3 FÜR 7 – Kuscheltipps für den Januar

Eiszapfen hier, potentielle Terroristen überall und Cocooning ist der Trend des Jahrtausends. Wohin also wenn dann? Da hilft nur Rückbesinnung: Was lockt hinaus? Der Autor dieser Zeilen wirft alle guten Vorsätze für das neue Jahr sofort wieder über Bord und empfiehlt seine persönlichen Highlights: Ein Boxfilm im Kuschelkino, ein Rockkonzert im Kuschelclub und eine Soli-Party in der Kuschelkneipe.

Neues LineUp und der erste Auftritt außerhalb der "Turnhalle FZW" (mehr zu der Zukunft dieses Etablissements nächste Woche hier): American Lead Guitar sind die mittelalte Supergroup des Ruhrgebiets, die zu jung für Altherrenpunk und zu alt für Trendjumping ist (s. Foto) und besteht aus ehemaligen und aktuellen Mitgliedern u.a. der Les Jacks, Novotny TV, Spook, Vampyre State Building, Air 6, Bonanza Fish usw usf. Die Band liebt laut Frontfreak Pete durchaus auch mal die kleinen Clubs, der Schreiber erinnert sich an den Gig im Hotel Shanghai – wo auch nicht jede Band aus der Region spielen darf – und nickt zustimmend.

Mein hinundwieder-DJ-Kollege und Mitproduzent diverser gemeinsamer Technodekonstruktionen war ja mal Boxer. Aber es ist nicht Jürgen "The Rock" Hartenstein, falsch geraten! Dem aber wurde immerhin das (zweifelhafte?) Glück zuteil, Hauptdarsteller eines von Wiesbaden und Focus zugleich bejubelten Dokudramas namens "Comeback" zu sein. Ein karger Film von Maximilian Plettau, welcher sich anschließend dem Publikumsgespräch stellt.

Endlich mal da auflegen, wo ich nach einem BochumTotal mal so schön zu einer Bluesband bis fast morgens hängen geblieben bin! Und dann noch im erlauchten Kreis von Journalistenkolleginnen und -kollegen! Veranstaltet von den Ruhrbaronen!! Da kommt dann alles zusammen, großes Kino, Weltergewicht und Weltklassemusik. Zur Pink Slip Party sind all die Berufsstände, die mit Buchstaben, Bildern und bangen Zukunftsaussichten zu tun haben, sowie deren Bekannte und solche die es werden wollen herzlich eingeladen. S.a. Extrakasten oben rechts. Und nicht vergessen: Der Überblick im folgenden von links nach rechts und von oben nach unten.

Im Überblick:
American Lead Guitar am Samstag, den 10. Januar, ab 21 Uhr im Dortmunder Inside Club.
"Comeback" mit Publikumsgespräch am Sonntag, den 11. Januar, um 18 Uhr im Essener Eulenspiegel.
"Pink Slip Party" am Dienstag, den 13. Januar, ab 20 Uhr im Bochumer Mandragora.

3 für 7 – Ausgehtipps für 2009

Vorsätze für 2009? Weiterhin mehr Links in die Außenwelt als auf andere Webseiten pro Beitrag. Besser auf die Arbeiten der vorgestellten Künstlerinnen und Künstler eingehen ohne ansatzweise zuviel zu verraten. Konzerte, Fußball und Moppern nicht in dieser Kolumne verhandeln. Und damit direkt in das nächste Jahr: Aus aktuellem Anlass Harald Schmidt, aber auch Philharmonisches und Fotografisches.

Kurt Weill, Hanns Eisler, Dmitri Schostakowitsch und auch die Comedian Harmonists – das sind Namen, die auf den ersten Blick nicht zur Essener Philharmonie passen wollen, zu den üblichen Debatten um den Wert von Kultur drumherum aber vielleicht schon. Jedenfalls stehen Werke und Stücke dieser Herren im Mittelpunkt von "Kuhle Wampe oder Wem Gehört Die Welt?", einem der vielen Höhepunkte zum traditionell starken Jahresbeginn dieser Institution. Dargeboten wird das Programm vom WDR Sinfonieorchester Köln, mit dem Chansonnier, Komponisten und Dirigenten HK Gruber als Mittelpunkt und mit Gastauftritten der Berlin Comedian Haronists und der Sopranistin Ute Gferer.

