Über das Verschwinden von Kultur nicht nur im Geld- und Warenkrieg

Das Phänomen der „Gleichschaltung“ hat viele Gesichter. Was man aus Jan-Pieter Barbians Analysen zur „Literaturpolitik im NS-Staat“ heute lernen könnte.

Inter arma silent musae. Im Waffenlärm schweigen die Musen, verstummen die Künste. Und was schon Römer und Griechen wussten, scheint sich gegenwärtig unter den Bedingungen eines aggressiven Casino-Kapitalismus und seiner Geld- und Warenkriege immer neu zu bestätigen – global, national, regional, lokal.
Was zur Zeit im Ruhrgebiet auf kommunaler/regionaler Ebene an Kürzungen im Kultur- und Kunstbereich en gros und en détail bereits durchgeführt wurde oder in Vorbereitung/Planung ist, das ergäbe wohl eine eigene kleine Broschüre unter dem Titel „Kultur? Alles muss raus!“ und spottet doch jeder Beschreibung. Oft nur lokal diskutiert und regional unbemerkt wird sie scheibchenweise abgetragen, die kulturelle Infrastruktur längs der Ruhr.
Und zweifellos steht dies in einem engen globalen Zusammenhang mit asozialen Spekulations-Geschäften, Finanz-„Blasen“, Rekordgewinnen und „Bankenschirm“, deren groteske Kehrseite unübersehbar eine Aushöhlung staatlicher Haushalte auf allen Ebenen ist

Leere Kassen – hohle Köpfe?
Kulturpolitik ist angesichts der allgegenwärtigen Denkverbote rund um die „leeren Kassen“ an ihrem Ende angekommen und hat ganz versagt, wenn sie sich nicht selbst endlich neu alphabetisiert/politisiert und ihre neoliberalen Rahmenbedingungen reflektiert. Kulturabbau, Mängelverwaltung, Krisenmanagement bei gleichzeitiger Förderung der Event-Kultur, des internationalen Kunst-und-Kultur-Highlight-Wanderzirkus’ sind jedenfalls nichts weiter als ideenlos. Kulturpolitik muss begreifen, dass globalen ökonomischen Prozessen endlich globale Bewegungen für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und kulturelle Selbstbehauptung entsprechen müssen. Diese Bewegungen können auch über Kulturpolitik (nicht nur die der öffentlichen Hand) initiiert werden und man kann damit regional beginnen.

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Die künstliche Not lächelt verführerisch – eine Ergänzung zu Stefan Laurin

Ein Problem (nicht nur des Ruhrgebiets) ist doch, dass gedankenloser Überfluss und trostloser Mangel so verflucht nahe beieinander liegen.

Auf der einen Seite z.B. ein Zuviel an immergleichen öden Stadtfesten bis hin zu Mega-„Events“ von der Stange und den dazugehörigen öffentlichen wie privaten/privatwirtschaftlichen Trägern, auch in der Kultur: vom tausendsten blöden Stelzenläufer bis zum Promi-Einkauf in Oper, Philharmonie, Theaterfestival, Klavierfestival, Literatur (jaja, manchmal mache ich da auch mit …).
Einfallsloses Dranhängen an flächendeckend filialisiertes nationales/globales Entertainment mit Zuschauer- und Sponsoring-Garantie. Brot und Spiele für möglichst viele.  Für Eliten dagegen eben nur das scheinbar Beste: Kreativität aus dem Große-Kohle-Konformismus-Katalog. Und für die Ärmeren zunehmend die Abfälle der aufgespritzten Charity-Ladies: was halt so an Sozialprojekt-Krümeln vom Buffet fällt.

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„Ich will mich erinnern/ an alles, was man vergißt“ – Zu Leben und Werk Erich Frieds – anlässlich seines 90. Geburtstags gestern

Juni 1988: Erich Fried in Duisburg - Foto: Jörg Briese

Nachdem ich gestern sehr persönlich an Erich Fried hier bei den Ruhrbaronen erinnert habe, möchte ich heute gern vor allem sein lyrisches Werk aus literaturkritischer Sicht vorstellen.

