RWI-Chef steigt auf

Einen herzlichen Glückwunsch senden die Ruhrbarone an den Präsidenten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), Christoph Schmidt, 46. Wie das „Handelsblatt“ meldet, wird er neues Mitglied des Sachverständigenrates des Bundes – dem sogenannten Rat der Wirtschaftsweisen. Er folgt auf den amtierenden Vorsitzenden Bert Rürup, der Ende Februar aus dem Rat ausscheidet.

Einen ersten Job hat Schmidt im neuen Amt zu bewältigen. Er muss mit seinen vier Ratskollegen den neuen Vorsitzenden der Weisen wählen. Favorit für den Job ist Wolfgang Wiegard. Rürup hatte den Vorsitz von März 2005 an.

Wie das so läuft, mit dem Konjunkturgeld im Pott

Foto: flickr.com / Phreak 2.0

Das Konjunkturpaket für die Städte im Ruhrgebiet kommt. Doch wie nach der versprochenen Kohle schnappen? Wie in Essen bereiten sich die Gemeinden zwischen Duisburg und Dortmund darauf vor, eine Antragsflut auszulösen. Nur an ein gemeinsames Vorgehen des Reviers scheint keiner zu denken.

Das Büro 13.39 im Essener Rathaus ist schmucklos. Bis auf diesen mächtigen Baum, der mitten im Zimmer wächst. Es ist ein Ficus. Er streckt seine Äste weit von sich, wie die Arme eines erwachsenen Mannes. Die obersten Blätter biegen sich erst an der Decke herab. Hartwig Steinbrink fühlt sich hier wohl. Der Leiter des Umweltamtes kann die Ruhe des Baumes gerade gut gebrauchen, denn Steinbrink leitet in Essen die Operation „Konjunkturpaket II.“

Es steht viel auf dem Spiel. Die Bundesregierung hat insgesamt 37 Mrd Euro bereitgestellt. Davon sollen 14 Mrd Euro in das umfassenste Konjunkturprogramm der öffentlichen Hand seit Bestehen der Bundesrepublik gesteckt werden. Die große Koalition hat die entsprechenden Rahmenbeschlüsse in der vergangenen Woche gefasst. Jetzt geht es um die Details. Bis März soll der Bundestag über das Vorhaben abstimmen. Erst vor zwei Tagen traf sich Bundeskanzlerin Merkel mit ausgewählten Oberbürgermeistern, etwa aus Duisburg, um das Projekt Rettung zu besprechen.

In Essen brummt es in allen Abteilungen. Die Tochterfirmen der Kommune, die Eigenbetriebe, die Ordnungshüter, die Immobilienverwaltung, das Schulamt und alle anderen fahnden nach Vorhaben, auf die die Beschreibungen des Konjunkturpaketes passen. Es geht darum, einen möglichst großen Schlag aus dem Subventionstopf abzubekommen. Steinbrink ist als Leiter des Umweltamtes so eine Art Chef der Förderfirscher. Er muss den Informationsfluss kontrollieren. Er füttert die Abteilungen mit neuen Details aus Berlin, sobald wieder etwas durchsickert. Und sammelt dann die Ergebnisse. Einmal in der Woche muss er dem Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger rapportieren. Steinbrink: „Wir müssen möglichst schnell wissen, wie genau die Förderprogramme aussehen, und gleichzeitig verwaltungsintern die Entscheidungen vorbereiten, damit wir punktgenau in den Startlöchern stehen, wenn die Anträge gestellt werden können.“

Nach den bisher bekannten Plänen will der Bund selbst vier Mrd Euro investieren. Zehn Mrd sollen an die Länder ausgeschüttet werden. Diese wiederum sind verpflichtet, rund 2,5 Mrd Euro als Eigenanteil dazuzugeben und das Geld weitestgehend an die Kommunen weiterzureichen. Nach den Wünschen von Bundeskanzlerin Angela Merkel soll mindestens die Hälfte der Milliarden noch in diesem Jahr unter die Leute gebracht werden.

Wie genau das geschieht, darum kümmern sich Leute wie Hartwig Steinbrink aus Essen. Der Verwaltungsfachmann durchforstet die Details der Programme und stellt Faustrechnungen an. Der Königssteiner Schlüssel wird üblicherweise herangezogen, wenn Bundesgeld unter die Länder aufgeteilt wird. Nach diesem Schlüssel kann das Land Nordrhein-Westfalen mir ungefähr 21 Prozent der Gesamtsumme rechnen. Etwa 700 Mio Euro will die Landesregierung zur Sanierung der Universitäten abziehen. Bleiben für die Stadt Essen zwischen 50 und 60 Mio Euro – wenn das Restgeld nach dem Einwohner-Schlüssel an die Kommunen weitergereicht wird. Vielleicht ist es auch mehr, vielleicht weniger. Steinbrink will sich da nicht festlegen. „Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall ist es viel Geld.“

Doch dann beginnen schon die Probleme. Immer deutlicher wird sichtbar, dass die Bundesregierung ein restriktives Fördermanagement durchsetzen will. Statt den Kommunen freie Hand bei den Investitionen zu geben, werden Anträge, Berichte und Nachweise verlangt. 65 Prozent der Fördersummen sollen in die Bildung gesteckt werden. Vorrangig soll das Geld zur „energetischen Sanierung“ von Schulen und Kindergärten eingesetzt werden. Steinbrink reagiert auf die Vorgabe. Er lässt untersuchen, in welchen Kindergarten noch Regelanlagen für Heizungen eingebaut werden können, welche Schule neue Fenster braucht und wo ein Dach Dämmstoff vertragen kann. „Wir müssen auf etliches achten, damit das Geld nicht verschleudert wird“, sagt Steinbrink. Zunächst gelte es, zu klären, welche Maßnahmen Sinn machen und dann muss auch noch untersucht werden, ob es die Schule oder den Kindergarten in zehn Jahren überhaupt noch gibt. „Etliche Fachbereiche sind in die Auswahl der Projekte eingeschaltet.“

Zu tun gibt es genug. Da ist zum Beispiel die Karlschule in Essen-Altenessen. Das Gebäude stammt ursprünglich aus dem Jahr 1884. Danach wurde angebaut und umgebaut, bis im Weltkrieg Brandbomben das Gebäude zerfetzten. Aus den Trümmern wiedererstanden, wurde die Schule 1952 erneut eröffnet. Heute ist die Karlschule eine Grundschule mit zehn Klassen. Und der Baugrund verbesserungsfähig. Das gleiche Muster gibt es an duzenden anderen Schulen in Essen und im übrigen Ruhrgebiet. Etliche Gebäude stammen aus den Aufbruchjahren der Montanregion. Der Rest sind Nachkriegsbauten oder Zweckgebäude aus den Kinderreichen Siebzigern. Nur noch selten wird heute eine Schule im Westen neu gebaut. Eher werden die Häuser dicht zu machen, wegen Kindermangel.

