letzte Woche / diese Woche (kw18)

Das war ja mal ein originelles Aprilwetter, oder? In Essen hat es meines Wissens nach nur einmal gehagelt, und es gab auch… keinen Schnee, nicht wahr? Tja. Aber wer will sich da beschweren?! Apropos: Letzte Woche habe ich mich darüber beschwert, dass sich immer so viele Leute beschweren, aber kaum auf der Straße. Und ich habe mich gefragt, ob das eher alles so eine Art virtuelle Protestkultur ist, eine demonstrierte, aber nicht wirklich so gemeinte. Siehe in dem Zusammenhang einen leicht polemischen Kommentar hier.

Das wurde nicht gut verstanden, das von letzter Woche. War auch viel auf einmal. Und bei so einer wöchentlichen Kolumne muss man ja dann auch nicht mehr reinpacken wollen zu meinen müssen – 😉 – als andere zu ihrem täglichen oder stündlichen oder minütlichen Diskurs- oder Informations- und Stromverbrauchsscherflein. Jedenfalls hatte ich über Ostern noch einmal „Dantons Tod“ von Georg Büchner gelesen – was für mich sowohl zum gerne einmal „Revolutionär“ betitelten Jesus passte, aber auch wohl von der Aussage dieses weißrussischen Präsidenten (?) beeinflusst war, der meinte, Demokratie sei die widerlichste Staatsform die es gibt. (Quelle? Weiß ich grad nicht.) Und Sie? Robespierre-Fan? Mit allen Konsequenzen? Danton-Fan? Gar nicht? Jedenfalls rumorte diese Frage von letzter Woche noch in mir herum und ich mochte weder die ungelesenen Capote („The Grass Harp“) noch Dickens („Great Expectations“) anrühren – trotz sommerlichen Wetters. Also ab in eines dieser Bücherkaufhäuser. Na, und da kam dann halt die Originalausgabe von „Brave New World“ auf mich zu. Und jetzt zitiere ich mal viel, denn dieser Totalitarismus-Prophet hat ja schon 1931 bzw. 1946 (im Vorwort zu diesem Buch seines jüngeren Selbst) schon alles gesagt in Bezug auf Brot und Spiele in der modernen Gesellschaft – wogegen er übrigens nie wirklich war. Und er hat sich ja später dann auch einem anderen Thema der letzten Woche, Gesellschaftsveränderung durch Drogen, persönlich zugewandt, zu PID kam er nicht mehr. Also los und ab in die Zeit zwischen den Weltkriegen.

Aus der Einführung von David Bradshaw: In 1928, when the first Five Year Plan was inaugurated in Russia, Huxley had written, “to the Bolshevist idealist, Utopia is indistinguishable from a Ford factory”, but the events of 1931 persuaded him to adopt a different perspective. Huxley asserted that stability was the “primate and the ultimate need” if civilization was to survive the present crisis. (…) As he put it, “It may be that circumstances will compel the humanist to resort to scientific propaganda, just as they may compel the liberal to resort to dictatorship. Any form of order is better than chaos.” In Huxleys eigenen Worten von 1946: It is probable that all the world’s governments will be more or less completely totalitarian even before the harnessing of atomic energy; that they will be totalitarian during and after the harnessing seems almost certain. Only a large scale popular movement towards decentralization and selfhelp can arrest the present tendency towards statism.” Aber Huxley gibt auch Tipps, wie dieser vor allem auf Sicherheit bedachte Totalitarismus all dieser Staaten aussehen müsste: A really efficient totalitarian state would be one in which the all-powerful executive of political bosses and their army of managers control a population of slaves who do not have to be coerced, because they love their servitude. Wie das? The love of servitude cannot be established except as the result of a deep personal revolution in human minds and bodies. To bring about that revolution we require, among others, the following discoveries and inventions. (Jetzt kann ich mal nicht an mich halten und kommentiere ein wenig dazwischen.) First, a greatly improved technique of suggestion – through infant conditioning and, later, with the aid of drugs, such as scopolamine. In meiner Kindheit gab es noch Leute, die – wegen ihren Kindern – keinen Fernseher zuhause hatten. Gute Frage, ob diese als Erwachsene deshalb jetzt keine glücklichen Sklaven sind. Rabeneltern?!?? Second, a fully developed science of human differences, enabling government managers to assign any given individual to his or her proper place in the social and economic hierarchy. Hierzu wie auch zum folgenden möchte ich diese(n) Artikel empfehlen. Third (since reality, however utopian, is something from which people feel the need of taking pretty frequent holidays), a substitute for alcohol and the other narcotics, something at once less harmful and more pleasure-giving than gin or heroin. And fourth (but this would be a long-term project, which would take generations of totalitarian control to bring to a successful conclusion), a foolproof system of eugenics, designed to standardize the human product and so to facilitate the task of the managers. Liebes glückliches Humankapital, schönen Feiertag!

