Grafik: Cross Border Wuppertal
Ich hab hier schon öfter über Cross-Border-Geschäfte geschrieben. Und dass ich diese für ziemliches Harakiri halte. Vor ein paar Jahren redeten sich mal die Politiker aller möglichen Colour den Mund wässrig, was für ein tolles Geschäft das sei. So ganz ohne Risiko den amerikanischen Steuerzahler bescheissen und ein paar Millionen zur Sanierung der heimischen Kommunen einstreichen. Jetzt ist wieder so eine Zeit, in der die Männer und Frauen in den kommunalen Kontrollgremien die Übersicht zu verlieren drohen. Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie glauben, die Verluste aus den einst als risikolos angepriesenen Deals minimieren zu können, wenn sie die Amis auszahlen. Doch der Reihe nach:
Die Wirtschaftskrise trifft viele deutsche Kommunen auf eine besonders harte Art und Weise: Seit Mitte der 90er-Jahren haben sie die so genannte Cross-Border-Leasing-Geschäfte vor allem mit US-Investoren abgeschlossen. Das Gesamtvolumen der Deals beläuft sich nach Schätzungen von Branchenexperten auf bis zu 80 Mrd Euro. Da nun die Versicherer der Deals, wie AIG oder MBIA, in Schieflage geraten sind, müssen die Kommunen für die Risiken eintreten. Es drohen finanzielle Schäden in nicht absehbaren Umfang.
Anfangs sah alles bei den Cross-Border-Leasing-Geschäften ganz rosig aus. Im Frühjahr 2003 stieg die Bochumer Kämmerin Ottilie Scholz (SPD) auf Kosten einer Bank in ein Flugzeug nach New York, um ein besonderes Geschäft für Ihre Stadt abzuschließen. Sie wollte das Kanalnetz ihrer Gemeinde an einen amerikanischen Investor langfristig verleasen und direkt wieder zurückleasen. Ein reines Buchgeschäft, bei dem eigentlich kein Risiko entstehen würde, wie Scholz immer wieder in Bochum versichert hatte.
Stattdessen werde nur eine Lücke im amerikanischen Steuerrecht ausgenutzt. Weil in den Staaten ein langfristiger Leasingvertrag als Eigentumsübergang betrachtet werde, könnten die Investitionen dort von den Steuern abgesetzt werden. Tatsächlich aber bleibe das Kanalnetz im Eigentum der Stadt Bochum, sagte Scholz. Es werde lediglich das Geld für das Leasing über einen amerikanischen Trust von einer Bank zur nächsten geschaufelt, die dann auch wieder die jeweils fälligen Raten garantieren würden. An der fälligen Steuerersparnis der Investoren sollte Bochum beteiligt werden, versprach die Kämmerin. Für ihre klamme Kommune erhoffte sie sich 20 Mio Euro, den sie als so genannten „Bargeldvorteil“ in den Haushalt einstellen wollte.
Was für Bochum galt, galt genauso für weit mehr als 100 Kommunen in Deutschland. Ob in München, Berlin oder Essen, überall gaben die Städte ihre Kanäle, Straßenbahnen oder Messehallen an amerikanische Investoren ab und kassierten den so genannten „Bargeldvorteil“. Es schien eine wahre Jagd auf den amerikanischen Steuerschatz auszubrechen. Die Dortmunder Stadtwerke gaben ihre Fuhrparks, die immobilen Stadtbahnanlagen und die Westfalenhalle für insgesamt 100 Mio. Euro auf. Der Stadt Nürnberg brachte ein "sale and lease back" gut 8 Mio. Euro ein.
Die Hoffnung auf schnelles Geld war bei den Kämmerern größer als das schlechte Gewissen, sich auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers zu bereichern. Gerichtsstand der Cross-Border-Geschäfte ist meist die Stadt New York.
Dabei wurden die Gemeinden protegiert. Die damals noch von SPD und Grünen geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen weigerte sich offiziell Aufsichtsverfahren gegen die Städte wie Bochum einzuleiten.
Berater wie Thomas Link von CMS Hasche Sigle, lobten auf Einladung der SPD-Bundestagsfraktion die Geschäfte noch im Jahr 2004: „Für den deutschen Eigentümer sind US-Cross Border Lease Transaktionen äußerst attraktiv. Der aus solchen grenzüberschreitenden Transaktionen resultierende Barwertvorteil liegt in aller Regel bei ca. vier bis sechs Prozent des Transaktionsvolumens.“
Doch Traum vom Geschäft ohne Risiko verwandelte sich im Lauf der Jahre zu einem Albtraum für die Kämmerin in Bochum. Heute ist Ottilie Scholz Oberbürgermeisterin der Stadt. Sie hat mit der Schließung des örtlichen Nokia-Werkes zu hadern und muss um den Opel-Standort in ihrer Gemeinde fürchten. Und obendrauf musste sie vor wenigen Wochen für das angeblich risikolose Cross-Boder-Leasing gut 90 Mio Euro aus der Stadtkasse nachschießen.
Der Grund dafür ist die weltweite Finanzkrise. Was genau passiert ist, kann am Beispiel eines Cross-Border-Leasing der Abfallentsorgungs Gesellschaft Ruhrgebiet (AGR) abgelesen werden. Die Firma gehört über den Regionalverband Ruhr allen Ruhrgebietsstädten. Im Jahr 2003 hatte die AGR eine Müllverbrennungsanlage an einen Trust der amerikanischen KeyBank aus Ohio langfristig verleast und über einen Untermietvertrag direkt wieder zurückgeleast. Das Volumen des Deals lag bei über 300 Mio Euro. Das Geld für den jahrzehntelangen Leasingvertrag wurde von der KeyBank auf einen Schlag vorab gezahlt. Den Großteil der Millionen wurde direkt an die Landesbank Baden-Württemberg und die NordLB weitergereicht. Diese bezahlen damit seither die aus dem Untermietvertrag fälligen Zahlungen an den Trust. Abgesichert wurde das Geschäft vom Versicherungskonzern MBIA.