Harald Schmidt solo wünscht sich das Volk. Kann es haben, und zwar auch noch im Januar an dessen ehemaliger Ausbildungsstätte, dem Kom(m)ödchen. Denn den Herrn gibt es nicht nur im Fernsehen, genau! Und da es keinen Internetverkauf gibt und nichts von "keine Karten mehr" zu hören ist, gilt auch das alte "Ist ja eh ausverkauft, mach mal die Glotze an, Ilse" nicht. "Live und exklusiv" heißt das Programm und dürfte auch für notorische Fernsehgucker etwas zu bieten haben. Danke, Düsseldorf!

In Essen gibt es eine Freie Akademie der Bildenden Künste. (Taucht nicht oft im Fernsehen auf.) Und die hat eine Galerie namens KU28, und zwar in der Prinz-Friedrich-Straße 28. Die Absolventinnen und Absolventen dieses Hauses diskutieren nicht den ganzen Tag über 2010 oder 2001. Die haben anderes auf der Agenda, z.B. einen Besuch bei der Ausstellung (siehe Foto) von Karin Geiger. Diese wiederum leitet dort diverse Projekte an der Schnittstelle Fotografie/Medien, ist Meisterschülerin von Magdalena Jetelová (Kunstakademie Düsseldorf), war dann an der University of British Columbia und lehrte vor Essen auch in Leipzig und Pasadena. Durch ihre bildhauerische Schulung ist sie u.a. in der Lage, andere Blicke auf Menschen und Szenen in öffentlichen Räumen darzustellen als andere Menschen. Auch hier gilt: Bringt man etwas mit, dann bekommt man mehr zurück. In diesem Sinne!

Im Überblick:
"Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?" am 2. Januar ab 20 Uhr in der Essener Philharmonie.
"Live und exklusiv" noch am 5., 19. und 26. Januar ab 20 Uhr im Düsseldorfer Kom(m)mödchen.
Fotografien von Karin Geiger noch bis zum 16. Januar in der Essener KU28. Ein Werkstattgespräch ist am 15. Januar von 16 bis 18 Uhr.

Noch 3 für 2008 – Ausgehtipps zum Dienstag

 

Erst der Jahresrückblick, dann die guten Vorsätze, dann zurück in den Alltag. Ist doch alles ganz einfach. Ein bisschen Überprüfung der Einstellung zur Familie, vielleicht auch zu Religion und Zahlenmystik. Und natürlich trifft sich auch die coole Szene von gestern bei irgendeiner Gelegenheit, ist ja irgendwie die Familie die mensch sich irgendwann mal zumindest zum Teil ausgesucht hat – wenn man auch nicht mehr zwingend weiß warum, oder nur zu gut. Aber auch da geht mensch dann hin. Vielleicht aber auch zum Jazz nach Dortmund oder zu Gitarren-Instrumentals nach Duisburg.

Zweiter Weihnachtstag, Vorschlag zum Procedere: Mal richtig frühstücken, im Internet ein paar nette Künstlercafés in Dortmund für den Nachmittag raussuchen, Jazz aller Art in den iPod und dann raus zu 12 Stunden Jazz in der Herzkammer Westfalens. Einfach machen! Könnte 2008 noch rumreißen! Ein bisschen Geld sollte schon eingepackt sein, schließlich ist der Vormittagstermin im Opernhaus: Das 37. Weihnachts-Jazzmatinee mit einem kunterbunten LineUp von Stu Grimshaw & Dreams Of Electric Sheep bis zum Flo Menzel Quartett und vom Gregory Granair Trio bis Rosani Reis und Kleopatra. Wer auf der ebenfalls anwesenden Pilspicker Jazzband hängenbleibt, kann denen zum Abend gern in den Storckshof folgen, alle anderen gehen natürlich in’s domicil, um dem Trägerverein zum 40sten zu gratulieren und sich über die Session in Anwesenheit des Jugendjazzorchesters NRW zu freuen. Herzlichen Glückwunsch und Dank für das Engagement auch von dieser Stelle.