August 1938 – ein Siebzehnjähriger aus Österreich, dessen Vater kurz zuvor an den Tritten eines Gestapo-Mannes gestorben war, flieht aus Wien nach England. In London angekommen erklärt der junge Mann vor dem Jüdischen Flüchtlingskomitee dennoch, er wolle „ein deutscher Dichter“ werden. Der couragierte Möchtegernschriftsteller, von dem hier die Rede ist, war niemand anderes als Erich Fried. Und seinen aus Not und Ambition geborenen Wunsch konnte er gegen viele Widerstände tatsächlich verwirklichen, allerdings später als erhofft. Denn erst in den 60er Jahren begannen die Leserinnen und Leser in Deutschland langsam, Erich Fried als politischen Lyriker und Sprachartisten wahrzunehmen und zu schätzen.
Um 1980 sah das alles dann ganz anders aus: Eine junge Fangemeinde verehrte Erich Fried geradezu als großen alten Mann der Literatur, als Poeten mit Guru-Qualitäten. An kaum einer Pin-Wand bundesdeutscher Wohngemeinschaftsküchen oder auf den Flugblättern linker Studenten fehlten die Gedankensplitter Erich Frieds: „Beim Nachdenken über Vorbilder// Die uns/ vorleben wollen// wie leicht/ das Sterben ist// Wenn sie uns/ vorsterben wollten// wie leicht/ wäre das Leben“. Oder: „Status quo// Wer will/ daß die Welt/ so bleibt/ wie sie ist/ der will nicht/ daß sie bleibt“. Neben den „Liebesgedichte(n)“ begründeten solch pointierte Denkhilfen und Sprüche den Ruf Erich Frieds als unbequemer Mahner, als sinnenfroher Weltweiser, ja als allgegenwärtiger Gutmensch schlechthin.

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Vom Dichter geküsst – Über Liebeslyrik und den Unterschied zwischen Alltag und Text. Eine Erinnerung an Erich Fried, der am 6. Mai 90 Jahre alt geworden wäre

Erich Fried im Juni 1988 im Theater an der Ruhr, Mülheim
Erich Fried, Juni 1988, im Theater an der Ruhr, Mülheim - Foto: Jörg Briese

Malteserstraße 7, Duisburg-Duissern, im Sommer 1988 wohnen Erich Fried und Hildegard, eine junge Begleiterin, für ein paar Tage bei mir und meiner Freundin Katrin in einer unserer direkt nebeneinander liegenden Genossenschaftswohnungen. Fried hatte sich gewünscht, nicht in einem Hotel logieren zu müssen, sondern bei „lieben Menschen“ zu wohnen, und über solche nachdenkend, fielen wir uns damals natürlich gleich selbst ein.

Es war Katrins kleine Wohnung, die wir Fried für seine Lesungen im Ruhrgebiet als Basislager zur Verfügung stellten, während wir nebenan zusammenrückten. Katrin war erst zwei Jahre zuvor – nach einem Westbesuch bei ihrer Großmutter in Oberhausen – nicht ins DDR-Elternhaus zurückgekehrt. Erich Fried wird sich in diesen Tagen gelegentlich wundern über uns als ungleiches Paar: den Ex-Spartakus-Studenten und seine eher nebenbei aus der DDR getürmte propere Freundin, eine Hebamme von Beruf, die dem einst DDR-kritischen, aber -solidarischen Linken bei der Austreibung der allerletzten Illusionen über „drüben“ behilflich war.

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Dona Quijote, Weise und schönes spätes Mädchen – Katja Lange-Müller las gestern im Essener Maschinenhaus

Ich geb’s zu: Ich bin einer von denen, die nie zuviel kriegen von Katja Lange-Müllers Texten. So eine Überdosis KLM macht mich lebendiger als ich es eigentlich bin. Und – wie viele Leser – betrübt’s mich, dass ihre kurzen Romane so schnell an die Abgründe des Glücks und Unglücks führen und ein Trost oft nur darin liegt, auf ein neues Buch von Katja L.-M. zu warten.

