Grüne wanzen sich wieder an Blogger ran

Ich finde es immer noch nicht gut. Aber die Grünen feiern das Trip-Sponsoring für Blogger als Erfolg und wollen es auf ihrem Parteitag in Dortmund noch einmal tun: Kauf-Die-Blogger 2.0. Wie gesagt, negative Werbung ist besser als keine Werbung.

Konkret wollen Grüns genauso wie auf der Bundesdeligiertenkonferenz in Erfurt Bezahlschreibern Hotel und Bahnfahrt ausgeben, wenn die Leute dafür ihre Blogs mit Inhalten aus Grünland füllen. In meinen Augen ist das ethisch sehr bedenklich. Auch wenn Jens vom Pottblog und andere das anders sehen. Man muss halt auch unterschiedliche Meinungen aushalten. Die Diskussion zum Thema gab es bei Shop-den-Blog 1.0 unter anderem hier – inklusive ausführlicher Begründungen der verschiedenen Positionen. Wer sich ein paar Euro bei den Grünen erarbeiten will, kann hier klicken.

Das ganze ist Teil einer grünen Strategie, das Internet als Wahlkampfplattform zu nutzen und eigene Inhalte prominetter zu platzieren. Deswegen werden vor allem relevante, gute Blogger für die Sponsor-Tourneen ausgesucht. Es geht nicht darum, besonders positiv zu schreiben, sondern überhaupt zu schreiben. Es geht nicht darum, dass die Blogger direkte PR machen, die Blogger sollen den Parteitag nur wahrnehmen und nett ins Netz streuen. Der Grüne Malte Spitz sagte damals (Kommentar 11) andere Parteien würden noch mehr machen, um Blogger zu kaufen. Belege hat er bislang aber noch nicht vorgelegt. (Schade, ich würde gerne drüber berichten.)

Ich denke, die Strategie Blogger einzushoppen, ist gefährlich, da sie jeden politischen Inhalt von einem Parteitag in einem Blog unter den Generalverdacht der Kaufberichterstattung setzt. Egal, ob positiv oder negativ berichtet wird. Der Leser muss befüchten, eine Berichterstattung zu lesen, die von PR-Strategen gesteuert wird.

Ich persönlich hätte Lust gehabt, nach Dortmund zu fahren, auch weil es um die Ecke liegt. Aber ich will nicht als Einkaufblogger erscheinen, deswegen läuft die Nummer ohne mich. Sollen sich andere bezahlen lassen. Viel Spaß.

Großmanns Entscheidungsschlacht beim RWE

Der Konzernchef des RWE, Jürgen Großmann, steht vor seiner Entscheidungsschlacht. Gelingt es ihm nicht, sich gegen Wünsche des Aufsichtsrates durchzusetzen, seine Kompetenzen zu beschneiden, wird er seinen Job aufgeben müssen. Kann er sich aber durchsetzen, wird er unangreifbar. Und dann kann Großmann die tief greifende Reform der RWE-Struktur durchsetzen, die derzeit geplant wird. In der Essener Zentrale ist bereits vom „Big Bang“ die Rede, wie ich gehört habe.

Den Plänen zufolge sollen Kompetenzen aus den wichtigsten Führungsgesellschaften RWE Power und RWE Energy in die Zentrale überführt werden. Gleichzeitig sollen die Regionalgesellschaften entmachtet werden. Darüber hinaus sollen neue Ländergesellschaften entstehen, die als Satelliten in den europäischen Staaten direkt der Zentrale in Essen zugeordnet werden sollen. Die Pläne zum Konzernumbau wurden den Informationen zu folge von RWE-Chef Jürgen Großmann in Auftrag gegeben. Ziel der neuen Struktur sei es, das Eigenleben der RWE-Töchter zu beenden und diese der Kontrolle der Konzernzentrale zu unterwerfen. Die ersten Eckpunkte der neuen Struktur sollen bereits bei einer Aufsichtsratssitzung am Donnerstag beschlossen werden. Ein RWE-Sprecher wollte die Informationen nicht kommentieren.

Die Änderung der Konzernstruktur wird von einem heftigen Streit zwischen den kommunalen RWE-Aktionären, den Gewerkschaften und dem RWE-Spitzenmanagement begleitet. Während die Grundsätze des Konzernumbaus von allen anerkannt werden, fürchten Kommunen und Arbeitnehmer um ihren Einfluss auf die Konzernpolitik. Vor allem die Stadt Dortmund macht gegen RWE-Chef Jürgen Großmann mobil. Entzündet hatte sich der Streit bereits vor einigen Wochen an der Umfirmierung der Dienstleistungstochter RWE Systems AG in eine Service-GmbH, die Großmann durchgesetzt hatte. Mit der Änderung der Rechtsform wurde gleichzeitig der Aufsichtsrat der Gesellschaft aufgelöst – etliche kommunale Aufsichtsräte und Arbeitnehmervertreter verloren ihre Posten. Ein Vertreter der Stadt Dortmund sagte mir: „Ohne den Aufsichtsrat haben wir keine Möglichkeit mehr, die Geschäftspolitik der Service-GmbH zu beeinflussen.“

Die Stadt Dortmund beauftragte daraufhin mit den Stimmen von SPD und Grünen die kommunalen Vertreter in allen RWE-Gremien gegen Großmanns Firmenpolitik Stellung zu beziehen und für eine Stärkung der kommunalen Macht im Energiekonzern zu sorgen. Vor allem in Dortmund müssten Kompetenzen von RWE-Firmen konzentriert werden.

Das erste Mal blitzte der Streit in einer vorbereitenden Sitzung zum kommunalen RWE-Beirat so richtig auf. Es kam zum lautstarken Streit zwischen Dortmunder Vertretern und Großmann Vertrauten. Sinngemäß sollen die Großmänner gerufen haben: Wenn Euch unser Kurs nicht passt, verklagt uns doch. In der anschließenden Beiratssitzung allerdings war der Streit schon wieder runtergekocht. Ein Gemeindevertreter bestand auf einer starken Rolle der Kommunen, Großmann hielt persönlich und sanft dagegen. Damit war erstmal Schluss mit der offenen Debatte.

Im Untergrund geht es aber weiter. Pikant ist dabei, dass die Stadt Dortmund über eine Schachtelgesellschaft rund 16 Prozent des RWE-Kapitals kontrolliert. Ein Vertreter der Stadt Dortmund sagte der Welt, die Kommune bemühe sich unter den RWE-Aktionären eine Mehrheit gegen die Strukturpläne Großmanns zu mobilisieren. Das Argument: Großmann dürfte nur unterstützt werden, wenn er bereit sei, den Einfluss der Kommunen auf den Konzern zu erhalten.

