Ruhrunis noch nicht auf doppelte Abiturjahrgänge vorbereitet

Die Universitäten im Ruhrgebiet stehen vor dem größten Ansturm von Studienanfängern, den es je gegeben hat. Wenn in drei Jahren die doppelten Abiturjahrgänge in Nordrhein-Westfalen die Schulen verlassen, wird die Zahl der Studienanfänger im Vergleich zu 2005 um fast ein Drittel steigen und erstmals die 100.000-Grenze überschreiten. In den vergangenen Jahren sind schon zusätzliche Studienplätze geschaffen worden, doch das reicht bei weitem nicht aus. In diesen Tagen beginnt das NRW-Wissenschaftsministerium mit den Universitäten darüber zu verhandeln, wie viele zusätzliche Studienplätze möglich sind. Doch ob die Universitäten dem Ansturm gewachsen sind, ist fraglich. Schon jetzt hat zum Beispiel die Mensa der TU-Dortmund ihre Kapazität überschritten und die Hörsäle der Ruhr-Uni Bochum sind laut dem dortigen Asta gerade bei den Geisteswissenschaften dauernd überfüllt.

„Ich war ja auch mal Ersti, aber was hier im Oktober los war, ist schon extrem gewesen. S-Bahn, Mensa, Cafes und die Hörsäle, alles überfüllt – total nervig“, sagt Katja Weidlich, Studentin der Erziehungswissenschaften an der TU-Dortmund. 4.000 Abiturienten haben zum Wintersemester ein Studium an der TU begonnen, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit den 8.000 Studenten der FH Dortmund, sind nun 30.000 Menschen auf dem Dortmunder Campus unterwegs. Ähnlich sieht es in Duisburg und Essen aus, wo die Zahl der Studienanfänger um gut 8 Prozent auf 5.000 anstieg. Und auch in Bochum werden es jedes Jahr mehr. In den letzten fünf Jahren hat sich dort die Zahl der Studierenden um 1.600 auf mehr als 32.000 erhöht.

Das alles ist nur ein Vorgeschmack, auf das was bis 2015 auf die Universitäten zukommt. Bis dahin werden neun Bundesländer ihr Abitur von 13 auf 12 Jahren verkürzen. Hamburg macht in diesem Jahr den Anfang, nächstes Jahr folgen Bayern und Niedersachen, 2012 dann Baden-Württemberg, Berlin, Bremen und Brandenburg, bevor 2013 Nordrhein-Westfalen und Hessen den Abschluss bilden. Die Kultusministerkonferenz rechnet bis 2015 deutschlandweit mit 275.000 zusätzlichen Studienanfängern. Um die Hochschulen darauf vorzubereiten, sollen in den nächsten zehn Jahren 18 Milliarden zusätzlich in die deutschen Hochschulen investiert werden.

Das Land NRW stellt zu seinen jährlichen Zuschüssen von drei Milliarden Euro noch mal 1,8 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre bereit. Darüber wie dieser Batzen Geld verteilt werden soll, wird in diesen Tagen verhandelt. Die Hochschulen sollen verbindlich erklären, welchen Anteil sie leisten können, um gut 130.000 neue Studienplätze zu schaffen.

Beim NRW-Wissenschaftsministerium gibt man sich zuversichtlich. Sprecher André Zimmermann: „Wir werden mit den Hochschulen Zielvereinbarungen schließen, in denen wir ganz genau festhalten, wie viele zusätzliche Studienplätze jede Hochschule einrichtet. Damit haben wir schon gute Erfahrungen gemacht“. Und tatsächlich sind in den vergangenen fünf Jahren 26.000 neue Plätze an den Hochschulen in NRW entstanden. Finanziert über ein Prämiensystem. Für jeden zusätzlichen Studienanfänger gab es Geld. Wenn eine Hochschule Studenten über ihrer Kapazität aufnahm, wurde der Betrag durch eine Extraprämie sogar verdreifacht. Bis zu 20.000 Euro Prämie pro Studienanfänger wurde gezahlt. Nach dem gleichen System sollen jetzt die noch fehlenden 130.000 Studienplätze in NRW geschaffen werden. Martin Schmidt von der vom Asta der Ruhr-Uni Bochum hält von diesem System wenig: „Wir sehen das sehr kritisch und befürchten, dass sich gerade durch die Extraprämie die Studienbedingungen noch verschlechtern werden.“ Schmidt hat eh den Eindruck, dass die RUB auf die doppelten Abiturjahrgänge sehr schlecht vorbereitet ist: „Schon jetzt platzen die Gebäude aus allen Nähten, die Platzsituation ist desolat und da bringen auch neue Professorenstellen keine Verbesserung.“

Aber, ob überhaupt neue Professoren eingestellt werden, ist unklar. Drei Jahre vor dem großen Ansturm auf die Ruhrgebietsuniversitäten gibt man sich da noch recht wortkarg. Die Frage, wie viele zusätzliche Professuren geschaffen werden sollen, konnte uns nur die Universität Duisburg-Essen beantworten. Dort sollen 24 zusätzliche Professoren eingestellt werden, sagt Pressesprecherin Beate Kostka. Jetzt werde man in den Verhandlungen mit dem Wissenschaftsministerium aber in ersten Linie auf zusätzliche Hörsaal- und Seminarkapazitäten drängen.
Geld für Baumaßnahmen ist da. Acht Milliarden Euro will das Land den Hochschulen bis 2010 zur Verfügung stellen. 290 Millionen sind bei der Ruhr-Uni Bochum schon fest verplant. Dort werden als erstes Gebäude der Ingenieur- und Gesellschaftswissenschaften saniert. Doch Ministeriumssprecher Zimmermann macht auch klar, dass das die Milliarden nicht für Neubauten gedacht sind, die die zusätzlichen Studierenden Platz bieten sollen: „Es dürfen keine dauerhaften Kapazitäten aufgebaut werden, die nach 2020 nicht mehr benötigt werden. Daher geht es sowohl bei Personal als auch beim Raumbedarf um befristete Lösungen“. Konkret heißt das: Universitäten sollen Räume anmieten und schon einige Jahre bevor Professoren ausscheiden ihre Nachfolger einstellen. Denn schon nach 2013 rechnet das Ministerium wieder mit sinkenden Zahlen von Studienanfängern an den Universitäten.

