interessiert: Hier habe ich alle Dokumente der amerikanischen Behörden zur Villa Aurora, die ich bekommen habe, in einem Zip-Ordner zum Download zusammengefasst. Klick.

Da kann man alles nachlesen.

Es gibt Beschränkungen, wer wann wo parken darf, wie viele Menschen in der Villa wohnen dürfen und wie viele dort arbeiten. Von einer Herberge, in der man sich Zimmer mieten kann, ist zwar nicht die Rede, aber von Gästezimmern und Künstlern, die man einladen wolle.

Soweit so gut.

Nirgendwo habe ich die Keine-Kinder-Regel gefunden. NIRGENDWO.

Stattdessen schrieb Al Padilla von der Coastal Comission:

I cannot think of any governmental agency, State or City, that would place such a restriction. ”

Edgar Garcia von der Cultural Heritage Commission, die für den Denkmalschutz in der Villa verantwortlich ist, sagte:

The Cultural Heritage Commission does not have any authority to issue any kind of recommendation or finding that would prohibit children from entering a property. Therefore, the Commission never prohibited children from accessing the property.”

Valerie Cameron vom verantwortlichen Baudezernat der City of LA schrieb:

There is no agency in the City of Los Angeles, or any other government agency that I can think of, that discriminates against children as residents, whether their tenancy is permanent or temporary. As a matter of fact, landlords cannot deny tenancy to anyone because they have children; THAT is against the law.”

Nate Kaplan vom 11 Bezirk in Los Angeles, zu dem Pacific Palisades gehört, rief sogar die Villa selbst an, um zu hören, was das für eine Regel sein soll. Danach schrieb er:

It is in fact true that this is not a policy set by the City of Los Angeles or the Coastal Commission, rather one set by the Villa Aurora in the Pacific Palisades. I have confirmation from Corolla from the VA. (führende Angestellte der Villa Aurora d.A.)”

Amerika – das Land der Freien eben.

Das einzige, was die wirklich interessiert in den Genehmigungen, ist die Frage, wie viele Parkplätze auf der Straße benutzt werden dürfen. Was im Haus los ist, ist denen ziemlich egal.

Ich habe Marianne Heuwagen vor ein paar dutzend Tagen angeschrieben, ob Sie irgendein Dokument vorlegen kann, dass die Keine-Kinder-Regel bestätigt.

Sie hat es bis heute nicht getan.

Ich habe Sie gefragt, warum sie Unsinn als juristische Stellungnahme verbreitet hat.

Sie hat mir geschrieben:

wie schön, dass Sie gründlich recherchieren. … Was Kinder anbetrifft, so reicht es völlig aus, dass deren Aufenthalt in der Hausordnung nicht vorgesehen ist.“

Gut. Nur hat Heuwagen das Kinder-Verbot NICHT mit Bezug auf die Hausordnung verhängt, dann hätte sich kaum einer beschweren können. Man hätte das nur als kleingeistige Arroganz einer engstirnigen Frau auslegen können. Aber Frau Heuwagen schrieb in ihrer Art juristischer Stellungnahme:

It is not the VA, that does not allow children stay there, it is the City of LA and/or the Coastal Commission.

Eine Hausordnung kann man ändern, gesetzliche Regeln nicht. Heuwagen und die Villa haben sich mit Verweis auf ein staatliches Verbot aus der Verantwortung gestohlen – nichts anderes.

Aber es wird noch perfider. Marcus und Galima wurde von einer Angesellten gesagt, man müsse Rücksicht auf die Nachbarn nehmen, die seien Einflussreich und könnten durch die Kinder gestört werden. Die wären so mächtig, die könnten die Betriebsgenehmigung für die Villa in Frage stellen.

Wegen Kindern in der Villa. Wegen der sechsjährigen Nichte von Galima

Ich glaube Marcus und Galima. Trotzdem habe ich die entsprechende Angestellte der Villa angeschrieben und gefragt, ob sie tatsächlich diese Sätze gesagt hat. Ich habe keine Antwort bekommen.

Dafür habe ich mir den Heuwagen-Brief noch mal durchgelesen und auch dort wird gesagt, ein Kind in der Villa könne die Genehmigungen gefährden. Der Gedanke der Denunzianten aus der Nachbarschaft scheint also zumindest latent in der Villa zu herrschen.

Ich habe Human Rights Watch gefragt, was sie davon halten, dass Marianne Heuwagen als Direktorin des Deutschland-Büros von Human Rights Watch eine juristische Stellungnahme abgibt, in der sie behauptet, die amerikanischen Behörden würden Keine-Kinder-Regeln aufstellen.

Ich bekam auf diese Frage keine Antwort von Human Rights Watch. Es hieß dort nur, man habe keine „eigenen Kenntnisse“ von einer solchen Regel.

Dafür bekam Galima eine Antwort von Heuwagen. Überraschenderweise schrieb ihr jetzt nach gut zwei Monaten die Human-Rights-Watch-Angestellte. Und zwar unmittelbar nachdem ich im Hauptquartier von Human Rights Watch angefragt hatte, was vom Heuwagen-Statement zu halten sei.

Heuwagen versuchte sich jetzt gegenüber Galima für ihren Brief zu entschuldigen. Sie schrieb: Galima sei doch irgendwie eine richtige Exilantin und habe schlimmes erlebt, und sie habe Galima nicht beleidigen wollen.

Tja, bleiben die anderen Punkte. Vor allem die Sache mit der erfundenen Keine-Kinder-Regel.

Ich habe weiter nachgebohrt. Ich habe gefragt, was mit der Regel ist. Und Frau Dr. Borries-Knopp schrieb mir abschließend:

Selbstverständlich gibt es die schriftlichen strengen Auflagen der Stadt Los Angeles bezüglich des conditional use permit der Villa Aurora als Künstlerresidenz – sonst hätten wir uns darauf nicht bezogen. Und von nun an: no further comments!

Gut, ich habe diese conditional use permit der Villa Aurora. Hier können Sie sich das Dokument herunterladen. Klack. Sie finden dort kein Wort zu einer irgendwie gearteten Kinderregel.

Warum auch, wie ich mittlerweile erfahren habe, waren andere Kinder schon in der Villa. Die Afghanin Mary Ayubi aus dem „Writer in Exile“-Programm war mit einem Kind da. Genauso wie Steffi Weismann aus dem Künstlerprogramm im Jahr 2008.

Was also steckt hinter dem Kinder-Verbot für Galima und Marcus?

Ich kann es mir nicht erklären, ich habe nur eine Vermutung. Eine Spekulation. Ich denke jetzt laut nach.

