Presseschau Migration/Integration im Sept. 09

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Rumänien: 12-Stunden-Schicht für weniger als 300 Euro im Monat – eine Reportage für Arbeiterführer Rüttgers (Berl. Zt.)

Saudi-Arabien, das Königreich des Jugendfrusts und Heimat der meisten 9/11-Terroristen (Berl. Zt.)

Ekkehard Sieker berichtet über merkwürdige "Fährtenleser des Terrors", die erfolgreichen Eingang in hiesige Medien finden (hintergrund.de)

Mustermigranten verlassen Deutschland (Sp-on)

Wie sich die Türkei im großen Spiel um die Energiereserven positioniert: Die neue Mitte (Zeit)

Ein anrührender Briefaustausch zwischen Sechstklässlern aus Kreuzberg und Anatolien (Tagesspiegel)

Türkei: die Aziz-Nesin-Stiftung ist durch die jüngsten Überschwemmungskatastrophen bedroht (taz)

USA: das Big Money hinter Obama (Junge Welt)

Der Kampf um eine US-Krankenversicherung zeigt, dass die postrassistische Gesellschaft eine Illusion ist, meint Eva C. Schweitzer (Berl. Zt.)

Instrumentalisierung von Obama-Kopisten in Russland (Tagesspiegel)

London: Monica Ali ("Brick Lane") hat ihr neues Buch fertig (Tagesspiegel)

Italien: Anzeichen für Berlusconis Ende? (Jungle World)

Iran: Charlotte Wiedemann berichtet kontinuierlich über die iranische Opposition (Zeit)

Iran: Interview mit Nobelpreisträgerin Ebadi (taz)

Ägyptens Squash-Weltmeisterinnen sind auch Balance-Künstlerinnen (taz)

Tel Aviv: Am Strand treffen sich Heilige, Homos, Hedonisten (Berl. Zt.)

Elfenbeinküste: europäischer Giftmüll bringt ivorische Menschen um (FAZ)

Gabun: Nach dem Tod Omar Bongos sichern sich Frankreichs Freunde weiterhin die Macht (Jungle World)

Marokko: ein Frauenhaus hilft ledigen Müttern (Berl. Zt.)

Rassismus im Inland: wie Nadja Benaissa versucht wieder auf die Beine zu kommen (Berl. Zt.)

Rassismus im Inland: Analyse des Wahlerfolges von "Pro Köln" (Jungle World)

Der Essener Lokalteil der WAZ berichtet über multikulturelle Massenschlägereien im Amateufußball (derwesten.de), zum gleichen Thema auch ein Bericht im Rhein-Ruhr-Teil (derwesten.de); derwesten.de sah sich bei diesen Themen genötigt, die Kommentarfunktion abzuschalten

Interview mit dem Kurator der Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" (Telepolis), und welches Problem die Berliner Werkstatt der Kulturen damit hatte (Jungle World)

Ein Buch über Europa vor dem 1. Weltkrieg und heute: "Die Zukunft für uns ist nur noch Bedrohung" (Telepolis)

 

Financial Times bezeichnet S04 als „fast pleite“

Die "Financial Times Deutschland" beschreibt seit gestern abend 23:16 h ihre Sicht der "drohenden Zahlungsunfähigkeit" des größten Arbeitgebers auf dem Gebiet der Stadt Gelsenkirchen, des FC Schalke 04. Kern des Problems sei Schalkes Großgläubiger Stephen Schechter, der seinerzeit den Bau des Gebäudes "former known as Arena Auf Schalke" vorfinanziert, und dem S04 bereits seine Zuschauereinnahmen verpfändet habe.

Nach Informationen der FTD fordere Schechter nun die Entlassung von S04-Geschäftsführer Peters. Der habe ihm vor kurzem gebeichtet, "dass drei der vier Sicherheitskonten, über die zahlreiche Kredite des klammen Klubs bedient werden, ‚kein Guthaben aufweisen‘." Diese Konten sollen normalerweise jeweils mit 8 Mio. Euro gedeckt sein, als Sicherheit für die vielen S04-Gläubiger. Doch nur das, das für Schechter gedacht sei, ist nach Recherchen der FTD noch gefüllt.

Es wird also immer enger für S04. Ausgerechnet hier in Gelsenkirchen, der Stadt des deutschen Fußballmeisters von 1958, fuhr die untergegangene SPD am Sonntag noch ihr bundesweit bestes Wahlkreisergebnis ein. Das letzte gallische Dorf. Doch wer ist Asterix? Und wo ist der Zaubertrank?

Update: Der Verein erklärte zur FTD-Story: "Die in einem Artikel der FTD thematisierten Sicherheitskonten der Schechter-Anleihe sind vertragsgemäß gefüllt. Alle bislang fälligen Raten der Anleihe sind vom FC Schalke 04 pünktlich bedient worden."

