Nicht reif – noch mehr Vorschläge für Duisburg

Im Juli bat Sören Link den Ruhrtriennale-Intendanten Heiner Goebbels, das Projekt „totlast“ von Gregor Schneider nicht in Duisburg zu realisieren. Vielleicht war die Bitte auch etwas schärfer formuliert, da kann man drüber streiten. Die Stadt der Loveparade-Katastrophe sei noch nicht reif für ein Kunstwerk, das sich mit Enge und Desorientierung auseinandersetzt. Mit dieser Entscheidung zeigte sich Sören Link nicht einfach nur als kunstkluger Lokalpolitiker, sondern als ein treu sorgender Stadtvater, der seine Schäfchen stets redlich behütet. Dieser wegweisende Vorstoß eines Oberbürgermeisters sollte nicht ein Einzelfall bleiben, denn in Duisburg gibt es noch etliche Kunstwerke, für die die Duisburger Bürgerinnen und Bürger angesichts diverser erst vor Kurzem durchgestandener Lebenskatastrophen nicht reif sein dürften.

58,9% der erwachsenen Duisburger leiden unter Übergewicht. Wie kann es da sein, dass mitten in der Fußgängerzone eine „Nana“ genannte überdimensionale vollschlanke Frau in leuchtenden Farben und mit Flügeln das Übergewicht verherrlicht. Wer denkt hier an das schwere Leid der Dicken, die sich Tag für Tag an dieser Skulptur vorbei zum nächsten McDingsbums schleppen? Müssen sie sich nicht geradezu verhöhnt fühlen durch diesen Anblick? Weg damit!

 

 

wikimedia commons / NatiSythen
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Mit Duisburg geht es beständig bergab. Die Stadt schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt mit der Verschuldung um die Wette und das Image ist sowieso schon im Keller. Das ist die alltägliche Erfahrung zahlloser Duisburger und Duisburgerinnen. Wie muss es sich da anfühlen, wenn sie die „Tiger & Turtle“ genannte Landmarke vor Augen haben, die ihnen suggeriert, es würde auch irgendwann mal wieder bergauf gehen? Kann man das wirklich den DuisburgerInnen zumuten? Nein. Weg damit!

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Stahlindustrie gibt es in Duisburg kaum noch. Die Überreste dieser einst stolzen Industrie, die die Stadt reich machte, gemahnen DuisburgerInnen heute nur noch an ihre eigene Arbeitslosigkeit. Darf man dann diese Überreste, die für das Elend des heutigen Duisburgs stehen, auch noch durch farbige Beleuchtung in der Nacht sichtbar machen. Wie zynisch ist das gegenüber all jenen DuisburgerInnen, die durch die Schließung der Werke in die Erwerbslosigkeit gestürzt sind? Weg damit!

Tausende DuisburgerInnen sind kurzsichtig. Wenn sie ihre Brille verlegt haben, wird jede Suche nach einem heruntergefallenen Gegenstand zur Qual. Dennoch wird immer noch die Skulptur „Der Gestürzte“ im Lehmbruck-Museum öffentlich gezeigt. Allzu offensichtlich sehen wir hier einen Menschen mit starker Kurzsichtigkeit, der in einem verfilzten Flokati nach einem gerade abgeschnittenen Fussnagel  sucht. Leicht vorstellbar welche traumatischen Erfahrungen dieser Anblick in den vielen Kurzsichtigen der Stadt wieder wach ruft. Weg damit!

FAUST: Die „Kleinen“ für das Ruhrgebiet

Foto: Daniel Hengst
Foto: Daniel Hengst

Der deutsche Bühnenverein hat die Nominierungen für den Theaterpreis FAUST bekannt gegeben. Verliehen wird er am 8. November in Hamburg. Das Ruhrgebiet ist wieder mit zwei Nominierungen durch eher „kleine“ Theater vertreten: Oberhausen mit der „Orestie“ in der Regie von Simon Stone in der Kategorie „beste Regie Schauspiel“ und Dortmund mit „Das goldene Zeitalter“ und Pia Maria Mackert in der Kategorie „beste Bühne/Kostüm“.