Und komme zurück auf den Brief von Marianne Heuwagen, den Außenminister und SPD-Kanzlerkandiaten Frank-Walter Steinmeier und auf Geld.

Heuwagen schreibt:

I do not want to hear from Marcus or anybody else in that matter again, its is too annoying.”

Warum ist das Annoying? Warum ist es nervig, wenn sich jemand für die Gefühle seiner Frau einsetzt?

Oder geht es um etwas anderes, womit Marcus Heuwagen nervt? Human Rights Watch setzt sich seit Jahren für die Menschenrechte in Usbekistan ein.

Und Marcus hatte in dieser Sache mit Heuwagen zu tun. Vor fast einem Jahr etwa wurde der mit Marcus und Galima befreundete Journalist Salijon Abdurahmanov in Usbekistan vom Diktator Karimow verhaftet, ihm wurden Drogen untergeschoben und er wurde zu 10 Jahren Haft verurteilt. Abdurahmanov hat für Galimas Webseite gearbeitet.

Reporter ohne Grenzen haben zügig über den Fall berichtet. Doch Human Rights Watch hat zu dem Fall lange geschwiegen. Das ist unüblich, denn gerade Human Rights Watch ist dafür bekannt, schnell und umfassend über Menschenrechtsverletzungen und Verhaftungen in Usbekistan zu berichten. Marcus hat daher öfter Heuwagen und Human Rights Watch in New York angeschrieben. Er wollte wissen, warum Human Rights Watch in diesem Fall schweigt, und keine Erklärung zu Gunsten des verhafteten Freundes abgibt.

Heuwagen und Human Rights Watch haben ihn immer wieder vertröstet. Immer wieder gab es Ausreden, man könne nun keine Erklärung abgeben, weil jemand im Urlaub sei oder verhindert. Was weiß ich. Vielleicht stimmen die Erklärungen ja sogar.

Allerdings lief in der Zwischenzeit etwas anders ab. Gegen Usbekistan hatte die EU auch dank der Berichte von Marcus und Galima Sanktionen verhängt. Deutschland und Steinmeier störte sich an den Sanktionen, da sie die Beziehungen zu Usbekistan erschwerten, dem Gastland der Deutschen Truppen.

Das usbekische Regime änderte sich jedoch aufgrund der Sanktionen nicht. Menschenrechte wurde weiter unterdrückt, es gab keine Aufklärung über das Andischan-Massaker und keine Bewegung in Fragen der Pressefreiheit.

Da erfand Steinmeier den Menschenrechtsdialog mit Usbekistan. Er gaukelte Fortschritte mit dem Despoten in Taschkent vor. Das Büro von Human Rights Watch in Usbekistan war zum Beispiel in Folge des Andischan-Massakers unbesetzt geblieben. Die Mitarbeiter von Human Rights Watch erhielten schlicht kein Visum mehr.

Nun erreichte die EU während der Embargo-Verhandlungen von Usbekistan die Zusage, die Mitarbeiter von Human Rights Watch wieder ins Land zu lassen (klack) und schrieb dies auch in den EU Beschluss, der die Sanktionen bis auf das Waffenembargo gegen Usbekistan aufhob (klick).

Genau in dieser Zeit entschied sich das Schicksal von Abdurahmanov. Und Human Rights Watch schwieg. Einige Menschrechtler wurden freigelassen, andere festgenommen.

Erst als die Verhandlungen mit Uskebistan über die Neubesetzung des Human Rights Watch Büros in Taschkent scheiterten, kam die erste Erklärung der Menschenrechtler zu Abdurahmanov. klick

Bis heute hat Human Rights Watch keinen Mitarbeiter in Usbekistan.

Das deutsche Außenministerium und die EU haben die Menschenrechtsorganisation schlicht für ihre diplomatischen Spielchen benutzt.

Anfang diesen Jahres hat Marcus dann wochenlang versucht, von Heuwagen und Human Rights Watch eine Statement zu bekommen, als die usbekische Präsidententochter Gulnara Karimova und gleichzeitige usbekische Botschafterin bei der UN in Genf zusammen mit Chopard eine Schmucklinie herausgab.

Die Präsentation wäre eine Gelegenheit gewesen, auf die menschenverachtende Diktatur in Zentralasien aufmerksam zu machen. Eine der wichtigsten Repräsentantin des Folterstaates wollte sich schließlich im Westen mit ihrem Blutschmuck profilieren.

Heuwagen und mit ihr Human Rights Watch haben eine Stellungnahme schriftlich abgelehnt. Es schien, als sei eine Konfrontation mit dem Unterdrückerstaat, um den sich Steinmeier bemüht, nicht gewünscht.

Warum diese Milde gegen das usbekische Regime? Sollte man nicht erwarten, dass eine Menschenrechtsorganisation, die sich für die Menschenrechte in Usbekistan einsetzen will, dies auch nachhaltig tut, zumindest mit zwei Erklärungen oder Briefen?

Heuwagen ist die wichtigste Vertreterin von Human Rights Watch in Deutschland. Sie hat oft und viel mit dem Außenministerium von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zu tun.

Als Vertreterin von Human Rights Watch muss sie Druck machen, das ist ihr Job. Sie muss unabhängig sein und stark. Um Interessenskonflikte zu vermeiden, hat sich Human Rights Watch deshalb strikte Regeln gegeben.

Auf der Webseite der Organisation heißt es:

Um unsere Unabhängigkeit zu bewahren, lehnen wir jegliche direkte oder indirekte finanzielle Unterstützung von Regierungen ab.“

Mit diser Regel wird um Spendengelder geworben.

Die Regel ist simpel: Führende Mitarbeiter sollen sich nicht korrumpierbar machen und nicht dem Einfluss von Regierungen verfallen. Auch nicht dem Einfluss des SPD-Kanzlerkandidaten und deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. In der Vergangenheit hat Human Rights Watch auch die deutsche Politik und deren Haltung zu Usbekistan oft und scharf kritisiert.

Aber erinnern sie sich an die Geschichte am Anfang? Die Rolle Usbekistans in der deutschen Außenpolitik?

Nun, es gibt eine Verbindung zwischen Heuwagen und dem Außenministerium von Steinmeier, die seltsam ist und auch hinterfragbar.

Nach den Angaben von Offiziellen der Villa Aurora finanziert das deutsche Außenministerium die Aktivitäten der Villa Aurora in Los Angeles.

Heuwagen als Chefin des Kuratoriums der Villa lässt sich als Mitgründerin, als Ideengeberin der Villa feiern. Die Villa ist so was wie ihr Kind.

