Rettet den Blätterwald (5) – Heute: TV klar

Das (Lokal- bzw. National-)Fernsehen! Und dann noch ein Magazin zum Thema! Erinnerungen werden wach: Knackige Uhrzeiten und Sendungstitel. Manche bekamen gar einen kleinen Text, wenige andere gar ein Foto. „Programmzeitschriften“ nennen dieses Genre auch heute noch manche Menschen – und einige kaufen sie auch noch! Diese lose ArtikelSerie hingegen behandelt Printobjekte, zu denen der Autor fast jedes Mal nahezu feierlich schwört, sie ob totaler Nutzlosigkeit nach Veröffentlichung des Artikels nie wieder zu kaufen. Diesmal also Thema im deutschen Blätterwald: Besonders kleinkarierte Depressiva.

Die aktuelle Ausgabe (sorry, das Foto ist zum Selbst-Interpretieren): Auf dem Cover das Profil einer nahezu Mitleid heischenden Frau namens Suzan Anbeh, die irgendetwas mit einer Sendung namens „Kriminalist“ zu tun hat. Eine „Sommerpause“ wird hierzu angekündigt. Ein erstaunlicher Aufmacher. Darunter der Identitätstifter-Werbeslogan „Alles drin, alles dran, alles klar!“ mit der Detail reichen Erläuterung „Rezepte, Medizin-Tipps, Schicksale, Horoskop, Rätsel, Verbraucher-Tipps, Ihr aktuelles TV-Programm“ nebenan. Was genau soll die Fernsehnation sonst noch interessieren? Aha: „Giftalarm in Parks & Gärten“, „Musikantenstadl“, „Schutzimpfungen“, „Toskana“. Bestimmt irgendwie nahe liegend.

Ins Heft: Die erste Anzeige wirbt offensichtlich Verlag intern für das Blatt „Mein Hund & Ich“. Neben dem Inhaltsverzeichnis zeigt das „Bild der Woche“ einen einsamen kleinen Jungen in einem ansonsten leeren Stadion. Darunter wird in aller Kürze erklärt, warum Suzan Anbeh sich von ihrem Schauspielerkollegen-Lebensgefährten getrennt hat. Ein Cartoon, ein Spruch von Otto Waalkes und ein Witz sollen die Seite 3 anscheinend „abrunden“. Die Rubrik „Im Brennpunkt“ beschäftigt sich mit dem Einheiraten in Großfamilien und gibt ein paar Verbrauchertipps dazu, bevor es nach dem Umblättern schon in die Toskana geht. Eine nachvollziehbare Abfolge: Harte Themen, weiche Themen, Kreuzworträtsel.
Es folgen „Gesundheit“ und „Schönheit“ (Kurz-Rubriken) und Werbung für ein Medikament gegen „nachlassende mentale Leistungsfähigkeit“. „Für Erwachsene ab 18 Jahren“ natürlich, Zielgruppen konform quasi. „Blumen & Pflanzen“ ist die nächste einseitige Rubrik, es folgt „Verbraucher“, „Recht“, „Menschen wie wir“ und Werbung für Billigflieger (Toskana?) sowie für Salatdressing. Eine Saskia Vester winkt, denn es geht in das Herz des Magazins: Das TV-Programm.

Zunächst die „TV-Hits der Woche“. Unterteilt in: „Sport“. „Spielfilme“. „Reportage“. „Show“. „Unterhaltung“. „Serie“. Deren Unter-Rubrizierungen: „Höhepunkte“. „Komödie“. „Familienfilm“. „Reportage“ (bei „Reportage“). „Show“ (bei „Show“). „Quizshow“. „Krimiserie“. Schauspielernamen werden genannt, Wiederholungen gekennzeichnet, Wochentage, Daten und Dauer unter die Kurzinhalte gestellt. Größer: Uhrzeiten! Sendernamen! Und dann beginnt die Kästchenwelt erst richtig, ordentlich zum Wochenende, am Samstag: „Politik und Report“, „Sport“ und „Unterhaltung“ links. „Die Spielfilmhighlights des Tages“ rechts. Es gibt Bewertungsfaktoren unter den klassischen Bewertungssternchen wie: „Spass“. „Action“. „Trick“. „Spannung“. „Musik“. „Gefühl“. „Anspruch“. Es gibt Genrenamen: „Liebesdrama“. „Fantasyfilm“. „Komödie“. „Krimi“. „Katastrophenfilm“. „Sci-Fi-Thriller“. „Satire“. „Thriller“. „Action“. „Krimireihe“. „Erotik-Thriller“. Es ist alles von oben nach unten und von links nach rechts in Hinblick auf die Uhrzeit sortiert.
Es gibt weitere Sub-Rubriken: Produktionsland und –jahr. Dauer. Drei bis vier Schauspielernamen. FSK-Freigabe. Es gibt kurze Produktionsdetails unter dem Inhalt, so  zum Beispiel „Gastauftritt von Pierre Brice (80) als Kosmetik-Vertreter“. Am unteren Rand der Seite findet sich eine Legende, die die Sternchen erklärt: Ein Stern bedeutet „wems gefällt“, vier Sterne bedeuten „sehr gut“. Ein „R“ weist darauf hin, dass unter Umständen auch einmal ein Regisseur genannt werden könnte. Die Produktionsdetails werden hier „Info“ genannt. Free-TV-Premieren bekommen ebenfalls ein eigenes Kennzeichen. Am oberen Rand wird nebenbei auf einen „TED“ und den Videotext dazu hingewiesen. Es gibt auch: Erstausstrahlungen. Diese bekommen ein „NEU“. Eine Detail reiche Angelegenheit? Akribisch womöglich? Hiernach kommt jedenfalls erst das eigentliche Programm des Tages – auf den nächsten beiden Seiten. Mehr als eintausend Sendungen.

