3 FÜR 7 – Literatur-Special

Letzte Tage habe ich denn mal "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" zu Ende gelesen. Dabei lese ich selten Biografien. Das Lokale, die Erziehung und das Umfeld des Protagonisten, sowie die Tatsache dass er ein ähnlicher Jahrgang wie ich ist, haben in diesem Fall wohl ausnahmsweise den Ausschlag gegeben. Bücher lesen hat immer so etwas richtig old-school-Persönliches, fast Vertrauliches – hm, kommt natürlich auf die Bücher und Schreibenden an. Wie steht es also diesbezüglich um: Sibylle Berg, Harry Rowohlt, Otto Sander?

Aus irgendeinem Grund schaut der Autor dieser Zeilen also nach Monaten wieder diese Harald Schmidt Sendung – wegen einer positiven Kritik in einer Zeitung wohl. Und wer stellt da ihr Buch vor und lässt den Gastgeber wie einen schmierig-schmuddeligen Possenreißer dastehen? Genau, Frau Berg (Foto: Tom Produkt). Ist ja immer schwierig, sich über Menschen ein Bild zu machen, wenn man sie nur aus der Kamera- oder Bühnensituation kennt. Manche beginnen ja dann, sich diesem Image zumindest vom Autoren-Ich her anzupassen. Dabei mögen sie dieses Ich vielleicht gar nicht besonders. Hat das etwas mit Sibylle Berg zu tun? Gute Frage! Jedenfalls liest neben ihr auch Katja Riemann aus "Der Mann schläft".

Harry Rowohlt scheint immer gleich einen ganzen Menschenschlag zu repräsentieren. Gleichzeitig ist er irgendwie der Bär, der es aus einer Art Sesamstraßenkommune eines Paralleluniversums mit lauter 50er-Jahre Eckhäusern hier rübergemacht hat – ah ja, eine Hamburg-Variante davon, genau. Nun, und den dem gegenüber jugendlich frisch wirkenden Part bei der Lesung von Klassikern der komischen Lyrik darf dann halt Christian Maintz einnehmen, und der wirkt auf dem Foto im Programmheft tatsächlich wie der FDP-Vize neben dem DKP-Kanzler.

Otto Sander hat sich im Rahmen dieser ähem Netzseite hier ja bereits im Rahmen eines Interviews selbst darstellen dürfen. Und nun macht er tatsächlich den Jim Morrison bei "American Poet". Der Sinn dieser Aktion erschließt sich vielleicht nicht direkt, aber in der Postmoderne darf ja jedeR jedeN darstellen. Ach ja, klar: Sie sind etwa eine Generation! Nur ist Jim ewig jung geblieben – so eben.

P.S.: "Die drei ??? und der seltsame Wecker" in der Grugahalle ist selbstverständlich ausverkauft.

Berg und Riemann am Dienstag ab 20 Uhr in den Kammerspielen.
Rowohlt und Maintz am Donnerstag ab 20 Uhr in Gladbeck.
Die Premiere von Sander und Morrison am Samstag ab 20 Uhr in der Rottstr. 5.

 

Was für ein Mensch ist Alex W.?

Zunächst: Alex W. ist ein Mörder, und zwar einer mit rassistischem und kulturalistischem Hintergrund. Nun beginnt der Prozess gegen diesen Mann, der vor knapp vier Monaten in einem hiesigen Gerichtssaal Marwa El Sherbini mit einem Messer getötet hat, vor den Augen ihres dreijährigen Kindes, sie im dritten Monat schwanger. Die Dresdenerin hatte ihn verklagt, weil er sie unflätig beschimpft hatte. Ihr Mann wurde direkt nach der Tat von einem Polizisten angeschossen. Nun berichtet die deutsche Presse – auf rassistische Weise?

