Debatte: Was hat die EZB-Politik mit Kapitalismus zu tun?

Lenin-Statue auf der Terasse des Prager "Museum of Communism"
Lenin-Statue auf der Terasse des Prager „Museum of Communism“


Anlässlich der Eröffnung des neuen Hauptquartiers der Europäischen Zentralbank entlädt sich die diffuse Systemkritik einer linken Sammelbewegung in Straßenschlachten und Vandalismus. Aufgerufen zu den heutigen Protesten hatte das antikapitalistische Bündnis „Blockupy“. Die libertäre Community in Deutschland spottet indes über die Proteste. Die Krisenphänomene seien das Ergebnis einer staatlichen Regulierungspolitik. Die linken Straßenkämpfer von Frankfurt bekämpfen nach Ansicht der Radikalliberalen lediglich die Folgen ihrer eigenen Agenda.

Desorientierte Kapitalismuskritiker

Der Verlauf des Tages war allen Beteiligten von vornherein bewusst. Eine versammelte Linke, die zumeist mit internen Zerwürfnissen und Intrigen beschäftigt ist, konnte nur durch das gewaltsame Vorgehen gegen ein gemeinsames Feindbild vereint werden: Die EZB, die Troika und die Protagonisten des europäischen Krisenmanagements boten angesichts der desolaten Verhältnisse in Griechenland und einer umstrittenen Rettungspolitik einen ausreichenden, tagesaktuellen Anlass. Die Gewalt der Aktivisten richtete sich traditionell gegen Polizeibeamte, Infrastruktur und öffentliches Eigentum. Für die Kosten der Ausschreitungen werden nicht die „Finanzeliten“, sondern die Steuerzahler aufkommen.

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Was darf Comedy? Islamist erstattet Anzeige gegen Dieter Nuhr.

Nuhr
Quelle: Youtube

Erhat Toka von der Muslimisch Demokratischen Union hat Anzeige gegen den Komiker Dieter Nuhr erstattet und verlangt den Boykott seines Auftritts in Osnabrück. Der Vorwurf lautet »Beschimpfung von Religionsgemeinschaften«. Für diese Straftat sieht der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor.

An der deutschen Comedy-Landschaft nimmt für gewöhnlich niemand ernsthaft Anstoß. Das Milieu der RTL-affinen Witzarbeiter übt sich zwar zumeist in trivialem Verbal-Slapstick unter der kulturellen Gürtellinie. Comedy gibt sich jedoch ansonsten betont unverfänglich. Das geschieht nicht unbedingt nur aus kommerziellem Interesse. Mit Ausnahme der Satiriker von Titanic und Heute Show ist der hiesige Comedian oft nur ein zotiger Duckmäuser. Hape Kerkeling bestätigte dies mit achtbarer Offenheit: »Ich würde und werde mich öffentlich mit dem Islam nicht beschäftigen. Aus Angst.«

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Bilderstrecke: Die besten Zitate von Xavier Naidoo im Überblick.

naidoo

Es gibt einen Menschenschlag, der an Einhörner denkt, wenn er Pferdegetrappel hört. Als regelrechter Bilderbuch-Crank geht Xavier Naidoo einen Schritt weiter: Er glaubt so fest an Einhörner, dass er sich nicht mehr von der Existenz von Pferden überzeugen lässt. In unserer Bilderstrecke haben wir die unterhaltsamsten Entgleisungen des bekanntesten Soulsängers Deutschlands gesammelt.

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Ein Abend mit Degenhardt. Teil 3: Sickboy

Badezimmer
Bild: Jennifer Apolinario-Hagen

In Teil 3 berichtet Degenhardt von der „long hard road out of hell“.

