Ruhr? Ah, toll! – Das Ruhr-Atoll auf dem Baldeneysee

Fotos: Ruhr.2010

Die Zahl der Pressekonferenzen zu 2010 steigt rapide. Dennoch gibt es einen regen Zulauf am Montag Morgen, denn es geht um eines der großen und großteils akzeptierten Projekte: "Ein Archipel der Künste und Wissenschaften auf dem Baldeneysee und der Ruhr". Und auch um sonstige Projekte eines der aktuellen Hauptsponsoren. Dementsprechend das Kräfteverhältnis auf dem Podium: Ein Moderator, drei Künstler, einmal Kulturhauptstadt und zweimal RWE.

Das Projekt: Vier künstliche Inseln, davon eine zwischen See und Wehr und drei auf dem Baldeneysee selbst. Gestaltet zum Thema "Energie" von Ilya und Emila Kabakov, von Kazuo Katase und Michael Wilkens, von Andreas Kaiser und Lars Kindermann und von Andreas M. Kaufmann und Hans U. Reck. Die Künstler stellen hiermit Fragen nach der Ökonomie der Ökologie, dem Energieverständnis des Menschen und der Bedeutung von konkreten Phänomenen wie Polkappenschmelze und Energiekriege. Dies sieht dann einmal wie eine nachhaltige Resterampe, einmal wie eine asiatische Teestube samt Garten, einmal wie ein Eisberg mit Polarstation und dann wie der obere Teil eines (begehbaren) U-Bootes aus. Die Kabakovs hinterfragen den ökologischen Gesamtsinn der Atoll-Idee, die Architekten Katase und Wilkens setzen ein Bild von Kontemplation und Naturkreislauf gegen die oft recht technokratische Energieriesenwelt, die Physiker Kaiser und Kindermann senden live von einer Station auf dem Nordpol und Kaufmann/Reck konfrontieren die Gäste des Spektakels mit dem in ihr U-Boot gemeißelten Satz "Ich kann, weil ich will, was ich muss." Die Freiheit der Kunst sieht also gewahrt aus, RWE wie Ruhr.2010 GmbH können zufrieden sein. Und die Region?

Interessante Bilder, verständliche Botschaften, platziert mitten in eines der Ausflugsziele der Region überhaupt, gefördert von einem der hiesigen Energieriesen. Das wirkt professionell, weltoffen und nachvollziehbar zugleich. Das Konzept von Norbert Bauer ist in dieser Woche in die Bauphase übergegangen, nach mehr als fünf Jahren Vorbereitungszeit, vielen Gesprächen mit dem Stadtteil und Verbänden, und bei einem Volumen von gut einer Million Euro. Es wird in Richtung Zukunft gewiesen, die Medien werden ihre Bilder bekommen, viele Millionen Menschen werden den Baldeneysee kennen lernen und feststellen, dass sich im Ruhrgebiet – auch aus einem Lernen aus der Geschichte und Weltpolitik heraus – Gedanken um die Umwelt gemacht werden, und das auf hohem Niveau. Keine Wermutstropfen?

Auf den Flurgesprächen nach der Konferenz erfährt man vielerlei. Neben Lob für die Ruhrbarone, Schnittchen und offensichtlich auf recht sympathische Weise überzeugten Mitarbeitern des Projektes gibt es bereitwillig viele Zusatzinformationen: Vertreter des RWE diskutieren Ansätze zu einem interaktiven Internetportal zu den mannigfaltigen Aktivitäten des Konzerns ab Herbst (www.energiekulturruhr.de). Mitarbeiter und Freunde des Atoll-Projektes erklären ihre in der Industrie erlernten Prinzipien von Verständlichkeit und Nutzerfreundlichkeit und wie dies auf Kulturprojekte übertragen werden kann. Man diskutiert das "Wie" von Kultursponsoring und die Bedeutung des Projektes Ruhr-Atoll im Vergleich mit der Unterstützung von Fußballvereinen. Man lässt sich sogar über die Schwierigkeit der Vermittlung von Kultursponsoring in Zeiten von Enteignungen und dem generellen Trend zur Industrieschelte aus.

Und selbst das lässt sich im Vergleich mit manch anderen Projekten und deren Aura und Umfeld alles sehr entspannt und selbstsicher an. Ähnlich selbstgewiss wie vorher all die anderen 2010-Projekte des RWE vorgestellt wurden, vom Kommunalen Kino samt RWE-Lounge im Dortmunder U über Kooperationen mit der Yehudi Menuhin-Stiftung, Folkwang, der Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertreffen, dem Weltwasserstoff-Kongress und dem Kulturwissenschaftlichen Institut bis hin zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna und natürlich der Extraschicht. Gut, der Künstler hätte gern acht statt vier Atolle – aber es schweben eh angenehm wenig Zahlen im Raum herum. Ein gutes Signal, ein gutes One-Off-Großprojekt.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 4: Bahnhof Langendreer (1)

Was ist passiert seit den späten Siebzigern und frühen Achtzigern? Wie haben sich die bestehenden Soziokulturellen Zentren verändert im Laufe der Zeit? Nach dem FZW, dem KKC und dem Druckluft geht es diesmal nach Bochum. Ein Gespräch mit Gerd Spieckermann, seit den Anfangstagen Begleiter des Bahnhof Langendreer, seit 2004 auch hauptamtlicher Mitarbeiter und vorher u.a. im Bundesverband der Soziokulturellen Zentren.