ARD – vom Elend der öffentlich-rechtlichen Programmierung

Ehrlich vorausgeschickt: ich bin Fußballfan, seit 1964, da war ich 7. Mit 8 entschied ich mich für den VfL 1900 Borussia Mönchengladbach. Heute um 19 Uhr spielt "mein Verein" ein total bedeutendes Sechzehntelfinalspiel im DFB-Pokal gegen den MSV Duisburg. Und die ARD sendet, zwischen 22.15 h und 23.30. Ist das nicht toll? Nein, ist es nicht. Normalerweise ist 22.15 Uhr Tagesthemen-Zeit. Grundversorgung für die Millionen GebührenzahlerInnen. Heute nicht. Das ist eine Sauerei, eine ganz spezielle Sauerei von einem teuer von uns bezahlten öffentlich-rechtlichen Sender. Offentlich-rechtlich heisst: der Sender gehört uns, uns allen. Warum verarscht er uns fortwährend?

 Seit Jahren wird in der ARD diskutiert, wie man die Tagesthemen aufwerten kann, schliesslich sind sie ein Juwel ihres Programms. Für Tagesschau und Tagesthemen arbeitet in Hamburg eine große teure Redaktion unter der Bezeichnung "ARD-aktuell". Und im internationalen Vergleich von TV-Programmen macht sie eine ziemlich gute Arbeit für das viele Geld. Wobei das Bessere natürlich immer ein Feind des Guten ist ….

Folgerichtig wird seit Jahren in der ARD der Programmplatz der Tagesthemen diskutiert. Es bestand – theoretisch – Einigkeit, dass es für die Publikumsakzeptanz der Sendung sehr wichtig sei, dass sie täglich am gleichen Sendeplatz wiederzufinden ist. Sicher, das gilt weniger für ruhrbarone-NutzerInnen, die wissen Bescheid, wie man sich zeitsouverän sein Informationsbouquet selbst zusammenstellt. Wer weiss, wie es geht, ist heute sein eigener Programmdirektor. Aber die ARD-ZuschauerInnen sind im Durchschnitt 60, die wollen das nicht mehr lernen.

Bei den Tagesthemen ist es nun so: montags und dienstags sind sie um 22.15, mittwochs um 23 h, donnerstags wieder um 22.15, freitags um 23.15, samstags sehr verschieden, sonntags um 22.45 h. Ausser es ist Fußball, und sei es ein Sechzehntelfinale. Das ist doch einfach zu merken, oder?

Die ARD scheisst heute mal wieder auf ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag und sendet Fußball, weil dann die Quote höher ist, und das die privaten Fußballsponsoren, der DFB und die Vereine so wollen. Sie soll nur bloss nicht wieder damit kommen, dass es wegen der armen Kinder sei, die ins Bett müssen. Denn dann könnte sie meine Gladbacher ja auch schon um 21 Uhr zeigen und ein Elfmeterschiessen zur Not live übertragen. Da bliebe ich gerne Kind.

Handelsblatt schwarz-gelb unterwandert?

Das Handelsblatt, führende deutsche Wirtschaftstageszeitung, berichtet heute über die Finanznöte des FC Schalke 04, die "offenbar größer als bekannt" seien. Nun ja, Fußballexperten wissen schon lange, das die Blau-Weißen im Schatten der Schwarz-Gelben Finanzkatastrophe, die von allen Gazetten aufmerksam begleitet wurde, unbemerkt entschieden waghalsigere Drahtseilakte eingegangen sind. Da sie in der letzten Saison deutlich an allen Europacup-Qualifikationen vorbeigespielt haben, wird es nun sehr, sehr eng.

 Das Handelsblatt beziffert die Schalker Schulden auf aktuell 137 Mio. Euro. Neben der Schuldenlast gebe es ein Liquiditätsproblem. Rechnungen würden angeblich erst 30 Tage nach Zahlungsziel beglichen, bei der Stadion Beteiligungs GmbH seien es sogar über 45 Tage, bei einem Drittel aller Rechnungen seien es sogar 120 Tage. Das Handelsblatt beruft sich bei diesen Angaben auf eine "Wirtschaftsauskunftei D&B Deutschland".

Die Kosten für Personal seien, so das Handelsblatt weiter um 5 auf 67 Mio. Euro gestiegen, der Spielerkader sei der zweitteuerste der Liga nach Bayern München. Neben dem teuren Trainerstab von Trainer Magath stünden nach wie vor der Ex-Manager Andreas Müller, Ex-Trainer Rutten und dessen Stab, sowie Ex-Berater Olaf Thon auf der Gehaltsliste. Mehr als 20 Mio. Euro müssten für Zinsen und Tilgung der Arena aufgebracht werden.

Auf der anderen Seite fehlen Einnahmen. Keine Champions League, keine Europa-Liga. Die Zuschauereinnahmen, so das Handelsblatt, seien bis 2025 an einen englischen Investmentbanker verpfändet. Der Name der Arena ist bis 2015 an eine Brauerei vergeben. Die Einnahmen aus der Bandenwerbung sind laut Handelsblatt an eine Agentur vergeben. Die Zahlungen von Gazprom und Adidas seien auch schon an Investoren abgetreten. So bleiben wohl nur Spielerverkäufe, sonst wird es eng bei der nächsten Lizenzvergabe.