Ich frage Degenhardt nach dem altgedienten Klischee von Genie und Wahnsinn. „Ich bin sehr sensibel, alle Künstlertypen sind sensibel und gehen irgendwann kaputt. Nimm dir den klassischen Handwerker, der abends seine zwanzig Bier trinkt.“ beginnt er, nachdem ich den Aufnahmeknopf des Mikrofons betätigt habe. Es ist spät geworden. „Der könnte wahrscheinlich auch auf LSD und Ecstasy klarkommen. Der wird vielleicht noch nicht einmal drei Gedankengänge mehr davon haben.“ Im letzten Teil des Interviews will ich mit ihm die Geschichte seines (laienhaft gesprochen) Wahnsinns aufbereiten. „Das ist wie bei einem Scheiß-Autoradio. Bei einem Autoradio mit 200 Funktionen kann auch mehr kaputt gehen als bei einem mit drei Funktionen – da kann ich Benzin drüber kippen und vielleicht funktioniert es noch. Bei 200 Funktionen können mindestens 150 kaputtgehen. Ich hoffe, das wirkt jetzt nicht zu elitär. Ich glaube, das ist in gewisser Hinsicht sogar fair. Du bist halt sensibler in anderer Instanz, kannst ein wunderschönes Gedicht über eine Schwalbe schreiben. Anderseits können eine Pille oder ein Pilz dich ficken. Und so war es dann ja auch.

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Ein Abend mit Degenhardt. Teil 2: Leben, Singen, Kämpfen.

In Teil 2 der Serie erzählt Degenhardt von der Verhaftung seiner Eltern durch die Stasi und der Familienzusammenführung in einem bayrischen Asylantenheim.

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Degenhardt (früher: Disko Degenhardt) ist –im Slang der Vertriebsmenschen gesprochen- ein erklärungsbedürftiges Produkt. In seiner Lyrik verschmilzt eine Vielzahl doppeldeutiger, politisch aufgeladener Versatzstücke. Einzelne Passagen sind durchwoben von proletarisch angereicherten Slogans: Talent ist was für reich und schön/ Ich steh auf hart erarbeitet. Daneben wird die Stalinorgel aufgestellt. Dieser Eindruck wird in Johnnys Ende wieder ins Gegenteil verkehrt: Wir sind prokapitalistisch/ Also fick dich/ Alles Absicht. Dabei schwingt hintergründig das Unbehagen eines selbsternannten Egonazis in der spätkapitalistischen Konsumwelt mit. Doch noch bevor sich Degenhardts Texte als Ausdruck einer politischen Gesinnung überführen lassen, negiert er die Sphäre des Politischen in Terror Tradition selbst: Ich bin positiv politisch/ Das heißt: Nicht aktiv.

Die Selbstverortung im Widersprüchlichen hat Methode: Wer sich darauf einlässt, erhält einen intimen Einblick in das Spielzimmer eines Dreckskindes aus dem Osten, das vom Durchbruch in Hollywood träumt. Degenhardts Alben klären niemanden auf, wollen nicht belehren, geschweige denn indoktrinieren. Der kommunistische Liedermacher Franz-Josef Degenhardt erzählte in seinen Liedern Geschichten, um politische Statements zu untermalen. Beim neuen Degenhardt erscheint Politik nur noch als das Bühnenbild eines Psychodramas, das mit der Hoffnung seiner Eltern auf eine Zukunft beginnt, die außerhalb der Zielreichweite der Mauerschützen der DDR liegt.

Raider und das MfS

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Auf dem Wohnzimmertisch habe ich -in der Bemühung, mich als Gastgeber zu bewähren- Süßigkeiten und Softdrinks aufgetürmt. Degenhardt greift nach der Flasche Arizona Ice Tea und betrachtet den Aufdruck. „Die Packung ist viel schöner als der Geschmack“ stelle ich fest. „Die ist echt gut. Tolles Produktdesign“ bestätigt Degenhardt mit leuchtenden Augen. Ich will mit ihm über „den Osten“ sprechen, seine Kindheit in Honeckers Arbeiter- und Bauernstaat. „Ich habe mir die Faszination für Verpackungen immer bewahrt.“ sagt er. „Da bin ich dankbar, Ossi zu sein. Ich steh immer noch vorm Schnapsregal und denk mir: Das sieht wunderschön aus! Du kannst dir das nicht vorstellen. Ich kannte kein Produktdesign. Es gab ja keine Werbung im Osten. Du weißt nicht, wie schön Werbung sein kann.