Grafisches Element: Von gold-speculator.com

letzte Woche / diese Woche (kw17)

Liebe iPhone-Mitläufer,

es war Demo-Woche. Gegen Energieriesen, gegen die Rüstungsindustrie. Für ein Recht auf Zukunft vielleicht, womöglich für ein Leben ohne Konsumterror. Bei solchen Veranstaltungen sind dann viele Fahnen zu sehen, meist von deutschen Parteiorganisationen, aber auch ein Tangoverein zum Beispiel hätte sicherlich mitmachen können – hat er aber nicht, wie die meisten. Im Internet wiederum bekennen sich hin und wieder mal Leute zu diesem und jenem, aber das meist anonym. Auf der Straße hingegen: Nahezu Fehlanzeige. Sind letztlich doch alle Geiseln des Systems und wird der Widerspruch nur demonstriert, aber nicht gelebt? Hätten die Menschen mehr Zeit, wäre es dann anders? Müsste es Freibier geben? Mehr zum Anclicken?

Die Rebellenpose ist schon seit langem nur noch okay, wenn sie ausschließlich als sexy gemeint ist und am besten auch noch zu Macht führt. Deshalb sind seit langem bestehende, offenkundig falsche Verhältnisse so unangenehm und werden symbolisch bestraft, aber eben nicht abgewählt oder so etwas. Denn coole Rebellen scheitern ungern, also gibt es das Problem nicht – oder sie werden so ins beständige Scheitern gepresst, dass sie echt schlecht aussehen, auf Demos zum Beispiel, denn diese Art Menschen ist wenigstens noch dabei. Wer Gewinnertyp sein möchte und das vor allem bleiben will, stänkert nur, setzt aber real immer auf die sicheren Pferde – oder macht aus allem so etwas wie Funpunk und Demosport. Gewinnertypen können natürlich auch coole Konsumismus-Modernisierer sein, die von links nach rechts gehend zuerst Orte, Staaten oder Menschen(gruppen) destabilisieren, damit dann bestimmte Abhängigkeiten von bestimmten „Stabilisatoren“ entstehen, die im Grunde natürlich das klassische Opium fürs Volk sind. Aber das bringt dann Wachstum und deshalb muss es von diesen Waren halt immer neue geben. Wie sagte gestern eine Nachbarin von mir: „Du kennst mich doch! Anders interessiert mich nicht. Neu muss es sein!“

Dabei gibt es klare Forderungen: „Bundeswehr raus aus den Schulen!“ zum Beispiel. Liebe Kinder, für Erwachsene sieht das in Essen so aus: Ihr geht von der Uni aus in Richtung Einkaufsstadt. Da seht Ihr dann rechts den Weg, der zu ThyssenKrupp führt und direkt daneben die Rotlichtstraße. Wenn Ihr dann dazwischen neben dem Parkhaus durch die Büsche springt, kommt Ihr zu einer Straße, an der das Rekrutierungsbüro der Bundeswehr liegt, genau auf der Rückseite der Agentur für Arbeit. Dann doch lieber von der Uni direkt in die Einkaufsstadt und zu all den Firmen, wo Ihr gesittet arbeiten könnt, oder? Wer gar nicht erst zur Universität gehen wird und diese Stadtarchitektur nicht zu sehen bekommt, wird natürlich schon in der Schule mit der Möglichkeit vertraut gemacht, ja auch an die Front gehen zu können. Das ermöglicht dann doch den Weg ins Rotlichtviertel, aber als Kunde, und ebenso auch den zu all den tollen Waren in den glitzernden Kaufhäusern. Nicht für den Konsum arbeiten geht nicht, entweder macht Ihr das hier oder halt mit der Waffe in der Hand in anderen Ländern. Damit die auch so werden. Das, liebe Kinder, will Euch diese Stadt erzählen.

„Kein Land darf Testgebiet für Waffen sein!“ Und natürlich auch kein Testgebiet für Drogen aller Art, inklusive technischer Neuerungen. Bitte die Reihenfolge beachten: Erst kam Facebook, dann die Drohnen. Später Konsumgüter. Anfixen, warten lassen, Überlegenheit demonstrieren, warten lassen. Substitute und Lifestyle rankarren. Warten lassen. Nächste Generation im Anmarsch? Härteren Stoff rankarren. Permanent nur warten lassen. Oder wie ein Bekannter sagte, dem ich eine Mischung aus Junkie- und Co-Abhängigen-Logik vorwarf: „Ey, wir leben nunmal in einer Drogengesellschaft!“ Klang exportfähig. Ich jedenfalls kann in viele Läden in Essen derzeit nicht gehen, weil ich mich nicht einem oder zwei gewissen Drogengebahren anpassen mag. Mangelnde Ignoranzkompetenz bestimmt.