Steinbrink schielt aber auch noch auf einen zweiten Förderblock. Und zwar sollen 35 Prozent der Gesamtsumme nach dem Wunsch der großen Koalition in Berlin in die Erneuerung der Infrastruktur fließen. Die Bundesregierung denkt daran, Krankenhäuser zu fördern, Straßen zu bauen und die Informationstechnologie zu unterstützen. Dinge, die sowieso gemacht werden müssen. Steinbrink denkt darüber nach, wie er besonders interessante Projekte definieren kann. Man könnte kaputte Straßen mit einem Flüsterasphalt neu zupflastern. Oder neue Daten-Leitungen legen.
Steinbrink will alle Ideen sammeln und in den nächsten Wochen eine Prioritätenliste aufstellen, was unter welchen Bedingungen realisiert werden soll.

Doch bis es soweit ist, müssen nach Ansicht von Steinbrink noch etliche Probleme gelöst werden. Die Förderprogramme des Bundes sollen als Zusatzinvestitionen wie ein Zuckerhut auf die Spitze der kommunalen Haushalte geschüttet werden. Sie sollen keine Sowieso-Ausgaben ersetzen. Gerade bei Städten, die mit einem Nothaushalt arbeiten müssen, wirft das Schwierigkeiten auf. Für die alten Projekte war bislang einfach kein Geld da. Steinbrink: „Die stehen zwar im Haushalt, waren bis jetzt aber nur Papiertiger.“ Mit den Millionen aus dem Konjunkturpaket ließe sich das ändern. Doch gelten diese Vorhaben dann als förderfähige neue oder als unwürdige alte Projekte? 

Auch bei der Umsetzung der Programme gibt es noch Unwägbarkeiten. Durch die strikten Richtlinien der Programme kommt nur wenige duzend Gewerke in Frage, die unmittelbar von den Zusatzinvestitionen profitieren können. Zudem können und sollen in den meisten Fällen Aufträge nur im engsten Umfeld der Kommune vergeben werden. Europaweite Ausschreibungen sollen ganz vermieden werden. Die entsprechenden Regeln wurden im Konjunkturpaket aufgeweicht.

Nur ein Beispiel: Wenn in einer Region wie dem Ruhrgebiet zeitgleich alle Städte ihre Schulen wärmedämmen wollen, freuen sich die wenigen Spezialisten, die das können. Sie schrauben ihre Preise hoch. Intern rechnet die Bundesregierung damit, dass ein kurzfristiges Wachstum je Branche in Höhe von 20 Prozent preisneutral verträglich ist. Sollte es zu mehr kommen, wird es schwierig. Damit stellt sich die Frage nach einer regionalen Koordinierung der Förderprogramme. Und nach einer möglichen Flexibilisierung. Beides ist ungeklärt.

Gleichzeitig tauchen immer mehr Forderungen an die Landesregierung auf, das Geld aus dem Konjunkturprogramm nur an Städte rauszurücken, die sich auf en gemeinsames Vorgehen einigen. So etwas fordert beispielsweise der Chef der RAG-Stiftung, Wilhelm Bonse-Geuking. Und Klaus Tenfelde von der "Intitiative Stadt Ruhr" wird sogar noch konkreter. Er will, dass Konjunkturgeld in den Öffentlichen Personennahverkehr fließt. Weil das allen Städten im Revier nutzt.

Steinbrink trägt einen Kinnbart und ein Cordjaket. Viele Details kann er noch nicht nennen. Welche Schule mit einem Segen rechnen kann und welche nicht. Aber wenn er unter seinem Raumhohen Ficus sitzt, denkt er manchmal drüber nach, ob Essen nach einem solchen Investitionsprogramm sein Gesicht verändern wird? Heute glaubt er eher nicht daran. Großprojekte wie ein neues Museum wird es nicht geben. Und nur die könnten tatsächlich den Eindruck einer Stadt verändern. Dafür dürften viele Menschen profitieren, die tatsächlich vor Ort die Gebäude nutzen. Die Schüler und Lehrer und Arbeiter. „Die merken das.“

In einer Studie kommen die Forscher des Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen zu dem Ergebnis, dass Konjunkturpaket der Regierung könne ein Erfolg werden. In diesem Jahr könnten demnach 125.000 Arbeitsplätze neu geschaffen oder gesichert werden.

Der unendliche Tod

Foto: David Schraven

An einer Eisenbahnbrücke in Bottrop stirbt Jürgen-Marcel durch die Hand eines Triebtäters. Dies ist die Geschichte, des Schmerzes, der bleibt.

Apfelkuchen. Zwei Stück Apfelkuchen mit Sahne stehen auf dem Tisch. Daneben Kaffee, Milch, ein Becher mit Zucker. Rechtsanwalt Jürgen Stoffers erzählt von seinem Sohn. Wie sie beide in einem Café gesessen haben, damals an einem Sonntag Ende der achtziger Jahre. Und wie groß der Jürgen-Marcel da schon war. Neun Jahre alt. So selbstständig. Kurz darauf schweigt Rechtsanwalt Stoffers. Ein Kinderschänder hat seinen Sohn ermordet. Mit einem Messer. Das war vor 20 Jahren. Stoffers sieht die Wunden immer noch. Da, wo die Klinge eindrang. Er schlägt seine Faust an die Schläfe, zweimal, und zwischen die Augen, einmal. Stoffers Augen sind trüb. In den Ermittlungsakten sind 19 Stiche dokumentiert. Sie gingen ins Gesicht, in den Hals, in den Brustkorb, in den Unterleib. Durch das Fenster sieht man auf eine stille Nebenstraße irgendwo im Ruhrpott. Es regnet, wie eigentlich immer um diese Jahreszeit.

Eine Eisenbahnbrücke in Bottrop. Auf der anderen Seite war mal die Kokerei Jacobi. Hier gab es eine Backsteinmauer, da waren Schienen und stinkende Öfen. Es gab einen Betonbunker und einen Bach. Der Morgen des 31. Januar 1989 war kalt. In den USA trat George Bush senior gerade sein Amt als Präsident an, in Bottrop begann der Straßenkarneval.An der Eisenbahnbrücke wurde der Sohn von Rechtsanwalt Stoffers gefunden. Tot, in vier grünen Müllsäcken, drei über dem Kopf, einer über den Beinen. Ein Polizist hatte den Jungen unter einem Haufen grauer Wackersteine entdeckt. Nach ein paar Tagen verschwand der Mord aus der Lokalpresse.