Der Verdacht keimt bei der Lektüre der WAZ auf. In der letzten Woche hatte ich hier eher beiläufig, aber keinesfalls unernst, über die Probleme unrassistischer Berichterstattung über (potentiell) rassistisch motivierte Aktionen und Texte geschrieben. Nun also folgende Zuschreibung für Alex W.: "Russlanddeutscher". In der Süddeutschen dieselbe Formulierung, aber auch "der aus Russland stammende Deutsche". Ich frage einen älteren Herrn am Nebentisch, was ein "Russlanddeutscher" sei. Er sagt: "Na, das kennt man doch von den Sudetendeutschen (mag sein dass das hier auch in Anführungszeichen gehört – Anm. d. V.). Das sind Deutsche, die in Russland leben." Ich verstehe was er meint, er meint Russen mit deutschem Migrationshintergrund, man könnte auch deutschlandstämmige Russen dazu sagen. ("Ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheit in Russland" sagt das Online-Standardlexikon.)

Nun ist es offenbar schwierig, gerade für Begriffe einfach mal übernehmende Journalist/innen, bei der Beschreibung von Rassismus nicht in selbigen zu verfallen, zumindest sprachlich. Denn was besagt "Russlanddeutscher"? Es sagt "in erster Linie deutsch, in zweiter russisch". (Beispiel: Eine Beutelratte ist eine Ratte und kein Beutel.) Aber gibt es Texasdeutsche? Japandeutsche? Man will es gar nicht erwähnen, stammt die Bezeichnung doch ganz klar aus Zeiten eines Expansionsdranges nach Osten, durchaus auch einfach durch Migration – wie auch in Teilen meiner Familie. Meine verstorbene Großmutter mütterlicherseits würde ich z.B. als "Russlanddeutsche" bezeichnen, aber nicht weil ihre Vorfahren zum Teil aus Deutschland kamen, sondern weil sie (die meiste Zeit ihres Lebens) eine aus Russland stammende Frau mit deutschem Pass war. Wahrscheinlich ist sie also ein "ähnlicher Fall" wie Alex W.

Meine Großmutter hatte z.B. keine doppelte Staatsangehörigkeit. Auch so etwas ist ja denkbar. Denn wenn jemand "Russlanddeutscher" (nach Lexikondefinition) ist und gleichzeitig "aus Russland stammender Deutscher" (also anscheinend Deutscher mit russischem Migrationshintergrund), dann wäre diese Person laut Süddeutscher beides. Leider hat diesen Artikel eine Frau mit zur Hälfte deutschem und zur anderen Hälfte ägyptischem Namen geschrieben, in der taz übrigens ein Mensch mit rein ägyptischem Namen, hier findet sich der Begriff "deutsch-russisch". Die Frage stellt sich also immer wieder und auch für mich: Wie Rassismus richtig begegnen, auch sprachlich, wenn über ihn verhandelt wird – ohne ihn zu übernehmen.

Alex W. steht vor einem Gericht Deutschlands (nicht Russlands – und auch nicht Ägyptens). Es heißt, Rassismus sei hier geächtet – auch wenn eine solche Tat in einem Gerichtssaal voller nicht oder falsch einschreitender Menschen möglich ist. Und auch obwohl der Polizist, der ohne Grund auf Marwa El Sherninis Mann schoss, kaum mehr Thema ist. Deutschland sollte vielleicht besser aufpassen, seine Überheblichkeit in Bezug auf Menschenrechte und Fortschrittlichkeit nicht schon in seiner Sprache als rein taktisches Manöver zu entlarven. In Ägypten würde dieser aus Russland stammende Deutsche, dessen Vorfahren einen deutschen Migrationshintergrund hatten, für seine Tat womöglich am Strick aufgehangen. Seine letzten Worte vor der Tat im Gerichtsaal waren übrigens: "Haben Sie überhaupt ein Recht in Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen! (…) Wenn die NPD an die Macht kommt ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt." Dann stürzte er sich auf die schwangere Frau und versetzte ihr 18 Stiche in einer halben Minute. Prozessbeginn ist heute, die Medien werden weiterhin berichten, zum Glück auch außerhalb Deutschlands. (Illustration: jumedia)