Dritter von vier Weihnachtstagen in diesem Jahr: Was, schon wieder ein Samstag? Also einkaufen gehen und so, dann feststellen dass es doch ganz schön nach draußen zieht. Oh Gott, und bald ist auch noch Silvester! Schon wieder Andacht und würdiges Begehen irgendwelcher Termine mit hohem Konformitätsdruck! Da freut man sich ja fast wieder auf die Arbeit! Nee, dann doch mal lieber ein wenig Wilde-Zeiten-Revival mit etwas Coolness-Faktor: Die Fenton Weills spielen im Duisburger Steinbruch fast nur Instrumentalklassiker! Das ist nämlich völlig ausreichend für zwischen den Jahren: Lokale verhinderte Schrammellegende macht auf dicke Indie-Hose! Und das entschlackt auch von diesem merkwürdigen Jazz-Tag da in Dortmund! Na, also. Und zack, damit wäre 2008 dann schon fast abgewickelt. Endlich!

Im Überblick:
Das 37. Weihnachts-Jazzmatinee am 26. Dezember von 11 bis 14 Uhr im Opernhaus.
"40 Jahre Trägerverein domicil" ebenda am 26. Dezember ab 20 Uhr.
Fenton Weills im Steinbruch am 27. Dezember auch ab 20 Uhr.

 

Eine kleine Weihnachtsgabe

Man mag ja kaum erzählen, dass am Samstag ein Weihnachtsmann in der Essener Innenstadt einen Ruhrbarone-Redakteur unauffällig beiseite nahm und sagte: "Du, ich habe da ein Geschenk für die guten Menschen von den Ruhrbaronen und ihre Leserschaft." Und dass er dann wieder verschwand, sich aber in der elektronischen Post des verdutzten Redakteurs alsbald in einer anonymen Mail dieser Link fand. Die Verträglichkeit der Daten wurde sorgfältig geprüft und es darf nun verkündet werden: Da ist ja Musik drin! Schöne Feiertage!

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Kunst am Bau als Happening

Erwachsene, Kinder, Heranwachsende, Luftballons. Und eine neuerdings bunte Wand an einer unschönen Straße in der Innenstadt. Eine basisnahe Kleinveranstaltung im Rahmen der Kulturhauptstadtaktivitäten: Die Künstlergruppe Zinnober hat mit dem Zentrum Storp 9 und benachbarten Schulklassen die RWE-Umspannungsanlage in Essen bemalt.

Möge das Bild für sich sprechen, der Hintergrund sei erwähnt: Die Aktion fand im Rahmen von "Wir gestalten mit – Essen für das Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010" statt. Storp 9 ist ein recht neues Jugendzentrum in Essen. Und mit 1000 Arbeitsstunden für 1000 qm ist auch diese Aktion zumindest innerhalb Essens auch noch rekordfähig – wenn es denn mal wieder sein muss.Im Grunde aber eine beispielhafte Initiative für das Zusammenspiel von ortsansässiger Industrie, Kultur interessierten Jungmenschen und der dankbaren Kommune. Warum auch nicht.

Rechts auf dem Bild oben rechts neben der Baumkrone ein von Hand gemaltes "RWE". Links auf dem Bild auf dem Zug in Richtung Zukunft die Insignien von 2010. Am besten mal vorbeigehen, oder? Herkulesstraße 30, fünf Minuten vom Hauptbahnhof weg an der Stadtbibliothek vorbei und noch über die Steeler Straße.

Von Ohrenparks und Parkautobahnen

Die Wahl der Begriffe lässt auf eine gewisse Adlerperspektive schließen, tatsächlich aber geht es um den Blick aus fahrenden Automobilen auf das Ruhrgebiet: Ein neues Großprojekt im Rahmen von Ruhr.2010 wurde vorgestellt. Aber im Grunde geht es schon lange nicht mehr nur um die Kulturhauptstadt, sondern man legt sich planerisch direkt auf 20 Jahre fest. Ein Bericht aus Düsseldorf.