Neben all diesen großen, offenen Fragen, bleiben auch noch viele praktische Probleme. Wie werden zum Beispiel die Mensen der Ruhruniversitäten den größeren Andrang bewältigen können? In Dortmund hat man sich dazu schon Gedanken gemacht aber die große Lösung nicht gefunden. Rainer Niebur, der Geschäftsführer des Studentenwerk Dortmund: „Unsere Mensa ist schon jetzt technisch am Anschlag. Wir spülen zum Beispiel 38 Tabletts pro Minute, obwohl die Maschinen nur für 30 ausgelegt sind.“ Geld für die dringende technische Aufrüstung der Mensa stellt das Land aber nicht zur Verfügung. Deshalb ist unklar, ob sich in den nächsten Jahren überhaupt etwas verbessern wird. Um nicht völlig unvorbereitet zu sein, will das Studentenwerk jetzt ein Fahrzeug anschaffen, aus dem warmes und kaltes Essen verkauft werden soll. Zu Stoßzeiten soll dieses Fahrzeug vor der Mensa stehen. Außerdem hofft Niebur auf den Anbau der Fachhochschule Dortmund. Dort soll ein Gastronomieangebot mit 190 Sitzplätzen geschaffen werden.

Auch die Verkehrsbetriebe haben sich noch nicht auf die zusätzlichen Studierenden eingestellt. Ob zum Beispiel die S1 die TU Dortmund öfter anfahren wird, konnte man mir beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr nicht sagen. Die Bogestra in Bochum sieht ebenfalls kaum Möglichkeiten, die U 35 öfter zur Ruhr-Uni fahren zu lassen. „Zu Stoßzeiten fahren wir schon im zweieinhalb-Minuten-Takt. Mehr geht nicht“ sagt Sprecher Christoph Kollmann.

Aber nicht nur auf dem Campus wird der Ansturm neuer Studierender für Probleme sorgen. Auch die Wohnheimplätze in Bochum, Duisburg, Essen und Dortmund dürften knapp werden. Schon jetzt müssen Studierenden oft monatelang auf ein Zimmer warten. Das Studentenwerk Dortmund hat jetzt einen Arbeitskreis gegründet, um Lösungen für dieses Problem zu finden.

Das Jahr 2013 bringt also eine Menge Herausforderungen für die Universitäten und Fachhochschulen im Ruhrgebiet mit sich. Hier ist schnelles Handeln gefragt, damit das Versprechen von Wissenschaftsminister Pinkwart auch eingehalten werden kann. Im Landtag sagte er: „Jeder Studieninteressierte wird 2013 und 2014 einen Studienplatz finden.“

Dieser Text ist auch im Studierendenmagazin pflichtlektüre erschienen

…und raus bist du! Kinderarmut im Revier.

Kinder haben mehr verdient! Das ist die klare Meinung der Verfassungsrichter in Karlsruhe, die heute deutlich gemacht haben: Die Hartz-IV Sätze für Kinder sind verfassungswidrig und entsprechen nicht der Lebenswirklichkeit. Wie knapp das Geld bei vielen Familien ist und wie sehr die Kinderarmut auch im Ruhrgebiet verbreitet ist, konnte ich erfahren, als ich die Arbeit der Bochumer Kindertafel einen Tag begleitet habe. Hier meine Eindrücke:

Die Frau weiß genau, wo die Tüte steht. Wenn sie ihre Tochter aus dem Kindergarten abholt, geht sie am Büro der Kita-Leiterin vorbei und nimmt sie unauffällig mit. Die Tüte ist gefüllt mit Lebensmitteln. Obst und Gemüse, zweiter Wahl. Sellerie, Kartoffeln, Bananen und Paprika. „Es gibt Kinder, die noch nie eine Paprika gesehen haben“ sagt Stefanie Rösen, die Leiterin der Kita. In dem Wattenscheider Kindergarten gibt es jeden Tag einen Korb mit frischem Obst und Gemüse.

Für einige Kinder der einzige Ort, an dem sie vitaminreiches Essen bekommen. Gefüllt wird der Korb von den Eltern. Doch nicht alle haben das Geld für Obst und Gemüse. Da hilft die Bochumer Kindertafel. „Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung der Tafel, vielen Familien fehlt es am Existenziellen“, sagt Rösen. 48 Tüten mit Lebensmitteln hat die Tafel gebracht, verteilt auf das Gemeindehaus, ein Altenheim und den Kindergarten. Am Morgen hatte die Tafel die Lebensmittel angeliefert, nachdem sie sie in Supermärkten im Ruhrgebiet eingesammelt hatte.

„Wir haben nur Frische im Kopf“ steht auf einem großen Werbeplakat. Es hängt über Regalen, die gefüllt sind mit Obst und Gemüse. Bananen ohne braune Flecken, strahlend grüne und rote Äpfel, knackige Gurken und Paprika. Eine Frau greift in die Kiste mit den Paprika, nimmt ein Dreierpack heraus, dreht es, begutachtet es, entdeckt einen Riss in der Plastikverpackung und legt es wieder hin. Diese Paprika ließen sich nicht mehr verkaufen, sagt die stellvertretende Marktleiterin Kerstin Kühnel: „Die Kunden wollen frische, schöne Ware. Wenn da ein Riss in der Packung ist, kauft das keiner mehr“. Kühlen legt sie in einen Karton, in dem schon Bananen mit leichten braunen Flecken und Äpfel mit Dellen liegen. Die sind für die Kindertafel bestimmt: „So kann sich noch jemand drüber freuen“. Täglich sortieren Kühnel und ihre Kollegen in diesem Bochumer Lidl-Markt Lebensmittel aus. Salat – zum Beispiel – dürfe nie länger als einen Tag im Regal liegen, sagt sie. Durch eine Stahltür wird der Karton mit Lebensmitteln auf einem Gitterwagen Richtung Anlieferungsrampe rausgeschoben.