Vier Spalten links, vier Spalten rechts. Farbschemata für Sender und Tageszeiten. Das Morgenprogramm nur in Titeln, aber mit einer Altersangabe für Kinder zu jeder Sendung. Stopper rufen „FILM“ oder „TIPP“, einmal pro Doppelseite aber auch „TIPP DES TAGES“ – es gibt nie zwei Tipps des Tages. Die Sendungen ab 20.15 Uhr erhalten alle ein Foto und einen längeren Text. Dasselbe geschieht um einiges kleiner mit je einer Nachmittagssendung pro Kanal. Auf der folgenden Doppelseite befinden sich dann die „nächsten“ zwölf Kanäle im oberen Drittel, darunter noch einmal zwölf ohne Texte und Fotos. Es werden ausschließlich deutschsprachige Sender präsentiert, inklusive zweier österreichischen und eines schweizerischen. Es gibt: Technische Unterscheidungsmerkmale in der Legende am unteren Rand: „Mehrkanalton“. „Für Hörgeschädigte“. „Hörfilm“. „Schwarzweiß“. „Dolby Surround“. „Dolby Digital 5.1“. Und so geht es über die Heftmitte bis zum Ende, bis hin zu einem Freitag.

Der Abschluss des Heftes: Kurzrubriken. „Kochen & Geniessen“. „Rätseln & Mehr“. Anschriften der Sender. TV-Vorschau. Auf der Rückseite eine Anzeige mit der großen Überschrift „Eines morgens konnte ich wieder ohne Schmerzen gehen“. Unter dieser eine kleine Rubrizierung: „TATSACHEN-BERICHT“. Mensch weiß Bescheid: Diese Sorte Logik hat uns erst fit gemacht für das geliebte Internet. Nur sieht der „Volkskörper“ heute fast global aus. Na, Gott sei Dank.

4 FÜR 7 – Ein Festival-Special

Schön, wie sich hier auf dieser Seite manchmal Luxus- und Subkulturproletariat Schaukämpfe liefern. Bald wird die Revolution vollendet sein. Aber es müssen nicht unbedingt "Cars & Girls" her, um die männliche Klischee-Spezies aus dem Ruhrgebiet aus ihrem Haus zu locken. An verwegenen Tagen sind es auch diese nahezu magischen, irgendwie ätherischen und von vernebelndem Feingeist umhüllten Kulturfestivals, die dem Standardproll dann vor Ort aber nur allzu deutlich zeigen dass es nicht nur um Geld geht im Leben, sondern auch ein wenig um Geschmack, Feinsinn und vornehme Zurückhaltung. Und dann geht der Standardproll wieder brav und mit ordentlich Standesbewusstsein zurück saufen, zocken, ins Stadion und zur Arbeit – und eben erstmal drei bis zehn Jahre wieder nicht zu: tanznrw09, den Ruhrfestspielen, den Mülheimer Theatertagen und dem Internationalen Museumstag.

Die Ruhrfestspiele. Durchaus aus dem Geiste der kulturellen Aufklärung geboren und schon in Bezug auf die Intendantenfrage immer wieder gern genommener Anlass für kulturpolitische Auseinandersetzungen. Das dreht sich dann oft um Fragen wie: Zeit- und Jugendgemäßheit. Pop oder Standards oder aufgepoppte Standards. Was kann man um Himmels Willen einem Publikum in Recklinghausen überhaupt an Metropolendiskurs zumuten? Sollte man das überhaupt? (Denn die verwurschten das eh immer nur zurück in Richtung leidlich modernisierte Currywurstkultur, etc.) Und so ist 2009 das Pendel mal wieder in Richtung "ordentlich, aber nicht aufregend" ausgeschlagen. Um nicht zu sagen "leicht ZDF-kompatibel". "A World Stage" ist dann aber der Untertitel, obwohl vor allem Namen wie Münchner Lach- und Schiessgesellschaft, Fritz Eckenga, Sissi Perlinger, Hannelore Elsner, Eva Mattes, Piet Klocke und Hagen Rether ins Auge stechen. Stücke? Von Brel über Gynt, "Arsen und Spitzenhäubchen", etwas zu Kurt Cobain, Otto Sander ist auch da, "Wie es euch gefällt" und vieles mehr, auch mal in englischer Sprache. Liest sich, als hätte sich Festivalleiter Dr. Frank Hoffmann bemüht eine sichere Nummer abzuliefern – um das mal so richtig verständlich auszudrücken. Gerne genannt: Das integrierte Fringe-Festival in der City.

tanznrw09. Ebenfalls bereits angelaufen. Verteilt auf Düsseldorf, Essen, Krefeld, Viersen, Wuppertal, Bonn und Köln. Da zuckt der Kugelschreiber des gelegentlichen, regional bewussten Kreuzworträtsel-Lösers und will sofort "Pina Bausch" eintragen und weitermachen. Aber halt! Dem Schreiber sei noch kurz die Erwähnung einiger Highlights gestattet, so von Yoshie Shibaharas "World’s End Girlfriend" (Foto: Tessa Knapp) in Krefeld und "On Verra … Mal Sehen" von Jean Laurent Sasportes in Wuppertal.