„Möglichst schneller Atomausstieg und Ächtung von Nuklearwaffen!“ Dass seit einiger Zeit manche Menschen ihre Zeitgenossen als Freiwild betrachten, mit denen alles gemacht werden darf, weil diese ja – zumindest ab einem gewissen Alter – aber auch alles immer ganz freiwillig tun, daran scheint sich die jüngste Generation schon fast gewöhnt zu haben. Aber der Spielplatz kennt anscheinend keine Grenzen. Denn auch die Zukunft wird von manchen einfach immer weiter eingeschränkt, Prozesse angestoßen, die dann später mal jemand anders klären soll oder auch nicht. Mehr Laissez-faire-Darwinismus geht kaum, außer bei der Gentechnologie und PID vielleicht noch. Im „Kleinen“ werden ebenso kaltschnäuzig Diktatoren installiert, die spätere Politgenerationen dann beseitigen müssen. Als würden die Väter sagen: „Jungens, ich hab Euch da mal ein bisschen was ins Nest gelegt. Ihr werdet sehen, Ihr müsst Euch auch die Finger schmutzig machen.“ In Atommüll gedacht: „Ach, schießen wir Erdlinge das irgendwann halt auf den Mars, ich seh da seit Jahren nicht, dass da jemand ist.“

Man könnte sich also ganz schön schämen als Erdling. Ach was, besser davon ausgehen, dass der Mensch schon immer so war und überall so ist. Und wer nicht so ist, ist halt krank oder so, ne? Auf gar keinen Fall darf jemand anders sein! Und wenn doch: Sofort infiltrieren, kolonialisieren, gar nicht einmal töten, besser: herabwürdigen. Niemand lache unserer Unkultur ins Gesicht! Alle müssen so sein wie wir, oder Diener, Zulieferer, Neger halt. Dirnen vielleicht noch. Aber es gibt keine andere Würde, erst recht keine höhere als die unsere! Wer das behauptet, widerspricht der Geschichte, der Evolution, der zu uns führenden Vergangenheit und der sich immer wieder selbst bestätigenden Gegenwart. Und die Zukunft belasten wir auch mit unserem Müll, auf dass diese unsere Lebensart federführend bleibt in Ewigkeit. So sieht’s aus, Neger! Jetzt vielleicht das Goldkettchen, den heißen Schlitten, das Crack und die angespitzte Schickse da vorne? Und alle so: Jau, da mag ich mich dann gleich viel besser leiden! And the colored girls go: “Frohes Fest!”

Logo: Friedensbündnis-ka.de
Fotos (feat. ua. die 13th Floor Elevators): Jens Kobler

letzte Woche / diese Woche (kw16)

Letzte Woche schien es einmal Zeit zu sein für ein wenig Festivalplanung. Ich war nie wirklich ein Fan von Festivals. Einerseits geht dort immer alles noch mehr in der Masse unter als eh schon, zweitens mag ich eigentlich nicht mehr allzu viele kaputte Leute auf einem Haufen sehen. Man fügt sich ja schon oft genug in irgendwelche Schicksale.

Jetzt habe ich mir echt mal für einen Fünfer die „All Saints – The Instrumentals 1977-1999“ von David Bowie gekauft, und beim letzten Stück „Some Are (The Low Symphony)“ mit Eno und Glass, also Orchester etc., ist ein Kratzer drauf. Ärgerlich. Aber wie wäre es denn mal mit so etwas in der Art? Als ehemaliger Festival-Macher beklage ich mich tatsächlich häufig über die LineUps. Warum nicht mal mehr Charaktere (!) bei so etwas zu finden sind! Julian Cope bei Traumzeit. Annie Gosfield bei Moers. Warum verflixt noch einmal nicht?
< Stattdessen werden die Leute immer so unglaublich in Ruhe gelassen. Nichts gegen Muße, und Cluster bei Juicy Beats wäre ja auch einmal schön. Aber diese Sorte Festival definiert sich ja wiederum immer dadurch, dass Leute in den 40ern und 50ern was machen wollen, was irgendwelche Konsum orientierten Jungmenschen total spaßig finden sollen. Ich schreib mal lieber direkt was ich mag von ein paar Festivals dieses Jahres, sonst wird das hier wieder so mopperig. Oh, das dauert jetzt ein bisschen. *g Also, es ist schon schön, dass The Dorf bei Moers am Sonntag spielen. Aber Mutter bei Melt! ? Abstrus! Bei Primavera in Barcelona hingegen gibt es Pulp, PJ Harvey, die ollen Neubauten, John Cale, Animal Collective und die Flaming Lips, zum Beispiel. Tja. Deutschland kann anscheinend nur Kindergarten oder Rentner, mit Legenden hat man’s nur, wenn sie nicht viel zu sagen haben. Moment, positive News: Adicts, Damned und Misfits als Dreieinigkeit beim Ruhrpott Rodeo kann man witzig finden. Irgendwie ist mir das alles zu vorhersehbar. Hier ( http://www.youtube.com/watch?v=mvIV4GrEiDc – sorry, der direkte Link klappt nicht) mal was Schönes, über das ich gestern gestolpert bin. 40 Jahre elektroakustische Musik bei Folkwang. Hat außer mir auch mal wieder kaum jemanden interessiert. Die Leute sind alle nicht busy, die Leute sind alle ganz schön fragmentiert. Schöne Arbeitswoche!

