Der rasende Stillstand – Kamerun auf Zweckel

„Westwärts“ von Katja Eichbaum und Schorsch Kamerun und nach Rolf-Dieter Brinkmann ist ein Hybrid aus Installation und Theaterstück, ein persönlich-unpersönliches Werk, ebenso Innehalten wie Agitation. Es gibt ein Orchester, 150 Statisten und eine Schauspielerin. Aber das Raumkonzept von Constanze Kümmel und die Texte sind hier das sine qua non.

Gerade die Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck ist eine dieser typischen unter Denkmalschutz stehenden Hallen die vor allem meist leer stehen. Gut erhalten, mit etwas Grün und Lichtern drum herum. Aber vor allem: bespielbar. Und so stellt ein Triennalen-Regisseur denn gerne mal eine Bühne dort hinein, ob rechts, hinten, vorne, in der Mitte oder links. Das gibt es bei „Westwärts“ aber direkt mal nicht. Stattdessen werden die Zuschauer zu Begehern des Stücks, und zwar in zu 90% durchsichtigen Gängen die sich durch die Halle schlängeln. Hier und da geht es bergauf oder –ab, und einige Male ist der Weg auch nicht vorgegeben: Freies Bewegen möglich, im Rahmen der Rolle als Publikum natürlich.

Man riecht sogar etwas: Erde hier, Essen da. Mal etwas Verbranntes, und dann wieder das allgegenwärtige Plastik. Es gibt Sitzmöglichkeiten auf zwei kleinen und einer großen Tribüne. An der einen kleinen geht der Blick auf das von Carl Oesterhelt geleitete Orchester samt Proklamateurin Sandra Hüller, die Teile aus Rolf-Dieter Brinkmanns „Westwärts“ vorträgt. Das ist durchaus überall zu hören, und viele Monitore zeigen Szenen aus dem Geschehen „auf der anderen Seite des Plastiks“: Menschen die spielen, Vorräte sortieren, Wäsche falten, sich in einem Massenschlafsaal organisieren (lassen), Holzkisten unter die Erde bringen, Puppen waschen, lesen, meditieren, schlafen (Foto: Ursula Kaufmann), sich massieren lassen, essen, trinken, Anpflanzungen und Akteneinträge vornehmen. Gegen Ende begibt sich Sandra Hüller in den Schlafsaal und hält einen langen Monolog, gerichtet an die schweigend zuhörenden Menschen.

Brinkmann sollte gelesen sein, hier etwas Kurzes:

Geschlossenes Bild

Überraschend
die zufällige Anordnung
des Aschenbechers
der Tasse, der
Hand zu einem
geschlossenen Bild.
Keiner kann sagen, hier
wird gelebt.

Und Schorsch Kamerun zum Stück:
„Man soll bloß keine sogenannte böse Überraschung erleben müssen. Im Sinne des natürlichen Wunsches nach Kontrolle des Seins sind wir dafür hoch empfänglich. Ich vermute allerdings, dass es nicht schaden würde wieder viel mehr zuzulassen, weil sich hinter dem verhinderten Unbekannten ja vielleicht eine aufregende Gefahr verbirgt.“

Also schaffen Kamerun und Eichbaum einen Ausnahmezustand im Rahmen einer Art „Stunde Null“, in der die Texte Brinkmanns wie eine lyrische Gebrauchsanleitung zum eigenständigen Leben auf die Statisten wie das Publikum herabprasseln. Das wirkt zusammen mit der neo-klassischen Musik von Oesterhelt oft eindringlich und manchmal recht hypnotisch bis psychedelisch. Eine Schwere hängt in der Luft, nur aufgelöst durch den Druck der Worte und die zutiefst menschlichen Insassen dieses merkwürdigen Lagers. Am Ende ist das Publikum bewegt und mischt sich rasch mit all den Schauspielern zur Rückkehr in den Alltag. Es ist gut anzunehmen dass etwas in allen haften bleibt von diesem Stück das es geschafft hat einiges an Beatnik-Dynamik nach Gladbeck zu transportieren. Eine gute Arbeit. Letzte Vorstellung im Rahmen der Ruhr-Triennale: Samstag, 27. September, ab 19 Uhr.

Eine Messe zu Ehren des Künstlers – Schlingensief bei der Triennale

Die Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord hat sich kurzfristig in eine Kirche verwandelt: Das Publikum sitzt auf klassischen Holzbänken, während Christoph Schlingensief und Getreue in strikter Messe-Dramaturgie Leben und Leiden des Künstlers präsentieren – stellvertretend für uns (Künstler) alle, natürlich. Alle Vorstellungen sind ausverkauft, und das zu einer Uraufführung eines Herrn aus der Region. Da jubeln wir doch mal ab!

Als Erstes ein Lob an Bühnenbild und Architektur, Licht und sonstige Technik. Bis ins Detail (kleine Schränke und Bilder an den Seitenwänden), aber auch im Großen (Leinwände mit Live-Bildern von der Bühne und andere Filme; eine tolle Beweglichkeit im Bühnenbild auf engstem Raum; fantastisches Farb- und Fasergewaber ebenda) sitzt alles. Hier wird nicht nur Ensemble-Theater gespielt, hier stimmt es anscheinend auch generell mit der Chemie. Problem: Die Bühne ist für die meisten viel zu weit weg, da helfen auch keine Kirchen typische Prozessionen durch den Mittelgang. Alles in allem aber: Eine wirklich beeindruckende Kulisse.