Und das Theater Dortmund vermeldet gerade auch eine weitere Auszeichnung: Beim Artodocs Filmfest in St. Petersburg wurde Kay Voges‘ Inszenierung von Wolfram Lotz‘ „Einige Nachrichten an das All“ für die beste Regie ausgezeichnet. Die bereits dritte Auszeichnung für die Genreüberschreitende Arbeit nach dem zweiten Platz beim renommierten Sunset Film Festival in Los Angeles und dem ersten beim NRW Theatertreffen.

Ruhrtriennale: Der Spielplatz ist eröffnet

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Am 15. August startete die Ruhrtriennale 2014 – die letzte Saison von Heiner Goebbels. Den Auftakt um 15 Uhr machte im Duisburger Landschaftspark die Eröffnung des diesjährigen Kooperationsprojektes von Urbane Künste Ruhr und der Ruhrtriennale. Und als wollte das Wetter noch einmal an „Tower – Instant Structure“ vom vergangenen Jahr erinnern, regnete es erstmal in Strömen.

Tatsächlich ist „Melt“ vom Künstlerpaar Cantoni/Crescenti wieder eine interaktive Installation und noch mehr als „Tower“ wird sie erst durch die Benutzung durch die Besucher sinnvoll. Es handelt sich um einen 70 Meter langen niedrigen Steg aus polierten Aluminiumplatten, die beweglich gelagert sind. Zunächst wirkt der Steg wenig beeindruckend und im Vergleich zu der Architektur des Stahlwerkes ziemlich klein. Selbst wenn man Besucher auf dem Steg beobachtet, ist das noch wenig spektakulär. Erst wer selbst auf den Platten steht, merkt die Macht der Vibration, die von jeder eigenen oder fremden Bewegung ausgeht. Bei der Eröffnung war viel die Rede von „Kommunikation“, die dabei entstehe. Das mag etwas hochgehängt sein, da schon bei mehr als zwei Besuchern nicht mehr feststellbar ist, von welchem Besucher die Bewegungen ausgehen, auf die man selbst gerade reagiert. Eine sehr lebhafte Interaktion ist es allerdings auf jeden Fall. Und eine fast sportliche noch dazu. Irgendwo zwischen Busfahren im Stehen und Training auf der Powerplate. Eine poetische Ebene erhält die Arbeit durch den Titel: „Melt“ spielt darauf an, dass die polierten Aluminiumplatten sich in den Lichtreflexen, die sie an die umgebenden Gebäude spiegeln, zu verflüssigen scheinen.

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Duisburg ist überflüssig – und will es auch bleiben

Photo 1: HAUS u r, Rheydt 1985 - today © Gregor Schneider / VG Bild-Kunst Bonn
Passt doch eigentlich super zu Duisburg. (HAUS u r, Rheydt 1985 – today
© Gregor Schneider / VG Bild-Kunst Bonn)

Es ist ja wirklich nicht so, dass Duisburg nicht etwas gute Presse gebrauchen könnte. So nach Loveparade und Landesarchiv, Sauerland und Küppersmühle. Da ist doch eigentlich Kunst immer ganz gut geeignet. Und Duisburg bekam das Marketing-Bonbon auf dem hochglanzpolierten Silbertablett serviert: Gregor Schneider sollte eine seiner spektakulären und publikumsträchtigen, gleichfalls aber seltenen Installationen in Duisburg realisieren. Das hatten sich das Lehmbruck Museum und die Ruhrtriennale gemeinsam ausgedacht. Gregor Schneider wurde zum Star der Kunstszene, als er eingeladen wurde seine über Jahre hinweg im Haus seiner Eltern entwickelte begehbare Rauminstallation Haus Ur im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2001 nachzubauen. Damals gewann er prompt den Goldenen Löwen.

Jetzt plante Schneider also eine großangelegte Installation im Lehmbruck Museum und drumherum. Durch Röhren sollten die Besucher in verschiedene  – bei Schneider zu erwarten: alptraumhaft, klaustrophobische – Räume gelangen. Klar, kein gutes Thema in der Stadt der Loveparade-Katastrophe. Aber laut der Pressemitteilung der Ruhrtriennale war die Zusammenarbeit zwischen Festival, Museum, Künstler und Stadt sehr kooperativ. Schneider sei etliche Kompromisse eingegangen, um alle Sicherheitsansprüche der verschiedenen beteiligten Ämter zu erfüllen. Laut Ruhrtriennale waren Sicherheitsbedenken aber auch gar nicht der Grund dafür, dass Duisburg nun die Installation abgesagt hat. Der Grund sei gewesen: Die Arbeit passe nicht in die Stadt.