Fotoreihe „Sonntagabend, Fensterblick“: Jens Kobler

letzte Woche / diese Woche (kw15)

„Sei billig und rede darüber!“ – neuer Slogan für Energiekonzerne und Telekommunikationsanbieter

Nachdem in letzter Zeit verstärkt zu beobachten war, welch eine merkwürdige Verbindung Journalismus und Politik eingegangen sind, habe ich einmal mehr mein Glück gepriesen, keinen dieser beiden Berufswege 100%ig eingeschlagen zu haben. Man wird ja auch so schon genug die Person, die man früher nie besonders mochte.

Ändern Politiker oder Parteien mal ihre Linie oder ist die Logik ihrer Verlautbarungen mal nicht stringent in ihrer Vereinfachung für die Schnellschuss-Meinungsbildner in der Bevölkerung, schreit der journalistische Schreibtischhengst „Verrrbottten!!!“ Erzählen aber alle immer denselben Quatsch und gibt es permanent – am besten täglich – eine wohl angemessene Dosis an Realitätsumdeutung für die vierte Macht im Staate in die Äther zu streuen, dann fühlt sich der Verlagscharge froh und sicher in seiner Rolle. Und: Die Blätter, die Volksparteien, bestimmten Traditionslinien etc. zugeneigt sind, haben das Recht der Unkritisierbarkeit einzelner Angestellter auf ihrer Seite. Kritisieren Sie mal z.B. Hans-Ulrich Jörges in einer dieser Talkshows! Das geht ja gar nicht, das ist ja als hätten Sie die Meinungsfreiheit an sich angegriffen! Dabei schreibt der doch auch nur so, wie es seinen Scheffen gefällt. Ich mein: Wenn Sie Bäcker sind oder Designer, dann setzen Sie doch auch um, was Ihnen mal in den Kopf getrichtert

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letzte Woche / diese Woche (kw14)

Im Stadtpark roch es nach verbranntem Fleisch, ein paar Meter weiter entfernte ein RWE-Angestellter Demo-Aufkleber vom Konzerngebäude. Für eine Party am Vortag im Haus gegenüber (Reggae!) war mit dem Slogan „Tanz gegen die Atomkraft“ geworben worden. Riecht nach einem dieser Kultursommer in Essen.

Als ich wiederum zum Soundcheck von Iso Rivolta im EMO auflief, spielte die Band gerade „Kerosene“ von Big Black. Beim Konzert selbst dann aber nicht. Support war einmal mehr Rudy Radu, der tatsächlich stetig besser wird. Iso Rivolta übrigens auch. Ritalin Ray machen jung und wild eher im klassischen Songwriter-Rockgewand, Interview später hier, ein Video hier, das Konzert im Subrosa war sehr kurzweilig.

Zwischen den Konzerten sprachen Jürgen Trittin und drei andere Mitmenschen im Saalbau über le Ausstieg. „Man muss den Menschen realistische Ausstiegsszenarien darlegen“ war die Devise. Zwei Tage später sollte mir dann auf der Rüttenscheider ein Bekannter sagen, man könne ja richtig stolz sein auf die Deutschen, dass die als einzige ernst machen wollen mit le Ausstieg. Als ich gen Park ging, rief er mir noch „Alles Gute!“ nach. Eigentlich hatte ich für den Abend Ebermann/Trampert im Druckluft eine Chance geben wollen, mir ihre Sichtweise von „20 Jahre deutsche Einheit“ darzulegen, aber es gibt ja noch andere Themen auf der Welt.