Dann also das eigentliche Stück: Sämtliche Schauspieler leiden in Wort und Tat mit dem Regisseur (überstandenes Krebsleiden), zitieren Hölderlin, Beuys, Heiner Müller und viele andere, und immer geht es um im Grunde ganz normale Gedanken eines gar nicht mal ungewöhnlich denkenden und fühlenden Menschen, der ein wenig von Religion und klassischen Krankenhaus-Assoziationen abbekommen hat: Vergänglichkeiten und Versäumnisse hier, Aufbegehren und Ratlosigkeit da und da. Da es sich bei der Aufführung um ein Fluxus-Oratorium handelt (siehe Überschrift) ist alles ein wenig egomanisch bis spezifisch (katholisch), aber viele Gedanken und Gefühle stecken durchaus auch an. Angst gab’s allerdings wenig.

Und dann wieder: Skurrile Figuren tauchen auf, eine Band macht auf laut oder eine wirklich ganze Menge an Chorgesängen erweckt den Eindruck von Schönheit, symbolisiert aber wohl eher Schwere und kirchliche Macht. Irgendwann fragt man sich: Ja, aber… der lebt doch noch? Kommt jetzt die Party mal so sachte? Und tatsächlich spielt der Meister gegen Ende selbst mit, die Lichter werden weniger sakral und eher lebendig, und am Ende ist halt Ende. Genau, man wollte es ja auch nicht übertreiben mit der Schwere! Also geht man raus wie wohl aus einer Kirche sonst auch: Man hat mitgemacht und fühlt sich hinterher besser.
Das Stück insgesamt? Wirklich in Ordnung, leicht angemüdet vielleicht aber dafür in einigen Momenten und Szenen auch ganz stark. Wir dürfen uns auf ein Alterswerk freuen das Tiefe und Unbekümmertheit nochmal ganz neu mischt aber natürlich Schlingensief bleibt. Mal gucken was ihm als nächstes so passiert, gerüchteweise ist ja jetzt wieder das Thema Afrika dran. Möge er weiter missionieren gehen. Das Ruhrgebiet bedankt sich artig.

3 für 7 – Die Veranstaltungen der Woche

Endlich Herbst! Allerorten packen Menschen ihre Badehosen wieder ein und erinnern sich ihres anderen Selbst als Kultur- und Politikinteressierte. Für die Ruhrbarone bedeutet dies natürlich zum einen Klicks bis zum Abwinken – nicht zuletzt dank dieser hochwertigen wöchentlichen Kolumne – zum anderen die Gelegenheit, sich so richtig ehrenwerten Häusern der Gegend gegenüber mal absolut gönnerhaft zu zeigen. Heute der Lichtburg, dem Aalto und dem Landschaftspark.

Deutschlandpremiere eines Kinofilms in Essen. Das bedeutet hier was, und die Filmfreunde und Bunte-Leser scharen sich um den roten Teppich. Ist das so? Nun, jedenfalls gilt das Augenmerk (der Kameras) auch beim Start von „Krabat“ sicher wieder dem anwesenden Schaupielervolk. Kommt Stadlober? Die Thalbach? Und wie hübsch ist eigentlich Paula Katenberg wirklich? So etwas halt. Der Film, der eigentliche Star also, spielt im späten Mittelalter und ist eine Verfilmung des Romans von Ottfried Preußler. Schauplatz ist eine alte Mühle um die herum sich natürlich extreme menschliche Dramen abspielen. Regiesseur Marco Kreuzpaintner setzt auf Atmosphäre und einige Zitate aus der Filmgeschichte und spielt bei aller Historizität die gute alte „Magie“-Karte ohne mit der Wimper zu zucken.

Christoph Schlingensief (Foto: Aino Labernez) reformiert seine Church Of Fear in Duisburg. Premiere war schon, die Kritik erscheint hier am Mittwoch. Also bleibt auf die weiteren Termine (unten) hinzuweisen und zu erzählen, wie der Autor dieser Zeilen von der RuhrTriennale hören durfte dass der Vorzeige-Mülheimer im Vorfeld mehr als dreimal das Gesamtkonzept umgeworfen hat. Dann schließlich suchte er per Anzeige nach „exotisch aussehenden Frauen“ für sein Triennale-Stück „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Aha, soso. Und ansonsten redet er etwas viel über Tod und Religion zur Zeit, oder? Naja, er wird halt auch zuviel danach gefragt. Genau: Christoph Schlingensief ist Nick Cave. 

Nun schnell was Amtliches: Jubiläumskonzert „20 Jahre Aalto-Theater“. Da werden durch den Besuch allein Karmapunkte in Ehrenwertenhausen gemacht auf dass die Beförderung nur eine Frage der Zeit sein kann. Und die Söhne und Töchter spielen Prinz und Prinzessin. Ein wunderbarer „Event“ also, vom Programm her geht es eher „á la casa“ zu mit dem Aalto Ballett Theater, den Philharmonikern, dem Opernchor und Gesangssolisten. Aber seit der „Spiegel“ sein Herz endgültig für das (Anzeigengeld aus dem) Ruhrgebiet entdeckt hat, ist das Opernhaus ja sogar vor Lob wie „Aufstieg in die Champions League der europäischen Opernszene“ nicht sicher. Da freuen sich doch alle, bestimmt auch der RWE.

Im Überblick:
Deutschlandpremiere von „Krabat“ in der Lichtburg: Dienstag, 23. September, 20 Uhr.
“Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ von Christoph Schlingensief in der Gebläsehalle des Landschaftsparks: Dienstag, 23. September, ab 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen zur selben Uhrzeit: 25., 26. und 28. September.
Jubiläumskonzert „20 Jahre Aalto-Theater“: Donnerstag, 25. September, 19.30 Uhr.

