„Das Thema ist erledigt.“ – Die Polizei zum Totenkopf-Schlagstock

Auf der Studentendemonstration am 17.11.09 hatte ein Polizist einen Totenkopf-Aufkleber auf seinem Schlagstock. Wir haben Ulrich Faßbender, den Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Essen und Tanja Horn, die Pressesprecherin dazu befragt.

Ruhrbarone: Was ist in dieser Angelegenheit bisher passiert?

Horn: Derjenige ist relativ schnell identifiziert worden. Natürlich ist er innendienstlich sehr dazu befragt worden. Es ist ein Verfahren eingeleitet worden. Der Kollege hat glaubhaft erklärt, dass der Totenkopf aus dem Videospiel „Guitar Hero“ stammt. Da ist ein Aufkleber-Set dabei. Mit Rosen, Vögelchen und einem Totenkopf. Den hat er auf seinen Schlagstock geklebt. Mindestens geschmacklos, aber völlig nicht darüber nachgedacht.

Ruhrbarone: Was meinen Sie mit geschmacklos?

Horn: Damit meine ich, dass es nicht mehr und nicht weniger ist. Es ist kein Verstoß gegen irgendwelche gesetzliche Norm. Es macht ein ganz schlechtes Gefühl. Und ich finde es auch nicht in Ordnung. Und deswegen wurde der Kollege innendienstlich zur Rechenschaft gezogen.

Faßbender: Der Kollege hat uns glaubhaft versichern können, dass er die unterstellte Gesinnung in keinster Weise damit verbunden hat. Dieses Fehlverhalten des Beamten hat natürlich das Ansehen der Polizei in Misskredit gebracht. Wir müssen gucken, inwieweit es intern sanktioniert werde muss.

Ruhrbarone: Und inwieweit wird es sanktioniert?

Faßbender: Dem Kollegen wurde ordentlich der Kopf gewaschen und damit ist das Ding für die Zukunft erledigt.

Ruhrbarone: Keine dienstrechtlichen Folgen?

Faßbender: Genau.

Ruhrbarone: Keine Strafe?

Faßbender: Keine. Die Konsequenzen wären für ihn drastischer ausgefallen, wenn wir den Eindruck gehabt hätten, dass es Rechtstendenzen bei dem Kollegen gegeben hat. Aber das ist nicht der Fall.

Ruhrbarone: ..weil der Polizist unwissend war? Aber Unwissenheit schützt doch nicht vor Strafe.

Faßbender: Dass das jetzt mit Ahnungslosigkeit erklärt wird, das ist natürlich ein anderes Extrem. Wo sie natürlich zu Recht einhaken und sagen: dann darf ihm das trotzdem nicht passieren. Gut. Aber das sind auch alles nur Menschen, die Fehler machen.

Ruhrbarone: Werden die Polizisten während der Ausbildung denn nicht über die Nazi-Symbolik aufgeklärt?

Horn: Bestandteil der polizeilichen Ausbildung ist auch Staatsbürgerkunde. Da findet auch die deutsche Geschichte ihren Anteil. Da wird darüber geredet.

Ruhrbarone: Reicht ein Gespräch aus, damit das in der Zukunft nicht mehr passiert?

Faßbender: Das ist sehr präventiv. Das ist durch die Diskussion in der Öffentlichkeit nicht nur in Essen, sondern in ganzem Land ein Thema geworden. Dass dieser Kollege aus Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit, keine Ahnung was, nicht darüber nachgedacht hat, was das bedeutet, bei einer Demo einen Schlagstock mit diesem Symbol zu tragen.

Ruhrbarone: Wie konnten die anderen Kollegen den Aufkleber nicht früher bemerken und melden?

Faßbender: Der Aufkleber ist ja schon in der Demo entfernt worden.

Ruhrbarone: Nachdem ihn einige Demonstranten bemerkt haben und Fotos davon gemacht haben. Warum nicht davor?

Horn: Ich weiß nicht, wie lange der Kollege den Aufkleber hatte. Ich weiß auch nicht, ob das andere Kollegen bemerkt haben. Wir haben auch niemanden aus der Hundertschaft dazu befragt. Das ist nicht gemacht worden. Man hat das mit dem Kollegen entsprechend so bearbeitet, wie wir das besprochen haben. Und wie es aus meiner Sicht auch richtig ist.