In den bisherigen Plänen ist von einer besonderen Rolle der Kommunen wenig zu sehen. Im Gegenteil. Die Rolle der Städte im RWE wird in weiten Teilen der Kapitalbank und auch im Konzern selber als Behinderung angesehen. Die Folge sei eine Totalblockade in der Konzernentwicklung. Nach Ansicht der Großmann-Vertreter müsse es gelingen, die Struktur des RWE zukunftsfest zu machen. Und dazu gehöre eben die Loslösung von den Städten und Gemeinden. Der Weg, um dieses Ziel zu erreichen, sieht so aus: Zunächst will Großmann die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Tochterfirmen im RWE beenden. Dann soll der Konzern stärker zentralisiert werden, damit er schneller auf neue Situationen reagieren kann. Zudem soll eine Struktur gefunden werden, die ein Wachstum im Ausland möglich macht.

Im Detail soll die Konzerntochter RWE Energy in zwei Vertriebsgesellschaften und zwei Netzgesellschaft aufgespalten werden. Das Geschäft mit den Großkunden soll zudem aus diesen Firmen herausgeschält und in die Handelstochter Supply and Trading eingefügt werden. „Der Handel soll direkt das Geschäft mit den Industriekunden in die Hand bekommen“, heißt es. Die Regionalgesellschaften mit kommunaler Beteiligung sollen zudem zu „Filialen“ umgebaut werden, die eine zentrale Vertriebspolitik umsetzen. Alle Gesellschaften sollen direkt der Kontrolle der Essener Holding unterworfen werden.

Ähnlich können sich die Probleme für die Kraftwerkstochter RWE-Power aufstauen. Die Firma wurde bereits jetzt auf ihren fossilen Kern rund um die Braunkohlekraftwerke sowie die Kernkraftwerke beschnitten. Alle Zukunftsenergien lies Großmann der neuen Öko-Tochter RWE Innogy übertragen. Nun wird überlegt, auch die Beteiligungen der RWE Power im Ausland auf die neuen Ländergesellschaften zu übertragen. Grundsätzlich sollen alle Beteiligungen der direkten Kontrolle der Holdung unterworfen werden.

Auch hier setzt die Kritik der Kommunen an: Wenn die Verflechtung mit den Städten aufgegeben wird und den kommunalen Beteiligungen in einem zentralisiertem Konzern Kompetenzen fehlen, dann bestehe kein Grund mehr, die enge Partnerschaft zum RWE zu suchen. Die Folge: Konzessionsverträge würden nicht verlängert – so wie es sogar Dortmund androht. Und Partnerschaften aufgekündigt. Gleichzeitig werfen die Kommunen Großmann Misserfolg vor. Statt den Aktienkurs zu treiben oder neue Projekte anzugehen habe der frühere Stahlmanager eine Negativ-Bilanz vorzuweisen. Bislang seien nur wenige seiner Projekt erfolgreich abgeschlossen worden. Die Übernahme an eines namhaften europäischen Konkurrenten? British Energy wurde abgeblasen. Stattdessen Aktivitäten in Südosteuropa – in der Republik Srpska. Das ist der serbischen Teil von Bosnien-Herzigowina.

Damit nicht genug: vor allem die SPD-regierten Städte werfen Großmann fehlendes Fingerspitzengefühl vor. Sein Wunsch-Engagement bei einem Kernkraftwerk in einem Erdbebengebiet in Bulgarien sorgt für Demonstrationen vor Rathäusern in Mülheim und Dortmund. Die Umweltschützer von Urgewalt, Greenpeace und Robin Wood protestieren gegen den bulgarischen Risikoreaktor und erinnern die SPD-Politiker vor einem Wahljahr an die Linie ihrer Partei – den Ausstieg aus der Kernkraft. Selbst vor der RWE-Konzernzentrale kommt es seit über einer Woche immer wieder zu Demos. Am vergangenen Freitag protestieren Umweltschützer vor der Hamburger Wohnung von Großmann. Am Donnerstag soll es in Essen Proteste geben.

Der Widerstand gegen Großmann ist groß. Einige Kommunen und Arbeitnehmer wollen im RWE-Aufsichtsrat eine Änderung der Geschäftsordnung durchsetzen. In Zukunft soll sich Konzernchef die Unternehmensplanung vom Aufsichtsrat absegnen lassen. Bisher liegt diese Kompetenz allein beim Vorstand.

Aber auch die Unterstützung für Großmann ist nicht zu unterschätzen. Die Kapitalbank setzt nach wie vor auf den Macher aus der Stahlbranche. Zudem unterstützen offensichtlich weite Teile des IG-BCE Flügel im Konzernteil RWE-Power den großen Chef – während der Verdi-Flügel im Restkonzern eher Großmann kritisch ist. Die Arbeitnehmer misstrauen sich hier selbst.

Unmittelbarer Auslöser des offenen Konflikts ist nun die oben angsprochene geplante Beteiligung des RWE am bulgarischen Kernkraftwerk Belene. Großmann will diese Beteiligung, ein Teil des Aufsichtsrates um Verdi-Chef Frank Bsirske und Aufsichtsratchef Thomas Fischer nicht. Der Reaktor liegt in einem Erdbebengebiet und ist nach Meinung von Kritikern zu unsicher.

Großmann hat intern angekündigt, die Beteiligung auch ohne Zustimmung des Aufsichtsrates umzusetzen. Sollte dies nicht gelingen, werde er zurücktreten, sagte der Manager vor Vertrauten. Er sie schließlich als Eigner einer Stahlhütte unabhängig.

Bisher haben sich alle Seiten bemüht, einen offenen Konflikt zu vermeiden. Deshalb wurde die Abstimmung über das Projekt Belene bereits mehrmals verschoben. Nun allerdings ist der Streit zur offenen Feldschlacht geworden. Die Entscheidungsschlacht tobt. DieTelefone laufen heißt.

Lustigerweise hat gerade der RWE-Power Aufsichtsrat Wolfgang Clement in dieser Situation nichts besseres zu tun, als seinen ehemaligen Parteifreunde von der SPD und die Gewerkschaftsvertreter anzugreifen. Er fordert alle auf den RWE-Aufsichtsrat zu verlassen, wenn sie nicht bereits seien, für die Kernenergie zu streiten.

Unterwegs zu Leiharbeitern – es wird kalt

Foto. flickr.com / Mananis Welt

In der vergangenen Woche war ich bei Leiharbeitern unterwegs. Es war traurig, was ich gesehen habe. Womit Menschen leben müsen, welche Verträge sie unterschreiben sollen und unterschreiben.

Ich fang an Abdelmajid Hadjeri. Der 58-jährige hat eingefallene Wangen, graue Haare und dunkle, traurige Augen. Er scheint einer der Menschen zu sein, die lieber schweigen, als zu reden. Abdelmajid Hadjeri ist gelernter Maschinebautechniker. Als Facharbeiter hat er 35 Jahre in Fabriken gearbeitet. Wegen einer Erkrankung musste er in Frührente. Weil die zu klein ist, muss er sich etwas als Leiharbeiter dazu verdienen. Hadjeri lebt in Wuppertal, in einer kleinen Wohnung mit seiner Frau. In der Lokalzeitung fand er ein Jobangebot bei einer Zeitarbeitsfirma. Er fuhr hin.

