Zugegeben, am liebsten wäre mir nach all den gescheiterten Sondierungen nun eine Neuwahl des Landtags in Nordrhein-Westfalen. Auch, wenn dies natürlich keine Garantie ist, dass im zweiten Anlauf ein klareres Ergebnis dabei herauskommt. Wie sagte Kabarettist Winfried Schmickler im Mai: Der Wähler hat gesprochen, und es klang wie Grmlpf.
Rüttgers und Pinkwart wurden abgestraft und praktisch abgewählt, die CDU behielt aber eine hauchdünne Mehrheit, aus der sie Ansprüche saugt. Hannelore Kraft durfte sich zwar als Ministerpräsidentin der Herzen fühlen, trotz eines miserablen SPD-Ergebnisses – kriegt aber keine Koalition gebacken. Die Grünen sind die Wahlsieger, haben sich aber für das Frauenbündnis Löhrmann-Kraft entschieden – statt als Koalitionär Schwarz-Gelb zu retten.
Nein, ein klarer Wählerwille sieht anders aus. Eine Neuwahl gibt den Wählern die Möglichkeit, nach nochmaligem Nachdenken etwas deutlicher zu formulieren als Grmlpf.
Der Wahlkampfspruch, wonach man die LINKE wählen muss, um Rüttgers abzulösen, war Augenwischerei. Zumal schon vorher völlig klar war, dass mit dieser Jokertruppe keiner koalieren will und kann. Wer Schwarz-Gelb weg haben wollte, hätte wohl oder übel SPD oder Grüne wählen müssen. Wenn eine(r) aus Überzeugung sein Kreuzchen bei der LINKEN gemacht hat, okay. Wer dies aber nur aus Protest oder für eine neue Politik im Lande tat, lag schief. Ein wenig weniger LINKE, und wir hätten bereits eine rot-grüne Landesregierung im Amt und das „System Rüttgers“ wäre Vergangenheit.
Um es klar zu stellen: Dies ist überhaupt keine Wählerbeschimpfung. Aber wenn – angesichts der bestehenden Polit-Konstellationen – ein lähmendes Patt herauskommt, dürfen die Wähler aus meiner Sicht nachher auch nicht die Parteien beschimpfen, weil sie mit dem Kuddelmuddel auf Anhieb nichts anfangen können.
Hannelore Kraft gibt seit dem Wahlabend die Honorige. Nachdem sie die ihr bis zum Erbrechen vorgehaltene LINKE-Klippe bravourös umschifft hat (und damit gleichzeitig bewies, dass sie eben nicht nur die persönliche Macht anstrebt), soll nun wohl auch noch der dumme Vorwurf ausgeräumt werden, man wähle halt neu, bis es mal passt.
Übrigens darf man die Grünen nicht vergessen und aus der Verantwortung lassen, die in Formation mit der SPD durch die Sondierungen flog. Wenn man aus staatspolitischer Verantwortung jede Kröte schlucken muss, wie es jetzt so manche Kommentatoren ausschließlich der SPD andienen, dann gilt das auch für andere: Die Grünen hatten und haben es in der Hand, sofort für die ach so wichtigen stabilen Verhältnisse im Landtag zu sorgen. Jamaika (sprich: Schwarz-Grün-Gelb) – und das Thema Hannelore Kraft ist durch.
Nochmal: Neuwahlen wären mir persönlich am liebsten. Aber womöglich hat Hannelore Kraft Recht, wenn sie in den nächsten Wochen zunächst versucht, es zumindest so aussehen zu lassen, dass die Forderung nach Neuwahlen nicht allein von ihr ausgeht. Sie sagt zum Beispiel im Pottblog-Interview : „Dann machen wir den versprochenen Politikwechsel eben zunächst einmal von den Abgeordnetenbänken aus. Durch einzelne Anträge, mit wechselnden Mehrheiten.“
Man sollte zwar abwarten, was die Basis und am Montag dann der SPD-Beirat sagen. Aber: Eine regierende Opposition – warum sollte das nicht eine Zeitlang gehen? Wechselnde Mehrheiten – da schlägt doch die Stunde des Parlaments, ein Hochgenuss für Demokraten. Und vielleicht macht es ja sogar grimmigen Spaß mitzuerleben, wie eine Landtagsmehrheit, die nicht seine eigene ist, den zum Mini-Präsidenten geschrumpften Regierungschef (der mit dem k.w.-Vermerk) lächelnd vor sich her treibt und den „Geschäftsführer“ Rüttgers und seine Minister auf Zeit dazu zwingt, immer neue „Zumutungen“ vertreten und umsetzen zu müssen.
Irgendwann verliert einer die Nerven. Auch durch Zermürbung erreicht man ja manchmal seine Ziele.