Zu schnell vorbei, ‚dies Leben kömmt mir vor als eine Renne-Bahn’: So ging’s auch den Besucherinnen und Besuchern ihrer Lesung gestern im Maschinenhaus Essen, in dem Maschinen längst nicht mehr hausen, aber ein Kunstverein Carl Stipendium e.V.
Und der hat  aus dem schönen Backstein-Denkmal einen Produktionsort der Künste gemacht. Die Dampfmaschine, die hier einst Energie lieferte für die Schachtanlage Carl, braust zwar längst nicht mehr, Dampf aber wird immer noch gemacht. Etwa bei Crossovern (was für ein Wort!) von Jazz & Poetry, von Ausstellung mit Sprechmusik, von Alltagschaos bis Choreographie von Rock (meist nebenan in der Zeche Carl) bis zu Barock und Arie. (www.maschinenhaus-essen.de)

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Duisburg – „Wo das geht, geht alles“ – Ein Essay (ein Versuch)

Dispargum, Tusburch, Duisburgum Doctum, Duisburg am Rhein also, 2010 schien es erneut erledigt, unumstößlich diesmal. Nach weit über 1000 Jahren Stadtgeschichte wirkte dieses Duisburg, fünfzehntgrößte Stadt Deutschlands, wieder einmal wie ganz und gar kaputtgegangen, vollkommen kaputtgeschrieben, für dumm verkauft in den und an die Medien der Welt.

„Kaputtgeschrieben“
Kaputtgeschrieben wurden schon die Kumpels und Stahlkocher, als man sie einst ausmusterte, arbeits- und lebensunfähig gemacht von Staublunge, Blei oder Zinkdämpfen in Blut und Nerven.
Wie Manfred, mein Halbbruder, Sohn eines im Nachkriegsherbst `47 durchreisenden Binnenschiffers aus den Niederlanden, eines eben nicht nur über die Wellen fliegenden Holländers, sondern auch den frischen Rheintöchtern am Duisburg-Wanheimer Ufer zugewandt.

Einer mit Frau und Kind zumindest noch im Süddeutschen, wie meine Mutter in spe feststellen musste, als sie ihm rheinaufwärts nachreiste, liebeskrank. Da war die gebürtige Kolbergerin Edith Krolow aber doch froh, in diesem bereits zum x-ten Male ruinierten Duisburg – mit 9000 Tonnen Sprengstoff allein bei einem von 331 Luftangriffen gründlich ins Gesichts- und Geschichtslose gebombt – war sehr froh, nach dem promisken Binnenschiffer Monate später im Biergarten des Wanheimer Tanzlokals „Rheinlust“ noch auf einen Stettiner, genauer: einen Stargarder, zu treffen, meinen Vater Horst Waldemar Herholz. Man stammte quasi aus derselben Ecke, kam sich pommersch nah und kroch schließlich unter dieselbe Decke.

Totentanz
2010, dieses Mal jedoch hatte sich Duisburg ganz allein und selbst den Rest gegeben. Und hatte sich doch gerade erst grell maskiert zum Europäischen Karneval, geschminkt für die Dauerfeier keiner Kunst-,

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Armut essen Seele auf. Wildes Lesen dagegen täte allen Kindern gut

Welche Vorschläge tauchen zu kommunalen oder Landes-Haushaltspleiten immer zuerst auf? Genau: bei Jugend, Soziales, Kultur & Bildung kürzen!
Doch schon heute gilt, was Prof. Strohmeier vom ZEFIR (Zentrum für interdisziplinäre Sozialforschung an der Ruhr-Uni Bochum) 2009 in einem Vortrag über „Zwei Kindheiten in der Stadt“ auch für die Region zwischen Duisburg und Dortmund mit ihrem „Sozialäquator A40“ beschrieb:
Dort wo die meisten „Ausländer“ und die meisten „armen Leute“ leben, wächst in den großen Städten die Mehrheit der nachwachsenden Generation auf. Die soziale Lage der Eltern, der Migrationshintergrund und die Adresse (Wohnort, G.H.) sind wichtige Determinanten ihrer Lebenschancen.