Internationaler Museumstag. Am 17. Mai mit allein über 100 (!) beteiligten Museen in NRW. In Essen wird der Domschatz neu präsentiert, Krefeld zeigt sich mit einem Gemeinschaftsprojekt seiner 12 Museen, im Rest von Essen, in Dortmund und Duisburg macht man eher einfach eine Art "Tag der offenen Tür" daraus. (Kennt man ja, diese Art Engagement bei "von oben" ausgerufenen Festtagen.) Das Motto ist übrigens "Museen und Tourismus", und "International" bedeutet in diesem Fall Deutschland, Österreich, Schweiz. Ein ausbaufähiges Konzept.

Stücke. Die 34. Mülheimer Theatertage und direkt spannende, wenn auch bekannte Namen. Elfriede Jelinek, Sibylle Berg, Oliver Bukowski, Roland Schimmelpfennig. René Pollesch aus Wien, Lutz Hübner aus Hannover, Ulrike Syha aus Chemnitz. Dazu die KinderStücke, ein Gastspiel aus Uruguay, ein Symposium und mehr. Charmant.

Im Überblick:
Die Ruhrfestspiele Recklinghausen gehen noch bis zum 14. Juni.
tanznrw09 endet am 17. Mai.
Der Internationale Museumstag ist am 17. Mai.
Die 34. Mülheimer Theatertage gehen vom 15. Mai bis zum 2. Juni.

3 FÜR 7 – Tipps für Drinnen, aber nicht Zuhause

Zunächst: Verzeihung, kein Nachbericht von den Kurzfilmtagen, denn der Autor hat sich am Wochenende im hohen Norden des Landes verkühlt und verkriecht sich zuhause. Was könnte ihn und andere also hinauslocken in den nächsten Tagen? Zum Beispiel: Heinz Strunk, Jane Birkin und – ein Filmfestival.

Die geschätzten Kolleginnen und Kollegen von Roof Music machen mal wieder genau das Richtige: Sie nehmen ihr reichhaltiges Repertoire an Künstlern zum Anlass, eine Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen. Und das sind dann eben nicht (nur) lokale Größen und erst recht nicht einfach mal wieder Konzerte oder Festivals, sondern Abende mit Leuten, die beim Sublabel „Tacheles!“ ihre Hörspiele und Lesungen veröffentlichen, aber auch Chansonniers und Kabarettisten. Den Anfang macht schon heute Heinz Strunk mit seinem aktuellen Werk „Fleckenteufel“. In der Bochumer Zeche.

Oder eben nicht Besuch aus dem hohen Norden, sondern lieber ein angenehmer Chanson-Abend mit einer sehr französischen Britin, die eine sehr interessante Verwandtschaft vorweisen kann? Jane Birkins neues Album „Enfants d´ hiver“ enthält zum ersten Mal ausschließlich von ihr selbst geschriebene Texte und verbreitet großteils entspannte „Urlaub in Frankreich“-Atmosphäre. Auf ihrer aktuellen Europatour beglückt sie (Foto: EMI) Deutschland gleich fünf Mal, hier in der Gegend darf sich Düsseldorf freuen.

Und damit zu Filmen auf Tour. Denn die Reihe „ueber Macht“ hat sich wiederum Essen als Tourhalt für ihre Streifen über „Kontrolle, Regeln, Selbstbestimmung“ ausgesucht. Das ganze ist eine Initiative von dieGesellschafter.de und Aktion Mensch und will über Herrschaftsmechanismen vieler Art aufklären. Einzelthemen: Magersucht, Überwachungsstaat, Autismus, Jugendkriminalität, Karrieredrill, Chauvinismus, Korruption. Aber auch positive Beispiele für funktionierende Demokratie und Emanzipation. Und damit wird hier mal ausnahmsweise Albert Einstein (aus dem Programmheft) zitiert: „Gegen organisierte Macht gibt es nur organisierte Macht; ich sehe kein anderes Mittel, so sehr ich es auch bedaure.“ Und damit…

Der Überblick:
Heinz Struck liest am Dienstag, den 5. Mai, ab 20 Uhr in der Zeche Bochum.
Jane Birkin singt am selben Tage ab 20 Uhr im Düsseldorfer Robert-Schumann-Saal.
„ueber macht“ läuft vom Donnerstag, den 7. Mai bis zum 13. Mai im Essener Eulenspiegel.

3 für 7 – Oberhausen-Special

Anlass natürlich die Oberhausener Kurzfilmtage und das Drumherum in der Alten Mitte. Wobei einfällt, dass all der Hype um die Neue Mitte natürlich letztlich einigen Institutionen der Stadt (Museen, Theater, Druckluft, Altenberg, Ebertbad, RWO…) auch deshalb ein wenig schaden konnte, weil man als exzessiver Informationskonsument immer so einfache Schubladen braucht, anscheinend. – Siehe dazu auch diesen Artikel. Erinnert den Autoren – als langjährigem Essener – aber auch an "Die Einkaufsstadt" – was ja jetzt mit diesem "Kultur…stadt" ein wenig ausgeglichen werden könnte. Jedenfalls geht jenseits von Megalomania in Oberhausen einiges, und das durchaus mit Essener Beteiligung – das muss nicht zwingend ein gemeinsames Theaterprogramm sein, sondern für’s Erste: Die Kurzfilmtage, Das Bierbeben und Freakatronic.

Dass Das Bierbeben im Druckluft auftritt, das ist ganz schön – müsste man sie sich sonst im Rahmen der irgendwie SPD-beflaggten "Rock in den Ruinen"-Veranstaltung zum Tanz in den Arbeitertag irgendwo Richtung Hohensyburg anschauen. Eine eigentümliche Vorstellung. Noch schöner wird der Auftritt durch die zweite Künstlergruppe des Abends, nämlich die Nord-Essener von Freakatronic. Das gibt dem ganzen fast einen "vs."-Charakter oder einfach auch das schöne Gefühl, dass es keine Vorgruppen gibt – sondern eine gute elektropoppige Leftfield-Sause, eine Party mit Live Acts an einem Mittwoch.

