Es ist immer Zufall, aber die Bahn scheint genau im richtigen Augenblick über die Schienen zu donnern und das Gewölbe unter den Gleisen zu erschüttern – das intensiviert die auf der Bühne sich entfaltende Mischung aus 90er-Beats, Drogenrausch, Neon-Tights und Nachdenklichkeit. Eine aktuelle Adaption des Romans beziehungsweise der Bühnenfassung von Irvine Welsh (nicht etwa des Danny-Boyle-Films mit Ewan McGregor) sorgt zurzeit für gut gefüllte Sitzreihen in Bochums Off-Szene.
Das aus acht Newcomer-Schauspielern bestehende „young `n rotten“-Ensemble, Do-it-yourself-Jugendtheater der Rottstr.5, erzählt die Geschichte von Freunden, die sich alle gefährlich nah am sozialen Abgrund bewegen: entweder haben sie ihn knapp überwunden, sind kurz vor dem Absturz oder erleben gerade das geballte Beschissenheitspotential des Lebens. Das Stück berührt Grundthemen menschlicher Existenz – Verlust, Versagen, Verlangen, Verzweiflung. Von Euphorie bis Selbstaufgabe. Von Freundschaft bis Fehlgeburt.
Alle Darsteller überzeugen, obwohl es für viele die erste professionelle Bühnenerfahrung ist. Thomas Kaschel als Ex-Junkie Mark Renton kommentiert in fast unbeteiligtem, sarkastisch-resigniertem Ton, aber umso exzessiver gespielten Rückblenden den eigenen (Über)Lebenskampf und den seiner Freunde im tristesten Teil von Edinburgh. Der immer am Rande des Wahnsinns taumelnde Frank Begbie dagegen (Akbar Paktin) strahlt so viel aggressive Energie aus, dass die Zuschauer in den ersten beiden Reihen gut beraten sind, nicht ohne das passende Nervenkostüm anzutreten. Die eigentliche Geschichte aber handelt von Tommy (Ricardo Hopf ), dem Einzigen, der am Anfang über dem Sumpf aus Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Beziehungsproblemen und Drogensucht zu schweben scheint – und am Ende am tiefsten drinsteckt.
Alles auf der Bühne scheint eine mehrdimensionale Metapher für vertane Chancen, fürs Verlieren auf ganzer Linie zu sein. Typen verlieren ihre Mädchen, Freunde ihren besten Freund, Junkies die Kontrolle, Absteiger ihr letztes Bisschen Stolz. AIDS und Schlägereien sind genauso präsent wie Angst und Abhängigkeit. Zu loben ist die Musikauswahl, die – für geschulte Ohren zu erkennen – hauptsächlich aus dumpfen Pionier-Techno-Tracks der Neunziger Jahre besteht und die durch den Theaterraum kriechende Stimmung aus Sucht, Lust und Entzugskampf perfekt untermalt. Aber keine Sorge, obwohl man durchaus emotional erschöpft den „Bunker“ verlässt, haben wir es nicht mit einer post-modernen Untergrund-Tragödie zu tun. Auflockernde Situationskomik und Wortspiele sind in gesunder Regelmäßigkeit eingestreut.
Wie setzt man Sucht auf der Bühne um? Wie verhindert man das redundante Bild der Koks-Line, der Spritze oder des Teelöffels überm Feuerzeug? Das Problem der Darstellung zahlloser bewusstseinserweiternder Substanzen mit den unterschiedlichsten Aggregatzuständen wurde (durch ein Brainstorming der gesamten Besetzung) intelligent und wirkungsvoll gelöst: eine Flüssigkeit aus Goldstaub und Wasser, in die die Junkies auf der Bühne immer wieder ein und im Rausch wieder auftauchen, steht für alle im Stück genannten Drogen von Speed bis H. Die auffallend häufig rottönige Beleuchtung und der Einsatz von Stroboskoplicht tun ihr Übriges.
Stellenweise wirkt die Inszenierung leicht übersteuert, „lauter“ und greller als sie sein müsste: ein Publikum mit von der Bühne gebrüllter Vulgärsprache zu schockieren, ist seit Jahrzehnten kaum noch nötig oder gar möglich. Und doch ist dies eines von vielen Elementen, die verhindern, dass der theaterfreundliche Bildungsbürger es sich zwei Stunden lang in seinem Sitz gemütlich machen kann.
Trainspotting erzählt vom Dilemma, das Jungsein in vollen Zügen auskosten zu wollen und dann doch im Kreislauf aus Benommenheit, Sex und Langeweile auf der Stelle zu treten.
Davon, wie leicht es ist abzurutschen und wie schwer wieder aufzusteigen. Am Ende ist es ein Stück über das, was das Leben gut macht und das, was es zerstört – und die komplizierte Welt dazwischen, in der man sich so leicht verlieren kann.
Mehr Infos: Rottstr5 Theater