Foto: RWE
Vor ein paar Tagen habe ich mit meinem Kollegen Daniel Wetzel ein Interview mit Jürgen Großmann, dem RWE-Vorstandschef, für die Welt am Sonntag gemacht. Es ging um das angespannte Verhältnis zu den Kommunen, den Sinn und Unsinn CO2-reduzierter Kraftwerke sowie eine Milliardensubvention für den Energieriesen. Wir haben uns in Berlin getroffen, in der RWE-Repräsentanz, mit einem weiten Blick über die Hauptstadt. Es gab Kaffee und Gebäck.
Ruhrbarone: Herr Großmann, der RWE-Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Fischer hat auf der jüngsten Hauptversammlung seinen vorzeitigen Rücktritt angekündigt. Für viele Beobachter sah das nach dem Ende eines Machtkampfes zwischen Ihnen und Teilen des Aufsichtsrates aus. Liegen Sie mit dem Kontrollgremium im Clinch?
Jürgen Großmann: Wir haben nach dem Aktiengesetz eine bewährte Arbeitsteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Der Aufsichtsrat hat ein Geschäftsführungsverbot, der Vorstand wiederum wird durch den Aufsichtsrat bestellt und überwacht. Im Aufsichtsrat sind Mitarbeiter und Aktionäre vertreten, das klappt hervorragend. Es hat keinerlei Reibereien zwischen Herrn Fischer und mir gegeben. Im Gegenteil, wir sind uns über die Ziele des Unternehmens immer einig gewesen.
Ruhrbarone: In Ihrem Aufsichtsrat sind Ihre wichtigsten Kunden, die nordrhein-westfälische Kommunen, ähnlich stark vertreten wie Vertreter der Kapitalseite. Ein institutionalisierter Dauerkonflikt. Kann der Vorstand gegen die widerstreitenden Interessen dort frei genug agieren?
Großmann: Vorab: Andere Unternehmen würden jubeln, wenn sie auch einen Anker-Aktionär mit einem Anteilsbesitz von rund 25 Prozent hätten, der sich so konstruktiv verhält und Konstanz in der unternehmerischen Planung ermöglicht. RWE kann die Interessen aller Stakeholder, von den Mitarbeitern bis hin zu den Aktionären, sehr gut abbilden. Mit unserem Kraftwerkspark bieten wir die Möglichkeit einer Risikostreuung, die es den Kommunen erlaubt, auf den Aufbau einer eigenen, kapitalintensiven Energieversorgung vor Ort zu verzichten.
Ruhrbarone: Offenbar sind aber nicht alle Kommunen glücklich mit RWE. Im Münsterland, im Sauerland und rund um Gelsenkirchen diskutieren Lokalpolitiker, die Netze zurückzukaufen und eigene Versorgungsunternehmen zu gründen.
Großmann: Ob es am Ende dazu kommt, wird man sehen. Ich weiß nicht, ob es viel Sinn macht, in jedem Konzessionsgebiet mit viel Geld das Knowhow für die Betriebsführung und Wartung von Stromnetzen und Erzeugungsstrukturen neu aufzubauen. RWE hat den Kommunen sehr viel zu bieten. Wir haben rund 100 Kraftwerke verschiedenster Größe und mit unterschiedlichen Energiequellen. So können wir es auffangen, wenn mal ein Kraftwerk ausfällt oder sich bei den Brennstoffpreisen ein paar Relationen verschieben. Wenn Sie als Kommune aber nur ein Kraftwerk haben, können Sie das nicht. Da machen Sie nur eine Wette, und wenn die daneben geht, hängen sie wirtschaftlich ganz schön in den Seilen. Risikostreuung, Dividenden und Konzessionsabgaben sind zugkräftige Argumente gegen den Ausstieg aus RWE und den Aufbau paralleler teurer Versorgungsstrukturen.
Ruhrbarone: Also nehmen Sie die Bestrebungen der Kommunen nicht besonders ernst?
Großmann: Ich nehme sie ernst. Wenn man als Kommune solche Pläne nicht mit aller Konsequenz verfolgt, kann man auch nicht ordentlich verhandeln. Aber am Ende, wenn es zum Schwur kommt, werden sich viele Kommunalpolitiker schon überlegen, an welcher anderen Stelle dann das Geld fehlt, das sie da in die Energieversorgung stecken wollen. Ob sie ihre knappen Mittel nicht lieber in Schulen, Kindergärten und Infrastruktur investieren als in eine schon bestehende Energieversorgung, wird man dann sehen.
Ruhrbarone: Die Kommunen könnten auch weges des Konzern-Umbaus verstimmt sein. Sie haben mit der RWE Energy und RWE Systems ganze Zwischenholdings aufgelöst und ihre Entscheidungskompetenzen in die Zentrale nach Essen verlagert.