Aus einem Brief einer Heuwagen Untergebenen:

Frau Heuwagen hat sich um den Erhalt der Villa Aurora sehr verdient gemacht, und wir sind ihr alle sehr dankbar für ihr großes Engagment in der Gründerphase der Villa Aurora. Denn ohne ihr aufopferungsvolles Engagement als ehrenamtliche Mitgründerin gäbe es das Artist-in-Residence-Center heute nicht, von dem so viele Künstler und auch Exilschriftsteller seit über 14 Jahren profitieren. Sie ist sozusagen die Mutter des Projekts.“

Heuwagen genießt also eine Ehre, die ihr das Außenministerium finanziert, bezahlt, schenkt. Auch mit Ehre kann man korrumpieren.

Damit nicht genug: Das Außenministerium bezahlt nicht nur die Show in LA. Im Kuratorium der Villa Aurora sitzt zudem Michael Zenner. Er ist ein Vertreter von SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Steinmeier. Und zwar ist Zenner sein Beauftragter für Kommunikation in Zentralasien.

Das ist einer der Männer, der die PR für Steinmeier macht, damit Usbekistan nicht mehr als eine der schlimmsten Diktaturen in der Welt da steht, sondern als Partner der Deutschen.

Ich zitiere nochmal aus dem Brief der Geschäftführerin der Villa Aurora.

When XY (Name gekürzt d. A) proposed Galima as the Villa Aurora fellow for 2009, we had a lot of doubts first, because she already had lived in Germany since 2005, being married to a German, and thus not fitting in our concept (in accordance with the German Foreign Office) of helping writers who are living in their countries under continuous persecution or observation as dissidents.”

Verstehe ich recht, dass nicht die Freunde der Villa alleine die „Writer in Exile“ auswählen, sondern, dass die „Writer in Exile“ den Ansprüchen des deutschen Außenministeriums entsprechen müssen?

Das deutsche Auswärtige Amt unter der Führung Steinmeiers hat sich den usbekischen Despoten Islam Karimow zum Partner ausgeguckt, in dessen Reich von Panzerwagen auf Frauen und Kinder geschossen wird, über sechstausend politische Häftlinge in Lagern in den Wahnsinn gefoltert werden, Journalisten und Menschenrechtler verhaftet, verfolgt und getötet werden.

Und dieses auswärtige Amt entscheidet darüber, wer im Haus von Lion Feuchtwanger, der vor den Nazis aus Deutschland flüchten musste, als Exilant anzusehen ist und wer nicht?

Und gerade die vielleicht wichtigste Stimme des unterdrückten Usbekistan, Galima Bukharbaeva, soll diesen Regeln des deutschen Auswärtigen Amt eigentlich nicht entsprechen, so schreibt die Geschäftsführerin des Villa-Vereins?

Ich fass mal die Fakten zusammen.

Marcus und Galima haben Steinmeier und seine Politik in Zentralasien scharf angegriffen. Galima hat aus der Villa Aurora heraus weiter gegen Usbekistans Diktator gearbeitet.

Heuwagen hat sich als Direktorin von Human Rights Watch in Deutschland mindestens zweimal zögerlich gezeigt, wenn es darum ging auf Anfrage von Marcus und Galima Vorgänge in Usbekistan zu kommentieren.

In ihrer zweiten Rolle als Kuratoriums-Chefin der Villa Aurora hat sie Druck gegen Marcus und Galima gemacht. Und Galimas Ruf angegriffen.

Ich frage mich:

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Finanzier der Villa, dem Außenministerium von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der behaupteten Keine-Kinder-Regel, Marcus und Galima sowie Marianne Heuwagen?

Es gibt ein Indiz, dass darauf hindeutet.

Ich habe weiter nachgefragt, was mit der Keine-Kinder-Regel ist, ob Heuwagen oder die Villa Aurora eine Verfügung der Behörden vorlegen können.

Überraschenderweise bekam ich zum Schluss Post und zwar direkt und unterschrieben aus dem Hauptquartier von Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier, SPD-Parteivorstand, Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin.

Markus Klimmer schrieb mir da in seiner Rolle als direkter Berater von Steinmeier und als neuer Vorstandsvorsitzender der Villa Aurora.

Die Villa habe über die Jahre

seinen Entscheidungen immer die Rechtsauffassung zugrunde gelegt, dass in den USA alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, nicht durch den Permit abgedeckt ist.“ Angesichts der großen Schwierigkeiten, unter denen die Betriebserlaubnis für die Villa erteilt worden sei, „werden wir diese Rechtsauffassung auch künftig vertreten“.

Und weiter schreibt der Steinmeier-Berater und Freund.

Alle Stipendiatinnen und Stipendiaten werden vor Reiseantritt ausführlich auf diese Rahmenbedingungen aufmerksam gemacht. Ich füge hinzu: Die Villa ist als denkmalgeschütztes Haus eine Art historisches Museum. Da sich dort jeder frei bewegen kann, ist die Villa nicht für den Aufenthalt von Kindern ausgelegt. Besuch von Verwandten ist gleichermaßen ausgeschlossen. Dies werden und müssen wir auch künftig so handhaben.“

Kein Wort davon, dass in der Villa schon Kinder geschlafen haben, kein Wort von dem Gästezimmer, das man für einen Tripp mieten kann. Kein Wort dazu, dass bisher immer behauptet wurde, es gebe eine behördliche Auflage keine Kinder in der Villa schlafen zu lassen.

Stattdessen präsentiert der Kanzlerkandidaten-Berater eine Rechtsauffassung, die mich erschauern lässt.

Alles was nicht „ausdrücklich“ erlaubt ist, ist verboten. Auf dem Rasen spielen? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Eine Oskarparty feiern? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Sekt trinken, Zigarre rauchen? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten.

Ein Gästeprogramm wie die Villa es auf ihrer Webseite anpreist? Nicht „ausdrücklich“ erlaubt – also verboten. Oh, das wird aber trotzdem gemacht. Hab ich was übersehen?

Mein Gott, diese Rechtsaufassung vertritt ein Mann, der unser Land anleiten will.

Wer ist überhaupt dieser Dr. Klimmer.

Vor ihm war Freimut Duve Vorstandschef der Villa. Duve ist wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte seit Jahrzehnten bekannt. Markus Klimmer hat früher bei McKinsey gearbeitet und ist jetzt Wirtschaftsfachmann in Steinmeiers Wahlkampfteam. Was versteht dieser Mann vom Exil und vom politischen Kampf für die Freiheit des Wortes?

Und wieso wird gerade er Vorstandschef in der Feuchtwanger Villa?