Der Lockruf der Bundesrepublik durchbrach den antifaschistischen Schutzwall schon vor der Wende. Niemand sprach darüber, aber fast jeder DDR-Bürger empfing West-Fernsehen. „Ich bin damals bei einer Freundin in Berlin-Lichtenberg rausgeflogen, weil wir zusammen Werbelieder von Raider aus dem West-Fernsehen gesungen haben.“ Von Lichtenberg aus agierte das Ministerium für Staatssicherheit. „Das Schlimme am Osten war, dass du schon als Kind dachtest, dass du niemandem vertrauen kannst. Du hattest ein Gefühl, wie wenn dir ein beschissener Chef über die Schulter schaut. Du denkst: Der zieht mich ab, der nutzt mich aus, der kontrolliert mich. Und deine Kollegen warten nur auf eine Gelegenheit, dich zu verpfeifen- auch, wenn du nichts falsch gemacht hast. Du spürst die Hinterfotzigkeit um dich herum. Niemand droht dir offen an, dich ins Gefängnis zu stecken. Aber du weißt, dass du in einer heimtückischen Gesellschaft lebst.

Rote Kirschen

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Die Heimtücke des real existierenden Sozialismus schildert Degenhardt in seinem Lied Rote Kirschen. „Meine Eltern haben damals einen Ausreiseantrag gestellt, der von der DDR natürlich geflissentlich ignoriert wurde. Der wird wohl in irgendeinem Papierkorb gelandet sein. Dann haben sie eine andere Fluchtmöglichkeit gesucht und sich mit einem Freund in Ungarn getroffen, der einen Brief an in die Bundesrepublik schmuggeln sollte. Darin stand, dass wir in der DDR festgehalten wurden. Der Freund wurde an der Grenze festgehalten. Der Brief wurde entdeckt. Einen Tag vor dem Geburtstag meiner Mutter sind meine Eltern vom MfS vorgeladen worden. Morgens erzählten sie mir von der Vorladung. Sie hatten Angst. Aber ich war zu jung und habe nichts verstanden.“

Die Eltern kamen nicht heim. Die Vorladung stellte sich als Vorwand für die Inhaftierung heraus. Statt der Eltern betrat ein Hippie mit Latzhose, ein Familienfreund und Systemgegner, die Wohnung. Dieser hatte von der Inhaftierung der Eltern erfahren und brachte Degenhardt in seine Wohnung. In derselben Nacht klingelte die Volkspolizei und fuhr Degenhardt zu seiner systemtreuen Großmutter, die ihm ihr Nähzimmer herrichtete, wo er als Junger Pionier die nächsten Jahre verbrachte.

Über den Verbleib seiner Eltern konnte ihm niemand Auskunft geben. Erst nach einem halben Jahr ließ die Gefängnisleitung erste Briefe zu. „Sie wurden in getrennten Gefängnissen untergebracht. Natürlich in den schwierigsten Haftanstalten. Es war üblich, politische Häftlinge mit den schlechtesten Haftbedingungen zu konfrontieren. Meine Eltern wurden zusammen mit Schwerverbrechern untergebracht. Mein Vater teilte sich das Hochbett mit einem Mörder. In den Gefängnissen gab es noch Wasserzellen. Sie wurden zwar nicht mehr genutzt, es gab sie noch, was man die Häftlinge auch wissen ließ. Ein halbes Jahr lang erfuhren meine Eltern nicht, wo der andere ist. Sie wussten auch nicht, was aus mir wurde. So hat man versucht, sie zu brechen.

Ein unmittelbarer Kontakt zu den Eltern wurde Degenhardt verwehrt. Mit seiner Großmutter packte er Zigarettenpakete, damit die Eltern im Gefängnis zur Existenzsicherung handeln konnten. Über die Haftbedingungen von Republikflüchtlingen erfuhr Degenhardt erst im Nachhinein mehr: „Ich bin mit meiner Mutter zusammen in die Gefängnisse gefahren. Mein Vater berichtet als Zeitzeuge an Schulen über die DDR.

