Foto. flickr.com / Mananis Welt
In der vergangenen Woche war ich bei Leiharbeitern unterwegs. Es war traurig, was ich gesehen habe. Womit Menschen leben müsen, welche Verträge sie unterschreiben sollen und unterschreiben.
Ich fang an Abdelmajid Hadjeri. Der 58-jährige hat eingefallene Wangen, graue Haare und dunkle, traurige Augen. Er scheint einer der Menschen zu sein, die lieber schweigen, als zu reden. Abdelmajid Hadjeri ist gelernter Maschinebautechniker. Als Facharbeiter hat er 35 Jahre in Fabriken gearbeitet. Wegen einer Erkrankung musste er in Frührente. Weil die zu klein ist, muss er sich etwas als Leiharbeiter dazu verdienen. Hadjeri lebt in Wuppertal, in einer kleinen Wohnung mit seiner Frau. In der Lokalzeitung fand er ein Jobangebot bei einer Zeitarbeitsfirma. Er fuhr hin.
Was Hadjeri dann erlebte, ärgerte ihn so stark, dass der Mann anfängt zu sprechen: „Wir prangern Kinderarbeit und Ausbeutung in der dritten Welt an. Doch hier in Deutschland haben wir Hungerlöhne.“
In einer Eidesstattlichen Versicherung, die mir vorliegt, beschuldigt Hadjeri die Firma Gens Personalmanagement in Wuppertal ihm einen Stundenlohn in Höhe von 2,71 Euro Brutto als Fahrer angeboten zu haben. „Ich sollte drei Schichten von Leiharbeitern zur Arbeit fahren und wieder abholen“, sagt Hadjeri. „Sie sind nicht der erste, der für diesen Lohn arbeitet, haben sie mir gesagt. Sie suchen Arbeit, nicht wir.“ Dann sei ihm noch ein Extraverdienst von 20 Cent Brutto je gefahrenen Kilometer in Aussicht gestellt worden, wenn er für die Arbeit seinen Privatwagen nutzen würde. Hadjeri wiederholt: „20 Cent Brutto“. Die Firma Gens wollte den Fall nicht kommentieren.
Leiharbeit ist in Deutschland seit der Liberalisierung unter dem damaligen Arbeitsminister Wolfgang Clement ein großes Geschäft geworden. Ursprünglich sollten Firmen durch die flexible Arbeit schnell ein paar Hände anheuern und feuern können, je nach Bedarf Die Idee im Sinne der Agende 2010 war es, damit eine Brücke in den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose zu bauen. Tatsächlich aber leiden selbst die Stammbelegschaften unter der Mietarbeit.
Seit 2003 ist jede dritte neue Stelle ein Job in der Leiharbeit. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im Sommer über 720.000 Menschen in der Zeitarbeit aktiv. Dabei werden die Arbeiter nicht direkt in einer Fabrik beschäftigt, sondern bei Personalagenturen, die dann ihre Arbeiter in die Produktion ausleihen.
Jetzt, seit Beginn der Krise werden rasant Zeitarbeiter entlassen. Christian Iwanowski von der IG Metall in Düsseldorf schätzt, dass allein in den vergangenen drei Wochen mehrere zehntausend Leiharbeiter ihren Job verloren haben. „Die Zahl der Beschäftigten ist sicherlich weit unter 700.000 gefallen.“ Besonders die Kollegen in der Automobilbranche seien betroffen. „Wenn eine Leihfirma ihren Auftraggeber verliert, kann sie ihre Arbeiter nur in seltenen Fällen in einem anderen Werk unterbringen. Dann werden die Leute frei gesetzt.“
Man kann das auch anders ausdrücken. Der Bundesverband der Zeitarbeitsfirmen lobt die Leihmalocher als Puffer für eine atmende Fabrik: Wenn die Fremdfirmen im Abschwung aus der Produktion abgezogen würden, könnten schließlich Stammarbeitsplätze gesichert werden.
Manchmal ist das auch völlig OK. Es gibt hochqualifizierte Ingenieure in Leiharbeitsfirmen, die sich über die größere Unabhängigkeit bei ihren Vermietern freuen. Und leicht neue Jobs finden, wenn das nötig wird.
Aber es gibt die Massen der anderen Malocher. Die am unteren Ende der Nahrungskette stehen. In Köln wurden gerade 370 Leiharbeiter auf einen Schlag entlassen. Ford hatte keine Jobs mehr.
In Bochum ist es kalt an diesem Morgen. Novemberkalt und es regnet. Dieter Reinhard kommt aus dem Tor der Firma Johnson Control in Bochum, Haldenstraße. Er dreht sich kurz um und geht zur Bushaltestelle. Das erste was an ihm auffällt, sind seine Hände. Die Finger sind dick, geschwollen, aufgeplatzt. Reinhard arbeitet hier beim Autozulieferer Johnson Control am Band. Er zieht Schaumstoff über Autositze, krempelt die Ränder um. Dabei reiben sich die Handrücken im Stoff. „Irgendwann blutet es. Danach bildet sich Hornhaut. Dann tut es nicht mehr so weh“, sagt Reinhard.
Er will nicht seinen Job verlieren. Deswegen macht er weiter. Jeden Tag. Für 6,53 Euro in der Stunde. Brutto. Reinhard hat jetzt gegen 13:00 Uhr Feierabend. Um drei Uhr in der Frühe ist aufgestanden, um den Bus um vier nicht zu verpassen. Seine Schicht beginnt zwar erst um kurz nach Fünf, aber die Bahn könnte sich verspäten.
