Kurz vor 2012

Der Regisseur Marcus Overbeck feierte im März mit „2012“ in der Essener Lichtburg Kinopremiere. Ein Film über Überwachung und Selbstfindung, gedreht vor allem im Ruhrgebiet. Wenig später folgendes Gespräch (in Auszügen) über die Welt in der wir leben und die Realitäten des Filmgeschäftes.

Ruhrbarone ?: „2012“ hat für einen Kurzfilm eine sehr beachtliche Kinopremiere in einer fast ausverkauften Lichtburg gesehen. Unter welchen Umständen entstand der Film?

Marcus Overbeck !: Ich habe fünf Jahre an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert, und „2012“ ist meine Abschlussarbeit im Bereich Film/Fernsehen. Im Grunde kam ich damals eher von Fotografien, Medienkunst und der Musikproduktion her, habe mich aber dann in die Film-Richtung orientiert, weil dort viel Handwerkliches zu lernen ist und es einem die Möglichkeit bietet, gute Geschichten zu erzählen. Für Film habe ich mich natürlich schon vorher interessiert. Das Drehbuch zu „2012“ habe ich zusammen mir meinem Co Autor Johannes Lierfeld geschrieben, welcher u.a. an der IFS in Köln studiert hat. Das Schreiben zu zweit hat uns die Möglichkeit gegeben uns gegenseitig die Bälle zuzuspielen um so effektiv in kurzer Zeit meine Vision von „2012“  als Script umzusetzten. Von meinen inhaltlichen und auch visuellen Ansprüchen an Filme her ist das gerade im Bereich Science Fiction schwierig auch ein Ergebnis zu schaffen, das den gewohnten Standards nicht allzu sehr hinterher hinkt. Das war die Herausforderung, mit möglichst kleinen Mitteln eine eigenständige Welt zu erschaffen.

?: Was bedeutet das genau für das Budget und die Größe des Filmteams?

!: Zunächst einmal haben alle ohne Gage gearbeitet und mussten während der gesamten Produktionsphase sehr flexibel sein. Da ist man dann auch nicht nur Regisseur, sondern hat ganz verschiedene Kappen auf und ist irgendwie auch Produzent, Buchhalter, Autor und Post-Produzent. Letzteres auch deshalb, weil ich ja ein eigenes Ton- und Postpro-Studio habe, in dem auch der Hauptschnitt entstanden ist. Aber dennoch bestand das Team letztlich aus mehr als 30 Personen. Der Hauptsponsor des Films wiederum kommt origineller Weise aus dem Finanzsektor; ich hatte da einmal einen Nebenjob als Sales Agent. Sachspenden wie von Ruhrgas, bei denen wir einfach drei Tage drehen durften, sind aber auch sehr wichtig gewesen. In dieser Beziehung ist das Ruhrgebiet einfach noch nicht so verbrannte Erde wie in den typischen Filmstädten wie Köln oder Berlin.

?: An welchen Lokalitäten wurde dann letztlich gedreht? Der Film lebt ja auch von den Gegensätzen aus futuristischer und Arbeitersiedlungs-Architektur.

!: Zum einen an der Kokerei Zollverein, zum anderen auf Kohlehalden wie Rungenberg in Gelsenkirchen und Schurenbach. Die Szenen mit der Großmutter des Protagonisten, die ja sozusagen aus einer anderen Zeit kommt, entstanden in Katernberg. Für mich war von vornherein klar, dass der Film hauptsächlich in Essen gedreht wird, weil ich da groß geworden bin. Beim Schreiben sind dann direkt Bilder im Kopf, wo man das umsetzen könnte. Diese verfallenden Industriedenkmäler haben ja auch eine eigene Geschichte, die man dann gut in einen anderen Zusammenhang bringen kann. Mit dem Jahr 2012 ist ja auch klar angesagt, dass da auch noch eine andere Zeit gegenwärtig ist, alles auch nicht völlig weit in der Zukunft spielt.

?: Truffaut hat ja auch so gearbeitet bei Fahrenheit 451…

(Lachen auf beiden Seiten)

!: Das lassen wir mal so stehen.

?: Inwiefern lässt man sich denn von klassischen Science Fiction Plots beeinflussen? Es fällt ja auf, dass bei „2012“ eben nicht zwingend ein totalitäres System dargestellt wird, sondern dass es mehr um die persönliche Geschichte des Hauptcharakters geht.

!: Ich interessiere mich schon für Themen wie inszenierte Wirklichkeit, Kognition, Konstruktivismus. Fakt ist nun einmal, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben und damit in einer Welt, über die wir vor allem über und durch Medien erfahren haben. So bastelt sich jeder Mensch aus Versatzstücken seine eigene Realität zusammen. Umgesetzt in die Story bedeutet das dann schon, dass es zwar Protagonisten und Antagonisten geben muss, aber nicht zwingend, dass es ein Verschwörungstheorie-Film werden muss. Es gibt also den Bösewicht und ein Opfer, das zum Helden wird, aber eben keine Geheimgesellschaft oder so etwas. Und es gibt auch etwas Besonderes an dem Hauptcharakter, aber was ihm zum Großteil passiert, das passiert in dieser Welt vielen und alltäglich. Der Gegenpart wiederum, Doktor Braun, geht jeden Tag nach Hause und denkt, er hat etwas Gutes für die Menschheit getan. Und so funktioniert auch die Firma AETAS, für die er arbeitet.

?: Jetzt kann man vielleicht erwähnen, dass es schon auch um Funkchips (sog. RFID Implantate) und die Manipulation von Erinnerungen geht.

!: Es ging aber auch darum, gewisse Tatsachen nur ein wenig weiter in die Zukunft zu spinnen. Bei der Recherche zu dem Film habe ich mich viel mit den Sicherheitsmaßnahmen nach dem 11. September und der Frage wem sie am meisten nutzen beschäftigt. Es war danach halt leichter, biometrische Chips und ähnliches global durchzusetzen. In Deutschland gibt es übrigens schon Nachtclubs, in denen mit einem implantierten Chip bezahlt werden kann. Da scannt dann der Wirt den Oberarm ab, und das finden manche total cool. Jemand anderes hat sich einen Chip einbauen lassen, damit er mit seinen Konrad Electronics seinen getunten Polo öffnen kann, ohne den Autoschlüssel aus der Tasche holen zu müssen. Und wenn er seine Hand auf den Computer legt oder zur Haustür kommt, dann geht auch alles direkt an und auf. Das sind jetzt nur praktische Anwendungen, aber so etwas gibt es. Und deshalb liegt es mir auch nicht nahe, da jetzt „den Staat“ als Übeltäter darzustellen, sondern es geht darum, dass es in der Natur jedes Menschen liegt Technik eben auch immer zu missbrauchen.