Bahnhof Langendreer: Ein Ergebnis der Suche nach einem Autonomen Zentrum in Bochum ganz früh in den Achtzigern. Ein leer stehendes Gebäude, das die Bahn eigentlich abreißen wollte, wird unter Denkmalschutz gestellt und zur Gestaltung zu Verfügung gestellt. Bald der nahezu übliche Weg: Vereinsgründung, Aufgabenverteilung, Ausdifferenzierung. Zwei wichtige Charakteristika neben dem Live- und Partyprogramm: Internationalität, politische Bildung, ein eigenes Kino, viele kooperierende Initiativen und Projekte.

Ruhrbarone ?: Wie entstand der neue Bahnhof, was waren das für Menschen damals?

Gerd Spieckermann !:
Der Bahnhof ist seit 1986 peut á peut in Betrieb gegangen. Zunächst die Gastronomie als Startpunkt, dann die Veranstaltungshalle, dann das endstation.kino. Vorher, Anfang der Achtziger, war der Bahnhof von der Bahn stillgelegt worden. Die Leute, die das hier aufgebaut haben, waren aus der sogenannten Zentrums-Bewegung, die politisch und auf der Straße massive Auseinandersetzungen hatten, weil es um ein autonomes Zentrum in der Innenstadt ging. Es hatte da Besetzungen von Gebäuden gegeben, und nach diversen Räumungen und Neu-Besetzungen und Demonstrationen war klar, dass man dauerhaft kein Gebäude würde halten können.
Einige der Köpfe dieser Bewegung haben dann in Langendreer eine Kneipe aufgemacht, und zwar das Rotthaus, Luftlinie etwa 300 Meter vom Bahnhof entfernt. In dessen Saal gab es auch schon alternative, politisch linke Veranstaltungen. Dann fiel das Auge dieser Leute auf den Bahnhof, und man dachte sich, die Ziele der Zentrums-Bewegung doch vielleicht hier verwirklichen zu können. Man ging dann in Verhandlung mit der Bahn, der Stadt und dem Land. Der Durchbruch war schließlich die Einstufung als Denkmalschutz würdig, denn zunächst wollte die Bahn hier Parkplätze für den neuen Bahnhof bauen. Der damals zuständige Minister Zöpel hat dann die Nutzung von Städtebauförderungsmitteln auch für alternative Kulturzentren durchgesetzt, wie z.B. für die Zeche Carl in Essen auch. Damit hat man sonst damals die 35. Schützenhalle im Sauerland gebaut, und er hat das geändert, wie sein Mitarbeiter Ganser auch, der später die IBA machte. Deren Linie damals war „Kultur von allen – Kultur für alle“. Ohne Landesgeld hätte die Stadt niemals ihre Zustimmung erteilt, so musste sie dann über ihren Schatten springen und die mitfinanzieren, denen sie vorher die Polizei entgegen geschickt hatte.

?: Was waren denn die Grundprinzipien des dann entstandenen Vereins? Wie füllt man das, wenn man endlich hat was man wollte?

!: Der Anspruch war damals, basisdemokratisch zu arbeiten und breit aufgestellt zu sein. Im Gegensatz zum Druckluft z.B. hatte die Jugendarbeit nicht so eine Bedeutung. Für die Leute hier gab es vor allem keinen Ort, wo sich die Szene politisch und kulturell zuhause fühlte. Da gab es nur das Schauspielhaus und das Museum. Das Alternativ-Milieu wollte also auch etwas zur Veränderung der Gesellschaft beitragen. Und so war das Programm zu Beginn auch: Viele „agitatorische“ politische Veranstaltungen, sehr viele zur Dritten Welt, zur Anti-Atomkraft-Bewegung, dann kam die Volkszählung, Friedensbewegung, Frauenbewegung… Und das kulturelle Programm wurde dementsprechend auch politisch verstanden. Viele Künstler, die heutzutage hier auftreten, wären damals für die MacherInnen nicht akzeptabel gewesen.

?: Da stellt sich ja dann auch die Frage nach der Kommerzialisierung, gerade in explizit anti-kapitalistischen Kreisen. Und es wurden ja auch Personen sozusagen in die Exekutive geschickt, Stellen geschaffen. Da gab es doch bestimmt Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flügeln, oder klärte sich das quasi eher auf einer persönlichen Ebene?

!: Teils, teils. Was man so mit „Professionalisierungs-Prozess“ beschreiben kann, hat hier teilweise zu ziemlichen Verwerfungen innerhalb des Hauses geführt. Es sind Leute auch explizit deshalb ausgeschieden, weil man zunächst gewisse Dinge abgelehnt hatte: Arbeitsteilung, Spezialistentum. Alle müssten alles entscheiden können, man wollte basis-demokratisch bleiben. Fragen wie: Versteht man sich auch als Dienstleister und macht auch Dinge zu denen man selbst nicht völlig steht, zu denen aber auch mal andere Leute kommen? Macht man Discoveranstaltungen, um Geld zu verdienen? Sind die politisch korrekt? Darf die Sparkasse Bochum Geld geben und mit ihrem Logo im Programmheft auftauchen? Diese tausend Fragen wurden dann meist im Sinne von Pragmatismus und wirtschaftlicher Notwendigkeiten entschieden.

?:
Regel 1: Systemerhalt. Nicht in Schönheit sterben. Temporäre Konzessionsentscheidungen.

!: Mittlerweile würde ich sagen, dass da viele Entscheidungen der Anfangstage eher falsch waren. Denn es kann nicht darum gehen, dass in einem auch öffentlich finanzierten Haus die kulturellen und politischen Bedürfnisse und Auffassungen von 20, 25 Menschen erfüllt bzw. präsentiert werden. Wer mit einem solchen Anspruch wie wir hier auftritt, hat durchaus die Verpflichtung, an andere – die durchaus anderer Meinung sein dürfen, in einem bestimmten Rahmen – auch etwas weiterzugeben. Ich war sicher früher auch deutlich „dogmatischer“, habe die „reine Lehre“ der Soziokultur verkündet, aber auch daraus gelernt.