Und vielleicht liegt Duisburg damit ganz richtig. Vielleicht ist es einfach zu spät, dass noch einmal positive Schlagzeilen aus der Stadt am Rhein kommen. Vielleicht müssen wir ja nur das Lehmbruck-Museum abbauen und in Essen wieder aufbauen und dann sprengen wir den Rest, der da so noch rum steht. Stimmt, Duisburg, es hat einfach keinen Sinn mehr mit dir. Wir machen dich zu. Tschüss.

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Wie „Premium“ ist Essen?

evag_bahnWie die WAZ am Freitag meldete, beschloss der Verwaltungsrat des VRR „nach kurzer Debatte“ die Erhöhung der Ticketpreise zum Beginn des nächsten Jahres. Derzeit wird gerne gemutmaßt, die Bundesregierung nutze das WM-Fieber, um unbehelligt von der Öffentlichkeit unangenehme Entscheidungen durchzuprügeln. Der VRR macht es vor.

Wenn Fussball-Ruhrgebiet damit beschäftigt ist, rechtzeitig zum Spielbeginn in seine Lieblingskneipe zu kommen, obwohl gerade mal wieder eine U-Bahn wegen Triebwerkschaden ausgefallen ist und weder die Anzeigetafel noch die Stimme im Lautsprecher einen darüber informiert – vielleicht hätte man es ja zu Fuss noch rechtzeitig geschafft –, dann ist die Suche nach dem nächsten Taxistand halt wichtiger als sich über die Tarif-Pläne des VRR aufzuregen. Deshalb stehen die Chancen gut, dass der VRR auch diesmal wieder um nennenswerte Proteste drum rumkommt. Mit einem neuen Bremen 1968 können wir wohl leider nicht rechnen.

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Michael Townsend – dumm, dreist oder beides?

Michael Townsend (www.bochum.de)
Michael Townsend (www.bochum.de)

Michael Townsend ist Bochums langjähriger Kulturdezernent und seit September 2013 auch Stadtdirektor und damit der mächtigste Mann in der Bochumer Verwaltung. Als Kulturdezernent glänzte er bereits durch weitestgehende Abwesenheit. Im Schauspielhaus sah man ihn nur in Ausnahmefällen und auch bei der Enthüllung des restaurierten „Terminal“ – immerhin eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Bochums – suchte man ihn vergebens.
Aus Zeiten, da Townsend noch auf Facebook aktiv war, weiß man, was er abends lieber tut: Mit Hund und einem Glas Rotwein auf der Terrasse sitzen. Nun macht die bloße leibliche Anwesenheit bei Kulturveranstaltungen noch keinen guten Kulturdezernenten, aber es zeigt wenigstens eine gewisse Wertschätzung gegenüber der Kultur. Damit scheint es im Fall von Michael Townsend aber nicht weit her zu sein.

Am 23.5.2014 meldeten die Ruhrnachrichten, dass das Gelände des Freien Kunst Territoriums (FKT) an der Bessemer Straße verkauft wurde und die dort arbeitenden Künstler bereits zum August das Gebäude geräumt haben müssen. Eigentümer der Anlage war bisher Thyssen Krupp, die die Altimmobilie nun an einen Medizintechnikhersteller verkauft hat. Bis hierher ist das

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Aschenputtel mit Flitterkanonen

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Foto: Björn Hickmann (Stage Pictures)

Am 22.3. hatte im Dortmunder Opernhaus Rossinis La Cenerentola Premiere. Ausnahmsweise setzte ich mich diesmal über alle Regeln des guten Kulturjournalistentons hinweg und beginne mit schonungsloser Subjektivität. Ich mag italienische Opern nicht besonders. Mit Verdi kann ich leben, Puccini ist für mich blanker Kitsch und Rossini finde ich eher langweilig. Gut, die Ouvertüren machen sich in jedem Silvesterkonzert hervorragend und auch mir gute Laune, aber der Rest..