Großmann: Die Straffung der Entscheidungsprozesse war alternativlos. Dortmund wird im Übrigen für RWE ein Standort von hoher Bedeutung bleiben. Denken Sie etwa an die neue RWE Vertrieb AG, die dort ihren Sitz haben wird. Was wir derzeit machen, ist ein vergleichsweise kleiner Umbau. Es ist ja nicht so, dass wir ganze Sparten auflösen. Wir versuchen nur, im bestehenden Geschäftsmodell effizienter zu werden. Veränderungsbereitschaft muss es in jedem Unternehmen geben.
Ruhrbarone: Mit der Auflösung der Zwischenholding RWE Energy verlieren Kunden allerdings vertraute Ansprechpartner.
Großmann: Keineswegs. Durch die Zusammenlegung der Regionalgesellschaften RWE Rhein Ruhr und RWE Westfalen Weser Ems zu einer neuen Vertriebs- und Netzgesellschaft werden wir für die Kunden sogar noch transparenter. Bislang gab es gleich drei Vertriebsvorstände in der Zwischenholding RWE Energy und jeweils in den Regionalgesellschaften. Auch aus Sicht der Kunden sind die Zuständigkeiten jetzt klarer.
Ruhrbarone: Die Zusammenlegung vieler Entscheidungskompetenzen in Essen könnte die Konzernzentrale überfordern
Großmann: Grundsätzlich ist es wünschenswert, kleine operative Einheiten mit eigener Gewinnverantwortung zu haben. Denn das fördert Unternehmertum. Allerdings kann man Dezentralisierung auch zu weit treiben. Schauen Sie sich die frühere Kaskade im Konzern doch an: Oben die RWE AG mit 20 Aufsichtsräten, darunter die RWE Energy AG mit 20 Aufsichtsräten und darunter wieder die Regionalgesellschaften mit ihrerseits 20 Aufsichtsräten. Bei RWE musste der Entscheidungsprozess dreimal hintereinander durchlaufen werden, bevor eine Vorgabe des Vorstands umgesetzt wurde. Deshalb hat es früher manchmal Monate gedauert, bis große Projekte unterschriftsreif waren. So konnte es nicht weiter gehen. Wir müssen schneller werden.
Ruhrbarone: Wo sehen Sie die größten Wachstumschancen für die RWE?
Großmann: Im Ausland, zum Beispiel in Zentral- und Osteuropa. Nach den Entscheidungen des Bundeskartellamtes ist es uns ja praktisch untersagt, in Deutschland noch weiter zu wachsen.
Ruhrbarone: Gibt es Indizien dafür, dass das Bundeskartellamt seine Definition des wettbewerblich relevanten Marktes auf Europa ausweitet – und den großen Energiekonzernen damit auch wieder Übernahmen im Inland gestattet?
Großmann: Es wird sich etwas ändern müssen. In anderen europäischen Ländern betrachten die Kartellbehörden längst nicht mehr nur ihre eigenen inländischen Marktverhältnisse. Weil sie den europäischen Markt zum Maßstab nehmen, erlauben sie es den dortigen Konzernen viel eher, durch Übernahmen zu wachsen. Das ist eine kartellrechtliche Ungleichbehandlung, die unseren ausländischen Wettbewerbern einen erheblichen Vorteil garantiert. Und den werden sie auch gegen uns ausspielen.
Ruhrbarone: Um die kartellrechtlichen Fesseln zu sprengen, brauchen Sie politische Unterstützung.
Großmann: Die werden wir mittel- und langfristig auch bekommen.
Ruhrbarone: Sind Sie sicher? Für Politiker war es zuletzt nicht sehr vorteilhaft, sich öffentlich mit Energiekonzernen zu solidarisieren.
Großmann: Glauben Sie nicht, dass sich das schon ändert? Die Politik nimmt inzwischen zur Kenntnis, dass bei allen großen deutschen Energiekonzernen die Bereitschaft vorhanden ist, ohne staatliche Beihilfen zu investieren und damit Konjunkturprogramme ohne Belastung für öffentliche Haushalte loszutreten. Wir werden von der Politik nicht mehr in dem Maße wie früher als Sündenbock gesehen, wofür ich mich auch persönlich eingesetzt habe. Warum kommt denn Frau Merkel zu RWE, Eon oder anderen Energieunternehmen zu Grundsteinlegungen von Kohlekraftwerken? Die deutsche Energiediskussion befreit sich aus der Zweidimensionalität von Preisen und Umweltschutz. Sie sieht die Versorgungssicherheit wieder als hohen Wert.
Ruhrbarone: Woran machen Sie das fest?
