3 FÜR 7 – Essen-Special

Das wird ein ganz schön langes Wochenende, hm? Das sagen sich natürlich auch diverse Veranstaltungsspezialisten und versuchen den Cash-In oder einfach das Zusammenführungsprogramm oder beides. Es folgen ein paar recht entspannte Vorschläge für die nächsten Tage in Essen.

Am Mittwoch feiert die übersichtliche "coole Leute aus Steele"-Szene im Grend, und zwar mittels der alljährlichen Werkschau von Marilyn’s Army. Diese haben diesmal die etwas jüngeren Gesinnungsgenossen von The Deen mitgebracht und auch einmal wieder eine neue CD (auch als Umsonst-Dateien) namens "Für Immer" parat. Falls danach wirklich keine Party mehr sein sollte mit dem erstaunlichen DJ Team Diamant, kann ja immer noch auf benachbarte Etablissements ausgewichen werden.

Von Donnerstag auf Freitag zeigt sich eine neue Location in der Rellinghauser Str. 4-6, also auf dem Hinterhof vom La Grappa (genau, gegenüber von diesem penetranten Stromerzeuger-Tower nahe Hauptbahnhof). Dieser von zwei Herren besten Alters geführte Ort namens Hinterhaus wird ab März Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Sessions und anderes in unaufgeregter Atmosphäre beherbergen und feiert diese Woche schon einmal eine DJ-Party mit schwer gemischtem Programm. Am anderen Ende der Innenstadt fusionieren "Schleifenmühle Classics" und "Die Gute Union", also Appelhannes, Banditen Wie Wir und Zweibar im ehemaligen Diamonds & Pearls. Der Laden wird Anfang des Jahres als "Naked" ein nächster Versuch, die hiesige Discolandschaft noch mehr zu bereichern, ist schon fertig eingerichtet und hat am genannten Abend Groove/BigBeat & Co. hier und BritPop, Alternative & Co. da zu bieten.

Am Samstag gönnt sich die Band Chelsy im Hotel Shanghai zum alljährlichen Konzert die VÖ einer CD namens "Sweet Medicine" und feiert zugleich fünfjähriges Bandbestehen. Hinterher auch DJ-Culture im Indiepop-Selecta-Sinne. Der Goethebunker macht TechHouse, im Goldclub ist dieses ProgressiveTechno-Electro-Gemisch, wie immer samstags. Dort am Freitag übrigens Switchstance Recordings mit den Ancient Astronauts (Foto: Jonas Paar), eigentlich der bessere Tipp.

3 FÜR 7 – Diesmal ohne Tipps

Sorry. Diese Woche wird der Joker gezogen, der da heißt: Der Autor dieser Zeilen möchte gar nichts empfehlen, was mit Veranstaltungen zu tun hat. Anderes vielleicht. Aber nicht (z.B.): Weihnachtskonzerttraditionen, Prominentenschaulaufen, Geburtstagspartys.

Mag ja sein, dass die Show immer weiter gehen muss, jedes Tierchen sein Pläsierchen bekommen soll und sich über Geschmack vortrefflich streiten lässt. Ich frage mich gerade, ob es in Afghanistan schon Charts gibt. Nicht dass wir uns missverstehen: Deutschland hat seinen Anteil daran, dass das Attentat auf das WTC stattfinden konnte; das Militär schlägt mal so einfach derbe zu und freut sich, dass geschaffene Fakten für sich sprechen (erinnert mich an manche Argumentationsmuster beim letzten Militärschlag Israels gegen Palästina); Steinmeier und Struck sind aus der medialen Schusslinie, Schröder und Fischer eh, zu Guttenberg ist habhaft. Alles geschenkt in diesem Moment, auch dass die parlamentarische Opposition nur Machtpolitik betreibt. Aber dieses Hineinsickern von Kriegsmentalität in die Gesellschaft… Irgendwie hört der Schreiber dieser Zeilen z.B. nie mehr (natürlich zufällig) Metallica, ohne daran zu denken, dass das Soldaten gerne beim Töten hören. Was hören eigentlich die deutschen Soldaten? Kreator? Oder so sexy Cunt Rock? Jedenfalls sind all die Heavy Metal Festivals rund um das größte Fest der Christenheit (samt Teufel und was sonst noch so dazugehört) dieses Jahr No-Go-Area. Anti-Tipp.

Huppert war da, Lucy schaut auch mal rein. Irgendwann im Verlauf des nächsten Jahres wird es schon aufgrund des irre tollen Prominentenaufkommens jedeR denkbare KritikerIn des werten Kulturhauptstadtgebahrens schwer haben. Die Kameras richten sich ja irgendwie auf alle Ruhries, und selbst die Haltung "Wir sind fast pleite! Was soll all der Glam!?!!" wird zur Mentalitäts typischen Folklore erklärt werden. Auf dass bloß nicht daran gerührt wird, dass der Standort ja anscheinend viele Investoren braucht, deren Lebensinhalt es ist, immer wieder Karten für Veranstaltungen mit Promibeteiligung zu ergattern. Ruhm kostet ja nichts, und ein wenig Sexyness wird auch schon abfallen, fein. Eigentlich noch schlimmer: Die dazugehörige dankbare Haltung, weil die Region hier so etwas ja sooo nötig hat! Die Kultur wird Beiwerk sein für unverbesserliche Schöngeister, der Rest macht Sehen und Gesehen Werden, "realpolitik", wie es mittlerweile ja auch im Englischen heißt – und nicht erst seit irgendein Oberst die Drecksarbeit für Obama (und andere) macht. Erschreckend, wie das große Ganze manchmal verschütt gehen kann, und alle haben ja genug mit sich selbst zu tun oder so.

Und so feiert die hehre Christenheit also Kindergeburtstag, und auch diese und jene Diskothek, so mancher DJ, etc. Am letzten Wochenende hatte der Schreiber dieser Zeilen die Ehre, gleich drei dieser Veranstaltungen besuchen zu dürfen und ist jetzt schon richtig satt, aber es wird weitergehen. Überall reden die Leute über Pop, Erfolg und … Idiosynkrasien, tatsächlich. Und natürlich trifft sich die Meute, die Szene, der Kiez auch immer einfach gerne noch einmal gen Jahreswechsel oder kurz danach, wie bei anderen Firmenveranstaltungen ja fast auch. Das Schlimme: Es wird im Ruhrgebiet vielleicht das ganze nächste Jahr über so weitergehen! (Der Autor schickt den Artikel ab und schüttelt sich.)