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„Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig“ (Nestroy) – Eine Geistesabwesenheit

„Die Gewinne der größten deutschen Konzerne sind im vergangenen Jahr stark gestiegen – die Zahl der Arbeitsplätze blieb dagegen fast konstant. Vor Steuern und Abschreibungen verdienten die 30 Konzerne des Deutschen Aktienindex 2010 insgesamt 96,6 Milliarden Euro. (…)“ Armes reiches Deutschland. Gestern auf Spiegel-Online.

Unter diesen Konzernen auch Deutsche Telekom, RWE (siehe Diskussion um Städtebeteiligungen und Atomgeschäfte hier) und natürlich Deutsche Bank (siehe Nachrichten von gestern und kommunale Pleiten auch durch Wettspekulationen/Zockergeschäfte).
Die Gewinnsumme läge, so SPIEGEL-Online weiter, „66 Prozent über jener in der Wirtschaftskrise 2009. (…) im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2008 seien die Gewinne 2010 um 22 Prozent gestiegen.“

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Fällt der Kulturherbst 2011 für freie Träger und Projekte in NRW aus?

Dieter Gorny, ECCE

Große Verunsicherung beim Grünen-Kulturratschlag im NRW-Landtag am Freitag – Erste Rufe nach einem Notfallplan – Bekommt ECCE im Ruhrgebiet mehr Einfluss?

Eingeladen hatten die Grünen im Landtag die Kulturszene NRWS zur Diskussion um den Kulturetat des Mix-Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Kultur und Sport (MFKJKS). Geplant war sicher, am letzten Freitag über den Kulturhaushalt insgesamt, aber auch Schwerpunkte, Perspektiven und mögliche Umverteilungen zu diskutieren. Doch die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW zum Nachtragshaushalt 2010 und die Frage danach, ob und wann NRW in diesem Jahr überhaupt einen verfassungskonformen Haushalt verabschieden dürfte, interessierte die meisten Teilnehmer des Ratschlags sichtlich mehr.

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2011 – das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen?

Das Ruhrgebiet hat eine öffentliche Diskussion zur Kulturpolitik bitter nötig. Eine Einladung auch an Michael Townsend

Lieber Michael Townsend,

dann versuche ich also mal, mit Ihnen – wie empfohlen –  ‚glaubwürdig zu kommunizieren‘ ;-))
Sie schreiben in Ihrem letzten Kommentar zu meinem Ruhrbarone-Beitrag Casino-Kapital frisst Kinderwürde und Kultur – 2011 droht nicht nur die freie Szene in NRW finanziell abzustürzen:
„Zur Zeit schöpfen sicher alle nicht aus dem Vollen; weder die Freie Szene noch die kommunalen Institutionen im Kultur-, Sozial- und Sportbereich. Entscheidend ist für mich, dass das finanzielle ‚Kürzertreten‘ so erfolgt, dass die vorhandenen Strukturen erhalten bleiben. Ein ‚bisschen ausatmen‘ ist hier sicher zumutbar. Für alle. Natürlich gehen nicht mehr alle Projekte, die man sich vornimmt.“

Ich entgegne darauf:
Jetzt tappen Sie aber doch in die berüchtigte „Teile-und-herrsche-Falle“ oder stellen sie gar selbst auf?

Mir jedenfalls geht’s auf keinen Fall darum, Soziales gegen Kultur oder die Misere der kommunalen Einrichtungen gegen eine der freien Szene auszuspielen. Und Sie sollten das auch nicht tun.
Oper gegen Übungsraum für Rockmusiker, Bibliothek gegen Literaturhaus, Konzerthaus gegen Kindergärten usw.: Das ist Schnee von gestern. Auf diese Sackgassen-Diskussion will ich mich einfach nicht mehr einlassen.
Ich fordere schlicht das Beste für alle – und zwar überall da, wo es darum geht, menschenwürdige Rahmenbedingungen für das Wachstum von Menschen zu schaffen. Und wenn‘s dann nur das Gute und nicht das Beste wird, haben wir eben noch Spielraum nach oben. Wer keine Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen (frei nach Helmut Schmidt).