Was Hadjeri dann erlebte, ärgerte ihn so stark, dass der Mann anfängt zu sprechen: „Wir prangern Kinderarbeit und Ausbeutung in der dritten Welt an. Doch hier in Deutschland haben wir Hungerlöhne.“

In einer Eidesstattlichen Versicherung, die mir vorliegt, beschuldigt Hadjeri die Firma Gens Personalmanagement in Wuppertal ihm einen Stundenlohn in Höhe von 2,71 Euro Brutto als Fahrer angeboten zu haben. „Ich sollte drei Schichten von Leiharbeitern  zur Arbeit fahren und wieder abholen“, sagt Hadjeri. „Sie sind nicht der erste, der für diesen Lohn arbeitet, haben sie mir gesagt. Sie suchen Arbeit, nicht wir.“ Dann sei ihm noch ein Extraverdienst von 20 Cent Brutto je gefahrenen Kilometer in Aussicht gestellt worden, wenn er für die Arbeit seinen Privatwagen nutzen würde. Hadjeri wiederholt: „20 Cent Brutto“. Die Firma Gens wollte den Fall nicht kommentieren.

Leiharbeit ist in Deutschland seit der Liberalisierung unter dem damaligen Arbeitsminister Wolfgang Clement ein großes Geschäft geworden. Ursprünglich sollten Firmen durch die flexible Arbeit schnell ein paar Hände anheuern und feuern können, je nach Bedarf Die Idee im Sinne der Agende 2010 war es, damit eine Brücke in den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose zu bauen. Tatsächlich aber leiden selbst die Stammbelegschaften unter der Mietarbeit.

Seit 2003 ist jede dritte neue Stelle ein Job in der Leiharbeit. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im Sommer über 720.000 Menschen in der Zeitarbeit aktiv. Dabei werden die Arbeiter nicht direkt in einer Fabrik beschäftigt, sondern bei Personalagenturen, die dann ihre Arbeiter in die Produktion ausleihen.

Jetzt, seit Beginn der Krise werden rasant Zeitarbeiter entlassen. Christian Iwanowski von der IG Metall in Düsseldorf schätzt, dass allein in den vergangenen drei Wochen mehrere zehntausend Leiharbeiter ihren Job verloren haben. „Die Zahl der Beschäftigten ist sicherlich weit unter 700.000 gefallen.“ Besonders die Kollegen in der Automobilbranche seien betroffen. „Wenn eine Leihfirma ihren Auftraggeber verliert, kann sie ihre Arbeiter nur in seltenen Fällen in einem anderen Werk unterbringen. Dann werden die Leute frei gesetzt.“

Man kann das auch anders ausdrücken. Der Bundesverband der Zeitarbeitsfirmen lobt die Leihmalocher als Puffer für eine atmende Fabrik: Wenn die Fremdfirmen im Abschwung aus der Produktion abgezogen würden, könnten schließlich Stammarbeitsplätze gesichert werden.

Manchmal ist das auch völlig OK. Es gibt hochqualifizierte Ingenieure in Leiharbeitsfirmen, die sich über die größere Unabhängigkeit bei ihren Vermietern freuen. Und leicht neue Jobs finden, wenn das nötig wird.

Aber es gibt die Massen der anderen Malocher. Die am unteren Ende der Nahrungskette stehen. In Köln wurden gerade 370 Leiharbeiter auf einen Schlag entlassen. Ford hatte keine Jobs mehr.

In Bochum ist es kalt an diesem Morgen. Novemberkalt und es regnet. Dieter Reinhard kommt aus dem Tor der Firma Johnson Control in Bochum, Haldenstraße. Er dreht sich kurz um und geht zur Bushaltestelle. Das erste was an ihm auffällt, sind seine Hände. Die Finger sind dick, geschwollen, aufgeplatzt. Reinhard arbeitet hier beim Autozulieferer Johnson Control am Band. Er zieht Schaumstoff über Autositze, krempelt die Ränder um. Dabei reiben sich die Handrücken im Stoff. „Irgendwann blutet es. Danach bildet sich Hornhaut. Dann tut es nicht mehr so weh“, sagt Reinhard.

Er will nicht seinen Job verlieren. Deswegen macht er weiter. Jeden Tag. Für 6,53 Euro in der Stunde. Brutto. Reinhard hat jetzt gegen 13:00 Uhr Feierabend. Um drei Uhr in der Frühe ist aufgestanden, um den Bus um vier nicht zu verpassen. Seine Schicht beginnt zwar erst um kurz nach Fünf, aber die Bahn könnte sich verspäten.

Und wenn er zu spät zur Schicht kommt, muss er eine Vertragsstrafe zahlen. So steht es in seinem Arbeitsvertrag, der dieser Zeitung vorliegt, unter Paragraph 13. Selbst wenn er kündigen will, müsse er eine Vertragsstrafe an die Firma Wahl Personal-Service zahlen. So haben es ihm die Disponenten erzählt. Die Leute, die ihn vor Ort einsetzen.

Reinhard kommt deshalb lieber pünktlich. Dann muss er keine Angst haben. In diesem Jahr hat er schon in zwei anderen Fabriken gearbeitet. Wenn die Autozulieferer keine Arbeit mehr haben, muss er sich zu Hause neben das Telefon setzen. Und zweimal am Tag in der Leihfirma anrufen. Auch das wird vertraglich bei Androhung einer Geldstrafe verlangt.

Geld gibt es für die Wartezeit am Telefon nicht. „Wir haben Zeitkonten“, erzählt Reinhard. „Wir arbeiten immer mehr als die vereinbarten 35 Stunden, ohne dass es mehr Geld gibt. Wenn es dann keine Arbeit gibt, müssen wir die Zeit absitzen.“ Freizeitausgleich nennt sich das.

Reinhard hat eine Frau. Er bekommt „wenn alles gut läuft“ 931 Euro netto. Davon wird aber noch die Firmenbusfahrkarte abgezogen. Minus 70 Euro. Und der Pfand für die Stempelkarte. 10 Euro. Jetzt ist Reinhard ruhig, fast wortkarg: „Was soll ich denn machen? Irgendwie bin ich frustriert. Wenn die Arbeit keinen Sinn macht, was kommt dann?“

Die IG Metall bemüht sich um Leiharbeiter. In jedem Bezirk sind Sekretäre angestellt, die versuchen sollen, Kontakt zu den Männer und Frauen am Band herzustellen. Christian Iwanowski aus Düsseldorf ist einer von ihnen. Er sagt, dass die Leiharbeiter oft Angst hätten, mit den Gewerkschaftern offen zu sprechen. Nur mühsam gelinge es, Vertrauen aufzubauen. „Ein Problem ist es, dass die Leiharbeiter nur selten einen eigenen Betriebsrat haben, der sie vertritt.“ Die Menschen seien vereinzelt. Ausgeliefert. Wer sich beschwert, fliegt raus. Einmal aus dem Betrieb entlassen, verlieren sie den Kontakt zu Kollegen und Gewerkschaft. Man kann es so sehen: ein Leiharbeiter ist nur ein Arbeitslose auf Widerruf.