3 FÜR 7 – 90er-Special

"Musik im Revier" – welch lustig tag! Und damit zum Thema: Mensch kann mit Diederichsen beim Bier plaudern, Polls lesen, manchmal gar Artikel selbst schreiben, whatever: Bei Jahresrückblicken, speziell zum Thema Musik, geht es entgegen aller Lehren zum Thema "Privates & Politisches" NIE darum, welche Musik genau was mit den KonsumentInnen macht bzw. was sie begleitet. Welchen Nutzen hatten die Regierungen und die Industrie von den Hippies, den Punks, den Ravern, dem (Anti-)Folk? Fragt niemand. Könnte aber interessant sein, nicht nur für andere Kulturkreise, schließlich speist sich die Unterhaltungs- ja oft aus Errungenschaften der Waffen- und Raumfahrindustrie z.B. – und dabei muss nicht nur an Drogen, Internet und Psychologie gedacht werden. Das mal als Anregung gegen Ende der 00er und zum Thema "90s(-Revival?)" mit: Tortoise, The Notwist, Hotel Shanghai.

Wie sagte mir letztens so ein vom Hardcore/Skaten zum Shoegaze/Postrock gekommener Musikus: "Tortoise haben dann wieder an die Wurzeln erinnert, an Krautrock z.B." Und das ist natürlich vor allem ein Thema für Musikusse, diese Art des Zusammenspiels, das nicht zwingend viel auf Songstrukturen, kaum etwas auf Liedtexte und ganz wenig auf Boygroup-Gehabe gibt. Andererseits schüttelt es den Autor dieser Zeilen in letzter Zeit immer wieder bei einem Wiederaufkommen übelsten Muckertums – was auch eine Folge des generell recht regressiven, Besitzstand wahrenden Geistes der aktuellen Generation in Europa und Amerika sein mag, aber nicht zuletzt auch an Bands liegen mag, die laut Eigenbekundung eigentlich mal angetreten sein wollten, um Strukturen zu zerstören, und dann via irgendwie Prog-Rock doch wieder nur zurück in die Siebziger gewiesen haben. Ach ja, die Neunziger waren halt eben kein (!) Aufbruchs-Jahrzehnt! (Und alte Punks gibt es im Grunde gar nicht.)

The Notwist passen natürlich auch schön in dieses Bild: Als der Independent-Gedanke das tiefste Bayern erfasste! Ja wow! Und fiel gerade "irgendwie Prog-Rock"? Nun, das sieht in diesem konkreten Falle dann nicht wie bei Tortoise nach Vermischung mit Dub und so aus, sondern man gönnt sich direkt ein ganzes "Irgendwie-Jazz"-Orchester dazu!! Das Andromeda Mega Express Orchestra hilft *hüstel* sozusagen The Notwist auf dem Weg zu den Genesis des süddeutschen Indie. Phil Collins, übernehmen Sie! (Also "American Psycho" für Leute, die grün oder Die Linke wählen, haha. Natürlich auch für depressive Regierungsfreunde.)

Na, und damit zu Whirlpool Productions, Andreas Dorau und Superdefekt (Foto: MFOC), die dem Shanghai zum Sechsjährigen gratulieren. Meine Güte, waren das noch Zeiten, als die berüchtigte 80er Rhein-Elbe-Achse in den Neunzigern den Schlager-Rave erfunden hat! Motor Music big in Berlin, angenehmes innerdeutsches "Wir revolutionieren uns jetzt gegenseitig"-Gewusel, viele neue Drogen und alles ein schöner, neuer Abenteuerspielplatz mitten in Europa! Das passt natürlich wunderbar zum "Kindergeburtstag für (noch etwas zu junge) Erwachsene"-Konzept des Hotel Shanghai – wobei … Nunja, die Menschen um die 20 gucken sich das ja immer lieber nicht an, sonst wird ihnen noch ganz komisch wie wenig sich eigentlich geändert hat in zwei Jahrzehnten Abenteuerspielplatz Popmusik. Egal, dafür ändert sich ja die Gesellschaft rasant, nicht wahr? Und damit zur beliebten Kurzfassung für PraxisfreundInnen:

Tortoise am Dienstag.
The Notwist am Donnerstag.
6 Jahre Hotel Shanghai am Samstag.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 7: Ringlokschuppen Mülheim

In dieser Reihe wurden und werden (zuletzt hier) unterschiedliche Ansätze und Historien von Soziokultur, (Sub-)Kulturermächtigung und durchaus auch Pop orientierter Jugendarbeit vorgestellt. Beteiligt sind immer politisch, wirtschaftlich, gesellig, lokalpatriotisch und/oder individualistisch geprägte Menschen, teils schon in Gruppen organisiert, die irgendwann Bündnisse mit der Kommune schließen. Eine ganz eigene Herangehensweise zeigt sich im Gespräch mit Holger Bergmann, dem Künstlerischen Leiter des Ringlokschuppens.

Jens Kobler ?: Zunächst, wie in dieser Reihe üblich, bitte eine kurze Vorstellung der Institution Ringlokschuppen und auch der eigenen Rolle des Holger Bergmann in diesem Rahmen.

Holger Bergmann !: Nun, der Ringlokschuppen ist einer der jüngsten freien Kulturorte des Ruhrgebietes. Der Start war 1995, das war nach einer langen Phase des Vakuums für freie Räume und Soziokultur in Mülheim. Seit den Achtziger Jahren gab es einige Versuche etwas zu etablieren, aber meist mit dem Erfolg der Nicht-Realisierung, gerade anbetracht der hier agierenden sehr starken Sozialdemokratie genau in diesen Jahren. Exakt in der Zeit des schwarz-grünen Bündnisses, das ja nur ein halbes Jahr getragen hat, wurde der Ringlokschuppen realisiert, dann aber auch mit der Zustimmung der SPD. Das war politisch eine ungewöhnliche Konstruktion.

Der Weg dahin gestaltete sich für mich persönlich u.a. dadurch, dass ich freie Theaterprojekte in der Stadt gemacht habe und wir ein Forum mit verschiedenen Leuten aus der Kunst- und Kulturszene gegründet hatten, die auch eher eine Affinität zur darstellenden Kunst hatten. In diesem Gebäude hier wurde wiederum von Seiten der Stadt eine Bürgerbegegnungsstätte betrieben, nachdem zur Landesgartenschau umgebaut worden war. Als dann auch dort nach 1992 ein inhaltliches Vakuum zu verzeichnen war, wurden Vermietungsverträge geschlossen, u.a. mit Agierenden aus diesem Forum. 1995 sagte man sich dann "Nicht nur den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei" und mietete das ganze Haus. Zunächst wurde also Programm gemacht, und dann erfolgte die Gründung des Vereins, auf dass die "Übernahme" möglich wurde.

?: Also gab es nie eine Situation wie "Diese Autonomen dürfen froh sein, da überhaupt etwas machen zu dürfen", sondern es gab von vornherein eine günstige Ausgangslage?

!: Es ging mehr darum, die aktuellen gesellschaftlichen Regularien zu suchen, damit wir unseren Gestaltungswillen verwirklichen können. Denn es war ja auch ganz klar nach 1989.