?: Es gibt da ja auch immer zwei Seiten. Diejenigen, die sich Erleichterungen erhoffen und diejenigen, die das auf einer anderen Ebene ausnutzen. Der Protagonist zieht daraus ja im Film gewisse Konsequenzen. Wie kann man das jetzt erzählen ohne zuviel zu verraten?

!: Zum einen: Ich wollte kein klassisches Happy End im Sinne dessen, dass zum Schluss irgendeine Wahrheit ans Licht kommt oder so etwas. Die universelle Antwort gibt es halt nicht, und das müssen auch die Zuschauer letztlich mit sich selbst ausmachen. Dazu muss man aber erst einmal den Schritt über eine gewisse Grenze tun, um alles aus einer anderen Perspektive sehen zu können. Und deshalb ist das Ende auch offen, und man darf dann eben genau nicht mit einer abgeschlossenen Geschichte im Kopf nach Hause gehen. Mich hat aber auch die psychologische Seite der Hauptfigur interessiert: Was geht in einem Kopf vor, der vollkommen in einem System gefangen ist, der nie über den Tellerrand schaut? Aber dann trifft er halt eine Entscheidung und kann nicht mehr zurück. Die Gefahr ist halt eher psychologischer Art heutzutage, es geht um das Umgehen mit Informationen und Ängsten. Und zusätzlich suchen die Menschen über die Medienkanäle immer mehr nach Anerkennung, und auch das ist dann ausnutzbar. Das sind Tendenzen, die man mit den Überwachungsmöglichkeiten zusammen denken sollte.

?: Der Film ist in naher Zukunft leider nur auf Festivals zu sehen. Was passiert mit einem solchen Film, der vielleicht nie in die üblichen Kinos kommen wird?

!: Im Moment geht der Film pro Monat in Richtung von 8 bis 15 Filmfestivals, M.I.T. in Massachusetts, Spanien, Cannes, Taipeh… Den Vertrieb und Verleih mache ich selbst über meine Firma Filmefahrer Pictures. Nach seiner Reise durch die Welt wird der Film jedoch in jedem Falle auf DVD erhältlich sein.

?: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

– Fotos vom Set: Anna Hepp. Oben v.l.n.r.: Godehard Giese als Gabriel, Marcus Overbeck, Dieter Moor als Dr. Braun. –

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 5 (1)

Aaron Stratmann gehört keiner Hausbesetzergeneration mehr an, arbeitet nicht für die Kommune und hat auch keinen festen Job in einem Kulturzentrum. Wohl aber ist er an einer Reihe wie der Beatplantation beteiligt, war zu Beginn des AZ Mülheim und des Storp 9 dabei und ist auch im Mode-, Theater- und Kunstbereich tätig. Thema also kein festes Haus, wie in dieser Reihe bisher dargestellt, sondern diesmal ein junger Freiberufler, dessen Projekte temporär, mobil und flexibel angelegt sind. Ein Gespräch über den Ist-Zustand im Kulturabteil des Ruhrgebiets und eine Generation, die eben nicht an Schreibtischen klebt.

Ruhrbarone ?: Zur Vorstellung: Du bist ja in vielerlei Bereichen und an verschiedensten Orten tätig. Du und Deine Mitstreiter haben kein festes Haus für eure Veranstaltungen, es gibt nicht das eine Logo, nicht zwingend einen Verein und auch keine direkten Subventionen, kein Jugendamt als Aufpasser, keine übergeordneten Institutionen. Gib doch bitte einen Überblick über Deine Arbeit.

Aaron Stratmann !: Fast richtig. Ich habe ja mein Atelier in Werden, in dem ich male und kreiere und wir haben mittlerweile unseren eigenen Kunst und Kultur Verein. Grundsätzlich besteht die Arbeit, die ich im Kulturbereich mache, aus Tätigkeiten, die ich vorher immer neben Dingen wie meiner Damenschneider-Ausbildung und Co. betrieben habe. Auslöser war vor langer Zeit für einige Freundinnen und Freunde von mir, dass uns das Angebot in den etablierten Veranstaltungsorten nicht gefiel. Wir wollten unsere Sachen großflächiger und nicht nur an einem Ort durchführen. Im Vergleich zu Berlin, Hamburg oder auch Barcelona war uns das hier zu wenig, und das war der Anfang der Beatplantation (Foto) vor sechseinhalb Jahren, zunächst im AZ Mülheim. Und das war direkt eher als Festival angelegt, mit Szene spezifischer Musik und Subkultur auf verschiedenen Floors, ohne aber einfach wie eine Großraumdiskothek einfach nur die Leute zu bespielen, sondern auch mit Installationen, Projektionen, Live-Programm und Ausstellungen. Da ich verschiedene Ausstellungen auch organisiere und kuratiere, z.B. im Rahmen von Be Rock, Beyond Streetart oder Ruhrpuls (ehemals Music & Arts), ergeben sich da natürlich einige Synergien. Gerade im Bereich der Umgestaltung von Räumen gehen wir weit über eine einfache Dekoration hinaus. Und es entstehen Reihen wie „Nicken im Sitzen“, eine Lesung wo Räppen ihre Texte vorlesen.

?: Eine einzige feste Räumlichkeit für all diese Tätigkeiten käme nicht in Frage, so eine Arbeitsweise wie in Autonomen und Soziokulturellen Zentren?