Die Haft dauerte zwei Jahre. Anschließend wurden Degenhardts Eltern als zwei von insgesamt 33.755 politischen Gefangenen von der Bundesrepublik freigekauft. Der Häftlingsfreikauf diente dazu, die klinisch tote Planwirtschaft künstlich am Leben zu erhalten. „Meine Eltern sind Akademiker, Bauingenieure. Sie wurden natürlich sehr gerne freigekauft. Honecker hat auch richtig Kohle bekommen.“ Wenige Jahre vor der Wende betrug der Preis pro Häftling bis zu 100.000 DM. „Sie wurden in denselben Klamotten entlassen, in denen sie inhaftiert wurden.

Um ihren Sohn wiederzusehen, stellten die Eltern vom Westen aus einen Antrag auf Familienzusammenführung, der nach sechs Monaten angenommen wurde. „Ich war zu jung, um alleine über die Grenze zu gehen. Meine Oma war systemkonforme Sozialistin, also war niemand da, der mich rüberbringen konnte. Über zwanzig Ecken fanden meine Eltern dann aber doch jemanden, der mich abgeholt hat.“

Leben, Singen, Kämpfen

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Das Wiedersehen mit den Eltern verarbeitet Degenhardt in der letzten Strophe von Rote Kirschen:

Sie haben dieselben Klamotten an wie vor drei Jahren bei der Inhaftierung
Denn sie haben keine anderen und zur besseren Orientierung
Diplombauingenieure mit dreihundert Mark vom Staat
Verlieren Haus, Familie, Freunde, ihren Sohn an einem Tag
Sie wollten frei sein auch für mich- so etwas musst du dich erst trauen
Sie gaben das, was sie besaßen für das, woran sie glauben
Und jetzt sitz ich hier im Auto und ich kenn sie irgendwie nicht mehr
Ich weiß nicht, was ich sagen soll- drei Jahre sind sehr lange her
Ich weiß nicht, wie es mir geht, mir ist nicht nach Heulen oder Feiern
Wir fahren ins neue Zuhause- von Ostberlin nach Bayern

Den abrupten Systemneustart darf man sich nicht als Seifenoper vorstellen: „Wir lebten mit drei Familien in einer Dreizimmerwohnung in einem Asylantenheim zusammen mit Rumänen, Russen und anderen Flüchtlingen aus dem Ostblock. Als ich eintraf, sah auch ich aus wie ein Ossi und hatte den Geist der DDR aufgesogen. Man hatte mir diese Honecker-Brille verpasst. Sie wurde schnellstmöglich durch eine Brille von der Kasse ersetzt. Das war natürlich nur Kosmetik.

Degenhardt musste nun die Spielregeln der kapitalistischen Gesellschaft erlernen, die er nur aus den Werbespots des Westfernsehens kannte. Ich möchte wissen, wie schnell die Integration dieses innerdeutschen Migranten gelang. Degenhardt erwidert mit einer Anekdote. Sein erster Schultag auf einer Würzburger Hauptschule begann mit der Aufforderung des Lehrers, zur Vorstellung  etwas singen. Der ehemalige Junge Pionier trat vor die Klasse und stimmte das erste Lied an, das ihm einfiel:

Ich trage eine Fahne,
und diese Fahne ist rot.
Es ist die Arbeiterfahne,
die Vater trug durch die Not.
Die Fahne ist niemals gefallen,
sooft auch ihr Träger fiel.
Sie weht heute über uns allen
und sieht schon der Sehnsucht Ziel.

Ich frage, ob er diese Situation so komisch findet wie ich. „Ich habe die klassischen Lyrics, die ich vom System geballert gekriegt habe, völlig frei und in vollster Überzeugung gesungen. Ich habe damals nicht realisiert, was ich da gesungen habe. Das waren halt Volkslieder. Das ist im Nachhinein nicht nur irre komisch, sondern auch verdammt peinlich. Ich habe mich immer dafür geschämt, Ossi zu sein. Als wäre ich behindert. Oder impotent. Früher gab es keine Ostalgie- als Ossi warst du ein Spasti.“ erzählt er. „Ich kann diese Lieder wahrscheinlich besser auswendig als meine eigenen Texte. Ich habe das Liederbuch immer noch. ‚Leben, Singen, Kämpfen‘ heißt es. Den Buchtitel ließ ich mir ins Tschechische übersetzen und auf mein Knie tätowieren.“ Ich stecke eine Zigarette an und scherze, dass der real existierende Sozialismus seinen Bürgern wohl tief unter die Haut ging. Es ist Zeit, zum letzten Themenblock überzugehen. Degenhardt nimmt einen Schluck Arizona Ice Tea. „Du wolltest mit mir noch über meine Drogenphase reden, oder?

