Es war eine Freude vor einigen Wochen die gesammelten Ratlosigkeiten von Bodo Hombach zu lesen. Was ist nur aus ihm geworden? In den 80ern organisierte er SPD-Wahlkämpfe, die zu absoluten Mehrheiten in ganz NRW führten, allerdings auch Krater in der Parteikasse hinterliessen, die entschieden länger fortgewirkt haben, nämlich bis heute, als die Wahlergebnisse, über die hier ja schon berichtet wurde. Heute führt er die Geschäfte in einem anderen Tanker, dem WAZ-Konzern. Ob er dort auch schon Krater in der Kasse geschaffen hat, weiss ich nicht. Aber offensichtlich ist er viel ratloser, als in seiner besten Zeit als SPD-Geschäftsführer.
„Die große Internet-Debatte muss kommen!“ – Haben wir gelacht. Hallo Bodo, wie lange hast Du denn gepennt? Es gibt sie schon seit Jahren. Wer hat Dich denn narkotisiert, dass Du nichts davon gemerkt hast?“
Piraten haben sich schon formiert. Nichts dagegen. (Bodo, kannst Du auch ganze Sätze?) Da hat man wenigstens engagierte Gesprächspartner. Die Handelsflotte will sich auch aufstellen.“ Die Handelsflotte, das ist wohl Bodo.
„Nach welchen Regeln wird im Internet gespielt? Wie kommen diese zustande, wie werden sie abgesichert und durchgesetzt?“ Die Antwort ist: nach den gleichen Regeln, wie sonst auch. Ist es Bodo vielleicht etwas zu schnell gegangen? Hat man es versäumt, ihn nach seinen persönlichen Vorstellungen zu fragen? Hat „das Internet“ ihn, den ehemaligen Kanzleramtschef, zu wenig konsultiert? Das ist natürlich irgendwie unverzeihlich von „dem Internet“? Sollte es nicht dafür bestraft werden? Nein, so streng meint Bodo das gar nicht. Moderner als Zensursula ist er schon. „Es darf nicht zu einer Frontstellung neue gegen alte Medien kommen.“ (Satzbau ist ein schwieriges Handwerk und Redakteursausbildung ist teuer.)
Dann lobt Bodo den Spiegel (ohne Anführungsstriche) und einen gewissen Dr. Döpfner, „das waren Treffer – mitten ins Schwarze“. Was der Spiegel gemeint hat, vermag Bodo nicht zu beschreiben, nur dass er aufgeschrieben habe „was wirklich ist.“ Was mag es wohl sein? Dr. Döpfner wolle sich nicht damit abfinden, „dass Printmedien dauerhaft Online-Journalismus subventionieren.“ Wer subventioniert eigentlich uns Ruhrbarone? Bezahlt Bodo uns, und keiner hat mir was gesagt?
Dann schreibt Bodo von Neidern, Nörglern, Skeptikern, Besserwissern, Schlauen und Experten, also alles Leute, die er nicht leiden kann, deren Äußerungen ihm beweisen: „die Zeit ist reif.“ Boah, gut, dass uns dass endlich mal einer mitteilt.
„Dabei geht es nicht um Kommerzialisierung der neuen Frei- und Freiheitsräume, die das Internet bietet.“ Ooch, nicht? Bodo, jetzt enttäuscht Du aber Deinen Arbeitgeber. Das meinst Du doch nicht wirklich, oder? Du hast doch längst gemerkt, welche Goldadern sich in der Computerspielebranche verbergen und auf Eurer Homepage eine eigene Rubrik dazu eingepflegt. Du beobachtest doch längst mit Argusaugen, was in das hochsubventionierte Dormunder „U“ einziehen und sich dort möglicherweise entwickeln wird und hast mit Deinem CDU-Kumpel Jürgen (Rüttgers) längst ein Ãœbereinkommen gefunden, dass das ein zentrales Element der steuerlich unterfütterten NRW-Standortpolitik sein muss, dem Dein Haus nicht nur publizistischen sondern auch betriebswirtschaftlichen Segen erteilen wird. Denn kein lukrativer Vertriebsweg soll entstehen, ohne dass der WAZ-Konzern daran mitverdient. Völlig freiheitlich natürlich.
„Die Kostenlos-Gewohnheiten gelten als unwandelbar“ beschreibst Du, aber dabei darf es natürlich nicht bleiben. Darum soll der Verlegerverband ins Feld ziehen, um für „Qualitätssicherung“ zu sorgen. Das ist lustig, Qualitätssicherung fordert ausgerechnet ein WAZ-Geschäftsführer 😉 Das ist endlich mal was Neues! „Ohne unabhängigen, glaubwürdigen, investigativen Journalismus, der enthüllen kann, und was Mächtige nicht enthüllt sehen wollen, kann unsere Demokratie nicht funktionieren.“ (Originalsatzbau Hombach). Tja, es wäre ja schön, wenn die WAZ-Blätter mal dazu beitragen würden, aber das ist sicher zuviel verlangt. Hilfe kann von woanders kommen: „Das wird man auch mit den Piraten besprechen können.“
Das ist wohl der Rest von Hombachs früherer schneller Auffassungsgabe: die Piraten sind, wahrscheinlich, kein vorübergehendes Phänomen. Bei der Bundestagswahl haben sie gute Chancen, die Schwelle zur Erstattung der Wahlkampfausgaben zu überspringe(0,8 %).