!: Ich habe zwar das AZ Mülheim damals mitbesetzt, aber eigentlich hoffe ich immer noch, dass irgendeine Stadt unser Potential erkennt und uns fördert. Aber: Die Leute sind gemütlicher, die Zeiten  schnelllebiger geworden und man geht mal hierhin und mal dorthin. Und so arbeiten wir dann auch, an verschiedenen Orten, aber mit einer klaren Ausrichtung. Wir wollen durchaus die breite Masse ansprechen, es ist ja eh alles ein großes Crossover; deshalb geht es mehr um Kombination und Ergänzungen und nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Wichtig ist dabei, trotzdem auch Szene speziell zu bleiben und nicht den großen Ausverkauf mit zu unterstützen.
Und ein inhaltlicher Gedanke dazu: Wenn ich als Veganer das den Leuten predigen würde, dann brächte das nichts. Es geht mehr darum, bestimmte Lebensweisen auf angenehme Weise vorzuführen, die Leute ein klein wenig zu steuern, aber ihnen die Entscheidung zu überlassen. Früher waren alle anti-Anti, wir sind pro-Pro, d.h. wir machen dasselbe, aber über den positiven Weg. Wir machen also schon politische Veranstaltungen, zumindest sehe ich das so.
Nach dem AZ haben wir uns jedenfalls mit der Beatplantation ins Druckluft begeben und parallel haben wir auch den Verein gegründet, um die ganze Kulturarbeit mal einem Kopf zu zuordnen. Wir haben uns auch mit dem Port e.V. ein Haus besorgt, in Essen und mit Hilfe der Allbau. Doch schon während des Umbaus wurde klar, dass man dort einige Dinge nicht hinbekommen würde, weil es dann doch keine Schallisolierung gab, zum Beispiel. Es ist schon problematisch, Lesungen dort durchzuführen die länger gehen als 22 Uhr. Jetzt hat man sich wieder anderen Räumen zugeneigt  und macht ab und an im Storp Aktionen, aber Storp 9 ist doch großteils dem Jugendamt überlassen. Das ist nämlich der Vorteil an AZs, da macht man alles selber. Die Leute von außerhalb verstehen ja meist gar nicht was man macht oder machen will.
Und Ende 2008 hat man sich dann noch einmal um ein anderes Gebäude in der Essener City bemüht, ganz ohne öffentliche Hand quasi, aber das hat sich dann auch bald erledigt gehabt. Da lag es dann mal an ungeklärten Besitzverhältnissen. Wir hatten ähnliches ein Jahr vorher auch schon versucht. Da hatten aber wieder die Vermieter Angst vor einem Verein. Wobei so ein festes Haus dann eh nur eine Art Stützpunkt sein könnte, von dem aus man dann weiterhin verschiedene Projekte an verschiedenen Orten durchführen würde. Es tut auch gut, immer mal woanders hin zu gehen, um immer wieder neue Impulse abzuholen, auszuprobieren und die Spannung drin zu behalten. Angebote im Rahmen einer Veranstaltung von der Tischtennisplatte über die Ausstellung bis hin zum Theaterstück kann man auch sehr gut ohne einen festen Austragungsort verwirklichen.

Teil 2 des Interviews hier.

Die Linke live in Essen: Landesparteitag

Es wird viel gewählt werden an diesem Samstag, hauptsächlich die Landesliste für die Bundestagswahl 2009. Nach einem Freitag mit einigen Anträgen und den üblichen Formalia stand Samstag morgen schon recht früh wieder Oskar Lafontaine (Fotos: Die Linke) auf dem Programm – er will noch zur Demo "Wir zahlen nicht für eure Krise!" nach Frankfurt. Dann ging es mit einigen Foto- und Zitats-freundlichen Reden und Posen um Opel. Man wolle Opel General Motors wegnehmen und den Arbeitern überantworten. Und damit live in’s Geschehen und zum Alltag der Delegierten – die Demo und "Oskar" gibt es ja im Fernsehen heute abend.

11:30 Uhr: Man ist dann doch erst bei Tagesordnungspunkt 2 c) statt 8 und sucht Personal für das Wahlprocedere. Das Präsidium schlägt vor, bis Listenplatz 10 zu wählen, egal wie lange es dauert. Keine Änderungsanträge. Tagesordnung verabschiedet. Das ging fast einstimmig. Dann aber doch noch ein wenig Bemühungen, das Ganze noch weiter zu straffen, auch ohne "Gefälligkeitsfragen" und "Abschussfragen". Daher sollen Fragen an die KandidatInnen für die Listenplätze vorher schriftlich eingereicht werden. Man möge auch nur kurz antworten, Redezeit solle KandidatInnen nur beim erstmaligen Kandidieren gewährt werden, etc.

12:00 Uhr: Draußen vor der Tür berichtet die Raucherfraktion von einem äußerst disziplinierten Freitag. Eine Delegierte konstatiert: "Das beweist doch: Die Linke ist lernfähig." An den Stehtischen vor der Halle im Inneren steht u.a. Frau Wagenknecht im kleineren Kreise, an Infoständen gibt es diverses Material: "Make NATO History!". "Fight Precarity!". Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. wirbt mit Slogans wie "Privilegien der Kirchen in Deutschland abschaffen!" und "Gegen den Einzug der Kirchensteuer durch den Staat". Mehr Demokratie e.V. sammelt für "Volksentscheid ins Grundgesetz". Arbeitsberichte der Abgeordneten, Aufrufe der Jugendverbände, Zeitungen einzelner Kreisverbände. Wieder im Saal wird ein Papier mit Auszügen aus der Rede Lafontaines verteilt. Erster Satz: "Es gilt, keine Minute zu verlieren, um den Sozialismus in diesem Lande zu verwirklichen". Die Kollegin zur rechten in den Pressereihen kommentiert: "Dabei war das ja wohl die sozialdemokratischste Rede, die er in den letzten Jahren gehalten hat." 