Autofahren sei heute das Gefährlichste für ihn, sagt Stoffers. Die langen Fahrten durch die Nacht, wenn die Gedanken fließen. Wie wäre es jetzt mit dem Jungen? Er könnte vielleicht Student sein. Was studiert er? Die Bilder des letzten Abschieds. Eine Umarmung, ein Versprechen: bis heute Abend. Ein Badeausflug. Ein Urlaub. Kinderlachen. Eis essen. Verstecken spielen. Ein Morgen im Bett. Vorlesen. Die erste Krankheit. Zusammen Fahrrad fahren. Toben. Dazwischen die Mörderfratze. Blutige Wunden. Die Gedanken vermischen sich zu einem Gefühl. Es drückt auf den Bauch, auf die Schläfen. Dann tauchen Bäume aus der Nacht auf, Lichter huschen über Brückenpfeiler. Einmal Lenken und das Ganze hätte ein Ende. Rechtsanwalt Stoffers blieb bisher auf der Straße.

Der Mord an seinem Sohn hätte verhindert werden können, sagt Stoffers. Der Täter heißt Lothar Otremba, damals 23, einschlägig vorbestraft. Otremba hat tiefe Aknenarben und einen schwarzen Schnauzbart. Sein damaliges Gewicht: 81 Kilo. Körperbau: muskulös. Seit seinem 14. Lebensjahr hat er mindestens 13 Kinder missbraucht, alle aus der Gegend. Den Sohn vom Schuldirektor hat er genommen. Den Jungen vom Metzger. Und ein paar Kinder aus einem Heim die Straße runter. Ein Serientäter. Zum Schluss war Otremba Gärtner auf dem städtischen Friedhof, eine ABM-Stelle. Er lebte in einer Bergarbeitersiedlung bei seinen Eltern, keine zehn Minuten vom Tatort entfernt.

Stoffers kann über seine Gefühle reden, jetzt, so viele Jahre nach dem Mord. »Die Zeit läuft nicht weiter«, sagt er. Die Wunden heilen nicht. Jedes Jahr hat den gleichen Ablauf. Es kommen Geburtstage, Namenstage, Weihnachten, Ostern, die Sommerferien, und mit den Wiederholungen kommen die Erinnerungen. Gerade Verschorftes reißt wieder auf. Die Gefühle leben weiter: Zweifel, Angst, Ohnmacht, Sorge und das Leiden. Nichts verschwindet. »An Jahrestagen fahren wir eigentlich immer weg, versuchen zu flüchten. Nur weg von diesen Orten, wo wir an ihn denken.« Das Ziel ist es, über den nächsten Tag zu kommen. Wenn wir heute nicht zerbrechen und morgen auch nicht, können wir in der Zwischenzeit leben?

Die Nachbarn sagen, Jürgen-Marcel sei ein fröhlicher Junge gewesen. Er sei gern auf seinem roten Rennrad durch die Gegend gefahren. Und er habe sich für Steine interessiert. In Bottrop findet man seltsame Abdrücke von Tieren und Pflanzen aus der Kreidezeit. Auch an Otremba erinnern sich die Nachbarn. Ein Rentner erzählt, dass er den Lothar oft gesehen habe, wenn er von der Arbeit kam. »Da ist er mit dem Fahrrad rumgefahren.Hinter den Blagen her.« Eine Frau hat mit dem Lothar gespielt, damals als Kind. »So richtig gehörte er nicht zu uns, aber die Mutter hat ihm Geld für Zigaretten gegeben. Deshalb haben wir ihn mitgenommen, auf den Spielplatz.« Was Schlimmes hat sich niemand gedacht. Ein Nachbar: »Der Lothar war immer still und hat vor sich hin gelächelt.« In der Siedlung nannten sie ihn deshalb »den lachenden Vagabund«.

Es gibt so viel zu sagen. Jürgen Stoffers schweigt. In seinen Augen stehen Tränen. »Wofür mache ich das? Wofür lebe ich?«, fragt Stoffers. Er ist Rechtsanwalt in Oberhausen. Er arbeitet viel. Um zu vergessen, sagt er. Seine Frau hat sich in ärztliche Behandlung begeben. Ein Loch ist in ihre Seele gerissen. Es will nicht heilen. Sie schweigt jetzt lieber. Das Ehepaar hilft ab und an Kindern aus einem Heim, ein paar Straßen weiter. Aber es ist nicht dasselbe. Es sind nicht seine Jungs. Stoffers denkt an sein Erbe. Das Heim könnte vielleicht mal alles bekommen. Oder eine Stiftung. Oder die Kirche. Irgendwer. Nur nicht der, für den es gedacht war.

Lothar Otremba wurde am 29. Juni 1965 geboren. Er wuchs in Bottrop auf. Im Wald hinter der Grundschule fing es an. Hier zwang Otremba kleine Jungs, Pfennige in die Hosentaschen zu stecken. Dann holte er die Pfennige raus und ließ dabei seine Hände über die Körper gleiten. Später blieb es nicht beim Befingern. Otremba machte eine Ausbildung als Tankwart. Und trank regelmäßig. Im Stadtpark holte er damals seinen Schwanz raus. Zwischen Dezember 1980 und März 1981 konnten ihm fünf Missbrauchsfälle nachgewiesen werden. Im Gerichtsverfahren kurze Zeit später stellte ein Gutachter fest: »Die soziale Prognose des Jugendlichen erscheint vorläufig als ungünstig. Sein Alkoholgenuss verstärkt die Gefahr, dass er bei einer Wiederholungstat die Kinder nicht nur durch Verführung zur Perversität erheblich schädigt, sondern eventuell zusätzlich durch gewalttätige Handlungen, die dem Zweck dienen, eine Entdeckung und erneute Bestrafung zu verhindern.« Otremba war da 16 Jahre alt.

Eine Karriere in geschlossenen Psychiatrien begann. Zwischendurch kurze Aufenthalte in Freiheit. Zeit für neue Verbrechen. 1985 missbraucht er innerhalb von drei Monaten sechs Kinder. Am Fernmeldeturm Katzenbruch zerrt er einen Jungen vom Fahrrad und flüstert ihm ins Ohr: »Willst du bluten?« Dann schlägt er ihm ins Gesicht. Und vergewaltigt ihn.

Am 4. Februar 1987 urteilt das Jugendschöffengericht II am Amtsgericht Duisburg: »Otremba ist eine ständige Gefahr für die Allgemeinheit.« Das Gericht lässt den Serientäter auf unbestimmte Zeit in einer psychiatrischen Anstalt wegschließen. Trotzdem kann Otremba zwei Jahre später Jürgen-Marcel umbringen. Warum? Die Antwort findet man beim Rechtsanwalt Paul Scheidt aus Bottrop. Der Jurist bestellte im Auftrag von Otrembas Mutter im Oktober 1987 einen Gutachter, der eine »günstige Prognose« sah. Die früheren Taten, alles nur Irrungen der Pubertät. Und weiter: »Ich bin der Ansicht, dass es zu verantworten ist, Herrn Otremba zu entlassen.« Es gab Gegenstimmen. Der behandelnde Arzt in der Klinik Eickelborn riet dringend von einer Entlassung ab: »Es sind weitere einschlägige Taten zu erwarten.« Es spielte keine Rolle mehr. Am 27. Januar 1988 verfügte das Landgericht Duisburg die Entlassung des Serientäters.