3 für 7 – Ausgehtipps am Dienstag

Aus der unglaublichen Fülle der Veranstaltungen der Woche im Ruhrgebiet auch diesmal drei im Grunde unerlässliche. Wie immer wöchentlich und frisch zum Dienstagmorgen, und auch Mitte September eine ordentliche Haribo-Mischung: Iggy & the Stooges, ein modernes Puppentheater und (noch) ein Ausnahmezustand. Bitte was? Bitte weiterlesen:

Die Stooges waren wer? Genau, zunächst einmal waren das drei amerikanische Komiker. Und dann nannte sich eine Band aus Michigan nach ihnen, zunächst noch als The Psychedelic Stooges. Songs? Z.B. „Search and Destroy“, „I Wanna Be Your Dog“, „No Fun“, „1969“. Und anschließend wurde ihr Sänger Iggy Pop zu einem wichtigen Bezugspunkt von u.a. David Bowie und der Punkbewegung. Songs? Z.B. „The Passenger“, „Lust For Life“, „Candy“, „Louie Louie“. Und nun sind Iggy Pop und die Asheton-Brüder zusammen mit Mike Watt (Minutemen, fIREHOSE) am Bass mit neuem Album in (Bochums) RuhrCongress – das Amphitheater Gelsenkirchen hat mal wieder Pech mit dem Karma, das Konzert wurde verlegt.

Und RuhrTriennale und Zollverein (in Essen) auf einen Streich beglückend: Die große Figurenkunst (in englischer Sprache) des Stuffed Puppet Theatre. Bis jetzt kommen die Inszenierungen der Triennale in der Presse ungewöhnlich schlecht weg, vielleicht rettet ein modernes Puppentheater ja die Saison (für die Kollegen). Im Rahmen der FiDeNa (mit vielen weiteren empfehlenswerten Aufführungen an teils „geheimen“ Orten vor allem in Bochum) erzählt „Cuniculus“ die Geschichte einer Reise aus der Unterwelt in das wahre Leben. Untertitel: „Eine Menschwerdung“ – was wohl nicht allzu wörtlich zu nehmen ist, denn Puppe bleibt Puppe. Oder?

Quasi die ultimative Mischung aus obigen Veranstaltungen: Schorsch Kamerun und sein Stück „Westwärts – ein begehbarer Ausnahmezustand“ in der Maschinenhalle (in Gladbeck-Zweckel). Der Autor dieser Zeilen war sogar beim Casting, wurde aber nicht genommen: „Kein Gladbecker“ hieß es. Und nun dürfen halt 100 im engen Sinne Ortsansässige in der Halle spielen, was man tun könnte wenn man sich plötzlich shanghait und eingesperrt wiederfindet während draußen wohl gerade eine Art Putsch passiert ist. Dazu: Texte von Rolf-Dieter Brinkmann, Musik von Carl Oesterhelt (FSK) und eine durchsichtige Röhre durch die das Publikum geleitet wird. Daher auch die drei „Schwünge“ in punkto Einlass, wie direkt im Anschluss zu lesen.

Im Überblick:
Iggy & the Stooges im RuhrCongress: Dienstag, 16. September, ab 20 Uhr.
Premiere von “Cuniculus“ vom Stuffed Puppet Theatre bei PACT Zollverein: Donnerstag, 18. September, ab 20 Uhr. Weitere Vorstellungen zur selben Uhrzeit: 19. und 20. September.
Premiere von “Westwärts“ von Schorsch Kamerun und Katja Eichbaum in der Maschinenhalle: Samstag, 20. September, ab 19, 19.20 und 19.40 Uhr. Weitere Vorstellungen zu denselben Uhrzeiten: 21., 24., 26. und 27. September.

Werbung

3 FÜR 7 ? Die wöchentlichen Ausgehtipps am Dienstag

Zum zweiten Mal drei Veranstaltungshinweise für alle und keineN – und vor allem: für die kommenden sieben Tage im Ruhrgebiet. Diesmal eine lange und eine kurze Nacht – und (schon wieder) die Ruhrtriennale. Aber der Reihe nach:

Schon wieder Jahrhunderthalle (in Bochum), und noch einmal Ruhrtriennale. Aber die Kapazitäten wollen ja ausgeschöpft sein, und nicht zuletzt geht es um Luc Bondy (Thalia Theater, Berliner Schaubühne, Salzburger Festspiele, Wiener Festwochen). Dieser renommierte Regisseur ist in diesem Jahr mit einer Filmreihe im Casablanca-Theater, einem Soiree, „König Lear“ und „La Seconde Surprise D´Amour“ vertreten. Letztere Inszenierung basiert auf einer Modernisierung des Stoffes von Marivuax, dessen „Triumph der Liebe“ Bondy (Foto von David Baltzer / Zenit) ebenfalls schon auf die Bühne gebracht hat: Zwei Liebende nähern sich nach schweren Verlusterlebnissen einander an, aber „Liebe darf nicht Liebe genannt werden, Eifersucht nicht Eifersucht sein“, wie es so schön im Begleittext heißt. Ganz klar eines der Highlights der Triennale 2008! 

Etwas völlig anderes vielleicht? Stadtentwicklung in Duisburg ist das Thema der 10. Nacht der Architektur, veranstaltet vom Bund Deutscher Architekten und dem Wilhelm-Lehmbruck-Museum. Leider ist der Anmeldetermin für die zweistündige Bustour mittlerweile abgelaufen, aber der Abend im Skulpturenhof des Museums bietet neben einer hochrangigen Gesprächsrunde mit u.a. Dr. Reinhard Seiß, der auch am Beispiel Wien über Stadtentwicklung referiert, die klassische „Nacht im Museum“ sowie Musik, Imbiss und hoffentlich auch viele wertvolle Anregungen. 