"Die Liga ohne Schalke wäre eine Katastrophe" soll ein Manager "eines anderen Reviervereins" dem Handelsblatt gesagt haben. Wer mag das wohl gewesen sein? Bereits 1965 wurde die Bundesliga einfach aufgestockt, als Schalke auf einem Abstiegsplatz landete. Da wird sich doch jetzt wohl auch eine Lösung finden. Vielleicht beteiligen die jeweiligen Gastgeber die Schalker bei ihren Auswärtsspielen an den Zuschauereinnahmen? Schalke-Soli zahlbar in allen 18 Stadien? Oder Rupert Murdoch, der Besitzer des Pay-TV-Kanals Sky, leistet eine Sonderzahlung, damit die Schalke-Fans bei seinen Zuschauern bleiben? Und die Stadt Gelsenkirchen, die bekanntermassen in Steuereinnahmen schwimmt? Ist Schalke 04 nicht der größte Arbeitgeber in der Stadt? Also ein Rettungsschirm, denn S 04 ist doch eindeutig "systemrelevant".

Welche Ideen gibt es noch? Bitte gleich hier in den Kommentaren eintragen!

 

Werbung


Staatsfernsehen oder Informationsfreiheit?

Stärker als allen Revolutionären gelingt es der politischen Klasse, das System zu bekämpfen. "Politische Klasse", das sind nicht nur Profipolitiker, sondern auch die die sie bespiegeln, ihre Strippenzieher und Spindoctors, und die, die die Produkte der Zieher und Doctors weiterverkaufen. Was wir uns davon andrehen lassen, und was nicht, dafür sind wir letztendlich auch selbst verantwortlich. Es sind also nicht immer alles irgendwelche Anderen schuld.

Jetzt dreht sich in den Traditionsmedien einiges darum, dass erst die Kanzlerin und dann auch ihr Nicht-Wirklich-Herausforderer aus einer "Berliner Runde" des ZDF gar nicht erst ein- die Eine, und ausgestiegen der Andere, sind. Und der wackere ZDF-Chefredakteur Brender meint nicht ganz falsch, sie versündigten sich damit an der politischen Kultur.

Das Tragische für die oben beschriebene Politische Klasse ist, wie wenig gesellschaftlichen Wandel sie wahrnimmt. Kein Wunder, sie drehen sich ja überwiegend um sich selbst. Die einen am Ostrand unserer Republik, von wo aus sie kaum noch nachhause kommen, die andern in Sendeanstaltsbunkern und auf beamtengleichen Redaktionsstellen, von wo aus sie übermenschliche Fantasie aufbringen müssten, um die Wirklichkeit um sich greifender Prekarität da draussen im Lande überhaupt zu verstehen. Bei Privatsendern ist das nicht viel besser: dort wissen zwar mehr Beschäftigte, was Prekarität ist, gerade deswegen ist ihnen aber vorauseilender Gehorsam und Selbstzensur nicht fremd. Die eine Senderkette – RTL – gehört mehrheitlich der Familie Mohn, deren Matriarchin Mitglied der Friends of Merkel ist; die andere Senderkette gehört mehreren "Heuschrecken". Das ist es wirklich schwer zu sagen, was schlimmer ist.

Aus all dem ist letzten Sonntag das Staatsfernsehduett Merkel/Steinmeier entstanden, das von der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger mit Missachtung gestraft wurde, ganz im Gegensatz zu den Medien, wozu an dieser Stelle auch ich als Ruhrbaron zu zählen bin (ich habs aus Langeweile nicht geguckt, schreibe aber drüber),  Wenn die gleichen Medien nun beklagen, dass die Kanzlerin nicht mit Steimeier, Westerwelle, Trittin und Lafontaine diskutieren will – wenn ich so mal rein menschlich drüber nachdenke, verstehen kann ich das schon – sind sie dann nicht selber schuld?

Schon Helmut Kohl hat solche Zusammentreffen vermieden, weil er gut beraten wurde. Er ist bei Widerworten regelmässig ausgerastet, man denke nur an den Eierwerfer (war es in Magdeburg?), den er fast eigenhändig verprügelte. Nicht auszudenken, Kohl  wäre in seinen frühen Kanzlerjahren in den 80ern auf Rainer Trampert getroffen, der sogar einen jesuitengeschulten Heiner Geißler auf jede bereitstehende Palme getrieben hat – bei den Grünen gabs damals sogar drei Vorsitzende, so dass Trampert leider nur jedes dritte Mal drankam. Diese Auftritte wären mal eine eigene DVD-Edition wert.

Aber wir schweifen ab. Sendeanstalten, die Frau Merkel jedes Podium hinstellen, Soloauftritt bei Frau Christiansen, Soloauftritt bei Frau Will, Soloauftritt bei Frau Illner, Duett mit Herrn Steinmeier, die sollten keine Krokodilstränen vergiessen. Das Publikum wendet sich dann eben anderen Medien – und übrigens immer mehr auch anderen Parteien – zu. Und das ist auch gut so.

Quotenflopp für das Duett

20 Millionen Zuschauer waren großsprecherisch vorhergesagt, 14 Mio. sind es tatsächlich geworden. Wenn man das aufs mögliche Wahlergebnis hochrechnet, könnte es knapp werden für eine CDU/SPD-Mehrheit, denn sie haben noch nicht mal die Mehrheit der Minderheit erreicht, die gestern abend vor der Glotze sass (oder lag). 14 Mio. bedeuten: 66 Mio. Menschen hatten was Besseres zu tun, als sich von Merkel/Steinmeier einschläfern zu lassen.