Damit nicht genug. Die meisten Billiglöhner leiden unter der Ausgrenzung durch ihre angeblichen Kollegen. Den Stammbelegschaften nehmen die Männer und Frauen am Band als unerwünschte Konkurrenz wahr. Als Bedrohung der eigenen Arbeit.

Bei Johnson Control beispielsweise gibt es so gut wie keine Angestellten mehr in den unteren Lohngruppen. Dafür sind die Mietmalocher nachgerückt. „Wir sind wie zweite Klasse Menschen“, erzählt Reinhard. Er selbst traut sich kaum weg vom Band. „Eine Zigarettenpause ist so gut wie nicht drin.“ Reinhard hat Angst, dass ihn einer anschwärzt. In seinem Arbeitsvertrag steht unter Paragraph 15, dass ihn fast jeder Vorgesetzte feuern kann. Der Niederlassungsleiter im Betrieb etwa oder der Disponent vor Ort. „Die sagen uns immer, dass es genug Leute gibt, die unseren Job wollen. Ich fühle mich, wie der letzte Dreck.“

In Wuppertal hat sich Abdelmajid Hadjeri nicht mit dem Niedriglohn von 2,71 Euro abgefunden. „Ich bin nach dem Personalgespräch direkt zur Gewerkschaft gegangen“, sagt er. Die hat dann eine Anzeige gegen Gens Personalmanagement gestellt. Der Vorwurf: „Lohnwucher“ nach Paragraph 291 Strafgesetzbuch.

Eigentlich darf es Minilöhne nicht geben. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht die gleiche Behandlung von Leiharbeitern und Stammbelegschaft vor. Doch in der Praxis kann diese Gleichbehandlung durch einen nach unten nicht begrenzten Tarifvertrag abgelöst werden. Die meisten Firmen haben sich deshalb einem Tarifvertrag angeschlossen, den die Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit mit dem Arbeitgeberverband Mittelständische Personaldienstleister geschlossen hat. Da werden Löhne von weniger als acht Euro zugelassen, während die Stammbelegschaften gut das Doppelte für die gleiche Arbeit kriegen.

Niedrigarbeiter Reinhard glaubt nicht an einen Schutz aus dem Tarifvertrag. Er erlebt die niedrigen Löhne. Und als er einmal Fieber hatte, wollte er sich pflichtgemäß bei seiner Firma abmelden. Dort sagte man ihm: „Glauben Sie, der Job wartet auf Sie?“

Es ist Abend geworden. Reinhard sitzt nach einem Fußballspiel in einer Kneipe. Ein Sieg wird gefeiert. Der Leiharbeiter trinkt ein Wasser. Dann verabschiedet er sich leise. Er geht, wenn bevor die anderen ihr zweites Bier bestellen.

Das Elend geht weiter – Zeit für neue Ideen

Die WAZ entläßt, Gruner und Jahr kürzt. Und andere wollen folgen. Selbst die taz steht, wie Gerüchte besagen, im kommenden Jahr mal wieder vor einer Rettungskampagne

Ach, da wird einem ganz kalt ums Herz. Und dann wieder warm. Wozu die Trauer? Es geht immer weiter. Irgendwie. Die Menschen wollen immer Geschichten hören. Es kommt darauf an, sie zu erzählen.

Wie so oft, sind uns die Amerikaner voraus. Dort gibt es analog zu Poetry Slams sogenannte Moth-Story-Slams. Da werden die besten Geschichtenerzähler gesucht. Cool. Sowas sollten wir auch bei uns machen.

Werbung


Doofe Studie aus Berlin – Familienmekka Pott?

Heute Mittag hat mich die Studie einer im Mai 2008 gegründeten Immobilien-Suchmaschine erreicht. Das Ding heißt Immobilo und soll alle möglichen Immobilienangebote zusammenfassen. Wie auch immer. Jedenfalls haben die Geschäftsmänner die PR-Idee aufgegriffen, über Studien ins Gerede zu kommen.

Dellplatzviertel in Duisburg

Angeblich wollen die Berliner 133.000 Wohnungsangebote in den 30 größten Städten auf ihre Familientauglichkeit durchleuchtet haben. Dabei wollen die Spezialisten herausgefunden haben, dass die „Ruhrmetropolen Duisburg und Essen“ Deutschlands familienfreundlichste Städte sind. Na, wer das glaubt, war noch nicht da. Auf so was können nur Berliner kommen.

Die PR-Frizzen behaupten, dass jede dritte Duisburger Wohnung vier bis fünf Zimmer hat und rund 100 Quadratmeter groß ist sowie mit einen mittleren Mietpreis von 548 Euro erschwinglich. Eine Familienwohnung in München schlage dagegen mit durchschnittlich 1.326 Euro Miete zu Buche. „Wir haben nicht nur die Objektpreise analysiert“, sagte Christian Scherbel von dem Portal. „In die Bewertung einbezogen ist auch die gute Erreichbarkeit von Schulen und Kindergärten, weil dies die Wohnqualität eines Quartiers maßgeblich prägt.“ Nach seiner Ansicht können Eltern, die in Duisburg wohnen, ihre Kinder in 55 Prozent der Fälle auf fünf verschiedene Schulen und Kindergärten schicken, die weniger als einen Kilometer von der Wohnung entfernt sind. Die bayerische Landeshauptstadt erreicht bei diesem Kriterium immerhin 48 Prozent, während Hamburg nur auf 31 Prozent kommt.

Der Berliner Studie spricht sogar von einem "Familienmekka" im Westen. Mit Duisburg, Essen, Wuppertal, Gelsenkirchen und Dortmund würden gleich fünf Städte aus der dicht besiedelten Region unter den Top Ten lanen. Die neuen Länder seien mit Chemnitz und Leipzig zweimal vertreten, während es aus anderen Teilen der Republik nur Kiel, Nürnberg und Berlin auf vordere Plätze schaffen.

Diese angebliche Studie bestätigt den Spruch, der Churchill zugeschrieben wird: Traue nur der Studie, die Du selbst gefälscht hast.

Was haben Wohnungsgröße und Mietpreise mit Familientauglichkeit zu tun. Nach der Methode haben Slums die besten Chancen auf vordere Plätze, wenn sie nur an einen Kindergarten angeschlossen sind. Dass es auch Arbeit vor Ort geben muss und Spielplätze und Grünzüge und keine dreckige Luft, das steht auf einem anderen Papier.

Ach egal. Ich habe Kinder und ich kann aus dem Fenster schauen. Ruhrgebiet ist OK, aber es gibt wirklich bessere Quartiere.

Update: Kulturhauptstadt nicht mehr gemeinnützig

Die Nachricht sieht seltsam aus: Die Firma hinter der Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet, die Ruhr 2010 GmbH, hat ihre Gemeinnützigkeit aufgegeben. Sie will wie eine normale Firma Geschäfte machen dürfen. Aus diesem Grund hat die Gesellschaftsversammlung der Ruhr 2010 bereits am 30. November entschieden, die staatliche Steuerbefreiung abzugeben.

