Inseln im Konsum: Künstler im Gespräch zum Ruhr-Atoll 2010

Schlagzeilen um das Projekt auf dem Baldeneysee, das heute eröffnet wird. Aus 20 Projekten wurden viereinhalb, vermodernde Äpfel mit Ölrand schmecken dem RWE nicht und das Wetter ist auch nur 20 Grad besser als bei der Eröffnungsparty zur Kulturhauptstadt. Kurz: Alle reden über Geld und Politik und vermeiden so die Auseinandersetzung mit der Kunst. Das Gespräch mit Norbert Bauer, dem Kopf hinter dem Ruhr-Atoll und auf dem oberen Foto links, ist hier, die Künstler sprechen hier:

Jens Kobler (auch obere Fotos) ? : Im Laufe der Zeit wurden ja einige Ursprungskonzepte sowohl im Rahmen des Gesamtprojektes als auch die einzelner Inseln verändert. Über Ihre Arbeit, den „Iceberg“, hatte ich noch von der Pressekonferenz im letzten Jahr in Erinnerung, es sollten Originaltöne aus einem Labor im Südpol zu hören sein. Wie sieht es Mitte Mai 2010 aus?

Andreas Kaiser (2.v.l. auf der Kabakov-Insel): Die Idee hat sich verändert. Am Anfang war die Idee des Eisbergs mit dem Forscher- oder auch Künstlerzelt obendrauf. Und das ist ja auch eine Metapher: Dieser Eisberg mit dem Zelt, und da kommen Geräusche heraus. Es kam als Nächstes die Idee, das wissenschaftlich zu fundieren, mit einem Forscher oder Wissenschaftler zusammen zu arbeiten. So traf ich Lars Kindermann und kam auf ein Forscherlabor mit abrufbaren Daten. Aber das hat sich dann immer weiter abstrahiert, weil ich dieses typische Bild des Forschers nicht bedienen wollte. Wir alle haben dieses Bild von einem total chaotischen Labor und einem Wissenschaftler, der leicht neben der Spur ist. Und das Labor sah auch bei einem ersten Besuch bei Lars Kindermann so aus, weil da gerade ein Paket aus der Antarktis angekommen war, das er untersuchen musste. Aber beim zweiten Besuch war es dann gar nicht so, sondern sehr aufgeräumt und ordentlich. Also fragte ich mich, welche Bilder ich da eigentich transportieren will; und wir haben dann bald gesagt, dass wir reduzieren und abstrahieren. Daher gibt es im Inneren des Eisberges jetzt Bilder, die man abrufen kann. Dabei geht es darum, was der Mensch benutzt oder tut, um Natur nachzubilden, um die Datenströme im Sinne von Sound und um die anschließende Datenspeicherung, also die Frage, wie wir die Natur als Daten aufbewahren und verwerten.

?: Das erinnert mich an die Field Recordings aus der Antarktis von Chris Watson, die ich letztens einmal gehört habe: Sich verschiebende Eisplatten und Ähnliches. Wie klingt so etwas denn für einen Physiker bzw. habe ich mir nun vorzustellen, dass Sie hier beim Ruhr-Atoll nur an Statik und so etwas denken oder wie vertragen sich bei Ihnen Kunst, Ästhetik und Wissenschaft?

Lars Kindermann (l.): Ich hatte nach einiger Zeit halt auch Bilder im Kopf und erzählte dann auch Andreas Kaiser von meinen eigenen, recht abstrusen Ideen. Einiges davon ist vielleicht umgesetzt worden, manches war vielleicht zu abstrus. (lacht) In meiner Arbeit begegnen mir aber tatsächlich viele Dinge, insbesondere Töne, von denen kein Mensch weiß, was sie bedeuten. Ich sitze also den ganzen Tag in meinem Labor und höre im Hintergrund Geräusche aus dem Antarktischen Ozean. Und dabei entstehen einfach Bilder im Kopf, und das ist für meine Arbeit genau der Teil, den ich eben nicht einfach ausrechnen kann. Das ist vielleicht das Ziel, dass ich das irgendwann kann, also einen Algorithmus schaffe, der jedem dieser Klänge etwas zuordnet. Aber bis dahin ist immer noch die Imagination gefordert, und das ist doch sehr, sehr nahe an einer künstlerischen Tätigkeit.

?: Herr Katase, Herr Wilkens. In der hierzulande dominierenden Kultur wird ihrer Insel, dem „Teehaus“ (Grafik: Ruhr2010), ja quasi als Nachteil ausgelegt, dass es nicht begehbar, nicht kurzzeitig in Besitz zu nehmen ist. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht nur Ihren Vorstellungen von Eigentum, sondern auch von Kontemplation widerspricht.

Kazuo Katase atmet auf: Ja, danke.

Michael Wilkens: In Venedig zum Beispiel gibt es wunderschöne Gärten, die auch nicht zu betreten sind, was dann vielleicht neidisch macht, aber auch inspiriert. Man kann das dann in Phantasie genießen, und darum geht es bei dem Teehaus sehr stark. Wenn das alles so in Besitz genommen werden könnte, so á la „Komm, lass uns da mal ne Party machen!“, dann verliert etwas diesen Reiz, dieses Reizen der Phantasie.

Kazuo Katase: Das Ganze ist ja auch ein Entwurf, ein Bild. Jeder und jede möchte dieses und jenes, aber es ist nicht erlaubt, nicht gewollt, man ist manchmal nicht privilegiert, dieses oder jenes zu haben. Als Künstler oder Architekt hat man aber die Chance, diese Möglichkeiten zu realisieren oder auch einfach nur darzustellen. Dabei geht es eben nicht automatisch darum, etwas konsumfähig zu machen, sondern eher darum, Realität und Phantasie gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, auf eine Ebene. Wir haben diese Insel etwas versperrt und gesagt: „Stop. Vorsicht, bitte.“ Und ich denke, das ist notwendig, weil heutzutage so unglaublich vieles anzutatschen und umzulaufen ist, mit der Begründung, genau das sei nun eine freie Gesellschaft, eine Demokratie oder was weiß ich.

?: Kunst im öffentlichen Raum oder auch Architektur ist ja im Grunde eben nicht immer grundsätzlich begehbar oder benutzbar. Es gibt also auch im Alltag hier sehr viele Formen dieser anderen Form von Interaktivität, die eben nicht auf Betreten, Benutzen, symbolische Inanspruchnahme beruht, sondern auch mit Tabus und Phantasien arbeitet. Gleichzeitig werden über die Medien zusätzliche Begehrlichkeiten geweckt, und so weiter. In Bezug auf Ihr Werk gab es doch sicherlich Versuche, es der üblichen Verfügbarkeit zuzuführen?

