Julia Seeliger – Grundsatzrede zum Trollfeminismus

Netzfeministinnen mögen keine Trolle. Die Journalistin Julia Seeliger dreht den Vorwurf mangelnder Sensibilität um: der Trollfeminismus ist ihr Konzept, um Grundannahmen wie der einer Rape Culture, der Kritik zu unterziehen. Der Vortrag war Teil des Fachtages Prüde Aussichten. Moral, Sexualität und Gesundheit, den die AIDS-Hilfe Frankfurt aus Anlass ihres dreißigjährigen Bestehens am 25.11.2015 im Mainhaus

Gutes Copy, schlechtes Copy

Da haben wir sie endlich: Die Urheberrechtsdebatte. Endlich wird auch Konservativen vor Augen geführt, was „Geistiges Eigentum“ (Achtung: Kampfbegriff!) im digitalen Zeitalter alles bedeuten kann und wie viele Aspekte und Ebenen hierbei zu beachten sind. Zynisch betrachtet, hatten die Konservativen damit bisher ja nur dahingehend zu tun, dass sie darüber beraten mussten, ob man „Raubkkopierern“ das Internet kappen soll, es der Verwerterindustrie leichter machen, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen – oder ob man doch gleich Netzsperren gegen den „Ideenklau“ im „rechtsfreien Raum Internet“ einrichten sollte.

Das ist nun mit einem Schlag anders geworden. Nicht, weil es Plagiate erst seit Google gibt. Sondern durch die falschen Vergleiche mit Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“, die von unzähligen Menschen vehement zurückgewiesen wurden. Nämlich von solchen, die irgendwann in ihrem Leben mal viel Mühe in eine wissenschaftliche Arbeit gesteckt haben.

Vor einem Jahr, als die Feuilletons eher hilflos mit Helene Hegemans Copy & Paste aus Weblogs umgehen mussten, dominierte die Sichtweise „so macht die Internetgeneration das eben“. In der taz wurde Hegemanns Copy & Paste zum Beispiel mit einer Aktion „ich habe abgeschrieben“ aufgegriffen. Dass aus der Hegemann-Debatte nicht so viel produktives herauskam, liegt vielleicht auch an der Behäbigkeit, der Holzmedienhaftigkeit, die in vielen Feuilletons bzw. Kulturredaktionen im Vergleich zu anderen Ressorts wohl besonders stark verbreitet ist.

Alles nicht so schlimm, sagte man damals auch. Das Mädel ist doch erst 17, und sie ist eben in ein paar Blogs gesurft und hat sich da „inspirieren“ lassen. Das haben Künstler doch schon immer so gemacht. Und das ist auch gar nicht schlimm.

Geht es einem ausschließlich um die Fakten, die Wahrheit in der Welt, und nicht um die monetäre Verwertung des produzierten Wissens, dann ist das genau richtig. Copy & Paste in der Wissenschaft – unabhängig davon, dass es der Verteidigungsminister dieses Landes war – ist gravierender. Denn hier geht um die Wahrheit. Eine wissenschaftliche Arbeit ist kein Roman. Wissenschaftliche Arbeit baut auf wissenschaftlicher Arbeit von anderen auf. Isaac Newton wird der Spruch

„If I have seen further it is only by standing on the shoulders of giants“

zugeschrieben, in Wirklichkeit ist das Gleichnis aber älter. (Danke @schillingst für das Zitat und Goldbach für die Präzisierung zu möglichen Urhebern).

Hätten die Riesen, auf denen „Newton“ sein Wissen aufbaute, bei ihrer Arbeit geschlampt, dann wäre der Turm aus Riesen, von dem aus er so weit sehen konnte, ganz schnell zusammengebrochen. Schlampige Riesen können weniger tragen. Und wenn alle so arbeiten würden wie Guttenberg, dann würde die Wahrheit untergehen. Was im konkreten Fall noch hinzukommt: Rezipienten der Guttenberg’schen Doktorarbeit hatten sogar ein zusätzliches „Trust-Siegel“, nämlich die Note „Summa cum Laude“, mit der die Doktorarbeit bewertet wurde.

Vor allem in Zeiten des digitalen Meers mit unendlich vielen Informationen sind Inseln des Vertrauens unbedingt nötig. In digitalen Zeiten werden Quellen wichtiger, nicht unwichtiger. Das Gerede von der Copy & Paste Generation, „die das eben so macht“, ist im Wissenschaftskontext (genauso bei „Journalismus“) nicht gerade von Klugheit geprägt.