Und dann? Nun, eine merkwürdige Dopplung an diesem Samstag, aber Mülheim soll hier auf keinen Fall verschwiegen werden. Ist nämlich weniger nach Stadtpolitik sondern mehr nach Kunst, dann lohnt der Weg zur 7. Mülheimer Museumsnacht. Neun Museen halten ihre Pforten bis kurz vor Mitternacht geöffnet und haben neben den aktuellen Ausstellungen von Lesungen über Installationen, Magie und Jongleure bis hin zu Livemusik ein angenehmes Begleitprogramm parat. Es sind extra Shuttlebusse eingerichtet, und der Preis sei ausnahmsweise auch einmal genannt: 5 Euro pro Person. Das klingt doch nach einem entspannten Abend in Mülheims schönsten Kulturhäusern. Aber nichts gegen Duisburg!

Im Überblick:
Premiere von “La Seconde Surprise D´Amour” in der Jahrhunderthalle: Dienstag, 9. September, ab 20 Uhr. Weitere Vorstellungen zur selben Uhrzeit: 10. und 11. September.
„10. Nacht der Architektur“ im Wilhelm-Lehmbruck-Museum: Samstag, 10. September, ab 18.30 Uhr.
„7. Mülheimer Museumsnacht“, vielleicht begonnen am Rathausmarkt nahe des Hauptbahnhofs: Samstag, 10. September, ab 18 Uhr.

3 FÜR 7 – Ausgehtipps, jetzt wöchentlich

So etwa drei Veranstaltungshinweise ab jetzt jeden Dienstag hier. Das ist natürlich ein gewagtes Unterfangen, aber wir frönen ja gerne dem Elitären. Also: Nur Spitzenklasse. Oder sehr Ungewöhnliches. Nicht aber allzu Spezielles. Kunst, E-Kultur und Populärkultur für Menschen mit und ohne Hintergrundwissen. Also für alle. Los geht’s!

Theatersaison! Zwar gab es keine dezidierten Spielzeit-Tipps aus der Dramaturgie für mich, aber es hat sich herum gesprochen: Das Grillo (in Essen) macht ganz schön viel und wird vielleicht bald mal Staatstheater. Da lohnt es sich also, zur Saisoneröffnung vorbeizuschauen. Ein roter Faden im Herbst und Winter werden die „Glücklichen Orte“ sein, die das Publikum stadtweit proklamieren und darüber erzählen darf. Also einmal mehr eine Öffnung des Theaters nach Außen, zum Überblick verschaffen darf aber gerne schon einmal auch vorbei gegangen werden am 6. September. Im Anschluss dann einmal mehr „Heldenpop“ mit den DJs Culturevulture und Segeroth, sowie bestimmt noch was im Central – schätze ich mal. Theaterzeitung einpacken und immer in Griffweite behalten, bitte.

Und: Klezmer! Die Klezmatics sind Grammy behangen und zeigen ihre Künste in einer Kirche, und zwar in der Christuskirche (in Bochum). Das ist zwar wieder einmal ein wenig genau die pseudo-liberale Integrationsklitsche wie sie der Stimmung bei dieser Musik eben nicht gerecht wird… Aber man könnte ja mal ein paar Katholiken und –innen gut gelaunt antanzen gehen. Die Band wird schon nicht im Trauerflor auflaufen müssen wie dereinst die Beteiligten der kurzlebigen Ruhr-Ausgabe des Karnevals der Kulturen. Gefiddel galore! Großartig!

Und dann noch: Triennale! Jaaa, jetzt auch noch ein Tanzstück! Und zwar in der Jahrhunderthalle (in Bochum). Die „Vergessene Straße“ hatte den Autoren wirklich nicht sehr bewegt, daher keine negative Kritik mal bei den Ruhrbaronen, sondern ein Zeichen des Optimismus setzen: „Pitie! Erbarme Dich!“, das wird was! Zunächst gut: Eine Bach-Bearbeitung. Da ist immer gut mitreden. Zweitens: Von Alain Platel und Les Ballets C. de la B., also Matthäuspassion mal mit modernem europäischen Tanz. Fabrizio Cassol hat das Original sozusagen „geremixt“, liebe Wochenend-Selbertanzenden!

Im Überblick:

Saisoneröffnungsfest im Grillo: Samstag, 6. September, ab 15 Uhr.

The Klezmatics in der Christuskirche: Montag, 8. September, ab 20 Uhr.

Premiere von „Pitie! Erbarme Dich!“ in der Jahrhunderthalle: Dienstag, 2. September, ab 20.30 Uhr. Weitere Vorstellungen zur selben Uhrzeit: 3., 4., 6. und 7. September.