Mit einem lauten Knarren rollt das Tor hoch. Auf der Laderampe stehen schwarze Säcke. Müll, der von Supermarktmitarbeitern aussortiert und hier zur Abholung bereit gestellt wurde. Daneben eine Palette, mit Lebensmitteln, wie Brot, Gurken, Grünkohl, Bananen und Paprika. Ein Wagen rollt rückwärts ans Tor. „Bochumer Kindertafel“ steht auf der Seite. Zwei Männer steigen aus. Heiko Kihl und Siegmund Hudzik.

Heiko Kihl ist vor vielen Jahren von Hamburg nach Bochum gezogen. Während er noch schnell an seiner Zigarette zieht, erzählt er vom Pech im Job und seinen Kindern, die er zu ernähren hat. Eines Tages war das Geld aufgebraucht und Kihl stand plötzlich in der Schlange für die Essensausgabe bei der Wattenscheider Tafel. Dann bot ihm die Arbeitsagentur einen Ein-Euro-Job an und Kihl nahm an. Seit fünf Wochen fährt er jeden Morgen Supermärkte in Bochum, Gelsenkirchen und Essen an, um das abzuholen, was andere nicht mehr wollen. „Es wird so viel weggeschmissen. Das ist leider unsere Konsumgesellschaft. Aber es ist schön, dass wir helfen können“.

Kihl und Hudzik wuchten grüne Kisten von der Ladefläche des Transporters auf die Laderampe des Lidl-Marktes stellt. Die beiden Männer packen die Lebensmittel direkt um, damit die Tafel nicht auf den Entsorgungskosten für die Kartons sitzen bleibt. Kihl und sein Kollege Hudzik packen die Lebensmittel um. Immerhin acht Kisten mit Obst und Gemüse sind zusammen gekommen.

Schnell laden die Beiden die Kisten in den Transporter, denn der Zeitplan für diese Tour ist eng gestrickt. Fünf Märkte sollen innerhalb von zwei Stunden angefahren werden. Wie viel es dort zu holen gibt, ist jeden Tag eine Überraschung. „Mal sind wir schon nach dreißig Minuten durch, mal reichen die zwei Stunden nicht, weil es so viel zu verladen gibt“, sagt Kihl, während er vom Hof des Lidl-Marktes fährt. Vorbei an den ersten Kunden, die in den Markt eilen um frisches Obst und Gemüse zu kaufen.

Für die Bochumer Kindertafel sind täglich 10 Transporter auf den Straßen des Ruhrgebiets unterwegs. Im Laufe des Vormittags fahren sie die Zentrale der Tafel auf einem ehemaligen Industriegelände in Wattenscheid an. Bochumer Kindertafel, Wattenscheider Tafel, Näherei und Sozialkaufhaus steht auf einem Schild, das den Weg auf den Hinterhof weist.

Der Initiator der Tafel ist Manfred Baasner. Seit mehr als 10 Jahren engagiert er sich in Bochum, nicht immer mit so viel Unterstützung wie heute. Auf einem Stuhl zurückgelehnt und etwas erschöpft erzählt er von den Zeiten, in denen die Politiker und die Stadtverwaltung von Kinderarmut nichts wissen wollten. „Was Sie da erzählen… so etwas gibt es in unserer Stadt nicht, waren damals die Reaktionen, als ich versucht habe die Kindertafel aufzubauen“, sagt Baasner. So kam es, dass er und sein Team zunächst im Verborgenen gegen Kinderarmut kämpften. Im Rahmen der Tafel, die Woche für Woche acht Tausend Menschen in Bochum mit Lebensmittel versorgt, wurden jahrelang auch Kindergärten und Schulen beliefert, vorbei an den Behörden, ja so, dass es keiner mitbekommt. Lehrer, Schulleiter und Erzieherinnen haben das Wohl der Kinder über die Regeln gestellt und heimlich Essen entgegengenommen und weiterverteilt. In der Zeit konnte Baasner Großspender akquirieren, Kühlschränke und Kühllaster kaufen und so dem Argument der Stadtverwaltung entgegentreten, er halte die Kühlkette nicht ein. Nach vielen Gesprächen, unter anderem mit Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich an der Blockadehaltung der Stadtverwaltung etwas geändert. Seit mittlerweile einem Jahr gibt es die Bochumer Kindertafel offiziell und ihr Bedarf wird zumindest nicht mehr geleugnet. 28 Schulen und 70 Kindergärten werden beliefert. Namen werden nicht genannt. Keiner bei der Stadt und kein Schul- oder Kindergartenleiter will, dass seine Schule oder sein Kindergarten mit Armut in Verbindung gebracht wird. Die Armut soll möglichst lautlos bekämpft werden und möglichst kostenlos. Finanzielle Zuschüsse von der Stadt gibt es nicht.

Deshalb ist Baasner über das große ehrenamtliche Engagement froh. Von früh morgens bis spät in die Nacht hinein arbeiten 420 ehrenamtliche Helfer und 1-Euro-Jobber für die Tafel. Es ist ein eingespieltes, aber doch hektisch wirkendes Hin- und Her in der Halle der Tafel. Ein Gabelstapler bringt große Kanister mit Öl zur Rampe. Daneben wird gerade ein Transporter ausgeladen. Kisten von der morgendlichen Supermarkttour werden auf dem Boden ausgebreitet und eine Frau macht sich direkt daran, die Lebensmittel zu sortieren. Es ist Barbara Kleiner. „Manchmal wundere ich mich schon, was alles weggeschmissen wird“, sagt sie und legt eine Paprika in eine der vielen grünen Gemüsekisten. Die arbeitslose Kleiner ist sechs Tage die Woche von halb sieben morgens bis zwei Uhr nachmittags bei der Tafel: „Ich habe Spaß an der Arbeit und es ist was Tolles, wenn man damit auch noch Kindern hilft“.