Ruhrbarone: Konnten Sie in diesem Gespräch nicht erfahren, wie lange er den Aufkleber schon hatte?

Horn: Ich weiß nicht, wie lange er den schon hatte. Wir haben ja das Gespräch nicht geführt, das haben seine Chefs gemacht. Alles was wir wissen müssen, ist bekannt.

Ruhrbarone: Haben Sie ein Protokoll von diesem Gespräch?

Horn: Nein.

Ruhrbarone: Es ist also nicht auszuschließen, dass Kollegen, die über diese Symbolik wussten, den Aufkleber bei ihrem Kollegen bemerkt haben. Und nichts gemacht haben. Finden Sie das nicht interessant zu hinterfragen?

Horn: Ja doch, das finde ich auch interessant. Aber ich weiß es jetzt einfach nicht.

„Ich halte das für angemessen.“ – Die Polizei zur Studentendemo

Der Bildungsstreik in Essen sorgt weiterhin für Diskussionen. Wie wir berichtet haben, wurden am 17.November auf einer friedlichen Studentendemonstration rund 150 Demonstranten von der Polizei eingekesselt und festgenommen. Erste Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es, als die Studenten von der geplanten Route abkamen und in der Innenstadt demonstrierten. Wir haben mit Ulrich Faßbender, dem Leiter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Essen, und Tanja Horn, der Pressesprecherin gesprochen.

Ruhrbarone: Was war die Aufgabe der Polizei bei der Studentendemo am 17.11. in Essen?

Faßbender: Wir als Polizei sind für die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer, aber auch für die Sicherheit der übrigen Bürger in dieser Stadt zuständig. Und da ist dieser Interessenskonflikt. Aus Sicht der Studenten kann man sicherlich nachvollziehen, dass sie sagen, wir fühlen uns hier jetzt nicht ernstgenommen. Wir durften nur in Nebenstraßen demonstrieren und wir gehen jetzt trotzdem so wie wir wollten in die Einkaufsstraße. Man muss auch eine Abwägung treffen: das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit auf der einen Seite und auf der anderen Seite auch die Belange der anderen Bürger.

Ruhrbarone: Inwiefern wurden denn die Interessen der Bürger in der Einkaufsstraße beschnitten?

Horn: Dazu habe ich eine eigene Wahrnehmung. Weil ich das eben selber vor Ort gesehen habe. Wenn eine Gruppe von mehreren Hundert eine schmale Einkaufsstraße begeht, dann heißt das, die Hundert gehen da her und für alle anderen ist kein Platz, die zum Zwecke des Einkaufens dort hingekommen sind. Man hat Menschen gesehen, die links und rechts in die Geschäfte reingingen, die aber auch sehr beeindruckt waren. Es soll Aufmerksamkeit erzielt werden, das soll so sein auf einer Demo, das ist soweit auch in Ordnung. Aber die Leute, die zum Einkaufen in die Innenstadt kommen, haben auch das Recht jederzeit dort einzukaufen.

Ruhrbarone: Denken Sie, dass man das Recht auf Versammlungsfreiheit, laut Artikel 8 des Grundgesetzes, gegen eine sehr geringe mögliche Interessenverletzung der Einkaufenden aufwiegen kann?

Horn: Wir haben den Studenten die Möglichkeit geboten, in der Nähe der Fußgängerzone, wo auch Menschen sind, zu demonstrieren. Die Einschränkung und Auflagen waren gering. Es war eine Außenwirkung da. Ganz viele Leute haben mitbekommen, dass die Demonstration war. Das Ziel war absolut erreicht. An der Stelle, wo in die Fußgängerzone gegangen wurde, war aus meiner Sicht das Gefühl da: wir halten uns nicht an die Auflagen.

Ruhrbarone: Und ab diesem Zeitpunkt gab es dann Probleme?