?: Zwischenfrage: Man hat sich hier also 2004 einen Ex-Hardliner reingeholt?

!: Nun, ich hatte vorher die Kaue in Gelsenkirchen mit aufgebaut und für den Bundesverband der soziokulturellen Zentren 10 Jahre die Geschäftsführung gemacht. Und daher weiß ich auch sehr gut, wie das hier im Vergleich mit ähnlichen Zentren aussieht. Der Bahnhof ist von der Geschichte und vom Spektrum der Akteure sicherlich weiter „links“ angesiedelt als andere – eigentlich finde ich den Begriff „links“ zur Charakterisierung einer Kultureinrichtung nicht sonderlich treffend.

Teil 2 hier

3 FÜR 7 – Veranstaltungstipps – Ein Kostüm-Special

Reisen, Revolutionen und Märchenwelten. Nur gut dass sie als Idee da sind. Aber ist das nicht letztlich alles ganz fürchterbar und gar nicht mit der harten Alltagsrealität kompatibel? Erstaunlich oft folgt im klassischen dramatischen Strickmuster der Illusion die Desillusionierung, und nicht nur die der Hauptpersonen der Stücke: Danton in Frankreich (und Bochum), Odysseus in Griechenland (und zu Gast bei Ruhr 2010) und als moderne Variante Elfriede Jelineks Märchenprinzessinnen in einer Box (in Essen).

Eine Nobelpreisträgerin ist Frau Jelinek im Grunde, und sie hat sich schwer getan damit. Ähnlich geht es auch ihren Versionen von Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde im Leben zwischen Märchenwald und Mediengeflimmer – denn irgendwie sind sie ja alle so von vornherein tragisch kodierte Ikarusgestalten. Aber Witz haben sie, immerhin. Die Wiederaufnahme der Inszenierung von Sandy Tomsits in der Box neben dem Grillo ist noch genau dreimal im Programm.

"Dantons Tod" von Sibylle Broll-Pape nach Georg Büchner hat hingegen erst einmal Premiere im Prinz Regent Theater. Und das Buch ist ja wirklich politisch verschiedenst "interpretierbar", was jede Inszenierung schon einmal von vornherein spannend macht. Der Autor dieser Zeilen zitiert mal den fast hoffnungsvollen Satz von Lacroix an die johlende Meute vor dem Schafott: "Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt." – "Aber wer will den schon wieder haben?", fragt Rosamunde. Und Odysseus ergänzt: "Und wer ihn wieder geben?"

Denn der alte Grieche wird auch zu einer der Großveranstaltungen im Jahre 2010 bemüht. "Odyssee Europa" (Montage: Thomas Goerge) heißt das Mammutprojekt, beginnt diese Woche mit einem ersten Vorboten, dann werden trojanische Pferde vor den beteiligten Schauspielhäusern aufgestellt, dann kommen prominente Denker hinzu, und schließlich ein Theaterzyklus ab Februar 2010. Aber gemach: Diesen Freitag wird erst einmal von Beteiligten und Gästen die gesamte Odyssee gelesen. Öffentlich natürlich, an allen späteren Spielstätten. Komplexe und zugleich simple Massenkultur, wow! Was würde Danton dazu sagen? Und da sollte bitte einfach dem Link gefolgt werden, gerne ohne größere Umwege. Denn hier noch einmal alles …

… im Überblick:
"Der Tod und das Mädchen: Prinzessinnendramen I-III" in der Box in Essen noch am Mittwoch, den 25. Februar, sowie am 4. März und 3. April um 20 Uhr.
"Sag mir Muse. Lange Nacht der Odyssee – Ein Prolog zur Odysse Europa" am Freitag, den 27. Februar, an den beteiligten Theatern in Bochum, Dortmund, Essen, Mülheim, Moers und Oberhausen ab 18 Uhr.
Premiere von "Dantons Tod" im Prinz Regent Theater Bochum am Samstag, den 28. Februar, um 19.30 Uhr.

3 für 7 – Verrücktes für tolle Tage

Das Wetter: Schlecht. Die Aussichten: Karneval. Kontrastprogramm: Wenig. Da helfen nur diese merkwürdigen Veranstaltungen, die so ein bisschen Tribut an die bescheuerteste Woche des Jahres zollen, aber im Grunde auch für sich besuchbar sind. Drei Männer: Jürgen Kuttner, Eduardo de Filippo, Reiner Calmund.

Jürgen Kuttner. Radio Fritz. Ostausgabe der TAZ. Hat Ästhetik, Kulturtheorie und Philosophie studiert. War IM. Beendete viele Sendungen mit "Gute Nacht" von Schubert. Vater von Sarah Kuttner. Erklärt gerne Funktionsweisen von Medien und Filmen im Rahmen von "Videoschnipselvorträgen". Hat einige gute Interviews gemacht. Erklärt die Welt mal wieder am nächsten Samstag in Mülheim.

Eduardo de Filippo. Neapolitaner. War mit einer Schauspielerin verheiratet, seine erste eigene Rolle war die eines weinenden Elefanten. Dann Dramatiker und Regisseur mit Hang zur bitteren Komik. Sein Stück "Verrückt" (Foto: Knut Maron) dreht sich denn auch um eine Theatertruppe, die zwischen Bühne und Weltbühne nur bedingt unterscheiden mag. In einer weiteren Hauptrolle: Eine Maschine. Regie beim Gastspiel des Theater an der Ruhr im Theater Duisburg: Roberto Ciulli.