Am Donnerstag dann die Eröffnung der Kurzfilmtage und Programm bis kommenden Dienstag. Eher willkürliche Auszüge: Eine Reihe "Unreal Asia". U.a. Inke Arns (HMKV Dortmund) und Paul Domela (Liverpool Biennale) diskutieren über "Was wurde aus … der Kulturhauptstadt?". Toulouse Low Trax und Der Räuber und der Prinz repräsentieren ein wenig Düsseldorf und den Salon des Amateurs auf der Samstagsparty. Mapstation kommt dafür am Montag. Screenings diesmal (wieder) aus den Niederlanden, Kanada, Finnland, New York und Österreich. Diedrich Diedrichsen diskutiert "Das Gespenst der Avantgarde". Dazu die bekannten Wettbewerbe  – Kinder und Jugend, MuVi, NRW, International (Foto: Victor Alimpiev, aus "My Absolution") – und die "Profile". Auch schön: Das Open Screening, bei dem Filmemacher ihre Werke selbst vorstellen. Tendenz: Zweieinhalb Tage lang kann man es in der Alten Mitte schon gut aushalten, zumindest einmal im Jahr. Genaueres dann im Nachbericht.

Überblick:
Das Bierbeben und Freakatronic am Mittwoch, 29. April, bei Einlass 20 Uhr im Druckluft.
Die 55. Oberhausener Kurzfilmtage vom Donnerstag, 30. April, bis zum 5. Mai rund um die Lichtburg und in der K14.

 

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3 FÜR 7 – Neoliberale Monokultur und anderes

Routinen, Gewöhnungseffekte. Der Autor hat gerade einen Artikel über den Film „Dorfpunks“ bei einseitig.info abgeliefert, hört eine alte Live-Aufnahme von einem F.S.K.-Konzert in Essen und fragt sich, ob er das Bohren und der Club of Gore Konzert auf Zollverein empfehlen soll. Er entscheidet sich für einen Zwischenweg. Aber vor allem für: Ein Festival. Eine Diskussion. Und ein Treffen. 

Eine Freundin aus Studientagen fragte einmal, warum Frauen Frauenpolitik machen sollten. Naja, vielleicht weil es ja bemerkenswert wäre, wenn nur (biologische) Männer Genderpolitik machten. Es ist aber z.B. schon erstaunlich, wie wenige Frauen in der (Medien-)Kunst in einer klar gebrochenen Männerrolle reüssieren, und wie viele Männer versuchen, sogenannte weibliche Seiten zu okkupieren. Was immer das bedeuten mag. Und was ist eigentlich in diesem Zusammenhang ein Internationales Frauenfilmfestival? Diesjähriges Motto „Fokus: Freiheit“ (Foto mit freundlicher Genehmigung von IFFF Dortmund|Köln). Gefördert von Stadt, Land, Kommunen, Toyota, RWE und Sparkasse. In Dortmund und Köln. Sechs Tage lang, ab heute. Mehr hier.

Am Mittwoch geht es hingegen mal um Wissensökonomie als Breitensport. Claus Leggewie und andere diskutieren unter dem Titel „Alter Traum in neuer Gestalt? Von der gedruckten zur digitalen Enzyklopädie“. Und das aus Anlass der Publikation des achten Bandes der „Enzyklopädie der Neuzeit“. Genau. Alle nutzen Wikipedia, alle nutzen Google, aber hier geht es um Print! Geschrieben von Deutschen in Paris, nämlich dem Deutschen Historischen Institut. Verlegt in Essen, haha. Spannende Definitionen aus – global betrachtet – interessanter Perspektive, diskutiert angesichts der üblichen Kulturkämpfe um Technikdistribution, Diskurshoheiten, Wissenstransfer und Ungleichzeitigkeiten. Kulturwissenschaftliches Institut eben. 

Und damit zum Bild fremder Kulturen, die gar nicht fremd sind. Es scheint ja eher dass mit dem Ende von letzten eigenständigen Kulturen in Afrika, Asien, Australien und Südamerika nur die Unterschiede zwischen asiatischen, arabischen und europäisch-amerikanischen Hochkulturen deutlicher zutage treten, während auf Ausreißer aus diesem Kanon noch härter eingeprügelt wird. „Bosporus – Tor der Kulturen“ trägt diese eingeschränkte Sichtweise schon im Titel, ist aber inner-europäisch und mit Blick in Richtung Naher Osten natürlich auch NRW-gefördert und dient sozusagen einfach nur der Verständigung unter leicht verschiedenen Nachbarn. Mehr hierzu hier, knackige Fakten und Daten zu allen drei Veranstaltungen in HiTech-kompatibler Hegemonialkultur-Kürze im …

Überblick:

Das Internationale Frauenfilmfestival vom Dienstag, 21. April, bis zum 26. April in Köln und Dortmund (domicil, Schauburg, CineStar).

„Alter Traum in neuer Gestalt?…“ am Mittwoch, 22. April ab 18.15 Uhr im Essener Kulturwissenschaftlichen Institut.

Das Theatertreffen „Bosporus – …“ im Rahmen der 32. Duisburger Akzente vom Sonntag, 25. April bis zum 13. Mai im Theater Duisburg.