?: Das deckt sich sehr gut mit einer meiner Generalthesen zu den Unterschieden zwischen all den soziokulturellen Zentren und ihren Verhältnissen zur jeweiligen Stadt. Dass da nämlich genau ein Bruch zu verzeichnen ist, Ende der Achtziger. Mittlerweile wird ja sogar eher im großen Stil versucht, ganze Areale zu recht kommerziell oder kreativwirtschaftlich ausgerichteten Zentren fast eher zu erklären, und von den Ansätzen der späten Siebziger, frühen Achtziger ist in späteren Modellen von Soziokultur und Kreativzentren nichts mehr zu bemerken.

!: Nun, wir hier sind nicht "gesetzt" von oben. Es gab da keine Strategie die uns sagte "Wir bauen jetzt hier diesen Ringlokschuppen um", sondern im Gegenteil ging es um ein Bürgerbegegnungszentrum, in dem vom Medienhaus über Hühnerzuchtausstellungen alles Mögliche stattfinden sollte, und in dem Kultur nicht besonders vorkam. Aber das, ebenso wie das von Dir gerade Beschriebene,  sind ja durchaus auch alles Verzweiflungsstrategien in einer Region, die immer nur durch das Interesse von Industrie bestimmt war, hier Humankapital anzusiedeln und nur minimal zu versorgen. – Und das hat Anfang des letzten Jahrhunderts sogar in Teilen besser funktioniert, wenn man sich Strukturen wie die Margarethenhöhe in Essen mal anschaut. – Dieser Aufbruch hat allerdings immer unterschlagen dass es eigene Potentiale gibt und hat so die Verknüpfung nicht hinbekommen. An diesem Punkt sieht man auf Zollverein zum Beispiel einerseits gewachsene Strukturen wie PACT!, mit gewachsenen regionalen wie internationalen Strukturen,  andererseits aber auch Aufbruchbehauptungen, die bisher nur schwer realisiert werden konnten.

?: Es ist ja auch durchaus Markenzeichen des Ringlokschuppens, sich eben nicht nur als Veranstaltungshalle zu begreifen und sich von Agenturen und Institutionen vorschreiben zu lassen, wie das Programm zu gestalten sei.

!: Na klar! Rückblickend auf die Neunziger ist es aber auch durchaus okay zu respektieren, wenn sich zu dieser Zeit Leute in Strukturen begeben haben, wo sie arbeiten können und wo sie dafür auch bezahlt werden. Was allerdings nicht richtig ist, ist sich damit zu begnügen. Bei Stuckrad-Barre kann man das schön nachlesen wie es ist, in einem Kulturzentrum aufzutreten, wo einfach immer ein Plakat über das nächste geklebt wird. Das hat natürlich ein Publikum, und das ist auch richtig. Aber es kann ja nicht kulturelle Aufgabe der Häuser sein, nur diesen Weg zu erfüllen. Wir waren hier in den Neunzigern eben in der glücklichen Situation, dass es halt keine freie Kultur gab, die sich mannigfaltig und tausendfach artikulieren wollte – sondern es ging darum das erst einmal herzustellen.
Und man kann ja durchaus mal fragen: Warum geht denn jetzt inzwischen die Oper in diese Fabrikhallen? Was also ist der Vorteil, den diese freie Kultur damals entwickelt hat? Ich denke, es war auch das Fehlen des Genre-Gedankens. Es ging nie um das reine Theater, die reine Musik, das Architekturprojekt, etc. Sondern man holte sich immer verschiedene Kräfte zusammen. Es war auch die Suche nach dem gesellschaftlichen Kontext, nach der Reibungsfläche für die Kultur. Wir haben uns gefragt: Wie können wir das leisten? Wie stellen wir das unter den aktuellen Verhältnissen her? Und ich habe das auch einmal ausgetragen, als ich im Bundesvorstand der soziokulturellen Zentren war. Da war meine Haltung etwa diese: "Ihr könnt doch diese Zentren nicht dem Gestaltungswillen von Geschäftsführern überlassen!" Denn in den Achtzigern ging es plötzlich viel um die ökonomische Struktur der Zentren, aber wenig um Inhalte. Mitte der Achtziger waren bei den meisten die Programmdiskussionen weit passé. Daher gibt es auch hier z.B. keine Intendanz oder nur einen Booker, sondern eine künstlerische Leitung.

?: Hier wird ja auch nicht nur einfach an Disco-Veranstalter oder einzelne Gruppen delegiert. Wie organisiert sich der Ringlokschuppen?

!: Das geschieht schon stark als Team, und das ist keine Floskel. Aber es gibt natürlich Entscheidungsstrukturen, und da wo aus unterschiedlichen Interessen heraus etwas stockt, da wird das dann aufgelöst. Streitigkeiten und Differenzen werden in soziokulturellen Zentren oft über Jahre nicht ausgeräumt, aufgrund festgefahrener Strukturen. Wir haben hier eine Doppelspitze, mit Peter Krause als Kaufmännischer Geschäftsführer und mir als Künstlerischem Leiter. Und ich glaube dass das richtig ist, dass wir zwei uns dann manchmal die Köpfe einschlagen und nicht das ganze Haus. Es ist aber auch Voraussetzung, dass sich jeder wiederfindet und einbringt.

?: Das hiesige inhaltliche und strukturelle Konzept erklärt sich vielleicht am besten über den derzeitigen "Aufstand gegen die Wirklichkeit".

!: Wir konnten darunter einige Projekte zusammen fassen wie die Ruhrtriologie von René Pollesch, unser Stadtteilprojekt "Eichbaumoper" oder – ganz aktuell – "Altneuatlantis" von kainkollektiv. Und so ist manchmal hier auch eine Woche lang nichts los, weil wir einen anderen Ort bespielen oder den Ort herrichten oder anders nutzen müssen. Im Rahmen der RuhrTriennale oder der Kulturhauptstadt realisieren wir auch viele Projekte in anderen Städten, weil für uns diese Auflösung von Stadtgrenzen eh schon lange gegeben ist.

?: Das sind natürlich nicht nur selbst getragene Projekte. Dieser Spagat funktioniert also: Nicht mal eine kommerzielle Disko machen zu müssen, hier auch einmal geschlossen haben können, und inhaltlich keine Abstriche machen zu müssen bei diesen Großprojekten!??