Falls Herr Dr. Klimmer bis hierhin liest: Sie und Ihr Chef, Herr Dr. Steinmeier, Sie wollen überzeugte Sozialdemokraten sein? Sozialdemokraten, wie wir sie im Ruhrgebiet kennen? Freundliche, warme Menschen, die wissen, dass Menschen immer wichtiger sind als dumpfe Regeln.

Herr Dr. Klimmer, es gibt nicht mal eine Regel, die es Ihnen verbietet, Kinder in der Villa aufzunehmen. Es ist Ihre „Rechtsauffassung“, die sie sich einreden, Kinder seien Bah.

Herr Dr. Klimmer, sie sind ein Apparatschik.

Da sich dort jeder frei bewegen könne, sei die Villa nicht für den Aufenthalt von Kindern ausgelegt, schreiben Sie.

Herr Dr. Klimmer wollen Sie Kinder an die Leine legen? Stören Sie etwa Kinder. In der Kirche? Im Museum? Auf der Wiese vor Ihrem Haus? Was zur Hölle haben Sie gegen Kinder, Herr Dr. Klimmer?

In den Betriebsgenehmigungen für die Villa wird die Aufnahme von Menschen als Gästen „ausdrücklich“ erlaubt. Sind für Sie, Herr Dr. Klimmer, Kinder keine Menschen?

Überhaupt: Herr Dr. Klimmer, wo ist Ihre „ausdrückliche“ Erlaubnis zu atmen?

Sie wissen, was das nach ihrer Logik heißt, wenn Sie keine Erlaubnis fürs Atmen vorweisen können? Verboten.

Mich erschreckt das totalitäre Antlitz hinter der „Rechtsauffassung“ von Herrn Dr. Klimmer. Was für einen Anspruch an Recht hat dieser Mann an der Spitze unseres Staates. Wie will er sich um das große Ganze kümmern, wenn er im Kleinen so versagt.

Wie anders ist das in den USA. Dort darf niemand diskriminiert werden. Dort gibt es sogar ein entsprechendes Gesetz dazu, dass niemand wegen seines Alters, seiner Rasse, seines Geschlechtes wegen diskriminiert werden darf.

Wie Valerie Cameron vom verantwortlichen Baudezernat der City of LA schrieb:

As a matter of fact, landlords cannot deny tenancy to anyone because they have children; THAT is against the law.”

Ich habe Al Padilla von der Coastal Comission nochmal gefragt, was er von der Rechtsauffassung des persönlichen Steinmeier-Beraters Dr. Klimmer hält. Ist tatsächlich alles verboten, was nicht „ausdrücklich“ erlaubt ist? In einer Email hatte Dr. Klimmer mir geschrieben, er habe als McKinsey-Berater entsprechende Erfahrungen in den Staaten gemacht. Sind Kinder also wegen ihrer Nicht-Erwähnung in der Erlaubnis verboten. Al hat geantwortet:

Well, that’s a bunch of rubbish. If there is not a specific condition, ordinance, rule, restriction, etc., then absence or silence does not mean a prohibition. As I told you and you can clearly see in our permit, we have no such restriction. And based on what the City has permitted and has told you, neither does the City. I can not speculate why the Germany Villa Organization would say such a thing, but based on the facts, as presented up to now, it is not true. Unless they come up with something in writing that specifically says „no children“, then children are allowed.

You must have written an article in the past that got them mad. 🙂

Ich weiß nicht was ich dazu noch sagen soll.

Eigentlich ist es auch egal.

Weil der Kern der Story immer noch der ist:

Die Chefin von Human Rights Watch Deutschland lässt sich ihr Hobby vom Deutschen Staat bezahlen. Sie lässt sich als „Mutter“ der Villa ihr Kind von dem Ministerium finanzieren, dass sie überwachen soll. Sie kontrolliert die Einrichtung mit den Bürokraten, auf die Sie Einfluss nehmen soll, damit sich diese für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen. Und ausgerechnet in Zentralasien tun diese Bürokraten das mit angezogener Handbremse.

Und als Krone dieser Geschichte erzählt die Chefin von Human Rights Watch Deutschland ein Märchen von einem verbotswütigen Amerika, in dem angeblich Bürokraten Kindern den Besuch von Verwandten in irgendwelchen Häusern verbieten würden.

Ich habe die Human Rights Watch Zentrale in den USA gefragt, was Sie von dieser Nummer halten? Dass sich ihre deutsche Direktorin ihr Hobby von Steinmeiers Ministerium bezahlen lässt, dass sie ihr Ehrenamt auf Rücken der Behörden wahrnimmt.

Der Human Rights Watch Zentrale ist das egal, ob ihre Direktorin vom deutschen Außenministerium gepampert wird. Es heißt:

HRW does not consider it a conflict of interest as neither she nor HRW derives any material benefit from it, nor does this position have a role in making determinations as to the fellowships or other benefits granted by Villa Aurora. Ms. Heuwagen does not determine policy for HRW on Russia and Central Asia, and it is far-fetched to suggest that her role as an honorary chair or this dispute, which does not involve HRW in any way and about which HRW expresses no opinion, would have any effect on our work in those regions.

Es ging es nur um ein Mädchen, sechs Jahre alt, das seine Tante besuchen wollte für zehn Tage in einem fremden Land. Ein Mädchen, das in die Wogen der Weltpolitik gerät und von den Interessen Steinmeiers, seiner Berater und Frau Heuwagen überrollt wird.

– Nachtrag –

Die Geschichte steht nun schon ein paar Tagen online. Ich habe von der Villa Aurora eine Reaktion erwartet. Irgendeine. Es kam bis jetzt nichts.

Stattdessen fiel mir folgender Brief in der Endphase des Wahlkampfes im Jahr 2009 auf: klack.

Zehn Tage vor der Abstimmung zum Parlament trafen sich da Frauen in kleiner Runde zum Kaffeeklatsch mit Frank-Walter Steinmeier (SPD). Es heißt in dem Brief:

Rund 20 Frauen aus den unterschiedlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sind heute der Einladung des Bundesaußenministers und SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier gefolgt und haben bei einem gemeinsamen Frühstück über frauenpolitische Themen diskutiert.

Dann haben die Damen Steinmeier den Aufruf: „Frauen für Frank-Walter Steinmeier“ vorgestellt. Die Anhängerinnen des Ministers fordern darin die Gleichberechtigung „in der Wirtschaft auch in Führungspositionen“ und „keine Herdprämie und keinen Küchenbonus“. Zitat:

Das geht nur mit einem Kanzler, der aus der Gleichberechtigung des Grundgesetzes eine Gleichstellung in der Wirklichkeit schafft. Frank-Walter Steinmeier trauen wir das zu. Deswegen unterstützen wir ihn.