Reiner Calmund. Bekannt geworden als Fußballmanager. Dann der Versuch, aus dem eigenen Abnehmen Profit zu schlagen. Durchaus Skandal gebeutelt. Ende letzten Jahres erschien seine Biografie "fußballbekloppt". Damit tingelt er nun durch ausgewählte Veranstaltungsorte wie die neue shopping mall in Essen und bietet an, seine Unterschrift hier oder da drunter zu setzen – nicht zwingend unter Verträge.

Im Überblick:
"Jürgen Kuttner erklärt die Welt" am Samstag, 21. Februar, um 20 Uhr im Mülheimer Ringlokschuppen.
"Verrückt" von Eduardo de Filippo auch am Samstag, 21. Februar, um 19.30 Uhr im Theater Duisburg.
Signierstunde mit Reiner Calmund am Samstag, 21. Februar, schon um 13 Uhr im Essener Shopping-Center Limbecker Platz.



Formen als Herausarbeiten – Pia Bohrs Skulpturen in Essen

Ein Gespräch am Rande der Vernissage von "Kraft und Anmut – Neue Holzskulpturen von Pia Bohr" im Essener Hotel Margarethenhöhe. Passend zum Namen ihrer Website, piacensored.com, nahezu ungekürzt und fast wie gesprochen.

Ruhrbarone ?: In der Vorstellung gerade wurde Hans Arp und seine Initialzündung für Deine Beschäftigung mit verschiedenen Holzarten angesprochen. Aber er hat doch eher mit Kupfer, anderen Metallen und sogar Papier gearbeitet…

Pia Bohr !:
Es geht nicht um das Material dabei, sondern um die Glätte, die Harmonie, die Rundungen. Und darum wie fasziniert ich war, dass das ein Mann gemacht hat, wo Männer ja vom Klischee her eher grob mit Objekt und Werkzeugen umgehen.

?: Du entwickelst die Skulpturen dagegen schon an den Maserungen, den Gegebenheiten des Holzes allgemein, entlang…

!: Das Holz zeigt mir den Weg, ja. Es ist ein ständiges Kommunizieren auf eine Art. Bei manchen Hölzern stoße ich auf Unregelmäßigkeiten, und manchmal begegnen mir auf dem Weg ins Innere auch ganze Termitenfamilien. Dann ist darin halt eine Rinne, mit der dann gearbeitet wird. Ich schimpfe dann hin und wieder, aber wenn ich angefangen habe, dann wird das auch beendet.

?: Es kommt dann ja immer etwas sehr Aesthetisches dabei heraus. Ist es leicht festzustellen, wann etwas fertig ist?

!: Das Schleifen allein dauert sehr lange, und da ist dann immer der Gedanke, dass hier und da noch etwas verfeinert werden sollte. Aber dann kommt ja immer noch die Ölung – obwohl manche Hölzer das gar nicht bräuchten – und damit leben die Skulpturen dann für mich.

?: Und die dürfen oder sollen ja dann sogar angefasst werden, wie es gerade in der Begrüßungsrede hieß. Auch eher untypisch für den normalen Kunstbetrieb. Es ist doch sicher auch spannend zu sehen, wie die Gäste dann reagieren…

!: Ich komme ja nun nicht von der Akademie oder so, sondern bin wie in der Musik auch Autodidaktin. Schön ist es wenn, wie gerade, direkt ein Mann sagt, wie schön sich das anfühlt. Aber es gibt auch andere Reaktionen. So kann ich in Dortmund zum Beispiel teilweise nicht ausstellen, ohne Mitglied in einer Vereinigung zu sein. Oder manche sagen, meine Arbeit sei sexistisch. Dabei habe ich das doch gemacht!

?: Ich kann mir schon vorstellen, dass da so old school Feministinnen kommen und von Reduktion auf Geschlechtsmerkmale erzählen.

!: Die sollen mal gerne kommen! Die habe ich besonders gerne!

?: Dabei stehen die Skulpturen ja ziemlich deutlich für sich und brauchen gar nicht viel Erklärungen…

!: Ich kann ja verstehen, dass bei einem Beuys oder so jemandem eine Einführung in das Werk nötig ist, aber so ist das bei mir nicht.

?: (zu sich:) Der Kunstmarkt funktioniert halt gerne so: Vereine, Professuren, Kuratorenjobs, Sekundärliteratur…
Zum Titel: "Kraft und Anmut" ist ja eben nicht gerade ein Gegensatzpaar hier. Obwohl Kraft gerade in einer Regionalkultur Ruhrgebiet immer noch vor allem mit Muskeln und Schweiß gleichgesetzt wird….

!: Kraft und Anmut haben vor allem die Skulpturen selbst, damit ist gar nicht mal das Arbeiten daran gemeint, obwohl ich zunächst ja auch mit groben Werkzeugen arbeite. Manche verstehen meine Arbeit und gerade was ich daran liebe halt überhaupt nicht. Wobei viele Männer grundsätzlich Probleme mit Weiblichkeit in der Kunst haben, viele gar nicht und viele ja.

Die Ausstellung im Hotel Margarethenhöhe ist noch bis zum 29. März zu sehen.
Phillip Boa & the Voodooclub sind mit dem neuem Album "Diamonds Fall" ab Ende Februar auf Tour und u.a. am 10. März in der Bochumer Matrix.

WAZ geht weiter in sich – per Umfrage

13 Uhr am Valentinstag, es klingelt an der Tür. Post. Mit eindeutigem Inhalt. "Trendcheck ’09" – Die große WAZ-Umfrage". Teilnehmen, Preise sichern, etc. "Hier ist viel für Sie drin!" Eine Uhr oder Tasche als "Wunschgeschenk". Absender: WAZ-Chefredaktion. Der Autor sagt nicht "Nein" und schreibt sogar einen livehaftigen Erfahrungsbericht.