Das Ende der GEMA wie wir sie hassen? – Eine Behörde kapituliert vor dem 21. Jahrhundert

Vielleicht ist es die richtige Zeit: In den Metropolen Deutschlands übertreffen Firmenfeiern so langsam das Angebot der öffentlichen und privaten Veranstalter. Da könnte ein Reformversuch der GEMA-Statuten zugunsten der Künstler und Kleinveranstalter großzügig durch gewunken werden. Es begann in Sonthofen…

 In einem Schreiben von Mitte August, das ruhrbarone.de vorliegt und nun auch in Ruhrgebietskreisen seine Runden zieht, schreibt Monika Bestle von der Sonthofer Kultur-Werkstatt, wie sie das Geheimnis der GEMA-Ausschüttung an Künstler ergründete und warum Kleinveranstalter innerhalb dieses Systems benachteiligt werden. Man mag sich erinnern: Gerade in Zeiten der massiven Umsonstmusik via Internet hatte sich die GEMA letztens noch gern als Bewahrerin des geistigen Eigentums positionieren wollen. Aber für wen sprach sie da eigentlich? Das geneigte Auge wirft einen Blick in den Rundbrief der Frau Bestle aus Sonthofen:

Beispiel 1 (Veranstaltungen): Kommen in einen 100qm großen Raum 100 Besucher, die je Euro 10,- bezahlen, und es werden den ganzen Abend nur GEMA-geschützte Werke gespielt, werden Euro 87,- an die Behörde fällig. Kommen drei Besucher in denselben Raum, die bis zu Euro 20,- bezahlen und es wird nur ein einziges solches Stück gespielt, kostet das Ganze Euro 107,-. Raumgröße(!), Anzahl der geschützten Werke und die Höhe des Eintrittsgeldes sind die Kriterien – der einfachen Abrechnung halber. Ausgehebelt werden kann dies nur durch eine sogenannte Missverhältnisklausel, die aber nicht wirklich öffentlich gemacht wird. Zusammen mit diversen Steuern und zusätzlichen Unkosten bei weit gereisten Künstlern erklärt dies vielleicht bereits, warum es eigentlich fast nur noch Arenenkonzerte und Gigs von Kapellen aus der Nachbarschaft gibt.

Beispiel 2 (Künstler): Die Tantiemen richten sich nach den bespielten Bezirken(!) und den angemeldeten Stücken. Kurz gesagt: Tourt man viel und hat viel angemeldet ist egal wer zuguckt. Ausgerechnet gepresste CDs bewirken einen Bonus, Radio und Fernsehen sowieso. Und was einmal im großen GEMA-Topf verschwindet, wird vielleicht gar nicht richtig weiter gegeben, schon gar nicht ins Ausland. Lieber an die Onkelz.

Eine Atempause.

Es gibt mittlerweile Internetradios, die pro gespieltem Stück Tantiemen an Künstler ausschütten, behördenunabhängig.

Kaum einE KünstlerIn führt derart Buch (und bezahlt womöglich noch etwas an die GEMA dafür), die Karriere nach Bezirken zu organisieren und Tantiemen orientiert zu arbeiten. Ganz zu schweigen von CDs und Medien, die eher den „Großen“ nützen.

Und wie will eigentlich eine Behörde all die Millionen gespielten Stücke im Internet kontrollieren? Also, ich lasse meine Lieblingskünstler den ganzen Tag einfach durchlaufen, vor allem meine eigenen Stücke…

Zurück nach Sonthofen, denn der Fall wurde bereits der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zugetragen, und die Petition beinhaltet folgende Punkte:

·        Genaue und für jeden verständliche Geschäftsbedingungen

·        Größtmögliche Transparenz

·        Änderung der Beitragberechnungsgrundlagen für Kleinveranstalter

·        Offenlegung und Vereinfachung der Berechnungsgrundlagen zur Auszahlung der Künstlertantiemen,

·        Änderung der Inkasso-Modalitäten

Die Petition und weitere Informationen gibt es hier: info@kult-werk.de

Es lebe das Schneeballsystem!

Duisburger Akzente – Wer beschäftigt hier wen?

Am 1. Juni gingen die 31. Duisburger Akzente zu Ende. Und es ist ein Kulturfestival das mit dem Rücken zur Wand steht, denn: Geld für Kultur auszugeben ist unpopulär, vor allem bei der Duisburger FDP, wie man hört. „Was uns beschäftigt“ heißt dann auch noch das diesjährige Motto, unter dem sich die Künstler schon einmal präventiv mit den (anderen) Arbeitslosen solidarisieren dürfen.

Festakt zur Eröffnung Mitte Mai, ein Freitag Abend. Die Presse sammelt sich um Alfred Biolek – sie kennt ihn wohl aus dem Fernsehen, und das merkt man den Artikeln am nächsten Tag auch an. Dabei könnte man die Hauptakteure des Kernstückes des Abends, „Ich sehe was, was du nicht siehst.“, auch kennen: Tim Isfort (musikalische Leitung), Eva Verena Müller (gekürt als „beste Schauspielerin NRWs“), Irm Hermann (bekannt aus Funk und Fernsehen), Uli Masuth (Kabarettist), Eva Kurowski(Sängerin), Trilok Gurtu (weltbekannter Percussionist), etc. Eigentlicher Star aber ist die Bühne, denn sie teilt das Publikum in A und B, also in eine Zweiklassengesellschaft auf. Mal kurz buchstabiert: A sieht nicht was B sieht, und umgekehrt. B hört aber was A macht, und umgekehrt. Das Stück spricht zu beiden Gruppen. Das kann (und soll) zu Irritationen führen, so am Eröffnungstag, als Zuschauerraum A tatsächlich die geladenen Gäste beherbergt und B diejenigen die für Kultur gerne auch mal selbst bezahlen. Viele aus A verstehen nicht, dass es B tatsächlich gibt, wie Tim Isfort bestätigt: „Es gab Fragen, ob das nicht etwas kühn gewesen wäre mit den Lautsprechern aus denen der Applaus kommt.“ Von B sind diesbezügliche Irrtümer übrigens nicht bekannt und auch vom zweiten Tag mit freier Platzwahl nicht. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Kulturschickeria der Region (A!) sich mit Kultur gar nicht auskennt?