Zwanzig Frauen als Vertreterinnen der Frauenbewegung. Eine der Unterzeichnerinnen hat zumindest ihren Job auch, weil ihr Brötchengeber vom Ministerium Steinmeiers finanziert wird.

Mechthild Borries-Knopp, Geschäftsführerin der Villa Aurora Berlin/Los Angeles.

Danke an Leser # Kommentar 29

Jamiris neues Ding ist raus – kaufen!

Gerade ist Jamiris neuer Comic erschienen. Jamiri? Ja genau, das ist dieser Zeichner aus Essen, der früher immer ins "De Prins" ging. Gut, der Laden ist abgebrannt, aber das ist eine andere Geschichte. Genauso wie die, dass Jamiri der Cousin von Mehmet Scholl ist. Nur nicht so schlank, und Fußball kann Jamiri auch nicht spielen. Und den FC Bayern findet er auch doof. Dafür ist Jamiri komischer. Aber auch das ist – wie die Nummer mit der Familienfeier, Uli Hoeneß und Wiglaf Droste – eine gänzlich andere Geschichte.

Hier geht es um folgendes: Jamiri hat einen neuen Comic, Band 11, gezeichnet, geschrieben, getextet, wie auch immer. Der Comic ist klasse. Er heißt Arsenicum Album. Und jeder sollte ihn sich kaufen. Der Comic ist in der Edition 52 erschienen. In Wuppertal. Es geht diesmal um den Kopstadtplatz, verrückte Fans, einen alten Fiat. Apple-Rechner und das Elend im Leben, oder das lustige eben. Je nachdem. Ach ja – und um das Rauchen geht es auch.

Ich mag die Zeichnungen – für ein großes Bild einfach auf das kleine klicken. Sie gehören zu dem Besten, was es in Deutschland gibt. Vor einiger Zeit habe ich mal ein Comic-Heft herausgegeben, in einer beachtlichen Auflage. Das Heft wurde wegen der Krise leider eingestellt. Und weil es kein Geld verdient hat. Dafür war es aber verdammt gut. Wenn ich könnte, würde ich weitermachen und nur solche Dinger raushauen, wie Jamiri sie macht, oder Sten Sakai. In Millionenauflage und irgendwann die Weltherrschaft……

Wer weiß, vielleicht kommt ja noch mal die Gelegenheit dazu.

Jamiri, "Arsenicum Album", Edition 52

Wikipedia will Geld einnehmen

Es könnte eine grundlegende Neurorientierung der Online-Enzyklopädie Wikipedia sein. Denn das freie Lexikon will zusätzlich zu den freien Spenden, die bereits jetzt angenommen werden, professionelle Sponsoren auf seinen Seiten zulassen. Seit ein paar Wochen läuft dazu eine Diskussion auf den Vereins-Seiten von des Wikipedia-Betreibers Wikimedia: klick. Das bedeutet: Firmen sollen Geld geben, damit ihr Name und Logo auf der Homepage der deutschen Wikipedia-Seite erscheint. Ein erschreckendes Beispiel für die Vermarktung der letzten freien Enklave der Online-Welt? Oder eine Chance, um eine der umfangreichsten Wissendatenbanken der Welt für alle frei zugänglich zu erhalten und auszubauen? Nachdem vor zwei Jahren ein ähnlicher Versuch offenbar noch gescheitert ist, soll nun eine Agentur die professionelle Sponsorensuche übernehmen. Die Diskussion über den Vorstoß des deutschen Wikipedia-Vereins Wikimedia e.V. wird sicher spannend. An ihr wird sich entscheiden, wie zukunfts- und ausbaufähig das Online-Lexikon ist, wie weit sich der Laden entwickeln läßt.

Ich persönlich halte die Nummer für nachvollziehbar und richtig. Der Unterhalt der Wikipedia-Server kostet ein Heidengeld. Dazu kommt der momentane Riesenaufwand für den Ausbau der Bilddatenbanken. Je erfolgreicher Wikepedia ist, desto teurer wird der Traffic über die entsprechenden Seiten. Wir verstehen uns richtig. Es geht nicht darum, dass sich nun ein paar Leute von Wikimedia an Wikipedia bereichern wollen, oder das der gesamte Dienst kommerzialisiert wird. Es geht darum, dass der gemeinnützige Trägerverein Wege finden muss, wie er sich selber am Leben erhalten und die Rechnungen jeden Monat begleichen kann.

Der Gegenwert, den die Sponsoren bekommen, ist relativ klein. Sie sollen auf der Homepage der deutschen Wikipedia vorgestellt werden – mit Namen und Logo. Das ist aber schon wegen der Transparenz notwendig, denke ich. Deswegen wird keiner korrumpiert.

Ich glaube auch nicht, dass die Firmeneinträge der Sponsoren in Wikipedia danach werblich aufgehübscht werden. Da wird die Wikipedia-Community aufpassen. Dies kann auch nicht das Ziel der Sponsoren sein, da sie sich in diesem Fall dermaßen ins Aus manövrieren würden, dass es knallt. Den Streisand-Effekt will keiner haben.

In meinen Augen gibt es nur ein Problem. Es muss verhindert werden, dass sich irgendwelche Firmen weißwaschen mit dem Persil-Label von Wikipedia. Also, dass etwa Firmen, die in Datenschutzskandale verwickelt sind,  wie die Deutsche Bahn oder die Telekom, mit einem Mal Sponsoren werden, um der Online-Welt zu zeigen, wie nett sie sind. Das darf nicht sein.

Wie hart es abgehen kann, wenn der Hauch eines Makels entsteht, zeigt die Diskussion um die Vodafone-Kampagne, die über Adnation und die  angeschlossenen Blogger gelaufen ist. Zunächst fand ich persönlich die Vodafone-Kampagne weder schlimm noch anrüchig. Auch wenn Vodafone zu den Zensur-Providern gehört. Werbung ist Werbung, finde ich. Und wenn sie als solche gekennzeichnet ist, weiß jeder, was er davon zu halten hat. Da muss man in meinen Augen nicht päpstlicher als der Papst sein. Auch in der taz erschien schon Werbung von Vattenfall und E.on.