Horn: Die Versammlung wurde etwas nach 12 Uhr für beendet erklärt. Die Studenten haben aber weiterhin den Eindruck einer Versammlung erweckt. Mit einer größeren Gruppe, also ein paar Hundert, ist dann die Kettwigerstraße und damit die Innenstadt begangen worden. Und das war eben vorher ausdrücklich per Auflage untersagt. Diese größere Gruppe ist dann erstmal Richtung Dom gegangen. Dann kam es eben auf den Straßen, explizit auf der Hollestraße, zu Straßensperrungen und gefährlichen Situationen.

Ruhrbarone: Das kann man auch gut nachvollziehen. Man sollte die Menschen und den Verkehr schützen, aber wen oder was wollten Sie im City-Center schützen? Wo es ja später zur Einkesselung kam.

Horn: Man muss sagen, die Gruppe ist immer kleiner geworden. Es hat immer mehr Demonstranten gegeben, die erkannt haben, die Lautsprecheransagen machen Sinn. Eine Gruppe, von etwa 200 Personen, ist dann schließlich ins City-Center direkt vor das Rathaus. Und sind dort dann auch mehrfach angesprochen worden, diesen Bereich nicht mehr zu blockieren. Und schon gar nicht ins Rathaus reinzugehen. Was zu vermuten stand.

Ruhrbarone: Also ging es primär um die Gefährdung des Rathauses.

Horn: Nein. Das ist ein Teilaspekt. Also vielmehr ging es um das, was im Vorfeld war. Und das wir nicht absehen konnten, wie es weiter geht. Es gab auch keinen Versammlungsleiter mit dem wir Absprachen treffen konnten.

Ruhrbarone: An dieser Stelle wurden dann ja auch die Studenten eingekesselt. Von wem wurde diese Entscheidung getroffen?

Horn: Bei allen größeren Einsätzen gibt es einen Polizeiführer. Den gab es hier auch. Das muss so sein. Es muss ja einer letztendlich die Fäden in der Hand haben. Und der Polizeiführer hat an einer bestimmten Stelle entschieden: so jetzt haben wir genug Langmut besessen und irgendwann müssen den Ankündigungen auch Taten folgen.

Ruhrbarone: Wann genau wurde entschieden, die Studenten am Porscheplatz einzukesseln?

Horn: Situation Hollestraße. Sperrung des fließenden Verkehrs, gefährliche Situationen mit Autofahrern. Situation Fahndungskreisel, Gefahr des Einmarsches in das Rathaus.

Faßbender: Natürlich arbeitet man da mit Prognosen. Und stellen Sie sich vor, da wäre etwas passiert. Die Vorwürfe möchte ich mir nicht anhören.

Ruhrbarone: Hat die Polizei mit dieser Entscheidung nicht selbst zur Eskalation beigetragen?

Horn: Die Entscheidung, die getroffen wurde, war verhältnismäßig. Wir haben mehrfach angekündigt, was passieren wird, wenn die Studenten und Schüler sich weiter so verhalten. Wir dürfen ja kein zahnloser Tiger sein.

Faßbender: Das Demothema war bis dato eigentlich gut transportiert. Die Botschaft ist gut rübergekommen und wär die Demo da zu Ende gewesen, dann wär in den Medien über eine super Demo berichtet worden. Es geht in erster Linie gar nicht mehr um das Bildungsthema, sondern es geht um die Polizeirepression. Das finde ich schade.

Ruhrbarone: Einige eingekesselte Demonstranten wurden mitgenommen und mussten ihre Personalien angeben. Andere durften einfach gehen. Auf die Nachfrage von Birsen Sevim warum ausgerechnet sie mitgenommen wird und andere gehen dürfen, sagte der Polizist: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie sind jetzt die Glückliche.“

Horn: Gut, war jetzt keine glückliche Antwort von dem Kollegen. Ganz klar. Der hat sie in völliger Unsicherheit gelassen. Aber es durften nur Kinder gehen. Ansonsten ist diese Aussage falsch.

Ruhrbarone: Laut unseren Augenzeugenberichten wurde auch ein Demonstrant im Kessel von einem Polizisten mit einem Gegenstand bedroht, der wie ein Elektroschocker aussah.

Horn: Elektroschocker gehören nicht zu den Ausrüstungsgegenständen. Keiner von den Beamten, die vor Ort waren, hatte einen privaten Elektroschocker dabei.