Und die Hilfe kommt an, ist sich Tafel-Chef Baasner sicher: „Viele Kinder gehen ohne Frühstück aus dem Haus, bekommen vielleicht einen Euro auf den Tisch gelegt, kommen nach Hause und kriegen nichts zu essen und Abendessen gibt’s auch nicht“. Baasner sieht in vielen Fällen die Eltern als Verursacher der Kinderarmut. Dadurch, dass die Tafel Schulen und Kindergärten beliefert, lernen viele Kinder das erste Mal in der Schule ein familiäres Verhalten kennen. Zum Beispiel bei einem gemeinsamen Frühstück, und das Ganze hat laut Baasner noch einen positiven Effekt: „Es hat sich herausgestellt dass Kinder, die morgens ein vitaminreiches Frühstück bekommen aufnahmefähiger sind und in der Schule nicht einschlafen.“

Der nächste Transporter fährt an die Rampe der Tafel. 60 Tüten mit Lebensmitteln werden eingeladen. Sie sind für Kindergärten bestimmt. Neben dem LKW vor der Rampe, stehen 6 Kinder und eine Frau. Die Kinder tragen Tornister. „Das ist unsere Schule, die jeden Montag und Donnerstag kommt. Die holen jetzt Lebensmittel ab und frühstücken gleich zusammen“, sagt Baasner.

Die Kinder und ihre Lehrerin packen sich Tüten mit Lebensmitteln und verlassen den Hof. Hinter sich lassen sie auch ein Plakat, das in der Halle der Tafel hängt. Darauf zu sehen ist eine Gruppe Schüler, die ein Mädchen ausgrenzt. 2,5 Millionen Kinder leben in Armut, steht unter dem Bild und darüber ist zu lesen: „…. und raus bist du!“

Ran Ans Geld! Wer wirklich von den RAG-Subventionen profitiert

Foto: Klingemann

Seit Gründung der Ruhrkohle AG vor 40 Jahren sind gut 140 Milliarden Euro Steuergelder in den Steinkohlebergbau geflossen. So viel Subventionen hat in Deutschland sonst keiner bekommen. Doch niemand kann kontrollieren, ob diese Zahlungen  berechtigt waren. Vielmehr hat die RAG selbst die Regeln geschaffen, nach denen sie kontrolliert wird. Zudem hat sie über Jahrzehnte zu den Milliardengewinnen ihrer ehemaligen Gesellschafter Hoesch, Thyssen Krupp Steel, EON und RWE beigetragen. Und sie tut es noch immer.

Es war eine schnelle Geburt. Innerhalb weniger Wochen wurde im November 1968 die Ruhrkohle Aktiengesellschaft ins Leben gerufen. Sie sollte ein unkontrolliertes Zechensterben im Revier verhindern und die Jobs tausender Kumpel retten, was ihr zweifellos auch gelang. Aber was da vor mehr als 40 Jahren aufgebaut wurde, ist auch ein System, das den Steuerzahler noch heute Jahr für Jahr Milliarden kostet. Mit dem Geld sollten nicht nur die Jobs der Bergleute und die Energieversorgung der Republik gesichert werden, hieß es. Ganze Regionen, wie das Ruhrgebiet oder das Saarland, sollten gerettet werden. Doch richtig profitiert haben nach unseren Recherchen die Gesellschafter der RAG: Hoesch, Thyssen Krupp, RWE, E.on und die jeweiligen Vorgängerbetriebe. Über komplizierte Mechanismen landeten Milliarden an Subventionen in ihren Taschen. Und die Konzerne profitieren noch immer.

RAG-Kunden bestimmten Preise

Mechanismus Nr. 1: Die Eigentümer der RAG waren gleichzeitig die Kunden der Zechenfirma. Ihr Interesse war es nicht, gute Kohlepreise für die RAG zu erzielen, sondern möglichst billig einzukaufen. Denn die Verluste der RAG wurden vom Staat gedeckt. Früh wurde der Webfehler entdeckt. RAG-Vorstand Hubert Grünewald etwa notierte in einem internen Vermerk im Februar 1970 über die Zwickmühle seiner Firma: „Unsere Vertragspartner sind überwiegend unsere Aktionäre. Die Vertragsschließenden haben mit Wissen und Kenntnis der auf Ruhrkohle AG übergehenden Verpflichtungen Leistungen festgelegt und vereinbart, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses offenkundig nicht erfüllbar waren.“ Mit anderen Worten: Die Eigentümer wussten, dass sie zu Dumpingpreisen einkauften, im Vertrauen auf die Zahlungsbereitschaft des Staates.

Dreistellige Millionenverluste

Mechanismus Nr. 2: Vor allem bei den Lieferverträgen für Hochhofenkoks, der zur Stahlerzeugung benötigt wird, waren die RAG-Eigentümerkunden kreativ. Nur ein Beispiel: zwischen 1997 und 2005 verlangten sie von den Kokereien Prosper und Kaiserstuhl Rabatte. Diese Rabatte berechneten die Eigentümerkunden so: Die Kokereien sollten die Nebenprodukte bei der Kokserzeugung, wie Teer, verkaufen. Die Erlöse sollten sie dann von den Kokspreisen abziehen, um den Koks billiger zu machen. Dass es deswegen zu Verluste der Kokereien kommen konnte, wurde hingenommen. Denn diese Verluste sollten ja wie immer die Steuerzahler über die Subventionen ausgleichen. Das erscheint schwer nachzuvollziehen, doch Kokereidirektoren berichten, dass besonders über den Verkauf von Koksgas die Preise gedrückt wurden. So soll der Eigentümerkunde Hoesch (heute Thyssen-Krupp-Steel) verlangt haben, dass für das minderwertige Koksgas die Preise für hochwertiges Erdgas als Rabatt gewährt wurden; obwohl tatsächlich nur die niedrigeren Preise für Koksgas gezahlt wurden. Intern wird aus der RAG heraus von dreistelligen Millionenbeträgen berichtet, die so vom Staat getragen werden mussten.

"Wer klagt schon gegen seine Mutter?"