Denn im Ministerium für Bau und Verkehr stellt man die neuen Pläne an einem Dienstag im Dezember erstmalig vor. Es fehlt: der angekündigte Umweltminister Eckhard Uhlenberg. Dafür betont Prof. Dr. Oliver Scheytt zunächst einmal den einmaligen Charakter des Projektes: Zur Umgestaltung der Flächen neben der A42 arbeiten alle Anrainerkommunen von Duisburg bis Castrop-Rauxel mit RVR, den Kulturhaupstädtern und natürlich den Landesministerien zusammen. Insofern ein symbolischer Ort für die gewünschte Strahlkraft des Projektes, aber auch Zeichen für die Akzentverschiebungen, zu denen Kooperationen und Finanzlage die Ruhr.2010 zwingen. Diesmal ist man halt in Düsseldorf zu Gast, demnächst sicher auch bei dem einen oder anderen Konzern.

Zur Sache: Oliver Wittke als Bauminister erklärt die Idee, Sichtschneisen in die Ödlandschaft aus "Straßenbegleitgrün" und Lärmschutzwänden rechts und links der A42 zu reißen und von dort aus Perspektiven auf Park ähnliche Gebiete und natürlich Kultur- und Industrie(denkmal-)Standorte zu eröffnen. "Fahren als Erlebnis" und "eine Autobahn ist mehr als eine Straße" empfiehlt er der anwesenden Presse mundgerecht als Schlagwörter, verweist auf den Werbeeffekt und auch auf Studien die davon ausgehen, dass eben keine Gefahr für die Autofahrer davon ausgeht, keinen Tunnelblick mehr zu haben. Die Maßnahmen seien sogar gut, um etwaigem Sekundenschlaf entgegen zu wirken.

Oliver Scheytt schlägt mittels der Rede vom "erweiterten Kulturbegriff" und der Anknüpfung an die IBA Emscherpark schnell die Brücke zur Einordnung in’s Große und Ganze: Die sogenannte "Parkautobahn" wird verstanden als Ergänzung zum Umbau des Emschersystems, man mache die Umgebung bewusster und selbst an den "Autobahnohren" werde neuer Raum dem Leben und der Kunst erschlossen, der sonst eher leeren Flaschen gehöre. Nun wird dort ein Mäh2-D2 grasen bzw. entgrasen. "Urbane Kulturlandschaft" als neuer Leitbegriff anstelle der Orientierung an reinen Mobilitätsfragen. (Später gibt Oliver Wittke zu, dass dieser Paradigmenwechsel in seinem Ministerium für einiges an frischem Wind gesorgt hat.)

Kulturelle Wahrnehmung soll gefördert werden, und dies im Rahmen eines auf 20 Jahre Laufzeit festgelegten Masterplans, wie Prof. Dr. Karl-Heiz Petzinka erläutert, Projektleiter der Stadt der Möglichkeiten im Rahmen von 2010. Nach Einbeziehung von Landschaftsplanungsbüros und der Erteilung des Zuschlags für die Gestaltung der "Ohren" an GTL in Düsseldorf und für den "Parkblick" an die Planergruppe Oberhausen mit der Foundation 5+ Kassel sollen Wettbewerbe für einzelne Abschnitte der Strecke zwischen Duisburg und Castrop-Rauxel ausgeschrieben werden. Finanziell möglich wird dies durch Umwidmungen von Geldern zur Lärmschutzrenovierung, aus den Kommunen und vom Land, sowie durch das noch nicht in trockenen Tüchern befindliche Ökologieprogramm Emscher-Lippe. Erste Abschnitte in Bottrop sind bereits realisiert, im Januar sollen weitere Schneisen folgen, im Herbst 2009 werden dann die "Ohren", also Autobahnkreuze, renoviert.

Und die Ökologie? Es geht doch mehr um eine (sinnvolle) andere Darstellung der Region gegenüber den oft nur Durchreisenden als um Gesundheit und Nachhaltigkeit? Anscheinend wird mit Blick auf die Finanzierbarkeit auch der Umweltbegriff ähnlich gedehnt wie der der Kultur. Man betont aber, dass Schneisen und "Schaufenster" nur an entscheidenden Stellen eingerichtet würden und die Lärmbelästigung kaum höher werde. Sogenannte "Parktankstellen" würden am Rande der A42 zudem Informationen zu Kulturstätten der Region anbieten und nicht etwa Benzin verkaufen. Ein wenig klang das so, als seien nach den Kulturtöpfen nun die Ökologietöpfe dran, und die zuständigen Sachbearbeiter übten sich in sanftem Zynismus.