"An die Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt". Sorry, umgekehrt natürlich. Und rechts auf dem Briefkopf guckt Ulrich Reitz schalkhaft in eine Kamera. Es wird ausgeführt: "Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich im Ruhrgebiet einiges getan: Der Bergbau spielt kaum noch eine Rolle, (…) Wie wird sich die Entwicklung im Jahr 2009 fortsetzen?" Wie, das ist keine Leserumfrage mit Rubrikenbewertung? Das Problem scheint tiefer zu liegen. Und was kann da der Mensch von der Straße helfen? Aha: "Deshalb bitten wir heute ganz gezielt Sie um Ihre Meinung!" Na gut.

Ernüchterung: Die wollen ein ABO verkaufen – dabei gibt es doch zum Ende des Jahres schon immer großes Mitarbeiter-gegen-potentielle-Kunden-Aufhetzen! Waren wohl nicht so motiviert 2008. Und mit dem ABO gibt es denn auch erst die Geschenke? Und die Chance auf einem iPod nano. Haha!

Ulrich, das war nichts. Aber aus Sportsgeist trotzdem mal mitmachen. Dann wegschmeißen. "Werden Sie zum Zukunfts-Experten für das Ruhrgebiet!". Der beigefügte Freiumschlag ist an Recklinghausen adressiert und trägt die Botschaft "Wichtige Teilnahmeunterlagen. Bitte sofort weiterleiten!" "Schneller geht`s online (…)"? Ist man ja schon, noch ein Fenster auf und es zieht. Nix da also. Der Autor holt schon einmal die innere Kristallkugel raus und nähert sich konzentriert Blatt 2.

Gar nicht viele Fragen! Aber das in iPod-Farben. Aha! Zukunft! Technik! Modernität! Zukunft der Region mit voll moderner Technik zusammen bringen. Was geschieht eigentlich mit den Antworten? Wer bekommt die? Ist das noch seriös? Nein. Mal die Fragen lesen.

"1. (…) Wie werden sich die Lebenshaltungskosten im Ruhrgebiet 2009 entwickeln?" Antwortmöglichkeiten von "geringer…" bis "höher als 2008". Das muss ein Witz sein. Geht es schon wieder um die Apokalypse? Was wird der Papst dazu sagen? Wer "höher" ankreuzt dokumentiert ja quasi, dass er weitere Zumutungen erwartet und somit damit umgehen kann. Gut dass der Autor noch mehr spart als je zuvor und "geringer" ankreuzen würde.

Die Frage, ob die Kriminalitätsrate steigen wird! Natürlich nicht! Ist das vielleicht doch für Schäuble und Kollegen hier? Unverschämte Frage! – "Shopping Center boomen, kleine Geschäfte müssen schließen." Boom! Boom! I want you in my room. Wieso boomt denn da was? Und die Einkaufssituation wird je nach Stadt natürlich besser oder schlechter, und in Essen bleibt sie permanent gleich zu gut. Ts. Das Antworten auf solche Fragen fällt zusehends schwerer, vor allem bei der letzten auf Seite eins: "Die Weltwirtschaftskrise hat auch Deutschland mit voller Wucht getroffen. Was meinen Sie: Wie wird sich die Arbeitssituation im Ruhrgebiet 2009 entwickeln?" Wie das mit "schlechter" oder "besser" beantwortet werden soll, das interessiert wohl nicht einmal den Marketingpartner.

"Wie wird die Einwohnerzahl aussehen?", die Frage nach dem Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Freizeitangebot. Dann Schluss. Werden sich die Parteien zur Kommunalwahl an dieser Erhebung orientieren? Sind die Artikel schon geschrieben oder warum sind die Fragen so tumb? Schnell weg damit. Entschuldigen Sie bitte die Belästigung, liebe Leserinnen und Leser.

Rettet den Blätterwald (3) – Heute: StadtRevue

In dieser Reihe wird beständig die Sinnhaftigkeit von Printpublikationen hinterfragt. Erste Opfer waren Rolling Stone und SFT. Und auch diesmal geht es wieder dahin, wo es weh tut. Nein, nicht nur nach Köln, sondern auch zu einem Stadtmagazin. Der Autor stand kurz vor einem Besuch in der Stadt und erinnerte sich an die Karnevalstradition, empfand also den Zeitpunkt für das Thema als gekommen. Es könnte jede andere Stadt sein, aber es trifft halt Köln – diese Art Magazin natürlich.

Dom, adrette junge Frau. "Ist Zukunft planbar?". Karneval. Fußball. Und noch zwei Herzensthemen auf dem Titel: Ein schließendes Bad und ein Museum im Umbau. Die erste Anzeige innen dann für die Philharmonie. War das nicht mal ein alternatives Stadtmagazin? Wieso dann all die offiziösen Themen? Und wie als Gegengewicht direkt ein Editorial, das "ganz Persönliches" von Redakteuren erzählt und dies mit dem Titelthema in Verbindung bringt. Fehlende Distanz? Berufsbedingte Überidentifikation? Marketingkniff? Man wird sehen. Rein ins Blatt.

Nach den Leserbriefen erst einmal weitere "Geburts- und Todesmeldungen". Club eröffnet, Zentrum schließt, Rheinuferstraßebäume in Gefahr, Schweinepest in Rösrath. Weitere Themen im Ticker: Nazis, Fußball, Drogen, Migranten, Arbeitsagentur, eine autofreie Siedlung, ein Anwohnerbeirat. Einzelne Stadtteile und Initiativen werden umarmt. Das ist natürlich für ein Monatsmagazin nett, wirkt aber irgendwie etwas pflichtbewusst und nur bedingt aktuell.