!: Ökonomisch betrachtet bringt so ein Diskobetrieb gar nicht so viel wie es oft heißt. Wir bekommen derzeit einen kommunalen Zuschuss von knapp 500.000 Euro, wovon 300.000 direkt als Mietkosten wieder zurück gehen. Und so haben wir beschlossen, uns keinen zu großen Apparat zu halten. Die Gastronomie ist vermietet, und auch das ist keineswegs ein Nachteil. Insgesamt sind wir hier 13 Leute auf 18 Stellen und haben etwa einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro zu machen. Unsere Reihe "Kulturgut" in der Stadthalle ist ausgegliedert und genau der Teil des Programms, wo wir 40, 50 Veranstaltungen pro Jahr machen, wo denn auch Namen wie Esther Ofarim, Herbert Knebel oder Heinz-Rudolf Kunze auftauchen. Diesen Markt bedienen wir halt in der Stadthalle. Und den Part für Jugendliche und Stadtteilarbeit auch übernimmt in Mülheim ja das AZ. Insofern und anbetracht der Tatsache, dass dieses Haus hier das Stadtjubiläum im letzten Jahr kuratiert hat, zeigt sich schon, dass wir bestimmte öffentliche Kulturaufgaben mit übernehmen. Und das ist durchaus eine Position der Anfangsjahre: Besser auch einmal Aufgaben an gemeinnützige Vereine übertragen als neue städtische Strukturen zu schaffen. In dieser Zeit ohne Kultusministerium und wenn der Verzicht auf Kulturdezernenten ein offenes Thema ist, muss bei den zukünftigen Herausforderungen schon gesehen werden, wer die Kulturarbeit dann überhaupt leisten kann.

?: Was ja nicht bedeutet, die Politik und die Kommune aus der Verantwortung zu entlassen…

!: Deshalb haben wir ja immer temporäre Aufgaben übernommen, aber es geht nicht um das Ersetzen von städtischen Strukturen, weder im kulturellen, noch im sozialen Bereich. Der Ringlokschuppen selbst hat sich ja immer mehr zu einem Ort verschiedener Künste entwickelt und es gibt sonst keinen Ort im Ruhrgebiet, der solch einen Fokus auf diese Bereiche bieten kann. Diesen Charakter wollen wir 2010 als temporäres "Theaterhaus Ruhr" stärken, mittels Kooperationen mit z.B. den Stadttheatern im Ruhrgebiet, dem FFT in Düsseldorf oder der Volksbühne Berlin. Mit der zusätzlichen Förderung von je 300.000 Euro, die das Land für zwei Theaterhäuser in Köln und Essen hingeblättert hat, könnten wir hier in unserer Netzwerkstruktur einiges anfangen, das in anderen Haushalten eher verschwindet. Wir sehen unsere Entwicklung im Vergleich als sehr progressiv und werden nicht zurückgehen zu einem Haus, das einfach Kabarett- und Konzertveranstaltungen abliefert. Die Frage an die Landesregierung ist eher, ob solch ein Ort nicht weiter entwickelt werden sollte. Und darum werden wir im nächsten Jahr verstärkt kämpfen.

?: Besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

 

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3 FÜR 7 – Dezember 2009 (c.Z.) in Deutschland (Extremwesten)

Undankbares Thema: Also, irgendwie ist mensch ja dankbar für all die coole Theorie, die ständig verschenkt wird. Und manche tanzen ja sogar zu Architektur. Erstaunlich jedenfalls bleibt, wie sich manche Theoriekünstler zu Pubertäts- und Adoleszenz-Zeiten festbeißen in den Köpfen und fürderhin nie besonders hinterfragt werden. Etwas Warmes braucht der Mensch halt, und so ist das (Irgendwie-)Verstehen bzw. (-)Nachvollziehen von den Gedanken recht cooler Theorie-Typen mittlerweile ein recht herkömmliches (Hobby-)Berufsjugendlichen-Merkmal geworden. Was das mit Ken Loach zu tun hat? Die Themen: Diederichsen, Frömberg, Europäischer Filmpreis.

Claus Leggewie darf mal wieder zeigen ob er was draufhat oder immer nur abnickt: Diedrich Diederichsen, einer der großen Survivor der 80er (hihi), ist zu Gast bei "Dialoge über Zeit- und Streitfragen" des KWI mit Sitz in Essen. "Die Zukunft der Popmusik" wird hier "zwischen Straße, Galerie und Hobbykeller" verortet, und zwar, so heißt es, zu einer Zeit, wo "Pop-Musik am Ende ihrer Epoche" sei. Okay, also Apokalyptik-Grusel inklusive Heilsbotschaft, alle Produktionsmittel sind beim Konsumenten, danke dafür, D.D., juchhu! Am zweiten Tag folgerichtig "Die Autonomisierung des Angewandten", später im Monat dann noch "Verknüpfung, Markt, Medien" sowie "Starschnitte und Soundfetische", so dass wir ein ganz gutes Bild haben: Starprinzip nicht weg, Aneignungsmechanismen funktionieren, eBay-Pop statt Kommunismus, aber immerhin. Danke dafür, … etc. (Ich möchte noch erzählen, wie ich bei einem Interview Schorsch Kamerun mal fragte, wen er eigentlich in "Muss Ja" meint. Ich sollte raten und tippte auf Diederichsen. Kopfschütteln, Ablehnung bei Kamerun/Gaier. Gremliza sei gemeint. Ich nickte stumm und fragte mich, warum wohl eigentlich der herhalten musste. Hat bestimmt mit alten Männerbünden zu tun, dachte ich dann. Nuja, so isses, nicht wahr? *gähn*)

Äh, ja. Und wer bei dem Titel "Spucke" des Buches von Wolfgang Frömberg nicht an das ehemals kölsche Magazin denkt, für das oben groß und breit vorgestellter Herr tätig war,… dem und der schreibe ich dies hiermit. Nach all den Tourtagebüchern und Deutschploitation-Interviews der letzten Zeit mal ein etwas anderer Ansatz, versteckt autobiographisch (Medien-)Pop über (Medien-)Pop zu fabrizieren: Es geht um die Lebenswelt "Popjournalist", fein. Und zwar anscheinend um jene, die – wie ich letztens schrieb – 24/7 und 9 to 5 in diesen Welten leben (aber irgendwie als "Pop-Linke" firmieren dürfen). Denn Adorno war ja zu bürgerlich, also alle lieber vollexperimentell leben und den Staat zur Fürsorge zwingen, etc., yo! Spannend natürlich die Frage wie sich so ein Frömberg positioniert zwischen all den möglichen Blickwinkeln auf das Alternativ-Biz in D. (Ich les gerade andere Bücher.)

Szenenwechsel zum Großen Kino as we know it (hoho): Europäischer Filmpreis. Und zwar, wie es so schön auf Englisch heißt, in "Ruhr Metropolis" (Foto: Fritz Lang). Manchmal dürfen wir uns vielleicht ja noch fragen, ob das so schön ist, so konnotiert zu werden. Positiv betrachtet: Na klar, jeden Tag wollen wir hier die Arbeiterinnen und Arbeiter befreien. Aber doch nicht mehr von den Kohleöfen, bitteschön! Ts. Jedenfalls geht es in diesem Monat erst einmal um die Europäische Filmwoche der European Film Academy, am 12.12. wird der Filmpreis in der Jahrhunderthalle vergeben, und einen Tag zuvor ist Filmgala zu Ehren von Ken Loach. Dessen Film "Looking for Eric" handelt von einem Mann mittleren Alters, der sich in großen Lebensnöten an eine Erscheinung seines Jugendidols Eric Cantona wendet. Was das mit Diederichsen und Frömberg zu tun hat? Haha!