Kazuo Katase: Darüber haben wir diskutiert, schon weil uns tatsächlich einige Angebote bezüglich unserer Insel gemacht wurden. Letztlich haben wir gesetzlich verfügen lassen, dass das Teehaus eben nicht auf diese Art benutzt werden kann. Und das hat auch Geld gekostet. Jemand wollte dort Tai-Chi spielen oder Yoga – genau das wollte ich nicht. Nicht diese Beliebigkeit,sondern ein bisschen etwas von einem Ideal.

Ab heute: Ruhr-Atoll 2010 auf dem Essener Baldeneysee.

3 FÜR 7 – Drei Veranstaltungen der Woche

Kulturhauptstadt demnächst mit Ministerpräsidentin? Müssen dann alle Kataloge und so neu gedruckt werden? Und all die Terminabstimmungen!! Diesmal: Drei Bands im zakk, drei Monate Ungarn in Dortmund und sieben Stücke in Mülheim.

– Ganz schlimmer Legendenabend in Düsseldorf. Punk und so. Nichts wurde von Michael Clauss vom KFC quasi als New Wave Kapelle gegründet (und war natürlich viel zu neudeutschwellig, um an The Raincoats, Au Pairs oder The Slits – Gruß an Malcolm – heranzureichen). Jetzt also großes Hallo und Ratinger Hof Wiederbelebung zum gefühlten neunten Mal in den letzten Jahren, natürlich wegen eines anstehenden neuen Albums. Mit einem von den Hosen und einem von den Godfathers sowie einer neuen Sängerin aus dem äh engen Bandumfeld. Dazu im zakk tatsächlich die Bollock Brothers und Band zum Buch, wo tatsächlich-aber-auch-noch-einmal Peter Hein und Pyrolator mitspielen.

Ganz langer Kulturaustausch in Dortmund. Unter dem U wird es mal voll, während es drinnen noch hapert: Am Freitag und Samstag sorgt die Audiodigitale für das niedrigschwellige Party-Angebot, anderes von „scene ungarn in nrw“ ist auch gut. So z.B. am Freitag kurz vorher die Eröffnung von „Agents & Provocateurs“. Das ganze Programm hier.

Deutschsprachige Gegenwartsdramatik in Mülheim. Wien, Hamburg, Düsseldorf, Dresden, Köln, Berlin und Stuttgart schicken schicke Stücke von u.a. Elfriede Jelinek (Szenenfoto von David Baltzer aus „Die Kontakte des Kaufmanns„), Roland Schimmelpfennig und Dea Loher. Das ganze Programm von „Stücke“ hier.

Nichts, Bollock Brothers, Band zum Buch am Mittwoch.
scene ungarn noch bis in den Juli hinein.
„Stücke“ von Samstag bis zum 3. Juni.

Letztes Update: Im Rathaus zur schönen Aussicht – Die NRW-Wahl live aus Essen

Die Landtagswahl aus der Perspektive des parteipolitischen Machtzentrums der Stadt in der Mitte des Ruhrgebiets. Seit zwanzig Jahren wird hier bereits in einem Pressezentrum für Zahlen, Bilder, Snacks und Getränke gesorgt, wenn Kreuzchen gezählt werden. Heute könnte es noch etwas länger dauern als je zuvor.

22.00 Uhr: Dieses Zugehörigkeitsgefühl zu Parteien muss anscheinend auch etwas Schönes haben: Ganze Scharen von SPDlern verlassen gemeinsam den Sitzungsraum, nachdem klar ist dass ihr Wahlbezirk verloren hat. Andere interessiert eher das große Ganze, auch wenn sie ebenfalls eher Lokalpolitiker sind. Überall finden sich Anknüpfungspunkte, Identifikationsmöglichkeiten. Und durch die Koalitionsmöglichkeiten wiederum wird alles auch noch einmal komplexer als zum Beispiel als Anhänger von Fußballvereinen oder Popgruppen. Nun gut, die Big Band CDU wird jetzt auch mal wieder den Produzenten bzw. Dirigenten wechseln, aber auch das sorgt ja für total spannende Prozesse. Merke: Das ist Demokratie, langweilig wird sie nie!
Apropos: Die kleinen Parteien: In Essen (und bei den Zweitstimmen) bekommt Pro NRW 1,6%, die Piraten 1,3%, die NPD 0,9%, die Tierschutzpartei 0,7%, die Rentner und die Republikaner um die 0,5%. 338 Menschen wählten Die Partei. Punkt 22 Uhr erreicht das Ergebnis des letzten Essener Wahlbezirkes das Pressezentrum, und die Mitarbeiter vom Amt für Statistik machen mal Feierabend und freuen sich, die professionelle Neutralität aufgeben zu dürfen. Es wird also nicht später als sonst, auch gut. Sollen sie doch alle feiern, was auch immer.

21.05 Uhr: Selektive Wahrnehmungen: Bei den Linken zählt anscheinend vor allem der Einzug in den Landtag, eine Beteiligung an der Regierungsmacht scheint für die Basis kaum vorstellbar. Hier herrscht internationales Flair, mit Essen aus dem Iran und der ganz klar emotionalsten Stimmung. Ein älterer SPD-Grande äußert im Rahmen eines Interviews: „Jo, stimmt. Ein bisschen verloren haben wir ja auch.“ Bei den Grünen wird diskutiert, wie wohl die hiesigen KandidatInnen genau abschneiden werden, in der „Raucherlounge“ mit Blick auf die Synagoge und auf den Gängen der Etage der beiden größten Parteien gehen einige Stereotypen verloren: Ein massiger Angetrunkener trägt ein CDU-Shirt labberig aus der Hose und starrt ungläubig auf sein Handy, Sozialdemokraten tragen ihre alten Anzüge wie mit neuem Stolz. Aus Pietätsgründen geht der Reporter bei den Christdemokraten nicht rein.

20.15 Uhr: Bei den Grünen sagt jemand im Laufe der Tagesschau: „Dem Gabriel traue ich ja nicht über den Weg. Das ist so ein kleiner Schröder.“ Hier wird WDR geschaut, bei der Linkspartei erstaunlicherweise ZDF (Nachtrag von 21.00 Uhr: Jetzt dann doch mal WDR.). Die klare Absage unter Frauen von Löhrmann gegen Rüttgers im Rahmen der Sendung ist die erste eindeutige Aussage des Abends. Im Rathaus finden sich immer mehr Gäste ein, mit Siegerinnen und Siegern feiert es sich ja ganz gut. Einige Polit-Besuche finden auch statt, fast nach Hackordnung, also eher mal von links nach grün als von SPD nach links.

