„Abfälle schluckt der Staubsauger“ – das Atomkraftwerk zum Selberbauen

Die Lebkuchen stapeln sich seit Wochen in den Supermärkten, Weihnachten muss vor der Tür stehen, Zeit also, nach passenden Geschenken Ausschau zu halten.

Hier wäre die ideale Gabe für die technisch versierte Kanzlerin Angela Merkel und ihren strahlenden Atomschutz-Minister, pardon, Atom- und Umwelt-Schutzmininister Norbert Röttgen: Das Atomkraftwerk zum Selberbauen aus dem Jahr 1983, Maßstab 1:350, mit herausnehmbaren Brennelementen. Es entspricht einem „DWR 1300 MW“, wie er derzeit etwa in Lingen vor sich hin rottet, und sollte zu Übungszwecken in keinem ordentlichen Terroristenhaushalt fehlen. Wer so ein Bastelkraftwerk bislang nur aus Loriots legendärem Weihnachtssketch mit der Familie Hoppenstedt kannte, kennt aber die KWU nicht (mehr). Vorsichtig, wenn du dich an den Namen noch erinnern kannst, bist du in einem Alter, in dem hast du auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr.

Die Siemens-Tochter aus Erlangen, Erbauerin praktisch aller ewig laufenden Reaktoren in Deutschland, ist längst weg von der Atomkraft und dem alten Namen, baut heute großartig wirksame Gas- und Dampfturbinen und nennt sich Siemens Power Generation. Das heißt nicht, dass hier die Nachfolger der Generation Praktikum eine Heimat fänden, sondern, soviel Englischkenntnisse besaß auch ich vor kurzem nicht, dass es hier um Kraftgewinnung geht. Als ich die wunderschöne Firma 2008 einmal besuchen durfte anlässlich ihrer Qualitätstage, wurde wenig später bekannt, dass man im Jahr zuvor Nonconformance-Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro fabriziert hatte. Um den Blick ins Online-Wörterbuch zu sparen: Die hatten für 300 Millionen Schrott gebaut. So stand es in der Zeitung, beim Termin selbst wurde eine andere Zahl genannt, die ich hier nicht wiedergeben darf, mich aber hoffen ließ, ich würde eines Tages für von mir geschaffenen Müll auch so großzügig entlohnt wie die Siemensleute.

Wie hoch bei denen die Murksrate Jahre zuvor war, als man noch Atomkraftwerke entwickelte, blieb bei dem Besuch unerwähnt. Um die Komplexität ihrer Arbeit wussten die Ingenieure indes; ihrem Atompappwerk haben sie damals nebst 27-seitiger Bauanleitung auch einen Übungsbogen für das ungefährliche Büro- und Sozialgebäude beigefügt. Damit konnte später beim Einsätzen der Brennstäbe mit der x–x-x-Falz (nach vorne knicken) und der o-o-o-o-Rillkante nichts falsch laufen.  Für den Modellbau gelten die gleichen Regeln wie für das, was sich heute Energiepolitik nennt: Es „gibt es Kniffe und Kunstgriffe, die man zumindest kennenlernen muß. Im Laufe der Zeit knobelt sich jeder sein eigenes System aus.“ Das Basteln am Atomkraftwerk war auch 1983 schon umweltfreundlich, denn „der Modellbau mit Karton verursacht keinerlei Geräusche, die Abfälle schluckt der Staubsauger und der Klebstoff kommt aus der handlichen Tube“. Atomfreunde brauchen weder besondere Fertigkeiten noch besondere Werkzeuge. Strick- und Stopfnadel, Zahnstocher, ein paar Rundhölzer tun es im Grunde schon, nur sollte man „bei der Anschaffung einer Pinzette nicht am falschen Platz sparen!“

Wer dann noch im Primärkreislauf die „Explosionszeichnung auf Rückseite von Teil 216“ beachtet, hat nach etwa 130 Mannstunden den Reaktor stehen. Komplizierter ist die neue Atompolitik der Regierung auch nicht. Auch wenn man annehmen darf, dass Norbert Röttgens Basteln am Kartonmodell ähnlich misslingen würde wie das selbstgebastelte Energiekonzept von CDU/FDP. Er würde seine AKW-Ruine nach außen schon gut verkaufen, wie er die Verlängerung der Kraftwerkslaufzeiten auch verkauft mit schönem Politikersprech von der Brückentechnologie. Wo doch Krücken- oder Tückentechnologie mindestens ebenso schön klänge. Wenn die Atomkraft die Brücke in eine  Welt erneuerbarer Energien ist, dann war das Giftgas des Ersten Weltkrieges auch nur die Brücke zur Atombombe von Hiroshima.

Aber das ist eine Ewigkeit her, und die spielt bei der Atomkraft bekanntlich keine Rolle, jedenfalls nicht bei den Kosten. Das unterscheidet sie von der heimischen Steinkohle, deren Ewigkeitskosten sie unbezahlbar erscheinen lässt. Da haben auch revolutionäre Kohle-Tunnel-Konzepte (um mal die Brücke zu meiden) keine Chance. Eines habe ich als Teilzeitsteiger und Ehrenhauer auf Auguste Victoria entwickelt. Um die letzten Ruhrgebietszechen zu retten, will ich auf dem Weltmarkt riesige Kohlenmengen zu 80 Euro pro Tonne kaufen, auf Prosper/Haniel in Bottrop nach untertage verbringen, von dort nach Marl befördern und sie auf AV dann als deutsche Steinkohle für 170 Euro/Tonne wieder ans Tageslicht fördern. Ausgefeilter erscheint die Atompolitik derzeit auch nicht. Außerdem: Mit polnischen Schweinen und Parmaschinken soll das in der EU bekanntlich gut klappen.