Es geht so weiter, sorry. Der Deutzer Hafen, Schüler beim Nachwuchsjournalistenwettbewerb. Nochmal Fußball und ein Gastkommentar des Geschäftsführers des Flüchtlingsrates, der seine Unschuld am Misslingen der Umsetzung eines Papiers zur Integration beteuern darf. Schwierig. Weiteres unter "Kommunal" – welch Rubrikenname! – ist dann Graffiti- und sonstige Jugendpolitik, bevor nach einer Seite Gastrotipps plötzlich die Redaktion in Karnevalskostümen dasteht. Daneben natürlich total alternative Tipps zur Sause. Und im Anschluss ein Bericht über ein Buch plus CD über Straßenmusiker von Mitte des 20. Jahrhunderts. Abtrünnige von Stockhausen haben das mal gemacht und resümieren im Schlussatz: "Dieses Kölsch ist mittlerweile historisch." Dann eine Fotostrecke über das sterbende Bad! Und die Titelstory zur Stadtplanung darüber wie die Nationalsozialisten die "drei Reiche" in der Stadt baulich repräsentiert wissen wollten, nach dem 2. Weltkrieg denn aber unkoordiniert Wiederaufbau betrieben worden sei und die neuesten Planungen irgendwie auch nur Schwammiges erwarten lassen. Durchaus lesenswert, aber inmitten von soviel Identifikationshuberei auch verstörend, denn nur sechs Seiten nach einem Foto von Hitler kommt dann eines von Clickclickdecker. Man ist nahtlos bei "Musik". Und findet auch gleich eine Beilage zur Reihe "Neue Musik Köln". Hängt ja auch alles bestimmt irgendwie zusammen.

Und im Kulturteil ist natürlich alles ordentlich, gute Themen und Kritiken, allerdings natürlich alles im Bewusstsein der Tatsache, dass es eher um stilsichere Alternativ-Unterhaltung geht. Anzeigen von Live-Clubs und sogar für CDs – die ersten nach einer Beilage für ausgerechnet einen Kurpark. Zielgruppe scheint tatsächlich 17 bis 70 zu sein. Man muss halt alles repräsentieren, Themen besetzen, etc. Kennt man ja. Wozu eigentlich nochmal? Hm.

Die Filmkritiken sortieren recht sezierend historisch ein, der Theaterteil bringt Porträts, Berichte und Kritik, "Kunst" ebenso, und bei "Literatur" geht es spätestens recht viel um Bücher, die wohl mit Bekannten oder Verlagspartnern zu tun haben – aber all das auf recht hohem Niveau. Da ist wirklich kaum zu meckern bevor der Kalender beginnt, die Kleinanzeigen kommen, dann Kolumne und Fotowitz (statt Comic) und schließlich Anzeigen des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg und von Rheinenergie. Und da gibt es denn auch keinerlei Glaubwürdigkeitsprobleme, ist ja alles irgendwie kölsch. Und man mag nach Lektüre einfach die Filme nicht sehen, die Musik nicht hören, die Orte nicht besuchen und erst recht nicht mit einzelnen Stadtteilinitiativen in Berührung kommen. Weil das alles so fürchterich Alternativ-Boulevard ist. StadtRevue halt. Dass einem schummerig wird. Und das ist gar nicht mal Schwarz-Grün. Eher so eine abblätternde Kinderfarbenschicht von einem im Grunde grau-braunen Haus irgendwo in Deutz. Aber es könnte natürlich überall (in Deutschland) sein. Nur: Köln ist so entsetzlich offensichtlich.

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Es nutzt nichts darum herum zu reden: Das Wetter ist mies, und im Veranstaltungsbereich muss schon in gewisse Nischen geschaut werden, um Mitte Februar Erbauliches zu finden – das gute Theaterprogramm wurde ja bereits in der letzten Woche hier dargestellt. Und nun der positive Aspekt: Bei den kleineren und/oder persönlicheren Veranstaltungen fühlt man sich zwar nie so medial wichtig wie bei spektakulären Großevents, dafür ist es aber oft leichter, einen persönlichen Bezug zu den Künstlern und Werken herzustellen. Drei Frauen: Clare Strand, Fantani Touré, Pia Bohr.

Interessante Fotoausstellungen für ein breiteres Publikum – das ist sicherlich eine Kunst für sich. Und wurden in dieser Reihe bereits jene von z.B. Jim Rakete und David Lynch vorgestellt, so ist es diesmal das Konzept das im Mittelpunkt steht. Denn Clare Strand fotografiert die gehängten Werke im Museum Folkwang gar nicht mal alle selbst, sie benutzt auch gefundene Fotos. Im Zusammenspiel entstehen so thematisch dichte Reihen, einmal Bezug nehmend auf "Household Words" von Charles Dickens, ein anderes Mal wird die Perspektive eines Eugene Ionesco eingenommen, um sich dem Thema "New Towns" derart zu widmen, dass eine für die Betrachter nachvollziehbare Kriminalgeschichte entsteht – immer begleitet von kurzen Texten und paranormale Phänomene nie ausgeschlossen. Ein weiterer guter Ansatz im neuen Folkwang-Kanon. Da wird doch der Fuchs… (siehe Foto von Clare Strand).

Und auch das Theater an der Ruhr wagt etwas mit der Reihe "Klanglandschaft Mali" und hat die hierzulande gar nicht mal so bekannte, aber wunderbare Sängerin Fantani Touré eingeladen. Natürlich eine besondere Empfehlung für Anhänger des sogenannten Afrobeat, inklusive feiner Percussion, smarter Rhythmik und Harmoniegesängen. Die Tochter eines malinesischen Stammeskönigs setzt sich daheim für Frauenrechte ein und besucht anlässlich dieses Konzerte zum ersten Mal überhaupt Deutschland.