Nachtrag: Hier kann man schon ein wenig in die Zukunft linsen: http://www.parkautobahn.de

3 FÜR 7 ? Die wöchentlichen Ausgehtipps zum Dienstag

Nunja, die Märkte und Marketingstrategen haben derzeit Hochkonjunktur, dann ist irgendwie auch Urlaubssaison, und es ist ja irgendwie auch kalt draußen und es gibt ja sooo viele Filme, Blogs und Artikel. Dennoch: Wer jetzt wegen Kultur rausgeht ist unter Seinesgleichen, nämlich denen die sich ihre Kulturbegriffe eben nicht zu traditionell und wetterbedingt eingerichtet haben. Wobei man natürlich am Thema mit dem großen W nicht ganz vorbei kommt, selbst "Anti-" ist ja auch nur die Kehrseite des selben Erfolgsmodells. Also einfach mal: Heinz Strunk, Giselle, Charles Dickens.

Selbst Spezialisten empfinden ja den Dreh am Ende der Verfilmung von "Fleisch ist mein Gemüse" als gelungen zwischen Kinoglück und Realitätstristesse platziert und den gesamten Streifen als ordentliche Provinz-Tragikomödie inklusive guter Einbindung des Autors des Ursprungsbuches: Heinz Strunk (Foto: Fabian Hammerl). Der tritt nun wieder persönlich auf die Bühnen um die Lacher über Teile seines Selbst auszuhalten, und zwar mit seinem Werk "Die Zunge Europas", einer Auseinandersetzung mit seiner jüngeren Vergangenheit. Austragungsort in der Gegend ist der Ringlokschuppen Mülheim.

"Giselle" basiert hingegen auf einer Idee von Heinrich Heine und ist seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten eines der erfolgreichsten Ballettstücke überhaupt. Sehr romantisch, mit einer tragisch-mystischen Liebesgeschichte, an slawische Sagen anknüpfend, von Richard Wagner verabscheut und in Frankreich schon zur Entstehungszeit heiß verehrt. In der Inszenierung und nach der Choreograhie von Bernd Schindowski sowie nach der Musik von Adolphe Adam tanzen in den Hauptrollen Priscilla Fiuza und Bogdan Khvoynitskiy im Gelsenkirchner Musiktheater im Revier.

"A Christmas Carol" nach Dickens, und das als Nacherzählung aus einer Backstube. Doch dort bricht dann bald die Realität, die Aktualität und natürlich der eine oder andere Scrooge ein. Denn Thos Renneberg bringt das frisch und fetzig auf die Bühne. Es droht hier eben kein Winterschlaf und auch keine Kältestarre oder biblische Schwere. Im Dortmunder Theater im Depot, dessen Programmheft übrigens ab Februar nur noch als Teil desjenigen vom Depot erscheint. Nur so als Hinweis, ohne Hintergedanken.

Im Überblick:
Heinz Strunk am 19. Dezember um 20 Uhr im Ringlokschuppen.
"Gisele" hat am 19. Dezember um 19.30 Uhr Premiere im Großen Haus des Musiktheater im Revier. Weitere Termine: 4., 15. und 31. Januar.
"A Christmas Carol" findet im Theater im Depot noch am 19. und 20. (20 Uhr) und 21. und 31. Dezember (19 Uhr) statt.

Rettet den Blätterwald (1) – Heute: Rolling Stone (Deutschland)

Zunächst: Der Anblick eines vor Zeitschriften überquellenden Kioskes ließ mich letztens schaudern: So viele Jobs, so viel Papier, soviel Fotos von Menschen, so viel Überschriften, Sätze, irgendwie zu Ende gebrachte Sinnabschnitte. Ein hässlicher Anblick, nur zu vergleichen mit einigen Supermärkten, Parkhäusern und zusammen gequetschten Menschen in Bussen und Bahnen. Muss das sein? Können wir nicht verzichten auf diese Dinge, dieses Second Hand Leben, diese Informationsflut auf Papier? Vielleicht. Vielleicht muss auch nur zuerst die Printkultur gehen, und dann schaltet irgendwer auch noch den Strom ab und wir haben wieder Ruhe. Also exekutiere ich in dieser Rubrik mal in loser Folge symbolisch einige Printpublikationen des Landes und will feierlich schwören, sie von nun an nie mehr zu kaufen. Den Anfang macht zufälligerweise die deutsche Ausgabe des Rolling Stone.

