Der CDU-Oberbürgermeisterkandidat für Mülheim, Stefan Zowislo, hat einen Bericht geschrieben über seine Erfahrungen mit Bündnissen von Schwarzen und Grünen. Und er sagt, sie sind möglich. Warum nicht auch im Bund? Ob kurz oder lang werden sie sowieso kommen. Dabei redet Zowislo nicht um den heißen Brei herum. Er benennt die Probleme etwa in der Atompolitik und mögliche Lösungen. Zowilso kennt sich gut aus mit schwarz-grün. Seine Frau war lange grüne Funktionärin. Er selbst ist ehemaliger CDU-Kreisgeschäftsführer und Manager des ersten schwarz-grünen Bündnisses in einer deutschen Großstadt. Das regierte nämlich bis 1999 in Mülheim an der Ruhr. Seit 2004 arbeitet Zowislo als Marketing-Chef der WAZ-Gruppe. Ich habe gestern über den spannenden Wahlkampf in Mülheim berichtet. Ich denke es ist interessant, Zowislos Ideen zu schwarz-grün kennenzulernen. Sie haben mehr zu bieten, als ein Feuerwerk. Deswegen veröffentliche ich hier seinen Bericht.
Die Zeit ist reif! Von Stefan Zowislo
Foto: Stefan Zowislo
Die Prozentzahlen der Europawahlen – oder auch jene von Umfragen – sind flugs addiert: Schwarz-Grün kann die Mehrheit bei der bevorstehenden Bundestagswahl erlangen. Was bedeutet das aus der Perspektive eines in den 1990er Jahre schwarz-grün erfahrenen CDU-Politikers (was ja schon fast einer Zeitzeugenschaft gleichkommt), der zudem in diesen Wochen in den Wahlkampf als Oberbürgermeister-Kandidat in Mülheim an der Ruhr zieht?
2005: „Wir wollen Schwarz-Grün“
Vor vier Jahren, nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl, haben meine Frau (die in den 1990er Jahren als Geschäftsführerin der europäischen Bündnisgrünen tätig war) und ich einen Artikel zur schwarz-grünen Lage für die politische Monatszeitschrift Cicero verfasst. Die neue Bürgerlichkeit, der Zusammenhalt der Gesellschaft als zentrales Ziel, nicht links oder rechts, sondern oben oder unten als die eigentlichen Koordinaten, ein Plädoyer für die Kategorie Sinn, die mehr aussagt als Geld oder Macht – um dies zu erreichen, war für uns klar: „Wir wollen Schwarz-Grün“.
Was kam, war die große Koalition, Jamaika oder Ampel blieben Blütenträume. Das Miteinander von CDU und SPD macht bis heute „üble Laune“, auch das stand schon 2005 in Cicero; doch nicht nur das: Der politische Wettbewerb, jener Ur-Nukleus des Fortschritts um die besten Ideen, blieb auf der Strecke. Es stimmt: Große Koalitionen werden zum „Gift, wenn sie über Legislaturperioden hinweg Bestand haben sollen“ (Norbert Röttgen).
2009: Ein neuer Anlauf?
Die CDU ist eine Volkspartei, aber auch sie stößt an eine Glasdecke des Wachstums. Viele Milieus lassen sich nicht mehr mir nichts, dir nichts mobilisieren, jedenfalls nicht für politische Ziele. Dafür bleibt man zunehmend „unter sich“, es fehlen die Themen, über die alle reden.
Das Verbindende innerhalb der CDU, die Sinnstiftung über christliche Werte, ist im Rückzug – und allzu kirchennah darf (und kann) es sowieso nicht mehr sein. Ist das Milieu der Kirchgänger zwar auch weiterhin wichtig für die Akzeptanz der Union – die Menschen dort werden weniger und modernisieren sich nur noch (dann ebenso kräftig wie kurzlebig) über Kirchen- und Katholikentage, was eine sonntägliche Gemeindearbeit jedoch kaum erreicht. Modernisierung aber ist unabdingbar für jedwede Erneuerung, auch die der Union. Genauso die Öffnung der CDU-nahen Milieus für neue und andere werteorientierte Fragestellungen.
Auf der „anderen Seite“, beim lange so genannten alternativen Milieu, dominieren Selbstgewissheit und das „Gutmenschentum“. Man gibt sich postmateriell, steht auf der Seite der Unterdrückten, macht sich auf die Suche nach der besseren Gesellschaft – und ist zugleich Bohème. Lebensstil als Vorbild – abseits von Bio-Kost – scheidet aus! Die Sinnfrage wird lautstark gestellt, man ist aber ungläubig, wenn sich ein christdemokratischer Politiker werteorientiert verhält. Höchste Zeit, sich der Floskel zu entledigen, dass eine schwarz-grüne Koalition angeblich aus „kulturellen Gründen“ ausgeschlossen sei.