19.40 Uhr: Für Essen sieht die Statistik nach ausgezählten 260 von 438 Stimmbezirken knapp 50% der Erststimmen für die SPD, knapp 30% für die CDU. Die Vorstellung, es gebe keine Volksparteien mehr, ist also ein wenig abstrus. Erstaunlich ist auch die klare Zufriedenheit nur aufgrund von Stimmengewinnen, obwohl weder die stärkste Partei noch irgendeine mögliche Koalitionsfrage geklärt ist. In Kreisen der SPD hält man Schwarz-Grün für undenkbar, die Rolle der Linkspartei wird kaum diskutiert. Wie wäre es denn zum Beispiel, wenn ein Ex-WASGler mit Mandat einfach noch einmal überläuft, oder zwei, oder drei? Natürlich nur, wenn es nicht reicht für Rot-Grün. Spannende Idee. Und vielleicht ist das schon immer ein Grund gewesen für diese gewissen Kaderstrukturen bei Die Linke. Eine allzu knappe Mehrheit für Rot-Grün wäre zudem auch nicht wirklich das Wünschenswerteste für eine Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Das wäre doch auch einmal eine nette Option: Keine Koalition, keine Tolerierung, aber die dringende Notwendigkeit, sich doch hier und da mal abzustimmen, nur für den Fall dass ein Parlamentarier mal krank wird oder so. Und der Wählerwille, der Wählerwille: Rüttgers soll doch abgelöst werden, oder? Wie denn jetzt, liebe SPD? Ist das so, liebe Grüne? Genau: Es bleibt spannend.

19.10 Uhr: Vor den Pforten erzählt ein alt gedienter Sozialdemokrat, dass sein Vater in Kraft und Gabriel wieder die SPD wieder erkennen kann, die er in der Person von Schröder (Gerhard, nicht Kristina) irgendwann nicht mehr gesehen hat. Die SPD habe so viele Wählerinnen und Wähler zurück gewonnen. Eine Große Koalition hält der SPDler für sehr unwahrscheinlich, da weder Rüttgers noch Kraft eine entsprechende Rolle zugemutet werden könne. Was er nicht erwähnt: Die Rettung des Abendlandes vor der Linkspartei könnte natürlich auch mit Kraft, aber ohne Rüttgers vonstatten gehen. Bei den Linken (alle Fotos: Jens Kobler) muss selbst ein alter Hase des Essener Politgeschehens eingestehen, dass er mit einer möglichen Rot-Grünen Koalition beim gleichzeitigen, nie wirklich angezweifelten Einzug der Linkspartei in den Landtag, dann doch nicht gerechnet hat. Er fände es gar nicht schlimm, wenn die SPD sich zwischen den Optionen Rot-Rot-Grün und Juniorpartnerin unter der CDU entscheiden müsste. Bei den Grünen kommt einiges an anscheinend lange unterdrückter Animosität gegen Rüttgers zum Vorschein, ansonsten geben sich dort alle eher bescheiden bis abwartend. Noch ist ja leichten Herzens in keine Richtung zu claqeuren. Als im TV gesagt wird, „zur Minute“ gebe es eine Mehrheit für Rot-Grün, ruft jemand im Pressezentrum: „Gut! Ausschalten! Feierabend!“ Die Stimmung im Rathaus ist zu drei Vierteln sehr gut.

18.15 Uhr: Es gibt vier Gruppen von Parteianhängern, die sich im zweithöchsten Rathaus Europas (?) um die Monitore und Leinwände scharen. Die FDP ist nicht da. Bei Linkspartei und Grünen ist kein allzu großes Publikumsaufkommen zu verzeichnen, bei SPD und CDU scharen sich die Anhänger um ihre Gallionsfiguren. Natürlich sind die meisten Kandidatinnen und Kandidaten für den Landtag in Düsseldorf, aber der SPD-OB und andere bekannte Gesichter sind anwesend. Dann die Prognose: Es wird sehr spannend, alle richten sich auf den eh schon erwarteten langen Abend ein. In Essen jedenfalls ist die Wahlbeteiligung um einiges zurück gegangen, das neue Wahlsystem sorgt für zusätzliche Spannung und Ungewissheit. Geglaubt wird überall gerne einiges, aber im Grunde wissen alle: Erst spät am Abend werden die Zahlen sprechen. Gute Laune bei Links und Grün ist natürlich schonmal vorhanden.

Bündnis ’90 adé? Nein, nur auf Halde. – Grüner Wahlkampf in Essen

Donnerstag nachmittag, Essener Innenstadt: (V.l.n.r.) Mehrdad Mostofizadeh, Cem Özdemir, Sylvia Löhrmann und Oliver Keymis stehen auf der Bühne. „Fragen? 3 Tage wach antwortet!“ ist das Motto der Kampagne für die letzten 72 Stunden vor der Wahl in NRW. Zeit, Essentials und Substanz von sowohl Inhalten als auch Positionierungen zu überprüfen.

Inhalte & Stimmung: Das „Bündnis ’90“ fehlt ja im Wahlkampf. Die Grünen geben sich betont westlich, mag fast gesagt werden. Walter Wandke, wie Mostofizadeh einer der Landtagskandidaten der Stadt, erzählt, dass neben den Reclam-artigen Heftchen mit dem Titel „Die Räuber in Schwarz-Gelb“ vor allem die „Rüttgers-Club“-Kampagne gut funktioniere. In ihren Reden sprechen Özdemir und Löhrmann viel vom Green New Deal, beispielhaft von Häuserdämmung, die gleich 100.000 Arbeitsplätze schaffen solle. Es gäbe hierfür Unterstützung von Seiten der Gewerkschaften, des Mittelstandes und der Kommunen. Kinder sollen in Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen erhalten. Atom- und Kohleausstieg. Längeres gemeinsames Lernen auch nach der 4. Klasse. Abschaffung der Studiengebühren. „Dem Schwarz-Gelben Spuk da ein Ende machen, wo er auch begonnen hat.“ Lieber eine 2er-, als eine 3er-Koalition. Özdemir erwähnt zusätzlich noch ein paar Linkspartei-kompatible Punkte extra. Und eine stellvertretende Ministerpräsidentin ist gewünscht, vielleicht gar eine weibliche Doppelspitze. Friedliches Zusammenleben der Kulturen. Mehr Geld für Kindergärten und Pädagogen. Die Steuerentlastungen der Bundesregierung verhindern. Passt all das eigentlich zusammen?