Was steckt dahinter? Nun, die Ruhr 2010 nimmt kaum Spenden ein. Deswegen muss sie keine Spendenquittungen ausstellen. Zudem wird die Ruhr 2010 keine Körperschaftssteuer zahlen müssen. Es sind Verluste geplant und keine Gewinne.

Die Ruhr 2010 kann die Vorteile der Gemeinnützigkeit also gar nicht nutzen. Für die Firma ist es nicht nötig, gemeinnützig zu sein.

Stattdessen drohte eine große Gefahr. Die Kulturhauptstadt ist auf Sponsoren angewiesen. Insgesamt sollen 11,5 Mio Euro an Zuwendungen eingenommen werden. Sponsorengelder sind aber nicht uneigen- und damit gemeinnützig. Denn wer als Sponsor Geld gibt, erwartet eine Dienstleitung. Im Fall der Ruhr 2010 die Nennung des eigenen Namens auf nahezu jedem Flyer und im Internet. Eine Dienstleistung ist normalerweise  Steuerpflichtig. Zudem darf eine gemeinnützige Institution nur in geringem Umfang Sponsorengelder einnehmen, ohne die Gemeinnützigkeit zu verlieren.

Im Fall der Ruhr 2010 sind die Einnahmen von Sponsoren nicht gering. Sie bilden eine wesentliche Säule des Finanzierungskonstrukts. Das bedeutet: sobald die ersten Sponsorengelder auf die Konten der Ruhr 2010 eingegangen wären, hätte die Firma ihren Status als gemeinnützige Firma verlieren können. Mit unabsehbaren Folgen. So hätten unter Umständen von den Sponsorengeldern nachträglich 19 Prozent Umsatz- und Ertragssteuer abgeführt werden müssen. Bei 11,5 Mio Einnahmen hätte das eine Belastung von über 2 Mio Euro ausmachen können, bestätigt der kaufmännische Direktor der Ruhr 2010, Ronald Seeliger.

So ist es sinnvoller, die Gemeinnützigkeit direkt selber aufzugeben, um die Probleme zu lösen, bevor sie auftreten. Ein Sprecher der Ruhr 2010 sagte: "Trotzdem arbeiten wir selbstverständlich schwer für die Gemeinheit. Es ändert sich nicht einmal der Briefkopf, da wir weiterhin nicht gewinnorientiert arbeiten."

Für die Sponsoren ändert sich genauso wenig. Sowohl RWE als auch E.on Ruhrgas sagten, dass sie einfach die Umsatzsteuer oben drauf legen würden. „Die Summen sind vorsteuerabzugsfähig. Für uns ist die Steuer damit kostenneutral“, sagte eine RWE-Sprecherin.

Der Ruhr-2010-Sprecher sagte. „Die eingeplanten, bekannten und benannten Sponsorenbeträge waren immer schon netto und bleiben es auch.“

Allenfalls kleinere Sponsoren werden schmallippig schauen, wenn sie nun statt 100.000 Euro geschmeidig 119.000 Euro überweisen sollen. Sei es drum.

Das einzige, was ich mich frage ist: Warum wusste die Ruhr 2010 das nicht früher und hat die Gemeinnützigkeit erst erwirkt? Worauf haben die Experten der Firma gehofft? Auf eine Riesenspende? Die eine Gemeinnützigkeit sinnvoll gemacht hätte und neben der die Sponsoreneinnahmen geringfügig ausgesehen hätten?

Auch hier gibt der kaufmännische Direktor der Ruhr 2010 Seeliger eine schlüssige Antwort: "Wir haben am Anfang mit größeren Spenden von Stiftungen aus dem Ruhrgebiet gerechnet. Davon gibt es ja einige hier. Natürlich hat man auch in Richtung Krupp-Stiftung geschaut."

Es ging um über 50 Mio Euro. Leider hat die Krupp-Stiftung dieses Geld nicht gespendet. Stattdessen hat der Chef der Kruppianer, Berthold Beitz, die Millionen direkt dem Folkwang-Museum für einen Neubau zur Verfügung gestellt. Über den Hintergrund kann man nur spekulieren. Man kann den Streit zwischen der Stadt Essen und Beitz ins Feld führen. Oder die Kritik des Oberkruppianers Beitz an der der Ausrichtung der Ruhr 2010. Egal.

Seeliger sagt einfach: "Die Stiftungen engagieren sich lieber bei unseren Projekten." Damit sei die Gemeinnützigkeit sinnlos geworden.

Zur Erinnerung: Die Ruhr 2010 hat einen Etat von 52 Mio Euro. (12 Mio kommen jeweils vom Bund, vom Land und vom Regionalverband Ruhr (RVR). Dazu kommen 6 Mio von der Stadt Essen, 8,5 Mio vom Initiativkreis Ruhrgebiet und nur 1,5 Mio von der EU.) Das Geld wird auf vier Jahre verteilt.

Dazu sollen noch freie Mittel über Sponsoren zusammengetragen werden. Bislang haben RWE 2,5 Mio und und E.on Ruhrgas 2 Mio Euro zugesagt. Es werden weitere 7 Mio gesucht.

Damit hat die Kulturhauptstadt einen Etat von maximal 63,5 Mio. Euro.

Zum Vergleich: die österreichische Variante von Herne, die Stadt Linz, hat für seine Kulturhauptstadt im kommenden Jahr einen gleich hohen Etat.

Zusammen mit dem Ruhrgebiet wird Istanbul im Jahr 2010 europäische Kulturhauptstadt: Die Türken haben 600 Mio Euro zur Verfügung gestellt.

Wirtschaftserfolg in Dortmund

Der Discounter TEDi will seinen Verwaltungsstandort in Dortmund zur Europazentrale ausbauen. Insgesamt sollen vor Ort 650 zusätzliche Arbeitsplätze in der Logistik, im kaufmännischen Bereich und in der Informationstechnologie entstehen – das teilte die Stadt Dortmund gerade mit. Das Land NRW hat nach Angaben der Stadt Dortmund "grünes Licht" für die Vergabe von Mitteln aus dem regionalen Wirtschaftsförderungsprogramm gegeben. "Die dauerhafte Ansiedlung von TEDi ist eine gute Nachricht für den Logistikstandort Nordrhein-Westfalen", sagte NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Die Zentrale von Tedi ist die zweite große Logistikansiedlung aus dem Handel in Dortmund nach dem Bau des IKEA-Großlager.

Während sich Dortmund über den Erfolg freuen kann und erneut Steuergelder von einem Schwerreichen Handelshaus privatisiert werden, drängt sich die Frage auf, was ist eigentlich mit den anderen öffentlich geförderten Logistikstandorten? Vor allem der in Herne ansässigen Initiative Last Mile Logistik Netzwerk? Immerhin wurde das Projekt von 2006 bis 2008 mit 550.000 Euro aus Mitteln des NRW-EU-Programms für Ziel 2-Gebiete gebuttert, ungefähr die gleiche Summe sollte von Sponsoren eingesetzt werden? Passiert da auch was? Oder ist das Konzept der überall verstreuten Logistikcluster gescheitert?

