„Westwärts“ von Katja Eichbaum und Schorsch Kamerun und nach Rolf-Dieter Brinkmann ist ein Hybrid aus Installation und Theaterstück, ein persönlich-unpersönliches Werk, ebenso Innehalten wie Agitation. Es gibt ein Orchester, 150 Statisten und eine Schauspielerin. Aber das Raumkonzept von Constanze Kümmel und die Texte sind hier das sine qua non.
Gerade die Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck ist eine dieser typischen unter Denkmalschutz stehenden Hallen die vor allem meist leer stehen. Gut erhalten, mit etwas Grün und Lichtern drum herum. Aber vor allem: bespielbar. Und so stellt ein Triennalen-Regisseur denn gerne mal eine Bühne dort hinein, ob rechts, hinten, vorne, in der Mitte oder links. Das gibt es bei „Westwärts“ aber direkt mal nicht. Stattdessen werden die Zuschauer zu Begehern des Stücks, und zwar in zu 90% durchsichtigen Gängen die sich durch die Halle schlängeln. Hier und da geht es bergauf oder –ab, und einige Male ist der Weg auch nicht vorgegeben: Freies Bewegen möglich, im Rahmen der Rolle als Publikum natürlich.
Man riecht sogar etwas: Erde hier, Essen da. Mal etwas Verbranntes, und dann wieder das allgegenwärtige Plastik. Es gibt Sitzmöglichkeiten auf zwei kleinen und einer großen Tribüne. An der einen kleinen geht der Blick auf das von Carl Oesterhelt geleitete Orchester samt Proklamateurin Sandra Hüller, die Teile aus Rolf-Dieter Brinkmanns „Westwärts“ vorträgt. Das ist durchaus überall zu hören, und viele Monitore zeigen Szenen aus dem Geschehen „auf der anderen Seite des Plastiks“: Menschen die spielen, Vorräte sortieren, Wäsche falten, sich in einem Massenschlafsaal organisieren (lassen), Holzkisten unter die Erde bringen, Puppen waschen, lesen, meditieren, schlafen (Foto: Ursula Kaufmann), sich massieren lassen, essen, trinken, Anpflanzungen und Akteneinträge vornehmen. Gegen Ende begibt sich Sandra Hüller in den Schlafsaal und hält einen langen Monolog, gerichtet an die schweigend zuhörenden Menschen.
Brinkmann sollte gelesen sein, hier etwas Kurzes:
Geschlossenes Bild
Überraschend
die zufällige Anordnung
des Aschenbechers
der Tasse, der
Hand zu einem
geschlossenen Bild.
Keiner kann sagen, hier
wird gelebt.
Und Schorsch Kamerun zum Stück:
„Man soll bloß keine sogenannte böse Überraschung erleben müssen. Im Sinne des natürlichen Wunsches nach Kontrolle des Seins sind wir dafür hoch empfänglich. Ich vermute allerdings, dass es nicht schaden würde wieder viel mehr zuzulassen, weil sich hinter dem verhinderten Unbekannten ja vielleicht eine aufregende Gefahr verbirgt.“
Also schaffen Kamerun und Eichbaum einen Ausnahmezustand im Rahmen einer Art „Stunde Null“, in der die Texte Brinkmanns wie eine lyrische Gebrauchsanleitung zum eigenständigen Leben auf die Statisten wie das Publikum herabprasseln. Das wirkt zusammen mit der neo-klassischen Musik von Oesterhelt oft eindringlich und manchmal recht hypnotisch bis psychedelisch. Eine Schwere hängt in der Luft, nur aufgelöst durch den Druck der Worte und die zutiefst menschlichen Insassen dieses merkwürdigen Lagers. Am Ende ist das Publikum bewegt und mischt sich rasch mit all den Schauspielern zur Rückkehr in den Alltag. Es ist gut anzunehmen dass etwas in allen haften bleibt von diesem Stück das es geschafft hat einiges an Beatnik-Dynamik nach Gladbeck zu transportieren. Eine gute Arbeit. Letzte Vorstellung im Rahmen der Ruhr-Triennale: Samstag, 27. September, ab 19 Uhr.