Ruhrbarone: Könnte es dann ein Pfefferspray gewesen sein?

Horn: Pfeffersprays gehören zur Ausrüstung der Polizei, ist aber bei dieser Demonstration nicht eingesetzt worden. Ob ein Kollege ein Pfefferspray in der Hand hatte, kann ich nicht sagen.

Ruhrbarone: Bei einigen Demo-Teilnehmer kam es auch zu Gewaltanwendungen Seitens der Polizei. Wie bewerten Sie das?

Horn: Ich habe auch Situationen gesehen, in denen leicht geschuppst wurde. Und die Schubserei, die ich vor Augen habe, war die am Grillo Theater. Ich halte das für angemessen.

Faßbender: Es gibt ja dieses Video auf Youtube. Der wird ja nirgendwo vorgehauen. Da wird ein Demonstrant ja nur von einem Kollegen ein paar Meter über den Platz gezogen.

Ruhrbarone: Ja, aber am Kopf.

Faßbender: Am Kopf? Wo er genau angefasst hat, habe ich nicht gesehen. Für mich waren das die Schultern.

Unschuld ist eine Illusion

Fotos: Marc Oortman

Am Dienstag war es wieder soweit: die Essener Lichtburg hatte sich schick gemacht und zur Premiere des Films „This is Love“ geladen. Im größten Lichtpalast Deutschlands konnten die Zuschauer für kleines Geld den neuen Film von Matthias Glasner in Augenschein nehmen und dabei auf Tuchfühlung mit dem Macher selbst und den Darstellern gehen.

Der rote Teppich ist ausgerollt. Die Lichtburg strahlend hell. Menschen drängen sich erwartungsvoll links und rechts um die Abzäunung. Journalisten, Schaulustige, Fans. Manche treten von einem Bein aufs andere: sei es wegen der Kälte oder wegen der Aufregung. Schließlich werden Jürgen Vogel, Corinna Harfouch und Matthias Glasner erwartet. Einige Minuten und einige Glühweine später – denn die haben sich Durstige genehmigt – ist es endlich soweit. Die erste Limousine öffnet ihre Türen und Glasner schwingt sich gut gelaunt aus dem Wagen. Seine Kollegen, Harfouch und Vogel tauchen Minuten später auf. Auch gut gelaunt. Geduldig stehen Sie Rede und Antwort. Posieren für Fotografen und Fans. Dann folgt der Film.

 Es ist ein nervenaufreibender Plot. Der Zuschauer merkt schnell, trotz des Titels „This is Love“, hält der Film keine Romantik, keine Poesie bereit. Die Liebe wird auf eine schmerzliche Weise ironisiert, indem gezeigt wird, was dieses Gefühl mit und aus uns machen kann. Wie wir sind, wenn unsere Liebe unerfüllt, vergebens, einseitig in uns zurück bleibt. Regisseur Glasner katapultiert den Zuschauer in eine Geschichte, die von gebrochenen Herzen, von schuldigen Individuen, ja man möchte sagen von verstörten Existenzen, handelt. Es geht um Pädophilie, Alkoholismus, Gewalt. Letzteres vor allem psychischer Art. Immerzu schwebt die Frage der Schuld über den Szenen. Sie kreiert eine zerreißende Spannung im Zuschauer. Wer hat Schuld an wessen Leid? Es ist kaum zu beantworten. Vielmehr scheinen sich alle Figuren in „This is Love“ schuldig zu machen. Die Schuld ist Leit(d)faden in Glasners Filmen. Auch sein heiß diskutiertes Werk „Der freie Wille“ kreiste um diesen Begriff.