Szenario für nach dem kommenden Sonntag: Es gibt ein 5-Parteien-Parlament. Eine davon wird mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Sollte dies quasi wie aus heiterem Himmel doch Hannelore Kraft sein, muss sie mit den Grünen klären, ob FDP oder Linkspartei dazu geholt werden soll. Die CDU wird nie im Leben Juniorpartner unter Kraft spielen. Oder würde Rüttgers doch soweit gehen, um das Abendland vor der Linkspartei zu retten? Eine zu köstliche Vorstellung. Frage das doch einmal jemand Jürgen Rüttgers in den nächsten Stunden, bitte. Spannend an der Idee einer sehr starken SPD ist natürlich auch, dass es dann für Schwarz-Grün rechnerisch nicht einmal reichen würde. Fall b) also: Rüttgers darf/muss sich Koalitionspartner suchen. Das wäre unangenehm, weil ja im Grunde SPD wie Grüne via Bundesrat die Koalition in Berlin torpedieren wollen. Und das würde die SPD sicher liebend gern als Verhandlungsmasse einbringen bzw. sich mit Macht bundesweit in die Regierungsarbeit einmischen. Da wären die Grünen sicherlich leichter abzuspeisen. Es bleibt also dabei: Schwarz-Grün, Große Koalition oder Rot-Rot-Grün sind die Optionen für NRW, alles andere scheint abwegig. Sind die Grünen also um ihre Position zu beneiden? Keinesfalls.

Beobachtungen/Prognose: Die Berliner Grünen scheinen mit ein wenig Grauen darauf zu schauen, wie wenig sie die Situation in NRW unter Kontrolle haben. Wie sollte man in NRW mit der CDU koalieren und gleichzeitig die Bundesratsmehrheit kippen? Wie sollte Rot-Rot-Grün in NRW mit den Partnern überhaupt zustande kommen, geschweige denn funktionieren? Ist das Personal überhaupt stark genug, um solchen Belastungen standzuhalten? Ist die reine Oppositionsrolle nicht doch die derzeit dankbarste? Wer auch immer gemutmaßt hat (ich auch), dass die NRW-Grünen quasi den Vermittler, den Kitt zwischen rechten Sozialdemokraten und Linkspartei geben könnten, muss eingestehen: Im Grunde erscheint das mit dem aktuellen Personal nahezu aberwitzig; NRW als Experimentierfläche für so ein Projekt stünde unter permanenter Fremdherrschaft aus Berlin. Und der rechte Flügel der SPD wird dann lieber schon vor der Koalitionsbildung nein sagen. All das Gerede von Düsseldorf als Testlauf für Berlin wird sich dennoch nicht in Luft auflösen, es wird nur anders kommen als gedacht: Wie die SPD die 3er-Koalition werden die Grünen die Schwarz-Grüne Option verhindern wollen, und zwar jeweils eher von Berlin aus – und es wird Schwarz-Rot geben. Sorry, harte Zeiten = Große Koalition. Variante: Die SPD holt mehr als die CDU und ist quasi in der Pflicht, eine Ampel oder Rot-Rot-Grün zu bauen. Dann könnte sich theoretisch der Flügel um Gabriel und Nahles tatsächlich durchsetzen. Und es ginge gar nicht mal um „Kraftilanti“, de fakto hinge das Wohl und Wehe von Gabriel und Nahles von Düsseldorf ab. Auch Özdemir wird inzwischen gedämmert sein: Rot-Rot-Grün für NRW will niemand in der SPD. Genauso wenig wie die Grünen in Berlin Schwarz-Grün für NRW.

Und so wird es kommen: Die Landesverbände proben den Aufstand gegen Hauptstadt und innerparteilichen Mainstream, aber irgendwie scheitern die Verhandlungen mit Beteiligung der kleineren Parteien, auch weil niemand die Grünen zur CDU lassen will. Die sogenannten Volksparteien raufen sich abermals zusammen, die CDU rächt sich nebenbei ein wenig an der FDP, und die fast schon vergessene Steinbrück/Steinmeier-SPD geht ihren bitteren Weg weiter: in eine Große Koalition unter Rüttgers. Wer glaubt, dagegen einfach mal Kraft, Grün oder Linkspartei wählen zu können, wird Pech haben. Aber es könnte Sinn machen, die sogenannten „Volksparteien“ vorher noch zu schwächen, wo es eben geht. Dies ist eine Wahlempfehlung gegen CDU und SPD.

Und das wird aus „Bündnis ’90“: Es steht genau dann ein Revival an, wenn Rot-Rot-Grün sich gegen die rechte Sozialdemokratie (SPCDU) in NRW und Schwarz-Gelb in Berlin gleichzeitig formiert – natürlich nur in der Opposition und mit dem passenden Personal. Der nächste Umsturz kommt also bestimmt, aber noch nicht in NRW, und wohl auch bis auf weiteres nicht.

Geheimklausel: Psst, liebe (Berliner) Grüne, hier noch ein Ausweg, damit doch Pöstchen verteilt werden können und weil Ihr ja doch immer die Wichtigsten seid, ne: Schwarz-Grün in NRW doch machen, aber das richtig, richtig, richtig schlecht! Genau das braucht die Kanzlerin am wenigsten! Und es ist ein tolles Argument für Rot-Rot-Grün später mal, ne? Aber wie gesagt: Pscht! 😉

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Oberhausener Kurzfilmtage 2010, Teil 2: Resümee

Zum Abschluss der tollen Reihe „From the Deep“ gab es eine Art Spiel: Es wurden vier Filme gezeigt, und jede Person im Publikum sollte ihre Lieblinge bestimmen, um dann einer Typologie zugeordnet zu werden. Der Autor dieser Zeilen hielt ein Abschlussfeuerwerk konzeptionell wie optisch für eine schöne Sache, Typologieresultat: „Oh, wie schön! Diskursabstinenzler“. Und die Arbeit in einer Seilerei bis zum fertigen Produkt fand er auch ansprechend. Typologieresultat? Irgendetwas mit „gen Wirklichkeit drängend“. Dabei waren die Kurzfilmtage 2010 vielleicht naher an der Realität als je zuvor, nicht zwingend immer zu ihrem Vorteil – hallo, Dialektik.