Trümmerkunst für den Wiederaufbau

Im Ruhrgebiet ist – im großen Ganzen – derzeit ja Science Fiction en vogue. Man bastelt sich schöne Versatzstücke einer erwünschten verheißungsvollen Zukunft und hofft dass das dann irgendwie ähnlich wahr wird – am besten besser. Einen anderen Weg geht – im Kleinen natürlich – das letztens ausgebrannte De Prins in Essen.

Ortstermin verspäteter Katastrophentouristen am Isenbergplatz. Man begrüßt eine gut gelaunte Schar vor der Goldbar und nähert sich dann der Gastronomie gegenüber. Denn vor einigen Wochen hatte die Nachricht die Runde gemacht: De Prins ausgebrannt. Die Wohnstube des kleinen Imperiums des Sven Dülfer, der u.a. auch (noch) mit dem Café Central und der Heldenbar im Grillo Theater gut bedient ist. Spannende Pommes-Saucen. Der erstaunlich orientalisch anmutende Rockabilly-Koch. Austragungsort netter Fußball-WM-Events, wenn zum Beispiel die holländischen und portugiesischen Fans sich freundlichst beleidigen. Nun halt ausgebrannt. Die nicht restlos ausgedrückte Zigarette unter der Theke soll es gewesen sein.

Sieht inzwischen wieder recht passabel aus. Der Ruß ist von den Fenstern, innen liegen erste Säcke die andeuten, dass etwas gebaut wird. Um die Tür herum Dankschreiben und Kommentare (Fotos: Thomas Stratmann). Und ein ganz kluges Plakat. Denn so mag ruhrie das: Es gibt einen Satz von drei Fotoplakaten für 18 Euro zu erstehen. Motive: Diverse Fundstücke nach dem Brand. Erhältlich im Reisebüro nebenan. Der Erlös kommt der Restauration des De Prins zugute.

Solidarität im Südviertel. Nachbarschaftshilfe. Unprätentiöse Kunst im Dienste einer kollegialen Sache. Details, die viel verraten über die Seele (und Geschäftstüchtigkeit) der hier Handelnden. Arnold Voß würde sagen: Kulturhauptstadt von unten. Wobei das Schöne wohl eher ist, dass solche Titel hier meist gar nicht gebraucht werden, wenn es um ganz konkrete, sinnvolle und nachhaltige Projekte geht. Eine beispielhafte Aktion. Mehr von so etwas, bitte.

3 FÜR 7 ? Die wöchentlichen Wegfahrtipps

Der Autor kann ja auch nichts dafür: Betonflucht ist der Megatrend des Monats. Denn was ist so eine tolle Ansammlung von Städten denn ohne Peripherie? Was wäre NRW ohne unfassbare Menschensiedlungen wie Bonn und Gronau? Und dann gibt es natürlich auch noch diese Überbleibsel aus finstersten Zeiten, Bunker genannt.

Erst die Partys: Gerade sah ich den Neu-Rüttenscheider Malente vor dem Supermarkt. Er hat sich für seine Reihe "Whow" im Goethebunker, die kommenden Samstag startet, und zusammen mit Lars Mosten, erst einmal einen Garanten für Elektro Rave Hysterie gebucht: Den Schotten Hostage. Das ist ja ganz okay so, die Erwähnung der Lokation zwischen den Knast- und Folkwang-Neubauten ist aber auch wegen der Party des Banditen Wie Wir am Freitag und wegen den exaltierten Herrschaften von Balkanbeatz und dem seltenen Gastspiel von Hardfloor am Wochenende darauf gerechtfertigt. Mindestens. Der Laden funzt gerade so ein bisschen los.

"Funzen" fällt nicht gerade ein, wenn mensch an Gronau denkt. Das Rock- und Popmuseum am Udo-Lindenberg-Platz (an sich schon unfassbar, oder?) ist ganz ordentlich, zieht aber nicht gerade Heerscharen in die Stadt. Aber es gibt ja noch das Jazzfest, in diesem Jahr mit den Brand New Heavies, Jazzkantine und (unfassbar!) Matt Bianco z.B. auf der poppigeren Seite,aber auch dem James Carter Quintet oder Billy Cobham. Das jazzt natürlich in Teilen nur so viel wie das besagte Museum rockt, aber die Gegend drumherum ist zudem ja auch ganz schön.

Und damit zur Lage in Bonn. Noch so eine kaum fassbare Peripherie, die nur bedingt "funzt". Aber in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (fetziger Name!) hängt zum Glück jetzt Amedeo Modigliani. Und der äh rockt bzw. folgte sogar der altbekannten Devise "Die young, stay pretty". Zu seiner Lebenszeit waren seine Malereien (Foto) gar nicht so gefragt, erst jetzt weiß man was man an ihm hat. Das ist ja fast wie mit den Bunkern! Und gut dass Udo Lindenberg noch lebt! Und Bonn ja irgendwie auch. Schnell zum…

Überblick:
Partys im Essener Goethebunker Freitags und Samstags ab 23 Uhr.
Das Jazzfest Gronau vom 17. bis 27. April in der Bürgerhalle, dem Café Oreade und dem Rock- und Popmuseum.
Amedeo Modigliani vom 17. April bis zum 30. August in Bonn.