Allerdings wurden Grenzen überschritten, als sich mindestens eine Bloggerin nicht nur Werbung auf die Seite knallen lies, sondern dazu noch auf dem Werbeblog von Vodafone schwer verdauliches Produkt Placement betrieb. Zitat:

Seit drei Monaten habe ich ein neues Handy, das HTC Magic mit Internetanschluss. Tolles Ding, mit wenig Knöpfen dran, das ist äußerst praktisch. Mein altes Handy hatte viel zu viele Knöpfe. Zu viele Knöpfe sind nicht gut, da gibt es für mich zu viele Möglichkeiten, versehentlich an ein Knöpfchen zu kommen. Mit dem neuen Handy geht das alles zum Glück leichter, ich erwische immer das richtige Knöpfchen und ich kann die Fotos sogar direkt auf die Plattform Flickr ins Internet hochladen und in mein Blog stellen. So geht mir nichts mehr verloren und meine Handyrechnung beschert mir seitdem auch keine böse Überraschung mehr.

Verständlich, dass die Häme über die Dame hereinbrach. Sie zog sich mittlerweile aus dem Blogger-Leben zurück, angeblich weil sie den Vodafone-Eintrag nicht erklären konnte, da ihr Worte im Mund umgedreht wurden. Ich glaube, so einen peinlichen Werbeeintrag kann man gar nicht erklären. Da muss man keine Worte im Mund rumdrehen. Es bleibt immer peinlich.

Diese Debatte zeigt aber etwas für die Sponsorensuche auf Wikipedia. Schon einige Blogs können Werbediskussionen nur schwer aushalten , wenn der Ruch der Schleichwerbung und der ethischen Verfehlungen auftritt. Wikipedia könnte eine solche Debatte erst recht kaum ertragen.

Die Online-Enzyklopädie gilt als sauberer als weiß, wenn es um ethische Fragen geht. Deswegen wird es entscheidend sein, dass der Wikimedia e.V. bei der Auswahl der Sponsoren großen Wert auf ethische Fragen legt, unabhängig vom Geld. Es darf nicht der Eindruck entstehen, Einträge auf Wikipedia könnten gekauft oder aus werblichen Gründen beeinflusst sein. Diese Gefahr sehe ich aber nicht. Bereits jetzt geht Wikimedia sehr offen und transparent mit seinen Finanzen um. Spender werde ganz offen mit Summen genannt. Siehe hier: klick. Sollte ein Sponsor auftauchen, der nicht zu Wikipedia passt, bin ich sicher, wird er erstens auffliegen und zweitens nicht zugelassen.

Klar gibt es Puristen, die sowieso gegen Sponsoren für Wikipedia sind, aber ich denke, sie sind in der Minderheit. 

Wenn es gelingt, die Gradwanderung zu meistern, sehe ich kein Prob in der Sponsorensuche. Im Gegenteil, dann fände ich die angestrebte Lösung klug. Über transparente Unterstützung die Online-Wissensdatenbank zu finanzieren. Ist doch perfekt, oder? So ließe sich das vielleicht wichtigste Wissensprojekt im Netz dauerhaft unabhängig finanzieren und zudem noch weiter ausbauen.

BUND-Geschäftsführer will weiter Kraftwerks-Projeke stilllegen

Dirk Jansen ist der Geschäftsführer des BUND in NRW. Er hat eine klare Meinung zu neuen Kohlekraftwerken in Deutschland. Man sollte auf sie verzichten, sagt Jansen. Hier lesen wir im Interview mit den Ruhrbaronen, wieso er so denkt:

Ruhrbarone: Kam die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster gegen das Kohlekraftwerk Datteln für Sie so überraschend, wie für den Rest des Landes?

Dirk Jansen: Wir haben seit drei Jahren immer wieder in allen parallelen Verfahren auf die Rechtswidrigkeit des Bauvorhabens in Datteln hingewiesen. Sei es im Bereich des Immissionsschutzrechtes, im Bereich des Naturschutzrechtes, im Bereich der Störfallverordnung oder im Zusammenhang mit dem Klimaschutz. Jetzt haben wir folgerichtig endlich auch mal vor einem Gericht Recht bekommen. Das freut uns.

Wird durch die Gerichtsentscheidung der Industriestandort NRW gefährdet?

Das ist absurd. Ohne das Kraftwerk geht das Abendland nicht unter. Das Gegenteil ist richtig. Wer jetzt noch Kohlekraftwerke baut, verhindert den Aufbau einer klimafreundlichen Industrie und damit zukunftsfähige Arbeitsplätze im Land. Das Wohl einer ganzen Region wird bedroht. Wir müssen die Blockade der Energiewende endlich auflösen und zu Erneuerbaren Energien sowie effizienten Techniken umschwenken. Das ist der Markt der Zukunft.

Bis die Erneuerbaren Energien Strom für Industrieproduktionen bereitstellen können, vergeht noch viel Zeit. Gleichzeitig sollen Atomreaktoren abgeschaltet werden und keine neuen Kohlekraftwerke entstehen. Gefährdet Sie nicht Industriearbeitsplätze?

Ein Kohlekraftwerk, das heute ans Netz geht, läuft 40 Jahre. Das ist unumkehrbar. Wir haben aber aus Klimaschutzgründen keine Zeit mehr, um den Temperaturanstieg wie international beschlossen auf zwei Grad zu begrenzen. Wir müssen jetzt umschwenken. Es darf kein neues Kohlekraftwerk mehr ans Netz gehen. Es gibt auch keine Stromlücke, wie die Energiekonzerne behaupten. Wir können die Altanlagen durch Energiespartechnologien ersetzen und durch erneuerbare Energieträger. Für die Übergangszeit können wir zudem hocheffiziente Gaskraftwerke nutzen, die elektrische Energie und Wärme erzeugen. Davon profitiert der Industriestandort NRW ebenso wie die Umwelt.

Wenn man weiter mit den alten ineffizienten Kohlekraftwerken Strom produziert, pustet man doch viel mehr Kohlendioxid in die Luft als mit den neuen Anlagen. Warum sollen die alten Mühlen weiter betrieben werden?

Die alten Mühlen besitzen unbefristete Betriebsgenehmigungen und werden nur ersetzt, wenn im Zuge der Fortentwicklung des Emissionshandelssystem endlich strikte CO2-Obergrenzen festgelegt und die Verschmutzungsrechte zu 100 Prozent von den Kraftwerksbetreibern erworben werden müssen. Erst dann steigt der Druck, alte und ineffiziente Kraftwerke abzuschalten. Bislang hat der Emissionshandel kläglich versagt. Wird das Kohlekraftwerksneubauprogramm wie geplant realisiert, steigen allein in NRW die Kohlendioxidemissionen um jährlich 40 Mio. Tonnen.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Strompreise bei so einer Politik durch die Decke geschossen werden?

Die ökologischen und gesellschaftlichen Folgekosten der Kohleverstromung und der Atomenergie sind wesentlich höher. Nehmen wir allein die Subventionen für diese Energieformen. Diese gehen in den dreistelligen Milliardenbereich.