Und wenn er zu spät zur Schicht kommt, muss er eine Vertragsstrafe zahlen. So steht es in seinem Arbeitsvertrag, der dieser Zeitung vorliegt, unter Paragraph 13. Selbst wenn er kündigen will, müsse er eine Vertragsstrafe an die Firma Wahl Personal-Service zahlen. So haben es ihm die Disponenten erzählt. Die Leute, die ihn vor Ort einsetzen.
Reinhard kommt deshalb lieber pünktlich. Dann muss er keine Angst haben. In diesem Jahr hat er schon in zwei anderen Fabriken gearbeitet. Wenn die Autozulieferer keine Arbeit mehr haben, muss er sich zu Hause neben das Telefon setzen. Und zweimal am Tag in der Leihfirma anrufen. Auch das wird vertraglich bei Androhung einer Geldstrafe verlangt.
Geld gibt es für die Wartezeit am Telefon nicht. „Wir haben Zeitkonten“, erzählt Reinhard. „Wir arbeiten immer mehr als die vereinbarten 35 Stunden, ohne dass es mehr Geld gibt. Wenn es dann keine Arbeit gibt, müssen wir die Zeit absitzen.“ Freizeitausgleich nennt sich das.
Reinhard hat eine Frau. Er bekommt „wenn alles gut läuft“ 931 Euro netto. Davon wird aber noch die Firmenbusfahrkarte abgezogen. Minus 70 Euro. Und der Pfand für die Stempelkarte. 10 Euro. Jetzt ist Reinhard ruhig, fast wortkarg: „Was soll ich denn machen? Irgendwie bin ich frustriert. Wenn die Arbeit keinen Sinn macht, was kommt dann?“
Die IG Metall bemüht sich um Leiharbeiter. In jedem Bezirk sind Sekretäre angestellt, die versuchen sollen, Kontakt zu den Männer und Frauen am Band herzustellen. Christian Iwanowski aus Düsseldorf ist einer von ihnen. Er sagt, dass die Leiharbeiter oft Angst hätten, mit den Gewerkschaftern offen zu sprechen. Nur mühsam gelinge es, Vertrauen aufzubauen. „Ein Problem ist es, dass die Leiharbeiter nur selten einen eigenen Betriebsrat haben, der sie vertritt.“ Die Menschen seien vereinzelt. Ausgeliefert. Wer sich beschwert, fliegt raus. Einmal aus dem Betrieb entlassen, verlieren sie den Kontakt zu Kollegen und Gewerkschaft. Man kann es so sehen: ein Leiharbeiter ist nur ein Arbeitslose auf Widerruf.
Damit nicht genug. Die meisten Billiglöhner leiden unter der Ausgrenzung durch ihre angeblichen Kollegen. Den Stammbelegschaften nehmen die Männer und Frauen am Band als unerwünschte Konkurrenz wahr. Als Bedrohung der eigenen Arbeit.
Bei Johnson Control beispielsweise gibt es so gut wie keine Angestellten mehr in den unteren Lohngruppen. Dafür sind die Mietmalocher nachgerückt. „Wir sind wie zweite Klasse Menschen“, erzählt Reinhard. Er selbst traut sich kaum weg vom Band. „Eine Zigarettenpause ist so gut wie nicht drin.“ Reinhard hat Angst, dass ihn einer anschwärzt. In seinem Arbeitsvertrag steht unter Paragraph 15, dass ihn fast jeder Vorgesetzte feuern kann. Der Niederlassungsleiter im Betrieb etwa oder der Disponent vor Ort. „Die sagen uns immer, dass es genug Leute gibt, die unseren Job wollen. Ich fühle mich, wie der letzte Dreck.“
In Wuppertal hat sich Abdelmajid Hadjeri nicht mit dem Niedriglohn von 2,71 Euro abgefunden. „Ich bin nach dem Personalgespräch direkt zur Gewerkschaft gegangen“, sagt er. Die hat dann eine Anzeige gegen Gens Personalmanagement gestellt. Der Vorwurf: „Lohnwucher“ nach Paragraph 291 Strafgesetzbuch.
Eigentlich darf es Minilöhne nicht geben. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht die gleiche Behandlung von Leiharbeitern und Stammbelegschaft vor. Doch in der Praxis kann diese Gleichbehandlung durch einen nach unten nicht begrenzten Tarifvertrag abgelöst werden. Die meisten Firmen haben sich deshalb einem Tarifvertrag angeschlossen, den die Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit mit dem Arbeitgeberverband Mittelständische Personaldienstleister geschlossen hat. Da werden Löhne von weniger als acht Euro zugelassen, während die Stammbelegschaften gut das Doppelte für die gleiche Arbeit kriegen.
Niedrigarbeiter Reinhard glaubt nicht an einen Schutz aus dem Tarifvertrag. Er erlebt die niedrigen Löhne. Und als er einmal Fieber hatte, wollte er sich pflichtgemäß bei seiner Firma abmelden. Dort sagte man ihm: „Glauben Sie, der Job wartet auf Sie?“
Es ist Abend geworden. Reinhard sitzt nach einem Fußballspiel in einer Kneipe. Ein Sieg wird gefeiert. Der Leiharbeiter trinkt ein Wasser. Dann verabschiedet er sich leise. Er geht, wenn bevor die anderen ihr zweites Bier bestellen.