Erst nach dem Mord erzählte Otremba einer forensischen Gutachterin von seinen Träumen. Von Jungs in engen Badehosen, von abgerissenen Hoden und solchen Dingen.

Inzwischen wohnt Rechtsanwalt Scheidt nicht mehr in Bottrop. Sein Nachfolger in der Kanzlei sagt, er sei nach La Palma ausgewandert. Ruhestand genießen. Otrembas Gutachter ist vor ein paar Jahren gestorben. Auch Rechtsanwalt Stoffers und seine Frau Lieselgunde haben mal daran gedacht, aus Bottrop wegzuziehen, wo alle so nah aufeinander sitzen. Die Nachbarn, die Bekannten, die Eltern des Mörders und des Opfers. »Aber man kann nicht vor seinen Erinnerungen wegziehen«, sagt Stoffers. Jetzt haben sie ihre Wohnung renoviert, einen Wintergarten angebaut. Jürgen-Marcels Zimmer haben die Stoffers so belassen, wie es damals war. Ein Stillleben der Sehnsucht.

Im Kleingartenverein Beckramsberg hört man einen Rasenmäher. Es ist kurz nach der Mittagszeit. Rechts führt eine Gasse zur »Kornkammer«,
links in den Pilzweg. Keine dreißig Schritte von hier hat Jürgen Stoffers in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1989 das rote Rennrad seines Sohnes gefunden. Es lag in der Böschung runter zu den Schienen der alten Industriebahn. Jürgen-Marcel sollte um 18 Uhr zu Hause sein. Nachbarn sagen, man habe sich immer auf den Jungen verlassen können. Um 19 Uhr meldete Lieselgunde Stoffers ihren Sohn als vermisst, wenig später begann die Suche. Am nächsten Tag wurde der Junge tot gefunden. Kurz darauf erklärte ein Polizist aus Bottrop, in der Nähe wohne ein junger Mann, der früher einschlägig aufgefallen sei. Am Abend besuchten Ermittler das Elternhaus Otrembas. Der Sohn war nicht da. Noch in der Nacht stellte sich der Serienvergewaltiger in Begleitung eines Rechtsanwalts.

Das Grab von Jürgen-Marcel liegt auf dem Bottroper Westfriedhof. Ein Bronzekind mit den Gesichtszügen des Jungen, Spielzeug und Stofftiere. Drei Schritte breit, sechs Schritte lang. Der Rasen vor dem Grab ist abgelaufen. Rechtsanwalt Stoffers und seine Frau kommen nur noch abends hierher oder frühmorgens. Wenn niemand da ist. Das »Bedauertwerden« laste auf einem, sagt der Vater. »Aber manchmal, wenn ich in Gedanken laufe, weil ich keine Ruhe finde, dann stehe ich plötzlich vor dem Grab.« Rechtsanwalt Stoffers sagt, es fehle jemand, der nicht fehlen darf. Die Alten müssen sterben, irgendwann, das ist richtig. Jetzt ist alles durcheinander. In der Todesanzeige für ihren Sohn schrieben die Stoffers: »Eine Bestie hat uns durch einen grausamen Mord unser Liebstes, unseren Sonnenschein genommen.« Das Leben ist dunkel. Die Hoffnung auf einen besseren Morgen ist weg. Kein Kinderlachen, kein Enkellachen. Jeder neue Tag ist nur ein Tag mehr in der Vergangenheit.

Die Otrembas sind einfache Leute. Der Vater war Bergmann auf einer Bottroper Zeche. Die Mutter Hausfrau. Beide kamen in den fünfziger Jahren aus Oberschlesien. Drei Kinder haben sie. Die beiden Mädchen wurden Verkäuferinnen in einer Trinkhalle. Und eben der Junge. Mutter Otremba habe den kleinen Lothar besonders geliebt, sagen die Nachbarn. Was heißt besonders? Da ist diese Sache mit dem Affen, die Otremba den Ermittlern erzählte. Als er 14 Jahre alt war, wollte Otremba einen Affen. Die Mutter hat ihn gekauft. Einen Kapuziner im Wert von 1500 Mark, fast so groß wie ein kleiner Junge. Das Tier kam in den Keller, in einen zwei Mal zwei Meter großen Käfig. Eigentlich wollte Otremba ja einen Schimpansen haben, aber das war zu teuer. Stundenlang saß Otremba vor den Gitterstäben und sah dem Affen zu, »wie er
onanierte«. Die Mutter hat das Tier verkauft, als Otremba in die Klinik kam.

An der Brücke zur Kokerei Jacobi steht heute ein Wegekreuz. Daneben ein Granitstein und eine Bronzetafel: »Jürgen-Marcel wurde im Alter von 9 Jahren am 30.1.89 nahe dieser Stelle ermordet. Wir gedenken seiner in Liebe.« Sonst erinnert hier wenig an damals. Die Kokerei ist verschwunden. Die Backsteinmauer ist weg. Selbst die Schienen gibt es nicht mehr. Die Zeit hat das Gesicht der Gegend verändert. Nur wer sucht, findet noch Spuren. Unter den Brückenpfeilern liegen die Wackersteine, unter denen der Junge verscharrt lag.

Aus den Ermittlungsakten lässt sich der Tathergang rekonstruieren: Am Abend des 29. Januar 1989 war Otremba zu Hause. Spätabends trank er eine Flasche »Frühstückskorn«, danach schlief er ein. Am 30. Januar stand Otremba um 5:30 Uhr auf. Er trank bis gegen 11 Uhr Asbach mit Cola. Um 13 Uhr verließ er das Haus. Auf dem Fahrrad fuhr er in den Stadtpark. Otremba erzählte den Ermittlern, er habe »nach Jungs gesucht, denen ich auf die Hose schauen kann«. Er folgt zwei Frauen mit ihren Söhnen, beide etwa zehn Jahre alt. Otremba hat ein Messer bei sich, Klingenlänge 14 Zentimeter. Und vier Müllsäcke. Otremba geht zum Friedhof, wo er seinen letzten Job hatte. Hier trifft er zufällig Jürgen-Marcel. Der Junge will Steine suchen. »Ich kann dir zeigen, wo man was Spannendes findet«, sagt Otremba. Jürgen-Marcel geht mit. Sie gehen die Schienen entlang, nähern sich der Eisenbahnbrücke. Otremba stürzt sich auf das Kind.