Radikalität, Ändern von Sehgewohnheiten, Behauptung des Kinos als sozialer Raum. Das kann unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen, aber es hängt natürlich auch davon ab, wie die Besucher sich ihr Festivalprogramm zusammen stellen. Schaut mensch halt vor allem die uralten Schätze (Still aus „Lèvres collés“, Frankreich, Pathé 1906, © Filmarchiv Austria) und ein wenig No Wave und am Ende die Preisverleihung, zeigt sich folgendes: Es gibt eine Art neuer Sanftheit, fast Privatheit bei gleichzeitiger fast pflichtschuldiger Hinwendung zu dem weltweiten politischen Geschehen. Denn: Nahezu alle von den Jurys ausgezeichneten Arbeiten (bis auf die Kinder- und Jugendfilme) haben eine bestimmte zumindest sozialpolitische Ausrichtung, ohne dabei mit neuen filmischen oder auch nur dramaturgischen Mitteln zu operieren. Und das liegt zum Teil einfach an den Jurys. Weil es in Deutschland ein katholisches und ein evangelisches Filmmagazin gibt, lobt seit Jahr und Tag eine „ökumenische“ Jury einen Preis aus. Diese territoriale Besonderheit musste denn auch fast entschuldigend erklärt werden. Nein, keine Moslems, Buddhisten, Juden, usf. Katholiken und Protestanten. Eine andere Jury wird vom Ministerpräsidenten ausgewählt. 3SAT oder ARTE schwafeln von „neuen Blicken“, prämieren aber nahezu werbefernsehhafte Filme. Und auch die Jury aus KünstlerInnen und Fachleuten scheint nicht gerade auf die Prämierung mutiger Werke aus gewesen zu sein. Und es scheint so etwas wie Kontinents-Quotierung zu geben, so á la: Korea klar, Südamerika nicht vergessen, oh ja: Moldawien und Litauen. Internationaler Wettbewerb. Preisverleihungen. Medienpartner. Banken und Bürgermeister. Nicht die schönste Seite des Festivals. Der „Geist von Oberhausen“ lebt woanders (Foto oben: Jens Kobler).

Und auch das mit dem schon in Teil eins angesprochenen RuhrForum Filmbildung kann kritisch betrachtet werden, wie hier in einer kleinen Polemik verschriftlicht:
Natürlich ist das mehr als nur bedenkenswert, wenn selbsternannte Medienspezialisten nicht einmal willens oder in der Lage sind zu thematisieren, wie aufgrund spezifischer soziopolitischer Konstellationen z.B. Andy Warhol’s „jedeR kann einE KünstlerIn sein“ via NYC-DIY prototypisch zur heutigen Glasnost-Internetinteraktivitäts-Seligkeit geführt hat. Oder dass mit der Kamera flirtende Kleinkinder nicht zwingend wünschenswert sein müssen. Naja, mensch ist halt im Medienbusiness? Digitaler Volkskörper rules okay, und das schreiben wir den Kids und Lehrern bei RuhrForum Filmbildung (und eben nicht: Medienbildung) dann auch noch mit Muttermilch ins Gebetbuch?
Sollte wohl heißen: Medienpädagogik muss, all diese Künstler-machen-Soziales-Aktionen dürfen aber – muss das geschrieben werden? – nie zu Menschenexperimenten werden!! Soweit dazu. Nun zum angenehmen Teil: Beim Gespräch mit einer Preisträgerin (ihr Video zu einem Lied von Hans Unstern hier) gibt es Lob für die Region: In Berlin wisse mensch gar nicht, wohin mit den Filmen. Erstaunen bei der Bemerkung, hier gebe es ja durchaus noch mehr Filmfestivals. Anerkennung für das etwas Nussschalenhafte, Übersichtliche der Szene in Oberhausen. Hier fällt das Kontakten leicht, es gibt nicht dieses Pyramidenhafte wie in der Hauptstadt, wo der Platz an der Sonne die Spitze eines Eisberges ist – um noch einmal eine Metapher zu versuchen. Im Gespräch mit einem anderen Bekannten fällt auf, dass wenig Kameras da waren, also die von Sendern o.ä. Dabei gibt Oberhausen so viel Stoff her: Die Lichtburg, das Druckluft und die Fabrik K14, in der auch die Abschlussparty stattfindet: Zweitältestes soziokulturelles Zentrum Deutschlands. Von einem Kommunisten und Jazzer gegründet. Schlingensief zeigte hier seine ersten Filme. Tja, da pennen die selbstgenügsamen Medienstädte der ehemaligen Bonner Republik, schreiben lieber über Castingshows und machen Beiträge mit Archivmaterial und Standbildern. Na klasse. Da hat Oberhausen (Foto vom leeren Friedensplatz: Jens Kobler) mehr verdient.

Tipps für das nächste Jahr: Etwas mehr Esprit und Mut beim nicht-filmischen Rahmenprogramm, bitte! Auf jeden Fall vollständig kuratierte Reihen schauen! Der Charme und die Intelligenz des Programms kommen dort einfach am besten zum Tragen – falls vorhanden, wie bei „From the Deep“ halt. Akademiker, die Filme und Künstler selbst im persönlichen Gespräch in das Korsett irgendeiner Doktorarbeit pressen wollen, braucht es hingegen weniger. „No Wave“ blieb so teils enttäuschend, wobei gerade die aus dem Nichtstun geborene Kunst in sinnentleerten Stadtteilen á la Manhattan viele Anknüpfungspunkte an Oberhausener und Ruhrgebietsverhältnisse geboten hat – aber leider nur über die Filme selbst. Also: KuratorInnen checken, ggf. früh die Vorlesung wechseln! Dann: Die Wettbewerbe sorgen für Preise, internationalen Zuspruch, Reisekostenerstattungen und natürlich kontroversen Diskurs. Aber sie sind ganz gewiss nicht das Herz der Kurzfilmtage. Wie die fast obsoleten Musikvideos sind sie gen Publikum gedacht eher niedrigschwellige Angebote von gestern. Auch wie leicht verständliche, faszinierende und gleichzeitig bildende Filme dieses Festival dem Nicht-Fachpublikum öffnen können, hat „From the Deep“ geradezu prototypisch gezeigt. Ein kleines Wunder, für das es hoffentlich auch irgendeine Art von Preis gibt. Viel, viel Applaus gibt es jedenfalls von hier.

Nächster Filmtipp für das Ruhrgebiet: „Free Falling“, zusammengestellt von Katrin Mundt und mit internationalen Gästen, am 28. und 29. Mai bei pact Zollverein.

3 FÜR 7 – Festival-Special

Es war ja klar: Im Mai geht’s so sachte richtig los. Nein, nicht mit der Wahl zwischen ArbeiterführerInnen, sondern mit den großen Events zum Dauer-Großevent des Jahres. Gut, dass selbst beim Bäcker am Essener Hauptbahnhof zu bemerken ist, was eigentlich los ist: Es kommen Menschen in die Gegend, die anders sprechen und auftreten, Würde ausstrahlen und sich nicht sofort bei der Ankunft auf RWE-Niveau drücken lassen wollen – erst recht nicht wenn sie sogar nur Brötchen wollen. (Und S04 ist ja auch total was anderes als FCB, denn vor Arbeiterführern buckelt man hier gern, etc. Wahrscheinlich gibt es deshalb in Deutschland fast nur noch solche. Oder tun die teils nur so? Was, die alle tun nur so? Selbst die Gewerkschaften am 1. Mai? Hm.). Und damit zu: Ruhrfestspiele, Klavierfestival Ruhr, transindustriale.