"Dialoge über Zeit- und Streitfragen" zunächst einmal am Dienstag und Mittwoch.
"Spucke" am Freitag.
"Europäische Filmwoche" ab Sonntag eine Woche lang hier und da, die Gala ist – wie oben schon geschrieben – am 11.

3 für 7 – (d.h.:) 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Manche mögen sich wundern, wieviele Helden und Vaterfiguren auch Antiautoritäre haben. Oder wieviel Popappeal Bürokraten erlangen können. Oder wie doll berühmt und begehrt ein Mensch werden kann, indem er oder sie einfach permanent in den Medien ist. (Vielleicht wollen deshalb auch dringend alle in diese Medienmaschine rein – u.a.). Doch zum Glück geht es nicht um Hobbypsychologie hier, aber diesmal halt auch nicht um (simples) Starprinzip, sondern: Blicke, Impulse, Macondo.

Literaturfestival in Bochum: Max Goldt (sorry, ein Star!) war am Sonntag schon da zur Eröffnung von "Macondo", es folgen noch Namen wie Markus Orths, ein Nachtreffen ehemaliger Debütant/innen aus zehn Jahren Festival und der diesjährige Ball der Debütierenden. Dabei kommt denn sogar einmal das Riff in den Genuss literarischer Erquickungen, aber auch das TuT. Gefördert wird das Ganze nur noch von der Kunststiftung NRW und kommunalen Energie- und Geldverwaltern, das Geld von der Stadt fiel der Haushaltssperre zum Opfer, so heißt es, daher ist das Programm ausgerechnet im Jubiläumsjahr auch etwas dünn. Mal schauen wo das alles so nächstes Jahr und in, sagen wir, fünf Jahren ist.

Das Theaterfestival der Woche heißt "Impulse" und zeigt in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim auch eher kleine und recht feine Kulturhäppchen, so Beatrice Fleischlin (Foto: Wolfgang Probst) mit "My ten favourite ways to undress", Hans-Werner Kroesinger und die Gob Squad. Viel Off also, mal Minimales, mal doch recht nah am Stück. Ganz klar das "kommerziellste" der hier angekündigten drei Festivals – und dabei selbstverständlich nicht für jeden Geschmack, Sie verstehen.

"Blicke" hat jetzt den Untertitel "Filmfestival des Ruhrgebiets" und schärft damit sozusagen sein Profil als Veranstaltung für Videos, Filme und Medienkunst aus dem und gerne auch über das Ruhrgebiet, lässt denn aber auch in diesem Jahr zum ersten Mal das "Spektrum Deutschland" als Präsentationsplattform zu, "für alle Beiträge die nicht den Kriterien entsprechen" (s.o.). Fragt sich natürlich, was mit Werken passiert, die weder den Kriterien entsprechen noch zum Titel der Plattform für Nicht-Ruhriges passen – aber das ist bestimmt mal wieder nur so ein typischer Gedanke. (P.S.: Falls irgendeine Kulturinstitution sich so ab Anfang des Jahres auf ihrer Homepage noch zumindest für des Englischen fähige Menschen verständlich zu machen gedenkt: Ich kenn da welche. Nur mal so, kostet auch nicht viel.)

"Macondo" noch bis Sonntag.
"Impulse" von Mittwoch bis zum 6. Dezember.
"Blicke" von Donnerstag bis Sonntag.

Rettet den Blätterwald (7) – Heute: Playboy

In dieser losen Artikelreihe geht es um die reale Vergänglichkeit von Printpublikationen, so letztens um Galore. Diesmal steht ein Titel zum Verkauf und erlangt daher die zweifelhafte Ehre, an dieser Stelle auf seine Sinnhaftigkeit hin untersucht zu werden. Ein Titel, den der Autor dieser Zeilen bislang eh nur zweimal gekauft hatte, zur Deko für seinen Spind bei der Bundeswehr. "Alles was Männern Spaß macht" – auf gehts.

Frauenbilder, Männerbilder. Das "Fest der Liebe" also, als große Sexparty natürlich. Ein "Playmate-Adventskalender" als Beilage, recht derb anmutende Skisport-Bunnies auf dem Cover, denn es geht ja auch um "Die schönsten Skilehrerinnen des Winters". "Die 50 besten Männeruhren" als Special, "Die Wahrheit über die Piraten von Somalia" als Reportage. Ansonsten viel Weiß, na klar. Und Skier als Ohrenersatz. Schnell weg vom Cover und rein in’s Heft.

BMW schaltet doppelseitig, mit dem Spruch "Freude hat ihre eigenen Regeln: Keine Regeln." Überschrift des Editorials: "Die Welt wird weiblicher!". Eigenwerbung für ein Parfüm unter dem Titel "Nie wieder Game Over". Unter dem Editorial die "Playboy-Mitarbeiter des Monats". Die Lesenden ahnen, es geht hier schwer um eine besondere Art von Leistungsprinzip.

Das Inhaltsverzeichnis, und Agassi wirbt für Uhren. "The Return Of Men" bewirbt ein Eau de Toilette. Leserbriefe (zumeist über Models der letzten Ausgaben) und Werbung für Rum. Werbung für einen Fernseher und immer wieder Parfüm und Uhren. Eigenwerbung für die HP des Blattes. Insgesamt wirkt alles recht widerlich, aber wenigstens ökonomisch professionell. Wenn bei diesem Blatt aber die Oberfläche (viel wertige Werbung, Einbindung vieler attraktiver Menschen und Namen) nicht stimmen würde, dann klappte ja auch das ganze Blatt nicht. Macht will ja schon ausgestrahlt sein. Mal schauen wie das inhaltlich transportiert wird.