 

3 FÜR 7 – Essen-Special

Übetrieben gute Deutsche gibt es auch unter Türken, Machismo und Kontrollwahn auch unter Linken. Aber das Glück ist immer woanders. Bitte? Ganz einfach: Bei der Auswahl der Themen für diese Woche fiel schon auf, dass diesen wirklich anfechtbare Konzepte zugrunde liegen. Was en detail natürlich gleich weiter unten jeweils vorsichtig angedeutet wird. Sonst noch Gemeinsamkeiten? Hm, ja. Es geht schon immer auch um Heimatbegriffe. Wie kulturhauptstädtisch! Glücksritter. Alec Empire. LiteraTürk.

Mirjam Strunk diagnostiziert zumeist anscheinend einen gewissen Handlungsbedarf und macht dann ein Theaterstück, so letztens "Flüchtlinge im Ruhestand", so nun "Glücksritter". Ging es bei ersterem um ein zunächst physisches und letztlich vielleicht auch psychisches Ankommen in Deutschland, ist diesmal eher das Glück vor oder hinter der eigenen Haustür Thema. Dazu wurden denn auch vorher diese "Glückliche Orte"-Schilder unter die Bewohner Essens gebracht. Und jetzt ist es wieder eine irgendwie quotiert wirkende Truppe von Schauspielern, die davon und von glücklichen Momenten generell berichtet. Das wirkt alles seeehr integrativ manchmal, etwas zu nett um wahr zu sein. Hat aber auch immer gutes Beobachten und echte Erfahrung intus.

Beim Pop steht ja oftmals nicht drauf was drin ist. Und mit Pop ist hier natürlich auch das Popkulturprodukt gemeint, das keine oder nur wenig Breitenwirkung entfacht – denn Popmusik z.B. findet ja meist face-to-face statt, ob über Bässe, rätselhafte Texte, sexy Attitüde oder sonstwas. (Außer irgendein Feuilletonist oder sonstwer macht auf Diskurshoheit und erklärt den Gläubigen was das alles soll. Egal.) Was also sollte nun bitte kurz nach 1989 diese sich linksradikal gebende Digital Hardcore Nummer? Brutaler, rockhafter Techno wie von Krupp bestellt und "Deutschland has gotta die!" und "If the Kids are united" schreien. Und das alles natürlich immer mit etwas Iggy-goes-Cyberpunk-Marinade, gerne mal in Richtung Industrial und Lärm lappend. Ich sag ja immer: Was die Linken und Anarchos alles nehmen und sich antun, das hat schon immer eher härter gemacht – und oft härter als gebraucht. Gut dass Alec immer so grinsend wie Posterboy drübersteht, so macht das alles wenigstens auch noch Spaß. Doch Vorsicht: Tinnitus-Gefahr! Nicht zu früh freuen also auch, undsoweiter. Electropunkzecken in Glam. Tolle Band auf ne Art natürlich.

Und dann die Frage: Was berechtigt zur aktiven Teilnahme an LiteraTürk? Offensichtlich nicht ausschließlich die türkische Staatsbürgerschaft. Bis in welche Generation zurück wird da also Ahnenforschung betrieben? Quotiert da auch jemand in Richtung ethnischer Minderheiten dann? Merkwürdiges Konzept. "Türkische, türkischstämmige und deutsche Autoren" heißt es im Text, wohl schon an Definitionen gemäß Staatsbürgerschaften orientiert. Glauben wir also, dass mit "türkische" nicht zwingend z.B. schwedischstämmige Türken gemeint sind? Und mit "deutsche" nicht zwingend schwedischstämmige Deutsche? Wahrscheinlich. Nur steht das so nicht im Text. Es lesen u.a. Feridun ZaimoÄŸlu, Zafer Åženocak, Aygen-Sibel Çelik, Selim ÖzdoÄŸan (Foto: Tim E. Schnetgöke) und Aslı ErdoÄŸan.