"16 Seiten AC/DC"! Aber der Reihe nach: Man mag dem Rock’n’Roll gegenüber ja unterschiedlicher Ansicht sein. Ist sicherlich als Ventil und Freizeitvergnügen weniger spießig und potentiell Bewusstseins erweiternder als Breitensport. Hat einige viele tragische Tode und kaputte Restleben auf dem Gewissen. Ist gute Unterhaltung für Konsumenten, die ihre Dosis Brot und Spiele gerne mit persönlichen Schicksalen verknüpft sehen und dabei harte Musik hören wollen. Etc. Im Grunde aber ist es das Gegenteil von "darüber schreiben" und erst recht von "darüber lesen". (Auch wenn die betroffenen Medienleute von Lester Bangs bis Stefanie Tücking immer so taten, als sei das verwechselbar. Naja, man verwechselt schonmal Autorenschaft und Sujet. Das nennt man dann schnell Identifikation.)

Jedenfalls strahlt der Rolling Stone Deutschland nur höchst bedingt Rock’n’Roll aus und hat natürlich für den gesellschaftlichen Diskurs nicht gerade soviel zu bieten wie ehedem die Village Voice oder sein gleichnamiges amerikanisches Ursprungsblatt. Was also soll das Magazin? Mal reinsehen, vielleicht gibt es ja Interviews, in denen diese Lebenshaltung rüberkommt. Hm, Whisky-Werbung auf der U2. Stimmig. Fotos von Mick Jagger, den Toten Hosen und AC/DC. Es geht also um "in Würde altern mit Mikro oder Gitarre in der Hand"?
Überschriften: "Ein Quantum Trost". "The Killers: Leaving Las Vegas". "Das schwarze Album". Klingt ganz schön nach falsch verstandener Postmoderne: Man nimmt irgendwie vertraut klingende Wortfolgen und setzt die in Zusammenhang mit dem Thema/der Band. (Natürlich ohne dass jetzt die Hosen und James Bond mehr als ihr hohes Alter gemein hätten z.B. Doch: Sie sind bekannte Medienstars, Typen, Rollenspieler.) Immerhin.

Sony- und Nokia-Werbung. Lou Reed wird gefragt: "Was halten Sie davon, dass "Car Crash" von Andy Warhol für 71 Millionen Dollar verkauft wurde?" Er antwortet: "Ich wünschte, jemand würde soviel für eine Lou-Reed-Originalaufnahme bezahlen. Ich würde mich auch mit 50 Millionen begnügen." Ah, vielleicht ein Hinweis, warum der alte R’n’R gleichzeitig so omnipräsent und billig ist: Man lebt mit ihm wie mit einem alten Verwandten, würde aber nicht wirklich etwas dafür bezahlen. Weiter im Blatt: In einem Konzertbericht über einen Auftritt von Of Montreal in New York steht: "Man fühlt sich wie auf einer invertierten Promnight: Hier gibt es nicht ein, zwei komische Käuze, die sich in den Ecken herumdrücken, während Cheerleader und Quarterback tanzen – die Wunderlichen sind im Roseland Ballroom klar in der Überzahl." Noch ein Indiz: Das Publikum wie wohl auch die Leserschaft ist sich selbst mittlerweile der Star und die "spokesperson". Deshalb haben die Stars derzeit auch alle hauptsächlich einen individuellen Hau und sonst gar nicht mal dringend viel zu bieten. Interessant.

Peter Maffay Open Airs 2009. "Fernsehen für die tollsten Menschen der Welt: Männer". Eine CD-Beilage mit Highlights aus dem Beat Club von 1967 bis 1972. Einige Konzertagenturanzeigen. Ultralange Geschichten mit banalen Fotos in der Heftmitte. Dietmar Dath und Rainald Götz werden aufgrund ihrer neuen Bücher in einem Artikel länger erwähnt. Fazit des Artikels: Dath wohl zu individuell-komplex-holistisch-socialfictionhaft um verstanden zu werden, und bei Götz dreht sich ja irgendwie auch alles nur um ihn selbst. Ist das jetzt Rock’n’Roll? Und was war Punk jetzt nochmal? Fast kaufen (oder verschenken) mag man dann nämlich vielleicht "Die Heebie-Jeebies im CBGB’s – Die jüdischen Wurzeln des Punk", die nächste Buchempfehlung, die aber auch verdächtig individual-historisch motiviert klingt. So á la "liest ja doch jeder heraus was er will, machen wir wenigstens mal starken Tobak rein". Komisch, dass die Buchempfehlungen in einem Magazin so plausibel wirken. Und dann noch in diesem.