Ein Industriebetrieb wie eine Aluminiumhütte kann sich aber jetzt schon höhere Strompreise kaum leisten. NorskHydro in Neuss musste schon wegen hoher Energiekosten dichtmachen. Anderen Unternehmen droht womöglich das gleiche Schicksal. Streben sie die Deindustrialisierung unseres Landes an?

Wer das meint, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. In NRW wurden über 20.000 Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren Energien geschaffen und es können wesentlich mehr werden. Sei es beim Bau von Windkraftanlagen, oder im Bereich der Solar-, Biomasse- oder Erdwärmenutzung. Das ist unser Arbeitsmarkt der Zukunft. Anstatt an überholten Strukturen festzuhalten, sollten wir die Chancen der Energiewende nutzen. Wenn das nicht erkannt wird, werden wir alle dafür teuer zahlen.

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Kampf ums Deputat

Hasta La Deputat

Hier geht es um eine Tradition. Eine alte Tradition. Es geht um so genannte Deputate. Wie ich erfahren habe, will der RWE-Vorstand unter Konzernchef Jürgen Großmann diese nicht länger jedem Mitarbeiter des Stromriesen gewähren. Streit ist programmiert.

Hinter einem Deputat verbirgt sich eine Sonderleistung der alten Montangiganten im Ruhrpott. Jeder, der auf dem Pütt arbeitete, bekam einen Teil der Erzeugnisse aus seinem Betrieb geschenkt. Wer in einer Zeche malochte, dem wurden ein paar Tonnen Kohle vor die Tür gekippt. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, wenn man durch die Siedlung gefahren ist, und vor fast jedem Haus lag ein Kohleberg. Die meisten haben die Kohle verscheuert. Ein paar in den Keller gescheppt. Naja, das war alles nicht ungewöhnlich: Wer im Grubenwald ackerte, der bekam Holz. Und wer schließlich in der Energiewirtschaft schaffte, der kriegte Strom – entweder umsonst oder zu einem günstigen Tarif. Ähnliche Regelungen gibt es heute noch bei der Bahn oder bei Fluglinien. Auch Brauereien und Schnapsbrenner geben ihren Leuten einen Freitrunk.

Allerdings änderte sich im Ruhrgebiet im Laufe der Zeit die Form des Deputates. Statt Kohle und Holz bekamen die Arbeiter häufig einmal im Jahr das so genannte Deputatgeld. Eine Art Geschenk aus dem Betrieb. Andere Unternehmen verzichteten ganz auf die Regeln.

Und auch beim RWE will man diesen Zopf nun abschneiden, wie ich erfuhr. Im Vorstand wird demnach diskutiert, neu eingestellten Arbeitern ab 1. Januar keine Deputatregelungen mehr in die Verträge zu schreiben. Zudem sollen die unterschiedlichen Vereinbarungen in den RWE-Töchtern vereinheitlicht werden. Nach Ansicht des Managements ein guter Gedanke, wären da nicht die Gewerkschaften.

Und die schreien auf, wenn es um die Deputate geht. Mir liegt ein Schreiben der Gewerkschaften Verdi und IGBCE vor, in dem diese ankündigen, „den Widerstand gegen die geplanten Einschnitte bei den Mitarbeitern“ zu unterstützen. Zur Not werde die Deputatregel, die bisher freiwillig war, in den Haustarifvertrag verankert.

Im RWE liegen nun Unterschriftenlisten aus, um gegen die Deputatkündigung zu protestieren.

Die Party ist fast vorbei – der Solarbranche droht ein Absturz

Foto: Flickr.com / conergyus

Die Solarindustrie hat in Deutschland eine gute Zeit hinter sich. Dank üppiger Unterstützung aus dem Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) konnte sich eine neue Energiebranche schnell und erfolgreich entwickeln. Nun setzen Überkapazitäten setzen den Unternehmen zu. Statt die Produktion zu drosseln, hat in Deutschland ein Wettlauf um die Subventionen begonnen – mit vielleicht fatalen Folgen für die gesamte Branche.

In Lieberose, nahe der polnischen Grenze, tief in Brandenburg, schien für die Solarwirtschaft kürzlich ein großer Tag zu sein. Hier wurden 560 000 Solarmodule auf einem ehemaligen Übungsplatz der sowjetischen Armee installiert. Einer der größten Solarparks der Welt als Symbol für den Aufbruch in eine bessere Zukunft. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und sein Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns von der CDU waren da. Sie ließen ihre Finger über die glatten Oberflächen der Solarmodule streichen ließen und blauer Glanz schien auf ihre Gesichter zu strahlen.

Doch wenn man genau hinsieht, lernt man, dass dieser Glanz teuer erkauft wurde. Die sonnigen Zeiten für die Solarenergie neigen sich dem Ende zu. Mehr noch: Der Branche droht sogar ein jäher Absturz nach jahrelangem beispiellosen Booms.

Lange war die Solarenergie für alle Beteiligten ein glänzendes Geschäft. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantiert der Staat jedem Betreiber eines Solarkraftwerks einen Erlös von bis zu 43 Cent je Kilowattstunde, und das auf 20 Jahre. Die genaue Höhe der Vergütung hängt von der Art und Größe der Anlage ab, nicht etwa von ihrer Wirtschaftlichkeit. Für die Kalkulation genügt also ein simpler Taschenrechner.

Die Kosten trägt dabei vor allem die Allgemeinheit, denn die Förderung wird auf alle Verbraucher abgewälzt. Auch wenn die garantierten Vergütungen nach dem EEG ab 2010 durchschnittlich um neun Prozent im Jahr reduziert werden, kommen gewaltige Förderbeträge zusammen. Denn jeder Betreiber hat Anspruch auf Unterstützung, egal, wie effizient seine Anlage ist.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) hat berechnet, dass die 2009 installierten neuen Solarmodule den Verbraucher in den nächsten 20 Jahren gut zehn Milliarden Euro an Einspeisevergütung kosten werden. Damit nicht genug. Rechnet man die älteren Anlagen dazu, kommt das RWI auf zusätzliche Kosten von 30 Milliarden Euro. Die Fachzeitschrift "Photon" rechnet gar mit Kosten für den Solarstrom in Höhe von 77 Milliarden Euro oder mehr.

Die Betreiber des Solarkraftwerks Lieberose können dank einer Leistung von angekündigten 54 Millionen Kilowattstunden mit jährlichen Erlösen von bis zu 15 Millionen Euro aus dem EEG rechnen. Bei einer Investition von rund 160 Millionen Euro verspricht das satte Gewinne.