Degenhardts Internetpräsenz findet man hier.

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Teil 1 der dreiteiligen Serie widmete sich der Koexistenz von romantischem Kitsch und Perversion.

In Teil 3 berichtet Degenhardt von der Arbeit in der Psychiatrie, seiner drogeninduzierten Psychose und dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wahnsinn.

 

Warum der deutsche Film uns langweilt und wie man ihn retten kann

Kürzlich veröffentlichte Eckhart Schmidt im Freitag eine Systemkritik zur Deutschen Filmwirtschaft. Die Symptome seines Patienten, der deutschen Filmwirtschaft, beschreibt er darin zutreffend. Die von ihm vorgeschlagene Behandlung erweist sich allerdings als die tatsächliche Ursache des Leidens.

Schmidt weist auf eine Misswirtschaft hin, die sich in einer Unzahl deutscher Eigenproduktionen und einer geringen Zuschauerquote widerspiegelt. Mit einem Fördervolumen in Höhe von 500 Millionen Euro werden fließbandartig abendfüllende Spielfilme gedreht. Nicht einmal fünf Prozent davon erreichen Kinobesucher in nennenswerter Zahl. Dennoch gebe es genug Fördergelder und Fernsehgelder, „um die Produzenten mit Porsches und anderen Luxusattributen auszustatten“.

Das Erfolgsmodell Filmförderung

Die Resultate der Filmförderung durch Bund und Länder sind selten relevant, in vielen Fällen in ihrer Biederkeit uninteressant und gelegentlich sogar absurd.

Gern zählen die Apologeten des deutschen Films die Kronzeugen des „Erfolgsmodells Filmförderung“ auf. So erreiche Herbigs Klamauk-Komödie Der Schuh des Manitu 2001 eine beachtliche Zahl von 11.721.499 Zuschauern. Schweigers mit sentimentalem Kitsch überfrachtete Liebeskomödie Keinohrhasen konnte 2007 geschätzt 6.297.816 Zuschauer verzeichnen. Im letzten Jahr erzielte die seichte Feel-Good-Komödie Fack Ju Göhte mit 7.078.553 Zuschauern einen respektablen Umsatz.

Diese Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel. Neben vereinzelte Erfolge tritt eine Unzahl von als Kinofilm getarnten Fernsehfilmen, die sich der Cineast nicht selten in den leeren Kinosälen der Programmkinos anschauen darf. Dabei sind Werke wie „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz symptomatisch. Bei geschätzten Produktionskosten von acht Millionen Euro erreichte der Film lediglich 122.000 Zuschauer. Wer sich hier fragt, warum der Film ein Flop blieb, dem sei die Lektüre der überwiegend positiven Rezensionen angeraten. So schrieb Kultursparte des Deutschlandradios:

Mit dem neuen Werk schenkt uns Edgar Reitz viele großartige Kinomomente: Ein Dorffest in einer Scheune, das Anlaufen der ersten Dampfmaschine im Dorf; oder der Tod des Großvaters am Webstuhl, wenn minutenlang das Klacken der Webstuhlhölzer zu hören ist, die Kamera sanft durchs Haus schwebt und plötzlich das Klacken aufhört. Oder wenn die Mutter Jakob erinnert, dass es doch an der Zeit wäre zu heiraten und dass es doch das Florinchen gäbe, das schön singe.