Lediglich die ARD schaffte mit gut 7 Mio. ungefähr so viele Zuschauer, wie sie sonst mit dem "Tatort" erreicht. Das ZDF blieb unter der Hälfte seiner sonstigen Pilcher-Schmonzetten. RTL und Sat 1 wären wohl sofort pleite, wenn sie eine Woche lang so ein Quotendesaster einfahren würden. Sieger der Privatsender: Pro 7 mit "Die Simpsons – Der Film", den 3,45 Mio. sahen

Der "Audience Flow" bei der ARD war vergleichsweise fantastisch erfolgreich. Während nach dem "Tatort" meistens die Hälfte der Zuschauer ins Bett (oder woanders hin) fliehen, und "Anne Will" nur noch gut 3 Mio. schafft, waren es gestern doppelt so viele. These: weil es keinen "Sendeschluss mit Nationalhymne" mehr gibt, sind die Zuschauer einfach zu spät wach geworden, um die Kiste auszuschalten.

Naja, die Senderverantwortlichen hören ja auch keinen Glockenschlag …..

Presseschau Migration/Integration

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Foto: Beate Moser

Wie der Dresner Mord an Marwa el Sherbini in Ägypten wirkt (Berl.Zt.)

Zur Stimmung unter Russlanddeutschen (Telepolis)

Russen im Kleingarten – diesmal nicht von Kaminer beschrieben (Berl. Zt.)

Schwule und Lesben in Russland (Jungle World)

Ein Buch über die Feminisierung der Migration (Junge Welt)

CDU und SPD versuchen so um MigratInnen zu werben, dass es keiner von den eingeborenen Biodeutschen merkt (Tagesspiegel)

MigratInnen-Weg in Bundestag ist steinig (Sp-on)

FTD-Kolumne fordert Migranten an die Macht (FTD)

taz-Kolumne zu kommunalen Integrationskonzepten (taz)

Musterbeispiel: Integrationspolitik in Stuttgart (Zeit)

taz-Kolumne über den nackten schwarzen Arsch auf einem Plakat der Kaarster Grünen (taz)

Kermani bekommt nun doch den Hessen-Preis (FR)

Bora Dagtekin, Drehbuchautor ("Doctor’s Diary", "Türkisch für Anfänger") plaudert (Sp-on)

Die deutsche Linke und der Iran (Jungle World)

Ein ressentimentreiches Zeit-Dossier erregt sich über das Grillen im Berliner Tiergarten (Zeit)

taz-Kolumne: Schleier ist feministisches Problem (taz)

Das Begehren der Frau im Islam (Zeit)

Ukrainerinnen wehren sich gegen Sextourismus (Sp-on)

Schulunterricht: CDU und Islamisten Hand in Hand (Jungle World)

Schwule in der CDU (Jungle World)

Wie die Angsstörung der Deutschen das Grundrecht auf Asyl kassierte (Jungle World)

Mord an Schwulen in der Türkei (Jungle World)

Ergenekon-Prozess in der Türkei geht weiter (Jungle World)

Wandel- und Beharrungskräfte an türkischen Hochschulen (Tagesspiegel)

Island will in die EU und auf dem Balkan wundert man sich (FR)

Neue Drogenhandelswege nach Europa führen über Westafrika (Telepolis)

EU und UN gemeinsam gegen Flüchtlinge in Marokko (Jungle World)

Wie sich Papierlose in Paris auch gegen Gewerkschaften wehren mussten (Jungle World)

Militärmassaker an Islamisten in Nigeria (Jungle World)

400 Jahre Einwanderungsregion New York (FR)

Pakistan ist anders als der Westen glaubt (Freitag/Guardian)

Dubai: Ausländer sollen arabische Kultur respektieren (Berl. Zt.)

Ursachenforschung zur Rückständigkeit der arabischen Welt (Telepolis)

Wie seltsam man Deutsche in Thailand findet (Berl. Zt.)

Fußballprofi Ivan Ergic (FC Basel, Bursaspor) kennt sich mit Marx, Marcuse und Adorno aus (Jungle World)

Wie brasilianische Fußballkinder für den Export geschleift werden (Berl. Zt.)

Nationalisten, Fußballhooligans, Antifas und Islamisten in Britannien (Jungle World)

Der kroatische Blogger-Journalist Peratovic hat sich viele Feinde gemacht (Berl. Zt.)

Auseinandersetzungen um die Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" (Jungle World), eine Rezension der Ausstellung hier (Tagesspiegel)

Wie die Welthungerhilfe in Ruanda versucht, ihr Image zu modernisieren (Berl.Zt.)

Bin Laden hat für die USA gearbeitet (hintergrund)

Über das Schicksal der Piraten entscheiden die Grünen – es sieht gut aus; für die Piraten

Es war eine Freude vor einigen Wochen die gesammelten Ratlosigkeiten von Bodo Hombach zu lesen. Was ist nur aus ihm geworden? In den 80ern organisierte er SPD-Wahlkämpfe, die zu absoluten Mehrheiten in ganz NRW führten, allerdings auch Krater in der Parteikasse hinterliessen, die entschieden länger fortgewirkt haben, nämlich bis heute, als die Wahlergebnisse, über die hier ja schon berichtet wurde. Heute führt er die Geschäfte in einem anderen Tanker, dem WAZ-Konzern. Ob er dort auch schon Krater in der Kasse geschaffen hat, weiss ich nicht. Aber offensichtlich ist er viel ratloser, als in seiner besten Zeit als SPD-Geschäftsführer.