Hm. Eine Rubrik namens "Radar" will Trends für den Monat anpreisen, so eine österreichische Rocksängerin, Kraftfahrzeuge, Messer, "Tatort"-DVDs (!) und natürlich Uhren, Uhren, Uhren. Hat der Playboy-Leser ständig (Zeit-)Druck, oder was? "24"-DVDs auf einer ganzen Seite, jetzt wird’s aber etwas sehr billig redaktionell. Zitat: "Das ist die eigentliche Moral von "24": Jack Bauer ist also Mahner und Mutmacher zugleich." Like Bruce Willis never happened. Egal. Immer noch "Radar": Von der Redaktion vorgeblich ungeliebte Weihnachtssongs als Anti-Top10-Liste, Fotografen, Autos, Hunziker und warum Helmut Berger nicht mit Grace Kelly tanzte. Schlechtes Kokain machte ihn sich in die Hosen machen. Es geht weiter mit einer Designer-Geschichte und einer Kolumne über gutes Riechen (daneben Alpecin-Werbung, super!). Wer das so liest erinnert sich gerade an typische Barbie-&-Ken-Klischees, da…

… schlägt ein nacktes Hinterteil zu. Wir sind nämlich bei den angekündigten Skilehrerinnen. "Blanke Haut vor Wintergebirge" ist wohl die Grundidee der Fotostrecke. Kategorisiert sind die Damen nach Name, Alter, Stadt und Land; das Ganze gibt es selbstverständlich auch als Wandkalender zu bestellen. Fast putzig: Zur Erleichterung des "Kennenlernens" bzw. Schwärmens gibt es quasi im Nachklapp zur Fotostrecke noch kleine Steckbriefe, die dann noch zusätzlich das genaue Geburtsdatum, das Skigebiet, die Körpergröße und ein paar Zusatzinformationen preisgeben. Dann wirbt Nivea, dann die Deutsche Post, dann kommt eine "David gegen Goliath"-Geschichte reinsten Wassers: Die Reportage über die vollechten Männer, die die Piraten von Somalia sind. Was die Skilehrerinnen wohl zu denen… Schnell weiterblättern.

Roland Emmerich! Ja, Mensch! Endlich etwas Spiritualität, haha. "Ich habe keine Angst, alles zu verlieren" wurde für die Überschrift gepickt. Uh yeah, denn Freude kennt ja keine Regeln, Roland. Whisky, Parfüm, und natürlich Technik, Technik immer schön rechts platziert. Die nächste Story bietet eine Skateboard-Ikone als Identifikationsfigur, dann kommt die Story zur edel platzierten BMW-Anzeige und auch ansonsten einfach die Rubrik "Motor". Fast vergessen: Der PKW als ganz wichtiges Utensil. Welch nimmermüder Klassiker, anscheinend jeden Monat neu. Und dann natürlich iPhone-Alternativen im Test, so als modernistischer Technik-Fetisch, und als es gerade ganz schön technikversessen wird, da…

… zeigt sich eine junge Dame romantischst auf eine Art im Ambiente eines österreichischen Schlosses. Das geht ein paar Seiten lang so, dann kommen Witze und "Playmate-News". Ein Playmate von 1976 zieht sich noch einmal kurz für 2009 aus, dann kommt eine Geschichte über einen Violinisten – war der nicht letztens auch bei "Wetten Dass,…"? Gutes Management, haha. Mercedes und Opel schalten auch wie verrückt, dann geht es um "Stil", modisch bedeutet das diesmal "Doppelreiher" und in Überschriften mit Befehlssätzen als Handlungsmaximen für den Herrn ausgedrückt bedeutet das anscheinend "Seien Sie selbstbewusst!", "Verbergen Sie nichts!", "Werden Sie nicht zu breit!", "Geben Sie sich leger!", "Bewahren Sie Haltung!" und "Haben Sie keine Hemmungen!". (Bitte nicht zu viel darüber nachdenken, es widerspricht sich hier einiges!) Darunter dann noch, wie ein Doppelreiher nicht zu tragen ist. Ganz köstlich.

Es folgt eine Geschichte über halbwegs erfolgreiche Jungunternehmer, ein Leitfaden wie sich Männer in einer Parfümerie orientieren können und noch ein bisschen mehr Informationen zwischen "leichte Unterhaltung" und Produktwerbung. All das ist immer noch die Rubrik "Stil". Die Lesenden fühlen sich gerade schon halbwegs in Ludenhausen angekommen, da kommt auch noch das exorbitante "Uhren-Special" inklusive Besinnungsartikeln von Menschen wie Max Herre und Götz Otto, die erklären warum genau sie genau diese Uhr… Noch gefühlte 20 Seiten Uhren, dann Schnaps. Das ist dann aber schon die Rubrik "Lebensart" – im Gegensatz zu "Stil", aha. Es folgen einige nur wenig kaschierte Geschenktipps für Früheinkäufer, dann…

… erklärt ein Evolutionstheoretiker, warum der Mensch ein "Sex-Streber" ist, im Gegensatz zu anderen Lebewesen, die Sex für Energieverschwendung halten. Wie schön für den Playboy, dass die Herangehensweise an den Geschlechtsverkehr den Menschen zum Menschen macht, und nicht zum Beispiel das Hinterfragen-Können dubioser Thesen. Männliche Menschen bleiben nach dem Kinderzeugen bei ihrer Frau? Stimmt, Cem Özdemir zum Beispiel, naja, zumindest für sechs Wochen. Und weil Mann und Frau den Termin des Eisprunges nicht bemerken, müssen sie auch beisammen bleiben, um Fortpflanzung hinzubekommen? Das Buch des Spezial-Wissenschaftlers heißt tatsächlich "Warum macht Sex Spaß" – "Joy of Sex" hatte mensch ja schon, puh!

Es folgt ein "Flirt-Helfer", der paradoxerweise erklärt, wie mann ausgerechnet den Barkeeper zu seinem Verbündeten machen kann. Dem Autor dieser Zeilen hier fällt gerade auf, wie gut das Blatt das Ende der Tabak- und vor allem Whisky-Schaltungen alter Zeitrechnung überstanden hat. Endlich mal was zum Thema "Alkohol und Frauen" aber auch, endlich! Aber nicht vergessen: "Werden Sie nicht zu breit!".

Die Rubrik heißt ja auch "Lust" und bekommt allen möglichen Trash da reingepackt, bis der "Berater" einschreitet und Fragen be-entwertet. Schönste Frage: "Auf was für Typen stehen Frauen eigentlich?" Antwort (in Auszügen): "Sie sind zu perfekt. Das macht Frauen schnell misstrauisch. Sie fangen dann an herumzuanalysieren. (…) Machen Sie doch einmal das Experiment: Macho statt Gentleman." Genau, Frauen wollen sich überlegen fühlen, deshalb muss der Mann ein Schwein sein, oder Pirat vielleicht…