Mechanismus Nr. 3 Eine andere Masche aus dieser Zeit war der Import von günstigem Koks zu Forschungszwecken. Eigentlich waren die Konzerne aufgrund der Subventionsgesetze gezwungen, Koks ausschließlich bei der RAG zu kaufen. Nur zu Testzwecken durften geringe Mengen Koks aus dem Ausland importiert werden. Davon unbeeindruckt, importierten die Hütten große Mengen Koks aus Billigländern. Diese Riesenmengen wurden einfach als Forschungskoks deklariert. Die RAG-Führungsebene war Anfang der 90er Jahre über die Einnahmeverluste „in Millionenhöhe“ so sauer, dass sie eine Klage gegen ihre Kundeneigentümer in Erwägung zog, berichten Kokereidirektoren. „Wir sahen die Züge mit Koks aus Polen an unserem Fenster vorbeifahren.“ Man habe nur von den Klagen abgesehen, weil man ja „nicht gegen seine eigene Mutter klagen kann“ sagten die Direktoren, die an den Gesprächen in der RAG beteiligt waren. Die Verluste, die der Staat ausgleichen musste, hätten wieder in dreistelliger Millionenhöhe gelegen. Genaue Zahlen kann keiner vorlegen, da Studien über die Importmengen fehlen. 

Entwicklung der Produktionskosten nicht nachvollziehbar

Mechanismus Nr. 4: Die Stahlkonzerne und Stromriesen sollten und sollen im internationalen Wettbewerb keinen Nachteil bekommen, wenn sie Deutsche Kohle verbrennen. Deswegen soll die RAG nur den Preis berechnen, den die Konzerne auch für Kohle aus dem Ausland zahlen müssten. Dies ist der so genannte Drittlandskohlepreis (DKP). Die Differenz, zwischen Produktionskosten und Drittlandskohlepreis, sprich die Verluste der RAG, gleichen die Behörden aus. Doch das reichte den Konzernen nicht aus. Im Geflecht der Kundeneigentümer der RAG entstand ein jahrelang aktives Rabattsystem auf den DKP. So berichtet der Bundesrechnungshof, die RAG-Kunden hätten zwischen 1998 und 2004 regelmäßig Ermäßigungen zwischen 10 und 20 Prozent bekommen. Die Gründe für die Rabatte seien schwer nachvollziehbar gewesen, steht in dem internen Bericht des Rechnungshofes. Es hieß etwa, die Kohle sei minderwertig oder schwer brennbar. Oder die Kunden hätten Aufgrund ihrer Monopolstellung geringere Preise durchgesetzt. Warum auch immer: Allein aufgrund der Rabatte fielen die Subventionen allein in diesem Zeitraum von sieben Jahren um rund 1,5 Mrd. Euro höher aus als nötig. Dies lässt sich aus dem Bericht der Bundesrechnungshof ermitteln. Gleichwohl werden mit diesen Argumenten bis heute die Kohlepreise der RAG gedrückt.

"Es gibt keine effektive Kontrolle"

Wie waren all diese Tricksereien überhaupt möglich? Der Landtagsabgeordnete der NRW-Grünen Reiner Priggen bemüht sich seit Jahren, Klarheit zu bekommen. Es fällt ihm schwer. Er nennt die RAG „ein System der organisierten Intransparenz“, indem niemand Interesse an Aufklärung hat. So berechnet die RAG ihre Produktionskosten selber. Ein Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes erklärt den Effekt. Die RAG hat kein Interesse an Einsparungen, die Personal kosten würden, da Verluste sowieso ausgeglichen würden. Also bleiben die Kosten hoch. Die Stahl- und Stromkonzerne liefern die Daten, auf deren Basis der Drittlandskohlepreis ermittelt wird. Je niedriger die Konzerne die Auslandpreise ansetzen, umso billiger kriegen sie Kohle und Koks in Deutschland. Eine Kontrolle des Systems durch Angebot und Nachfrage ist nicht möglich.Denn der Markt ist durch die Subventionsgesetzgebung abgeschottet. Für die Kontrolle der Angaben und Argumente ist das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle BAFA zuständig. Hier heißt es, die Angaben der RAG und ihrer Kunden zum Kohlepreis würden auf Basis von „Erfahrungswerten, Quervergleichen und Ermittlungen“ überwacht. Allerdings hat die zuständige BAFA-Abteilung nur sieben Mitarbeiter, die hunderte Vorgänge kontrollieren sollen. Ein Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes sagt dazu: „Es gibt keine effektive Kontrolle. Keiner geht auf die Halden und überprüft die Qualität der Kohle. Wenn RAG und RAG-Kunden Qualitätsabzüge melden, wird das so hingenommen“. Auch die Überprüfung der für die Subventionen entscheidenden Produktionskosten ist mangelhaft, kritisieren Mitarbeiter des Bundesrechnungshofes. So beauftragt das BAFA zwar externe Gutachter mit der Überprüfung der von der RAG angegebenen Kosten. Allerdings werden diese Gutachten nicht vom BAFA, sondern von der RAG selbst bezahlt. Die Beurteilten bezahlen also ihre Beurteilung.

RAG schafft die Fakten

Eine öffentliche Kontrolle findet kaum statt. Die Gutachten sind, wie hunderte andere Unterlagen in Sachen Steinkohle, geheim. Weder Journalisten, noch die für die Subventions-Kontrolle verantwortlichen Politiker können Original-Prüfgutachten über die entscheidenden Produktionskosten offen einsehen. Dabei gibt es Auffälligkeiten, die kontrolliert werden müssten: In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass die Produktionskosten der RAG immer dann steigen, wenn der Drittlandskohlepreis steigt, und sinken, wen die Preise im Ausland runter gehen. Sorgt die RAG so dafür, dass die Subventionen auch in wirtschaftlich guten Jahren möglichst voll ausgeschöpft werden? Die parallele Entwicklung jedenfalls verhindert eine Kürzung der Subventionen. Zur Überprüfung der Preise durch Gutachter sagt ein Mitarbeiter des Bundesrechnungshof: „Da können Sie hunderte Gutachter schicken. Die finden nichts. Die RAG hat die Zahlen und schafft damit Fakten.“