Nach der Tat bleibt er auf dem Jungen liegen. Otremba erzählt, das Kind habe zuvor gefleht: »Sie können mein ganzes Geld haben, aber bitte tun Sie mir nichts.« Dann habe Jürgen-Marcel geweint, sagt Otremba. Warum hat er das Kind ermordet? Der Junge habe gesagt, er leide an Aids. »Da bin ich wütend geworden«, sagt Otremba. 17 Jahre sind vergangen.

Rechtsanwalt Stoffers sitzt in einem Haus irgendwo im Ruhrgebiet und denkt darüber nach, was passieren würde, wenn er Otremba jetzt begegnen würde. Stoffers hat graue Haare, hängende Schultern und die mageren Hände eines Mannes, der mit Büchern arbeitet. »Ich würde ihn totschlagen«, sagt er spontan. »Danach wäre er wenigstens keine Gefahr mehr.« Es regnet weiter im Ruhrgebiet.

Der Aalhäcksler: Die Geschichte eines Greenpeace-Kraftwerkes

Montage: Weserkraftwerk in Betrieb. Links die Turbinen

Ich schreibe hier über gutes und über schlechtes. Über eine Abwägung und eine Entscheidung. Möge jeder selbst beurteilen, was für ihn das wichtigste ist.

Die Luft ist in diesen Tagen an der Bremer Weser diesig. Man kann kaum die Baustelle bei Flusskilometer 362 sehen. Neben ein paar Spundwänden steht ein Bagger. Die Arbeit ruht offensichtlich. Erst im Frühling soll es weitergehen, wenn das Wetter wieder freundlich wird, heißt es.

Die Baustelle ist etwas besonders. Hier errichten Planer von Greenpeace unter dem Schutz des Staates Bremen gemeinsam mit Partnern aus der Ökobranche und den kommunalen Stadtwerken das größte Wasserkraftwerk im Land. Die Anlage ist mehr als nur ein Energielieferant. Wie ein Leuchtturm soll von hier aus ein Signal ausgehen: das rot-grüne Projekt lebt noch. Denn im Land Bremen regiert die letzte Koalition von SPD und Grünen in der Bundesrepublik.

Besonders der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) freut sich über das Bauwerk: „Für uns hat das Weserkraftwerk eine herausragende Bedeutung.“ Eines Tages soll jeder zehnte Bremer Haushalt saubere Energie aus dem Fluss beziehen. Ein Sprecher der ausführenden Greenpeace-Tochter Planet Energy lobt zudem, dass die Stadtwerke Bremen den Ökostrom in einem besonderen Ökotarif vermarkten wollen. „Das ist ein Vorbild für andere Projekte.“

Doch auf den zweiten Blick hat der Leuchturm ein rissiges Fundament. Die Weser ist ein Strom. Ihre Quellen und Zuflüsse führen Wasser vom Harz, von Bayern und Hessen aus, quer durch die Republik bis in die Nordsee. Das Weserkraftwerk soll an einem Wehr aus dem Jahr 1993 erbaut werden. Damit die Turbinen laufen können, müssen hier die Stauklappen geschlossen bleiben. Was auf den ersten Blick unbedenklich erscheint, erweist sich als ökologisches Problem. Mit dem geschlossenen Wehr wird der Zugang zum Meer versperrt. Kein Fisch kann hier frei passieren.

Dabei sind gerade bedrohte Arten wie Lachs, Aal oder Meerforelle auf den freien Zugang zum offenen Wasser angewiesen. Kommen sie nicht durch, können sie sich nicht fortpflanzen. Der Lebenskreislauf wird unterbrochen, das Ökosystem Weser verarmt.

Die Planer der Greenpeace-Firma Planet Energy haben das Problem erkannt. Gemeinsam mit der Firma Tandem wollen sie ein neues Schutzsystem im Weserkraftwerk installieren. Fische, die vom Meer in den Fluss aufsteigen, sollen über eine so genannte Fischtreppe das Wehr passieren. Arten, die in die See abwandern, sollen über moderne Rechen, Röhren und Abflussrinnen einen Weg an den Turbinen im Kraftwerk vorbei finden. Ein Sprecher von Planet Energy sagt: „Ich glaube, dass dieses Kraftwerk einen beispielhaften Fischschutz für ganz Europa hat.“ Soweit die Theorie.

Doch manche Forscher glauben nicht daran, dass die Pläne von Greenpeace aufgehen. Besonders der Aal ist in ihren Augen gefährdet. Beate Adam vom Institut für angewandte Ökologie gilt als eine der wenigen Experten weltweit, die sich mit dem Verhalten der Spezies auskennt. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem rätselhaften Fisch.

Alle Aale der Welt stammen aus der atlantischen Tiefsee in der Nähe der Bahamas-Inseln. Hier liegt bei 30 Grad nördlicher Breite und 60 bis 75 Grad westlicher Länge die Sargossasee. Das Gebiet am Rande des Golfstroms ist größer als Mitteleuropa. Das Wasser ist ruhig, fast bewegungslos. Es liegt da wie das Auge eines riesigen Wirbels. Hier paaren sich die Aale irgendwo in mehreren hundert Metern Tiefe. Niemanden ist es bisher gelungen aufzuklären, wie das geschieht, wie die Fischeier sich entwickeln, wie die Larven schlüpfen. Forscherin Adam sagt: „Wir wissen nur, dass die schon etwas größeren Aale, die so genannten Glasaale im Alter von etwa drei Jahren mit dem Golfstrom an die europäischen Küsten kommen.“ Hier wandern die Jungtiere Flüsse und Bäche hinauf, um sich im Süßwasser weiterzuentwickeln. Nach etwa zwölf Jahren spüren sie plötzlich und unerklärbar einen Trieb, erklärt Adam. Als so genannte Blankaale lassen sie sich flussabwärts ins Meer treiben, um in der Tiefe zurück in die Sargossasee zu schwimmen.

An einem Rechen verendete abwandernde Aale aus nur einer Nacht. Foto: Adam

Jahrtausende funktionierte dieser Kreislauf ungestört. Aale galten als Brottiere der Fischer. Aber das ist vorbei. Seit ein paar Jahren schwinden die Bestände dramatisch. Die europäischen Küsten erreicht nur noch ein Prozent der Glasaale, die hier vor dreißig Jahren ankamen. Aufgrund des Schwunds steigt der Preis für Jungtiere. Vor zehn Jahren kostete jedes Kilo Glasaale fünfzig Mark. Heute liegt der Preis bei 800 Euro – wenn man welche bekommt.