Dann noch eine Softpornostrecke, diesmal in Schwarzweiß und mit Fotoapparatfirma-Productplacement, etwas Kultur inklusive eines Interviews mit Leon de Winter ("Es sagt uns die DNA, wie wir uns zu verhalten haben, und zwar seit Zehntausenden von Jahren: Ab 13 möchten wir töten und vergewaltigen und Krieg führen, das ist, was wir in unserm tiefsten Innern wollen." – "Unsere Schulen sind nicht geeignet für Männer. Die können keine Kriege mehr führen(…), die Schulen sind perfekt geeignet für Mädchen, die sich benehmen." – "Israelische Raketen gegen arabische Schwänze: Darum geht’s."), Nick Cave’s Buch über einen Sexomanen ("Eine düstere Moritat"), Kiss ("haben alles richtig gemacht") und in der Schmuddelecke unter "Wiedergehört": "Bleach" von Nirvana ("Rotzigkeit", "verzweifelter Gesang"). Jetzt reicht’s aber so sachte! Okay, noch Woody Allen, Computerspieltipps, und ein "Schlusswort" über das Ende einer Beziehung ("Mich träfe überhaupt keine Schuld, sagten alle. Ich sei verführt worden. Ich hätte gar nicht gewusst, worauf ich mich einlasse. Ich war Deutschland, sie war Hitler. An unserer Theke ist eine Stimmung wie Ende Mai ’45. Alle sind schon immer dagegen gewesen, jetzt wo Adolf weg ist bzw. Ramona. (…) Und dann schreibt Ramona eine SMS. (…) Ich bin gerührt. Vielleicht auch nur besoffen. So eine SMS hat Hitler nicht geschickt, aber Vergleiche hinken immer. Ich guck demnächst die ganzen Dokus, in denen die Leute erzählen, wie die DDR nach dem Dritten Reich möglich war. Irgendwas muss ich meinen Jungs sagen, wenn Ramona wieder bei mir einzieht.") Keine Ahnung, welche Art neueR Partner/in dem Playboy zu wünschen ist.

3 FÜR 7 – Punk-Special

Haha! Na, denn mal los: Also, vorhin in der Straßenbahn weg von einem kurzzeitigen Gelegenheitsjob dachte der Autor dieser Zeilen kurz daran, wie um Himmels Willen er bloß die angekündigte Rezension über "Gebrauchsanweisung für das Ruhrgebiet" von P.E. Hillenbach für einseitig.info schreiben soll. (Und jetzt gerade – also beim Schreiben – fällt ihm auch dieses Magazin namens Business Punk ein.)

Jedenfalls fiel auf, dass a) natürlich alle stumm und einzeln sitzen, b) die mittlerweile ja anscheinend gewerkschaftlich legitimierte Pause an Endhaltestellen immer noch zu schimpfenden und frierenden Gästen führt und c) hier im Ruhrgebiet mehr denn je die Grenzen verschwimmen zwischen ä) emporgekommenen Asis, die sich für Punks im Geiste halten, ö) irgendwie postfaschistisch-neonationalsozial aufgewachsenem Kampfproletariat mit irgendwelchen (ggf. uralten) Popkulturmacken und ü) ganz normalen Ureinwohnern und denen nacheifernde, die im Zweifel immer die Tradition von Stumpfsinn, Gewalt und/oder einfach "jeder ist sich selbst der Nächste, aber feste" hochhalten. Dieser Drift muss mit irgendwelchen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun haben, man könnte aber auch einfach behaupten das war hier schon immer so, aber genau jetzt erst ist man Zeitgeist, Metropole, befreit von altem Solidaritätsschmock, usw. Und jetzt noch mehr (Business) Punk mit: Jim Avignon, Georg Kreisler, Morrissey.

Letztens sprach ich in Leipzig mit einem rührigen Plattenhändler darüber, ob man die CD-Umsonstbeilage des Albums einer Band in einem Magazin noch als Affront gegen große Plattenkonzerne verstehen könnte. Wir einigten uns auf ein "vielleicht, aber im Grunde gerne". Das geht natürlich auf diesen berühmten "Independent"-Geist zurück, der einer der Impulse war, die Punk (via DIY) in den Mainstream setzte. Mittlerweile hat jede Ich-AG ihre eigene Werbeabteilung (im Kopf), muss sich als Popstar verkaufen und demnächst vielleicht auch noch auf Facebook das Hartz-IV-Widget einbauen. Das hat man dann von "I will not be treated as property"? In der Kunstwelt ist es etwas leichter mit dem äh Warencharakter der Menschen, man muss zwar auch ab und an mal seine Privatheit an der Garderobe der Medienwelt abgeben, hat aber ggf. schöne Unikate zum Verkauf, wie es auch Jim Avignon gerne pflegt, und kann diese dann z.B. in Düsseldorf ausstellen und ein Konzert (als Neoangin – s. Foto) geben, bei dem man wieder wie eine niedliche Ausgabe von Mark E. Smith klingt. (Punky Zugabe: Das Konzert war schon. Harhar.)

Wer zu spät kommt, den belohnt der Mainstream. Morrissey war schon ganz früh dabei (oh, schon wieder Manchester Thema in diesem Text! ts), nicht nur als Chef des New York Dolls Fanclubs oder so, kam dann zur Unzeit mit The Smiths und einer erstaunlichen Punk-Variante haha heraus hihi, und kann sich sicher rühmen, damals schon viel Stahl weichgeklopft zu haben. Manche haben sich identifiziert, andere mitgelitten, der Sänger wurde zur Diva, machte Solokarriere, wiederholte sich und hatte dann ein Comeback, das der Autor dieser Zeilen immer etwas unplausibel fand, aber "That’s How People Grow Up" passt gerade ganz schön zum Intro dieses Textes, so what?! Wie verstehen Sie dieses Lied eigentlich? So wie et jerade passt? Naja, und wie in Deutschland halt oft, weiß man gar nicht ob man die 90% Fans besser finden soll, die den Typen gar nicht verstehen oder tatsächlich die 10%, die ihn immer noch verstehen und hinrennen, z.B. ins Stahlwerk hoffentlich, denn Philipshalle is nich.

Und damit zur alten Frage, ob Misanthropen gerne Künstler werden oder Künstler irgendwann Misanthropen. Oder ist Georg Kreisler gar keiner? Nun, wohl nicht. Aber wir erinnern uns: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, die Sozialdemokraten werden uns immer verraten, die "Linke" auch, aber man merkts hier und jetzt nicht so dolle, und der Rest eh. Desweiteren hat es ein Mensch auf der Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten nahezu unmöglich, dabei nicht enttäuscht zu werden (s.o.), und muss sich immer neue Grausamkeiten von Politikern, Wirtschaftsbossen, Erfindern und Co reindrücken lassen, die ihn immer wieder mit der Nase draufstoßen, dass er oder sie eben kein total wichtiger Erfinder, Politiker, Wirtschaftsboss oder Co ist, sondern … naja, Fußvolk, Konsument, vielleicht "Kreativer", "Künstler" oder "Journalist". Und so greift mensch dann zur Feder, zum Keyboard, zum Klavier und schlägt zurück, am besten natürlich nach oben, aber auch dahin wo jemand noch etwas merken könnte. Georg Kreisler liest aus seiner Autobiografie "Letzte Lieder".

Die Ausstellung "Homeless Bone von Jim Avignon" noch bis zum 12. Dezember.
Morrissey am Donnerstag.
Georg Kreisler auch.