Um die eigentlichen Subventionen auszurechnen, müssen von diesen Summen allerdings die tatsächlichen Erzeugerpreise für normalen Strom abgezogen werden, entsprechend den Preisen an den Börsen. Hier ein entsprechendes Gutachten, wie das geht. klick. Doch auch nach dieser Rechnung sind die Subventionen für die Solarbranche immer noch hoch.

Laut Bundesnetzagentur produzierten die deutschen Solaranlagen 2007 rund 3000 Gigawattstunden Strom. Hier die Studie zum Thema: klick Dafür bekamen die Sonnenstromer aus dem EEG 1,6 Milliarden Euro überwiesen. Zieht man den Wert des Stroms von der Vergütungssumme ab, bleibt eine Subvention von rund 1,4 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Die Windbranche bekam in der gleichen Zeit 3,5 Milliarden Euro aus dem EEG. Dafür speisten die Windenergieerzeuger aber 13-mal mehr Energie in die Netze ein. Insgesamt trägt die Solarindustrie derzeit nur zu 0,7 Prozent zur Energieerzeugung Deutschlands bei.

Die Entwicklung scheint sich noch zu verschärfen. Da das EEG vorsieht, dass die Förderung für neue Anlagen 2010 um rund neun Prozent gesenkt wird, wollen viele Investoren noch in diesem Jahr so viele Anlagen wie möglich installieren, um von den hohen Beträgen zu profitieren. Deshalb werden schon seit Monaten hektisch große Solarparks angekündigt oder eröffnet – alle im Megawattbereich und auch in Gegenden, in denen eher selten die Sonne scheint.

Wegen der Wirtschaftskrise legen offenbar große Investmentgesellschaften ihr Kapital an, um an die sicheren Erträge aus dem EEG zu kommen. Philipp Spitz von der Fondsgesellschaft Murphy&Spitz drückt es so aus: "Es existiert ein gewisser Anlagedruck." Statistische Daten gibt es noch nicht, wie das Umweltministerium unter Sigmar Gabriel (SPD) mitteilt. Intern wird im Ministerium erst zum Ende des Jahres eine Untersuchung der Lage angekündigt. Bis dahin wird weiter ungebremst gebaut. Schon jetzt findet man unter den größten 50 Solarparks der Welt fast ausschließlich spanische und deutsche Anlagen. Beides Länder mit den höchsten Ausbauhilfen. Hier die Liste: klick

Unter Umständen hat die Bauwut fatalen Folgen für die Branche. Denn je mehr Anlagen von den Stromkunden subventioniert werden müssen, umso stärker steigen die Stromkosten aus dem EEG, die jeder Verbraucher schultern muss und umso gerät die Sonnenindustrie unter politischen Druck.

Denn während die Verbraucher mehr zahlen müssen, sinken seit Monaten die Preise für Solarmodule. Mittlerweile kostet ein Watt Sonnenstrom nur noch rund zwei Euro, vor einem Jahr lag der Preis bei drei Euro. Der Bau von Sonnenkraftwerken wird damit um bis zu 30 Prozent günstiger. Da laut Gesetz die Stromkunden weiter die hohen Vergütungen aus dem EEG bezahlen müssen, vergrößern sich so nur die Profite der Sonnenstromer.

Dagegen formiert sich Widerstand. Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen warnt vor den "nicht hinnehmbaren" Mehrkosten für die Bürger. Er fordert: "Das EEG muss geändert werden." Ähnliches verlangt Manfred Panitz vom Bundesverband der Energie-Abnehmer: "Die neue Bundesregierung muss die Subventionen für erneuerbare Energien unverzüglich senken."

Bundespolitiker diskutieren bereits ernsthaft über eine Revision des Gesetzes. Aus Reihen der SPD wird kolportiert, es werde über eine außerplanmäßige Kürzung der Solarentgelte aus dem EEG nach den Wahlen nachgedacht. Offiziell will sich allerdings niemand aus der Partei äußern, um Umweltminister Gabriel nicht mitten im Wahlkampf in den Rücken zu fallen. Auch der energiepolitische Sprecher der CDU, Joachim Pfeiffer, fordert Änderungen des EEG. Er sagt: "Wir wollen uns das Gesetz nach der Wahl anschauen und die Vergütungen gegebenenfalls anpassen." Gabriels Ministerium bestreitet allerdings, dass eine erneute Überprüfung des EEG geplant sei.

Setzen sich die Kritiker durch, wird das die Situation in der Branche verschärfen. Die Lage ist ohnehin schon prekär: Trotz des Booms gibt es erhebliche Überkapazitäten im Markt. Unternehmen wie Conergy, Solon oder Ersol haben reihenweise schlechte Bilanzzahlen präsentiert. Selbst der einstige Branchenprimus Q-Cells musste schon Mitarbeiter entlassen. Chinesische Anlagenbauer verdrängen immer effektiver die deutschen Vorreiter auf dem Weltmarkt – sie können billiger liefern. Die deutschen Anlagenbauer fordern bereits Schutzzölle.

Verschärft wurde die Lage noch durch den Zusammenbruch des spanischen Marktes. Dort hatte die Regierung den ungebremsten Ausbau der Solarkraftwerke gestoppt. Die Ausgaben nach einem dem EEG verwandten Fördergesetz wurden gedeckelt. In Spanien bekommt nicht mehr jeder Geld, stattdessen wird nur noch bis zu einer Höchstgrenze subventioniert. Nach dieser Änderung scheiterten reihenweise Projekte. Bereits verkaufte Module kamen zurück auf den deutschen Markt, sie werden nun zum großen Teil hier verbaut.

Sollten nun auch in Deutschland die Förderungen aus dem EEG gedrosselt oder gar wie in Spanien gedeckelt werden, bräche der Absatz ein, Pleiten wären unausweichlich. Die Solarblase würde platzen.

Die Industrie hat das Problem erkannt. Um den politischen Druck etwas zu reduzieren und zu verhindern, dass das gesamte EEG infrage gestellt wird, diskutieren Branchenvertreter intern darüber, in den kommenden Tagen selbst eine niedrigere Einspeisevergütung vorzuschlagen. Die Rede ist von einer Kürzung der Entgelte um bis zu 13 Prozent im kommenden Jahr statt der vorgesehenen Senkung um durchschnittlich neun Prozent. "Man könnte einfach die vorgesehenen Senkungen der nächsten Jahre zusammenziehen", sagt ein Spitzenmanager der Branche.

In Lieberose an der polnischen Grenze würde das Ganze allerdings nicht weiter auffallen. Die Anlage ist rechtzeitig fertig geworden. Sie genießt Bestandsschutz, und die Millionen fließen weiter – so wie im Gesetz versprochen.