Später verrät Glasner mir, warum er glaubt, dass es den Zustand der Unschuld für Menschen gar nicht gibt: „Wenn man behauptet es gäbe unschuldige Menschen, dann ist das eine Art des Selbstbetrugs. Unschuld ist nur eine Behauptung, die wir aufrechterhalten, weil wir es nicht aushalten, dass wir uns ständig schuldig machen. Wir machen uns schuldig, weil wir so viele unterschiedliche Triebe in uns haben. So viele unterschiedliche, negative, destruktive Wünsche. So viel Ehrgeiz. Wenn ich einen Film drehe, fühle ich mich schon schuldig. Allein durch den Ehrgeiz, es machen zu wollen. Etwas schaffen zu wollen. Diese Eitelkeit – darin besteht für mich immer schon irgendwie Schuld. Es ist eine Hybris zu glauben, dass wir etwas wollen dürfen. Wir müssen erkennen, dass wir schuldig sind. Das ist etwas, was mich sehr beschäftigt. Dieses Thema werde ich in den nächsten Filmen noch vertiefen.“

Jürgen Vogel drückt sich da spartanischer aus. Auf meine Frage, was Schuld für Ihn bedeute, kontert er: „Ich will das nicht erklären, dafür mache ich ja Filme. Um zu zeigen, was ich fühle. Ich will das nicht eins zu eins erklären. Das ist mir zu langweilig.“ Schuld hin oder her. Der Film schenkt dem Zuschauer auch schöne und lustige Momente. Vor allem ist es die gnadenlose Ehrlichkeit mit der die Geschichte es schafft, tiefe Emotionen zu wecken. Die Authentizität der Schauspieler, allen voran Corinna Harfouch, überzeugt. Mir erzählt sie, dass sie gar nicht weiß, wie es ihr gelungen ist, voll und ganz in die Rolle hineinzuschlüpfen. Sie lasse sich einfach fallen und gäbe sich dem Schauspiel hin.

Am Ende wird das Publikum nicht mit Werturteilen bestückt. Wie wir es uns gerne wünschen. Vielmehr gibt Glasner die Frage der Schuld an uns weiter.

Wallraff im Ringlokschuppen

 

Er kann es nicht lassen. Und das ist gut so. Wallraff hat wieder die Perspektive gewechselt.

Immer wieder verbringt Günter Wallraff Monate oder sogar Jahre unter dem Deckmantel fiktiver Identitäten. Sie erlauben es ihm, in die Tiefen sozialer Ungerechtigkeiten und moralischer Vergehen einzutauchen. 1985 schafft er mit seinem Werk „Ganz unten“ den Durchbruch. Als Türke „Ali“ berichtet er von dem empörenden Handel mit Leiharbeitern. Der Erfolg gibt ihm Recht: mit über fünf Millionen verkauften Exemplaren wurde „Ganz unten“ ein sensationeller Erfolg.

Nun war er wieder unterwegs. Als „Michael G.“ hat er die deutschen Callcenter auf Herz und Nieren geprüft und als Niedriglöhner für Lidl Fabrik-Brötchen gebacken. Außerdem hat er als Obdachloser das Leben ohne zu Hause aus nächster Nähe inspiziert. Seine Erfahrungsberichte bekommen wir in seinem neusten Buch „Aus der schönen neuen Welt“ druckfrisch serviert. Wer aber nicht nur sein Buch, sondern auch seine Stimme will, der sollte am 29.10.09 zum Ringlokschuppen in Mülheim pilgern. Dort liest Wallraff aus seinem neuen Buch und diskutiert im Anschluss mit neugierigen Zuhörern.

 

Donnerstag, 29.10.2009

Start 20:00 Uhr

Eintritt 15,-€

 

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Blut spenden? Ach, heute lieber nicht?

 

Seit 5 Jahren wohne ich nun schon in Essen. Unzählige Male bin ich durch die Essener Innenstadt gelaufen. Dabei passierte ich fast jedes Mal die Ecke, an der die Mitarbeiter vom Deutschen Roten Kreuz bei Wind und Wetter beharrlich nach Freiwilligen suchen, die bereit sind Ihren Lebenssaft zu spenden.

Immer wieder blieb ich zögerlich stehen und wechselte mit dem freundlichen Duo einige Worte. Im ersten Moment dachte ich meist: oh ja, das ist eigentlich ’ ne gute Sache. Ja eigentlich – denn jedes Mal hörte ich mir selbst dabei zu, wie ich wieder mit einer feinen Ausrede davonkam. Mal wollte ich unbedingt jemanden mitnehmen: weil zu zweit übersteht sich so was ja viel leichter. Das nächste Mal war ich unter Zeitdruck, würde mir aber auf jeden Fall die Handzettel zu Hause durchsehen. Dann fühlte ich mich irgendwie zu schwach und meinte: ach, heute lieber nicht.