Der Nachteil des KWU-Atomkraftwerks zum Selberbauen soll zum Schluss nicht verschwiegen werden. Im Gegensatz zum Weihnachtsgeschenk der Hoppenstedts kannst du getrost alles falsch machen. Es macht nicht „puff“, und es fallen auch keine Häuser und keine Kühe um. Fantastisch.

Ein neueres Atomkraftwerk zum Nachbau findet sich hier:

http://www.mtp-studio.de/epr-online/uebersicht.htm

Integration – Die packen das einfach nicht

Zwar gehört Neid zu den Todsünden, aber er spornt an. Auf Thilo Sarrazin bin ich neidisch, ich trachte dem Noch-Bundesbanker nach dem Job. Der Mann gilt als Experte.

Auf seinem ureigensten Terrain kann ich locker mithalten. Von Integration versteht der Mann etwa so viel wie ich von Währungs- und Finanzpolitik. Ich habe fünf Sparbücher, zahlreiche Schulden, einen gesunden Menschenverstand und schon drei Bundesfinanzministern die Hand geschüttelt, von einem sogar ein Autogramm bekommen. Gut, da war ich zwölf und der Mann ziemlich erstaunt. Zur Not kann ich meinen Bruder fragen, der hat Volkswirtschaft studiert. Damit dürfte es zwischen Thilo und mir mindestens Unentschieden stehen. Ich warte jetzt auf die ersten Talkshows, Anne Will wäre mir lieb. Oder muss ich erst das Buch schreiben und dann ins Fernsehen? Ich könnte die These bieten: Deutschland verarmt wegen der Banken, bald werden die uns alle unter Kontrolle haben, und die Politik hat zu lange weggeschaut. Ach so: Aber das darf man hier ja nicht sagen!

Über Integrationsdefizite bei Migranten kann ich leider nicht mitreden, da kann ich Sarrazin nur zustimmen: Die packen es einfach nicht. Ich weiß, wovon ich rede. Nehmen wir einmal an, du wurdest Ende der 50-er in Ankara geboren, nur als Beispiel, bist als Siebenjährige über die grüne Grenze nach Deutschland eingewandert, wurdest als erstes vom Vater sonntags zum Internationalen Frühschoppen vorm Fernseher geparkt, wenn du dann als Neunjährige schon alle Behördengänge für die Familie absolviert hast, mit zwölf statt zur Schule putzen und schuften gegangen bist, dann hast du wie die türkischen Gemüsehändler in Neukölln noch nicht wesentlich zur Volkswirtschaft beigetragen. Den Arbeitgeber Telefunken und Elisabeth Arden hast du aber trotzdem eine große Freude bereitet und vielleicht deren Beitrag zur Volkswirtschaft gefördert. Du warst Anfang der 70-er Jahre, was miserable Bezahlung und Arbeitsbedingungen betrifft, zwar dem deutschen Arbeitnehmer rund 30 Jahre voraus, integriert hast du dich aber nicht.

Hättest du als Teenager statt Tolstoi und Dostojewski Utta Danella gelesen, wärest du endlich mal eingetaucht in die deutsche Leitkultur. Wenn du nach Mitgliedschaft im urdeutschen KBW und schließlich in der SPD im Alleinstudium die Allgemeine Hochschulreife über die Sonderbegabtenprüfung erlangst und mit einem Stipendium der Gewerkschaft Jura, also deutsches Recht studierst, musst du dich nicht wundern über die Frage, wann du denn in deine Heimat zurückkehrst. Der Fragende meint damit übrigens nie die Stadt am Bodensee, die du für deine Heimat hältst. Überhaupt darfst du dir eine Menge Fragen anhören. Oder besser gesagt: Ein paar Fragen immer wieder. Was denn dein Name bedeutet, den auch nach 40 Jahren türkischer Migration niemand richtig aussprechen kann. Da geht es dir nicht besser als Cem Özdemir, von Journalisten gerne Tschem Ötzdemir genannt, von Tschornalisten sozusagen, die möglicher Weise Hubert Krzywiczek heißen.

Komme bloß nicht auf die Idee, irgendeinem Hubert zu entgegnen, „Hupart“ sei aber ein schöner Name, verbunden mit der Frage, was der denn wohl bedeute. Frage ihn nicht, wo er selbst herkomme, um ihn auf seine Antwort: „Dingolfing“ zu loben, dafür spräche er aber hervorragend Deutsch. Auch wenn du damit nur sein strunzdummes Gelaber konterst. Verkneife dir auch die Frage, wann er denn in seine Heimat zurückkehre. Ertrage geduldig sein Gewäsch vom Kopftuch, auch wenn du ihm mit geschminkten Lippen, hochhackigen Schuhen und Minikleid entgegen trittst und ein Kopftuch allenfalls mal als modisches Accessoire im Grace-Kelly-Look nutzt.

Wenn er dann, ganz Experte, dich über den finsteren Islam aufklärt, bedaure ihn nicht für seine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche, in der eine Frau wenig und Homosexualität als Sünde gilt. Dann wäre deine Integration für immer gescheitert. Sei einfach wie verlangt Islam-Expertin qua Geburt. So wie auch jeder Ruhri allein durch seine Herkunft ausschließlich Fachmann ist für Fettkohle und Polen. Fang bloß nicht von Simone de Beauvoir an, selbst wenn du die im Gegensatz zum Koran gelesen hast. Wenn das Gespräch auf die Integration kommt, erwähne nie die 16 Jahre dauernde Kohl-Ära, in der die Türkei schon zwölf Jahre vor der Bundesrepublik eine Regierungschefin hatte.