Das Risiko findet sich im Kleingedruckten. Und zwar haben sich die AGR und der Regionalverband Ruhr verpflichtet, alle Risiken aus dem Geschäft zu übernehmen. Beispielsweise wenn innerhalb von fast 30 Jahren einer der Versicherer in Schwierigkeiten gerät. Und genau das ist passiert. Die MBIA hat ihr einst gutes Rating verloren. Genauso wie der Versicherer AIG, der in vielen anderen Cross-Border-Geschäften aktiv wurde.
Damit setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, wie Finanzwissenschaftler Finanzwissenschaftlers Stephan Paul von der Universität Bochum berichtet: "Nach den Absprachen in den meisten Verträgen müssen die Versicherungen eine Mindestbonität haben. Wird diese unterschritten, müssen die Versicherungen ausgewechselt werden."
Nahezu alle Städte, die ein Cross-Border-Leasing abgeschlossen haben, müssen heute reagieren. Finden sie keine neuen Versicherungen, müssen sie meist amerikanische Staatsanleihen bei den Investoren in den Staaten hinterlegen, um die Deals abzusichern. Bochum alleine musste diese Anleihen im Wert von 90 Mio Euro kaufen und abtreten.
Damit nicht genug. Der Jurist Julian Roberts sieht ein weiteres Problem. "Bei genauem Studium der Verträge drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei Cross-Border-Leasing nur um einen anderen Begriff für eine Kreditspekulation handelt." Die Verträge seien wie bei einem Credit Default Swap gestaltet. Für den „Bargeldvorteil“ hätten die Kommunen nahezu das gesamte Risiko für die Finanzströme übernommen und zudem so genannte „Termination Values“ unterzeichnet. Das bedeutet: tritt ein bestimmtes Ereignis ein, wie etwa die Herabstufung eines Versicherers, müssen die Kommunen Millionen-Summen als Strafe zahlen. Unabhängig davon, ob tatsächlich die Struktur des Leasings bedroht ist.
Alleine Wuppertal, das 1999 seine Müllverbrennungsanlage verdealte, muss im schlimmsten Fall mit einer Strafzahlung von bis zu 500 Mio Dollar rechnen, wie aus dem entsprechenden Cross-Border-Verträgen hervorgeht, der mir vorliegt.
Nach Ansicht von Roberts ein mieses Geschäft: "Die Kommunen waren schlecht beraten, sich dieses hohe Risiko zu einem derart geringen Preis aufdrücken zu lassen."
Einen Ausweg aus den Verträgen zu finden, ist extrem schwer. "Bislang ist es meines Wissens noch keiner Kommune gelungen, aus einen Cross-Border-Leasing wirklich auszusteigen", sagt Roberts. Das Grundproblem: Fast immer würden die gleichen Berater und politischen Verantwortlichen, die einst die Misere angerichtet hätten, versuchen die Probleme zu beseitigen. Dabei läge ihr Interesse aber zu oft auf der Rettung ihres Rufes als auf der Sanierung der Verträge.
Immer wieder versuchen die verantwortlichen Politiker alle Unterlagen geheim zu halten. Nicht einmal die Stadträte sollen schauen dürfen, mit welchen Tricks gearbeitet wird. Es wird auf angebliche Geheimhaltungsklauseln verwiesen. Die Räte sollen dumm und blind abstimmen, die Öffentlichkeit vertrauen, schweigen und die Millionen zahlen. Dabei werden sogar die Basisfakten vertuscht. Wo etwa die Trust angesiedelt sind, wer für die neuen Risiken haftet. Statt auf Offenheit zu pochen, geben sich die Politiker mit den Worten der Dealbroker zufrieden, der Ausstieg aus den Cross-Border-Deals sei hervorragend geklärt. Sie lassen sich damit genauso hinters Licht führen, wie sie sich zuvor haben besoffen reden lassen, wie toll es gelungen sei, die Amis zu bescheissen.
Im Fall der AGR hat sich der Regionalverband Ruhr beispielsweise dazu überreden lassen, den Trust direkt zu übernehmen. Dabei hat er aber nach eigenen Angaben nicht die Beteiligung an dem Trust gekauft, sondern nur einen Vertrag über dessen Nutzungsrechte abgeschlossen. Im Gegenzug hat der amerikanische Investor seine Einlage aus dem Leasing-Geschäft zurückbekommen – und sich verabschiedet. Das bedeutet: Die Deutschen haften nun für alle Risiken aus dem Geschäft direkt. Ohne dass eine Versicherung dazwischengeschaltet ist.
Das soll eine gute Lösung sein? Nicht einmal den "Bargeldvorteil" hat der RVR bislang gesehen. Das Geld liegt nach wie vor in einer Schatztruhe bei der NordLB. Und wird nicht ausgezahlt. Das soll eine Lösung sein? Für alle Risiken nichts bekommen?
Auch die frühere Kämmerin und heutige Oberbürgermeisterin von Bochum Ottilie Scholz will diesen Weg gehen, wie es in einem Geheimpapier der Stadt Bochum heißt.
Es gilt als sicher, dass die beteiligten Banken mitspielen. Denn eines ist gewiss. Die deutschen Kommunen können per Gesetz nicht Pleite gehen. Am Ende haftet immer der Steuerzahler.