Die Wüste lebt – Kunst Peripherie in Gelsenkirchen

Es ist kalt in Gelsenkirchen und es tropft in der alten Werkstoffhalle durch die Decke. 12 Künstler hauchen dem maroden Gebäude an diesem besonders kühlen Wochenende neues Leben ein. So beginnt die die Geschichte der Kunst Peripherie Ruhrstadt Ende letzten Jahres.

„Das Ziel dieser Kunst- und Kulturevents ist es bildenden Künstlern des Ruhrgebiets und speziell Gelsenkirchens auch unabhängig der offiziellen Veranstaltungen der Kulturhauptstadt RUHR 2010 eine Plattform zu geben“, heißt es noch etwas spröde auf der Internetseite. Die veranstalteten Events sind alles andere als unterkühlt oder gar steif.

Am kommenden Wochenende startet das bisher größte und vierte Projekt der KPR. Nachdem bisher die Veranstaltungen per Guerillataktik in leerstehenden Gebäuden stattfanden, gibt es jetzt eine ganz offizielle Einladung durch die Stadt Gelsenkirchen. Das Kunstprojekt ist zur City-Offensive NRW „Ab in die Mitte“ eingeladen worden und wird an zwei Wochenenden und den Tagen dazwischen die Räume des ehemaligen Quellehauses im Gelsenkirchener Bahnhofscenter beleben. Die 15 Künstler präsentieren vom 3. bis zum 11. Juli eine Vielzahl verschiedener Werke und entwickeln vor Ort neue Objekte, die am letzten Tag der Veranstaltungswoche bewundert werden können. Zu dem offiziellen Ritterschlag hat wohl beigetragen, dass sich die Künstlerin Claudia Lüke nicht nur bei der „Kultur-Guerilla“ engagiert, sondern manchmal ganz offiziell für die Stadt Gelsenkirchen arbeitet. Die KPR ist ein Projekt des Kulturvereins Rosamunde und wurde von Daniel Schulz, David Kumpernas und Cem Özdemir ins Leben gerufen.

Die Internetoper schiebt eine Extraschicht

Das Musiktheater im Revier verlagert seine Aktivitäten immer stärker in die virtuelle Welt des Internets. Schon seit Anfang des Jahres steht die Internetoper „Die Affäre Manon“ auf dem Spielplan. Im Rahmen der Extraschicht geht man jetzt zu einem „multimedialen Happening“ in das Straßenbahndepot Engelsburg an der Essener Straße in Bochum. Die Besucher ihre Extraschicht sollen Eindrücke und Kommentare zur „längsten Nacht im Revier“ per Mobilfunk in das Depot schicken. Dort warten Videokünstler der Bauhausmaschine Weimar und verwandeln das eingehende Material in eine Foto-Videocollage, die in Echtzeit auf eine Leinwand im Straßenbahndepot übertragen wird.

Der Videokünstler Andreas Etter dreht an diesem Abend das Video „Spektakel im Depot“, das anschließend unter www.internetoper.de zu sehen ist. Bis jetzt ist man mit der Beteiligung an der virtuellen Oper ganz zufrieden, wenn auch die Zahl der eingestellten Beiträge noch überschaubar ist. „Wir haben schon damit gerechnet, dass es eine Zeit dauert bis Folgen geliefert werden“, sagt die Chefdramaturgin Anna Melcher. „Es müssen meist noch viele persönliche Informationen gegeben werden, um die Hemmschwelle beim Mitmachen aufzulösen. Wir haben jetzt auch einen Produktionsleiter, der sich direkt vor Ort darum kümmert. Es gibt auf jeden Fall viel mehr Anfragen und die Nachfrage steigt stetig“.