„Die große Internet-Debatte muss kommen!“ – Haben wir gelacht. Hallo Bodo, wie lange hast Du denn gepennt? Es gibt sie schon seit Jahren. Wer hat Dich denn narkotisiert, dass Du nichts davon gemerkt hast?“

Piraten haben sich schon formiert. Nichts dagegen. (Bodo, kannst Du auch ganze Sätze?) Da hat man wenigstens engagierte Gesprächspartner. Die Handelsflotte will sich auch aufstellen.“ Die Handelsflotte, das ist wohl Bodo.

„Nach welchen Regeln wird im Internet gespielt? Wie kommen diese zustande, wie werden sie abgesichert und durchgesetzt?“ Die Antwort ist: nach den gleichen Regeln, wie sonst auch. Ist es Bodo vielleicht etwas zu schnell gegangen? Hat man es versäumt, ihn nach seinen persönlichen Vorstellungen zu fragen? Hat „das Internet“ ihn, den ehemaligen Kanzleramtschef, zu wenig konsultiert? Das ist natürlich irgendwie unverzeihlich von „dem Internet“? Sollte es nicht dafür bestraft werden? Nein, so streng meint Bodo das gar nicht. Moderner als Zensursula ist er schon. „Es darf nicht zu einer Frontstellung neue gegen alte Medien kommen.“ (Satzbau ist ein schwieriges Handwerk und Redakteursausbildung ist teuer.)

Dann lobt Bodo den Spiegel (ohne Anführungsstriche) und einen gewissen Dr. Döpfner, „das waren Treffer – mitten ins Schwarze“. Was der Spiegel gemeint hat, vermag Bodo nicht zu beschreiben, nur dass er aufgeschrieben habe „was wirklich ist.“ Was mag es wohl sein? Dr. Döpfner wolle sich nicht damit abfinden, „dass Printmedien dauerhaft Online-Journalismus subventionieren.“ Wer subventioniert eigentlich uns Ruhrbarone? Bezahlt Bodo uns, und keiner hat mir was gesagt?

Dann schreibt Bodo von Neidern, Nörglern, Skeptikern, Besserwissern, Schlauen und Experten, also alles Leute, die er nicht leiden kann, deren Äußerungen ihm beweisen: „die Zeit ist reif.“ Boah, gut, dass uns dass endlich mal einer mitteilt.

„Dabei geht es nicht um Kommerzialisierung der neuen Frei- und Freiheitsräume, die das Internet bietet.“ Ooch, nicht? Bodo, jetzt enttäuscht Du aber Deinen Arbeitgeber. Das meinst Du doch nicht wirklich, oder? Du hast doch längst gemerkt, welche Goldadern sich in der Computerspielebranche verbergen und auf Eurer Homepage eine eigene Rubrik dazu eingepflegt. Du beobachtest doch längst mit Argusaugen, was in das hochsubventionierte Dormunder „U“ einziehen und sich dort möglicherweise entwickeln wird und hast mit Deinem CDU-Kumpel Jürgen (Rüttgers) längst ein Ãœbereinkommen gefunden, dass das ein zentrales Element der steuerlich unterfütterten NRW-Standortpolitik sein muss, dem Dein Haus nicht nur publizistischen sondern auch betriebswirtschaftlichen Segen erteilen wird. Denn kein lukrativer Vertriebsweg soll entstehen, ohne dass der WAZ-Konzern daran mitverdient. Völlig freiheitlich natürlich.

„Die Kostenlos-Gewohnheiten gelten als unwandelbar“ beschreibst Du, aber dabei darf es natürlich nicht bleiben. Darum soll der Verlegerverband ins Feld ziehen, um für „Qualitätssicherung“ zu sorgen. Das ist lustig, Qualitätssicherung fordert ausgerechnet ein WAZ-Geschäftsführer 😉 Das ist endlich mal was Neues! „Ohne unabhängigen, glaubwürdigen, investigativen Journalismus, der enthüllen kann, und was Mächtige nicht enthüllt sehen wollen, kann unsere Demokratie nicht funktionieren.“ (Originalsatzbau Hombach). Tja, es wäre ja schön, wenn die WAZ-Blätter mal dazu beitragen würden, aber das ist sicher zuviel verlangt. Hilfe kann von woanders kommen: „Das wird man auch mit den Piraten besprechen können.“

Das ist wohl der Rest von Hombachs früherer schneller Auffassungsgabe: die Piraten sind, wahrscheinlich, kein vorübergehendes Phänomen. Bei der Bundestagswahl haben sie gute Chancen, die Schwelle zur Erstattung der Wahlkampfausgaben zu überspringe(0,8 %).

Sie finden ihren überwiegenden Anhang bei den Jungens, nur wenigen Mädels, unter 40, 30, noch mehr unter 25 und im noch nicht wahlberechtigten Alter. Warum? Weil die es leid sind, von inkompetenten Leuten erzogen zu werden. Politiker, Lehrer, Eltern, alle von nix ’ne Ahnung, aber einem ständig Vorschriften machen wollen. Insbesondere was die Funktionsweise und Nutzanwendung des Internet betrifft, haben sich die Machtverhältnisse zwischen den Generationen umgekehrt: die Jungen müssen die Alten ausbilden. Nur wenige Alte sehen der Realität ins Auge, und sind bereit von den Jungen zu lernen. Die meisten lassen sich verunsichern und versuchen, zunehmend verzweifelt, die Kontrolle zurück zu gewinnen. So viel ist sicher: das wird vergeblich sein, schützt aber nicht vor unter Umständen verheerenden Auswirkungen solcher untauglichen Kontrollversuche.