Sich abfinden mit dem Abgefundenwerden?
Nur um eines geht es mit Sicherheit heute nicht mehr – wie Sie schreiben -, nämlich um:
Kürzertreten, ein bisschen ausatmen, nicht mehr aus dem Vollen schöpfen, nicht mehr so viele Projekte vornehmen.  Diese Rhetorik, diese Haltung eines Sich-Abfindens mit dem Abgespeistwerden etikettieren Sie verniedlichend als ‚Zumutbarkeit‘.

Gegen Zumutungen sich etwas zumuten
Gerade wir, die wir kulturpolitisch agieren, sollten uns endlich etwas zumuten, also den Mut zu oder für etwas haben und nicht den Mangel auf immer niedrigerem Niveau immer einfallsloser verwalten.  Sich etwas zumuten:  Das also ist nicht der kleinmütige Mut eines Beifalls für das überall verordnete, verharmlosend so benannte ‚Sparen‘. Auch hinter diesem Euphemismus verbergen sich tatsächlich Umverteilung, Kürzung, Kapitulation vor den vermeintlich unveränderbaren ökonomischen Gegebenheiten.
Es geht also schon lange überhaupt nicht mehr um ein Kavaliersdeliktchen von ‚halt mal ein bisserl weniger Kultur, bis die Zeiten wieder besser sind‘.

Gewinne vergesellschaften
Wo auch immer ich im Moment die Wirtschaftsseiten lese (sogar in der WAZ), da hagelt’s Rekordgewinne. Wer kassiert und besitzt aber diesen immensen gesellschaftlichen Reichtum?
Es scheint zu bleiben, wie es immer war: Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste aber einer bereits zuvor schon einmal abkassierten Gesellschaft aufgebürdet (wie jetzt auch durch die Atomindustrie in Japan).

Für das 2010lab.tv schrieb ich vor 10 Monaten unter
www.2010lab.tv/…/kultur-alltagsmythen-1-tanze-ums-goldene-kalb-–-bete-den-sponsor – :
Welchen Banken gehört eigentlich Deutschland?
Ein geldsüchtiger Markt berauscht sich ungebrochen an immer größeren Ertragssteigerungen, global wie lokal sind die Folgen verheerend: So schrieb die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) bereits am 13.3.09: ‚Kindersterben durch Finanzkrise. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) befürchtet, dass bis 2015 bis zu 2,8 Millionen Kinder wegen der Auswirkungen der Finanzkrise sterben werden. Die Krise verursache dramatische Engpässe in den Gesundheitssystemen armer Länder (…).‘

Und lokal? Kulturelle Einrichtungen (die früher einmal auch aus Unternehmenssteuern gezahlt wurden) werden abgewickelt oder darben chronisch unterfinanziert, oft sind die Arbeitsbedingungen demütigend. Trotzdem halluzinieren viele Politiker immer noch, zu einer vermeintlich effektiven Wirtschaftsförderung gehöre sozusagen als Bonus auch eine Neuordnung der Kunst- und Kulturlandschaft im Sinne der Wirtschaft und ihrer leidenden Angestellten.“

Therapie ohne Diagnose?
Wenn wir weiterhin kulturpolitisch auf Recherchen, nüchterne Analyse und das Herstellen von (wirtschafts-) politischen Zusammenhängen verzichten und sozusagen nur noch theoriefrei einen Worthülsen-Pragmatismus „starker Vorwärtsgewandtheit“ (Was ist das?) propagieren, sind wir verloren und können früher oder später als Kulturförderer sowieso unseren Hut nehmen.

Kulturelles Leben stimulieren oder simulieren?
Sie schreiben zum Schluss Ihres Kommentars:
„Aber dieses Tief ist nicht das erste und nicht das letzte, aus dem wir uns herausarbeiten müssen und werden. Das geht mit Tatkraft, großer Überzeugung, das Richtige und das Wichtige zu tun, und starker Vorwärtsgewandtheit.“

Ich antworte:
Große Worte, lieber Herr Townsend,
aber trotz besch… Arbeitsbedingungen kenne ich kaum ‚rückwärtsgewandte‘ Akteure der freien Szene. Im Gegenteil, die meisten sind engagierte Leute, Liebhaber der Kunst, sozial hoch engagiert, beherzt, wach.