3 FÜR 7 – Ausgehtipps, jetzt wieder wöchentlich

Also: Über Ostern fällt nach diesem Satz hier kein einziges Wort mehr. Aber es steht halt ein langes Wochenende an, darauf kann man sich ja wohl einigen – sogar mit Leuten, die im Grunde selbst keine Wochenenden an sich kennen. "Werktage". "Feiertage". Klingt wie "ora et labora" ohne "ora". Jedenfalls kann man zu solchen Zeiten, an denen viele Besuche machen oder einen solchen haben (oder zwei oder mehr), ja durchaus mal hier- oder dorthin fahren. Nicht, wie manchenorts angekündigt, schon zu Roberto Benigni, die Veranstaltung ist dann doch erst in gut zwei Wochen in Duisburg, aber zu: Selim, Skatern, Siegen.

Branding mal anders: Deanna Templeton hat ihre Kameras mal auf das Phänomen gerichtet, dass Männer junge Frauen gern mit ihren Unterschriften und Logos verzieren, und dass diese das dann für eine Auszeichnung halten. So geschehen und gesehen passenderweise in der L.A.-Skateboardszene, und nun hübsch transferiert in’s NRW-Forum (Foto: ebendie). Welche Parallelen lassen sich ziehen? Nun, die wenigsten Frauen hier tragen Tattoos ihrer Polit- oder Kunstmäzene. Und die hiesigen Billy-Damen würden sich solche Vergleiche wohl verbitten. Also was? Hauptsächlich wohl einfach Skater anziehen, und natürlich der üblich gern gesehene Punk-Link D’dorf-Staaten. Der ursprüngliche Name der Serie, "Your Logo Here", wurde für Düsseldorf übrigens in "Scratch My Name On Your Arm" geändert (The Smiths, "Rusholme Ruffians"). Re-Branding heißt das wohl. Mag ja seine Hintergründe haben.

Zwischen erträumter und fassbarer Realität schwanken (auch) die Protagonisten in den Werken von Selim Özdagan ganz gern; manchmal auch nicht so gern. Wegen seines aktuellen Romans "Zwischen zwei Träumen" ist der Autor auf Lesereise, vielleicht wird er aber auch aus Werken wie "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist", "Ein gutes Leben ist die beste Rache" und "Trinkgeld vom Schicksal" vorlesen. Oder auch kurze Stücke wie "Yoga". – Da könnte jemand mal die Homepage überarbeiten.

Und damit zur Biennale einer ganz eigenen Kleinmetropole: Siegen. Diesen Freitag geht es los mit dem "Hiob" der Münchner Kammerspiele, es folgt der "Tod des Handlungsreisenden" der Schaubühne Berlin und einige mehr. Aus dem Ruhrgebiet hat es Bösch’s "Woyzeck" des Schauspiels Essen geschafft. Der Autor hat genau den gesehen und fand ihn ja vor allem gut "in Szene gesetzt", wenn auch inhaltlich nicht gerade vertiefend angelegt. Aber warum nicht mal Siegen? Diesjähriger Titel übrigens "Vom Verlieren. Ein Theaterfest". Und da denken wir dann mal nicht an die Situation auf den kommunalen Bühnen, sondern gehen schnell zum…

Überblick:

"Scratch My Name On Your Arm" noch bis zum 10. Mai im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf.
Selim Özdagan am Donnerstag, 9. April, ab 20 Uhr im Theater Oberhausen.
Die Siegener Biennale vom Freitag, den 10. April bis zum 2. Mai im Apollo-Theater.

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Roboter tot, Grind-Dichter flüchtig

Interview-Termin in Essen mit Christof Kather von JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE. Treffen in den Wirrungen des Hauptbahnhofumbaus, dann einmal durch die City zu einem dieser dysfunktionalen Plätze, man sitzt schließlich mit Getränken auf Treppenstufen. Das Ende vorweg: Beim Ausstieg aus der Straßenbahn auf dem Rückweg sieht der Autor eine Tasche mit dem Namenszug der Band und schenkt der ein Buch lesenden Besitzerin direkt die noch nicht veröffentlichte CD der Band. Eine runde Sache.

Ruhrbarone ?: Bei mir im Kopf seid Ihr eigentlich schon lange, spätestens seit Eurer Veröffentlichung mit den Coverversionen drauf. Jetzt eine Split-CD mit Eisenvater, demnächst ein Album mit 54 so genannten Kurzgedichten namens „Luxusvernichtung“ auf Eurem eigenen Label, Unundeux. Und eine Tour und vorher mehrere Termine am Stück in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Ganz schön viel los auf einmal, dabei hatte ich immer den Eindruck, Ihr seid wirklich noch eine der etwas bekannteren Bands, die tatsächlich nur macht worauf sie Lust hat.

Christof Kather !: Wir veröffentlichen ja schon recht viel. Zwar erst drei Alben, aber dafür noch einige EPs, Splits mit anderen Bands und diese Cover-Platte zum Beispiel. Das könnte im Nachhinein nach Konzept riechen, aber eigentlich schießen wir los wenn wir etwas haben. Und da Texte bei uns schon eine wichtige Rolle spielen, bin ich auch dafür dass das dann auch zeitnah herauskommt. Deshalb gibt es da schon eine Art Veröffentlichungszwang, und das ist sicher mit ein Grund, warum wir jetzt das Label machen.

?: Fast wie das alte Single-Prinzip…

!: Nur dass wir keine Single-Band sind.

(Lachen)

?: Dafür sind die Stücke ja auch meist etwas kurz.

!: Unser längstes Stück ist schon drei, vier Minuten lang, aber bei den Kurzgedichten sind es auch mal fünf, sechs Sekunden. Die ältesten davon sind schon fünf Jahre alt, das hört man der Produktion auch teilweise an, mal im Wohnzimmer, mal im Proberaum aufgenommen. Aber es geht halt auch um die Texte. (Anm.: Liegen auch diesmal wieder bei.)