Großmann: Nehmen Sie als Beispiel den Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland. Es gibt in der Politik wieder erhebliche Zweifel, ob man die Energieerzeugung in Deutschland wirklich allein aus Gründen des Klimaschutzes komplementär zu den erneuerbaren Energien stark auf Erdgas umstellen und die ohnehin hohe Importabhängigkeit noch weiter steigern sollte. Wenn Sie Ihren Strom aus Erdgas machen, schicken Sie 70 Prozent des Strompreises zurück an den Gaslieferanten. Wenn Sie ihn aber aus heimischen Brennstoffen wie Braunkohle machen, bleiben 100 Prozent der Wertschöpfung hier im Lande. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise gewinnen solche Überlegungen wieder an Bedeutung.
Ruhrbarone: Im Dezember wollen die Vereinten Nationen auf einer Gipfelkonferenz in Kopenhagen ein internationales Klimaschutzregime gründen, um das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu ersetzen. Auf was stellt sich die RWE als größter CO2-Emittent Europas ein?
Großmann: Der Erfolg der Kopenhagener Konferenz hängt stark vom Verhalten der USA ab. Wenn sich die USA nicht klar zu einem globalen System zur Begrenzung von CO2 und zum Handel mit Emissionsrechten bekennen, ist die Konferenz zum Scheitern verurteilt. Die CO2-Emissionen der USA sind 1,5mal so hoch wie die Gesamteuropas. Daneben stehen China und Indien im Fokus: China hat gerade die Erhöhung der Kohleverstromung und Kohleförderung um 30 Prozent bis zum Jahr 2015 bekannt gegeben. Das heißt, die Weltenergieversorgung geht im Moment eher in die Kohle hinein als von ihr weg. Was nützt es uns, wenn wir in Deutschland mit der guten Absicht, CO2 zu sparen, wichtige Industrien mit Tausenden Arbeitsplätzen aus dem Land vertreiben, während woanders Kohlekraftwerke in den Himmel wachsen?
Ruhrbarone: Sie räumen dem Klimaschutz keine große Chancen ein?
Großmann: Das habe ich nicht gesagt. Aber aus unserer Sicht liegen in der Erneuerung der Kraftwerke riesige Chancen. Der durchschnittliche Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken weltweit beträgt weniger als 30 Prozent. RWE baut derzeit Kohlekraftwerke, deren Effizienz zwischen 45 und 50 Prozent liegt. In dieser Erhöhung des Wirkungsgrades liegt eine gewaltige CO2-Ersparnis. Bei meinem Amtsantritt hat RWE pro Jahr zwischen 180 und 190 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Wir können das kurzfristig unter 140 Millionen Tonnen drücken.
Ruhrbarone: Sie planen auch die Entwicklung einer neuen Generation so genannter CCS-Kraftwerke, in denen Kohlendioxid herausgefiltert werden kann.
Großmann: Wichtig ist dabei, ob sich die CCS-Technik auch wirtschaftlich realisieren lässt. Wir gehen davon aus, dass sich ein CCS-Kraftwerk rechnet, wenn die Preise für Emissionszertifikate zumindest bei 35 bis 40 Euro pro Tonne CO2 liegen. Wir sind im Moment bei 15 Euro, waren aber auch schon einmal bei mehr als 30 Euro.
Ruhrbarone: Die EU fördert den Bau von CCS-Kraftwerken.
Großmann: Das von RWE geplante Demonstrationskraftwerk in Hürth kostet 2,2 Milliarden Euro, wobei allein die CCS-Technik Mehrkosten von rund 1,2 Milliarden Euro ausmacht. Die Förderung durch die EU macht nur einen kleinen Teil dieser Zusatzkosten aus. Bei solchen Beträgen für ein einziges mittleres Kraftwerk muss ich mich von meinen Aktionären fragen lassen: Hättest du nicht besser gewartet, bis jemand anders die Kastanien aus dem Feuer geholt hat?
Ruhrbarone: Der Bau des CCS-Kraftwerks Hürth steht also noch unter dem Vorbehalt einer Co-Finanzierung durch Steuergelder?
Großmann: Wir wollen dieses Kraftwerk bauen und tun alles, was zur Verfahrensentwicklung nötig und möglich ist. Der Tag der Bauentscheidung kommt Ende 2010 oder Anfang 2011. Ohne zusätzliche Förderung bin ich aber skeptisch, ob sich die Baupläne halten lassen. Dennoch schauen wir konstruktiv nach vorn. Deutschland hat mit CCS eine Chance und sollte sie unbedingt nutzen. Wir sollten zumindest eine, besser zwei CCS-Demonstrationsanlagen in unser Land holen. Richtig ist andererseits aber auch, dass CCS nicht der alleinige Königsweg ist. Viele andere Projekte sind ebenfalls nötig, um das Klima zu schützen. Dazu zählt die Aufforstung tropischer Regenwälder.