Ich selbst halte es zu meiner eigenen Ermutigung immer mit einem Satz Horkheimers, der einmal von sich gesagt hat, er sei im Theoretischen Pessimist und im Praktischen Optimist. Meine von Bourdieu, Negt und vielen anderen inspirierten Analysen betonen sehr stark die Kritik an den bestehenden Verhältnissen einer Kultur- vor allem als Wirtschaftspolitik. Hier bei den Ruhrbaronen schreibt auch Laurin über das Dortmunder U, Ecce und andere teure Vorzeigeprojekte wie das 2010lab.tv (liebe Güte, ist da dann doch – Abrakadabra – viel Geld vorhanden).

Durchdachte Kritik ist der Beginn von Veränderung
Kritik, das kommt aus dem Griechischen und meint: unterscheiden können.
Eine einfältige Argumentations-Figur (in der Kulturhauptstadt-Diskussion leider oft bemüht) lautet dagegen:
Kritiker an Kulturabbau oder Kultur- als Kampagnenpolitik  sind bloß Nörgler, Besserwisser, Jammerer, Ewiggestrige, Pöstchenbewahrer. Mit dieser Abwertungs-Figur versuchte man sich selbst als ‚innovativ‘ (pah!), ‚open-minded‘ (puh!), ‚zukunftsorientiert‘ (bäh!) und ‚Macher‘ (ächz!)  ‚erfolgs- und zielorientiert‘ (o nein!) zu ‚positionieren‘ (würg!).

Qualifizierte Kritik aber zielt immer darauf, das Bessere möglich zu machen
Und Kritik stellt Zusammenhänge her. Zwischen global und lokal, zwischen Geld und Gewissen, zwischen Tun und Unterlassen.
Gegen die Globalisierung im Sinne des großen Geldes z.B. muss eine Globalisierung des Umwelt- und Arbeitnehmerschutzes gesetzt werden. Gegen die Globalisierung der Zerstörung von Menschenwürde muss eine Globalisierung der Praxis von (sozialen) Menschenrechten verwirklicht werden. Gegen die Privatisierung von Unternehmensgewinnen (bei gleichzeitigem Abwälzen aller Verluste auf die Bürger), ja …, da könnte man doch einfach mal die Vergesellschaftung der Gewinne setzen, jedenfalls ein bisserl.
„Ein ‚bisschen ausatmen‘ ist hier sicher zumutbar“, empfehlen Sie der freien Szene; empfehlen Sie’s doch mal der Deutschen Bank, den Energieriesen oder den Brüdern Albrecht. Und siehe: Plötzlich wäre Geld genug für Soziales, Bildung und Kultur da.
Und wenn die dann auch mal – wie von Ihnen allen empfohlen – „finanziell kürzer treten“ und gesellschaftliche Verantwortung wirklich übernehmen,  dann diskutiere ich auch gerne mit Ihnen darüber, ob einige Kulturarbeiter nicht zu viel Fett angesetzt haben und den Gürtel enger …, wer sich wann wo wandeln müsste, ob Sozialausgaben besser gesteuert gehören, wo mehr Eigeninitiative fehlt.

Pathos? Ja, gerne
Bisschen viel Pathos? Naja. Pathos kommt aus dem Griechischen (schon wieder! verflixt!) und heißt neben Leiden auch: Leidenschaft. Und mir tun – um mit Lichtenberg zu sprechen –  viele Sachen weh, die andern nur leidtun.

Vielleicht schaffen wir es, die Diskussion fortzusetzen und öffentlich stärker zu entfachen.
Dass Sie sich für Kultur ins Zeug legen, ehrt Sie allemal.
Aber Sie dürften’s  ruhig auch für mehr und bessere Kultur tun –  das würde dann allerdings mit einer Dekonstruktion der sogenannten Spar- und Sachzwänge beim Kulturabbau als freiwillige Leistung beginnen müssen.