?: Live ist ja auch ganz groß derzeit, heißt es. Ihr spielt aber nicht soo viel, das stimmt schon, oder?

!: 2007/2008 haben wir jeweils so um die 20 Shows gespielt. Das ist schon wenig. Ich glaube auch nicht dass viele Konzerte unbedingt wichtig sind um bekannter zu werden. Dafür gibt es viel zu viele Bands, und im Internet ist das ähnlich. Bei uns liegt der etwas höhere Bekanntheitsgrad wohl tatsächlich zum einen am Namen und, wenn man dem Feedback glaubt, wirklich auch an den Texten, die anscheinend etwas Besonderes haben.

?: Und wo kommt diese spezielle Mischung her, Text und Klang?

!: Angefangen haben wir 1998 zu zweit, als ich Klaus, der nach wie vor Gitarrist ist, über das Studium kennen gelernt habe. Vorher hatten wir schon unsere eigenen Bands, so den üblichen 18-jährigen-Traum mit Plattenvertrag und so. Aber dann wollten wir nur noch hauptsächlich aufnehmen, haben das dann ins Netz gestellt, und so ist das eher natürlich und kontinuierlich gewachsen. Die ersten fünf Jahre waren wir meist zu zweit, dann gab es erst den ersten Auftritt, ein paar Personalwechsel. Und inzwischen sind wir halt sechs Leute, davon zwei Sänger.

?: Ihr habt ja auch Jobs, die nicht direkt mit dem Musikbusiness zu tun haben.

!: Plattenladen, arbeitslos, Teilzeit-Krankenpfleger, Schreiner, Straßenbauarbeiter, Bremsenfabrik.

?: Also ergeben sich die Dinge eher über Kontakte. Kunst, aber nicht künstlich.

!: Das kann man sagen.

?: Das habe ich mich auch vor dem Interview gefragt: Macht man das jetzt, Euch so dem Mainstream vorwerfen?

!: Na, vor dem Internet, da gab es ja noch Mainstream. Wer heute Mainstream macht, der packt es richtig an, und da werden dann wirklich alle Register gezogen. Wir waren da nie dahinter her. Zum zehnjährigen Bandjubiläum haben wir T-Shirts gedruckt mit dem Spruch „Ehrlich verdienter Erfolg seit 1998“.

?: Ich habe das öfter mal mitbekommen, wenn Musiker dann ihre eigenen Label gründen. Dann kommt ja auch viel Geschäftsarbeit auf einen zu, gegebenenfalls Verantwortung für andere Bands, Verhandlungen, etc.

!: Der Hauptantrieb ist schon die Autonomie, ohne größere Promophase einfach mal etwas raus hauen zu können. Eisenvater sind mit auf dem Label, das fand ich damals schon gut, dass die eben nicht einfach Hamburger Schule sind und deshalb nicht so einzuordnen waren. Man musste sich schon dafür interessieren, denn es wurde einem nicht überall aufs Brot geschmiert. Man muss sich ja auch bei uns schon wegen der Sounds mehr mit uns beschäftigen. Ich sehe uns da schon in einer Linie mit Bands, die man eher wegen den Texten und der Attitüde gut findet und nicht weil es direkt ins Ohr geht oder so etwas. Und es würde auch keinen Sinn machen, da jetzt fünf, sechs andere Bands reinzuholen, denn es soll ja eben überschaubar bleiben. Diese Sache, dass der Künstler vom Applaus alleine lebt und das Label dann guckt wann jetzt der richtige Zeitpunkt ist, ein Album da und da zu platzieren, … All das gilt heutzutage nicht mehr.

?: Wobei Ihr – Stichwort Internet wieder – schon vor allem im deutschsprachigen Raum funktioniert.

!: Letztes Jahr waren wir einmal eingeladen zum Maryland Death Fest in den USA. Aber das sind dann auch nur so 1500 Leute, die amerikanischen Bands machen ja auch eher hier ihre Kohle. Man kennt uns schon weltweit, aber hauptsächlich geht es schon um Deutschland, Österreich, Schweiz. Wir spielen auch im Grunde nur auf Einladungen hin und haben keine Agentur dafür. Im Juni geht es bei der Tour mit Macabre auch mal nach Paris, nach Holland und so, aber wir wollen den Apparat schon eher klein halten, damit es auch weiter Spaß macht. Es nutzt ja nichts, von Musik leben zu können und dann zwei Monate auf Tour sein zu müssen. Das nervt mich schon nach vier Tagen, das Aufbauen und warten müssen. Wir würden auch längst nicht soviel produziert bekommen, wenn wir so etwas tun würden.

?: Klischee „ehrliche Musik aus dem Ruhrgebiet“. Kreator wird gerade herum gereicht. Es gibt viel guten Garage, Metal und Punk in der Gegend, der es aber nicht zwingend ins Fernsehen oder die Trendpostillen macht. Wie nimmst Du das wahr?

!: Für mich als gebürtigen Lüneburger gibt es schon diesen Zusammenhang „Arbeitermetropole – Metal“. Das hat schon immer etwas Underdog-mäßiges, auch wenn Metal jetzt scheinbar salonfähig wird und sich auch die Indie-Zeitschriften plötzlich interessieren. Wir spielen lokal meist innerhalb unseres Klüngels, wenn also Stadtfest, dann auch auf der Bühne vom turock. Aber bei Konzerten in Hamburg und Berlin finde ich es fast besser, wenn da ein etwas gemischteres Publikum kommt. Das passt dann auch eher dazu wie wir Musiker privat leben. Das entspricht nämlich gar nicht dem Metal-Klischee. Wie es bei unseren Stücken ja auch nicht immer nur um Krieg, Umweltzerstörung und Satanismus geht. In München zum Beispiel musste sich die Metal-Szene anscheinend auch absondern und klingt deshalb immer noch wie vor fünfzehn Jahren. Man bemerkt also schon den Unterschied zwischen einzelnen Städten.