Neue Ermittler im NRW-Umweltministerium

Schink ist der Mann links. Gerüchte sagen, die anderen Männner wollen nicht mehr mit dem Stase Schink gesehen werden, deswegen sind sie unkenntlich gemacht.

NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg hat ein Problem. Und zwar misstraut der Minister seinem eigenen Haus. Wie jetzt bekannt wurde, hat Uhlenbergs Hausadlatus, Staatssekretär Alexander Schink einen neue „Innenrevision" eingerichtet. Diese Abteilung soll seit gestern für die Bekämpfung der Korruption im NRW-Ministerium zuständig sein. Die neue Abteilung soll direkt an Schink berichten. Und allen Lecks nachspüren, aus denen das Umweltministerium leidet. Haus intern heißt es dazu, Schink wolle sich damit selbst zum Chefermittler machen. Die Innenrevision ist mit normalen Ministeriumsangestellten besetzt.

Warum ist das ungewöhnlich? Bislang hatte das Ministerium bereits einen Korruptionsbeauftragten. Dieser ist ein renommierter Staatsanwalt, der sich in den Müllverfahren einen Namen gemacht hat. Er war Mitglied der damaligen Task Force Korruption im Innenministerium und gilt als einer der versiertesten Ermittler in NRW, wenn es um Schmiergeld geht. Doch genau dieser Mann ist nicht Mitglied der neuen Innenrevision des Ministeriums. Genauso wenig wie sein Mitarbeiter in der bisherigen Korruptionsabteilung des Umweltministeriums. Dieser ist ein ehemaliger Polizeibeamter, der sich ebenfalls mit der Materie und den Aufgaben eines Ermittlers sehr gut auskennt.

Aus dem Ministerium heißt es dazu: Schink traue den unabhängigen Ermittlern nicht.

So hat der Staatssekretär auch nicht bei den Korruptionsanzeigen gegen den ehemaligen Abteilungsleiter Harald F. die hausinterne Korruptionsstelle eingeschaltet, bevor er sich an das Landeskriminalamt gewendet hat. Wozu auch? Die erfahrenen Männer hätten ihm ja die Gerüchte ausreden können, die Schink beim LKA verbreiten lassen wollte.

Denn dies hat der Staatssekretär im Namen seinen Herrn Uhlenberg (CDU) tatsächlich getan. Er hat nach eigenen Angaben im Haus herumschwirrende Gerüchte ans LKA weitergetratscht. Und damit Arbeitsplätze vernichtet und mehrere Unternehmen an den Rand des Ruins gebracht.

Das Ministerium sagt, die neue Innenrevision sei lange geplant gewesen. Und das wird auch intern bestätigt.

Die neue Abteilung unter Stase Schink ist in meinen Augen der Versuch, die totale Kontrolle im Ministerium einzurichten. Falls es jemand noch nicht weiß: Wer im Ministerium einen Kaffeemaschine aufstellen will, braucht eine Genehmigung, und Radiohören ist auch prinzipiell verboten.

Apropos Gerüchte, wie sie Schink gerne verbreitet: Ich hätte auch noch eines. Aber das verschweige ich jetzt lieber.

Wie immer freue ich mich über Hinweise aus dem Ministerium. Ich bin immer unter david.schraven@ruhrbarone.de zu erreichen.

Werbung


Mega-Lauschangriff in NRW

Die Bilanz des Lauschangriffes im Justizskandal rund um die vom Umweltministerium initiierten Korruptionsermittlungen gegen den früheren Abteilungsleiter Harald Friedrich (Grüne) ist fatal. Nachdem Eckhard Uhlenbergs (CDU) Staatssekretär nach eigenen Worten Gerüchte ins Landeskriminalamt tragen lies, schnitten die Ermittler 2500 Telefonate mit. Autos wurden mit Peilsendern ausgestattet, Personen beschattet, 2300 Emails mitgeschrieben. Für was? Für nichts. Alle Korruptions- und Bandenvorwürfe wuren fallengelassen. Allein wegen eines Untreue-Verdachtes in einem kleineren Fall wird weiter ermittelt.

Foto: Eckhard Uhlenberg (CDU) / MUNLV

Jetzt kommt raus: Selbst eine Bundstagsabgeordnete ist in das weitmaschige Abhörnetz des Landeskriminalamtes geraten. Wie aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Wuppertal hervorgeht, wurde wenigstens eine Email der Bundestagsabgeordneten Sylvia Kotting-Uhl abgefangen. Die umweltpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion beschäftigt sich unter anderem mit dem PFT-Skandal. Zuvor war schon bekannt geworden, dass duzende Gespräche des im Fall der Giftverunreinigung der Ruhr aktiven grünen Landtagsabgeordnete Johannes Remmel abgehört worden sind. Zumindest ein Gespräch, in dem der Abgeordnete über interne politische Einschätzungen von Bärbel Höhn (Grüne) berichtet, fand Eingang in die Ermittlungsakten. Zur abgefangenen Email der Bundestagsabgeordneten schrieb nun der ermittelnde Oberstaatsanwalt Ralf Meyer: „Der Inhalt der Mail ist inhaltlich nicht wörtlich protokolliert bzw. ausgedruckt worden.“

Hier wurden Professoren und Bürger, Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Journalisten wie eine Mafiabande oder eine terroristische Vereinigung behandelt.

Die Gerüchte des Umweltministers spielen in diesem monströsen Abhörfall eine besonders wichtige Rolle. Ohne die Vorwürfe auf Banden- und gewerbsmäßigen Betrugs und Untreue hätte das Amtsgericht Wuppertal nicht den Lauschangriff genehmigen können. Selbst wenn jetzt noch der Vorwurf der Untreue aufrechterhalten wird. Das ist im Vergleich zu den anderen Vorwürfen Pipifax.

Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl sagte mir: „Es befremdet mich sehr, dass die NRW-Landesregierung bei ihrem unsäglichen Vorgehen gegen den engagierten Umweltexperten Harald Friedrich nicht einmal davor zurückschreckt, den E-Mail Verkehr mit einer Bundestagsabgeordneten zu überwachen.“ Kotting-Uhl sagte weiter, sie behalte sich vor, die Rechtmäßigkeit der Überwachung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Unterdessen musste NRW-Umweltministers Eckhard Uhlenberg (CDU) bei einer Befragung im Umweltausschuss des Landtags die zentralen Vorwürfe gegen sich bestätigen. Sein Staatssekretär Alexander Schink sagte aus: „Unsere Mitarbeiter haben hier durch unser Haus schwirrende Gerüchte an das LKA weiter gegeben. Ich sehe das auch als ihre Pflicht an.“ Noch mal im Klartext: auf Grund eines Gerüchtes wurde Harald Friedrich vom Umweltministerium beschuldigt, Forschungsaufträge in Höhe von 2,1 Mio Euro aus öffentlichen Geldern der Abwasserabgabe „freihändig vergeben“ und damit „geldwerte Vorteile in nicht bekanntem Umfang“ erlangt zu haben, wie es in einer Anzeige heißt:

Zudem widersprach die Justizverwaltung in NRW der Darstellung des Ministers, nach der Beamte seines Hauses beim LKA keine Korruptionsvorwürfe gegen einen Ex-Abteilungsleiter geschürt hätten. Im Gegenteil: die Düsseldorfer Generalstaatsanwalt veröffentlichte im Landtag einen Bericht, in dem die Hintergründe der ersten Anzeige des Umweltministeriums vom 14. Juli 2006 erklärt werden. So habe Uhlenbergs Hausjurist am 13. Juli 2006 zwei LKA-Ermittler im Rahmen eines Informationsgesprächs getroffen und diesen Beamten gegenüber „schwerwiegender Vergabeverstöße“ erhoben. Zudem sei von einer weiteren Mitarbeiterin des Ministeriums der Verdacht geäußert worden, Harald F. habe für die Mauschelei bei Millionen schweren Gutachteraufträgen von der Hochschule Aachen „zumindest einen hochwertigen Laptop“ erhalten. Dieses Informationsgespräch ist nach geltendem Recht als Anzeige zu werten.

Ungeachtet der Fakten beteuert Uhlenberg weiter, sein Ministerium habe "keine Korruptionsvorwürfe" gegen den politischen Vertrauten seiner grünen Amtsvorgängerin Bärbel Höhn erhoben. Wie die Wirklichkeitsverzerrung zustande kommt? Keine Ahnung.

Die Grünen und die SPD überlegen derzeit einen Untersuchungsausschuss zum Fall Uhlenberg einzuberufen.

Schalke will bescheiden werden

Foto: flickr / cerberusofcologne2008

XXX Update: Mitte Oktober 2009 stellte die Staatsanwaltschaft Essen die im Text genannten Ermittlungen in Sachen Wegener ein. XXXX

Seit Wochen will ich über Schalke schreiben. Nun konnte ich den Schalke-Manager Andreas Müller treffen. Zwei Geschichte habe ich danach schon gemacht. Hier und hier. Jetzt wende ich mich den Fakten zu. Wie soll das aussehen mit Schalkes Entwicklung, mit dem Bargeld, den Schulden und dem Rest?

Ich habe Andreas Müller in einem Düsseldorfer Luxushotel getroffen, im Interconti. Der Fußballmanager war ruhig und sehr kontrolliert. Wenn er von der neuen Philosophie seines Clubs redete, dann schlug er die Beine übereinander, legte die Hände in den Schoss und senkte seine Stimme.

In dieser Situation, mit leicht verschränktem Oberkörper, spricht Müller dann von einer neuen Art von Bescheidenheit, die jeder auf Schalke lernen müsse. „Die Idee von der Meisterschaft jede Saison, die muss raus aus dem Kopf. Die blockiert nur und sorgt für Frust.“

Es ist nicht so, dass Andreas Müller mit seinem Verein nicht deutscher Meister werden will – nur nicht um jeden Preis. Der gebürtige Schwabe spricht dann von Sparsamkeit und dass man sich nicht jeden Kickerstar auf Schalke leisten könne. „Wir können im Wettbewerb mit den großen Clubs um Spieler wie Ronaldo nicht mithalten.“ Stattdessen spricht er von kleinen Zielen, etwa davon, dass Schalke die eigene Jugend fördern müsse und Talente aus Übersee. Manager Müller beschreibt seinen Arbeitgeber in solchen Minuten wie ein mittelständisches Unternehmen, das langsam und bodenständig wächst und gedeiht.

Gerade diese neue Bescheidenheit überrascht bei einem Verein, der sich bislang als eine der wenigen dauerhaften Spitzen in der deutschen Bundesliga sah. Und doch immer nur haarscharf der Pleite entwich. Noch im Juni 2006 musste der Konzern Schalke für sich und alle Tochterunternehmen einen bilanzielle Überschuldung in Höhe von rund 66 Mio Euro ausweisen. Der Schuldenberg türmte sich nach Angaben des damaligen Schalke-Finanzchefs und heutigen Präsidenten Josef Schnusenberg auf über 250 Mio Euro.

Zu oft hatte sich der Verein mit ambitionierten Projekten verhoben. Das Geld sollte nicht nur in den Spielerkader fließen, sondern auch in den Aufbau neuer Geschäftsfelder. Leider nicht immer mit Erfolg. Zum Beispiel musste die Beteiligung an der Event Arena AG früh aufgegeben werden. Der geschlossene Fonds sollte ursprünglich Investoren anlocken, um Millionenbeträge in Spektakel in der Arena zu stecken. Aber schon nach der ersten Veranstaltung – Puccinis Oper "Turandot" in der Arena – wurde das Vorhaben mit Verlusten aufgegeben, wie ein Sprecher der Event AG bestätigte.

Auch aktuell ist es schwierig, die Arena mit Nicht-Fußball-Spielen zu belegen. „Welcher Sänger füllt heute schon eine Halle für 50.000 Menschen?“, fragt Manager Müller. Erst vor wenigen Wochen zog das Stock-Car Rennen von Pro-Sieben Spektakelfachmann Stefan Raab aus der Schalker Arena nach Düsseldorf in eine kleinere Halle. Müller hat seine Lehren aus der Situation gezogen. „Wir wollen die Arena nur noch vermieten“, sagt er.

Foto: flickr / alphatechno

Tatsächlich scheint es, als sei es auf Schalke angebracht, kleine Brötchen zu backen. Immer wieder laufen Wellen aus der Vergangenheit auf und bringen neue Unruhe. So ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Essen nach eigenen Angaben unter dem Aktenzeichen 307 Js 73/08 gegen den ehemaligen Manager Rudi Assauer und den aktuellen Schalke-Geschäftsführer Peter Peters wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Im Sommer wurde die Geschäftstelle in Gelsenkirchen durchsucht. Den Schalkern wird vorgeworfen, gemeinsam mit dem Teilzeit-Waffenhändler Rolf Wegener aus Monaco ein dubioses Geschäft angeschoben zu haben. Dabei geht es um den Transfer des Stürmers Viktor Agali von Hansa Rostock nach Schalke, der fast sieben Jahre zurückliegt.

Aus Unterlagen des Amtsgerichtes Essen, die mir vorliegen, geht hervor, dass die Männer rund 2,2 Mio Euro gewaschen haben sollen. Das Geld aus Schalke versickerte demnach über Lichtensteiner Konten in unbekannten Taschen. Eigentlich sollten mit den Millionen angebliche Transferrechte eines nigerianischen Fußballclubs aus Lagos an Agali abgelöst werden. Das behauptete zumindest Teilzeit-Waffenhändler Wegener. Doch die Ermittler aus Essen gehen davon aus, dass es sich um Schwarzgeld für den Stürmer handelte.