Wasserknappheit zum Beispiel. Dazu soll an dieser Stelle schon einmal auf diese (bitte etwas scrollen, gemeint ist die am 8. Septemeber) weit in der Zukunft liegende Veranstaltung hingewiesen werden. Kommenden Dienstag hingegen fragt sich eine weitere dieser Podiumsdiskussionsrunden „Ist Essen eine Messe wert?“ Einem Kollegen erklärte ich meine Auffassung des Themas letzte Woche so: Die Messe ist das S21 von Rüttenscheid. Gerade Familien befürchten durch Reduzierung des Grugaparks Lebensqualitätseinbußen. Andere (Familien) halten dagegen, dass eine Stadt ohne Messe für alle Bürgerinnen und Bürger einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard bedeuten würde.

Einen „Schreib doch drüber“-Auftrag habe ich zu diesem Thema bislang nicht bekommen. Es ist eh verstärkt zu bemerken, dass zum Beispiel Dortmunder jetzt wieder gar wenig an Essen denken und sich in punkto Themen und Geldfluss alle im Ruhrgebiet geistig wieder mehr innerhalb ihrer Stadtmauern aufhalten. Aber die Dortmunder sind eh die Franzosen des Ruhrgebietes. Kommen alle irgendwie vom Land und spinnen ein bisschen.

War noch was außer April in Bestform? Auf der Weltbühne und hierzulande läuft ja alles weiter wie gedacht, wenn auch nicht gerade zur allgemeinen Zufriedenheit. Das in der letzten Woche hier angesprochene Svevo-Buch ist übrigens wirklich vorzüglich zu lesen, und ich empfehle auch Twin Sister, vor allem „All around and away we go“, sowie die Seiten daytrotter, stereogum und my spoonful, wenn Sie selber mal ein wenig Legales und Frisches an Musik aus den Staaten suchen wollen. Immer dieser Vorkau durch die Medien – haben Sie doch gar nicht nötig! Schönen Sonntag!

Reisefotos: Jens Kobler

letzte Woche / diese Woche (kw13)

„You need hands to show the world you’re happy“ – Malcolm McLaren

Erinnern Sie sich? England und Frankreich sind im Krieg mit Libyen, letzterer Staat durch die Anerkennung der Rebellen-Regierung für sein eigenes Verständnis aber nicht wirklich, sondern nur mit der Gaddafi-Fraktion. Das sieht der Rest der Welt wiederum anders. In diesem Zusammenhang ein Gruß an die Türkei: Ehrenwerter Versuch! Die „Welt“, also die UN, hatte die Einrichtung einer Flugverbotszone erwirkt, die nun die NATO durchsetzen soll. England ist aber auch in der NATO. Schießen die dann auf ihre eigenen Flugzeuge, wenn diese jenseits des UN-Mandats operieren? Kaum. Müsste also nicht jemand anders als die NATO das Flugverbot überwachen? Oder gilt für die Franzosen und Engländer als fröhliche Anarchisten mit kolonialer „Zuständigkeit“ eine Sonderregelung?

Leider habe ich es letzte Woche verpasst, diese Frage mit meinen Bekannten englischen oder französischen Migrationshintergrundes zu diskutieren. Stattdessen war ich endlich einmal in der Essener Proust Buchhandlung und habe mir „Zenos Gewissen“ von Italo Svevo gekauft. Lag da rum. Kritiken und Texte auf Buchrücken versuchen ja immer zu erzählen, wie man etwas zu lesen hat – auch deshalb lese ich solche Empfehlungen am ehesten entweder nach der Lektüre oder nur dann, wenn ich das Buch eh nicht lesen, den Film nicht schauen, das Album nicht hören will. Diesmal aber fühlte ich mich sicher in meiner Herangehensweise an das Buch, las den Buchrücken und musste lächeln: „Italo Svevo“ heißt tatsächlich „der italienische Schwabe“. Weitere gute Sätze: „Eine grandiose Parodie auf die Psychoanalyse, noch bevor sie überhaupt populär wurde.“ „Der Spiegel: Eine grandiose Beichte“. Haha.

Im Grunde gilt aber natürlich: Weder Spiegel noch Bild, und die anderen auch erst, nachdem man sozusagen das Buch der Geschehnisse selbst gelesen hat. Eine Kommentatorin der Süddeutschen meinte gar, die Staaten der Welt hätten zuerst „die Herzen über den Zaun geworfen“, um dann quasi bewaffnet hinterherzuspringen. Deutsche Kriegslyrik, da ist sie wieder, zum Glück bislang nur im Dienste zweier anderer europäischer Staaten. Oh, ich vergaß: Selbstredend auch im Dienste potentieller grüner Außenminister und Rechts-Sozen wie Siggi G. von und zu Seeheim. (Als Nahles rüberkam wie von Gaddafi geduzt, das war auch schön.) Und Joseph Fischer raunzt Identifikationsbegriffe wie bei seinem großen Krieg. Sie erinnern sich? Diese spezielle Fortsetzung der Ostpolitik von Willy Brandt, interpretiert á la Rot-Grün im Einheitsrausch.