Erzählt wird die Liebesgeschichte „Affäre Manon“ zwischen der luxusliebenden Manon Lescaut und dem armen Studenten Armand. Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ aus dem Jahr 1893 und Hans Werner Henzes Drama „Boulevard Solitude“ von 1952 bilden die künstlerische Grundlage. Mit Hilfe der Romanvorlage von Abbé Prévost wurden die Opern zu einer fortlaufenden Geschichte verknüpft und in 50 kurze Episoden aufgeteilt. Es lassen sich einzelne Episoden auswählen und die Idee soll dann in einem selbstgedrehten Video verwirklicht werden. Das wird dann hochgeladen und so zu einem Bestandteil der Internetoper. Sänger des Musiktheaters im Revier und die Neue Philharmonie Westfalen haben die Musik dazu aufgenommen. Die Hemmschwelle vor der vermeintlichen Hochkultur ist allerdings auch im Internet bisher sehr groß. Kooperationen mit Schulen können das vielleicht ändern. So nutzte das Schalker Gymnasium in Gelsenkirchen das Format um gegen die Schließungspläne der Politik zu protestieren. Die unter Leitung von Regisseurin Michaela Dicu entstandene Folge der Internetoper handelt von der Schließung des Gymnasiums. Die Schüler stehen vor dem verschlossenen Tor, brechen es auf und übernehmen die Schule. „Wir würden die Plattform gerne behalten und weitere Projekte starten“ erklärt Anna Melcher. „Für die Oper haben wir die Nutzungsrechte für ein Jahr. Es ist natürlich eine Utopie zu glauben, dass jetzt unglaublich viele jungen Menschen in unserer Opernsäle strömen“. Zumindest kann man das Musiktheater präsentieren und die Arbeit vorstellen.

19. Juni 2010
Straßenbahndepot Engelsburg
Essener Straße 125
Bochum
Mobilnummer für Extraschicht: 0178-4700584

Singen oder singen lassen

Im Normalfall singe ich manchmal bei Kindergeburtstagen und das meist recht leise. Ansonsten erhebe ich meine Stimme alle 14 Tage für „Blau und weiß, wie lieb ich dich“ und die erste Strophe des Steigerlieds im Stadion. Demnach bin ich der ideale Kandidat für den „Day of Song“. Nachdem meine Frau begeistert von der gelungen Eröffnungsveranstaltung im Musiktheater im Revier zurückkehrte, haben wir uns am Samstag kurzfristig zum Gang in die Arena auf Schalke entschlossen, wo das musikalische Finale auf dem Plan stand.

Das weite Rund war mit 56 000 mehr oder weniger Gleichgesinnten gut gefüllt, aber viele Plätze blieben dennoch leer. Eine Stunde vor Beginn begann das Einsingen mit Anleitung und das machte den Besuchern schon hörbar Spaß. Das Programm begann mit „Gück Auf“ und „Let it be“ auch ganz mitsingfreundlich. Ich ließ mich von der guten Stimmung anstecken und folgte mit gemäßigter Lautstärke den Textzeilen im SING-Songbook. Die erste Freude hielt allerdings nicht lange an, denn der Schwierigkeitsgrad stieg beständig an. Zwar wollte ich immer schon den Gefangenchor von Nabucco singen und auch Habanera aus Carmen steht bereits lange auf meiner Liste, aber das überstieg meine zugebenermaßen recht bescheidenen Fähigkeiten recht deutlich. Allerdings traf das auf die meisten anderen willigen Sänger im Block 11 ebenfalls zu, denn es wurde recht still um mich herum. Die Opernsängerin Vesselina Kasarova füllte das Vakuum dann gewohnt stimmgewaltig aus.

So wurde das Programm immer mehr von den Profis bestimmt und kaum von den Amateuren. Schließlich konnten nur noch die trainierten Chöre im Innenraum halbwegs mithalten. Am Ende war es dann mehr eine professionelle Leistungsshow und weniger ein Mitmach-Event. Mit den Wise Guys und dem ChorWerk Ruhr kamen allerdings noch zwei unerwartete Highlights. Bereits im Vorfeld gab es in Gelsenkirchen Ärger mit einigen Chören, die am geplanten Programm nicht mehr teilnehmen wollten. Die Lokalredaktion der WAZ berichtete zwar darüber, aber man verzichtete auf weitere Recherche und die Gründe blieben unklar. Die Begeisterung der Zuschauer war dennoch bis zum Ende ungebrochen, aber die Moderatoren konnten sich nicht mal zu einer Zugabe aufraffen.
Die gab es dann wenigstens auf dem Heimweg in der Straßenbahnlinie 302 mit allen vier Strophen des Steigerlieds. Immerhin weiß ich jetzt wie es ausgeht: „Wir Bergleute sein kreuzbrave Leut. Denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht. Und saufen Schnaps.“ Mehr ist nicht zu sagen und ich finde, wir sollten jetzt auch im Stadion alle vier Strophen singen.