Im Herbst 2007 erkannte die Europäische Union das Problem. Der Aal ist vom Aussterben bedroht. In einer eigenen EU-Richtlinie wurden alle Tiere unter Schutz gestellt. Besonders der Lebensraum der Fische soll gesichert werden, damit die Aale ungestört in die europäischen Flüsse auf- und absteigen können.

Nach Ansicht von Adam wird das Kraftwerk in Bremen dafür sorgen, dass kaum noch ein Aal aus dem Harz, Hessen oder Bayern zurück ins Meer findet. Der Kreislauf des Lebens wird in den Turbinen unterbrochen. Im wörtlichen Sinne. Adam: „Die Rückgrate der Fische werden zerbrochen, Körperteile zerfetzt oder lebensbedrohlich beschädigt. Das Bremer Kraftwerk verstopft den Flaschenhals zwischen Wesersystem und Meer.“

Die Planer der Anlage sehen das nicht so. Sie verweisen auf neuartige Rechen, die vor den Turbinen sitzen. Mit einer Spannweite von „nur“ 25 Millimetern werde verhindert, dass die Aale in die Kraftanlage schwimmen könnten, sagt der Projektleiter Dietrich Heck. Die Fische würden in einen Ablaufrinne und in ein Bypasssystem umgeleitet. „Unser Anspruch und der von Greenpeace ist es, ein Konzept aufzustellen, das Maßstäbe im Fischschutz setzt.“

Forscherin Adam sagt, männliche Aale seien viel kleiner als weibliche Aale. Laborversuche hätten gezeigt, dass nur eine Spannweite von 15 Millimetern die männlichen Fische davon abhält, sich durch die Rechen zu zwängen. „Die Fische versuchen verzweifelt weiterzukommen.“

Planer Heck hält das nicht für einen Beweis. In Adams Laborversuch hätten die Fische keine Chance gehabt, durch einen Abfluss zu verschwinden, wie er im Wasserkraftwerk geplant ist. Zudem sei das in Bremen eingesetzte Verfahren einzigartig in der Welt.
Forscherin Adam sagt, die Bremer Ideen seien einzigartig, weil sie keiner wegen ihrer Unsinnigkeit umsetzen würde. „Abwandernde Aale lassen sich treiben, schon bei geringer Strömung haben sie nicht mehr die Kraft sich neue Wege zu suchen.“

Fischereiverbände entlang der Weser haben gegen das Projekt geklagt. In den Planungsbeschlüssen finden sich seltsame Passagen. So wurden Forschungsberichte nachweislich falsch zitiert. Nur ein Beispiel: So heißt es, Versuche von Adam hätten gezeigt, dass Aale Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern nicht durchschwimmen würden. Die Forscherin bezeichnet das als Quatsch. Sie habe im Gegenteil in ihrer Forschungsarbeit geschrieben: „Ein deutlich größerer Teil der Aale jedoch zwängte sich Schwanz oder auch Kopf voran zwischen den Rechenstäben hindurch.“

Ein Aal zwängt sich durch einen Rechen mit einer Spannweite von 20 Millimetern Foto: Adam

Erst Anfang der Woche konnte der Niedersächsische Sportfischerverband einen Teilerfolg gegen das Kraftwerk erringen. Seine Klage wurde vom Oberverwaltungsgericht Bremen angenommen. Das Ziel des Verbandes ist es, die Europäische Aalschutz-Richtlinie durchzusetzen. Und damit neue Investitionen in den Fischschutz möglich zu machen.

Doch das würde neue Millionen kosten, die niemand bezahlen will. Schon jetzt ist das 40 Mio Investment an der Grenze des Möglichen. Die Bauarbeiten des vor acht Jahren initiierten Projektes haben sich mehrfach verzögert. Die Planer streiten sich mit dem Bauunternehmer um Zahlungen. Greenpeace kommt seit Monaten nicht damit voran, Anteile an dem Kraftwerk im Wert von 20 Mio Euro über einen Ökovertrieb an interessierte Bürger zu verkaufen. Neue Probleme will keiner in Bremen. Mehr Schutz für die Fische? „Das kostet Geld“, sagt Planer Heck: „Es gilt einen Kompromiss zu finden zwischen dem was wirtschaftlich machbar ist und dem Schutz der Fische dient.“

Wenn man mit den Fischern in Bremen spricht, spürt man Resignation. Zu dicht ist das Gewebe von rot-grün und den Öko-Investoren im kleinsten Bundesland. Der Präsident des Niedersächsischen Sportfischerverbandes, Peter Rössing, setzt kaum noch Hoffnung in die Unabhängigkeit der Justiz. „Das Kraftwerk ist politisch gewollt.“ Die Richter seien im Stadtstadt abhängig vom Senat. „Wir müssen bis zum Bundesverwaltungsgericht kommen, damit wir den politischen Druck loswerden“,

Heike German vom Bremer Fischereiverband ist ähnlich verhalten. Es sei zwar richtig, die alternativen Energien zu fördern, aber es müsse auch für den Erhalt der heimischen Tierwelt gesorgt werden. „Das hält sich hier nicht die Waage. Greenpeace sagt: Rettet die Wale, aber sie schützen nicht unsere Fische.“

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Stinkende Probleme bei der AGR-Entsorgungs-Tochter DAR

In Herten beschweren sich derzeit duzende Bürger über ihren müffelnden Nachbarn, die AGR-Entsorgungstocher DAR. Zur Erinnerung: die AGR steckt in diversen finanziellen Zwickmühlen und gehört ansonsten dem Regionalverband Ruhr, RVR.

Die betroffenen Nachbarn in Herten stören sich am Gestank, der an der Hohewardstaße über Mauern und Zäune der DAR zieht. Nach Angaben der Hertener Grünen werden auf dem Gelände offensichtlich große Mengen von Abfall gelagert. Unzählige Möwen würden den Müll nach fressbarem durchpicken. Dazu sollen Ratten über die Dreckhaufen flitzen. So eine Art Neapel Außenstelle Herten-Nord. 

Nun gut. Die Grünen berichten, sie hätten bei einer Ortsbesichtigung gesehen, wie der Plastikmüll ungesichert auf dem Gelände vor sich hin gammelt. Die Hallen seien so überlagert, dass der Dreck aus den Zwischenräumen quillt.

Und weil Anwohner-Beschwerden bei der Stadt nicht gebracht hätten, habe man die Bezirksregierung in Münster eingeschaltet. In der kommenden Woche soll es erste Gespräche zwischen Grünen, Anwohnern und Bezirksregierung geben. Wir werden über die Ergebnisse berichten.