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letzte Woche / diese Woche (kw12)

In der letzten Woche hat der Netzweltwutbürger mal wieder mehr genervt als so manche politische Entscheidung in Deutschland. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.

Der Netzweltwutbürger arbeitet sich nämlich immer an konkreten Personen ab: Der Verteidigungsminister. Der Außenminister. Der Premierminister. Und das könnte in manchen Fällen sogar zu interessanten Fragestellungen führen, wenn der Netzweltwutbürger nämlich einmal die Beziehungen zwischen diesen Leuten überdenken und noch etwas Weiteres bedenken würde, was er meist verdrängt, weil er sich sonst nicht selbst inszenieren kann: Politiker wissen vieles früher als der Medienkonsument.

Auf einer ganz netten Geburtstagsparty gestern gab ich zum Beispiel zum Besten, zu Guttenberg (oder jemand anderes) könnte ja dieses Doktortitel-Ding als eine Art Ausstiegsszenario selbst permanent parat gehabt haben. Und dann fiel mir ein: Westerwelle steht für das „Nein“ zum Libyen-Einsatz und zu Guttenberg muss sich weiter mit Afghanistan herumschlagen? Das wäre doch – in einer Parallelwelt sozusagen – eine spannende Vorstellung. Denken Sie doch einmal kurz darüber nach, wenn Sie mögen.

Und weiter: Denn natürlich ist einschlägigen Kreisen bekannt, dass die U.S.A., Frankreich und Großbrittanien schon länger diese National Front for the Salvation of Libya (oder whoever) unterstützen. Pikanter Weise tun dann auch noch die von Al-Qaida so, als seien sie auch auf Seiten der Revolution, Demokratiebewegung, der Rebellen, blabla in Libyen. In Afghanistan also gerüchteweise gegen, in Libyen mit Al-Qaida zusammen operieren? Tja, Stellvertreterkriege haben etwas Merkwürdiges, vor allem wenn permanent verschiedenste Player aufgebaut und dann wieder niedergeknüppelt werden. Und das kommt natürlich dem Couchpotato in ständiger Pogromstimmung entgegen. Panis et circenses. Sweet bird of truth. (Schade, dass F.S.K. in Düsseldorf nicht „Patrona Namibiae“ gespielt haben. Kann ich Ihnen nun leider nicht verlinken. Ist aber auf „Son of Kraut“.)

Die anscheinend von Allmachtphantasien geplagten Netzweltwutbürger fühlen sich also für alles zuständig. Aber zum Glück zählen Taten und nicht Worte. Also verwandeln sich diese Menschen schnell mal in Unterstützer von Kriegsparteien, die vielleicht sogar gegen ihre Interessen operieren. Ob dann in punkto Intervention und Diplomatie, wie so oft, auch mal einer Rollenverteilung „good cop – bad cop“ gemäß operiert werden könnte – was die EU mittlerweile gut unter sich alleine kann – das ist diesen Leuten egal. Sie schämen sich neuerdings vorgeblich lieber, Deutsche zu sein, wenn Deutschland nicht bombt. Bahrain? Elfenbeinküste, etc.? Kann man sich nicht mit produzieren, wie unpopulär! Aber eigentlich müsste man da überall mal für Orrrdnung sorgen, mit der neuen Berufsarmee, denn dafür ist die ja da? Da geht im Kopf einiges schief.

Zählt man dies und jenes zusammen und nimmt die Tatsache hinzu, dass natürlich auch mit Libyen Diplomatie betrieben wurde in den letzten Tagen, dann sollten m.E. sogar Zweifel bestehen, ob das ganze Waffengeklirre überhaupt so eindeutig in zwei klare Kriegsparteien aufzuteilen ist. Aber auch das ist den Pogromfreunden egal. Sie wollen ihre Söhne, Töchter und Nachbarn anscheinend vor allem im Krieg sehen. With a hard-on for war.

Welcher Rassismus (als Post-Kolonialismus) darin immer noch steckt, diese „Primitiven da unten“ vor allem als Rohstofflieferanten zu betrachten, die erst einmal „unser Niveau“ erreichen sollen! Und erst wenn „die da unten“ dann mal ihren Berlusconis und Sarkozys und Obamas und Westerwellemerkelgabrielkünastgysis so glauben, wie es der Netzweltwutbürger tut, erst dann sind sie demokratiefähig, ne? Und so schützt man auch Israel am besten? Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich auf einen Sommer, in dem ich mich nicht ansatzweise als Kriegspartei fühlen muss. Wer das lieber anders hat, bitteschön. Sie sichern ja nur klug argumentierend und mit ein wenig Verve den zukünftigen Lebensstandard in Europa und wählen ja auch an der Tankstelle immer die richtige Sorte, ne? Danke, ich komme auch gut zu Fuß klar, mir wird es schon nicht schlechter gehen. Schönen Sonntag!