Zum Stück: Verschiedene Künstlergruppen haben ihre Ideen eingebracht bei „Ich sehe was,…“, und so ist eher ein „StückWerk“, eine „Collage“ (Isfort) entstanden, worin verschiedene Facetten der heutigen Arbeitswelt (und des Diskurses darüber) dargestellt werden – nein, nicht „beleuchtet werden“, beleuchtet wird die Bühne und teils auch das Publikum sehr fachgerecht, wie auch Klang und sonstige Bühnentechnik gut funktionieren – was keine einfache Angelegenheit ist bei einer zweiseitigen und mehrgeschossigen Bühne in der Kraftzentrale des Landschaftsparks. Ebenso komplex die Proben mit den Darstellern. „Es gab nur zwei Proben mit dem vollständigen Ensemble“, so Isfort, und erklärt zum Procedere vor der Geburt des Stückes: „Die Promis sind ein ergänzender Baustein, zum lobenswerten neuen Konzept des Festivalbüros, eine Mixtur aus lokalen / regionalen Kreativkräften und eben Publikum ziehenden Namen zu kombinieren. Natürlich ist das ein schmaler Grat: zwischen inhaltlich / politisch passend und hilfreich für die Besucherzahlen.“ Da muss dann anscheinend auch mal improvisiert werden (oder Biolek eingebaut) – und dabei die Kunst nicht vergessen.

 

Fest steht: Es ist kalt und unkomfortabel in diesen Hallen und die Grundvoraussetzungen für Kunst (jenseits von Selbstzweck) werden nach wie vor verschlechtert. Da kann sich auch ein ambitioniertes und vielschichtiges Stück wie „Ich sehe was…“ im Grunde nur bemühen potentiell alle Bevölkerungsschichten anzusprechen und trotzdem Inhalte zu vermitteln: Eine Kindertheatergruppe! Dann Paul Virilio! Dann Stangenakrobatik! Ein jazziger Chanson! Goethe und Aristoteles! HipHop! Mary Shelley! Hüsch! Eine Taxifahrer-Liebesgeschichte! Filme (von Frank Bergmann) auf der Leinwand! Exotische Instrumente! Ezra Pound! Komisch, gar keine Tiere, aber manchmal sieht man Tim Isfort wie einen Zirkusdirektor in all dem Getümmel und ärgert sich prompt, wenn die billigen Plätze mal wieder nur der Stangenakrobatik Szenenapplaus gewähren oder die teuren Plätze nur der mit dem schönsten Kleid. Aber eigentlich geht es hier doch nun mal um Unterhaltung, oder? Ja?

„Wir hatten auch überlegt, einmal Hartz IV Empfänger einzuladen“, so Isfort. „Vielleicht können wir das, wenn das Stück woanders neu aufgenommen wird. Es gibt sogar eine Idee, wie das in normal gebauten Stadttheatern funktionieren kann.“ Man wünscht ihm Glück für sein Füllhorn voller Ideen und Perspektiven, das die AusEinanderSetzung verdient die es thematisiert, dramatisiert und auch noch im Untertitel trägt.

 

Weg aus den leer stehenden Industriehallen ins behagliche Zentrum Duisburger Kultur, den Dellplatz, speziell das HundertMeister. Hier spielt das Musiktheaterstück „Die Wand“ von Anja Schöne und Thorsten Töpp nach Marlen Haushofer. Wieder mit Eva Müller in der tragenden Rolle, Tim Isfort diesmal nur am Kontrabass, Frank Bergmann am Saxophon. Die Stuhlreihen stehen hier etwas enger und es ist eher stickig, dafür ist die Vorstellung ausverkauft und es gibt weniger deplatzierte Lacher. Den besten bringt Eva Müller direkt selbst mitten im Stück und beherrscht Text und Publikum weitgehend einwandfrei, die Dramaturgie stimmt aber auch ebenso gut. Die Musiker – zu nennen noch Mirjam Hardenberg (Violoncello und Gesang) und Petra Kessler (Flöten) – stehen rechts, links und hinter dem Publikum und illustrieren, konterkarieren und unterbrechen gegebenenfalls den Monolog der Protagonistin. Das Bühnenbild besteht auf das Kargste aus einem Tisch, einer Leselampe, einer Flasche und dem Textheft, mit dem und ohne das das Ensemble dem Publikum die Geschichte eines Menschen nahe bringt, die je nach Interpretationsmöglichkeiten als Kriminalgeschichte, Fieberwahn, Annäherung an das Menschsein oder Provinzdrama gelesen werden kann. Vielleicht auch als das einer Emanzipation von stupider Arbeit durch Kultur. Und dagegen kann doch eigentlich keine bürgerliche Partei etwas haben…
Die (31.) Duisburger Akzente endeten am 1. Juni.

Fotos von Markus van Offern

 

Werbung

Die Metropole der leeren Hallen

Ein zugespitztes Interview zur Konzertsituation im Ruhrgebiet mit Marcus Kalbitzer von der Kulturzentrale

Herr Kalbitzer, im Ruhrgebiet stehen so viele – wie es heißt – wunderschöne Hallen die meiste Zeit leer. Warum finden da eigentlich keine hochkarätigen Konzerte statt?