Hier nun einige Impressionen vom Gelände der AGR-Müllfirma-Tochter DAR: 

Ein Mann betritt den Ring

Foto: presseportal

Manchmal, wenn die Nacht am tiefsten ist. Wenn alles nur noch grau und schwarz erscheint, kommt plötzlich ein Lichtstrahl aus einer unerwarteten Richtung. In diesem Fall ist der Lichtstrahl rund Einmetersiebzig hoch, 67 Jahre alt und hat einen Hang zum Übergewicht. Die Rede ist von Wilhelm Bonse-Geuking und der Debatte um das einheitliche Ruhrgebiet.

Gestern abend stellte sich der Chef der RAG-Stiftung bei seinem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf als Mann mit Ambitionen für das Ruhrgebiet vor. Er hielt eine erste politische Grundsatzrede, in der er von allen Verantwortlichen im Pott unverblümt mehr Kooperation einfordert. Damit nicht genug. Der Ex-Manager der Veba und BP, der gelernte Bergmann und Wirtschaftslenker bringt Ideen mit.

Und das ist ein heller Hoffnungsschimmer. Denn nach dem Ausscheiden der WAZ aus der Ruhrgebiets-Debatte drohte die Suche nach einer Idee für die Ruhrstadt zu versanden. Es schien, als wäre die Frage nach der richtigen Lösung für den Pott nur noch etwas für alte Männer mit dem Hang zum Idealismus. Eine staubige Sache für staubige Menschen.

Geschenkt, auch RAG-Chef Bonse-Geuking ist ein alter Mann. Aber zumindest in seiner Position ist er jung. Die Stiftung hat erst seit wenigen Monaten Geld, um ihren Auftrag zu erfüllen, das Revier auf den Ausstieg aus dem Kohlebergbau vorzubereiten.

In seiner Analyse geht der Mann aus der Wirtschaft weit. Er sagt, die Region leide daran, dass zu viele Leute etwas zu sagen hätten und doch nur ihre eigenen Interessen verfolgen würden. Das Gesamte gerate ihnen zu oft aus den Augen. Er sagt, seit über 50 Jahren sei die Frage unbeantwortet: „Wo liegt die Zukunft der Ruhr?“ Und das will er ändern.

Er plädiert dafür, einen gemeinsamen Sinn zu finden. Ein Ziel zu definieren, dass es zu erreichen gelte. Erst wenn man das geschafft habe, sei es möglich eine Prioritäten-Liste aufzustellen, was zu welchem Zeitpunkt zu geschehen habe.

Bonse-Geuking beschreibt das Grundproblem in der Schwäche eines gesunden Mittelstandes, aus dem die Kreativität für den Wandel kommen könnte. Diese innovative Schicht sei „unterentwickelt, viel mehr als anderenorts in NRW.“ Die Menschen hätten sich stattdessen viel zu lange auf die Stärken der Großindustrie verlassen. Er gibt ein Beispiel, das ich gerne in ganzer Länge zitiere:

Bei einer Adventsfeier des Bergwerks Prosper Haniel sang ein eindrucksvoll frischer, fröhlicher Chor junger Bergleute unter anderem das schöne Lied: „Glückauf ihr Bergleute jung und alt.“

Darin gibt es eine Strophe, in der heißt es: „nun lobt die werte Obrigkeit, die für uns sorgt und fürderhin zu sorgen ist bereit.“

Die Erwartung, die da oben werden schon für uns sorgen, ist nach meinem Eindruck tief in der Mentalität des Ruhrgebietes verankert.

Und dann sagt Bonse-Geuking:

Wie erreichen wir den Mentalitätswandel?

Bonse-Geuking will die Menschen erreichen, will sie mitnehmen auf die Reise in die Zukunft. Er will ein gemeinsames Ziel finden und dieses verfolgen. Dazu sucht er nicht die eine zentrale Steuerung, aber einen ordnenden Gedanken, der für alle eine Gewinner-Position schafft.

Viele kennen diese Worte und denken an die Summe der Einzelteile, die nie im Ruhrgebiet ein Ganzes gab. Viele werden an die Versuche der Projekt Ruhr GmbH unter Hanns-Ludwig Brauser erinnert, der alle Oberbürgermeister und Landräte zusammenholte, um einen Plan für das Ruhrgebiet zu entwerfen. Bei diesem Scheitern kam eine Sammlung von individuellen Wünschen heraus, die wenig Gemeinsames brachte. Dafür Millionengräber wie den Ruhrpiloten oder das Projekt Digitales Ruhrgebiet.

Bonse-Geuking denkt als Realist weiter. Er sagt, man müsse zur Not die Gemeinden zu ihrem Glück zwingen. Das gehe relativ einfach. Wenn man nämlich Zuwendungen von gemeinsamen Ideen abhängig mache. Etwa beim Konjunkturpaket II, das in wenigen Wochen und Monaten  über 2 Mrd Euro nach Nordrhein-Westfalen spülen soll.

Bonse-Geuking sagt, er wünsche sich, dass es eine „zentrale Priorisierung“ für das Geld gebe. Es müsse nach dem Grundsatz verfahren werden: „wo erreichen wir den größten Nutzen für das Ruhrgebiet als Ganzes?“

Dies ist in meinen Augen ein großer Wurf.

Momentan suchen alle Städte nämich für sich alleine nach Möglichkeiten, das versprochene Geld zu investieren. Niemand hat bisher davon gesprochen, die Millionen für gemeinsame Ziele auszugeben. Auch der Chef des Regionalverbandes Ruhr, Heinz-Dieter Klink nicht, von dem man soetwas hätte erwarten können, wenn er das Format dazu hätte.

Bonse-Geuking aber sagt: „Wir brauchen ein Ziel und eine Strategie für das Ganze.“ Die Oberbürgermeister und Landräte im Revier werden diese Sätze beunruhigen, genauso wie den verschlafenen Direktor des Regionalverbandes.

Hier ist einer der Ideen hat, der führen will und es auch kann. Dass Bonse-Geuking zudem als RAG-Stiftungs-Chef Macht hat und über Einfluss bis in die NRW-Landesregierung hinein verfügt, macht aus der Unruhe vielleicht Sorge.

Was ist, wenn Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) die Idee aufnimmt?

Vieles ist denkbar.

Selbst für die Stiftung gibt sich Bonse-Geuking ein politisches Programm. Er will mit seinen Mitteln über die RAG Immobilientochter und die RAG Flächenverwaltung Pilotprojekte initiieren, die zeigen, was man erreichen kann. Wie man Viertel aufwecken kann aus dem Tiefschlaf. Wie man Bildung zu jungen Leuten bringt nd Aufbruchstimungen erzeugt. An diesen Erfolgen wollen dann alle teilhaben, ist sich der politische Manager sicher.

Ich drücke Bonse-Geuking die Daumen, dass er seine Träume nicht aufgibt, sondern die Kraft findet, sie durchzusetzen. Mich freut es ungemein, dass sich hier ein neuer politischer Kopf in den Ring gestellt hat. Die Punkte werden ab jetzt neu vergeben.