Der Autor dieser Zeilen hatte sich irgendwann einmal „Für eine Literatur des Krieges, Kleist“ von Mathieu Carrière gekauft. Da war er noch ganz, ganz jung und dachte, diese Mischung aus Schauspieler und Hobbyphilosoph versus suspektem Klassiker könnte was haben. Hatte es aber nicht, schien aber eine nette Übung zu sein, frankophil gegen deutschen Ungeist anzuschreiben. Kein gutes Buch also, aber in Ehren gescheitert. (Wieso? Nein, das ist keine Schalke-Anspielung jetzt!) Und genau die Lesung ist natürlich bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen schon arg früh ausverkauft. Alles im Rahmen von „Kontinent Kleist im romantischen Meer“ natürlich. Da muss man erstmal drauf kommen, und es kam darauf: Frank Hoffmann. Neben Kleist (und Hölderlin, Eichendorff, Hoffmann, Novalis & Co.) gibt es aber auch noch das Fringe Festival, einiges an Kabarett, einige Aufführungen in Marl und mehr (Foto aus „Bombsong“ – wie eine Frau zur Terroristin wird. Hm.). Aber sich der Romantik über Kleist nähern (oder umgekehrt), so als Foucault-Schüler… Staun, staun, Themenwechsel.

„Hélèn Grimaud erkrankt – Alice Sara Ott spielt Programm mit Chopin-Schwerpunkt“ ist eine recht aktuelle News zum Klavierfestival. Eine weitere: Zum Eröffnungskonzert mit Jean-Yves Thibaudet und Semyon Bychkov samt dem WDR Sinfonieorchester Köln gibt es zur Stunde noch Karten. Ansonsten, eher willkürlich herausgepickt aus dem reichhaltigen Angebot: Die Goldberg-Variationen (in der Bearbeitung für zwei Klaviere von Josef Rheinberger und Max Reger) werden von Yaara Tal und Andreas Groethuysen gespielt. Es gibt seeehr viel Bach, Chopin und Schumann. Piotr Anderszewski ist da, Anne-Sophie Mutter, Helen Schneider (im Rahmen der JazzLine) und auch Chick Corea (ebenda).

Anders: Die transindustriale. Zunächst verblüfft es, dass da recht spärlich mit Informationen um sich gestreut wird. Dann fällt ein: So sind sie manchmal, die Dortmunder, wenn es um lose Reihen im Grünen geht, die sich durch den gesamten Sommer ziehen. Da heißt es zum einen „Die transindustriale soll zeigen: Dortmund ist ein Gesamtkunstwerk“ und zum anderen lakonisch „Westpark: Hippie, Multikulti“. „Live“ zu sehen, inklusive Einblicken in Interna, hier. Auch schön, mal nicht von Namen und Nummern erschlagen zu werden in dieser Aufmerksamkeit heischenden Zeit.

Ruhrfestspiele noch bis zum 13. Juni.
Klavierfestival Ruhr von Samstag bis zum 23. Juli.
transindustriale von Samstag bis September.

Oberhausener Kurzfilmtage 2010, Teil 1: Atmosphärisches

Zwei Berichte auch in diesem Jahr wieder von den Internationalen Kurzfilmtagen. Es ist Freitag, kurz nach Mittag, und natürlich ist schon viel passiert. Viel passiert? Man ist in der Alten Mitte von Oberhausen. Es ist der 30. April: Frühlingsfest in der Fußgängerzone, lange Schlangen beim HartzIV-Zahltag an den Geldautomaten, ein Tag vor dem 1. Mai und der erste volle Tag des Festivals.

Auf der Hinfahrt von Rüttenscheid mit Zwischenhalt in Altenessen sitzt der Laptop-Journalist in einem recht schicken, neuen Regionalexpress und sieht viele sogenannte einkommensschwache Menschen, die vor allem eines ausdrücken: Nostalgia for a non-existent future, „Ruhrgebiets typische Melancholie“, wie es gestern noch der belgische Konzeptkünstler Kris Verdonck bei der Präsentation von „Theater der Welt“ im Essener Grillo sagte. Ausgestiegen am Hauptbahnhof fällt auf, dass in dieser Region so viele Bahnhöfe neu gebaut worden sind, dass man sich fragt, ob die so jetzt für die Ewigkeit halten müssen, weil ja zukünftig kein Geld mehr da sein wird. Über den Friedensplatz mit den (noch) verwaisten Bierständen auf die Elsässer Straße, an der nicht zuletzt die Lichtburg (Foto: Jens Kobler) liegt. Das Festivalbüro und auch das Gesprächsforum/Pressecenter befinden sich nahezu direkt gegenüber, was einfach der Tatsache geschuldet ist, dass hier immer mehr Ladenlokale leer stehen. Teile der Alten Mitte sollen demnächst zu Kreativquartieren umdeklariert werden – das erinnert an den nördlichen Teil der Essener Fußgängerzone, nur geht es hier um den ehemaligen Nukleus einer ganzen Stadt. Hier bröckelt es nicht nur an der Rändern.

Festivalleiter Lars Henrik Gass sagt in dem morgen hier vollständig verfügbaren Interview denn auch, dass das Festival in diesem Jahr mehr denn je auch auf seine unmittelbare Nachbarschaft zugeht. Bei allem Interesse an Avantgarde und der Tradition des berühmten Oberhausener Manifestes vergessen die Macher eben nicht, wo sie sind (Still aus „Wellenreiter“ von Markus Mischkowski und Kai-Maria Steinkühler). Das an sich ist begrüßenswert, aber auf der folgenden Pressekonferenz des RuhrForum Filmbildung wird es jenseits von einzelnen Programmpunkten des Festivals erst recht deutlich, dass auch auf breiter Basis den Verhältnissen aktiv begegnet wird: Fünf Filmfestivals aus dem Ruhrgebiet gehen in Kooperation mit Ruhr2010 und der Ruhr Universität Bochum auf Lehrer, Pädagogen und Kinder zu, um Medienerziehung und -kompetenz aktiv zu fördern. Mehr hier. Kann die Mehrheit der Bedürftigen das einsehen, dass dies ein Beitrag zu ihrer Emanzipation aus prekären Verhältnissen sein kann? Lars Henrik Gass betont wie jeder engagierte Kulturarbeiter zurecht, dass er eigentlich (!) nicht der Meinung ist, dass Kultur das leisten muss, was die Politik verpasst. Die Politik, die Kirchen, die Verbände und Vereine, oft aber sicher auch die oft lieber nach „oben“ orientierte Kulturwirtschaft, möchte man hinzufügen. Umso schöner: Die vielen aus der Lichtburg strömenden Kinder am Morgen, als der Autor dieser Zeilen noch nicht an Fotos dachte, leider. Da war das RuhrForum Filmbildung bereits in vollem Effekt erlebbar.