Tja, keine gute Bilanz. Und dabei ist es doch so wichtig, das System des freiwilligen Spendens zu unterstützen. Schließlich hofft doch jeder von uns darauf eine Blutspende zu bekommen, wenn wir in einer Notlage sind. Wahrscheinlich ist es sogar mehr als bloß hoffen: wir erwarten es irgendwie einfach. Man stelle sich nur vor, wie die Ärztin sagen würde: „Das Blut ist heute leider aus, aber morgen kriegen wir vielleicht wieder was rein.“

Als mich heute wieder eine lächelnde Helferin ansprach: „Möchten Sie nicht heute Blut spenden?“, habe ich einfach „Ja.“ gesagt. Endlich habe ich es geschafft dem blöden Ausreden-Trott zu entkommen. Ein gutes Gefühl. Die Blutabnahme an sich war außerdem weitaus angenehmer als erwartet. Es dauerte schlappe 10 Minuten und auch das Gefühl, dass 0,5 Liter Blut den Körper verlassen, ist mehr als zumutbar. Währenddessen wurde ich bestens umsorgt, bekam fröhliche Musik vorgespielt und konnte einem TV Programm folgen. Später gab ’s dann noch eine leckere Mahlzeit, Getränke und Leckereien. Und ganz nebenbei habe ich womöglich ein Leben gerettet. Wie einfach.

Nicht vergessen: Christof Stählin kommt!

Am 22.10.09 gibt sich Christof Stählin am Essener Campus die Ehre. Er ist Literat, Musiker und Kabarettist. Bekannte Bühnenkünstler, wie Dota Kehr (Sängerin von „Die Kleingeldprinzessin“), Judith Holophernes (Sängerin von „Wir sind Helden) und Eckart v. Hirschhausen (Kabarettist) haben schon in seiner „Mainzer Akademie für Poesie und Musik“ gelernt.

Sein aktuelles Programm heißt "Deutschland. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Es beschäftigt sich mit dem angeschlagenen Nationalbewusstsein Deutschlands, mit der Identitätsfindung und traditionellen Liedern. Auslöser für die Thematisierung Deutschlands waren vor allem die dauer-präsenten Deutschlandflaggen während der Fußball-WM 2006. Stählin möchte offenbar hinterfragen was „Deutschland“ nun eigentlich ist und vielleicht sogar einen Teil der Stimmung des Sommermärchens von 2006 reanimieren. Los geht’s um 20 Uhr im ESG-Zimmertheater (Gruppenraum) der Brücke.

Organisator und Ort der Veranstaltung:

Evangelische Studierenden Gemeinde (ESG) Essen

c/o „die BRÜCKE“

Universitätsstraße 19

45141 Essen (Eintritt: 5 Euro)

Weitere Infos findet Ihr unter:www.christof-staehlin.de

Ein Tag mit Kopftuch

Mein Name ist Meriem, ich bin 24. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Algerier. Meine Heimat ist Deutschland. Ich wurde hier geboren und wuchs als Deutsche auf. Oft werde ich allerdings gefragt: „Wo kommst du denn eigentlich her?“. Ich antworte dann meist: „Ich komme aus Deutschland, aber mein Vater ist aus Algerien.“

Er kam in den 80ern nach Deutschland. Genauer gesagt nach West-Berlin. Er ist also Immigrant und ich habe dadurch einen „Migrationshintergrund“, wie es so schön heißt. Die arabische Kultur und die Religion meines Vaters hatten allerdings kaum Einfluss auf mein Leben. Ich bin Christin, er ist ein traditionsbewusster Muslim. Gerade im Ruhrgebiet begegne ich jeden Tag jungen Frauen, die durch ihr Kopftuch zeigen, dass sie an den Islam glauben. Ich habe mich gefragt, wie es wohl ist, als Kopftuchträgerin unter Christen zu sein. Es wird immerzu darüber gesprochen, dass Integration ohne Toleranz nicht gelingen kann. Doch werde ich als Frau mit Kopftuch genauso behandelt, genauso toleriert wie sonst? Heute wollte ich dieser Frage auf den Grund gehen und selbst erleben, wie es ist, einen Tag lang als Muslimin wahrgenommen zu werden.