Sie finden ihren überwiegenden Anhang bei den Jungens, nur wenigen Mädels, unter 40, 30, noch mehr unter 25 und im noch nicht wahlberechtigten Alter. Warum? Weil die es leid sind, von inkompetenten Leuten erzogen zu werden. Politiker, Lehrer, Eltern, alle von nix ’ne Ahnung, aber einem ständig Vorschriften machen wollen. Insbesondere was die Funktionsweise und Nutzanwendung des Internet betrifft, haben sich die Machtverhältnisse zwischen den Generationen umgekehrt: die Jungen müssen die Alten ausbilden. Nur wenige Alte sehen der Realität ins Auge, und sind bereit von den Jungen zu lernen. Die meisten lassen sich verunsichern und versuchen, zunehmend verzweifelt, die Kontrolle zurück zu gewinnen. So viel ist sicher: das wird vergeblich sein, schützt aber nicht vor unter Umständen verheerenden Auswirkungen solcher untauglichen Kontrollversuche.
Das Zensursula-Gesetz ist nur ein Symptom dieser Entwicklung, allerdings kommt hier noch eine verschlimmernde Komponente hinzu. Frau von der Leyen hat nicht „von nix ’ne Ahnung“, sondern betreibt eine Verhohnepipelung mit Kalkül. Sie weiss, dass sie für ihre Nischenpartei CDU nur eine hinreichend unwissende Zahl von ängstvoller Klientel an die Wahlurne treiben muss – demografisch und wahlstrategisch sind die unwissend-furchtsamen Alten viele, die cleveren Jungen dagegen wenige. Wenn sie nur, mithilfe von BILD, ARD und ZDF genug Angst mobilisiert, schafft die CDU locker ihre 30 bis 35%. Wenn es ausserdem gelingt, den ahnungslosen und garantiert über 50-jährigen Chefstrategen bei den Oppositionsparteien genug Angst vor solchen erfolgreichen Angstkampagnen zu machen, dann hat man die von jeder Möglichkeit der Gegenmobilisierung, der Nachwuchsrekrutierung und -entwicklung abgeschnitten und den Keil mitten in sie hineingetrieben – siehe die – berechtigte! – Arbeitseinstellung des SPD-„Onlinebeirates“ oder das seltsame Abstimmungsverhalten einiger Grüner MdBs zum Zensursulagesetz. Dieses Kalkül sieht man der von der Leyen an der Nasenspitze an, und das ist ein Supermobilisierungsfaktor für die Piraten – so widerlich kann Politik sein, „Ihr werdet Euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“.
Die Piraten werden noch viele Geburtswehen der Parteiwerdung durchmachen. Auf etliche wurde hier schon hingewiesen. Derzeit wird über sie geredet, wie über die Grünen Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre, eine Verbindung von Faszination für das Neue und Verständnislosigkeit für so manche unerfahrene Dummheit. Die Grünen haben dieses Stahlbad überlebt. Es könnte sein, dass das den Piraten auch gelingt. Die Nahrung dafür werden die Grünen liefern.
Als die SPD 1982 von der FDP aus der Regierung gestürzt wurde, übernahm sie relativ zügig die programmatischen Vorstellungen der damaligen Anti-AKW- und Friedensbewegung. Geholfen hat es ihr nichts, sie wurde kleiner, weil sie nicht mehr glubwürdig war und nährte so die Grünen. Heute enthält das Wahlprogramm der Grünen alle wesentlichen inhaltlichen Vorstellungen der Piraten. Das Problem, das die Piraten nährt, ist: viele Grüne Mitglieder, und zwar ziemlich proportional zu ihrem Lebensalter, wissen das gar nicht. Und viele ihrer Parlamentsmitglieder, das allerdings ist kein sehr neues Phänomen, wollen es nicht wissen.
Jedes Parlamentsmitglied ist – aus guten Gründen – verfassungsrechtlich nur seinem Gewissen verantwortlich und nicht einem Parteiprogramm. Nach den Bundestwagswahlen, egal wie sie ausgehen, wird mindestens ein Dutzend, eher mehr, Grüner Bundestagsabgeordneter feststellen, dass die Ideen des Grünen Wahlprogramms gegen Zensur und für Bürgerrechte im Internet mit ihrem Gewissen in gewissen Teilen nicht vereinbar sind. Das wird die Nahrung für die Piraten sein. Wenn es so kommt, es muss nicht so sein, aber vieles spricht derzeit dafür, dann sind sie 2013 im Bundestag.