"Glücksritter" in der Casa des Grillo wieder ab Dienstag (19h).
Alec Empire im Grend am Dienstag (Türen 20h).
LiteraTürk an verscheidenen Orten in Essen von Samstag bis zum 1. November.

 

3 FÜR 7 – Tipps für Drinnen, aber nicht Zuhause

Im Ernst: Als Texter solcher Zeilen inklusive entweder hervorragenden Links zu Band-Homepages (mit Musik) oder zu extremst amtlichen Doktorarbeiten über Lebenswerke ganz exorbitant wichtiger Zeitgenossen… Da fühlt man sich als Autor doch wirklich wie der Kellner, nicht wie der Koch. Wie der Worthülsenjongleur, der für die Inhalte eh nur bedingt garantieren kann. Wie der Ochs vorm Berge. Wie soll denn auch bitte so ein literarisches oder musik(-politisches) Werk wie das der folgenden kurz und knapp und fluffig daherbeschrieben werden?: Herta Müller, Soft Machine (Legacy), Phillip Boa (Foto: Bart E. Streefkerk – korrigiert, siehe Kommentare) and the Voodooclub feat. Jaki Liebezeit (Can). Tja.

Ist noch nicht ausverkauft anscheinend: Die aktuellst denkbare Nobelpreisträgerin für Literatur liest in Deutschlands irgendwie ältestem Kino. Gut dass dies hier am Montag geschrieben wird, so kann wenigstens noch Einblick in dieses Phänomen gewährt werden: Die Lesung von Herta Müller in der Lichtburg ist mit Stand vom Vortag noch nicht ausverkauft! Ja? Danke.

Ist noch nicht ausverkauft anscheinend: Das denkbare Reunion-LineUp von Soft Machine spielt im recht kleinen Musiktheater Piano in Dortmund. Gut dass das hier noch geschrieben wird, so kann zumindest dafür gesorgt werden dass morgen folgende unfassbare Tatsache nicht mehr stimmt: Der Gig von Etheridge, Babbington (korrigiert – siehe Kommentare), Marshall und Travis mit Jeff Aug im Vorprogramm darf anscheinend sinnvollerweise noch weiter beworben werden! Ja? Gerne.

Ist noch nicht ausverkauft anscheinend: Eine der wenigen hiesigen langlebigen Indie-Legenden mit einer der wenigen Schlagzeug-Legenden am selbigen beehrt ein alternatives Kulturzentrum in der Landeshauptstadt. Gut dass dies hier speziell dem Ruhrgebiet noch einmal nahe gelegt wird, denn so kann … das vielleicht noch ein schöner Konzertabend für Düsseldorf werden. Nicht ausverkauft? Peinlich, zakk, peinlich! Nein? Doch.

Herta Müller am Dienstag. Türen um 19 Uhr.
Soft Machine (Legacy) am Mittwoch. Türen um 19 Uhr.
Phillip Boa and the Voodooclub feat. Jaki Liebezeit (Can) am Samstag. Türen um 20 Uhr.

 

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3 FÜR 7 – Konzert-Special

Um dem (standortfaktormäßig sicherlich sinnvollen) FZW-Hype mal ein wenig entgegen zu wirken (und auf angenehmere Veranstaltungsort-Architektur und weniger martialische Sicherheitskräfte hinzudeuten), hier und äh heute ein paar Konzert-Tipps für diese Woche aus: Duisburg, Essen und Düsseldorf.