Nun, es ist Freitag. Die große Dosis Glamour gibt es immer zur Eröffnung, zur Preisverleihung am Ende und am traditionell starken Samstag des Festivals. Generell macht es hier auch durchaus den Eindruck, dass Kurzfilmtage und Nachbarschaft mehr als nur koexistieren. Beim Griechen gibt es Ouzo und Nachtisch umsonst zum guten Essen, das Transatlantik wirkt ein wenig überdimensioniert, aber das freut die poussierenden Pärchen im hinteren Teil des Restaurants sogar eher. Und dass die Besucher des Festivals hier durchaus auch arbeiten und nicht nur in Kunst verloren durch die Straßen flanieren, auch das macht anscheinend einen guten Eindruck auf die Anwohner und Angestellten in Oberhausen-City. Dass aber Kurzfilmtage, Druckluft und Altenberg hier einmal nebst natürlich Ebertbad und Theater solch einen Stellenwert für Selbstwertgefühl und kulturelle und persönliche Bildung haben würden: das war vor Jahren keinesfalls abzusehen. Um es etwas zu poetisch zu schreiben: Diese kleinen Leuchtürme strahlen hell, blenden kaum und erleuchten nachhaltig.

56. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen noch bis Dienstag im und rund um den Lichtburg Filmpalast.

3 FÜR 7 – Oberhausen-Special

Kurzurlaub in Oberhausen – a cheap holiday in other people’s misery? Zum Teil, aber immer vor allem eine merkwürdige Veranstaltung. Die Oberhausener Kurzfilmtage und viele ihrer ProtagonistInnen verstehen und sehen sich großteils als links, was zu spannenden Grundvoraussetzungen führt. Zugespitzt gesagt (- ist ja ein Aufmerksamkeit heischendes Medium, dieses Internet): Eine Art Jutetaschen-Prosecco-Bohème gibt sich in einem zerfallenden Stadtteil avantgardistisch-künstlerisch und tut, als hätte sie die Zukunft gepachtet und im Griff, während überall (sonst) Zuschüsse gekürzt und Kurzfilme nicht gerade das Gelbe vom Ei in punkto Medienpolitik sind. Und auch ansonsten: Eine spannende Mischung aus Abgehobenheit und Rebellionsattitüde von irgendwie „unten“. Kleinformat meets Hollywood in a nutshell. Featuring cameos by: Nomeansno & And So I Watch You From Afar.

Am Donnerstag geht’s los. Und da hilft natürlich gern das Programmheft. MuVi-Preis? „Nach dem 80er-Revival kommt der Stummfilm.“ Deutscher Wettbewerb? „Filme über die Liebe und das Filmemachen“. Internationaler Wettbewerb? „Seelenlandschaften“. Klingt also alles nach „Neue Innerlichkeit“, diesem typischen Rezessionssymptom – nicht zwingend nach einer Auseinandersetzung damit, na gut. Also mal in’s Detail gucken: Bei der Eröffnungszeremonie gibt es französische Kurzfilme von vor hundert Jahren plus Klaviermusik – also mal wieder erst am Freitag hin und all das Meet-and-greet und see-and-be-seen verpassen. Erstes Podium am Freitag? Da wird mal wieder das Ich abgesprochen bei „Die Illusion des Ich“. Vielleicht mal gucken, was es denn sonst gibt bzw. wohin sich das denn aufgelöst hat. Ist aber vielleicht etwas herb für 10 Uhr morgens, wenn das Ich sich ja gerade noch finden will. Also wohl doch Schwerpunkt auf die uralten Schätzchen bei „From the Deep: The Great Experiment 1898 – 1918: Sensation Bewegung, Dimension Zeit, Präsenz der Absenz“. Gut, letztens nochmal „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ gelesen zu haben. Genau, vielleicht macht man dieses Jahr einfach mal eine Zeitreise über 100 Jahre. Hm, mal gucken.

Samstag ist 1. Mai, da bietet sich doch das Podium „Bedingungsloses Grundeinkommen“ an. Und dann stoisch „From the Deep“ weitergucken und vielleicht ein bisschen Filmbar-Atmosphäre schnuppern: „Psychedelic/Electro/Soundtracks/Filmmusik“ mit zwei Düsseldorfer Tonträgerjockeys. Überhaupt: Nomeansno (Foto: Band) spielen im Druckluft schon am Mittwoch! Aber da muss man(n) doch gucken, wie Inter diesen Messi aus der Champions League kegelt! Ts. Ach ja, Konzertalternative am Donnerstag, auch im „Drucki“: And So I Watch You From Afar.

Der Sonntag nervt: „Kinder und bewegte Bilder“ am Anfang, „No Wave Night“ ganz am Ende. Idee: Irgendwann auflaufen und die Screenings schauen, dann unverbindlich reinhören, ob man dann wirklich nochmal so ein New York Anfang Achtziger Revival braucht. Oder ausfallen lassen und am Montag „Profil: No Wave“ gucken – und hoffen, hoffen, hoffen, dass da nicht nur viel zu coole, natürlich vollsexy Trend-Nerds herumhängen. Dienstag fällt aus, Abschlussparty nur bei freundlicher, ernst gemeinter Einladung. Meine Güte, man wird ja schon während des Schreibens arrogant! Oberhausen, Oberhausen – welch tückisch Reiseziel!

Reisetipp zum Wochenende: 56. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen. Von Donnerstag bis Dienstag.

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3 FÜR 7 – Drei Veranstaltungen der Woche

Der Autor dieser Zeilen zweifelt an sich: War er zu oft bei Folkwang und Künstlern in letzter Zeit? Warum behagt ihm eigentlich nicht eine einzige dieser Veranstaltungen an der Ruhr auch in dieser Woche? Wäre es ein besseres Leben, hätte er irgendwann kapituliert, weiterhin zu viel Bier getrunken, den Kopf an irgendeiner Stechuhr abgegeben und sich endlich seinen Fußballverein, seine Partei und vielleicht auch sein Auto, seine Stammkneipe und sein Zeitungs-Abo gesucht? Hmm. Kaum. Ist er ein Schnösel und verdorben für massenwirksame Ruhrie-Blogs und sollte besser schön in eine Nische einpacken gehen? Ein klares Nein! Also gut: Einmal mehr tapfer einer anderen Wahrheit ins Auge blickend und nicht vor Pottboulevard-Standards einknickend drei Themen: Dick Dale, Ständige Vertretung Dortmund, Ubu.