Beschäftigungen von Menschen, die ansonsten anderweitig im Rampenlicht stehen? Nur ein kurzer Weg zu Pia Bohr, selbst Sangeskünstlerin sowohl solo als auch wieder mit Philip Boa. Sie erarbeitet beständig Holzskulpturen, die meist Frauenkörper, aber auch Fabelwesen zeigen. Ihr Material ist ein spezielles Olivenholz, manchmal aber auch Birne, Ulme, Goldregen oder Mantelholz. Formen und Maserungen ergeben einander, alles bleibt rund und fließend. Schöne, anmutige Arbeiten, denen man den pfleglichen Umgang mit den Hölzern anmerkt. Und das auch noch auf der Essener Margarethenhöhe!

Im Überblick:
"Clare Strand – Fotografien und Video" bereits seit dem 7. Februar im Essener Museum Folkwang.
Fantani Touré samt Quartett am Freitag, den 13. Februar, ab 20 Uhr im Mülheimer Theater an der Ruhr.
Die Vernissage zu "Kraft und Anmut" von Pia Bohr am Sonntag, den 15. Februar, um 16.30 Uhr in Mintrops Stadt Hotel Margarethenhöhe.



?Wo warst du als,??? ? Musik für?s TV von Tim Bernhardt und Joachim Schaefer

Wenn ab kommenden Sonntag um 23.35 Uhr wöchentlich die ersten drei Folgen von „Wo warst du als,…?“ (Autor: Christian Dassel) in der ARD ausgestrahlt werden, dann stammt die Musik hierzu von zwei im Ruhrgebiet wohl bekannten Komponisten. In der Serie geht es um persönliche Erinnerungen an plötzliche historische Ereignisse (9/11, die Tsunami-Katastrophe, der Mauerfall), im Ruhrbarone-Gespräch mit Tim Bernhardt um Soundästhetik und das Arbeiten für verschiedene Medien.

Ruhrbarone ?: Das ist ja nun jetzt nicht die erste Arbeit von Yoshino und dir für’s Fernsehen, es gab ja zum Beispiel auch schon „Kriminalzeit“. Wie kommt es eigentlich zu so etwas? Per Ausschreibung?

Tim Bernhardt !:
Das sind natürlich Kontakte, die man sich über die Jahre erarbeitet hat. Es geht in erster Linie um Vertrauen, da kann nicht einfach ausgeschrieben und dann mal geguckt werden, ob das auch klappt. Die Leute brauchen innerhalb einer vorgegebenen Zeit und im Rahmen eines vorgegebenen Budgets Musik zu den Bildern, die sie im Kopf haben.

?: Bekommt man dann die gesamte Serie zu sehen oder passiert alles viel früher?

!: Das geht schon alles viel journalistischer zu. Die Leute schicken Drehbücher, Skripte zur Sendung, vielleicht auch ein paar Bilder. Es gibt zunächst die Zusage an die Autoren, dass eine Serie gemacht werden kann, und dann kommen immer mehr Ideen und Themen, die an uns weitergegeben werden, so dass wir uns immer aktuell auf den Stand der Dinge einstellen können.
?: Und wie konkret gibt man etwas ab? Gibt man einzelne Themen, Stücke ab, oder auch dezidiert zu einer Szene passende Musik?

!: Im Grunde beides. Es gibt eine Grundstimmung und eine Dramaturgie. Also entwickelt man ein Stück, das verschiedene Phasen hat. Abgegeben werden natürlich Dinge, die schon hörbar sind, weshalb die dann meist schon recht elaboriert sind. Und dann werden die Bälle noch dreimal hin und her gespielt, so á la „Das ist ja schon einmal nicht schlecht, aber an der Stelle brauche ich noch das und das.“ Die Leute in der Post-Produktion brauchen dann auch immer Klänge, auf die sie ihre Schnitte setzen können. Irgendwelche „zips“ und „zapps“ kommen da immer gut an. Also beginnt man manchmal sogar mal eher direkt mit so etwas.

?: Und inwiefern kann man sich vorher überhaupt mit der Bildästhetik auseinander setzen, um es stimmig zu bekommen?


!:
Fast gar nicht. Man ist halt günstigenfalls auf die Vorlieben der Macher eingestellt. An einer Stelle bei „Wo warst du als…?“ wollte Christian Dassel alles sehr dissonant haben, aber das kam nicht durch. Das war für alle Beteiligten schlecht, also haben wir daraus gelernt. Die Sendung an sich hat von der Umsetzung her eine gewisse Härte, so eine nüchterne Direktheit, und dazu passt es dann auch, dass wir teilweise eher Sounddesign machen. Wir haben also hin und wieder nur einzelne Spuren geschickt, und Christian Dassel bearbeitet die dann selbst und benutzt manchmal nur einzelne Elemente. Er produziert sonst auch „Hier und Heute“ und „Hart aber Fair“ und mag durchaus abgefahrene Themen, aber nicht unbedingt das Reißerische.

?: Ihr arbeitet ja zu zweit an dieser Sache, und Joachim Schaefer (Foto unten) ist ja auch noch Musiklehrer. Was macht ein Tim Bernhardt (Foto oben) sonst in diesem Bereich noch?