Das Zensursula-Gesetz ist nur ein Symptom dieser Entwicklung, allerdings kommt hier noch eine verschlimmernde Komponente hinzu. Frau von der Leyen hat nicht „von nix ’ne Ahnung“, sondern betreibt eine Verhohnepipelung mit Kalkül. Sie weiss, dass sie für ihre Nischenpartei CDU nur eine hinreichend unwissende Zahl von ängstvoller Klientel an die Wahlurne treiben muss – demografisch und wahlstrategisch sind die unwissend-furchtsamen Alten viele, die cleveren Jungen dagegen wenige. Wenn sie nur, mithilfe von BILD, ARD und ZDF genug Angst mobilisiert, schafft die CDU locker ihre 30 bis 35%. Wenn es ausserdem gelingt, den ahnungslosen und garantiert über 50-jährigen Chefstrategen bei den Oppositionsparteien genug Angst vor solchen erfolgreichen Angstkampagnen zu machen, dann hat man die von jeder Möglichkeit der Gegenmobilisierung, der Nachwuchsrekrutierung und -entwicklung abgeschnitten und den Keil mitten in sie hineingetrieben – siehe die – berechtigte!  – Arbeitseinstellung des SPD-„Onlinebeirates“ oder das seltsame Abstimmungsverhalten einiger Grüner MdBs zum Zensursulagesetz. Dieses Kalkül sieht man der von der Leyen an der Nasenspitze an, und das ist ein Supermobilisierungsfaktor für die Piraten – so widerlich kann Politik sein, „Ihr werdet Euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“.

Die Piraten werden noch viele Geburtswehen der Parteiwerdung durchmachen. Auf etliche wurde hier schon hingewiesen. Derzeit wird über sie geredet, wie über die Grünen Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre, eine Verbindung von Faszination für das Neue  und Verständnislosigkeit für so manche unerfahrene Dummheit. Die Grünen haben dieses Stahlbad überlebt. Es könnte sein, dass das den Piraten auch gelingt. Die Nahrung dafür werden die Grünen liefern.

Als die SPD 1982 von der FDP aus der Regierung gestürzt wurde, übernahm sie relativ zügig die programmatischen Vorstellungen der damaligen Anti-AKW- und Friedensbewegung. Geholfen hat es ihr nichts, sie wurde kleiner, weil sie nicht mehr glubwürdig war und nährte so die Grünen. Heute enthält das Wahlprogramm der Grünen alle wesentlichen inhaltlichen Vorstellungen der Piraten. Das Problem, das die Piraten nährt, ist: viele Grüne Mitglieder, und zwar ziemlich proportional zu ihrem Lebensalter, wissen das gar nicht. Und viele ihrer Parlamentsmitglieder, das allerdings ist kein sehr neues Phänomen, wollen es nicht wissen.

Jedes Parlamentsmitglied ist – aus guten Gründen – verfassungsrechtlich nur seinem Gewissen verantwortlich und nicht einem Parteiprogramm. Nach den Bundestwagswahlen, egal wie sie ausgehen, wird mindestens ein Dutzend, eher mehr, Grüner Bundestagsabgeordneter feststellen, dass die Ideen des Grünen Wahlprogramms gegen Zensur und für Bürgerrechte im Internet mit ihrem Gewissen in gewissen Teilen nicht vereinbar sind. Das wird die Nahrung für die Piraten sein. Wenn es so kommt, es muss nicht so sein, aber vieles spricht derzeit dafür, dann sind sie 2013 im Bundestag.

Werbung


Presseschau Migration/Integration: Mord in Dresden, Iran u.v.m.

Foto: Beate Moser

Das Ruhrgebiet ist die größte Einwanderungsregion Europas. Da kann es nichts schaden manchmal über den Tellerrand zu schauen, wie es in der Einwanderungs-, Integrations- und Flüchtlingspolitik zugeht. An dieser Stelle erscheint ca. einmal im Monat eine Presseschau zu diesem Thema. Sie erhebt keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sie enthält Texte, die aus meiner Sicht für – die oftmals kontroverse – Debatte in diesem Themenbereich von Interesse sind. Die Aufnahme von Texten bedeutet keine Identifikation mit ihren inhaltlichen Aussagen. Auf den Link klicken führt zum Text.

Mord in Dresden:

Zeit-Autoren fürchten Kulturkampf (Zeit)

Viele Dresdner wollen nichts mehr von der Bluttat hören (taz)

Es geht nicht um fremde, sondern deutsche Kulturen (taz)

Schweigen als Skandal (Berl. Zt.)