12:30: Der Listenplatz eins für die Gewerkschaftssekretärin Ulla Lötzer geht ohne Gegenkandidatur durch. Ihre Schlagworte: "Rekommunalisierung", "Banken in die öffentliche Hand", "den Brandstiftern wie Merkel (und Schröder) nicht das Löschen überlassen", sondern den für die Versammlung den Titel stellenden  "Schutzschirm für die Menschen" bauen. Keine Fragen an die Kandidatin. Wie aus den vorher via Internet veröffentlichten Antworten auf Fragen aus der Partei zu erfahren ist, spendet Frau Lötzer aus ihrer Diätenerhöhung an das Stadtteilzentrum Buchforst in ihrem Wahlkreis und muss sich dazu äußern, warum die Gewerkschaften die heutige Demonstration nicht unterstützen. Sie verweist im Grunde auf ihre parlamentarische Arbeit und erwähnt, dass die Entstehung von Die Linke überhaupt erst einmal zur "Bewegungsfähigkeit" der Gewerkschaften in Deutschland beigetragen habe. Es wird ausgezählt, Material verteilt, hier und da etwas verlesen, gelesen, diskutiert. Brötchen gegessen.
Auf der Leinwand hinter dem Podium werden auch mal Kuchendiagramme gezeigt, welche Partei wie viele Spenden von wem bekommt. Irgendwie erhält Die Linke keine Spenden, laut dieser Statistik. Oh, dann doch: 222.799 Euro von "Mitgliedern, Freundinnen und Freunden". Die CDU ist Spitzenreiterin der Spendencharts mit gut dem zehnfachen Betrag. Dann liest Landessprecher Wolfgang Zimmermann, eher sehr nüchtern, sachlich und kurz ein Grußwort des DGB-Vorsitzenden von NRW vor. Es folgen ein paar stumme Werbespots mit malenden Mädchen und ähnlichem. Ulla Lötzer wird gewählt, mit 138 von 198 Stimmen. 39 mal "Nein", 21 Enthaltungen. Glückwunsch und Applaus, weiter geht es: Hüseyin Aydin (Ex-SPDler) gegen Ulla Jelpke ("Komm mit in die Friedenslok!", "Nazis weg von den Straßen!") um Platz 2. Detlef Hertz wird vorgeschlagen, will aber nicht bzw. darf aber nicht in den Ring. Dann: Reden, Rhetorik, Kampf um Stimmen. Aydins Rede gerät recht laut und anstrengend. Tipp: Der wird es nicht.

14:00 Uhr: Ende der Mittagspause, in der die Kameras und JournalistInnen ihre Vorlieben für das Thema "Wagenknecht" nicht gerade verhehlt haben. Die kommt dann aber erst für Listenplatz 5. Genau hiernach steht dann auch eine Pressekonferenz an. Klare Dramaturgie. Und der Listenplatz 2 der Landesliste Die Linke NRW für die Bundestagswahl 2009 geht an…: Ulla Jelpke. Mit 119 gegen 71 Stimmen. Ein Video aus Berlin wird via You Tube eingespielt.
Es folgt das Duell um Listenplatz 3: Inge Höger (bezeichnet sich als Abrüstungsexpertin; Abschlussatz: "Wir zahlen nicht für eure Krise und wir zahlen nicht für eure Kriege!") gegen Ingrid Remmers (eher mit sozial- und familienpolitischer Note). Nach den Reden die Stimmabgabe und dann direkt vier Vorschläge für Platz 4 und die entsprechenden Vorstellungen. Das wirkt jetzt zunächst recht demokratisch, gar nicht wie Strömungs- oder Flügelabsprachen, und das Auditorium lauscht den Kandidaten. Genau, es wird ja quotiert, das ist jetzt die ganz große Männer-Rutsche. Der realistische Tipp: Paul Schäfer, der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, wird es machen. Inge Höger hat es für Platz 3 schon geschafft, aber recht knapp.

15:15 Uhr: Britta Pietsch (Betriebsratsvorsitzende und Krankenschwester, Schwerpunkt Gesundheitspolitik) gegen Sahra Wagenknecht (Kommunistische Plattform, Parteivorstand). Spannend ist das alles noch nicht, der "people mix" von Die Linke NRW sieht allerdings ganz ordentlich aus, mit gewerkschaftlich Orientierten auf den Spitzenplätzen und dann noch etwas Extra-Prominenz danach. Zwei türkisch-stämmige Ex-LandeslistenvertreterInnen sind dafür aber definitiv nicht mehr auf den aussichtsreichsten Plätzen zu finden. Hüseyin Aydin kandidiert nach der Niederlage gegen Ulla Jelpke neben einigen vielen anderen für Platz 6. Zu seinen Gunsten zieht ein Kandidat denn auch direkt zurück. Und die drei, die für Platz 4 nicht gewählt wurden, kandidieren ebenfalls nicht für Platz 6. Einzige Kandidatin für Frauenquotenplatz 7 ist fast erwarteter Weise Sevim Dagdelen. Der realistische Tipp: Das muss Aydin also eigentlich machen. Und Dagdelen auch.
Aber parallel dazu findet auch die Pressekonferenz der SpitzenkandidatInnen statt. Mit Paul Schäfer (59,2 Prozent) für Platz 4 und Sahra Wagenknecht für Platz 5 natürlich, die 143 von 202 Stimmen holt. Man singt "Vorwärts, und nicht vergessen!", Blitzlichter, etc.

17:00 Uhr, Nachtrag: Es war eine sehr entspannte Pressekonferenz. Man trete gegen alle anderen Parteien an, nicht nur gegen die SPD. Die Frage nach möglichen Koalitionen sei nicht so entscheidend wie die gesellschaftliche Veränderung durch das Agieren der Partei, zum Beispiel in die Gewerkschaften hinein. Im Saal: Hüseyin Aydin musste noch in die Stichwahl gegen Andrej Hunko. Es wird noch gezählt. Sevim Dagdelen erhält weit über 70 Prozent für ihren Platz 7.

19:00 Uhr, letzter Nachtrag: Andrej Hunko hat sich tatsächlich auf den fast aussichtsreichen sechsten Listenplatz geschoben. Den achten erhält der Jungkandidat Niema Movassat von der linksjugend. Das sieht nun insgesamt recht plausibel aus, man fragt sich aber schon, was Hüseyin Aydin alles falsch gemacht hat. Die folgenden Plätze des Samstags und Sonntags werden nämlich nicht von großer Bedeutung sein.

2 für 7 – und eine Eilmeldung

Termine. Ein Kapitel für sich. Welche nimmt man wahr, welche verschiebt man, von welchen will man wissen, geht aber nicht hin? Man reiht sie zu Touren aneinander, oder zu Veranstaltungsreihen. Und dann fällt auch mal einer aus oder wird verschoben: Ob ihr wollt oder nicht. Grace Jones. Schattenstimmen.

Christiane Paul ist heute nicht in Essen! Und Senta Berger und der halbe Stab von "Ob ihr wollt oder nicht" sowie Regisseur Ben Verbong auch nicht. Die Deutschlandpremiere in der Essener Lichtburg ist nämlich verschoben – aufgrund von Drehterminen der Schauspielerinnen.