In der Zeit hättest du lernen können, wie Integration geht. Als die Häuser brannten in Solingen und Mölln und ihre Bewohner elendig krepierten, als Helmut Kohl sich den Versprecher leistete: „Deutschland ist und bleibt ausländerfrei… äh… -freundlich“ und zur Trauerfeier nicht selbst erschien, sondern den Zuständigen schickte, den Außenminister. Da hättest du kapieren können, dass ihr eure Rolle finden solltet als opfer- oder ausreisewillige Gruppe und später bei einem Landtagswahlkampf als hetzkampagnenfähiges Zerrbild. Sich damit abzufinden, das hätte Integrationswillen bekundet.
Du aber hast dich weiter gewundert, darüber, dass deine Tochter Ebru von der Stadtbücherei ihrer Geburtsstadt nach Jahren immer noch als „Herr Ebru“ angeschrieben wird. Hättest du sie einfach Claudia genannt, das wäre mal ein Schritt gewesen, den man von euch Migranten so gerne fordert. Du hast Fehler gemacht in ihrer Erziehung. Du hast dich geweigert, sie in der Grundschule in den Deutsch-Förderkurs zu schicken. Da zählt aber dein Dostojewski nicht und nicht dein Zeit-Abo, und dein deutscher Lebensgefährte mit Germanistikstudium schon gar nicht. Den kann es bei dir gar nicht geben, man hat sich gerade mühevoll damit abgefunden, dass du nicht zwangsverheiratet bist. Da zählt allein der Erfolg. Und Erfolg ist nicht, wenn Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch können. Erfolg ist, wenn sie ihr Defizit in möglichst großen Förderkursen eingestehen. Denn das allein macht sich gut in der Statistik, und Statistik ist sehr deutsch.

Du hast später den Fehler begangen, nicht auf den Schulleiter zu hören, als es um den Übergang zur weiterführenden Schule ging. Er hatte doch ausführlich begründet, warum Ebru auf dem Gymnasium nichts verloren hätte: Seine Nachbarn seien auch Türken, da sei die Tochter auf der Realschule, und das sei auch gut so. Selbst schuld, wenn Ebru auf einem Gymnasium landet, in dem die Oberstufe schultyptypisch als national befreite Zone durchginge. Wenn du in einem Marie-Curie-Gymnasium den Mathe-, Physik- und Klassenlehrer zum Konzept der Mädchenförderung in den Naturwissenschaften befragst und die schöne Antwort erhältst: „Wenn Mädchen sich melden, nehm ich sie auch dran“, und trotzdem glaubst, dass irgendein Lehrer sich Gedanken macht zum Umgang mit Migranten, hast du das deutsche Schulsystem nicht verstanden. Das klingt dann schon ein wenig nach Integrationsverweigerung. Schließlich hatten die Pädagogen recht. Was ist aus deiner Tochter geworden? Master-Studentin in der Chemie, gut. Aber wo bitteschön? In Spanien. Integration geht anders.

Bei dir selbst sieht es nicht besser aus. Du hast das erste und das zweite Staatsexamen, die Zulassung als Rechtsanwältin. Die deutsche Staatsbürgerschaft hast du auch erhalten, in einer Zeremonie, die eher nach der Verlängerung eines Anwohnerparkausweises aussah als danach, dass der Beamte, Beigeordneter immerhin, dich oder die deutsche Staatsangehörigkeit besonders wertschätzte.

Jetzt hast du an deiner Kanzlei ein Schild angebracht. „Rechtsanwältin“ steht darauf, nicht etwa „Scharia-Schamanin“. Und wer sind deine Mandanten? Zu 80 Prozent Türken, nein: türkischstämmige Frauen. Im Diskriminieren stehen türkische Männer den Deutschen nicht nach. Ich sag doch: Du packst das einfach nicht mit der Integration.

Rettet die Städte – Carepakete über Castrop

NRW Innenminister Ralf Jäger
NRW Innenminister Ralf Jäger

Senioren in Duisburg und Bochum sollten Ralf Jäger danken, ihr Warmbadetag im städtischen Hallenbad scheint gesichert. Der NRW-Innenminister versprach den Kommunen jetzt einen warmen Geldregen. Sagenhafte 300 Millionen Euro Soforthilfe sollen in diesem Jahr die Kommunen retten.

Das ist ein gewaltiger Fortschritt, ging man doch bislang im Ruhrgebiet davon aus, dass spätestens im Winter die Regierung Carepakete über Castrop-Rauxel abwirft und „Brot für die Welt“ ein Büro in Wattenscheid eröffnet. 300 Millionen, das ist viel Geld, wenn man in Herne in einer Zweizimmerwohnung lebt, einen alten Opel fährt und seit Jahren knietief im Dispo watet. Das ist nicht ganz so viel, wenn die Kohle auf 17.872.763 Einwohner des schönsten Bundeslands der Erde aufgeteilt wird. Dann bleiben schlanke 17 Euro pro Nase bei einer kommunalen Pro-Kopf-Verschuldung von 3.089 €  in Herne oder 7.586 € in Oberhausen

Das Geld langt gerade, um die mit eisernem Sparwillen gesenkte Wassertemperatur im Hallenbad wieder anzuheben, Kindergartenbeiträge um ein paar Groschen zu senken oder ein paar Deckel im Ratskeller zu begleichen. Der kluge Kämmerer aber wird jeden Cent in den Kassenkredit genannten Dispo stecken. Vielleicht gibt es dafür als Anerkennung  zum Weltspartag von der Hausbank einen Schlüsselanhänger, ein Nagelpflegeset oder einen hübschen Eiskratzer, ein Präsent, das der Kämmerer umgehend in die Bilanz seiner Stadt einpflegen sollte.

Machen wir uns nix vor: Ändern wird sich nichts. Den Städten im Revier geht es weiter schlecht. Vorbei die goldenen Zeiten, in denen Geld für alles da war. Ich habe in den 80-er Jahren Zivildienst im Jugendzentrum gemacht. Wenn es da durchs Dach geregnet hat, ein Anruf bei der Stadt, am nächsten Tag wurde es einfach dicht gemacht, das Dach. Heute solltest du nicht mehr anrufen. Dicht gemacht wird immer noch- diesmal allerdings gleich das ganze Jugendzentrum.