!: Zunächst einmal ist das ein großer Vorteil, zu zweit zu arbeiten. Oft kommt man halt alleine nicht weiter, verzweifelt fast, verliert sich in einem Detail… Aber weil Yoshino jetzt auch noch Familienvater ist, mache ich derzeit quasi die Geschäftsführung alleine. Ich arbeite sonst generell im Bereich der Film-, Funk- und Fernsehwerbung. Das hat zum Beispiel gegenüber der Spielebranche auch den Vorteil, dass man sich nicht groß über Tagessätze streiten muss. Das ist gar nicht mein Metier. Ich habe ein großes Soundarchiv das ich lizensiere, da brauche ich nicht immer zwingend etwas neues entwickeln. Ein aktuelles Beispiel wäre derzeit eine AOK-Homepage für Jugendliche, die dann für 15- bis 20-Jährige direkt mal alles von Indierock über HipHop bis Techno geliefert bekommen hat.

?: Besten Dank für das Gespräch.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 3: Druckluft in Oberhausen (1)

Was bedeutet Soziokultur? Wie funktioniert in diesem Rahmen aktuelle Jugendarbeit? Wie sind die Städte des Ruhrgebiets diesbezüglich aufgestellt? Fragen im Rahmen dieser Reihe, die bereits das FZW in Dortmund und das KKC in Essen vorstellte. Nun: Oberhausen und das Drucklufthaus. Ein Gespräch mit Christoph Kaiser.

Druckluft: Hervorgegangen aus einer Jugendinitiative schon im Jahre 1979. Seitdem mit dem Segen der Stadt weitgehend autonom geblieben. Als Verein Druckluft e.V. Im Selbstporträt heißt es: „Damals war es ein mutiges Experiment. Heute darf das Drucklufthaus sich guten Gewissens professionell nennen. Professionell, wenn es darum geht, die ursprüngliche Idee am Leben zu halten.“ Für 2009 war und ist eine Renovierung und in Teilen auch Neukonzeptionierung geplant – leider bei mittlerweile völlig maroden Stadtkassen.

Ruhrbarone ?: Eine kurze Vorstellung deinerseits bitte, und der Strukturen in denen du arbeitest.

Christoph Kaiser !: Ich bin als langjähriger Festangestellter des Druckluft e.V. Mitglied der Hausleitung und war in der Vergangenheit für den Kultur- und Veranstaltungsbereich tätig. Das haben wir nun etwas neu aufgegliedert, so dass ich in Zukunft mehr für Verwaltungsaufgaben und die Repräsentation nach außen zuständig bin. Daniel Sprycha ist mein Nachfolger beim Kulturprogramm.

?: Was befand sich eigentlich einmal früher an dieser Stelle? Und was kam dann?

!: Das Haupthaus ist tatsächlich das letzte Überbleibsel der Zeche Concordia, Schachtanlage II, von Ende des 19. Jahrhunderts (Foto). Die meisten Industrieanlagen wurden dann demontiert, dieses Gebäude steht wohl nur noch, weil es bis nach dem 2. Weltkrieg als Wohnhaus genutzt wurde. Und dann war hier erstmal Babcock. 1979 begann dann die Geschichte des Druckluft.
Es gab kaum Jugendarbeit oder kommerzielle Angebote, höchstens die einzige Diskothek „Stratosphäre“. Eine politisch unorganisierte Initiative, eher aus dem links-alternativen Umfeld und bestehend aus 30, 40 Jugendlichen, hat dann recht bald diesen Verein gegründet. Es gab eine breite Basis und einen Jugenddezernenten, der das auch unterstützt hat. Bald wurde Druckluft als Träger der Jugendhilfe anerkannt. Im Gespräch waren zuerst sogar die Umkleidekabinen des Niederrheinstadions, aber man hat dann diesen Ort hier an der Straße „Am Förderturm“ gewählt und aus ziemlich maroden Zuständen wieder hergerichtet.

?: Wie hat sich denn diese Autonomie solange gehalten ohne zu verfilzen?

!: Das ist natürlich schwierig genug. Zur Geschichte noch einmal: Es gab natürlich verschiedenste Interessensgruppen, die den Anspruch „selbst verwaltetes Jugendzentrum“ erstmal mit Inhalt füllen mussten. Es gab da Bedürfnisse von der Selbstverwirklichung, also eher „Jugendkultur für uns selbst“, bis hin zu Bedarf im Stadtteil, klassischer Jugendarbeit und auch verschiedene Gruppen und Initiativen mit Raumbedarf. Nicht gab es eine Regelförderung zum Beispiel. Und Anfang der Achtziger brannte dann nach einer Feier plötzlich der Dachstuhl. Daraufhin hat die Stadt interveniert und eine gewisse Professionalisierung verlangt, woraufhin es dann aber auch eine Mindestförderung gab, da Druckluft als „Offene Tür“ anerkannt wurde und auch professionelle Pädagogen hier arbeiten konnten. Damit war ein Anfang gesetzt.
Und es wurden dann sukzessive Strukturen geschaffen, die immer zum Ziel hatten und haben, betreute Freiräume für Jugendliche zu schaffen. Das bedeutet, dass Einzelpersonen oder Gruppen Räume nutzen können, ob für Workshops, politische Veranstaltungen, Konzerte, Treffen, Lesungen, Partys oder was auch immer. Formal gibt es einen Trägerverein und einen Vorstand mit dem Haus verbundenen oder früher einmal hier tätigen Menschen, die dann auch Personalentscheidungen treffen. Die inhaltliche Entscheidungsfindung passiert vor allem mit den Gruppen und Initiativen im Haus. Wobei auch die Kernzielgruppe fest definiert ist, mit einem Alter von 16 bis 27 also etwas älter als die von klassischen Jugendzentren, und auch für das gesamte Stadtgebiet, also nicht nur Stadtteil bezogen. Ähnliches gibt es in Oberhausen auch sonst nicht, deshalb ist die Arbeit hier im Grunde unumstritten.

Teil 2 des Interviews hier.