Schon mal durch’s Leben gesurft? Durch’s L.e.b.e.n. jetzt! Also so Schwung mitgenommen, mit den Elementen statt gegen sie fortbewegt? Genau, Surfmusik ist im Grunde die etwas agilere Ambient-Variante, und Marschmusik, gerade technoide, oder HipHop müssen ja nicht zwingend sein. Aber halt auch nicht Dauer-Yoga. Und in dieser Woche ist halt eine DER Legenden (Foto: Promo) da. Der sieht zwar nicht mehr so frisch aus und auch etwas goth-y und redet sogar wie Hamlet mit dem Schädel auf seiner HP. Aber nachgucken, wie sich so ein Mensch gemacht hat und ob der Gitarrensound noch glitzert und durch’s Leben surfen lässt, das ist doch wohl machbar, ohne dass hier gleich „Ein Gott kommt! Fußvolk! Alle hin!“ geschrieen werden muss, oder? Dale will ja auch nicht gewählt werden, ne? Und er ist auch schnell wieder weg, höhö.

*räusper* Längerfristig einrichten hingegen will sich offensichtlich so ein Kreativprojekteprojekt am Hohen Wall in der Post-Pop Popstadt Dortmund. Das sieht dann so aus, dass das lose, aber immer ein wenig auf sich aufmerksam machende Heimatdesign-Projekt mit dem bestimmt ähnlich aufstrebenden Technologiesalon-Projekt aus der ehemaligen Kokser-Rockstadt Hagen Projekte, Diskussionen und so genanntes „Interdisziplinäres“ anbietet. Das klingt für den Autor dieser Zeilen zunächst nach typisch postmodernem Trendhopping zwischen theoretischem Halbwissen und Experimental-Kleinunternehmertum (sowie natürlich Kunst und Zukunftsministerium in alternativ). Aber das macht ja nichts, bestimmt haben diese (ex-)Studierenden und Umfeld viel mehr als nur den Appetit auf wohl designte Lebensentwürfe im Kopf. Und diese Art Netzwerken soll ja sogar gegen Hühneraugen helfen und bringt die Kinder auch mal kurz vom Computer weg, harhar.

Unverständlich ausgedrückt wird sich auch mal wieder im Grillo, und zwar nicht zuletzt weil in vier Sprachen operiert wird beim Ubu. Bei Simon Stevens in der Bühnenbearbeitung von Sebastian Nübling wird dem grausamen und recht freudianischen Emporkömmling gen Ende der Prozess gemacht, das Ganze ein wenig von Macbeth-Anleihen weg in Richtung „Große Diktatoren des 20. Jahrhunderts“ hin gewendet und das alles so zubereitet, dass auch ein recht langes und formal spannendes Stück zumindest einige viele Besucher der öffentlichen Probe letztens schwer fesseln konnte. Also: Besuchen Sie Europas Kulturstätten, solange sie noch stehen! Es wird derzeit mit den Füßen abgestimmt, und Sie wollen doch nicht auf der Seite der Barbarei stehen, oder? Schon zu spät? Sie können gar nicht mehr anders? Alles ist verloren? Oh Graus! Ich glaub, ich hab mir doch die falsche Zielgruppe ausgesucht. Alles verkappte Apokalyptiker hier! *und ab*

Dale Freitag.
SV z.B. Samstag.
Ubu z.B. auch Samstag.

3 FÜR 7 – Diesmal: Planen für den Sommer

Alle müssen immer ihre Seiten vollschreiben und/oder Kunstwerke schaffen, anscheinend nicht immer nur des lieben bzw. bösen Geldes wegen. Und das war für den Autor dieser Zeilen ein guter Grund, keinesfalls zu einer Tageszeitung zu gehen, schon gar nicht zu einer lokalen, aber auch nicht fulltime-Kulturarbeiter zu werden. Und dann sorgt der technische Fortschritt via Feeds & Co. auch noch dafür, dass immer schneller immer unreflektierter irgendein Krams ausgebreitet und gerne einmal skandalisiert wird. Mittelmäßiges Business. Fast Food für den Kopf. Und der deutsche Planet lamentiert, diskutiert, meistens unter sich. Es drängt sich aber auch nichts auf diese Woche. Also diesmal: Planen für die nahe Zukunft.

Kulturell betrachtet sind ja bald schon die Oberhausener Kurzfilmtage, aber mensch könnte auch einmal beim Maifest der Zeche Carl reinschnuppern. Die Termine für Haldern, c/o pop und so stehen natürlich auch schon. Oder mal was Größeres gen Osten mitmachen? Dieses Jahr dann mal Reeperbahnfestival? Oder endlich den Kurz-Trip ins benachbarte Holland? Gut wäre natürlich auch eine Art Urlaub, wo mal gar keine Kultur, wie sie hier verstanden wird, aufzufinden ist. Juicy Beats, Pfingst Open Air Werden? Für die einen Standards, für die anderen das älteste von der Welt. Notiz: Fernweh zulassen und was draus machen, die Ruhr kümmert sich schon genug um sich selbst im Moment.

Technisch betrachtet will der gut ausgerüstete Gelegenheitsblogger ja aber doch nie so recht auf all die Informationen von den Lieben, den Beobachtenswerten und den Wichtigen verzichten. Also verknüpft dieser §‘!$$?-Computer eh permanent das Private mit dem Dienstlichen. Ist ja eh alles immer nur Milimeter voneinander entfernt. Tja, manches ist aber ziemlich weit voneinander entfernt und trotzdem der Mühen wert. Kann schlecht drauf verzichtet werden. Kann man die und das einfach mal alleine lassen und nicht nur Kultur Kultur, sondern auch Internet Internet sein lassen? Notiz: Kultur ist auch, wenn was nicht in der Zeitung von heute steht.

Abschließend betrachtet: Popmusik, Klassik, Theater, Ausstellungen, Kulturwirtschaft, etc. sind alle schön und gut, machen aber doch nur Sinn, wenn nicht immer nur Themen durchs globale Dorf gejagt werden, sondern auch der Sinn dafür behalten wird, wofür das eigentlich gut ist. PR-Leute und die schreibende Zunft können da nur helfen, letztlich müssen die Kunstwerke von Menschen betrachtet werden, die auch aufnahmefähig sind. Und die Kunstwerke, nein, es hieß: Die Meisterwerke sind eh alle nur ganz große Ersatzhandlungen (oder so ähnlich). Notiz: Was nutzt all die Werbung und das Sich-sehen-Lassen, wenn das Leben davon nicht positiv berührt wird?

Genau: Sein lassen ist auch mal erlaubt. Oder schauen Sie sich einfach mal bewusster um, was so in ihrer Gegend an toller Papierwerbung herumliegt. Oder fahren Sie jetzt schon einmal weg, wenn es zu Ostern nicht passiert ist. Bald ist ja Pfingsten, nicht wahr? Und die Ruhr kann gut ohne uns, und der Autor hier auch mal ohne Links – aber das Foto aus dem Grugapark ist von ihm.