Reisefotos: Jens Kobler (feat. u.a. F.S.K. im zakk)

letzte Woche / diese Woche (kw11)

„Les gens sont fous, les temps sont flous“ – Jacques Dutronc

„Grabbed you by the guilded beams – uh, that’s what tradition means“ – Morrissey

Letzte Woche war zu lesen, dass die Zielgruppe dieser Seite hier großteils aus allein stehenden Männern um die 50, die wohl auch noch an ihren Arbeitsplätzen sitzen, besteht. Kein Wunder, dass meine Quote nicht stimmt! Da bin ich dann mal ganz tief in mich gegangen und habe überlegt, was ich dieser Art Menschen, und dann noch aus dem Ruhrgebiet, zu lesen geben könnte. Das war keine schöne Zeit.

Zudem bin ich in der Hauptstadt dieses Staates hier letztens noch für einen Hamburger gehalten worden! Also, klar, das kennt man auch von hier: Relativ gut gelaunte Leute kommen irgendwo rein und benehmen sich eben nicht so in der mittlerweile typisch unzufrieden-großspurigen Art der Immer-noch-gottweißwie-Privilegierten-mit-(bestimmt genetisch bedingter)Verlustangst – und schon fragen die Eingeborenen: „Wo kommt Ihr denn her?“ oder einfach „Hamburg, ne?“. Auf ersteres antwortet man wahrheitsgemäß und muss dann mit Fußballvereinen prahlen, die einem total egal sind. Auf zweitereres erwidert man einfach „Nein.“ Und bekommt noch ein ungefragtes „Wegen dem Akzent!“ als Zugabe.

Später am Wochenende habe ich mir dann noch von einer Wienerin mit Sitz Berlin angehört, wie großkotzig und weltfremd sich Bands von der Ruhr andernorts benehmen – und ich erwiderte, dass ich ja gerne einen Film über Festland in Mexico drehen würde, aber dass das Goethe Institut das genau nun wohl eben nicht finanzieren wird. Aber 22 Agenten aus Libyen rausholen, das können diese Leute. Oder waren das wieder nur Menschenrechtler, christliche Missionare oder gar Journalisten? Künstler vielleicht? Gut, dass da die Identitäten immer so eindeutig sind!

Apropos eindeutige Identitäten: Nachdem ja ein crossgender-Linksparteimitglied aus Mülheim nicht nur letztes Jahr von sich reden machte, erklären uns jetzt die body politics eines Menschen aus Baden-Württemberg mal Teile der deutschen Nachkriegsgeschichte in ganz kurz, aber deutlich: Horst Strub war Mitglied (räusper) der NPD, nahm dann die Operation vor, und nun ist Monika Strub in der Linkspartei. „Ich habe mit der NPD vollständig gebrochen“, sagte Strub, „ich bin eine aufrichtige Sozialistin.“ Warum macht sich nicht mal ne volllinke Frau zu nem vollrechten deutschen Mann? Macht die Welt nicht einfacher? Hm. Jedenfalls: Wenn sich so die Bälle zwischen den „Extremen“, äh „unvereinbaren Gegensätzen“ zugespielt werden, dann ist das hier wirklich eine Musterdemokratie! Dialektik, die rockt! Müssen wir da noch „Wer wenn nicht wir“ (RAF und so) gucken, wo Sex, Crime, Rebellion und Faschismus sich noch schön experimentell zwischen mehreren Körpern abgespielt haben? Vielleicht. Der sexy deutsche Bürgerkrieg da im 20. Jahrhundert, ne? Wir erinnern uns vage. Gab ja auch noch ein Revival dazu nach 1989. (Warum heißt der Film eigentlich nicht „Bitte alle, nur nicht Ihr!“? Ah, Dialektik, ne?) Der Kino-Tipp der Woche sei aber doch eher „Der Plan“ nach „Adjustment Team“ von Philip K. Dick. Bitte im Original gucken!

Erinnert zusammen genommen so manch gebildeten Ruhrgebietsbürger vielleicht an Langhans bei Maischberger und wie er ernsthaft behauptete, das Internet wäre quasi ein Katalysator für eine neue Stufe des Menschseins. Kein Internet? Kein Mensch! Aber diese Sorte ständig flüssiger Typen braucht ja immer eine klare harte Währung und ganz viel „Volkskörper“, das haben sie sich bei ihren Eltern abgeschaut.* Müsste etwa in Ihrem Alter sein, dieser Typ, oder? Grüße an die Familie! So, und jetzt aber wieder Energiepolitik machen, ne? Intervenieren! Intervenieren! Weg vom Schreibtisch!