So auch der Artikel von Ulf Poschardt, der Guttenberg mit dem Argument des „Samplings“ verteidigt („Sampling – eine Kulturtechnik, die zu Guttenberg passt“). Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens

„Der Jay-Z der bürgerlichen Politik: Beim jüngeren Publikum wird die Erregung über Guttenbergs Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu perfektionieren“

Bei jüngeren Menschen wie mir und auch bei den jungen Menschen von Dradio Wissen (Audiobeitrag zum „Orden wider den tierischen Ernst, u.a. mit von Rüttgers „geklauten“ Karnevalswitzen) kommt die Kopiererei im Wissenschaftskontext nicht so gut an. Und auch Andreas Popp, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, differenziert in dem Beitrag „Warum Guttenberg kein Pirat ist“ den Knackpunkt genüsslich auseinander.

„Ohne Zitation hat sich Guttenberg einer Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht. Da wir Piraten das Urheberrecht ja eh blöd finden, sollten wir Guttenbergs Aktion dann nicht gut finden? Die Antwort lautet hier: Nein! (…) Das, was Guttenberg hier getan hat, hat nichts mit Filesharing zu tun und auch nichts mit dem gewünschten akademischen »Remix«, es ist schlicht und ergreifend Betrug“

Popp schreibt in seinem Beitrag auch sehr genau auf, dass ein Unterschied zwischen privater Nutzung und einer Veröffentlichung besteht. Man könnte als Pirat oder anderswo auch nochmal auf die inzwischen doch recht verbreitete Kultur Freier Lizenzen hinweisen, die in den meisten Fällen eine Nennung von Urhebern fordert. Wie schrieben die Kollegen weiland so schön im „Internet Manifest“

13. Im Internet wird das Urheberrecht zur Bürgerpflicht.

„Das Urheberrecht ist ein Eckpfeiler der Informationsordnung im Internet. Das Recht der Urheber, über Art und Umfang der Verbreitung ihrer Inhalte zu entscheiden, gilt auch im Netz. Dabei darf das Urheberrecht aber nicht als Hebel missbraucht werden, überholte Distributionsmechanismen abzusichern und sich neuen Vertriebs- und Lizenzmodellen zu verschließen. Eigentum verpflichtet“

Also, liebe Konservativen! Liebe Holz-Feuilletons! (und liebe Grünen: „Gutt kopiert“ – *ähem* *hust*). Mal nicht immer so auf dieses Internet schimpfen. Und nicht immer so falsche Vergleiche ziehen – in diesem Internet gibt es ganz viele, die Zitate wichtig finden. Und bei wissenschaftlichem Arbeiten (und übrigens auch bei „Journalismus“) doppelt gern!

Ohne sichere, vertrauenswürdige Quellen keine Wahrheit. Wo kämen wir denn hin, wenn die im weltweiten Informationsmeer Schiffbruch erlitte.

Auflegen ist das neue Problemlösen

In letzter Zeit wurde der Witz „Die vier Feinde des Sozialismus: Frühling, Sommer, Herbst und Winter“ gern abgewandelt zu „Die vier Feinde der Deutschen Bahn …“. Ab heute hat sie einen fünften: mich. Und das, da ich jahrelang dem ganzen Herumgemotze an dem Unternehmen stets ein „Aber mit dem Auto dauert es doch auch immer länger …“ entgegnet hatte.

Ja, es gibt Stau, das ist schlimm – aber im Auto wird man wenigstens nicht behandelt wie auf dem Amt. An der teuren Hotline und beim E-Mail-Dialog – wenn man das Dialog nennen kann, eine Mailadresse bietet die Bahn auf ihrer Webseite nämlich nicht an – bekommt man die AGBs zitiert, die man sich ja auch selbst vorlesen kann. Das ist wie im Zug, wenn die Zugbegleiter per Handy auf bahn.de nachsehen, wie es mit den Anschlüssen steht.

Nein, es geht nicht um das Winter-Chaos im Nah- und Fernverkehr. Sondern um das Kommunikationschaos in den Reisezentren und an der Hotline, mit dem ich inzwischen mehr Zeit zugebracht habe als in verspäteten Zügen. Für die Bahn und ihre Kunden alltäglich. Im Notfall legen die Mitarbeiter an der Hotline eben auf. So einfach ist das.

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Spiel ist aufm Platz

Hach, was war er schön. Der Netzsperren-Sommer 2009. Es formierte sich eine neue Bürgerrechtsbewegung, flankierend wuchs die Piratenpartei Deutschland um ein Vielfaches über sich hinaus. Alles war möglich, so schien es. Die Zeit war reif für eine neue Netzpolitik.

Nicht mehr im Verborgenen, dunklen Computerkellern, in Blogs und beim damals für viele noch unbekannten Kurznachrichtendienst Twitter. Erstmals schien es so, dass um die Politik dessen, was kaum jemand noch aus seinem Leben wegdenken kann – dem Internet – ernsthaft gestritten werden würde.

Ein Jahr später: Ernüchterung.

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