Letzte Chance: Tonträgerkritiken. (Wir überspringen die Sidestream-Blockbuster-Kinoseiten). Ganz groß das Album von Paul McCartney mit dem (80s-)Produzenten Youth. The Cure, AC/DC. Francoiz Breut. Bei der Kritik zu ihrem Album "A´ L’aveuglette" heißt es schön: "Der Auftritt … war eins der raren Highlights der letzten Popkomm, die immer mehr zu einer Alles-muss-raus-Veranstaltung mutiert, bei der neue Vermarktungsmodelle die immer leiser werdende Musik verdrängen." Genau, der eigentliche Rock’n’Roller ist der Werber. Und Stille ist die neue Gefahr. Oder gar nicht mal Stille. Sondern Weiß ohne Schwarz drauf.

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3 FÜR 7 – Ausgehtipps, immer noch wöchentlich

Oberhausen ist nicht Athen, und in Essener Bunkern gibt es keine Piraten. Sonst müssten ja Exekutivkräfte einschreiten, nicht wahr? Aber dennoch weht an manchen Kulturstätten der Region immer noch ein Windhauch aus nahezu gefährlichen Zeiten. Zeiten in denen nicht jedeR "Ruhr" im Namen führte, um Fördergelder zu bekommen. Zeiten in denen Freiräume jenseits des Establishments geschaffen wurden, um dort eben etwas anderes entstehen zu lassen. 29 Jahre Druckluft, Gerburg Jahnke im Ebertbad, Free Essen Festival im Goethebunker.

Als die Jazz Offensive Essen gegründet wurde, da war eine sonntägliche Reihe im KKC an der Universität schnell etabliert. Und damals schon sprach man von einem Jazzclub, möglichst gefördert natürlich. Nun hört man oft den Zusatz, Oliver Scheytt, Kulturdezernent der Stadt und Top-2010er, sei ja auch Jazz-Fan. Aber gespielt wird einmal im Jahr in den Katakomben im Girardet und bis zum letzten Jahr in der Capribar. Trotz Folkwang und namhafter anderer Künstler einer recht großen Szene also keine echten Anlaufpunkte bis auf einige Versuche gutmeinender Unterstützer. Und zum Free Jazz Event des Jahres muss diesmal sogar der Goethebunker herhalten – ein durchaus legaler aber nicht wirklich komfortabler Ort mal wieder. Am Donnerstag und zum Abschluss der Reihe spielen Peter Eisold, Simon Camatta, Jim Campbell, Paul Hubweber und Annette Maye also quasi im Untergrund. Vielleicht wächst dort besser, was die Stadt offiziell anscheinend nicht recht fördern mag.

Komfortabler wird jetzt das Druckluft, jener Ort also, für den die dort stattfindende Reihe "Anarchists Teapott" wohl die treffendste Beschreibung abgab. Politisch (halbwegs) unabhängig agierende Gruppen, gender politics, Fanzines, rebellische Popmusik und immer wieder aufeinander prallende unterschiedliche Ansätze von engagierten Jungmenschen dürfen demnächst in "größeren und schöneren" Gemäuern vielleicht den Weg gehen, den all die Zeche Carls, Altenbergs, AZs & Co schon fast völlig hinter sich gebracht haben: Über die gewachsene Verantwortung in Richtung Ruin oder Kommerzialisierung. Man wird ja auch bald 30, da ist dem Laden eh kaum mehr zu trauen. Also noch einmal grüßen gehen, bitte: Freitag Beatplantation-Party, Samstag Ska aus Barcelona und eine Art Lesung des Sängers von Muff Potter (siehe Plakat), Montag Punk aus Italien und nächsten Mittwoch Pop von Fotos.