Wunderschöne Hallen sind nicht per se wunderschöne Konzertstätten. Manche dieser Orte liegen ungünstig oder ihnen fehlt eine regelmäßige Bespielung, um sie in der Wahrnehmung des potentiellen Publikums zu verankern. Andere wiederum sind infrastrukturell für eine Konzertsituation nicht ausgelegt oder es liegen keine ordnungsbehördlichen Genehmigungen vor, um dort entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Aber Fakt ist auch, da gebe ich Ihnen Recht, dass einige Veranstaltungsstätten programmatisch schlecht aufgestellt sind. Was fehlt, sind Konzepte, Visionen und vielleicht auch der Mut, diese Örtlichkeiten intelligent zu bespielen. Das ist sehr schade und für das Ruhrgebiet letztlich ein Problem.

Die Musikindustrie ruft in Zeiten schlechter Tonträgerverkäufe derzeit immer wieder das Mantra vom boomenden Konzertgeschäft vom Turm herab. Was ist daran Realität, was Imagekampagne?

Das Konzertgeschäft entwickelt sich zunehmend zu einer der Haupteinnahmequellen der Künstler und der Musikindustrie. Früher wurde eine Band auf Tour geschickt, um ein aktuelles Album zu promoten und zu verkaufen. Heute dient ein neuer Tonträger dazu, der Band die Möglichkeit zu geben, eine Tour zu planen, Konzerte zu spielen. Der musikalische Output eines Künstlers ist mittlerweile ja fast frei im Internet verfügbar, die Absatzzahlen von Tonträgern gehen immer weiter in den Keller. Daher hat dieses „Mantra“ seine Berechtigung. Doch auch hier gilt es zu unterscheiden. Was für den Mainstream gilt, muss sich in den Nischen nicht zwangsläufig widerspiegeln. Die kleinen, abseitigen Themen haben es heute insgesamt schwerer als früher. Das gilt sowohl für den Tonträgerverkauf als auch für das Konzertgeschäft.

Auch im Ruhrgebiet gibt es nach wie vor viele Opinionleader die es schaffen Publikum zu Trendveranstaltungen zu locken. Ist Lokalpatriotismus aber überhaupt nachhaltig trendfähig oder geht all der 2010-Hype eher an den mehr international orientierten Trendsettern vorbei? Oder anders gefragt: Braucht die Region jetzt einfach einen von Stefan Raab – oder besser MySpace – gebastelten Vorzeigestar von der Ruhr, damit´s noch klappt mit der Szeneanbindung?

Idealerweise findet beides statt. Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen internationale und nationale Künstler im Ruhrgebiet veranstaltet werden. Das ist eine Frage des Standortmarketings. Nur wenn herausragende Events in dieser Region stattfinden, wird der Blick auch von außen auf das Ruhrgebiet gelenkt. Und nur dann können wir den Menschen hier vermitteln, dass ihr Umfeld, in dem sie leben und arbeiten, eine Wertigkeit besitzt. Es gibt etliche Künstler aus der Region, die nationale oder sogar internationale Relevanz besitzen, zu Hause aber kaum wahrgenommen werden. Das ist bisweilen sicherlich frustrierend. Man muss verhindern, dass diese kreativen Köpfe dem Ruhrgebiet den Rücken kehren, um anderswo erfolgreicher arbeiten zu können. Natürlich ist auch eine gehörige Portion Lokalpatriotismus notwendig. Sonst ist der Standort Ruhrgebiet nicht zukunftsfähig. Aber das gilt für Köln oder Hamburg genauso.

Der Standort „U“ in Dortmund kommt gerade mit einer Konzerthalle für Blues und Altherren-Garagenrock in die Medien. Müssen wir uns da auf einen weiteren Backlash einrichten bevor es auch nur eine tragfähige Band „von hier“ geschafft hat? Oder wird da einfach nur mutwillig eine weitere Provinz-Katastrophe produziert, damit einige Leute anschließend „nachhaltig“ etwas zu retten haben?

Vielleicht ist genau das die musikalische Zukunft des Ruhrgebietes, denn wir stehen doch vor einer problematischen Altersstruktur. Die Schätzungen der Sachverständigen gehen davon aus, dass das Ruhrgebiet bis zum Jahr 2015 ca. 370.000 Einwohner verlieren wird. Die Region ist „überaltert“. Aber im Ernst, genau diesen Trend gilt es doch zu stoppen, indem man sich als Standort attraktiv aufstellt und den Zuzug kreativer Menschen fördert bzw. ihren Wegzug aufhält. Ich hätte im Übrigen nichts dagegen, mir die Jon Spencer Blues Explosion in Dortmund anzuschauen. Dann müsste ich nicht nach Köln fahren.

Abschließend: Wer bucht eigentlich immer diese irrelevanten und unattraktiven Acts auf beinahe alle Großveranstaltungen der Region? Sind die Budgets zu knapp oder sind die meisten Konzertveranstalter geistig schon in der Rentnergeneration angekommen?

Schwer zu beurteilen. Vielleicht eine Mischung aus beidem. Ich bin jedenfalls nicht dafür verantwortlich.

Die Fragen stellte Jens Kobler, das Foto ist von Marcus Kalbitzer

Oberhausener Kurzfilmtage, Teil 2: Vom Festival zum zeitgenössischen Museum? ? Eine Nachbetrachtung

Festivalleiter Dr. Lars Henrik Gass sagte es in seiner Eröffnungsrede der 54. Internationalen Kurzfilmtage deutlich: „Kaum ein Kurzfilm erzielt Einnahmen im Fernsehen oder Internet.“ Und: „Der Film als Ware braucht keine Festivals mehr; und das ist die historische Chance, dort endlich bessere Filme zu zeigen.“ Mutige Worte, natürlich den aktuellen Entwicklungen im Internet (und auch bei den DVDs) geschuldet, die selbst Hollywood nicht kalt lassen und bekanntermaßen schon zu Streiks in der amerikanischen Filmbranche führten. Und ein krasser Gegensatz zu den Plänen der Bundesregierung im Rahmen der Novellierung des Filmfördergesetzes. Wie aber stellt man sich die Zukunft einer nicht ausschließlich digital vernetzten Kurzfilmszene vor? Und: Was plant die Bundesregierung eigentlich mit dem Genre „Kurzfilm“?