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Oper Dortmund: Wir sind doch alle verknallt in Carmen

Carmen und Don José im Grenzland (Foto: Thomas M. Jauk / Stage Pictures)
Carmen und Don José im Grenzland (Foto: Thomas M. Jauk / Stage Pictures)

Opernhits am laufenden Band, ein bisschen andalusische Folklore und selbst Nicht-Opernfans können fast vom ersten bis zum letzten Takt mitsingen. George Bizets „Carmen“ ist für jedes Opernhaus, jeden Musiker und jedes Regieteam Fluch und Segen zugleich. Beim Publikum kommt der schmissige Spanientaumel garantiert an, aber wie bewahrt man Carmen vor dem großen Kitsch-Overkill? Tatsächlich lauert ja unter der gleißenden musikalischen Oberfläche eine unvergleichlich brutale und illusionslose Geschichte. Ununterbrochen wird in der „Carmen“ über Liebe gesungen, jeder will hier jede und umgekehrt, aber eine einigermaßen echte Emotion gibt es nicht. Oder wenn – im Fall von Don José vielleicht – wird sie schnellstmöglich zu Hass und Gewalt umgewandelt. Gleich der hübsch pittoreske erste Akt auf dem Platz vor einer Zigarettenfabrik macht klar, dass „Liebe“ im besten Fall ein Spiel ist, meist aber ein reines Machtinstrument.

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Zurück zur Operette

Der Graf von Luxemburg

Am Samstag, 11.1. hat im Dortmunder Opernhaus Franz Lehárs Operette „Der Graf von Luxemburg“ Premiere. Nach der Csardasfürstin in der vergangenen Spielzeit die zweite Inszenierung einer Operette der zweiten Wiener Generation.

Bis in die 1980er Jahre hinein, war eine Operetten-Inszenierung pro Spielzeit an deutschen Opernhäusern normal. Allzuoft wurden die „kleinen Opern“ dabei jedoch nur als Auslastungsgaranten gesehen und eher stiefmütterlich behandelt. Humorvolle Storys und jede Menge Walzer- und Polkahits garantierten volles Haus. Da reichten für die Ausstattung ein paar hübsche Wiener Salons und jede Menge Tüllkleider. Das Dirigat überließ man dem zweiten Kapellmeister, auf der Bühne durften sich die Neuzugänge im Ensemble oder ein paar Gäste von den Musikhochschulen ausprobieren und die Inszenierung war eigentlich egal. Selbstverständlich war das in Österreich immer anders, wo eine große Operettentradition das Genre ernst nahm, eine hervorragende Soubrette oder ein genialer Spieltenor nicht weniger gilt als ein Heldentenor oder ein hochdramatischer Sopran, die sich im Wagner-Ring schlagen.

Die steifmütterliche Behandlung des Genres in Deutschland blieb nicht ohne Spuren. In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich die Spielpläne unter wachsenden wirtschaftlichen Druck massiv verändert. Die Pflege des klassischen Musical-Repertoires wurde durch die Andrew-Lloyd-Webber-Konfektionsware zerstört, Uraufführungen wurden zu heikel und verschwanden fast völlig von den Spielplänen und die langweilig ausstaffierten Operetten konnten sich ebenfalls nicht halten. Sie wurden ersetzt durch ihr tragisches Pendant: Puccini. Die

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Voges – Tannhäuser – Lady Gaga

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf WartburgGerade durfte der Intendant des Dortmunder Schauspiels noch am Theateroscar „Der Faust“ schnuppern – und ist damit in die Riege der deutschen Topregisseure aufgestiegen – jetzt inszenierte er seine erste Oper. Und dann gleich Richard Wagners „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg“. Dass sich der erklärte Punkrock-Fan und gänzlich opernunerfahrene Kay Voges bei seinem Erstversuch in diesem Genre, der am 1.12.2013 Premiere feierte, ausgerechnet in die gefährliche Wagnerianer-Hölle wagt, wo Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte dank Bayreuths immer noch eine ganz besondere Rolle spielen, kann man je nach Perspektive als Naivität oder Größenwahn lesen. Die Idee kam allerdings nicht von ihm selbst, sondern vom Dortmunder Opernintendanten Jens-Daniel Herzog, der nach dem Besuch von Voges‘ Inszenierung von „Der Meister und Margarita“ gesagt haben soll: „Wenn du so Wagner inszenierst, dann will ich einen Tannhäuser von dir.“

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