Drone-Folk oder was? Also, zwischen all den im Grunde anstehenden Diskussionen á la a) "Ist die Mystik/Rechts-Crossover Diskussion in Bezug auf Heavy und so mittlerweile irgendwie egal und für manchen Dark Folk etc. irgendwie ungültig?", b) "Ist in der amerikanischen Provinz inzwischen doch LSD ins Grundwasser geraten?" und z.B. c) "Ist das alles für (und vielleicht sogar ganz) Deutschland inzwischen aufgegeben worden, weil das auch nicht mehr ins Gewicht fällt?", neben also all jenen Diskussionen, die wohl auch nur dazu führen würden, dass hiesige Spezialisten die Ergebnisse dann dem Goethe-Institut zum Klonen neuer Bandgezüchte aus deutschen Landen überantworten würden, ab davon also spielt mit Balmorhea eine interessante und "unverdächtige" Variante im Steinbruch und hat mit Bogatzke sogar tatsächlich so einen deutschen Musikingenieur als Support dabei.

Der Goldclub haut inzwischen Bands aus Berlin deren selbst erschaffenen Auftrittskonditionen um die Ohren. Paula spielen also für 3 Euro Mindestverzehr im Rahmen der halt so funktionierenden Donnerstagsreihe, in der in diesem Monat u.a. auch noch Dangerboy auftreten. Vorgruppe von Paula sind die aberwitzig trockenen Familie Staub.

Düsseldorf? Klavier und klingende Namen: Ryuichi Sakamoto (am Freitag in der Tonhalle), Peter Broderick und Nils Frahm (beide am Donnerstag im Salon des Amateurs), Eve Risser (Foto: approximation), Dustin O’Hallaran und auch Acid Pauli. Sowie noch ganz andere. Alles im Rahmen eines fünftägigen Festivals, das ist schon "Wow!".

Balmorhea im Duisburger Steinbruch am Dienstag (also ggf. heute bzw. gleich) mit Türen um 20 Uhr.
Paula und Familie Staub im Essener Goldclub am Donnerstag mit Türen um 21 Uhr.
Das Approximation Festival im Salon des Amateurs (Ausnahme s.o.) findet von Mittwoch bis Sonntag statt.

3 FÜR 7 – Ausgehtipps, immer noch wöchentlich

Zunächst: Nein, der Autor dieser Zeilen nimmt kein Geld oder (natürlich total indirekte) Spenden für das Schreiben dieser. Vielleicht kommt nächstes Jahr mal was von der VG Wort rein, wenn alles technisch klappt. Und er kennt die vorgestellten Künstler in der Regel auch nicht persönlich. Und selbstverständlich gilt auch für ihn die GOLDENE REGEL, dass ja ALLES, ALLES letztlich natüüüürlich Geschmackssache ist, dass jedeR eh nur das heraus liest was eh schon Gedachtes bestätigt und … so weiter. ALSO IST DOCH EH EGAL WORÜBER MAN WIE SCHREIBT, NE? DAS GLEICHT SICH DOCH ALLES IRGENDWIE AUS! DIE KONKURRENZ MACHT ES, DIE FREIE PRESSE!! Und alle haben genug Stoff zum Bequatschen, regen sich auf und ab, und gut is. Und wer schreibt, was die Mehrheit interessiert, kann auch gleich für den Mainstream schreiben. Denn sonst ist es ja kein Pop und nicht diskurswürdig und letztlich glauben eh alle nur, was das Staatsfernsehen sagt. ES IST DEUTSCHLAND HIER! Letzten Samstag jedoch meinte ein Bekannter: "Wenn Du echt nur so wenig bekommst für diese tolle Arbeit und über mich schreiben willst, und wo Du das so gut machst, dann könnte ich (!) Dich doch dafür bezahlen." Und der Autor dieser Zeilen antwortete: "Ach nö, auch davon möchte ich nicht abhängig sein. Ab und zu ein Eis wie jetzt gerade reicht völlig." Und jetzt denkt er sich: Ja, das ist doch das Modell, wie Filz zunächst von unten nach oben und dann, wenn es "geschafft" ist, top-down funktioniert. Heute ist es das Eis, und morgen doch wieder Koks im Loft von Herrn und Frau F. oder G. Und dabei fallen bestimmt ein paar Brotkrumen ab, mit denen man sich dann eine neue Krawatte kaufen kann. Oder jemandem ein Eis ausgeben. Äh, homefucking is killing prostitution (Oder holt es sie ins Heim? Hm). Diesmal: PoesiePalast, The Ex, Freakatronic.