Haushaltslöcher wird Jägers Soforthilfe nicht stopfen. Aber Schlaglöcher vielleicht. Wobei es völlig falsch wäre, marode Straßen auszubessern. Man muss die Schlaglöcher zum Alleinstellungsmerkmal machen. Wenn die Straßen erst mal richtig kaputt sind, stellt der kluge Bürgermeister einfach ein Schild auf am Ortseingang auf: „Herne – Offroad Total“. Dann widmet er die Straßen um zu Geländewagen-Teststrecken. Dazu erlässt  er die passende Gebührensatzung, mit Anschluss- und Benutzungszwang für jedermann.

Solch innovative Ideen, fürchte ich, scheitern an der Beratungsresistenz der Kommunen. Dort herrscht noch immer völlig veraltetes Denken.  Zwar hat man sich verabschieden müssen von dem alten Leitsatz: Wenn die öffentliche Hand pleite ist, muss sie diese einfach nur aufhalten. Jetzt haben die Städte NKF- Neues Kommunales Finanzmanagement.  Da gibt es einen Produkthaushalt, so was wie den städtischen Quelle-Katalog. Das passt, auch wegen der Insolvenz. Jedes Amt ist heute ein Fachbereich, jeder Fachbereich ein Profit Center. Da wird alles gegeneinander verrechnet. Ohne Rechnung hält keiner mehr gratis dem Kollegen die Tür auf. Fahrstuhlfahrten werden organisiert getrennt nach Fachbereichen. Und manch ein Beamter wechselt zum Pinkeln in die nächste Etage. Sollen die Kollegen dort für Wasser, Papier und Seife aufkommen.

Aber konsequent modern ist man in den Rathäusern nicht. Mein Vorschlag: Der Bürger muss merken, dass es Verwaltung nicht für lau gibt. Er soll Bürokratie als Erlebnis erfahren. Unter 20 € kommt keiner mehr raus aus dem „City Hall Event Center“, wo schon im Empfang der muffelige Schwerbeschädigte in seinem Kabuff ersetzt wird durch einen coolen Infopoint mit einer attraktiven Hostess (gendergerecht gern auch mit einem attraktiven Hosteur). Auf der Einnahmeseite lässt sich einiges verbessern, mit der Einführung der Rathauscard, Motto: zehnmal beschweren, nur neunmal zahlen, eine Bewilligung gibt’s gratis oben drauf.  Wer mehr investiert, bekommt die Golden Rathaus Card: Ihre Anträge werden jetzt garantiert gelesen – vor der Ablehnung. Oder die Platin Card: Ihre Anträge werden garantiert nicht gelesen – sondern blind bewilligt. Gerüchte besagen, dass diese Karte in Duisburg unlängst schon eingeführt wurde.

Gut, das sind nur Peanuts. Fürs große Geld müssen wir unsere Schwäche in Stärke verwandeln. Bekanntlich sterben die Menschen im Ruhrgebiet früher als die Einwohner der übrigen Landesteile von NRW. Das sollte man vorab positiv sehen. Man nehme im Vergleich nur einmal einen Bielefelder. Der wohnt erstens in einer Scheißgegend und muss es zweitens auch noch länger dort aushalten. Unser kollektives sozialverträgliches Frühableben sollte man für Verhandlungen mit den Sozialversicherern nutzen. Wir Ruhris sparen der Rentenversicherung Milliarden. Eine kleine Rückvergütung ist da längst überfällig.

Dazu ist dringend Bürgerschaftliches Engagement gefragt. Vor Jahren bin ich in der städtischen Kämmerei mit meinem Anliegen gescheitert, meinen Pro-Kopf-Anteil an der Verschuldung zu tilgen. Ich knallte einem verblüfften Beamten mein Erspartes auf den Tisch verbunden mit der Bitte künftig nur noch zu sagen: „Die Stadt Recklinghausen ist pro Kopf, außer dem von Martin Kaysh, verschuldet mit…“. Der Mann verweigerte standhaft die Annahme des Geldes mit dem Hinweis, er könne von mir nur etwas kassieren, was der Kasse als Forderung bekannt sei. Seither habe ich meine Strategie umgestellt. Hin und wieder, wenn ich in die Innenstadt schlendere, halte ich vor einem Parkscheinautomaten, werfe ein paar Münzen ein und den Parkschein umgehend in den Müll. Das mag lächerlich klingen, ist aber auch nicht schlechter als Jägers Soforthilfe.

Später in Rente – später in die Altersarmut

Martin Kaysh Foto: Stadt Dortmund

„Die Rente mit 67 kommt später!“, hieß es gestern von der SPD. „Na super“, dachte ich mir, „wann denn, mit 82?“

Das wollen die Sozis nicht, sie wollen nur später anfangen mit dem länger arbeiten. Das muss man nicht verstehen. Bislang ist vereinbart: Ab 2012 steigt das Rentenalter erst um einen Monat, später um zwei Monate pro Jahr. Irgendwann steigt es wahrscheinlich um ein Jahr pro Jahr. Jüngere müssen dann mit Lichtgeschwindigkeit altern, um überhaupt noch das Rentenalter zu erreichen. Niemand sollte derzeit eine Wette darauf abschließen, wer länger arbeiten wird, man selbst oder das benachbarte Atomkraftwerk.

Zwar liegen die Kraftwerke derzeit knapp vorn. Aber parallel zur Laufzeitdebatte haben jetzt wirtschafsnahe Forschungsinstitute gefordert, mit der Rente mal schön bis zum 70. Geburtstag zu warten. Solche Einmischungen kennt man vom anderen Ende des Lebens, aus der Bildungsdiskussion. Da ereifert sich alle Welt an der neuesten PISA-Studie und denkt keine Sekunde daran, dass die von der OECD angefertigt wird, auch einer wirtschaftsnahen Institution. Wenn die Wirtschaft festlegt, was Bildung ist, warum ist der Vatikan nicht für das Ranking von youporn-Videos zuständig? Schließlich beschäftigt man sich dort seit Jahrhunderten professionell mit dem Thema Liebe.