Grace Jones (Foto: promo-team) hat hingegen Donnerstag einen Termin in Düsseldorf. Sie will ja unter anderem auch ihr neues Album "Hurricane" mal live präsentieren bzw. dafür Werbung machen. Eine ganz eigene Person, nicht wahr? Eben gar nicht kalt, sondern auch mal derb. Und hoffentlich mit einer exzellenten Backing Band. Sly & Robbie wünscht sich der Autor dieser Zeilen, kann aber nichts dergleichen bestätigen.

"Schattenstimmen" behandelt das Leben sich illegal in Deutschland aufhaltender Menschen und ist ein Stück von Feridun Zaimoglu ("Kanak Spraak", "12 Gramm Glück", "Corine", "Schwarze Jungfrauen", "Liebesbrand") und seinem Kompagnon Günter Senkel. Die Bochumer Premiere – das Stück wurde in Köln bereits gespielt – am Freitag ist bereits ausverkauft, für die anderen Termine gibt es – mit Stand von jetzt – noch Karten.

Im Überblick:
Grace Jones bei Einlass um 20 Uhr am Donnerstag, den 26. März, in der Düsseldorfer Philipshalle.
"Schattenstimmen" am Sonntag, den 29. März, um 19 Uhr im Bochumer Prinz Regent Theater. Weitere Termine: 4. April um 20.30 Uhr. 5. April um 19 Uhr.

Werbung


3 FÜR 7 – Konzert-Special

Irgendwann hat es sich in jedwedem Musikdiskurs herausgebildet, dass die Künstler Legendenstatus erhalten die als Archetypen fungieren – in Bezug auf Pionierarbeit, geschicktes Übertragen von Prinzipien auf andere Ebenen oder auch einfach Originalität und/oder das was wir Genie nennen. In dieser Woche drei Konzerte von Bands und Künstlern, die sich durchaus haben beeinflussen lassen von Legenden, die daraus aber ihre eigenen Schlüsse für ihre Zeit und sich selbst gezogen haben: GTUK, Jonathan Richman, Wire.

GTUK (abgebildet) wird zugeschrieben, dass im Grunde weiter geführt wird was DHR und die Atari Teenage Riot Posse begründet haben, eher an Pop als an Kunst orientierten DIY-Hardcore in elektronisch vielleicht. Die Weiterentwicklung mag hier dann womöglich sein, dass es auch weniger martialisch, mit billigerem Equipment und für eine (zwangsweise) nerdigere und irgendwie queerere bis emo-haftere Generation gehen muss. Und das natürlich gerne in Kellerclubs wie dem EMO und da auch mit Abstract Artimus, Robotron und Miss Fortune.

Jonathan Richman hingegen hat aus der Begegnung mit Velvet Underground eigene Schlüsse für seine Kunst gezogen und ist im Grunde immer sonniger geworden, ohne Tiefe, Seele und Humor vermissen zu lassen. Er macht ab und an eine Platte auf Spanisch, tritt gerne solo oder zu zweit in kleinen Venues auf und spielt durchaus Publikums orientiert. Zum Beispiel im Grend.

Wire
fanden die Sex Pistols wahrscheinlich vom Ansatz her ganz richtig, aber eindimensional, zu leicht von Idioten vereinnahmbar und musikalisch altbacken. Das haben sie dann in vielen Projekten über die letzten 30 Jahre, aber erst recht mit ihrer Reunion vor einigen Jahren immer wieder vorgeführt, ohne das wiederum zur Philosophie zu machen. Dementsprechend haben sie sich denn auch in das Blue Shell buchen lassen, nachdem Colin Newmans andere Band, Githead, es da wohl ganz okay gefunden hatte. Ist natürlich ausverkauft, sorry. Aber der Autor geht mal hin.

Im Überblick:
GTUK & Co. am Mittwoch, den 18. März, bei Einlass ab 19.30 Uhr im Essener EMO.
Jonathan Richman am Sonntag, den 22. März bei Einlass ab 20 Uhr im Essener Grend.

Die neuen Abenteuer des Jamiri – jetzt auch auf großer Bühne

Man trifft den bekannten Zeichner unweit des gerade frisch ausgebrannten De Prins, dem schon fast sprichwörtlichen „zweiten Wohnzimmer“ von Jan-Michael Richter. Aktueller Anlass ist seine Arbeit für die Eröffnungsshow der offiziellen Partnerregion der Internationalen Tourismusbörse in Berlin – dem Ruhrgebiet, Ruhr.2010, tourismusmetropoleruhr, wie auch immer. Ein Gespräch mit Jamiri über Arbeitsethos, wie man wurde was man ist und so einiges mehr.

Ruhrbarone ?: Du hast für die ITB Eröffnungsshow nicht unwesentlich zum Bühnenbild beigetragen. Ist das Dein erster Ausflug hinaus aus der Welt der Comic-Strips und -Bücher?

Jamiri !: Begonnen habe ich ja als Kommunikationsdesign-Student in Essen, habe ein paar Auftragsjobs gemacht und wusste gar nicht, wo es hingeht. Irgendwann traf ich dann in der Caféteria ein paar Leute aus dem Industrial-Bereich, die da gerade das Magazin „bospect“ aus der Taufe gezogen haben. Und als einziger KDler am Tisch wurde ich dann gefragt, als Comic-Zeichner zu fungieren. Zu einer Ausgabe wurde ich dann überredet, eine vierseitige Geschichte zu „Ausgehen in Bochum“ zu machen. Ich hatte eigentlich gar keine Lust, aber das hat so gekracht, dass die Ausgabe neu aufgelegt werden musste. Danach hatte ich dann immer eine ganze Seite, bis der Marabo mich abgeworben hat. Nach einem halben Jahr da kam dann Unicum schon an, und ich habe dann auch für die gezeichnet.

?: Wann reicht dann eigentlich das Einkommen durch Zeichnen? 

!: So ab 1993 etwa. Dazu habe ich aber parallel lange immer noch Theke gemacht. Und dabei hatten meine Arbeit einige bei Unicum zunächst nicht verstanden und es gab die Idee, ich möge doch lieber lustige Ideen der Redaktion in Zeichnungen umsetzen. Aber da kamen dann auch gerade Waschkörbe voller Post wegen meinen Seiten, und ich hatte recht bald „carte blanche“ und konnte doch machen, was ich wollte. Neben Marabo und Unicum kam dann Online Today dazu, die gibt es jetzt nicht mehr. Und dann schließlich auch Bücher. Dann hat es spätestens gereicht, wobei es nie einen Masterplan gab. Ich habe immer gezeichnet, was ich so erlebt habe und das dann veröffentlicht.