Der PoesiePalast Ruhr beherbergt Lesungen und haha schlägt seine Zelte in Duisburg, Dortmund, Essen, Gladbeck, Oberhausen und Gelsenkirchen auf. Innerhalb dieser Zelte des Palastes lesen dann Schauspielvolk und Bücherschreibende aus Werken von z.B. Erich Fried und Rainer Maria Rilke vor, Georg Kreisler liest Mitte November im Consol Theater aus seiner Autobiographie, und ab und an wird auch mit Musik untermalt oder kontrastiert.

The Ex sind die exemplarischen ehemaligen Hausbesetzer aus den Niederlanden, die herkömmlicher angefangen haben als Crass z.B., aber auf ihrem Weg der Auseinandersetzung mit allen möglichen Musiken der Erde anscheinend nur wenig an Anfangsquerköpfigkeit verloren haben. Eine gewisse Altersmilde gibt es wohl, na klar. Im Rahmen der Tour zum 30-jährigen Bestehen der Band wird auch im FZW gehalten (das anscheinend derzeit ein Abo auf Erwähnung hier hat, aber… – s.o.).

Freakatronic – Foto von der Band 🙂 – und auch Emma dazu, das ergibt diesmal eine Releaseparty sogenannter "Singles", wobei gleich das Label ITD mitpräsentiert wird. Was würde ein Promotexte schreibender Mensch dazu sagen? Vielleicht "Fantasie voller und gleichzeitig erdig-abgründiger Electropop mit HipHop-Einflüssen, der zwischen Rebellentum und Glam-Slacker den Weg auf die nächste Party sucht und dabei gerne die Kumpels aus der Nachbarschaft mitnimmt". Aber so schreiben doch keine Menschen, oder?

PoesiePalast Ruhr noch bis zum 19. November.
The Ex am Donnerstag ab 20 Uhr.
ITD zeigt sich am Samstag ab 21 Uhr im Goethebunker.

3 für 7 – Ausgehtipps am Dienstag

Tja, diesmal ganz einfach drei ganz okaye Veranstaltungen. Kein Riesenhype, keine Massenverhaftungen, nichts worüber eine Titelstory geschreiben werden müsste: WhoMadeWho, Dortmunder Museumsnacht, Kreative Klasse Ruhr.

Große Booking-Künste müssen nun walten im FZW. Eine große Halle will bespielt und mit ausreichend Publikum gefüllt sein, und das durchaus öfters mal. Ein weiterer äh Lackmustest für Dortmund, wie popverrückt also da alle sind – und bereit dafür gutes Geld auszugeben – das zeigt sich mit WhoMadeWho (Foto: FZW), die durchaus immer für eine gute (Konzert-)Party gut sind, aber nun nicht gerade vollneu oder Norbert Normaldortmund ein Begriff. Der Sound wird schon stimmen jedenfalls.

Von der neuen Pracht in der Mitte zum restaurierten Glanz alter Tage: Museumsnacht in Dortmund bedeutet ein richtig knallbuntes Programm, wie es so schön heißt "für die ganze Familie". Mehr auf der entsprechenden Homepage.

Es begann mit einem "Tag der offenen Tür" auf Zollverein, dann kam "Essens Kreative Klasse", und nun "Kreative Klasse Ruhr". Im Endeffekt sind das nun für dieses Jahr erst einmal 100 Kreativunternehmen, die sich vorstellen, kooperieren, netzwerken. Genaues auch hier am besten über die HP ersichtlich. Mögen es nächstes Jahr ein paar mehr sein!

WhoMadeWho schon ab 19.30 Uhr am Donnerstag im FZW.
Die Dortmunder Museumsnacht findet von Samstag auf Sonntag statt.
Die Kreative Klasse Ruhr zeigt sich am Samstag.