Glück auf!

Mohnstrietzel und Mutantentaschen

Mitten in der Neustadt im Gelsenkirchener Süden liegt die Backstube von Ägidius Krause – hier wird seit über 100 Jahren nicht nur Brot gebacken. Berühmtheit über die Stadtgrenzen hinaus haben die Apfeltaschen des 66jährigen erlangt, die von den zufriedenen Kunden auch schon mal als „Mutantentaschen“ oder „Apfelkoffer“ bezeichnet werden. Die Teilchen sind nicht nur besonders groß, sondern sie schmecken auch besonders gut.

Wer das Ladenlokal an der Ecke Wiehagen/Mühlenbruchstraße betritt, fühlt sich in einen Tante-Emma-Laden der 50er Jahre zurückversetzt. Die Ladeneinrichtung entstammt nämlich dieser Zeit. An der Wand hängen die Meisterbriefe der Mitglieder des Familienbetriebs, der älteste stammt aus dem 19. Jahrhundert. Bereits am frühen Morgen ist hier schon viel los: Jugendliche einer nahegelegenen Ausbildungseinrichtung holen sich ihr Frühstück, ältere Stammkunden warten auf das frisch gebackene Brot, und Pendler kaufen Teilchen für die Pause, um im Büro mit den Riesen-Apfeltaschen für Aufsehen zu sorgen.

Das eigentliche Geheimnis findet sich allerdings in den hinteren Räumen des Hauses. Hier steht der Steinofen der Firma Mohr von 1938, der heute noch im Einsatz ist. „90 Brote werden hier in der Woche gemacht – vor ein paar Jahren waren es noch 270“, sagt der 66jährige. „Morgens beginnen wir mit 12 Sorten Hefegebäck, dann kommen Weizenmischbrot, Stuten, Schweineohren und am Ende das Feingebäck.“ Seit etwa 1 Uhr nachts steht Ägidius Krause in der Backstube, und erst gegen 9 Uhr morgens ist Feierabend. Nach einem kleinen Schläfchen geht die Arbeit am Nachmittag dann im Verkaufsraum weiter. Viele Jahre lang hat der Bäcker alleine gearbeitet, seit einiger Zeit hat er Mitarbeiter für die Backstube und den Verkauf.

Die Bäckerei Krause gibt es seit 1897 in der Neustadt, sie wurde damals vom Großvater des heutigen Inhabers gegründet. Ganz am Anfang stand hier noch ein sogenannter Königswinterofen, der direkt mit Kohle beheizt wurde. Inzwischen sorgt eine Öl-Anlage für die entsprechende Energie. „Ich kann nur hoffen, dass der Ofen noch eine Zeitlang durchhält und nichts kaputt geht“, wünscht sich Ägidius Krause. „Wahrscheinlich gibt es heute keine Ofenbauer mehr, die so etwas reparieren können.“

Eine lange Zukunft hat die Bäckerei in der Neustadt wohl nicht, denn die beiden Söhne haben kein Interesse daran, die Tradition fortzusetzen. „Ich habe dann mit meiner Frau beschlossen, weiterzumachen, bis wir aufhören und auf Modernisierungen zu verzichten“, erklärt Ägidius Krause. So hat sich der Charme des Ladenlokals bis heute erhalten – und die handgemachte Qualität hat sich herumgesprochen. Seine Kunden stammen nicht nur aus der Neustadt und nicht nur aus Gelsenkirchen. Und wenn am Ende des Tages etwas übrig bleibt, dann bekommt die Gelsenkirchener Tafel die Backwaren. In der Neuzeit ist die Bäckerei inzwischen dennoch angekommen: Auf der Internetseite der Gelsenkirchener Geschichten diskutieren die Forumsteilnehmer angeregt über die geschmacklichen Vorzüge von Mohnstrietzel und Streuselplätzchen mit Puddingfüllung.