?: Und da kam dann nie jemand und fragte mal wegen Filmen oder Musikvideos oder so etwas?

!: Nein. Ich habe dann wohl Ausstellungen gemacht, u.a. auch für die Caricatura, und dann kam eben noch spiegel-online dazu. Und da habe ich dann gedacht, ich muss mich nur neben das Telefon setzen und auf Anfragen warten. Dem ist aber nicht so gewesen, und über die Jahre habe ich über Flurfunk und Co. auch herausgefunden warum: Die Leute denken, ich sei „Eigentum“ von spiegel-online. Ich bin da so zugeordnet dass man meint ich wäre so aus allem raus mit Maserati vor der Tür und ganz dem Spiegel zugehörig, so dass eben keiner fragt. 2007 war dann schon eher knapp, 2008 dafür super. Aber so ist das halt als Freiberufler.
Ab und zu bin ich wohl gebucht worden, um Illustrationen für Film und Fernsehen zu machen, aber das ist dann nicht so populär. Letztens eine 3SAT-Produktion („Wenn es Nacht wird“) als Interviewpartner, Illustrator und Titeldesigner. Das sehen dann vielleicht 250.000 Menschen, und bei spiegel-online hast Du pro Comic oft eine Million. Und so kam das denn, dass Regisseur Gil Mehmert, der auch ein Interview in der Galore mit mir gelesen hatte, mich für diese ITB-Sache (Foto: Nora Erdmann) engagiert hat.

?: Also musstest Du – obwohl Du hier wohnst – quasi erst raus aus dem Ruhrgebiet, um es dann mit-repräsentieren zu können?

!: Ich bin ja schon der Comiczeichner vom Dienst hier – es gibt ja sonst kaum welche – und daher wohl zuständig. Und ich war da auch erst besorgt, dass ich da wohl nur sozusagen die Verkaufslackierung machen kann. Aber so ist das ja nicht, man hat mir schon weitestgehend freie Hand gelassen. Natürlich habe ich Motive vorgegeben bekommen, der dramaturgischen Abfolge wegen. Andererseits: Allein das Wetter auf den Bildern ist eher permanent Nieselregen, aber selbst darauf hat mich niemand angesprochen. Ich konnte mir da quasi ein wenig Mit-Autorenschaft verleihen. Es war wohl das erste Projekt, bei dem mein Name mit darauf steht, und das – hierarchisch besehen jetzt– im Dienst einer „höheren Sache“ quasi. Das heißt dass Zeichnungen letztlich gar nicht gebraucht wurden oder nachträglich am Mischpult verändert worden sind. Das habe ich dann eher über mich ergehen lassen. Hätte ich ein anderes Ego, hätte ich da mehr gemuckt. So finde ich meine Arbeit in Teilen vielleicht unterrepräsentiert, aber die steht halt im Dienst der Inszenierung der Bühnenshow.
Und von den Abläufen her alleine habe ich sehr viel gelernt. Es gab drei recht weit auseinander stehende Projektionsflächen plus acht Plasmadisplays. Ein Gesamtmotiv wäre halt zerrissen worden, und ich wollte auch keine Wiederholung des gleichen Motivs auf allen Flächen, also habe ich Ausschnitte projizieren lassen. Und das ist dann letztlich zum Großteil beherzigt worden, manchmal aber auch nicht, weil zuviel Hintergrund öfters auch irritiert. Ich habe halt noch nicht wie ein Bühnenbildner gedacht. Und das geht für so eine einmalige Show im Rahmen einer Messe ja auch alles viel schneller als für eine oft aufgeführte Theaterproduktion, die eine viel längere Produktionszeit hat.

?: Wie ist denn das Klima zwischen Künstlern, Auftraggeber und Repräsentanten bei so einer Angelegenheit ganz allgemein?

!: Ich habe eine Hausnummer gesagt, der wurde zugestimmt, dann wurde der Betrag plötzlich geviertelt und ich habe erstmal abgesagt und mich geistig-seelisch von dem Projekt verabschiedet. Dann hat mich aber Gil Mehmert angerufen und gesagt, dass er genau mich haben will, und wir haben uns doch noch finanziell geeinigt.
Erfahrungsgemäß sind die Künstler am untersten Ende der Nahrungskette. „Das ist doch auch Werbung für Sie“ muss ich mir immer anhören. Wenn ich danach gehen würde, hätte ich bis heute keinen Cent verdient. Und eines der Probleme von Ruhr.2010 ist natürlich, dass alles auf Weltniveau passieren soll, aber die meisten guten Leute alle abgewandert sind in die klassischen Medienstädte. Aber mein persönliches Netzwerk alleine mit Leuten auf Weltniveau zum Beispiel: Die sind alle hier, nur ruft die keiner an.

?: Zurück zur Kunst: Es ist ja 2008 ein „Best Of“ von Dir erscheinen. Wie wählt man das aus?

!: Mit Herzblut. Und da hat mir der Verlag auch freie Hand gelassen, bis hin zum Format. Wobei Comics in Deutschland im franko-belgischen Verständnis schon lange ein schwieriges Thema sind. Und dafür geht es mir gut, in Japan wäre ich halt Popstar (Zeichnung: Jamiri). Aber was meinen Bekanntheitsgrad betrifft, kann ich mich hierzulande auch nicht beschweren: Bei der Aufführung in Berlin saß hinter mir ein älteres Ehepaar in den 60ern und blätterte so im Programmheft. Und sie fragte: „Jamiri? Wer ist das denn?“ Und er sagte: „Der macht so Karikaturen im Spiegel.“ Dann wurde er leiser, deutete auf mich und sagte: „Da, der könnte das sein.“

Das nächste Buch von Jamiri erscheint im Sommer 2009.