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3 für 7 – 3 Kulturtipps für die nächsten 7 Tage

Der Sommer ist vorbei, es geht in großen Schritten auf das Kulturhauptstadtjahr zu. Und im Grunde freuen sich ja alle auf die (mediale) Aufmerksamkeit, 365 Tage gefühltes Weltniveau, Häppchen hier und Skandälchen da. Nicht dass jetzt schon vorher die große Müdigkeit einsetzt!! Alles ist spannend, überall wird sich Mühe gegeben, bloß keine Diskussionen über den Wert welcher Art von Kultur mehr? Oder gar: Mitdiskutieren, mitmachen oder verweigern?? Konstruktive Distanz oder so??? Letztlich entscheidet eben nicht die Tagesform darüber, wer was woraus mitnimmt, sondern vielleicht doch die jeweilige Substanz, egal ob es um den Sommer oder die Kultur geht. Diesmal in der Erlebniswelt Kultur zur Verhandlung: "Dritte Generation", "Altstadtherbst", "Auf Carl!"

Im Rahmen des Projektes "Heimweh nach Zukunft" steckt ja im Titel das Postulat, dass eher Zukunft denn Gegenwart gewünscht ist. Perspektiven wohl, irgendeine Art von Rettung aus irgendeiner Art von gar nicht mal vollkommen selbst verschuldeter Unmündigkeit vielleicht. Dem entgegen wünscht man sich aber ja doch nur allzu oft, es mache plötzlich "ratsch!" oder "bumm!", und alles sei anders. Aber wäre es dann besser? Eine Frage, die sich zum Glück in der Praxis sukzessive klärt, im Prozess eines Wandels. Und das gilt für die Perspektiven einer Region wie dem Ruhrgebiet, aber erst recht für Israel und Palästina. Denn darum geht es bei "Dritte Generation", dargestellt von Jugendlichen, deren Lebensgeschichte sowohl mit einem der beiden Staaten als auch mit Deutschland verbunden ist. Und was sagt die Autorin und Regisseurin Yael Ronen zum Thema? »Our way of thinking and behaving nowadays is influenced by events which have happened over 60 years ago, even before our parents were born.« Und so liegt es also an allen einzelnen zu entscheiden, welchen Teil der Vergangenheit wir über die Gegenwart mitnehmen wollen in die Zukunft, fürwahr.

Eher den Charakter eines bunten Allerlei aus recht leicht verdaulich Schöngeistigem hat tatsächlich der Düsseldorfer Altstadtherbst. Aber diese Gegend ist ja nun einmal auch ein Platz, an dem man sich durchaus gern einmal etwas Intervention von Seiten der Bürgerlichen wünscht, statt immer nur die täglich gleichen Rituale perpetuierten Feierabendstumpfsinnes auf offener Straße erleben zu müssen. Nun gut, wer in die Altstadt geht, sitzt nicht vor der Rechner-Glotze, na gut. Jedenfalls findet natürlich das meiste des Altstadtherbstes schön versteckt irgendwo drinnen statt, ob Mozart in der Kirche St. Andreas und im tanzhaus nrw, Schubert in der Tonhalle, Barockmusik nebst Werken von Philip Glass in der Johanneskirche oder auch die Popette Betancor, die Blanca Li Dance Company, Flamenco, Swing, HipHop und mal wieder "Metropolis" (Foto) mit Livemusik dazu. Auch klar dass wer am nächsten Morgen zur Arbeit antritt, sich nicht am Vorabend zur Sensibilisierung eine Überdosis Schubert abholt, jaja. Lieber Altbier, genau. (Oder was nehmen die nochmal in "Clockwork Orange" alles? Oh, anderer Film.) Es sei trotzdem erwähnt, Genossinnen und Genossen *räusper*.