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3 FÜR 7 – Tipps für Drinnen, aber nicht Zuhause

Mitte November, na fein. Da suchen viele Leute nach Musik, die ordentlich einheizt. Manche gehen einfach wie immer wochenends ihre Hüften kreisen lassen. Und selbst der Autor dieser Zeilen hat sich dabei ertappt, wie er letzte Tage manchmal kurz gen Mainstream schielte. Tja, in trüben Zeiten wird halt gern zu etwas Autoritätsvollem hingeblickt. Und in der Masse ist es ja auch kuschelig und so – wenn nur die Massen nicht meist so stumpf wären. Die Lösung für dieses Problem innerhalb dieser Kolumne für diese Woche lautet: Völlig diverses ohne geringsten Stadion- oder Volksfestappeal. Sondern: Kulturtransport, Cluster, Monet.

"Kulturtransport" in Oberhausen ist, wenn dort bei regulären und Sonderfahrten des ÖPNV … na, halt was Kulturelles in den Bahnen aufgeführt wird. (Ich sehe gerade wieder vor meinem geistigen Auge eine massive Flucht der Ruhr-Bevölkerung von Kultur weg voraus, ach Quatsch, bereits passieren. Denn die Menschen hier fühlen sich gegängelt. Jawohl! Sie wollen gar nicht all dieses Kunstzeug. Sie wollen zuhause bleiben und mit dem spielen, was Mama und Papa ihnen mitgegeben haben. Gut, vorher und nachher auch mit dem Computer. Und draußen wollen sie vielleicht einkaufen…, z.B. im CentrO.) So, also nun sitzt da die frisch konsumbereite Jugendschar auf dem Vierer und quatscht über irgendwelche attraktiven Bridgets und Widgets, da kommt plötzlich Kultur auf sie zu. Uff! Schock!! Äh, sofort lassen die Herren und Damen natürlich alles stehen und liegen und … Ne, so. Kann zur Zeit in Oberhausen passieren in Form von Aktionen im öffentlichen Verkehrsraum namens "Sing mit!" (mit der Musikschule Oberhausen), Autoren- und Comiclesungen, etc. Ja, es bleibt halt immer tootaal spannend, wenn Kulturbeflissene auf schwieriges Publikum treffen. Was machen die auch da draußen außerhalb ihrer Kunstklitschen, ts.

Und damit mal wieder an den Rand von Duisburg, zum Steinbruch, wo ein meist recht bemüht-interessiertes Publikum in ordentlichem Ambiente und angelockt von agilen, kaum zu beeindruckenden Veranstaltern seit einiger Zeit auch immer mal wieder richtige Krautrocklegenden präsentiert bekommt. (Ehrlich gesagt finde ich die Musik von Cluster recht toll, vor allem für ihre Entstehungszeit, kann mir aber wirklich Schöneres als eine Tour dahin mitten im November vorstellen, wenn genau oben beschriebene Mischung dann im Endeffekt dazu führt, dass … Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius wahrscheinlich ganz einfach entzaubert werden durch diese End-Duisburger … Sämigkeit?) Tolles Konzert bestimmt, vorher einfach viele edle und gute Gefühle aktivieren und dann äh Raum und Zeit vergessen.

Apropos: Monet in Wuppertal. Und zwar noch einige Zeit. Auch etwas für eher fortgeschrittene ÖPNV-Nutzer. *räusper und ab*

Kulturtransport in Oberhausen noch bis Mitte Dezember.
Cluster in Duisburg nur am kommenden Donnerstag.
Monet in Wuppertal noch bis Ende Februar.

3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Menschen sind ja meist beschäftigt. Also braucht die Gesellschaft eine Art Schmiermittel, damit mensch schnell ins Träumen und/oder Kuscheln – oder so, genau – kommt. (Manche sogenannte Kreative leben professionell den ganzen Tag in diesen Schmiermitteln.) Nun kommt also historisch verspätet, aber irgendwie gerecht zu 2010 hin das Ruhrgebiet zu ganz viel Pop, Kultur und Popkultur. Es wurde – schon wegen dem alten Gedankenknast "Gorny = Rockbüro" – bisher viel auf Musik geachtet. Gut, auch auf Museales, Architektur und Design. Aber so sachte kommt das Thema "Film" verstärkt ins öffentliche Visier. (Ein bisschen spät für manche, aber naja.) Und in dieser Woche an dieser Stelle zudem auch ein schönes Musikspezialgebiet, das im Ruhrgebiet schon immer schön geschmiert hat: Schlager. (Für Porno wird an dieser Stelle nicht geworben!) Diesmal: Duisburger Filmwoche, Kitty Hoff und Jochen Distelmeyer.

Herbst/Winter, Aufschlag Duisburg. Eine schöne Gelegenheit an dieser Stelle endlich einmal wieder auf das Eck am Hundertmeister hinzuweisen, ein angenehmer, wenn auch nicht überbordernder Quell mittelschwerer Kultur in der Stadt mit dem Rhein (auch) dran. Der Autor fühlt sich in den letzten Wochen schon extrem Ruhr-Propaganda-kopfgewaschen und freut sich an dieser Stelle mitzuteilen, dass der Film "Ruhr" schon zur Eröffnung dieses Festivals deutschsprachiger Dokumentarfilme lief. Knapp eine Woche lang gibt es aber auch noch andere und anderes am Dellplatz.

Und damit könnte man jetzt – wie z.B. im Prinz – mal so eine schicke Gegenüberstellung machen: Kitty vs. Jochen. Beide kommen aus NRW (, oder?). Beide sind wieder mit Band auf Tour! Beide singen über Erfahrungen und Nicht-Erfahrungen im Zwischenmenschlichen, geben sich aber auch gesellschaftspolitisch bewusst. Sie wendet sich eher dem Kammerorchestral/Jazzigen bis Caféhaftem, er eher dem Poprockigen bis KleineHallen-mäßigen zu. "Schlager" war ja früher mal, wenn nichts in einem Lied über Partnerschaft, Party oder Folklore hinausweist. Dies umgehen beide recht geschickt, Jochen hat aber mehr die deutschen Kulturarbeiter im Rücken, die er vom Scheitel über das Hemd, Zitatfreundlichkeit, Feuilleton-Affinität und Popakademie-Kompatibilität besser bedient. "Schlager" war ja auch schon immer etwas sehr Deutsches, Piefiges, insofern kann Kitty (Foto: Promo) zugute gehalten werden, dass sie eher Chanson macht und Jochen, dass er vielen hiesigen jungen Wilden den Weg in ein irgendwie machbares Leben gewiesen hat, in dem sich das Private auch mal schön politisch anfühlen darf. Kann halt zugute gehalten werden, muss aber nicht. Wir sind ja nicht im Kino hier. (Mieses Ende des Artikels, also: Zugabe.)

Duisburger Filmwoche noch bis kommenden Sonntag.
Kitty Hoff & Forêt-Noire am Dienstag im Ebertbad, am Mittwoch im Rex-Theater und am Donnerstag im Savoy-Theater.
Jochen Distelmeyer (und Band) am Donnerstag im FZW und am Samstag im Ringlokschuppen.