Unabhängig von „ihren“ Milieus hat sich die Union in der Bundesregierung erfolgreich modernisiert und den Weg weiter beschritten, der einst in den 1980er Jahren mit der Thematisierung der Frauenfrage begann (dies nicht zuletzt dank Helga Wex, der langjährigen CDU-Politikerin aus Mülheim an der Ruhr, die 15 Jahre lang an der Spitze der Frauen Union stand). Nicht nur, dass die CDU die Kanzlerin stellt – das Modernisierungsprogramm für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfreut Mütter, Väter und Kinder.
Die Bündnisgrünen dagegen sind wieder – so wirkt es – in ihr angestammtes Milieu zurückmarschiert und haben den Weg von den Regierungs- auf die Oppositionsbänken dazu genutzt, verbal radikal zu bleiben, sich inhaltlich anzupassen und personell auf 1998er-Niveau zu verharren.
Im Zeichen der Krise
„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ So hatte Bertolt Brecht in seiner „Dreigroschenoper“ den historischen Materialismus auf den Punkt gebracht. Im Angesichte von Hunger und Elend – und unter dem Eindruck der Lektüre von Karl Marx.
Ist es heute nicht viel mehr umgekehrt? Erst kommt die Moral, dann das Fressen? Trotz aller sozialpolitischen Verwerfungen, die in unserem Land herrschen? Für mich steht fest: Wir werden die sozial-moralischen Voraussetzungen unserer Gesellschaft benennen und erneuern müssen. Wenn es stimmt, was Karl-Erivan Haub, Gesellschafter der Mülheimer Tengelmann-Gruppe, beschreibt, dass wir „den höchsten Lebensstandard gemessen am Bruttosozialprodukt hinter uns haben“, dann muss das in der Politik „ankommen“.
Deshalb steht – im Sinne von Jürgen Habermas – die Debatte um die „Zivilgesellschaft“ auf der Tagesordnung. Wie beteiligen wir sie an politischen Prozessen? Die inzwischen hoch professionalisierte Politikmaschine muss für die Brücken von Parteien und Politikern zur Zivilgesellschaft sorgen, sie muss dem Subsidiaritätsprinzip – und damit dem „Recht der kleinen Lebenskreise“ – dringend eine neue Renaissance verschaffen.
Kommunalpolitiker können, ja, müssen, für diese Erneuerung Trendsetter sein. Sie werden an der Praxis gemessen. Ihre Parameter müssen sein: Ansprache, Akzeptanz und Augenhöhe. Oder: Solidarität und Subsidiarität. Denn, so formuliert es Peter Slotterdijk: Die Gesellschaft der Zukunft ist „zum Vertrauen verurteilt“.
Die schwarz-grüne Reform
Reichlich Arbeit für Schwarz-Grün. Die CDU mit der katholischen Soziallehre und dem Ahlener Programm im Gepäck, ist gewappnet für den sozial-moralischen Diskurs und für den Umbau einer Gesellschaft, die zivilgesellschaftliches Engagement in großer Vielfalt ermöglichen will. Und die weiß, wovon sie spricht, wenn sie verstärkt die Familien stärken und fördern will, „auf die in guten und in schlechten Zeiten Verlass ist“ (Ursula von der Leyen).
In einer schwarz-grünen Konstellation hat die CDU die Aufgabe, sehr konkret den sozialpolitischen Teil zu formulieren – aber auch zu repräsentieren. Gerade die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) und an ihrer Spitze Karl-Josef Laumann (für den Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine die „beiden größten Vorsitzenden von populistischen Parteien in Deutschland“ sind) gehören bei schwarz-grünen Verhandlungen an den Tisch.
Im Zeichen der Krise kann es kein stures Festhalten an der „unsichtbaren Hand“ geben – dafür waren die sichtbaren Schäden zu groß. Nun wird es um die konkrete Umsetzung einer weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftsordnung gehen. Genug und gut zu tun für Schwarz-Grün.
Spaltpilz Atomkraft?
Die aktuelle Atom-Debatte ist von der CDU nicht gewollt. Sie hat eine klare Position für einen Energie-Mix, der die Atomkraft einbezieht. Die Union pflegt intensiven Kontakt zu allen Energieproduzenten und kommt in den Ländern ihrer Aufsichtspflicht gegenüber Atomkraftbetreibern nach – Ole von Beust aus dem schwarz-grünen Hamburg ist hier keinen Deut weniger eindeutig als Sigmar Gabriel. Kein CDU-Politiker wird sich von einem Energiekonzern die Glaubwürdigkeit nehmen lassen. Deshalb: ZEIT-Chefredakteur Bernd Ulrich liegt richtig, wenn er schreibt: „An der Atomkraft würde Schwarz-Grün nicht scheitern, vielmehr wäre Schwarz-Grün das endgültige Aus für die Atomkraft in Deutschland.“
Doch auch jenseits der Atomfrage wird die sozial-moralische Erneuerung nur dann gelingen, wenn sie die ökologische Perspektive beinhaltet. Der in den 1980er Jahren populär gewordene Satz (in so mancher WG schmückte er Küche oder Flur): „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“, verdient neue Konjunktur.