Ein Anschlag auf die Forschung (Zeit)

Hilal Sezgin: Schuldabwehr statt Schuldbewältigung (taz)

Andrea Dernbach: Ein Fall wie der Karikaturenstreit? (Tagespiegel)

Der Islam und die Feindbilder – Kommentar von Stephan Hebel  (FR)

Tarik A. Bary: Die Wahrheit hinter dem Schleier (FR)

Politik hat die Tragweite unterschätzt (taz)

Kritik an der Dresden-Berichterstattung (Telepolis)

Islamophobie in Russland (Tagesspiegel)

Iran:

Werner Ruf: Iran ist ein Rentenstaat (Junge Welt)

"EU darf beim Iran nicht überziehen", meint der ehemalige Moerser und heutige SWP-Chef Volker Perthes (Tagesspiegel) 

Tiefe Risse im iranischen Regime (FAZ)

Ajatollahs in Aufruhr (FR)

Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi: "Sind Menschenrechte nur für den Westen gut?" (SZ)

Der iranische Botschafter im Interview (Junge Welt)

Mehdi Mahdavikia trat aus der iranischen Nationalmannschaft zurück (Jungle World)

Deutsche Konzerne exportieren Zensurtechnologien in den Iran und nach China (Jungle World)

"Schiitisches Kalifat"? – Wie geht es weiter im Iran (Telepolis)

Mohssen Massarrat und Pedram Shayar warnen vor linken Irrtümern in Bezug auf Iran (Junge Welt)

Obama/USA

Ein Radiofeature von Michael Kleff aus den USA: Die Obama-Welle – Ernüchterung nach dem Rausch? (Manuskript des DLF)

Obama gegen Opferideologien (taz)

Warum wurde Henry Louis Gates jr. verhaftet? (FAZ), zum gleichen Thema (Spiegel-online)

Oprah – die Allmächtige (Tagesspiegel)

Obamas Afrikareise, kommentiert von Abdourahman A. Waberi (FR) und Wole Soyinka (FR)

Weitere Themen:

Der palästinensische Psychoanalytiker Gehad Marzaweh über den Antrieb von Selbstmordattentätern und die Wirkung von Obama (Tagesspiegel)

Stefan Weidner über Islam und Aufklärung (Junge Welt)

Wandel in der Türkei: Ergenekon-Prozess (taz)

Radikales Rauchverbot in der Türkei (SZ)

China und Uiguren: Islamisten und Nationalisten auf dem Vormarsch (Jungle World)

Ein Kameruner schildert seine Reise nach Europa und zurück: "Irgendwann dachte ich, ich kann nicht mehr" (taz)

Studie: Deutsches Asylrecht verfassungswidrig (taz)

Neues Bleiberecht hilft wenig (DLF-Manuskript)

Flüchtlingsangst in Sachsen-Anhalt (Berl. Zt.)

Wie BKA und BND "bedrohliche Migrationsentwicklungen" bekämpfen wollen (Jungle World)

Schweiz und Spanien folgen Italiens Weg zur Abschottungspolitik (Telepolis)

Eskalation der Flüchtlingsverfolgung in Griechenland (Hintergrund)

Roma-Verfolgung in Nordirland (Jungle World)

Wissenschaftlerinnen warnen vor rassistischen Untertönen im Menschenhandelsdiskurs: "Abschiebung wird als Rettung inszeniert" (Jungle World)

In Frankreich brennen weiter Autos (taz)

Vielgesuchte LehrerInnen mit Migrationshintergrund verlassen Berlin (Tagesspiegel)

Berliner Ballermann – sie kommen zum Feiern und Trinken – im Rudel (Tagesspiegel)

Rechte, Autonome und Szenetouris in Berlin-Friedrichshain (taz)

Berliner Taxifahrerkrieg am Flughafen Tegel (Tagesspiegel)

Bald auch im Ruhrgebiet? Dönerverbot auf Augsburgs Straßen (Tagesspiegel)

Noch eine Parallelgesellschaft: das Oldenburger Münsterland (Zeit)

Konzerne zu deutsch und männlich – aber Frauen auf der Überholspur (Die Zeit)

Und weltweit überholen die Asiaten: "sie haben eine Vision, wie ihr Land in 30 Jahren aussehen soll, die Amerikaner nicht" meint Prof. Kishore Mahbubani (Zeit)

Schwule Fußballer "Bitte sorgsam outen" (Junge Welt)

Interview: Schwule und Lesben im Nahen Osten: Wir sind keine Opfer (Jungle World)

"Deutschsein ist das Ergebnis jahrhundertelanger Vermischungen" – Interview mit dem WDR-Zeitzeichen-Autor Heiner Wember (FR)

In Südafrika wurde ein "Antivergewaltigungskondom" erfunden: Rape-axe (Jungle World)

Filmregisseur Marco Bechis ("Birdwatchers") über den Mythos von den "Edlen Wilden" (taz)

Wie sich „Volksparteien“ dem Volk entfremden – ein Lehrstück um ein Festspielhaus für Bonn

Foto: Lohmeyer/jokerfoto.de

 

 

Zunächst vorausgeschickt: ich bin Partei. Im wörtlichen Sinne. Ich arbeite im Hauptberuf für die Bonner Stadtratsfraktion der Grünen. Ich bin im Ruhrgebiet erwachsen geworden, und habe daher, wie fast alle dort, eine Art Haßliebe zur SPD. Ja, ich habe sie auch vereinzelt gewählt. Und ich verstehe sie nicht mehr.