Reisefotos: Jens Kobler (feat. u.a. Harrison Ford in „Blade Runner“)

*In dieser Sendung über Sex, Geld, Macht und Berlusconi fehlte denn natürlich auch der extrem nahe liegende Bezug zu den neo-patriarchalen Studentenkasten (nicht nur) im Italien der Sechziger – wie es u.a. in dem (mittelmäßigen und an Tabuzonen immer noch reichen) „Rebellion und Wahn“ von Peter Schneider ansatzweise nachzulesen ist. Stattdessen gab es mal wieder „Körperarbeiterinnen“ als Heldinnen des Pazifismus. Genau: F*** den Mussolini Jr.! Bzw. in Deutschland lieber „Fickt das System“. (Frank Spilker von Die Sterne: Westfale. Dann Hamburg. Dann auch mal Berlin.)

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letzte Woche / diese Woche (kw10)

„Turning journalists into heroes takes some doing –
turning little liars into heroes, that’s what they’ve always done“

„Empire of the Senseless“ – Mekons

Ts, diese „Wir halten zur Opposition“-Propaganda hält echt unverdrossen an und nervt mit albernen Formulierungen: „Schüsse in Tripolis auf angeblicher Siegesfeier“ z.B. Ist da nun eine oder ist da keine Feier? Und wenn nicht, wo waren die Schüsse dann? Naja, Hauptsache Schüsse, und auf keinen Fall Sieg. Und natürlich glauben wir gern, was da über so etwas gesagt wird, zumindest offiziell. (Und genau das ist nämlich Spießertum, egal welche coolen Hobbies mensch hat.)

„Bizarre Interviews“ waren auch toll in letzter Zeit. „Bizarr“ = „Hat mit Ihrer Wirklichkeit, wie Sie sie zu leben haben, nichts zu tun!“ Na jut.
Icke liesch jedenfalls hier im Wedding in der Sonne und musste gestern über Schwaben diskutieren. Irgendwie landen da sukzessive ein paar Bekannte, während die Schwaben-Schmäh in Ultra-Preußen sogar die Macher der zitty zur Frage treibt: Sind da wirklich so viel Angsthasen und Schwaben auf dem Prenzlberg? Und das geht ja gut zusammen, wie man seit „Die sieben Schwaben“ der Gebrüder Grimm (hoffentlich) weiß.

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letzte Woche / diese Woche (kw9)

Letzte Woche und auch davor hatte ich außergewöhnlich viel mit Live-Musik zu tun. Am meisten gefreut hat mich eigentlich aber, dass die Mekons ihren Kinofilm bekommen. Natürlich gibt es kaum Orte im Ruhrgebiet, wo so etwas öffentlich gezeigt würde. Konzerte? Gab es mehrere.

Nach dem Konzert von Volvopenta im Kino des JZE bekam ich dankenswerter Weise das Album der Cherrypops zugesteckt – und eine Split-Single von Volvopenta, auf der sie Take That covern, zum Auflegen beizeiten.

Na, und The Dorf haben jetzt auch das zweite Album draußen, aber irgendwie war ich dann nicht beim Releasekonzert im domicil.

Dafür war gestern dann Vorstellung einer Kreator-Biografie im Banditen Wie Wir, Interview dazu hier. Michael von Die Zelten war auch da, die wiederum hatte ich im Stadtkind gesehen vor zwei Wochen.

F.S.K. haben leider nur exakt elf Lieder gespielt im zakk, Die Goldenen Zitronen eigentlich nur eins (ICE Berthold Brecht), der Rest war Kindergeburtstag.

Na, und die neuen Alben von Dangerboy und Freakatronic gibt es ja schon länger, und Festland bringen jetzt Remixe auf mild pitch raus. Das alles nur zu den Band-Veröffentlichungen aus Essen hierjetzt mal.

Am Mittwoch lege ich dann noch zusammen mit dem verdienstvollen Herrn Marque Beutel ein paar Platten im Madame Chocolat auf, und dann geht es ein paar Tage nach Berlin. Können Sie sich dann die Woche mal ein bisschen um die Musiker in Essen und so kümmern? (Ah, kleiner Aufruf: Das ist ne Vinyl-Show. Und ich will u.a. folgende Stücke auflegen, hab sie aber leider nur in anderen Formaten. Kann die folgenden mal jemand mitbringen, bitte? „The Magnificent Seven“, The Clash. „Orgone Accumulator“, Hawkwind. „Da draußen“, Die Regierung.) Danke!

Foto geklaut von Jens Kobler von der Mekons-Film HP.