Einschulung möglichst schon mit fünf Jahren, Turbo-Abi zwölf Jahre später, ohne störenden Kriegsdienst ab ins schnelle Bachelorstudium – da kommen künftig schnell für jeden vier Jahre Lebensarbeitszeit dazu. Das freut die Wirtschaft, und die Lehrer freut es teilweise. Wenn die Schüler künftig das G8-Gymnasium spätestens mit 18 Jahren verlassen, findet man endlich wieder einen Parkplatz direkt vor der Schule.
Auch bei der Rente sollten wir derart positiv denken. Später in Rente heißt auch: später in die Altersarmut. Unmöglich ist in diesem Bereich nichts. Möglich auch, dass irgendwann nach einer Neuberechnung, einem Regierungswechsel oder einer durchsoffenen Nacht des Fachministers die Rente mit 67 rückwirkend eingeführt wird. Zahlreiche Senioren gucken spätestens dann dumm aus der Wäsche, wenn der Rückzahlungsbescheid für die vergangenen zwei Jahre im Briefkasten landet. Vielleicht liegt der ein oder andere dann schon zwei Jahre auf Pflegestufe drei im Seniorenheim rum. Plötzlich kommt morgens der Zivi und schiebt ihn im Pflegebett auf Maloche. Gesucht werden dann Arbeitsplätze mit vorwiegend liegender Tätigkeit.

Schon lange warte ich auf den Clash Of Generations. Wenn in ein paar Jahren die Sterbehilfe erst einmal allgemein anerkannt ist, sollte in dem Zusammenhang auch dringend der Begriff „unheilbar krank“ neu definiert werden. Auf der anderen Seite machen dann Senioren die Rechnung auf, was da für den Nachwuchs sinnlos verpulvert wird, für Menschen also, die noch keinen Cent in die Sozialversicherung eingezahlt haben. Zahnspangen, pädagogisch wertvolles Kindertheater, Jugendknast, dazu jahrelang täglich die kostenlose Wurstscheibe an der Fleischtheke. Milliarden kommen da zusammen, von dem Geld könnte mancher Rentner sorglos vor sich hin dementieren.

Vielleicht gibt es dann in der Altersversorgung längst Wahltarife. Die Alternative zur Rente mit 67 wäre die Rente bis 78, interessant für alle, die schon in ihrer Jugend exzessiv notfalls selbst die Stoffe missbraucht haben, die man heute in einer deutschen Kneipe noch legal erwerben kann. Oder die Rente Kiew, mit garantierter Versorgung bis zum Lebensende, auf basalem Niveau. Wurden bislang die Pflegekräfte mehr oder minder legal aus Osteuropa importiert, könnten bald schon die Rentner exportiert werden, also ihren alten Arbeitsplätzen in den Osten folgen.

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Bahnhofsmission in Sachen Kultur – Als Volunteer bei der Kulturhauptstadt

Das Paket steht ungeöffnet rum, ein Meter zehn hoch, seit Januar. Ich muss es nicht aufmachen um zu wissen, was drin ist: Ein Regenschirm, eine Faktentasche und eine Uniform. Die ist offiziell türkis, inoffiziell babyblau, und ehrlich gesagt sieht sie einfach scheiße aus.

Ich bin Volunteer der Ruhr.2010. In der freien Wirtschaft heißen junge Menschen in gleicher Funktion Praktikant. Ich bin zertifiziert, mit Urkunde, inklusive schlecht kopierter Unterschriften von Oliver Scheytt und Fritz Pleitgen. Irgendwo muss auch mein Volunteer-Plastikausweis rumliegen, und wenn ich suche, finde ich auch den Zahlen-Buchstaben-Code, mit dem ich mich endlich mal online zum Freiwilligeneinsatz melden könnte. Ja, ich bin Fan und Unterstützer der Kulturhauptstadt, einer großartigen Idee, theoretisch bislang.

Angefangen hat alles mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, der IBA, die hat damals auch ein paar Millionen gekostet. Da war ich noch skeptisch. Bauausstellung, dachte ich, so was hast du bei OBI für lau. Aus jeder abgesoffenen Zeche haben die ein Museum gemacht, einen Place of Event. Haben die zu viel Emscherwasser gegurgelt? Ich nehme doch auch nicht meinen toten Oppa, stopfe den aus, drapiere den nett auf dem Sofa und kassiere ´nen Fünfer Eintritt. – Der Mann war auch auf Zeche und hat gesoffen. Das Ergebnis dieses Wandels durch Kultur: Viele müssen mittlerweile Eintritt bezahlen, wenn sie ihren alten Arbeitsplatz noch mal wieder sehen wollen.

Nie wieder sollte der Spiegel kommentierten: „Glückliches Bochum. Wer hier einen Mantel trägt statt eines Anoraks, geht schon als Kulturereignis durch.“ Der Kulturtourismus war entdeckt. Der schafft Arbeitsplätze, das kapiert auch einer wie ich. Für Touristen könnten wir auf Folklore machen. Ehemalige Bergleute auf ABM, nicht auf Koks, tanzen, nur mit dem Arschleder bekleidet, am Schalker Markt um Miniatur-Hochöfen herum und kloppen dabei mit einem großen Mottek (Für Auswärtige: Hammer) auf kleinen Kohlebrocken herum, umtatata, umtatata. Der Japaner wird aus dem Häuschen sein. Aber wir machen auf Kulturhauptstadt.