Die publikumsunabhängige Parallelgesellschaft aus deutscher Filmförderung und Filmemachern lässt sich vom Desinteresse der Kinogänger selbstredend nicht beeindrucken. Die deutsche Filmförderung schmückt sich zwar gern mit hohen Zuschauerzahlen. Deren Benennung erweist sich allerdings mit Blick auf die deutsche Filmlandschaft als gekonnte PR durch Cherrypicking. Wenn die Zuschauer, die freundlicherweise die

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Homöopathie: „Sollte Steffens Erfolg haben, wird das erste Opfer die Freiheit von Forschung und Lehre sein.“

NRW Gesundsheitsminsterin Barbara "Globuli Queen" Steffens
NRW Gesundheitsminsterin Barbara „Globuli Queen“ Steffens

Die Wahl von Barbara Steffens zur Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen bedeutet eine Richtungsentscheidung zugunsten einer Integration der Alternativmedizin und Esoterik in den Wissenschaftsbetrieb. Grund ist, dass Steffens sich als bekennende Streiterin für Homöopathie profiliert hat.

Nicht nur eröffnete die medizinische Laiin den Deutschen Homöopathiekongress und würdigte die Homöopathie im Interview mit dem Deutschen Zentralverein Homöopathischer Ärzte. September 2012 trat sie ferner als Schirmherrin eines Kongresses zur Anthroposophischen Medizin des Esoterikers und Hellsehers Rudolf Steiner auf. Auch argumentierte sie auf der Website des Ministeriums für Alternativheilverfahren und deren Aufwertung durch die europaweite Akademisierung des Heilpraktikerberufs.

Tatsächlich begegnet Steffens damit einem Trend. Homöopathie genießt zunehmend mehr Akzeptanz in der Bevölkerung. „Meiner Schwiegermutter hat es auch geholfen.“ „Wer heilt hat Recht.“ oder „Das ist sanfte Medizin ohne Chemie“ sind die stereotypen Akklamationen, mit denen Globuli & Co. oftmals begegnet wird. Der Vormarsch der Homöopathie geht allerdings nicht einher mit ansteigender Kenntnis über ihre Annahmen. Wenn aber Homöopathie über Barbara Steffens zur politischen Agenda der Landesregierung geworden ist, lohnt der Blick auf die dahinterstehende Theorie.

Homöopathie ist eine Behandlungsmethode aus dem 18. Jahrhundert, erdacht von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann. Hahnemann entwickelte sein Gedankengebäude auf der Grundlage eines Selbstversuchs mit Chinarinde, einer Pflanze aus Südamerika, die noch heute – neben anderen, synthetischen Arzneimitteln – zur Behandlung von Malaria eingesetzt wird.

Nach der Einnahme einer hohen Dosis der Pflanze meinte Hahnemann, die typischen Symptome einer Malariaerkrankung zu durchleben- darunter Mattigkeit, kalte Füße und einen hohen Puls. Aus diesem Selbstversuch entwickelte er das Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie. Danach sollen Krankheiten durch Substanzen geheilt werden, die bei einem Gesunden die Symptome der zu behandelnden Krankheit auslösen. Spätere Wiederholungen des Versuchs kamen zu dem Ergebnis, dass Chinarinde die von Hahnemann beobachteten Symptome tatsächlich nicht hervorruft. Auch das Ähnlichkeitsprinzip hat sich als mit der modernen Medizin nicht vereinbar herausgestellt.

Die zweite Säule der Homöopathie ist die sog. Potenzierung von Wirkstoffen. Hahnemann zufolge sind Heilmittel umso wirksamer, je weiter sie verdünnt werden. Eine „Urtinktur“ hoher Wirkung wurde wiederholt verdünnt und penibel nach den Vorgaben Hahnemanns geschüttelt. Hoch potenzierte Lösungen (ab „D 24“) enthalten kein Molekül des Ursprungsmaterials.

Dass hoch potenzierte Lösungen dennoch eine Wirkung entfalten sollen, begründen Homöopathen mit der Annahme, Wasser habe ein „Gedächtnis“ und „speichere“ Informationen über den Wirkstoff, mit dem es in Berührung gekommen ist. In einer1988 veröffentlichten Studie wurde der Nachweis eines Wassergedächtnisses durch Jaques Benveniste behauptet. Nach einer

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