3 FÜR 7 – Bitte dreiteilen am Samstag

Im Interview über den Bahnhof Langendreer gab Gerd Spieckermann hier letztens noch zu Protokoll, der Kampf sehr vieler Kultureinrichtungen um eine sehr ähnliche Zielgruppe sei an Rhein und Ruhr voll entbrannt. Was hinzu zu fügen wäre: Diese Computercouchpotatoe-lowincome-wherearethekids-nofuturedadraußen-Generation geht natürlich anscheinend auch nur am Wochenende aus – damit man am Montag was anderes als Vollnerdkram zu erzählen hat zumindest – falls mensch denn dann arbeitet. Und so ballt es sich in dieser Woche alles knubbelnd am Samstag und dreht sich um: domicil40, The Kills und ein Narrenschiff.

40 Jahre domicil beginnt im Grunde bereits am Freitag mit einem Konzert des Club de Belugas feat. Brenda Boykin, und am Samstag folgt die WDR 3 Jazznacht  Und das ist alles sehr fein und man darf sich ja im Grunde einfach nur freuen, dass in Dortmund aus einem 70er-Schabbelkeller ein sub-snobistisches UFO in der Innenstadt erwachsen ist. Dass dazu anscheinend nur eine bestimmte Art von "Jazz / World Music / Avantgarde" passt, darüber reden wir ein andermal. Heute: Beste Glückwünsche!

Wen das auf rockigeres eingestimmt hat darf sich über diesen Absatz und erst recht das Konzert von The Kills im zakk freuen. Ein Duo, das privat anscheinend keines ist und sich dennoch nicht in Weiß und Rot kleidet, trotzdem in die Klatschpresse kommt und vom Musikansatz her anscheinend darauf besteht, nicht zwingend einfach unter "Klassizisten", "Eintagsfliegen" oder "sell-out cool" abgelegt werden zu können. Irgendwie vom Ansatz her schöner: The Kills im zakk. Als Sonic Youth im 3001. Oder hat da der Autor den Rock’n’Roll mal wieder nicht verstanden?

Und damit zur Jugend von heute und dem was sich TheaterpädagogInnen so einfallen lassen, die dann eben etwas anders You Tube glotzen, damit total kreativ umgehen und das auch noch als Denkanstöße für die ach so exhibitionistische Nachfolgergeneration auf die Bühne bringen. Ein tolles Glatteis! Und dann auch noch in Unna! Womit es mal wieder auf die beliebte Tagesform ankommt, oder? V.I.P.-Jazz in Popcity, US-Rock in alternativem Unchic oder ein technologiekritisch angehauchter Samstag in Richtung Natur (Zeichnungen: Carla Miller)? Zur Entscheidungsfindung der werten Zielgruppe noch einmal…

Der Samstag im Überblick:
"domicil 40" vor allem ab 20.30 Uhr.
The Kills? Einlass um 20 Uhr.
Premiere von "Die.You.Tube.Monologe" vom Theater Narrenschiff in der Lindenbrauerei um 19.30 Uhr, ebenso die Vorstellung am 20. März (ein Freitag). Die am 22. März beginnt sonntäglich um 18 Uhr.

Rettet den Blätterwald (4) – Heute: Jungle World

"Rettet den Blätterwald" ist eine lose, aber inhaltlich recht stringente Serie, in der der Autor die Sinnhaftigkeit von Printmedien hinterfragt. So geschehen bisher mit Rolling Stone, SFT und StadtRevue. Dabei hieß es zu Beginn, der Autor würde im Anschluss an den Artikel die Publikation nie mehr kaufen, bis ihn einige Kommentatoren darauf aufmerksam machten, dass ohne eine gewisse Grundsympathie diese Artikel doch gar nicht zustande kommen würden. Hm. Jedenfalls ist nach der fünften Woche Jungle World Kauf am Donnerstag in Folge jetzt mal ebendiese an der Reihe.

Ein Wochenblatt, das inhaltliche Beschäftigung verlangt. Ein Artikel über dieses in einem Medium, das durchaus politisch verschieden ausgerichtete Leserinnen und Leser hat. Und damit ist man schon bei der Entstehungsgeschichte dieses Blattes, das in Abgrenzung zur Junge Welt entstand und heutzutage mehr denn je Position gegen allzu simple eurozentrische oder national orientierte anti-kapitalistische Positionen in Deutschland bezieht. Manche empfinden das als so auf eine deutsche Sonderstellung hin gedacht, dass es als "anti-deutsch" einsortiert wird. Und dieser Begriff flog bei den Ruhrbaronen allzu oft durch die Zeilen in letzter Zeit. Also in’s Blatt.

Editorial, große Karikatur, Inhalt und Briefe links, "Thema" direkt rechts auf Seite 3: Globalisierung und Protektionismus. In "Schuld sind immer die anderen" wird Deutschlands Politik als ein Teil Europas kritisiert, und zwar in Bezug auf z.B. die Senkung von Lohnnebenkosten als Sicherung eines Kostenvorteils für einheimische Unternehmen. Kein Land in Europa mute seinen Bürgern soviel zu wie dieses hier, um in punkto Export und innerhalb Europas vorne zu liegen. Dabei würde bereitwillig in Kauf genommen, gesamt-europäische Konjunkturprogramme zu gefährden, und auch Rettungspakete für Osteuropa.

Rainer Trampert analysiert denn auf den Folgeseiten auch gleich die Renationalisierung der Kapitalströme als globalen Trend und greift gegen Ende recht unbefangen Sahra Wagenknecht ("Es gibt genug Anreiz, wenn einer fünfmal soviel hat wie der andere.") von links an: "Lasst Opel pleite gehen und schüttet die Milliarden an die Kollegen aus. (…) Entweder kämpft man für die Beseitigung des Kapitalismus, um ihn durch ein solidarisches und demokratisches Plansystem zu ersetzen, oder man bleibt Spielball seiner Krisen…" Direkt darunter verkündet Attac denn auch gleich noch einmal, dass man sich nicht über Krisen freut, weil die Teil des sich selbst regulierenden Systems sind. Stimmig alles, aber etwas wenig konkret und recherchiert dies alles. Positionen, na okay.