Als Fan von Hochhaussprengungen, Aldi, Buntbarsch-Tauschbörsen und anderem Abgelegenem wusste ich: Ich muss bei der Kulturhauptstadt dabei sein, da tut sich was. Ich träumte von richtigen Events. Höhepunkt meiner Kulturhauptstadt wären die Titanic-Festspiele auf dem Rhein-Herne-Kanal geworden. In der Rolle der Titanic: Das Fahrgastschiff MS Santa Monica. In der Rolle des Eisbergs: Fünf frisch versenkte schneeweiße Opel Omega, die kurz zuvor noch einer als gestohlen gemeldet hat.
Aber auch die Wirklichkeit haut Geld raus. Was allein für neue Museen ausgegeben wird. Fünf Millionen für den Schwarzen Diamanten am Bergbaumuseum Bochum. Fünfzig Millionen für das Folkwangmuseum in Essen und 1,2 Milliarden für das neue EON-Energiemuseum in Datteln. Um so viel Kultur mitzunehmen, hätte ich mich eigentlich gleich am 4. Januar dauerarbeitslos melden müssen. Ich habe mich dann doch lieber beim ZK der Kulturhauptstadt gemeldet, als Freiwilliger.

Beim Vorstellungsgespräch war ich hoch motiviert. Was ich denn gerne beitrüge zum Gelingen, wollte man wissen. Demütig wollte ich sein, unter den Geringen der Geringste. Ich würde gern Oliver Scheytt die Tür aufreißen oder dem persönlichen Referenten von Oliver Scheytt, notfalls dem Assistenten des persönlichen Referenten Oliver Scheytts erklären, wie man stilvoll dem Chef die Tür aufreißt. Meine Haltung kam an. Alternativ wollte ich als „Welcome Volunteer“ an Flughäfen und Bahnhöfen die Gäste aus aller Welt begrüßen. Ich sah mich schon als die Bahnhofsmission in Sachen Kultur. Sollten wider Erwarten die Massen aus Paris, London und Bratislava ausbleiben, ich würfe mich im Hauptbahnhof Essen an Gleis 9 den Pendlern aus Bottrop um den Hals, wenn sie nur einen Mantel trügen.

Dann kam das Tagesseminar. Es begann schlecht. Unsere Referentin, eine Diplomlehrerin, wies auf einen Karton: „Da sind Kugelschreiber drin, bitte geben Sie die nach der Veranstaltung zurück – auch an der Kulturhauptstadt ist die Wirtschaftskrise nicht spurlos vorbei gegangen.“ Eine Ossi bringt mir Ruhrgebiet bei, prima. Hätte die vorher mal was gesagt, ich hätte bei der örtlichen Sparkasse problemlos einen Sack Kulis geschnorrt, notfalls geklaut.

Neunundneunzig Power-Point-Folien später, nach einer Runde Käsebrötchen, die trotz Krise weder bezahlt noch zurück gegeben werden mussten, nach einem Crashkurs in Barrierefreiheit, in dem ich lernte, Menschen mit Behinderung nie zu diskriminieren („Sprechen Sie Kleinwüchsige nie als Zwerg an!“ – (Wie denn sonst? Gnom etwa?!)), nach dem Überfall der Kursmehrheit auf einen jungen Bottroper Bergmann, der sich dafür entschuldigen sollte, dass seine Pleitefirma noch (unser Steuer-)Geld für Auszubildende ausgibt, bin ich fit für die Kulturhauptstadt.

An einer Aufgabe bin ich gescheitert. Vielleicht kommt jemand bei der nächsten Scharade anlässlich eines Kindergeburtstages auf die Lösung. Die Herrscherin über Power-Point hatte sie nicht auf der Folie. Machen Sie einem gehörlosen rumänischen Kulturfreak klar, also ohne Reden: „Das WC ist kaputt, bitte gehen Sie 200 Meter weiter. Dort ist eine Toilette, die funktioniert.“ Bis ich dem das erklärt habe, krempele ich die Ärmel hoch und bring das Klo wieder in Ordnung.

Das ist auch meine Haltung für den Rest der Ruhr.2010. Die hängt ja etwas durch nach den Großevents Luftballons über Zeche, Fußgängerstau auf Autobahn und Grölen auf Schalke. (Noch mal: Duisburg war nie Kulturhauptstadt!) Meine PIN – 34s22kQc – habe ich wiedergefunden. Mein Ersteinsatz kann kommen. Wenn da jemand einen Vorschlag hätte…

Metropole Ruhr – „A hot place to pee”

Das Ruhrgebiet leuchtet, so stark, dass man es aus dem Weltall sehen kann, neben Paris und London. Ansonsten wird Europa seinem Ruf als der dunkle Kontinent gerecht.

Das soll uns ein vermeintliches Satellitenbild weismachen, eine eigentlich lustige Grafik der Agentur cp/compartner, die immer wieder verbreitet wird von Ruhrgebietsliebhabern, denen dabei Freudentränen und Lobeshymnen aus dem Kopf quellen. Vor ein paar Tagen noch druckte die WAZ die Grafik als „Foto“ ab und verlieh damit dem PR-Gag einen Echtheitsbonus, der eines endlich erklärte: Warum Außerirdische gerne mal im Schrebergarten von Bottroper Hausfrauen gesichtet werden, aber nie bei Frau Merkel im Bundeskanzleramt. Ließ das bislang an der Intelligenz des Lebens im Weltall zweifeln, wird nun klar: Die sind gar nicht doof, die sehen Berlin da oben einfach nicht, weil die Hauptstadt die Lampen nicht an hat. Vielleicht sollen Außerirdische mit dem Leuchtbild auch nur eingeladen werden, ihren nächsten Betriebsausflug auf Zeche Zollverein zu verbringen statt schon wieder auf Alpha Centauri.

Drei heftige Lichtdetonationen sehen wir, so als feierten zeitgleich Paris den Nationalfeiertag, London das Thronjubiläum und das Ruhrgebiet Cranger Kirmes mit Höhenfeuerwerk. Schon ein Blick in den Kalender hätte genügt, den Schwindel zu entlarven. Die drei feiern nämlich nie zusammen an einem Tag. Aber der Wunsch nach Bedeutung ist größer als ein Restbezug zur Wirklichkeit.