Fotos von Andreas Weiss

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Bauausstellung 2.0 und der Wahlkampf

Blühende Landschaften an der Emscher versprach Ministerpräsident Jürgen Rüttgers Mitte April dem Wahlvolk. Das sollte zwar nicht sofort geschehen, aber mit einer Neuauflage der Internationalen Bauausstellung will der Landesvater neue Maßstäbe setzen. „Wir wollen ein grünes Band von Dortmund bis Duisburg schaffen, das weit über die reine Renaturierung der Emscher hinausgeht“, erklärte er vor geladenem Publikum beim Politischen Forum in Essen.

IBA II soll das Projekt heißen, aber weitere Erläuterungen blieb Rüttgers bislang schuldig. Etwas mehr Aufklärung verspricht ein Positionspapier aus der Staatskanzlei in Düsseldorf. Da wird das Emschertal bis 2020 zum Herzstück der Metropole Ruhr aufgewertet und die Botschaft spart nicht mit starken Worten: „Es verbindet Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Kunst und Umweltschutz zu einem europaweit einzigartigen Modellprojekt für mehr Lebensqualität, mehr Kreativität und sozialen Zusammenhalt in der umweltfreundlichen Industrieregion der Zukunft“. Natürlich fehlt nicht der allgegenwärtige Hinweis auf Neuauflage „eines Programms für Kreativquartiere, die im neuen Emschertal konzentriert werden“. Das kreative Element ist mittlerweile eine politische Allzweckwaffe, wenn man sich besonders modern und innovativ geben will. Die Realität der Kreativen an der Ruhr sieht leider anders aus und die Arbeitsbedingungen sind weiterhin schwierig. Dazu tragen die öffentlichen und kommunalen Institutionen bei, die Aufträge lieber an vermeintlich hippe Agenturen aus Düsseldorf oder Köln vergeben.

Es steht nicht die Umnutzung alter Industriegebäude auf der Agenda der Landesregierung, sondern die Entwicklung einer „Zukunftswerkstatt“. So sollen „innovative und zukunftsfähige“ Konzepte des Städtebaus entstehen. Dazu will Jürgen Rüttgers „die besten internationalen Architekten, Städteplaner und Denker wie Richard Senett, Saskia Sassen, John Howkins, Charles Landry, Richard Florida, Martin Heller, aber auch Künstler wie Ai Wei Wei oder Olafur Eliasson“ an die Emscher einladen. Man möchte sich die IBA II etwa 200 Millionen Euro kosten lassen. Woher das Geld kommen soll, ist dabei genauso unklar, wie die mögliche Beteiligung der klammen Kommunen an der Emscher. Das Projekt soll nicht zu Lasten der bereits geplanten Investitionen von rund 2,8 Milliarden Euro im Bereich des Emscherumbaus oder der Stadtentwicklung gehen. Allerdings ist die CDU seit Regierungsantritt bemüht das Förderprogramm „Soziale Stadt“ einzuschränken, womit in vielen Stadtteilen im Ruhrgebiet seit Jahren erfolgreich Stadtentwicklung betrieben wird.

Die rot-grüne Opposition im Landtag hat die wenigen Informationen zur IBA II bisher vor allem aus der WAZ erhalten und das überrascht nicht wirklich. Allerdings sind die Christdemokraten im Lande auch nicht besser dran. „Die CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag unterstützt grundsätzlich die Vorschläge, die ihr Landesvorsitzender und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers macht“, erklärt Achim Hermes, Pressesprecher der Landtagsfraktion. „Der Vorschlag zur Internationalen Bauausstellung ist in der Fraktion noch nicht vorgestellt und erörtert worden“. Das will man nach der Wahl nachholen, wobei die politischen Konstellationen dann ganz andere sein dürften.