Erstaunlich passend danach aber auch wieder Artikel über die Genügsamkeit der Deutschen, die einfach immer noch nicht ohne Befehl der Chefetage für ihre Rechte auf die Straße gehen wollen und ein Problem der Linken, dass die Bourgeoisie weniger etatistisch und liberaler als viele der Linken ist. Nach soviel schon fast kampf-protestantischer Selbsthinterfragung ein Auflockerer mit der Vorstellung von Partei-Jungstars im Superwahljahr. Na gut. Der Steinbach-Artikel zitiert zumindest Gesine Schwan ("Ich glaube nicht, dass Frau Steinbach ins Amt kommt.") den neuesten Entwicklungen hinterher – aber wieso sollte man das einem Wochenblatt übler nehmen als einer Tageszeitung? Stimmt, die liest man ja direkt nach dem Aufstehen und hat seit 17 Uhr am Vortag keine Medien mehr benutzt, haha.

Es folgen kleinere Artikel mit beispielhaftem lokalen Inhalt zu Antisemiten, Bürokraten und Arbeitsrecht, dann eine Reportage über Hindu-Nationalisten, die in Indien den Valentinstag und die Emanzipation bekämpfen. Womit man so langsam im Ausland ist, bei den Erwartungen an Obama, Neuem aus Guantánamo, der französischen Linken, spanischer (Nicht-)Migrationspolitik und dem Arbeitsmarkt in Mexico. Rechtzeitig danach wieder bunte Kurznachrichten, bevor die Allianz Junge Freiheit + Vatikan auf historische Kontinuitäten überprüft wird. Und damit ist man bei der Antifa (Dresden, Leipzig, Potsdam – mal nicht Duisburg) und dementsprechenden "Veranstaltungstipps". Auf der Rückseite denn mal wieder eine Abo-Bitte, dafür gibt es aber ja auch noch die Beilage "dschungel". Bisheriger Eindruck: Manches ließe sich auch kürzer sagen, Trampert nervt, Flow und Zusammenhänge passen diesmal sehr gut.

Also der Kulturteil: Warum das Deutsche Historische Museum die Sprache Deutsch nicht einfach nur vom Deutschen aus gedacht präsentieren sollte. Eine Geschichte über Enthüllungsjournalisten, die die Arbeit einer französische Enthüllungsjournalistenzeitung, sagen wir, an die Öffentlichkeit bringen. Eine alternative Biografie über Hildegard Knef, dann eine über die französische Regisseurin Claire Denis. Hier ist man kulturell der taz einfach so weit voraus, dass der Gedanke fast hinfällig ist. Und Werbung von Suhrkamp! Auf zwei der acht farbigen Seiten insgesamt, vorher gab es nur Kleinanzeigen (Preis der Zeitung: Euro 3,20). Dann wieder diverses: Kino, Musik, TV und Buch – immer etwas beliebig bis wie gewollt nebensächlich, dann ein Bericht über eine Dissertation zum Sportbegriff in der Nazizeit und einer über den Unterschied zwischen Extremismus-Begriffen, der Antifaschisten gegen die Denkweise von Extremismusforschung zu impfen sucht. Dies recht lang – wo sonst auch einmal eine Art "persönliche Erzählung" steht – dann vier Comicstrips und Schluss. Im Grunde das beste Wochenblatt des Landes, als Ersatz für die fehlende Sonntagszeitung. Schlimm genug. Ein Skandal, das Printwesen hierzulande!

Werbung


Jazz-Moers gleich in Echtzeit

Für alle Jazzfans mit Computer, Mediawatcher, PR-Strategen, Journalisten, Kulturschaffende, Nahverkehrsexperten, Camper, Festivaltramper, Newsjunkies und einfach nur gelangweilte Büromenschen, die gerne etwas virtuelle Lebendigkeit im Büro hätten: Heute, gleich, um 13 Uhr, findet die Bekanntgabe des Hauptprogramms des diesjährigen Moers-Festivals via Livestream statt, und zwar hier.

 

3 FÜR 7 – Erinnerungen an die Zukunft

Was werden eigentlich all die Konzerne mit unseren gesammelten Daten machen? Was, wenn dies politisch genutzt wird? Welche Form der echten Kommunikation ist in einer potentiell transparenten Welt dann noch möglich? Und was würden David Byrne und Brian Eno dazu "sagen"? All dies wird in dieser Woche an Rhein und Ruhr geklärt: Ein Film, "2012". Eine Ausstellung, "Dialog im Stillen". Ein Konzert.

Marcus Overbeck hat mal wieder einen Film im Ruhrgebiet und mittels seiner Köln-Connection und für eigentlich alle Welt gedreht. "2012" sticht nämlich "2010", und es geht um den klassischen Plot "ein Mann, ein Chip, ein System". Gedreht wurde viel in Essen (Foto: Filmefahrer Pictures), und dort wird der Film am Samstag auch in der Lichtburg gezeigt, bevor es zur Premierenparty in die Heldenbar des Grillo geht. Ein Interview mit dem Regisseur folgt in der nächsten Woche.

Bereits seit letztem Sonntag hat die DASA mal wieder etwas im Angebot, das tiefsinniger ist als das oftmals Volkshochschul-hafte Image dieser Dortmunder Institution vermuten lässt. Nach einem Konzept von Orna Cohen und Andreas Heinecke geht es nämlich bei "Dialog im Stillen" um nonverbale Kommunikation. Und damit sind nun eben nicht Bilder oder Berührungen gemeint, sondern es beginnt schon damit, dass Gehörlose die Führung übernehmen. Dies einmal eben nicht aus Kinderperspektive, sondern sozusagen bewusst und leise mitzumachen, das ist dann einmal ein "Erfahrungsfeld der Sinne" der anderen Art – mit der klassischen Arbeiterschutzausstellung als Bonus nebenan.

"Everything that happens will happen today" äußern sich David Byrne und Brian Eno im Titel ihres aktuellen gemeinsamen Albums, und ersterer tritt denn auch gleich auf Tour in Erscheinung. Plus Tänzern, Tänzerinnen und Multimedia dazu, also irgendwie immer noch "Stop Making Sense!" der Talking Heads, aber auch natürlich inklusive seiner Arbeit für Weltmusik nicht nur als Labelchef. Der Mann hat einiges zu repräsentieren jenseits reiner Showmanship. Aber er ist und bleibt nunmal auch der Sänger – und der Großstadtneurotiker in uns allen.

Im Überblick:
Premiere von "2012" am Samstag, den 7. März, um 22.30 Uhr in der Essener Lichtburg.
"Dialog im Stillen" noch bis zum 29. August in der DASA Dortmund.
David Byrne am Montag, 9. März, um 20 Uhr in der Düsseldorfer Tonhalle.