WAZ feiert Zuschauerzahlen bei NRW.TV

Die WAZ-Gruppe freut sich. Der Sender NRW.TV, an dem der Konzern eine Beteiligung hält, hat seine Zuschauerzahl innerhalb eines Jahres verdoppelt. Jeden Tag würden nun 530.000 Menschen den Spartenkanal einschalten, heißt es in einer Erklärung. Ich finde, das ist nicht viel: kann man das überhaupt in Marktanteilen in der relevanten Zielgruppe ausdrücken? Egal, dem WAZ-Konzern scheint es zu reichen. Es heißt, das werbefinanzierte NRW.TV habe zudem im vergangenen Jahre einen Gewinn gemacht. Wie hoch der ist, wurde nicht mitgeteilt. Wenn ich die Angaben später bekomme, baue ich sie noch ein.

Der Chefredakteur der „Neuen Ruhr / Neuen Rhein Zeitung“, Rüdiger Oppers, ist als Ex-WDR-Sprecher einer der NRW.TV-Geschäftsführer und zudem verantwortlich für das gesamte Fernsehgeschäft der WAZ-Gruppe. Er sagt: „NRW.TV ist für uns ein wichtiger strategischer Baustein in der crossmedialen Vernetzung von Zeitung, Radio und Internet. Wir werden diesen Erfolg weiter ausbauen und in 2009 im Bereich Information und Unterhaltung weitere programmliche Ideen und Akzente setzen.“ Ich bin gespannt. Wie ich gehört habe, wird für Beginn des Jahres dazu ein großer Aufschlag vorbereitet. Doch dazu später mehr…..

Reitz tritt im Namen der NPD auf

Der vorbestrafte Rechtsradikale Axel Reitz will im Rhein-Erft-Kreis auf dem Ticket der NPD für das Amt des Landrates kandidieren. Das besondere daran? Axel Reitz ist wegen Volksverhetzung bei einer Demonstration gegen den Bau der Bochumer Synagoge zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Eigentlich hätte er bis April 2009 sitzen müssen. Reitz kam aber nach einem Bericht der Seite indymedia  bereits über ein Jahr vor Ende der Frist aus dem Kast.

Nach Verbüßung der Strafe trat er vor kurzem in Passau als Redner auf und bezeichnete Demokraten als "Minusmenschen". Den dortigen  Polizeichef Mannichl werde weiterhin der Zorn der rechtsextremen Szene treffen. Zur Geschichte von Reitz gehört noch, dass er Adolf Hitler für den letzten legitimen Kanzler Deutschlands hält und dass er als "Gauleiter Rheinland" für den neonazistischen "Kampfbund Deutscher Sozialisten" auftrat. In der Szene gilt Reitz als "Prominazi". Seine Kandidatur im Namen der NPD belegt, wie eng die Verbünde zwischen der Neonazi-Szene und der NPD in NRW geworden sind.

Davon ab, outet sich Reitz auch als ziemlicher Querkopf. So tritt er für eine begrenzte Zusammenarbeit der Nazis mit extremistischen islamischen Organisationen in Deutschland ein. Zitat aus einem Interview mit dem freien Widerstand bergisches Land: 

Viele Religionsfanatiker und aggressive Migranten sehen im Islamismus den Hebel mit dem sie die westliche Welt aushebeln können und bedienen sich der Religion als Mittel im Kulturkampf gegen die westliche Dekadenz. Diesem Kampfziel können auch wir als Nationalsozialisten und Nationalisten vorbehaltlos beipflichten.

Wieder eine dieser ziemlich wirren Fronten im Kampf der Kulturen. Linksextreme Antisemiten verbünden sich mit Hamasaktivisten und Neonazis, während Antifa-Antideutsche für Israel provozieren. Alle wollen eines: die weslliche Dekadenz überwinden. Da bin ich doch gerne dekadent in meiner warmen Bude.

Interessant ist noch, dass Reitz im Rhein-Erft-Kreis offenbar gegen die rechtsdrehende pro NRW-Fraktionsvorsitzende Judith Wolter kandidiert. Das ist ziemlich gut so, denn dann jagen sich die Rechtsextremen gegenseitig die Stimmen ab und verschwinden hoffentlich in der nächsten Spaltung.

Die Grüne Jugend fordert nund den Landeswahlleiter auf von der Wahlliste zu streichen. "Reitz darf als bekennender Antisemit und wegen seiner Vorstrafen nicht als Wahlbeamter kandidieren. Entsprechende Urteile der Verwaltungsgerichte in Mecklenburg-Vorpommern müssen umgesetzt werden", sagte die Chefin der jungen Grünen Verena Schäffer.

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Von Oben: Obama

Eine sehr nette Nummer gibt es bei Geoeye. Die Jungs haben die komplette Obama-Party aus einem Satelitten abgeknipst. Sieht beeindruckend aus. Auch wenn mir in den letzten Reihen Lücken auffallen. Wer hat da geschwänzt?

X ist Präsident

Barack Obama ist jetzt Präsident. Mit dem Eid auf die Lincoln-Bibel endet sein Wahlkampf. Nun muss er handeln.

Bislang gab er die Projektionsfläche. Die Menschen wollten das. Sie legten Ihre Hoffnungen auf ihn. Und Obama hat sie motiviert.

Ich habe gesehen, wie In Washington Leute an den Straßenrändern den Müll der vergangenen Jahre aufgesammelt haben. Auch Sektflaschen. Sie sagten: Mit Barack kommt eine neue Zeit.

Doch wer ist Obama wirklich. Wer ist dieser Mister X?

Ich bin gespannt.

Ich will es wissen. Mir ist klar, dass nach der Zeit der Freude und der Begeisterung nun die Zeit der Enttäuschung anbricht. Obama wird Menschen verletzten. Jeden Tag mehr. Er wird weder den Weltfrieden bringen, noch den Planten retten. 

Ich denke, wir müssen genügsam sein. Hinter dem X wird nur ein normaler Politiker hervortreten, mit seinen normalen Schwächen.

Barack Obama hat damals Nachbarschaften organisiert in Chicago. Er hat den Leuten erklärt, wo die Vorteile liegen, wen sie zusammen die Zukunft aufbauen. Schulen zum Beispiel, Kindergärten oder Parks. Vielleicht will er auch die Welt so ordnen, wie eine Nachbarschaft.

Schließlich sind wir ja so was in der Art auf diesem Planeten. Nur größer und komplizierter.

Vor einiger Zeit hat Neil Young in seinem Studio überlegt, wer Obama ist. Seine Antwort war: "Er ist eine Chance." Mehr nicht. Aber auch das wäre ein Ansatz.