„Wer also das Kino erhalten will, muss es zerstören, um seine soziale Funktion wiederzubeleben.“ Das könnte von Godard oder Debord sein, entstammt aber auch der oben zitierten Eröffnungsrede. Der Festivalleiter schlussfolgert: „1. Filmfestivals müssen künftig für die Verwertung von Filmen zahlen. 2. (…) Filmförderung aus öffentlichen Mitteln sollte künftig allein der Herstellung von künstlerisch relevanten Werken und ihrer Präsentation dienen. 3. (…) Das Kino wird nur als Museum überleben können, als ein Museum aber, das wir noch nicht kennen.“ Kein Geld also mehr für die Cannes- und Berlin-Schickeria und stattdessen für ein künstlerisch und kulturell wertvolles Programm? Ist das noch populär? Dr. Gass führt aus: „Vielleicht werden die Museen für zeitgenössische Kunst die Filmfestivals überflüssig machen. (…) Der Gegensatz zwischen hier Kunst und dort Film ist überholt. (…) Filmfestivals müssen Bücher und DVDs machen, Partys und Konferenzen, sie müssen das bessere Fernsehen sein und die bessere Universität.“

Oberhausen 2008 hat vor allem den Status Quo der Filmbranche deutlich gemacht: Viele, viele Screenings von Internetportalen, die sich als Filmarchive verstehen, stehen zahlenmäßig zumindest gleichberechtigt neben den guten, alten Wettbewerben auf dem Programm. Themen orientierte Reihen gibt es gerade mal zwei, aber sechs Künstler orientierte unter dem Titel „Profile“. Dazu an jedem Tag zumindest ein Podium sowie die Diskussionsrunden zu den Wettbewerben. Oberhausen funktioniert also eh als Präsentationsfläche, Service und Seminarangebot für die Kurzfilmszene, der der Austausch spürbar gut tut; einer Generation, die sich oft in virtuellen Welten wohler fühlt denn als „Chronisten der Gegenwart“ oder gar als Auftragsarbeiter der Werbeindustrie. Wie ein Filmportal-Betreiber aus NRW am Rande des Festivals sagt: „Manchmal ist es besser, die Leute gar nicht erst zu treffen mit denen man zusammenarbeitet.“ Bernd Neumann, Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, hat allerdings anderes mit der Kurzfilmszene vor: „Das neue Filmförderungsgesetz soll dazu beitragen, dass der Kurzfilm auch das Kinopublikum wieder häufiger erreicht.“ Zurück ins sterbende Kino? Womöglich in Form von Werbespots oder anderen Blockbuster-Appetizern? Ein extrem zynisches Todesurteil. Bernd Neumann weiter: „Die Bundesmittel für Oberhausen waren und sind stets eine gut angelegte Investition in die Zukunft des Kinofilms.“ Der Staatsminister scheint geistig im Kino gefangen und in Zeiten als man Kurzfilme drehte, um sich "für die große Leinwand zu qualifizieren“. Besser zurück zur äußerst lebendigen Wirklichkeit des Genres und zu gelungenen Präsentationen eines „zeitgenössischen Museums für Kurzfilme“:

Der Film als Buch, das gab es des Öfteren, so im Werk des gelernten Schriftsetzers Jörg Petri, dessen Musikvideo zu „Dot“ von Michael Fakesch auch als überdimensioniertes Daumenkino erhältlich ist. Zum anderen im Rahmen einer „Book Launch Action“ mit Mike Sperlinger, Emily Wardill und Ian White zum Buch „Kinomuseum – Towards An Artist´s Cinema“ mitten im Oberhausener Hauptbahnhof. Bekannt gemacht wurde diese Aktion durch Flyer am Ende der Reihe „Wessen Geschichte“, die mit dem letzten Beitrag auch aufzeigte, wie sich Performance, Museum und Kurzfilm hervorragend ergänzen können: Die Kuratorin Sharon Hayes war nur fernmündlich anwesend und kommentierte die Auswahl in einer spontanen Telefonperformance mit Ian White über die Kinolautsprecher vor, nach und während der Filme, ließ sich auch mit Bekannten im Saal verbinden und fasste schließlich die gemeinsame Botschaft jeder (im Film gezeigten) Protestbewegung wie als Leitlinie für die Kinorevoluzzer des 21. Jahrhunderts am Ende so zusammen: „Now. Now! NOW!“ Es schien fast symptomatisch, dass diese Worte nur noch an die Mitglieder des „Artist´s Cinema“ gerichtet waren. Die “Endkonsumenten” hatten das Kino bereits verlassen.

Fazit? Der Autor war selbst Akteur, als bei der ersten großen Welle des Kinosterbens auch andere Veranstaltungsformen Einzug in die Lichtspielhäuser fanden. Nicht einmal die von der Szene eigentlich verhassten Multiplexe funktionieren im Grunde anders. Gleichzeitig definiert sich die Kurzfilmszene mehr denn je über weltweite Vernetzungen. Umso wichtiger sind Treffpunkte, offene Formen und eine moderne Kulturförderung, die auch in Deutschland endlich nicht mehr in Genregrenzen und auf die Verwertung in veralteten Strukturen hin denkt.