Dass Oliver Scheytt lächelnd diesen Drei-Metropolen-Unfug verbreitete auf seiner von Dinslaken bis Unna führenden Roadshow für die Ruhr.2010, dass eine stolze Regionalzeitung den Quatsch wiederholt druckt – geschenkt. Aber als der Rektor der Ruhruni Bochum, Professor Dr. Elmar Weiler, immerhin ein Naturwissenschaftler, diese Lüge Kollegen in den USA auftischte und anschließend in der reflexstolzen Regionalzeitung davon berichtete, kamen mir zwei Gedanken: Amerikaner sind doch sehr höfliche Menschen und es gibt doch Gründe dafür, dass es Bochum nie zur Elite-Universität geschafft hat.

Ein Anruf beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, und ein freundlicher Physiker schickt dir ein hochaufgelöstes Nachtbild von Europa, auf dem selbst die Metropole Ballermann mit der Metropole Ruhr mithalten kann.

Wirklichkeit passt den Pott-Metropoliten nicht ins Konzept. Einrichtungen wie die Ruhr Tourismus GmbH setzen lieber auf die These, nicht mehr Paris, London oder Barcelona, das Ruhrgebiet sei nun „a hot place to be“. Wo doch jeder weiß, „a hot place to pee“ käme der Sache näher. Ernst nehmen kann ich die Ruhrtouristen nicht mehr, seit sie damit begannen, Gewinnern von Preisausschreiben Reisegutscheine in die Hand zu drücken – für ein Musical in Hamburg. Andererseits lassen die sich manchmal auch pragmatische Sprüche einfallen, etwa um holländische Touristen anzulocken. Dann leuchtet auf dem Weltall-Bild der Broschüre der gesamte Benelux-Raum kaum dunkler als das Ruhrgebiet, begleitet von dem Satz: „Het Ruhrgebied – geen kust, geen bergen, geen problem!“

Nein, das Ruhrgebiet ist keine Metropole. Das Ruhrgebiet gibt es gar nicht. Wir bleiben zersplittert: Wir haben zwei Landschaftsverbände, drei Regierungspräsidenten, vier katholische Bistümer, fünf Universitäten, sechs Profifußball-Mannschaften (wenn man Ahlen mitzählt), 13 Großstädte und 40 weitere Gemeinden, macht 53 Städte. Demnächst haben wir 178 citynahe Shopping Malls und müssen feststellen, dass es auf der ganzen Welt nicht genügend Holländer gibt, die auch mit Kunden zu versorgen. Selbst die Grenze zwischen Aldi-Nord und Aldi-Süd geht mitten durchs Revier, wobei Aldi-Süd bei uns im Westen und Aldi-Nord im Osten liegt. Wahrscheinlich verläuft auch irgendwo zwischen Dortmund und Bochum die Datumsgrenze, und demnächst führt Gelsenkirchen den Linksverkehr ein.

Immerhin: Die Lichtverschmutzung ist selbst im Ruhrgebiet schon heute so stark, dass man den Sternenhimmel von hier aus nur höchst selten beobachten kann.

Verspäteter Nachruf auf Theo Albrecht

Sein Tod ging unter in der Woche nach dem Sterben auf der Loveparade. Theo Albrecht, Chef des Nordimperiums im Aldi-Universum, Ruhrpottbewohner ein Leben lang, schwand wie er lebte – unauffällig…

Was hätte Theo Albrecht auch erzählen sollen in dem Interview, auf das so viele Journalisten so scharf waren? „Ich habe das Zeug direkt aus dem Karton verscheuert, meine Mitarbeiter schlecht bezahlt, die Lieferanten gedrückt und T-Shirts unter furchtbaren Bedingungen in Asien zusammennähen lassen. Damit habe ich Milliarden gemacht, schönen Tag noch“? – Als würden die Longsleeves angesagter Streetwear-Labels von glücklichen, durch ihren Fleiß zu Vermögen gelangten Heimarbeitern in Rottach-Egern zusammengenäht.

Es war Harald Schmidt, der aus dem Discounter in der Frühzeit seiner Latenight einen Hype machte. Vorher erfuhr man nur, dass auch Alfred Biolek öfter mal bei Aldi kauft (beim Bruder des Verstorbenen, Köln ist Aldi Süd ist Karl Albrecht), eine Nachricht, sensationeller als Bios späteres Outing. Wahren Aldianer sind die später dazu gestoßenen Trendkunden immer auf den Sack gegangen. Das waren die Typen, die heute irgendwas mit Social Media machen.

In Theos Läden kann ich blind einkaufen, ich kann einen Einkaufszettel schreiben, der sich exakt am Standort der Produkte in der Filiale orientiert. Bei den Shampoos muss ich nicht fünf Minuten überlegen. Ich muss nur entscheiden zwischen Antifett und Antischuppen. Die Produkte tragen bescheuerte Markennamen („Optiwisch“-Putzmittel), und sind designt, als habe der VEB Verpackungsgestaltung Zwickau nach der Wende endlich verbotene Rauschmittel entdeckt.

Das ist das eigentliche Geheimnis des Aldi-Erfolges: Es war ein Stück Osten im Westen. (Was ja auch für das Ruhrgebiet gilt.) Nicht nur die Ausstattung der Läden gleicht dem Interieur früherer HO-Läden der DDR. Die für kapitalistische Verhältnisse erschütternd kleine Auswahl, der landesweit einheitliche EVP (Endverbraucherpreis), die schlichte Warenpräsentation durch Aufeinanderstapeln zeugen von dieser Verwandtschaft. Als hätten die Albrecht-Brüder mehr Marx als Erhard geschmökert, wurde dem Warenfetisch hier keine Messe gelesen.