Es gibt eine Reihe von Fragen zu diskutieren und die Finanzen sind es nicht alleine. Zur Umsetzung einer „neuen IBA“ wird über die mögliche Gründung einer neuen Landesgesellschaft spekuliert. Die dürfte neben den bereits etablierten Institutionen wie der Emschergenossenschaft oder dem RVR ihre Geschäfte vorantreiben. Das würde bei den bereits chaotischen Strukturen im Ruhrgebiet keinen Sinn machen und den administrativen Überbau weiter aufblähen. Stefan Laurin hat in seinem Beitrag über den Ruhrplan des Büros Albert Speer die Vorschläge von Jürgen Rüttgers als heiße Luft bezeichnet und damit dürfte er sehr nah an der Wahrheit liegen. Die IBA II ist nicht mehr als ein glückloser Versuch im Wahlkampf ein paar Punkte zu machen.

Die WAZ-Gruppe setzt auf „Bürgerreporter“

Mit ihren Anzeigenblätter will die WAZ Mediengruppe die Bürger als Reporter für ihre eigenes Online-Angebot gewinnen. Zum Startschuss von Lokalkompass.de sind die Städte Wesel, Xanten, Menden und Fröndenberg dabei. Hinter dem Angebot steckt die Westdeutsche Verlags- und Werbegesellschaft (WVW) mit ihren 61 Titeln.

„Mit Lokalkompass.de festigen unsere Anzeigenblätter ihre Marktposition als Medium mit lokaler und sublokaler Ausrichtung und erschließen zusätzlich neue Leser- und Umsatzpotentiale“, sagt WVW-Geschäftsführer Haldun Tuncay. „Die lokale Online-Community ist ein ideales Modell, unsere Kundenbeziehungen auszubauen und noch näher bei unseren Leserinnen und Lesern zu sein.“ In Wesel berichten die Reporter über die Jahrestagung der DLRG, die neue Fassade des Rathauses und stellen die Landtagskandidaten vor. In Fröndenberg haben sich bisher erst 24 Bürger als Reporter eingetragen und in Xanten sind es immerhin schon 89. Die Redakteure der etablierten Anzeigenblatttitel sollen als Moderatoren die lokalen Communities betreuen und Tipps zum Schreiben von Beiträgen liefern. Mit dem Angebot möchte man neue Leser gewinnen und sich jüngere Zielgruppen erschließen. Ein gewünschter Nebeneffekt ist die Nutzung kostengünstiger Inhalte. Die meistgelesene Themen und besondere Beiträge werden in der Printausgabe der jeweiligen Region abgedruckt. Die journalistische Qualität steht bei den Anzeigenblättern ohnehin nicht im Vordergrund, da es hier um Marktabdeckung und Werbekunden geht.

Die WVW und die Ostruhr-Anzeigenblattgesellschaft (ORA) sind Marktführer in Deutschland und Europa. Nach eigenen Angaben erreichen sie alleine in Nordrhein-Westfalen, mit einer wöchentliche Auflage von über 5 Millionen Exemplaren, „nahezu jeden Haushalt in ihrem Verbreitungsgebiet“. Die WVW gehört seit 1977 zur WAZ Mediengruppe. An der Schwester-Gesellschaft ORA halten sowohl die WAZ wie der Verlag Lensing-Wolff jeweils 50 Prozent. Entstanden ist die Plattform Lokalkompass.de in Zusammenarbeit mit WAZ New Media und der Firma Gogol Medien als technische Dienstleister. Die vier Städte sind nur der Anfang und bis zum Jahresende sollen die übrigen Tittel der WVW folgen.