Erstaunliches versucht die neue Zeche Carl. Irgendwie ist das wie mit einem renaturierten Tümpel da oder so. Die ursprünglich gewachsenen Zusammenhänge und Synergien wurden verkorkst, man hat eine neue Lunge eingesetzt und guckt ob das Herz, also die Initiativen und langjährigen Mitgestalter das aushalten. Außerdem wurde noch ein recht gut durchgehangener, aber in diesem Umfeld als vage modern geltender Badestrand in Form eines Konzertveranstalter… Welch eine fürchterliche Metapher! Jedenfalls geht es mit "Auf Carl! Das Fest" jetzt los, es wird ernst, und das mit Spaß. Fast drei Tage lang und mit Livemusik und Disco zwischen Ethno, Soul, Funk, HipHop & Co., Kinderflohmarkt, Comedy und Come Together. Das sieht zumindest ganz gut nach dem oft geforderten Bewahren allgemein geschätzter Traditionen aus – dies sei von hier unterstützt und für Gegenwart und Zukunft als äh beibehaltenswert wenn nicht gar ausbauwürdig vorgeschlagen.

Altstadtherbst in Düsseldorf ist von jetzt Mittwoch, den 16. September bis zum 4. Oktober.
"Auf Carl" in Essen findet von Freitag bis Sonntag statt.
"Dritte Generation" auf PACT Zollverein läuft von jetzt Samstag, den 19. September bis zum 23. d.M.

3 FÜR 7 – Konzert-Special

Jetzt hat der Autor dieser Zeilen endlich mal das Buch "Punk Rock" von John Robb (es ist ein Geburtstagsgeschenk) weggelegt bekommen, da bietet sich genau dieses Thema für das Intro hier an. Ach, vielleicht besser doch für den Artikel selbst, denn dieses Fettgedruckte hier hat ja immer erst am Ende etwas mit den vorgestellten Veranstaltungen zu tun. Und da fragt sich dann der ganze Pogopit: "Welche Veranstaltungen?" Und der Autor antwortet: "Na, eine in Essen, eine in Duisburg und eine in Dortmund."

Zur Eröffnung des FZW wird natürlich richtig schön auf Rock gemacht, auf Rock, der vor 1975 und nach 1977 gut als Punk Rock durchgehen kann. Art Brut, Muff Potter, Fake Problems passen gut in dieses Bild, Chuck Ragan nicht so. Das ist das Freitags-LineUp, am Sonntag kommt Soap&Skin, das ist mehr so introvertierter PsychoPunk, mit Rock, aber ohne Rock. Mögen die Gäste den Bau tatkräftig entsterilisieren!

Peterlicht (Foto: Motor) hat wahrscheinlich nur diese typische kölsche alt-Spex-Mentalität irgendwie übertrieben abbekommen und ist gar nicht halb so kalkuliert wie es manchmal wirkt. Das ist wohl eher das Problem älterer Gernerationen, wenn sich Gedanken einstellen wie "Die Zimmermänner waren aber besser" oder "Zielgruppe Loser und Normalos", haha. Jedenfalls ist Peterlicht ganz schön Neue Heimelektroniker Welle, überhaupt nicht Rock und so ein bisschen Punk, und das am Samstag auf Zollverein. Auch ein merkwürdiger Gebrauchsort für so etwas. Peterlicht als Sounddesign, na fein!

Tja, und dann kommt auch noch der größte Sozialarbeiter aller Zeiten, Iggy Pop, nach Duisburg, im Rahmen der Triennale, natürlich mit dem unvermeidlichen Marc Ribot dazu, aber auch mit Tine Kindermann, die sich sonst u.a. mit Grimm’s Märchen beschäftigt. Na, da passt doch alles zusammen: Punk (Rock) als Sozialisierungsmärchen. Oder was will uns die Triennale eigentlich sagen? Titel der Gala ist abgeschmackterweise "Love and Death", dazu passen ja ne Menge Lieder bestimmt ganz gut.

Türen am Freitag in Dortmund um 20 Uhr.
Türen am Samstag in Essen auch um 20 Uhr.
Türen in Duisburg um 19 Uhr, und zwar am Freitag und Samstag.