Und Gerburg Jahnke gastiert bei denen, die es "in’s Theater geschafft" haben, im Ebertbad. Ein konsequent und zeitig dem Altenberg das 30-something-Publikum abgegraben habendes Etablissement, das neben dem Stadttheater gar nicht schlecht aussieht. Und doch ganz schön "alternative" Wurzeln hat. Die eine Ex-Missfits-Frau lässt nun also einige Herren der Schöpfung mit ihren Colts spielen, aber sich auch ganz schön zum Pony machen bei "Kalte Colts und heiße Herzen", und das ab Freitag. Ach ja, der derbe Ruhr-Humor! Der ist nicht nur natürlich toootal erhaltenswert, sondern der muss ja auch irgendwo herkommen und will anscheinend mit ständigen Kleinkatastrophen gefüttert sein…

Im Überblick:
Free Essen Festival, Teil 3, am 11. Dezember ab 20 Uhr im Goethebunker.
29 Jahre Druckluft, mehrteilig und permanent diesen Monat.
"Kalte Colts und heiße Herzen" fast immer und um 20 Uhr ab dem 12. Dezember im Ebertbad. Derzeit noch nicht ausverkauft sind die Vorstellungen am 17., 18., 21. (19h), 26., 28. (19h) und 30. Dezember.

3 FÜR 7 – Pophorror-Special

Nehmen wir die Verleihung der EinsLive Krone (genau, das muss man eigentlich schon GROSS schreiben, diesen Markennamen – macht ja schon wieder richtig SPASS) zum Anlass, einmal brutal nur so etwas wie Konzerte abzufeiern hier. Es kommen ja auch genug Drogenwrackgladiatoren in die Gegend, gesäumt von einer Schar Werbestrategen und Abgesandten der Generation MedienPraktikum, um uns Büroschnecken ein wenig Pfeffer in den Eintopf zu schütten – oder einfach nur hübsche Flausen in die Arbeitsbienenwaben zu schmuggeln. Feierabendhalbstarke aufgepasst, hier kommt die Dosis garantiertes Unangepasstheitsgefühl!

Heroin (, aber nicht nur): Doherty. Redet gerne von Albion als seinem persönlichen Nirvana. Und die Babyshambles spielen dann manchmal doch nicht. Katastrophentouristen mit Vorliebe für durchgeknallte Vollrebellen-Kuscheltiere wie sie auch Kate Moss kurz mal mag schmücken sich mit den wilden Herren am Sonntag (wahrscheinlich) in der Düsseldorfer Philipshalle.

Liquid Ecstasy? Prozac? Was hat eigentlich diese Mieze zu der Frontfrau von Mia. gemacht? Und redet man bei den Ärzten eigentlich überhaupt noch von Drogen oder Rock‘ n‘ Roll (wenn schon nicht von Punk-Attitüde)? Diese und andere Exponate des deutschen Schlagers von gestern stehen neben den voll-weißen Schneefarbenen von Polarkreis 18 jedenfalls bei oben genannter Krone mal wieder in der ersten Reihe der Gerngenannten, und alle Gäste werden mal wieder nicht über die Entlassungen in der Musikbranche reden – oder gar darüber, wie Deutschland immer noch Jahrzehnte zurückhängt – sondern über vorbildliche Beispiele klugen Marketings und wohl auch über die Sinnhaftigkeit von Lokalsendern. Prima! Ab in die Bochumer Jahrhunderthalle am Donnerstag!

Alkohol. Koks? Und bestimmt auch andere Chemie und ein wenig Kiffe: Deichkind. Mit glänzenden Augen erzählen immer noch Leute davon, wie die Prollelectrorockhopper das Publikum bei einem Juicy Beats gleichzeitig geschüttelte Bierdosen öffnen ließen. Da muss man wohl dabei gewesen sein. Welch hedonistisch Verschwendung! Uiuiui! In der Dortmunder Westfalenhalle wollen wir am Samstag eine klare Steigerung sehen. Sonst hätten die Jungs ja ihre wildeste Zeit schon hinter sich und müssten Solokarrieren angehen. Schlimm genug übrigens, dass Ferris MC jetzt im Line-Up ist. Naja.

Das sind alles im Grunde keine Tipps sondern Hinweise zum weiträumigen Umfahren, deshalb auch keine Kurzfassung am Ende diesmal. Aber, ne: Machen Sie doch was Sie wollen.