RAG-Posten für Politiker

Manuel Frondel, Energieexperte beim RWI, fordert aufgrund der undurchsichtigen Subventionspraxis, eine Änderung im System. „Es wäre so einfach: Die RAG müsste einen fixen Betrag bekommen und wäre dann selbst daran interessiert, ihre Kosten unter Kontrolle zu halten, um mit dem Geld auszukommen.“ Doch solche Vorschläge bleiben ungehört. Zu eng ist die Politik mit der Kohlewirtschaft verwoben. Dutzende Bundes-, Landes- und Lokalpolitiker standen oder stehen auf den Gehaltslisten der Kohlefirma. Im Kuratorium der RAG-Stiftung sitzt der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis. Selbst die SPD hat noch einen Job. Joachim Poss, zuletzt finanzpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, sitzt im Aufsichtsrat der Zechengesellschaft RAG – Deutsche Steinkohle.Die Folgen sind erheblich. Die RAG meldet ihren Subventionsbedarf an, die Finanzministerien in Bund und Land stellen die Zahlen in die Haushalte ein. RWI-Mann Frondel berichtet, dass der Staat in der Vergangenheit oft darauf verzichtet habe, zu viel gezahlte Subventionen von der RAG zurück zu holen. „Da geht es um Milliarden.“

Weitere 21 Milliarden bis 2018

Nun haben Bundestag und NRW-Landtag beschlossen, noch einmal bis zu 21 Mrd. Euro in den Bergbau zu stecken, bis das Kohlekratzen 2018 aufhören soll. Und wieder ist nicht klar, ob die Summe korrekt ist. Wieder stammen die Annahmen allein von der RAG. So heißt es in einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, 13 Mrd. Euro müssten für den Ausstieg aus dem Kohlebergbau gezahlt werden, es geht um Kosten für Bergschäden, Pensionsverpflichtungen und die Wasserhaltung, damit das Revier nicht absäuft. Der Bundesrechnungshof hat bemängelt, dass die Angaben und Planungen der RAG nicht kritisch durchleuchtet wurden. „Plausabilisierungen, Prüfungen oder technische Einschätzungen sind auftragsgemäß nicht durchgeführt worden“. Der Bundesrechnungshof drängte im Herbst 2007 auf Nachverhandlungen, doch der Bund „hat einer Gewährleistung über eine Schadenssumme zugestimmt, deren Höhe nicht einschätzbar ist“. Wer trägt das Risiko? Die ehemaligen RAG-Eigentümerkunden haben mit Stilllegungskosten nichts mehr zu tun. Vor zwei Jahren haben Thyssen-Krupp-Steel, EON, RWE und Arcelor Mittal ihre Anteile für einen Euro an die RAG-Stiftung übertragen, die den Bergbau nun bis 2018 abwickeln soll. Damit haben sich die Konzerne der Verantwortung für Folgeschäden entledigt, ihrer vertraglichen Vorteile freilich nicht. Noch immer bezieht RWE Kohle mit Rabatten aus dem Bergwerk Ibbenbüren. Angeblich weil die dortige Anthrazitkohle „schlechte Brennwerte“ im nahe gelegenen Kohlekraftwerk habe. E.on kauft das Kokereigas auf. Und die Stahlfirmen bekommen den Koks aus der Kokerei Prosper zu günstigen Tarifen.

Professoren unterstützen Studentenproteste

Ein Professor verbrennt ein Bachelorzeugnis. Eine bessere Unterstützung hätten sich die Studenten der Ruhruniversitäten für ihren großen Protesttag gar nicht wünschen können. Am Dienstag wollen sie mit einer Großdemonstration in Düsseldorf eine neue Protestwelle starten. Und während die Studenten auf die Straße gehen, machen auch die Professoren an den Universitäten des Ruhrgebiets massiv Front gegen die Bachelor- und Masterstudiengänge. Vorreiter: Die Dekane der TU Dortmund. Acht von insgesamt 16 fordern die Rückkehr zum Diplom in ausgewählten Studiengängen – und stoßen bei NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) auf taube Ohren.

Der Initiator des Professorenprotestes ist Walter Krämer: „Bachelor und Master sind Micky-Maus-Abschlüsse, gesichtslos und nicht zu unterscheiden“, sagt der Professor, der zur Unterstützung seiner Argumente auch mal ein Bachelorzeugnis verbrennt. Krämer ist Dekan der Fakultät Statistik an der TU Dortmund. Ihn stört vor allem, dass die Studenten in Raster und Muster eingezwängt werden. „Diese Zwangsbeglückung geht mir gegen den Strich.“ Auch an den Universitäten Bochum und Duisburg-Essen ist der Protest groß: Viele Professoren klagen über die komprimierten Studiengänge, unnötige Einschränkungen und mangelnde akademische Qualität. Die Dekane der TU Dortmund haben nun eine konkrete Forderung an NRW-Wissenschaftsminister Pinkwart gestellt: Parallel zum Bachelor und Master soll das Diplom wieder eingeführt werden – mit den alten Diplomstudienordnungen, die noch in der Schublade liegen. Studenten der teilnehmenden Fachbereiche könnten sich dann aussuchen, ob sie auf Bachelor/Master oder Diplom studieren möchten. Der entsprechende Beschluss ist im Mai an der TU Dortmund verabschiedet worden.