Forderungen des „Grünen Neuen Gesellschaftsvertrages“, mit dem die Bündnisgrünen in den Bundestagswahlkampf ziehen, sind in einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft jederzeit umsetzbar. Dass durch Umweltprodukte Arbeitsplätze geschaffen werden können, ist eigentlich nicht mehr als neuer Wein in alten Schläuchen. Die Diskussion um Solarenergie bekommt dank Desertec eine neue Dynamik; E.on-Manager verkünden hoffnungsfroh: „Wir steigen schrittweise auf erneuerbare Energien um.“
Vom Abschied der Romantik
Aus meinen Erfahrungen als CDU-Geschäftsführer des schwarz-grünen Bündnisses in Mülheim an der Ruhr (das erste in einer deutschen Großstadt) sei überliefert, dass die Grünen aus dem Staunen nicht herauskamen, dass die CDU sich an Vereinbarungen hielt, wenn man sie geschlossen hatte. Das führte zwar zu stets langwierigen Koalitionsrunden – aber anschließend war es perfekt. Grüne wunderten (und freuten) sich über Politiker, die sagen, was sie tun und tun, was sie sagen.
Eines wäre für mich bei einer schwarz-grünen Zusammenarbeit heute anders als einst in den 1990er Jahren in Mülheim: Es wäre kühler und nüchterner, das Romantische wäre perdu, von dem wir seit der großen Safranski-Studie wissen, dass es allzu sehr „die Intensität bis hin zu Leiden und Tragik sucht“ und damit „nicht sonderlich für Politik geeignet ist“. Aber ein wenig Romantik, in Maßen und wohldosiert, sei vielleicht gar nicht so übel – denn, so Rüdiger Safranski, „politische Vernunft und Realitätssinn ist zu wenig zum Leben“ und „Romantik macht neugierig auf das ganz andere“.
Und noch eines hat sich nach über einem Jahrzehnt verändert: Waren die Grünen damals ein wesentlicher Modernisierungsanstoß für die Christdemokraten – benötigte doch deren Pragmatismus die Prinzipientreue der Alternativen dringend zur Blickfelderweiterung –, so können wir heute vermelden: Selbstbewusst steht sie da, die Union, als Volkspartei der alten Schule mit neuer Öffnung und neuem Personal. Geradezu keck könnte sie den Grünen auch zurufen: Vorsicht, dass wir euch nicht davonlaufen! So zum Beispiel, wenn man im Vorfeld der Bundestagswahlen die Programmatik zum Thema Bürgergesellschaft der beiden Parteien vergleicht. Da attestieren Wissenschaftler Bündnis 90/Die Grünen, dass hier „kein Konzept für neue Formen des Regierens und Verwaltens“ zu finden sei und das „hohe Lied auf das bürgerschaftliche Engagement (…) kaum orchestriert“ werde. Lob dagegen für die Union: In deren Programm „werden alte und neue Engagementformen zu einer neuen Art von Gesellschaftspolitik zusammengeführt“, wenngleich – leider! – hier nach wie vor das „traditionelle Engagement mit traditioneller Motivation“ zu sehr im Mittelpunkt stehe. All das ist purer schwarz-grüner Humus!
Lernen aus der Krise
Das Vorhaben der sozial-moralischen Erneuerung unserer Gesellschaft benötigt – unter Führung der Union – zahlreiche Mitstreiter. Im Zeichen der Krise wird viel davon abhängen, wer sich wie lernfähig und engagiert erweist. Wer den Bankern in den Bars klar macht, dass Umkehr angesagt ist und es Grenzen und Maßstäbe gibt. Wer die Neuordnung der Finanzmärkte nach vorne treibt. Wer aus der Krise gelernt hat und – nur als ein Beispiel! – die Kirchen als Partner ansieht, erst recht nachdem der Papst mit seiner neuen Sozialenzyklika deutliche Worte gefunden hat.
Wir brauchen eine Neujustierung des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Wirtschaft ist gefordert, ihren diskursiven Beitrag zur sozial-moralischen Erneuerung zu leisten, auch wenn die Aktienkurse wieder steigen. Der ehrenhafte Beruf des Politikers hat in der Krise bereits viel geleistet. Fast schon vorbildlich. Ein funktionierendes schwarz-grünes Bündnis in Berlin wird die Ehre des Berufsstandes weiter mehren.