Mein Tag beginnt mit einer sehr pragmatischen Erkenntnis: das Kopftuchbinden ist eine Kunst für sich. Ohne eine Anleitung aus dem Internet, komme ich nicht weit. Als es mir endlich gelingt, jedes noch so widerspenstige Haar unter einem grün glitzernden Schal zu verbergen, betrachte ich mich kritisch im Spiegel. Ein fremdes Bild. Als ich meinen morgendlichen Kaffee auf den Balkon trinke, streckt mein, so wie ich glaube, türkischer Nachbar den Kopf aus dem Fenster. Sein Haar ist schon etwas schütter und er raucht Zigaretten. Offenbar kein strenger Muslim. Plötzlich lächelt er mir entgegen. Das ist vorher noch nie passiert. Ob es wohl an meiner neuen Haartracht liegt? Ich bin nicht sicher, mache mich aber beschwingt auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle vor meinem Haus. Schließlich steht heute der wöchentliche Sport in meinem Fitnessstudio auf dem Programm. Der Schritt auf die Straße kostet zwar keine Überwindung, lässt mein Herz aber etwas höher schlagen. Verstohlen blicke ich nach links und rechts, um zu sehen, wie Passanten reagieren. Alles ist wie immer.

An der Haltestelle angekommen, passiert dann doch etwas. Ein Mann mit stattlichem Bierbauch und matter Halbglatze begutachtet mich von Kopf bis Fuß. Er hält einen vergilbten Leinbeutel mit Einkäufen in seiner Hand. Als ich ihm in die Augen schaue, huscht sein Blick auf den Boden. In der Bahn angekommen, kontrolliere ich schnell, ob mein Tuch verrutscht ist. Nein. Alles in Ordnung. Beim Überqueren der Straße, gerate ich das zweite Mal in die Gesichtskontrolle. Aus einem tiefergelegten Opel Corsa linsen mir zwei junge Männer hinterher. Ich erwidere ihre Blicke. Sie beginnen zu tuscheln. Ich bin etwas verunsichert und gehe rasch weiter. Im Studio angekommen, schaut mir die Dame an der Rezeption die entscheidenden drei Sekunden länger in die Augen, als ich es gewohnt bin. Mir fällt auf, wie auch andere Blicke meinen Kopf streifen und kurz auf mir verweilen. In der Damenumkleide tausche ich schnell meine Jeans gegen eine weite Jogginghose. Währenddessen schielt die nackte Blondine neben mir ununterbrochen auf meinen Kopf. Auf dem Laufband wird mir nicht nur klar, wie warm es unter dem Tuch werden kann, sondern auch, dass ich hier nicht unbeobachtet bleibe. Rechts von mir kann eine junge Frau mit braunem Pferdeschwanz und roter Leggings ihre Augen nicht abwenden. Ich laufe weiter. Schwitze. Spüre Blicke.

Das ist viel Aufmerksamkeit für so wenig Stoff, denke ich, als ich wieder zu Hause bin. Ich nehme langsam das Tuch ab, das ich gar nicht mehr so befremdlich finde. Lege es auf den Tisch. Heute unterlag ich der Beobachtung. Es wurde geprüft, was ich tue und wie ich es tue. Nicht offensiv, auch eben nicht mit Worten, sondern ganz subtil. Die Blicke machten mich irgendwie zu der „Anderen“. Ich frage mich, ob andere Frauen mit Kopftuch das auch so wahrnehmen. Und ob die Blicke uns voneinander trennen.

Um fünf nach sechs ist die Demokratie vorbei

Es ist kurz vor 6. Ich renne los. Durch den strömenden Regen. „Ich muss es schaffen“, denke ich.