Schalkes Manager Müller sagt heute dazu, er glaube nicht, dass Agali die Millionen bekommen habe. Dann lächelt er und sagt: „Ich glaube aber auch nicht, dass der Verein aus Nigeria das Geld bekommen hat.“ Nur eins sei sicher: Schalke komme aus den Ermittlungen mit weißer Weste heraus.

XXXX Update: Die hier genannten Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft Essen im Oktober 2009 nach Paragraph 170 Absatz 2 der Strafprozeßordnung zumindest gegen den Spielervermittler Wegener eingestellt. Das heißt, die Ergebnisse der Ermittlungen haben der Staatsanwaltschaft nicht ausgereicht, um Anklage zu erheben. Der Anwalt von Wegener hat mich am 1. Dezember 2009 über die Verfahrenseinstellung informiert. Ich habe daraufhin hier den Text angepasst. Der Anwalt von Wegener hatte von mir zudem gefordert, den Text zu löschen. Dazu sehe ich keine Veranlassung, da der Text eindeutig den Erkenntnisstand vom Oktober 2008 wiedergibt und mit dieser Ergänzung richtig eingeordnet werden kann. Update Ende. XXXX

Tatsächlich ging der Verein jahrelang an die wirtschaftlichen Grenzen, um nach fast fünfzig Jahren wieder Deutscher Meister zu werden. Ein Blick in die Zahlen enthüllt die Dimension der Bilanzkosmetik in dieser verwegenen Zeit. Um Verluste im Jahr 2003 zu kaschieren, wurde beispielsweise das Parkstadion für einen Euro von der Stadt Gelsenkirchen gekauft und in eine Tochterfirma gesteckt, die dann das Gebäude inklusive Gelände mit 15,6 Millionen Euro neu bewertet hat. Dieser Betrag wurde anschließend als „außerordentlicher Ertrag“ in die Vereinsbilanz eingeführt. Schon damals haftete dem Geschäft ein dubioser Geruch an. Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelte und stellte ein Verfahren wegen Bilanzfälschung gegen den damaligen Manager Assauer und den Schalke Geschäftsführer Peters erst gegen Zahlung einer Geldbuße mit einer Gesamthöhe von 60.000 Euro ein.

2004 mussten die Schalker nach einem weiteren schlechten Jahr eine ähnliche Bilanzpolitur vollziehen. Über eine Neubewertung ihrer Cateringgesellschaft und einer frisch gegründeten Rechtevermarktungs-GmbH konnte der Klub seinen Verlust von 23 Mio Euro in einen Gewinn von 43 Mio Euro drehen. Die neue Firma wurde wieder als Sondererlös in die Bilanz eingeführt. Schalkes Finanzchef Schnusenberg sagte damals: „Wir leben von der Hand in den Mund.“

Ewig konnten die Tricks jedoch nicht weiter helfen. Im Verlauf des Jahres 2006 wurde die Luft wieder dünn. Wie Schalke damals bestätigte, gab der Aufsichtsratschef Clemens Tönnies ein Privatdarlehen in 4,7 Mio Euro. Sein Co-Aufsichtsrat Karl-Heinz Beul stellte drei Mio Euro zur Verfügung. Sogar der damalige Manager Rudi Assauer half mit 500.000 Euro aus.

Erst ein dramatischer Brief von Aufsichtsratschef Tönnies an den Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) brachte Ende 2006 die Wende. Der Schalker beschwor den Sozialdemokraten ein gutes Wort bei Gazprom für den Verein einzulegen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Und Schröder half. Als Verwaltungsratspräsident einer Gazprom-Tochter riet er Tönnies bei einem Telefonat, sich an Gazprom-Chef Alexeij Miller mit der Bitte um Hilfe zu wenden.

Das hat gereicht. Der russische Energiegigant stieg als Hauptsponsor beim FC Schalke 04 ein. Heraus kam einer der höchst dotierten Sponsorenverträge, den je ein Bundesliga-Club an Land ziehen konnte: Bis zu 125 Mio Euro will der Energiekonzern in den nächsten fünf Jahren nach Gelsenkirchen überweisen. Dabei teilt sich die Summe in einen Fixanteil und Leistungsprämien auf. Letztere werden in der Regel nur fällig, wenn Schalke Meister wird oder in der Champions-League reüssiert.

Der Vertrag hat Schalke gerettet. Wie Müller heute bestätigt, ließ sich der Verein den gesamten Fixanteil direkt zu Beginn des Vertrages auszahlen. Damit wurde ein Darlehen beim Londoner Finanzmakler Stephan Schechter abgelöst. Schalke sparte die Zinsen und schaffte es so aus dem Gröbsten heraus, sagt Müller. In der aktuellen Bilanz kann Schalke einen Gewinn von 12,8 Mio Euro ausweisen, nach einem Verlust von 3,4 Mio im Vorjahr.

Dazu kommt der sportliche Erfolg. Der erneute Einzug in die Champions-League spülte in der vergangenen Saison 30 Mio frische Euro in die Kassen. Erst vor wenigen Wochen konnte der Verein der Günter-Netzer-Firma Infront einen Anteil von 7,8 Mio Euro an der Schalke Arena abkaufen. Müller freut sich: Mittlerweile gehören dem Verein rund 80 Prozent an dem Stadion. Der Rest ist auf den Busfahrer der Knappen, einen Würstchenfabrikanten und einige Honoratioren der Schalker verteilt. Selbst die Stadt Gelsenkirchen hält über einen Tochterfirma einen Anteil von gut 5 Mio Euro an der Arena.

Doch trotz der guten Nachrichten kann von einer dauerhaften Genesung noch immer kaum die Rede sein. Sollte Schalke den Wiedereinzug in die Championsleague verpassen oder früh aus dem UEFA-Cup ausscheiden, bleibt frisches Gazprom-Geld aus. Müller erklärt, dass die Finanzplanungen des Vereines davon ausgehen, mindestens den dritten Platz in der Bundesliga zu erreichen und damit in die Champions-League-Qualifikation einzusteigen. Wird in einer Saison das Ziel verpasst, ist das zu ertragen. Ab der zweiten Saison müsse es Einschnitte geben, sagt Müller. Derzeit unterhält Schalke einen Spielerkader, der fast 60 Mio Euro im Jahr verschlingt. Würde Schalke bis zum Saisonende auf dem aktuellen siebten Platz verharren, könnte die nächste Krise drohen.

Schalke-Manager Andreas Müller bleibt deshalb so bescheiden, wie der Geschäftsführer einer schwäbischen Uhrenfabrik. Mittlerweile sei es gelungen, die bilanzielle Überschuldung zurückzuführen, sagt Müller: „Wir haben wieder Eigenkapital.“ Damit sei ein wichtiger Schritt in die Zukunft getan. Den Rest müsse man geduldig abwarten. Schließlich könnte ein Pfostenknaller in der letzten Minute den Unterschied ausmachen zwischen einem rettenden dritten Platz und einer neuen Krise.