 

Jetzt zum Lehrstück: Karin Hempel-Soos, eine umtriebige und respektable Kulturlobbyistin (und Sozialdemokratin), Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister mit Bonner Wohnsitz (und Sozialdemokrat), Bärbel Dieckmann, Bonner Oberbürgermeisterin (und zeitweilig stellv. SPD-Bundesvorsitzende) und Klaus Zumwinkel, zeitweilig Vorstandschef der Deutschen Post und Aufsichtsratschef der Telekom (war der eigentlich auch Sozialdemokrat?) hatten sich ausgemalt, wie chic es doch wäre, in der "Beethovenstadt Bonn" ein Festspielhaus zu haben, auf dass die Stadt "mit Bayreuth und Salzburg gesellschaftlich konkurrieren" könne (Hempel-Soos). Die drei "Dax-Konzerne" Telekom, Post und Postbank – zufällig alles Konzerne mit Staatsbeteiligung, vertreten durch den Genossen Peer – könnten den Bau der Stadt schenken, mit einem kulturellen Imagetransfer und Steuerminderungswirkung für sich selbst inklusive.

Eine politische Mehrheit im Stadtrat zu finden war das geringste Problem. Die dankbare Begeisterung verteilte sich gleichmässig über CDU, SPD, FDP und Bürgerbund. Nur die Grünen stellten dauernd kritische Fragen nach inhaltlichem Konzept, Finanzierung, durchgerechneten Businessplänen. Meckerer eben. (Die Linkspartei hat in Bonn nur einen Einzelabgeordneten)

Mittlerweile ist einiges dumm gelaufen. Eine Wirtschaftskrise ist ausgebrochen. Zumwinkel ist verhaftet worden. Telekom und Post wollen, dass ihre Beschäftigten weniger Geld bekommen und zum Ausgleich dafür mehr arbeiten. Die Stiftungssumme für die Stiftung, die das Festspielhaus betreiben soll, will nicht zusammenkommen, obwohl der Genosse Peer – was kostet die Welt? – schon knapp 40 Mio. dafür gestiftet hat. Die affärengestählte Stadtsparkasse KölnBonn hat sich auch nicht lange bitten lassen.

Und jetzt kommen auch noch die Bonner Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen wissen, wer die Kosten übernimmt, wenn die Baukosten – völlig überraschend – während des Baus steigen sollten. Wer das Programm bestimmen wird in der Stiftung, die Konzerne oder die Vertreter der Öffentlichkeit? Wie hoch die jährlichen Betriebsdefizite sein werden (die Meinungen dazu schwanken zwischen 1,5 und 10 Mio.)? Woher die BesucherInnen kommen sollen? Aus Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, wo bereits solche Häuser stehen oder in Bau oder Planung sind? (Frau Hempel-Soos denkt an Flugzeugladungen voller Japaner) Fragen, die im Ruhrgebiet ja schon bestens bekannt sind. In Münster war ein Bürgerentscheid gegen ein Konzerthaus (und gegen CDUSPDFDP) erfolgreich. In Bonn wird das nun gefürchtet; ein Antrag der Grünen, dass der Rat einen Bürgerentscheid durchführen lässt, wurde abgelehnt.

Aus gutem Grund. Denn gar nicht lustig finden die Menschen in Bonn, dass die denkmalsgeschützte Beethovenhalle (Baujahr 1959), die immerhin in öffentlichem Eigentum ist, für den neuen Stararchitektinnenbau (Zarah Hadid) abgerissen werden soll. Und dass niemand weiss, wie der Sanierungsbedarf der Bonner Oper (ca. 20 Mio. Euro) finanziert werden soll. Sie fürchten, dass die bestehenden Kultureinrichtungen bluten müssen, damit der Imagetransfer der Dax-Konzerne funktioniert und sind nicht amüsiert.

Undankbare Bürger! Meinen die Parteien und Konzerne. Doch, nein. Der Finanzvorstand der Telekom Höttges (Schuri, ist der mit dem berühmten Eisenfuß von ’66 verwandt?) sieht Nacharbeitsbedarf. Auf Empfängen soll er sogar gewispert haben, dass es "keinen Cent" von ihm gäbe, wenn die Lage so bleibe, wie sie ist. Hempel-Soos lobbyiert in Berlin, um noch 10 Mio. zusätzliche Euro loszueisen, denn es droht ja die Gefahr, dass der Genosse Peer schon im September in den Ruhestand versetzt wird.

Graf Lambsdorff, ja der Alte, Parteispenden-Otto, setzte sich bei einer überlaufenen Veranstaltung der Grünen zum Bonner Festspielhaus mit Gattin demonstrativ in die erste Reihe. Nachdem seine Gattin in der Publikumsdiskussion den grünen OB-Kandidaten ausdrücklich gelobt hatte, wies der Graf persönlich den Post-Sprecher Harnischfeger auf das in seinen Augen nicht EU-konforme Ausschreibungsverfahren für den Festspielhausbau hin. So könnte das Scheitern des Projekts kommen: Schuld ist dann Brüssel, und alle kommen heil wieder raus.

Alle? Nein. Zugegeben wird das alles natürlich erst nach der Wahl (Kommunal: 30.8.; Bundes 27.9.). Die niederländischen Sozialdemokraten sind bei der Europawahl von 22 auf 12% gefallen. Muss es in Deutschland auch erst so weit kommen?