Einmal die Woche war der Albrecht Discount tiefste DDR. Mittwochs stapelten sich in den Verkaufsstellen die „Aldi aktuell“-Lieferungen im Mittelgang. Das waren Sachen, die niemand richtig brauchte, aber alle rafften und bunkerten, weil man nie wusste, wann man sie wieder bekommt. Kinderschuhe und Schraubenzieher, Waffeleisen und Unterhosen, Zeug halt, das anständige westliche Geschäfte ständig bereit halten. Das führte eine halbe Stunde vor der Öffnung zu langen Schlangen vorm Laden, in der sich nervöse Endverbraucher die Einkaufswagen in die Hacken schoben, nicht nur, wenn Robotron- pardon: Medionrechner erwartet wurden.

Das ist vorbei. „Aldi aktuell“ ist zwei Mal die Woche, wie schon lange im Südreich von Karl Albrecht oder, schlimmer noch, bei Lidl. Aldi ist entzaubert, jeder weiß, dass Schuhspanner und Sonnenbrillen Jahr für Jahr in der selben Kalenderwoche im Laden landen, dass die Sonderlieferungen, weil´s logistisch Sinn ergibt, erst in Spanien, dann in Holland, später im Aldi-Süd und dann vielleicht im Norden auftauchen. Schnickschnack kommt dazu, gefrorener Hummer, edel erscheinende Elektronik, Biofeinkost. Und montags wie donnerstags bleibt öfter mal was liegen von all dem. Das ist die Zeit. Die DDR ist nicht mehr, Aldi nicht mehr, was es mal war, Theo ist tot, und der Nachwuchs will gar mit der Presse reden.

Loveparade: Duisburgs OB Sauerland steht in Nibelungentreue zum eigenen Versagen

Pressekonferenz auf der Medienbrücke, kurz vor der Liveschalte zum BILD-Stream um 17.31 Uhr: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nimmt in Gegenwart von Kreativitätschef Gorny und Spaßmaxe Pocher eine Prioritäts-SMS entgegen. Bild Meiser

Vielleicht verstehen wir den Mann einfach nicht. Vielleicht will Adolf Sauerland nur nicht so ein Weichei sein wie all die anderen, die sich vom Acker gemacht haben in den letzten Monaten.

Die zurückgetreten sind wegen lächerlicher Sachen, wegen mangelnden Respekts (Köhler), anderer Lebensplanung (Koch), lockender Sandstrände (von Beust), besoffenen Autofahrens (Käßmann) und geschwundener Lieblichkeit (Jepsen). Die beiden Letztgenannten dürften für Sauerland kein Maßstab sein. Sie sind Frauen, noch dazu evangelisch, naja. Wegen Suffs am Steuer hätte sich jeder katholische Bischof rausgeredet mit dem Argument, da müsse etwas schief gegangen sein mit dem Messwein bei der Wandlung.

Sauerland ist der letzte Kerl in der CDU, der sich seiner Verantwortung stellt, der Kohls Aussitzen neu interpretiert als Festkrallen notfalls mit Gewalt, der in Nibelungentreue zum eigenen Versagen steht, als handele es sich dabei um ein Projekt der Kulturhauptstadt. Wahrscheinlich verbringt er die nächsten Nächte schlaflos, weil er auf den Anruf der Kanzlerin wartet, die ihn gefälligst mal mit Lob überschüttet für sein Durchhalten. Das ist sauerländische Starrköpfigkeit, wie man sie am Niederrhein nie vermutet hätte.

Von atemberaubender Schönheit ist Sauerlands Argument, nur durch sein Verweilen im Amt könne er zur Aufklärung beitragen. Dass sich auch Verbrechen besser aufklären lassen, wenn die Hauptakteure im Knast kunstvoll befragt werden, hat ihm nur noch keiner gesagt.

Es geht ihm doch nur um die Stadt, die sich für den Tatort-Kommissar Schimanski erst schämte, ihn dann an die Brust drückte und schließlich beweinte, als er 1991 am Drachen entschwebte. Vorbei war es mit dem Alleinstellungsmerkmal des quotenbringenden Tötens, unterbrochen nur von den seltenen Schimmi-Comebacks und den Mafiamorden 2007.

Jetzt ist die Stadt endlich wieder in den Schlagzeilen, wird sich Sauerland bis Samstagabend gedacht haben und danach, dass schlechte Schlagzeilen immer noch besser sind als gar keine Presse. Dafür geht er durch die Hölle und über 20 Leichen, bis zur Selbstverleugnung und darüber hinaus. Schuld hat er nicht, vorläufig, vielleicht ist alles eine Täuschung, die Toten gab es gar nicht, die Loveparade hat nie stattgefunden, jedenfalls nicht in dieser Stadt, deren Namen ihm gerade entfällt. Nur Oberbürgermeister ist er noch. Das zählt.

Nicht zählen kann er auf alte Kumpels. Widerlich muss ihm ein Panikforscher mit dem klingenden Namen Schreckenberg sein, der erst das Sicherheitskonzept auf absurde Art lobt, um wenig später die Wende zum einzig kundigen Kritiker hinzulegen. Zufrieden kann er sein, dass er nicht so ist wie das Kulturdreigestirn Pleitgen, Scheytt und Gorny, das erst die Loveparade knutschte, als sei es komplett auf Ecstasy, um nach der Flucht durch luxuriös ausgelegte Notausgänge darauf hinzuweisen, nur rein zufällig von diesem Event in der Zeitung gelesen zu haben. Noch vor Wochenfrist sabberten die Offiziellen auf der gesperrten A40 vom emotionalen Gründungsmoment der Metropole Ruhr. Die Toten gab es dann sechs Tage später woanders, in dieser Schmuddelstadt kurz vor Holland, irgendwo an der Rheinschiene, in äh… Duisburg.

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