Glaubt man den Mainstream-Medien sind wir bei der Europwahl in einer Flut rechtskonservativer Hegemonie mit zahlreichen rechtsradikalen Merkmalen versunken. Mit der daraus erhofften selbstmitleidigen Larmoyanz auf linker und ökologischer Seite der europäischen Gesellschaft, eine Hoffnung, die leider nicht ganz unrealistisch ist, hofft man dann weiter auf der neoliberalen Welle surfen zu können.
Meine These ist: wenn die europäische Linke darauf reinfällt, ist sie selber schuld. Dass die Wahl vergeigt wurde, liegt nicht an rechter Stärke, sondern der linken Schwäche, keine inhaltliche und strategisch glaubwürdige Alternative aufzubieten. Die Fakten sprechen nicht für rechte Hegemonie. Sie sollen, weil in den meisten Medien absichtsvoll weggelassen, hier gesammelt werden.
1. Deutschland
Tatsache ist, dass die FDP die CDU-Verluste nicht kompensieren kann. Ihre Umfragebäume (16-18%) sind nicht in den Himmel gewachsen. Die Linkspartei hat dagegen schon alle Fehler begangen, weitere sind kaum denkbar; trotzdem erreichte sie 7,5%. Die Grünen stabilisierten das beste Ergebnis ihrer Geschichte (12,1). Die Piratenpartei, deren Existenz bisher reines Szenewissen ist, bekam in allen Großstädten, die diese Bezeichnung verdienen, über 1%.
2. Belgien
Die Ecolo-Liste steigerte sich von 3,7 auf 8,1%, Groen blieb stabil bei 5%, macht 13% links der Sozialisten.
3. Dänemark
Die Volkssozialisten mit linksgrüner Ausrichtung stiegen von 8 auf 14,8%.
4. Finnland
Die Grünen verbesserten sich von 10,4 auf 12,4%.
5. Frankreich
Die Grünen stiegen von 7,4 auf 16,3%. Die desolaten Ex-Kommunisten konnten sich im Bündnis mit anderen Linken von 5,3 auf 6% stabilisieren.
6. Griechenland
Hier konnten sich sogar die korrupten Pasok-Sozialisten von 34 auf 36,7% steigern. Die notorisch sektiererischen und gespaltenen diversen Kommunisten links der Pasok haben in der Summe kaum verloren: 13,1% (vorher 13,7).
7. United Kingdom
Alle schauen auf den Zusammenbruch von Labour, schlimmschlimm, jaja. Die Liberaldemokraten, die im Gegensatz zu Deutschland im UK schon links von Labour zu verorten sind, sind stark geblieben: 13,7% (vorher 14,9), die Grünen haben sich – ohne Parlamentspräsenz im Unterhaus! – von 6,3 auf 8,6% gesteigert.
8. Irland
Labour verbessert sich von 10,6 auf 13,9, Sinn Fein bleibt stabil auf 11,2%.
9. Italien
Die italienische Rechtskoalition ist noch nie über 50% gekommen, sondern profitiert immer vom Wahlsystem und der politischen Zersplitterung einer möglichen linken Alternative. Berlusconis Truppe plus die rassistische Lega Nord landeten diesmal bei 45,5%, weniger als bei der letzten Parlamentswahl. Das "Italien der Werte" von Ex-Staatsanwalt di Pietro und dem Mafiagegner Leoluca Orlando steigerte sich von 2,1 auf 8% – im Gegensatz zu den der SPD vergleichbaren windelweichen Demokraten (von 31,1 auf 26,2) fordern sie eine klare Opposition gegen Berlusconi.
10 Luxemburg
Die Grünen steigen von 15 auf 17,4%.
11. Malta
Die Arbeiterpartei (Labour) steigt von 48,4 auf 55%.
12. Niederlande
Die deutschen Medien konzentrierten sich ausschliesslich auf den Aufstieg der Rechten. Ein WDR-Radiokorrespondentenbericht, der die tatsächliche Amibivalenz des zutreffend beschrieb, wurde penetrant falsch und tendenziös anmoderiert. Hier die andere Seite: die Linksliberalen D 66 stiegen von 4,2 auf 11,3%, Groenlinks stieg von 7,4 auf 8,9%. Die Lafontaine-ähnlichen populistischen Sozialisten blieben bei 7 % und damit sicher unter ihren Erwartungen – macht 27% links der großkoalitionären Sozialdemokraten. Da werden wir in Deutschland noch lange von träumen, oder?
13. Österreich
Von den Ösis gibts leider wirklich nichts Positives zu berichten.
14. Polen
Kaum zu glauben, aber die Demokratische Linksallianz stieg im Woytila-Land von 9,4 auf 12%.
15. Portugal
Ein "Linker Block" stieg von 4,9 auf 10,7%, die altdogmatischen Kommunisten von 9,1 auf 10,7%.
16. Rumänien
Hier ist alles anders, die Sozialdemokraten gewannen 30,8% (nach 23,1).
17. Schweden
Die Piratenpartei errang 7,1% und einen Sitz; bei den jungen Männern wurde sie stärkste Partei. Die Grünen stiegen von 6 auf 10,8%.
18. Spanien
Trotz dramatischer Wirtschaftskrise hat sich die rechte Opposition kaum verbessert: 42,2% (+ 1,0), links der regierenden Sozialisten haben 6,2% gewählt.
19. Tschechien
Die Sozis gewannen von 8,8 auf 22,4%, u.a. zu Lasten der Kommunisten (von 20,3 auf 14,2).
20. Zypern
Die Linkspartei Akel verbesserte sich von 27,9 auf 34,9%, die Sozialisten eroberten weitere 9,9%.
Man kann sich über die Bewertung solcher Zahlen unendlich streiten. Tatsache ist: nicht alles ist ein Bild des Jammers, und vieles davon ist selbstverschuldet und fern jeder Ohnmacht.
Und hier noch die Lesetipps in heutigen Mainstream-Medien 😉
Robert Misik erklärt in der taz das "Monsterminus" der Sozialdemokraten.
Andre Brie, der geschulte Dialektiker kleidet seine fundamentale Lafontainismuskritik in eine Lafontaine-Hommage und publiziert sie im Spiegel.