Initiator Krämer ist sich sicher, dass die Rückkehr zum Diplom etwa im seinem Fachbereich Statistik mit geringem Verwaltungsaufwand möglich ist: „Wir sind da sehr flexibel, wir könnten schon zum nächsten Semester loslegen.“ Er macht sich sogar dafür stark, dass auch Bachelor Studierende in den Diplomstudiengang wechseln können: „Wir haben da schon Vorkehrungen getroffen. Das könnten wir in zwei Wochen regeln.“

Bochumer Professor fordert Diplom als Regelabschluss
Der Bochumer Professor Wim Kösters fordert sogar, dass das Diplom wieder Regel-Abschluss werden soll: „Wer früher ausscheiden will, soll den BA erhalten – so kommt jeder zu seinem Recht“.  Kösters, der zum Vorstand des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) gehört und damit viele Kontakte zu Unternehmen hat, kritisiert vor allem die Verschulung des Bachelors. Sie führe dazu, dass die Studenten Scheuklappen aufgesetzt bekommen: „Ich sage den Firmen immer: Ihr werdet euch noch wundern, was für Produkte  auf euch zukommen.“ Das Diplom dagegen biete die Möglichkeit, „die Persönlichkeit reifen zu lassen, außerhalb des Studiums Engagement an den Tag zu legen und dadurch die für den Beruf wichtige Selbstständigkeit zu erwerben.“

„Mit dem Bachelor direkt Hartz IV beantragen“
Bei vielen Studenten kommt die Initiative der Professoren gut an. Felix Bremer, Mitglied des Asta-Referates Hochschul- und Bildungspolitik an der Ruhr-Universität Bochum, hält den Vorstoß der Dortmunder Dekane für eine „super Idee“. Auch der Asta der Universität Duisburg-Essen begrüßt die Initiative der Professoren: „Wir würden uns über ein ‚Zurück in die Zukunft‘ freuen, sofern dieser Schritt fachintern und im Einzelfall geprüft wird“, sagt Daniel Lucas, Referent für Hochschulpolitik. Patrick Hinze von der Duisburg-Essener Fachschaft für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, warnt: „In der SoWi kann man mit dem Bachelorabschluss direkt Hartz-IV beantragen, ohne Master geht eh nix.“
Um jeden Preis zurück zum Diplom wollen aber nicht alle. Andreas Czylwik, Abteilungsdekan für die Elektro- und Informationstechnik an der Universität Duisburg-Essen, steht dem Bachelor zwar kritisch gegenüber: „Wir hätten das Diplom bei uns nie abschaffen sollen.“ Aber: Das Diplom parallel zum Bachelor wieder einzuführen, stifte „zu viel Verwirrung“. Denn: „Dann müsste man ja einen neuen Stundenplan erstellen und sich ein neues Konzept für die Vergabe der Creditpoints überlegen.

Pinkwart weist Forderung zurück

Die Chancen für ein Zurück zum Diplom sind offenbar gering. NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart erteilt den Plänen der Dekane eine Absage: „Die Landeswissenschaftskonferenz der Rektorinnen und Rektoren der nordrhein-westfälischen Universitäten hat erst kürzlich einmütig festgestellt,  dass wir beim Bologna-Prozess auf einen sehr guten Weg sind.“ Ohne das NRW-Hochschulgesetz zu ändern, sei es ohnehin nicht möglich, Diplomstudiengänge wiedereinzuführen. Und eine Gesetzesänderung sei ausgeschlossen, heißt es offiziell aus Pinkwarts Ministerium: „Für eine Wiedereinführung der Diplom- und Magisterstudiengänge gibt es keine Veranlassung; sie widerspräche auch der hochschulpolitischen Verpflichtung, die Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Bologna-Prozesses eingegangen ist. Die Einführung von Bachelor und Master ist eine in der Kultusministerkonferenz sorgfältig erörterte Reform, die von allen Bundesländern getragen wird.“

Einschreibung für Diplom noch möglich
Von allen Bundesländern? Knackpunkt ist das so genannte Immatrikulationsverbot, das es Studenten untersagt, sich neu in einen Diplomstudiengang einzuschreiben. In NRW steht dieses Verbot im Hochschulgesetz, in anderen Bundesländern hingegen nicht. In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch nicht einmal verbindliche Vorgaben, bis wann der Bachelor  als einziger Studiengang eingeführt worden sein muss. Im Bayerischen Hochschulgesetz heißt es nur, dass „die Aufnahme des Studiums in Bachelorstudiengängen ab dem WS 2009/2010 die Regel sein soll“. Solange sich die Gesetzeslage in NRW nicht ändert, sieht sich die Dortmunder Rektorin Ursula Gather jedenfalls machtlos. An die Adresse ihrer Dekane sagt sie: „Natürlich bleibt es jedem unbenommen, sich an die Politik, an die Parteien zu wenden“. Und auch der Initiator des Protests, Walter Krämer, hofft auf Mai 2010, wenn in NRW Wahlen anstehen. „Es ist alles eine Frage der nächsten Landtagswahl“, sagt er. „Wenn danach ein Mutiger sagt: Wir machen das mal anders und der Rest der Welt sieht, das ist ein Erfolg, dann machen‘s die anderen nach.“

Mehr zum Protest der Professoren ist auch in der aktuellen Ausgabe des Studierendenmagazins pflichtlektüre nachzulesen, oder  auch online.

Foto: D.G.

 

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Das Buch, das nicht erscheinen sollte.

Heute erscheint der umstrittene Kriminalroman der Bochumer Autorin Gabriele Brinkmann. Der Düsseldorfer Droste-Verlag hatte sich geweigert das Buch zu drucken, weil es islamfeindlich sei und die Verlagsmitarbeiter und ihre Familien gefährde. Mit dem Leda-Verlag aus Niedersachen hat sich nun aber doch jemand gefunden, der in den letzten Tagen das Buch gedruckt und am Freitag öffentlichkeitswirksam auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt hat.

Gabriele Brinkmann und der Droste-Verlag. Das war bisher eine Erfolgspartnerschaft. Erst im September erschien ihr Roman "Für kein Geld der Welt". Außerdem hat Droste Brinkmann als Teil des Autorenduos Minck & Minck unter Vertrag, das mit den skurrilen Maggie-Abendroth-Ruhrpottkrimis hohe Auflagen erzielt.