?: Ich sage immer, in Essen gibt es von allem immer nur eins.

!: Ja, und alles halt eher nur in seiner Ecke.

?: Bedient Ihr Euch denn bei Euren Stücken bewusst bei anderen Bands?

!: Man kann schon sagen „der Part ist Slayer, und der ist Cradle of Filth“ oder so etwas. Wir zitieren aber nicht konkret in dem Sinne dass man da ein Zitat verstanden wissen will. Bei uns entstehen zuerst die Texte, oft mit dem Schlagzeug zusammen, und dann kommen die Riffs, bis schließlich die gute alte Cutup-Technik kommt. Wir haben tatsächlich noch nie ein ganzes Stück zusammen im Proberaum erarbeitet.

Hat Essen einen Kulturknall?

Ein Kommentar zur gestrigen Veranstaltung „Essen vor dem Kulturknall? – Die Kulturstadt zwischen Aufbruch und Rückbau“ im Rahmen von „Essen Kontrovers“, der NRZ-Diskussionsreihe in der Essener Volkshochschule.

Im Grunde sind die parteipolitischen Probleme zweitrangig, aber aufgrund der Podiumsbesetzung müssen sie erwähnt werden: Der Regierungspräsident von Düsseldorf redet aus seinem Amt, in das er durch die CDU gekommen ist, heraus: Jürgen Büssow. Elisabeth Mews ist kulturpolitische Sprecherin von Bündnis90/Die Grünen. Hanns-Jürgen Spieß ist für die SPD Kulturausschussvorsitzender der Stadt Essen. Conni Sandmann spricht für das Theater Freudenhaus, also die „freie Szene“, Adil Laraki als Betriebsratsvorsitzender der Theater/Philharmonie GmbH spricht im Grunde gewerkschaftlich orientiert für mehrere Dutzend Angestellte im öffentlichen Kulturdienst. (Und genau so von rechts nach links ist auch die Reihenfolge auf dem Podium.) Also abschließend zur Parteipolitik: Die Stadt Essen müsste eigentlich schon längst insolvent gegangen sein, darf sich nicht weiter verschulden, und um die Art der Kürzungen und Ausnahmen streiten sich seit einiger Zeit die Lobbys und Lobbyisten. Und das durchaus Partei übergreifend, denn Geld für die Gewerkschaftskumpel bei der Philharmonie bedeutet ja weniger Geld für zum Beispiel Kindertagesstätten und Problemviertel. Aber der Kulturausschuss darf ja nur über Kultur reden. Und der Regierungspräsident darf nur auf „Lernen von anderen Städten“ verweisen. Und die freie Szene erkennt, dass die Zeit von Tariflöhnen auch auf der bösen Sonnenseite der ehemals so genannten E-Kultur vorbei ist. Aber das sind im Grunde Luxusprobleme. Warum?

Als sich gegen Ende der Diskussion eine ältere Dame erhebt, wird plötzlich wie von selbst eine historische Einordnung geschaffen. Es entstehen Bilder von der „Kultur als zweiten Natur des Menschen“ und wie die Nachkriegsgeneration versucht hat, zuerst gegen die hartnäckige Barbarei des Postfaschismus, dann gegen den verstärkten Kulturimperialismus anglo-amerikanischer Popkultur etwas Eigenes zu setzen. Etwas, das sich also zwischen Volkstheater, Klassikern und Kulturpädagogik bewegte und noch bewegt. Und die geistigen Kinder dieser Arbeit sitzen nun auf dem Podium und in den Bänken und fragen sich, warum ihre schöne Kulturblase zu platzen droht. Dabei sollten sie es doch ein Leben lang einmal besser haben.

Und damit in den Gedankenbildern zur nächsten Generation, die zum Teil in ganz anderen Kulturblasen lebt als denen, die sich die Großmutter für sie vorgestellt hatte. Das muss nicht das Knöpfchen im Ohr oder der Chip im Arm sein, das kann auch ganz einfach die ganz große Inszenierung Kulturhauptstadt sein, wie sie jetzt in Glas und Stahl gehauen wird. Der erfüllte Traum der einen ist der gelebte der nächsten und ein Hohn für die anderen, die eben die neuen Treppen vor der Volkshochschule nicht essen können. Und das tut weh – aber diesen Schmerz spüren die Funktionäre in den Kulturblasen eben nur gedämpft. Dass Kulturhauptstadt eigentlich sein müsste, dass eben aus dem Geiste von Solidarität und Kooperationsbereitschaft zunächst das friedliche Miteinander gesichert wird, damit diese „zweite Natur“ überhaupt funktioniert: Das einzusehen, das würde auch ein Stück politische Kultur verlangen. Und damit wäre Essen dann würdig diesen Titel auch zu tragen. Dann wäre Kultur nämlich nicht nur die Inszenierung (oder der Konsum) von Kultur (bis hin zur Inszenierung von Solidarität), sondern aus der Einsicht in die Gegebenheiten der eigenen sozialen Existenz geboren. Diese „zweite Natur“ kommt nämlich auch nicht von oben, sie muss in dieser Welt täglich neu verhandelt werden. Und – das gilt nicht nur für Essen – besser spät als nie.

(Foto der Volkshochschule: Olaf Mahlstedt)