Was passiert eigentlich, wenn der letzte Tropfen Öl aus der Erde gesaugt ist? Bis dahin soll es zwar ein paar Jahre dauern, glaubt man den Beteuerungen der Ölbarone. Wie die Welt ohne Sprit aussieht, konnte ich in Zeitraffer in Spanien beobachten.
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Angefangen hat alles mit ein paar streikenden Lkw-Fahrern in Spanien, die wegen dem Anstieg der Dieselpreise auf die Straße gingen. Genauer gesagt auf die Autobahnen. Und wenn so ein paar Lastwagen auf der Bahn stehen, dann geht bald nichts mehr. Dass sich mit diesem Mechanismus herrlich Chaos anrichten lässt, hatten schon die Kohlekumpel im Ruhrgebiet erkannt, die mit Autobahn-Blockaden ihren Forderungen Nachdruck verliehen hatten.
Rund jeder fünfte Trucker Spaniens macht bei dem Streik schließlich mit. Ihre Forderung: Die Regierung soll die Spritpreise deckeln und damit die Existenz der zumeist unabhängigen Spediteure sichern. Madrid lehnt eine Begrenzung ab, schließlich werden die Preise über die Börse festgelegt. Und dort dreht sich die Spirale dank der fleißigen Spekulanten aufwärts. Die Fronten sind verhärtet. Dem Protest der Spanier schließen sich Fahrer in Portugal und Frankreich an. An den Grenzen bilden sich kilometerlange Staus von fahrwilligen Lkw-Fahrern, die Zufahren zu den großen Städten sind blockiert, das Transportwesen bricht zusammen.
Angefangen hat der Protest am Montag. Am Abend bilden sich bereits lange Schlangen an den Tankstellen. Noch sieht man die Besitzer lächeln, machen sie doch das Geschäft ihres Lebens. Am Dienstag gibt es erste Hamsterkäufe bei Lebensmitteln. Man weiß ja nie, wie lange so ein Streik dauert. Und der Protest wirkt: In meinem örtlichen Supermarkt klaffen in der Frischeabteilung bereits Löcher im Sortiment. Und was in den Regalen liegt, ist oft schon welkes Zeug.
Die Trucker meinen es ernst: Streikbrecher werden gestoppt, die Ladung auf die Straße gekippt. Die Spediteure stehen mit dem Rücken zur Wand, die Dieselpreise sind innerhalb kurzer Zeit um rund 30 Prozent gestiegen. Jetzt wollen auch die Taxifahrer mitziehen. Dabei können sie auf Verständnis in der Bevölkerung bauen. „Die sollen mal ruhig streiken, Benzin ist so teuer geworden“, sagt sogar meine Friseurin. Auch sie ist betroffen: Ihr Shampoo-Vorrat neigt sich dem Ende zu; schlimmer noch: Auch Farbe wird knapp. Geht der Streik weiter, werden die vielen hier ansässigen Rentner-Ladys aus Deutschland und Großbritannien grau. Keiner will das.
Sprit ist ein teures Gut, wenn man es denn bekommt. Am Mittwoch meldet mein Wagen Bedarf an. Sorglos bin ich am Montag und Dienstag umhergefahren und habe mir die schöne Landschaft und verschlafene Dörfer im Hinterland von Valencia und Alicante angeschaut. Darunter auch Zementwagen, die aus Protest eine Sackgasse blockieren. Bei der ersten Tanke, bei der ich halte, kommt gleich der Tankwart raus: „No, No“, winkt er ab. Ausverkauft. Wie auch die zweite, wo nur noch „Geschlossen“-Schilder hängen. Auch die dritte ist leergelaufen, statt Treibstoff will mir der Besitzer ein Eis andrehen. Die vierte hat Super, ich brauche aber Diesel. Das könne ich vergessen, meint ein Mitarbeiter der Repsol-Tanke. Das sei überall aus. So leicht gebe ich nicht auf. Fünf Tanken später wächst in mir die Gewissheit: Der Landstrich ist trocken gelaufen. Meinem Wagen kann ich nur noch die letzte Waschung geben. Immerhin funktionieren die Waschstraßen, wie auch der Verkauf von Eis.
Ich weiß nun, der Wert eines Autos bemisst sich am Tankinhalt, nicht mehr an PS-Zahl und Alter. Ein klappriger Seat von 1970 ist mit vollem Tank mehr wert als meine Kutsche, die gerade ein Jahr auf dem Buckel hat. Ich bin bereit, mit jedem zu tauschen, der ein vollgetanktes Auto hat. Dann könnte ich mich Richtung Norden durchschlagen. Vielleicht würde ich die 500 Kilometer bis hinter Barcelona schaffen, dort ein Fahrrad oder einen Esel klauen und die Pyrenäen ins sichere Frankreich überqueren.
So weit kommt es nicht. Versteckt im Zentrum des Örtchen Pego – rund zehn Kilometer im Landesinneren und frei von Sehenswürdigkeiten – finde ich eine offene Tankstelle. Die zehnte, die ich abklappere. Eine Zapfanlage läuft noch, davor eine Schlange von fünf Autos. Mit einem wagehalsigen Manöver überhole ich schnell noch einen Reisebus, bevor der sich einreihen kann. Meine Mad Max-Lektionen habe ich gelernt. Mit seinen Riesentanks hätte der Bus vielleicht den letzten Tropfen des flüssigen Goldes gekauft. Auch so ist die Lage kritisch. Der Fiat-Fahrer vor mir versucht die Nummer drei in der Schlangen davon zu überzeugen, dass der nur für 20 Euro tanken soll. Jeder solle Diesel bekommen, lautet sein Argument. Doch er erhält eine Abfuhr. Jeder ist sich selbst der Nächste. Doch es reicht, auch für mich. Jetzt habe ich Sprit für 800 Kilometer im Tank. Gefahren wird nicht, der Wagen wird sicher in der Garage verschlossen. Am Tor hänge ich eine Schild „Kaufe Diesel – Jede Menge und zu jedem Preis“. Hoffentlich lassen sich Diebe davon abhalten. Die 50 Liter im Tank sind mein Rückfahrtticket. Damit komme ich bis ins spritsichere Frankreich.