Am Wahllokal angekommen, sagt man mir nüchtern. „Sie dürfen hier nicht wählen. Falscher Bezirk.“ Verdammt. Wieder raus. Weiter rennen. Es sind nur ein paar Straßen. Ich gebe alles. Der Regen benetzt meine Brillengläser. Ich kann kaum etwas sehen. Halte aber meine zerknüllte und tropfnasse Wahlbenachrichtigung fest in der Hand. Ich mache einen Satz über die Ampel und brülle: „Für Europa!“. Nur noch ein paar Meter. Ja da steht es: Evanglisches Gemeidehaus. Hier bin ich richtig. Ich stürme rein. Die Wahlhelfer gucken mich unbeeindruckt an: „Sie dürfen nicht mehr. Es ist fünf nach sechs.“ Ich pruste, putze meine Brille und sage: „Bitte, geben Sie mir den Zettel. Es sind doch nur fünf Minuten. Ich bin hergejoggt. War beim falschen Lokal.“ „Nein, das geht nicht. Da haben wir unsere Regeln.“ „Ach kommen Sie. FÜNF Minuten?! Wissen Sie überhaupt wozu das gut sein soll. Solche Regeln.“ Man weiß es offenbar nicht und sagt nur: „Wir diskutieren nicht.“ Wie schade. Das gehört doch zur Demokratie. Ach nein, ich vergaß: Um fünf nach sechs ist ja die Demokratie vorbei.

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Glücksritter in der Casa Box

 

 

Seit Freitag sind die "Glücksritter" in der Essener Casa Box zu sehen. Ein Stück von Mirjam Strunk, das sich die Frage stellt: Was ist Glück?

Schon Aristoteles versuchte sich an dieser Frage. Ist Glück ein Zustand, ein Prozess oder schlichtweg unerreichbar? In einer Welt aus Finanzkrisen, perfektem Sex und absoluten Karrieren scheinen immer nur die Anderen zu wissen, was uns glücklich macht. Das Stück „Glücksritter“ gibt uns diese Frage zurück – holt sie zurück in das kollektive Bewusstsein. Es zeigt junge und alte Menschen die sich erfrischend authentisch und herrlich unkonventionell auf die Suche nach Antworten machen. Dabei gewährt uns Regisseurin Mirjam Strunk Einblicke in die ganz privaten Gedanken der Darsteller und provoziert zugleich mit grotesken, bis hin zu befremdlichen Ideen unserer Gesellschaft. Was bedeutet Glück für einen Millionär, eine Prostituierte oder einen Sterbenden? Die Glücksritter beweisen Mut zur Kritik, die sich nicht nur auf „die Anderen“ richtet, sondern zugleich jeden Einzelnen skeptisch unter die Lupe nimmt. Ein bewegendes Spiel mit den Gegensätzen und Gemeinsamkeiten der Menschen, das so wunderbar absurd ist, wie das Leben selbst.

Termine: 01. Juni 2009, 07. Juni 2009

Infos unter: theater-essen.de/asp/gesamt_einzelstuecke.asp

Goldrausch auf der Rü

 

Morgen eröffnet der „Gold Club“ im Giradethaus. Wie der Name schon anklingen lässt, besteht eine direkte Verbindung zur Essener „Gold Bar“. Der neue Laden soll nun das tanzbare Pendant zur Kneipe bilden.

 

In Anlehnung an seine kleinen Schwester, gibt sich auch der Große in barockem Stil: üppiges Dekor in prunkvollem Gold und laszivem Rot. Neben dem verspielten Innenleben legt der Neuling ebenfalls Wert auf ein charmantes Äußeres. Ein kleiner Außenbereich mit Sitzen und Theke ist an den Klub angeschlossen und im Vorderbereich befindet sich der „Goldstrand“. Erfrischung für Körper und Geist.

Geöffnet wird 7 Tage die Woche. Das üppige Programm beginnt allerdings erst donnerstags. An diesem Tag wird der kulturell Interessierte beglückt. Der Freitag steht im Zeichen der „Ich-hör-fast-Alles-Club-Gänger“ und samstags werden die technoiden Nachtschwärmer bedient.

Ob der Neue tatsächlich in die Ränge der wahrhaft Goldigen aufsteigt, gilt es morgen unter Beweis zu stellen.

Gold Club, Giradetstraße 2-38, 45131 Essen www.cafe-goldbar.de/