Im August vergangenen Jahres hat Droste mit Brinkmann den Vertrag über einen neuen Kriminalroman geschlossen. Damals war schon klar, dass es um das Thema Ehrenmord gehen würde. Im August dieses Jahres sollte das Buch dann in Druck gehen, doch Verlagsleiter Felix Droste nahm den Roman aus dem Programm. Brinkmann hatte sich nach heftigem Streit geweigert folgende Textpassagen zu ändern. "Die stehen vor dir und heulen und lügen das Blaue vom Himmel herunter – und haben zehn Minuten vorher ihre Frau abgestochen, weil der Prophet es so wollte." oder "Schiebt euch euren Koran doch …". Droste befürchtete ähnliche Reaktionen wie bei den Mohammed-Karikaturen. In einem TAZ-Interview berichtet er sogar von Morddrohungen, die er erhalten habe. Brinkmann kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Wir haben in Deutschland eine Demokratie, künstlerische Freiheit und Meinungsfreiheit", sagte sie im Gespräch mit mir. "Wenn eine Figur im Roman islamfeindlich ist, dann muss ich das auch so schreiben". Brinkmann sagt übrigens, sie habe bisher – abgesehen von Herrn Droste – keine negativen Rückmeldungen auf ihr Buch bekommen. Auch Meldungen, die Polizei stehe bei ihr vor der Tür um sie zu schützen, stimmen nicht.

Was bleibt ist viel Aufregung um ein Buch, das es zumindest deutschlandweit in die Medien geschafft hat. Den Verdacht, sie habe das alles als clevere PR-Kampagne eingefädelt, weist Brinkmann von sich: "Manche meinen ich hätte das mit irgendwelchen dunkeln Hintermännern eingefädelt. Das ist Blödsinn"

Und was auch bleibt ist folgende Frage, die sich die Bochumer Autorin stellt: "Man muss sich doch fragen, in welcher Gesellschaft wir leben, dass Herr Droste sich gezwungen sieht, ein solches Buch nicht zu veröffentlichen, weil er Angst hat".

Millionenverschwendung im Ruhrgebiet

Der Bund der Steuerzahler hat das neue Schwarzbuch veröffentlicht. Darin führt er die schlimmsten Fälle von Steuerverschwendungen in Deutschland auf. Unter die 128 Beispiele hat es auch das Ruhrgebiet geschafft. Die Steuerexperten kritisieren das geplante Fußballmuseum in Dortmund, für das vor allem die Stadt Dortmund und das Land blechen müssen, während sich der DFB gegen Verluste abgesichert hat. Außerdem gibt es Kritik für ein Projekt zum Kulturhauptstadtjahr 2010. Der geplante Umbau der A 42 zur Parkautobahn ist laut Bund der Steuerzahler ein Beispiel für einen sorglosen Umgang mit 40 Millionen Euro Steuern.

30 Millionen Euro soll das Fußballmuseum in Dortmund allein an Baukosten verschlingen. Davon trägt das Land 18,5 Millionen Euro. Der DFB zahlt den Rest. Der Bund der Steuerzahler kritisiert in seinem Bericht aber vor allem die Rolle der Stadt Dortmund. Sie hat nicht nur das Gelände, dessen Wert angeblich bei der Stadt nicht bekannt ist, kostenlos zur Verfügung gestellt, sondern sich auch bereit erklärt für eventuelle Verluste des Museums aufzukommen. Der DFB hat dagegen, laut Schwarzbuch, seinen Anteil an den Verlusten auf eine bestimmte Summe beschränkt.
Kopfschütteln verursacht beim Bund der Steuerzahler auch die geplante Verschönerung der A 42. Die Autobahn soll zur Parkautobahn werden und den Blick auf die Sehenswürdigkeiten des Reviers zwischen Dortmund und Oberhausen freigeben. 40 Millionen Euro kostet das Projekt, das mit dem Fällen der Bäume entlang der Autobahn schon seinen Anfang genommen hat. 2010 soll A 42 dann eine Parkautobahn sein, bei der die Autobahnkreuze Ohrenparks heißen und parkähnlich bepflanzt sind. Eine unnötige Verschwendung von Steuergeldern, meint der Bund der Steuerzahler und hofft, dass diese Verschwendung noch gestoppt wird.
Grund zur Hoffnung bietet die Stadt Essen, die angekündigt hat aus den Planungen für die Parkautobahn auszusteigen und den Ohrenpark in Essen-Nord nicht finanzieren zu wollen.

 

Mitten in Bochum: Das „Deutsche Reich“

Fast 2000 Straßen gibt es in Bochum, darunter eine die besonders auffällt: Die Straße „Deutsches Reich“ im Stadtteil Werne. Die Anwohner sind mit ihrer Adresse äußerst unglücklich und wünschen sich eine Umbenennung. Das lehnen Stadt und Politik ab, unter anderem mit der Begründung, man wolle den Anwohnern Aufwand und Kosten einer Adressänderung ersparen.

Es ist ein grauer, regnerischer Nachmittag. Ich habe mich auf den Weg nach Werne gemacht, um mir die Straße „Deutsches Reich“ anzugucken und mit Anwohnern über ihre ungewöhnliche Adresse zu sprechen. Vor einem Haus weht eine Deutschlandflagge, wie als Bestätigung dafür, dass ich hier richtig bin – vielleicht aber auch ein Zeichen des Trotzes, oder der Ironie. Der Anwohner ist nicht zu Hause, aber ein paar Häuser weiter öffnet man mir die Tür und erzählt gerne über die Straße Deutsches Reich: „Wir sind unglücklich mit diesem Straßennamen, waren aber damals froh, die Wohnung hier bekommen zu haben“, erzählt die Anwohnerin, die nicht namentlich genannt werden möchte. „Es ist sehr unangenehm. Überall wo man hinkommt und seine Adresse angeben muss, wird man gefragt: Wo wohnen Sie? Stimmt das? Gibt es so was wirklich?“

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?Dieser Wahnsinn muss gestoppt werden?

Die Opelaner im Revier wünschen sich nur eins: Endlich Ruhe und Sicherheit, eine Perspektive wie es mit Opel, dem Bochumer Werk und ihren Jobs weitergeht. Der monatelange Kampf zerrt an den Nerven und der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel fordert „für die Menschen und die Region Ruhe, damit dieser Wahnsinn der momentan stattfindet gestoppt werden kann“.

Am Dienstag wollen der Automobilzulieferer Magna und die Opel-Mutter General Motors den Vorvertrag zur Übernahme von Opel unterzeichnen. Kommt es wirklich dazu und verpufft diese Ankündigung nicht so wie schon viele zuvor, ist die Zukunft von Opel trotzdem noch nicht gesichert. 

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