Kinderbetreuung in NRW und Dalli-Dalli mit Politikern

Seit 2006 setzen alle im Landtag vertretenen Parteien in NRW auf die Offene Ganztagsgrundschule, also die Versorgung und Betreuung der Kinder nach der Schule. Ein Erfolgsmodell ist die Geschichte bisher allerdings nicht geworden. Es wurde bei der Ausstattung gespart, die Erzieher beklagen schlechte Arbeitsbedingungen und die Eltern vermissen die Qualität der Angebote. In Gelsenkirchen fand zu diesem Thema ein Veranstaltung mit Politikern statt. Eingeladen hatten mit Arbeiterwohlfahrt, Caritas und evangelischer Kirche die lokalen Träger der Ganztagsbetreuung. In der Stadt besuchen derzeit 2300 Kinder den offenen Ganztag in den Grundschulen.

Der Saal war gut gefüllt und etwa vierhundert Eltern, Erzieher und Lehrer hatten den Weg zu der Diskussionsveranstaltung gefunden. Nach ein paar Minuten wähnten sich viele Besucher in der falschen Veranstaltung. Ein gut gelaunter Moderator des örtlichen Radiosenders Emscher Lippe erklärte die Regeln für ein Spiel, wo die Zuschauer rote und grüne Karten hochhalten durften. Die übergroßen Buchstaben hinter dem Podium waren nicht die Überreste des Bingos der Frauenhilfe, sondern Teil eines vorher festgelegten Frage- und Antwortspiels. Die Antworten sollten von den anwesenden Landtagsabgeordneten Heike Gebhart (SPD) und Oliver Wittke (CDU) kommen. Dazu kamen mit Christoph Klug (FDP) und Paul Humann (Bündnis 90/Die Grünen) noch zwei Lokalpolitiker. Die wichtigen Männer und die eine Frau durften Buchstaben wählen und dann die vorbereiteten Fragen beantworten. Das Publikum sollte seine Meinung mit der grünen oder roten Karte kundtun. Die Volksvertreter bekamen bei entsprechender Zustimmung kleine Schultüten, die der freundliche Moderator vor sich liegen hatte. Erst am Ende der auf zwei Stunden angelegten Veranstaltung sollten die Anwesenden „auch ein paar Fragen stellen dürfen“. Allerdings führte die „fernsehgerechte“ Präsentation nicht nur beim Autor dieser Zeilen zu Verwunderung und lautstarker Ablehnung. Nach der ersten Quizrunde ließ sich die Choreographie der Veranstaltung nicht länger durchhalten, da die Fragen der Eltern und Erzieher immer drängender wurden.

Das Land NRW verfügte bis vor fünf Jahren mit den Horten eine qualitativ hochwertige Betreuungsmöglichkeit für Kinder im Nachmittagsbereich. Die Einrichtungen hatten ausreichend Fachpersonal, eine eigene Küche, viele Gruppenräume, Freiflächen und flexible Betreuungszeiten. Das hat 2005 auch der christdemokratische Minister Armin Laschet erkannt: „Horte leisten eine wichtige Arbeit in der Bildung, Erziehung und Betreuung der Grundschulkinder. Derzeit kann die Offene Ganztagsgrundschule diese Leistung noch nicht voll ersetzen.“ Man wollte sich in der CDU an dieser Qualität orientieren. Versprochen hat man eine neue Lernkultur, naturwissenschaftliche Erziehung, musische Bildung und hochwertige Angebote. Davon ist man derzeit allerdings weiter entfernt als noch vor fünf Jahren. Selbst so einfache Dinge wie die Hilfe und Betreuung der Hausaufgaben funktionieren wegen Personalmangel nur ungenügend. In den meisten Ganztagsschulen gelingt es nicht mal eine Betreuung bis 17 Uhr zu organisieren, was für berufstätige Eltern durchaus Sinn macht. Die Liste der Probleme ist lang und hier ist natürlich auch mehr Geld notwendig.

Das Land gibt pro Schuljahr für jedes Kind 615 Euro aus und die Kommun müssen einen Eigenanteil von 410 drauflegen. Beim regelmäßigen Besuch des Angebots ergibt das für jedes Kind einen Stundensatz von 1 Euro und das sagt schon sehr viel. Trotz aller Kritik waren die gelb-schwarzen Koalitionäre mit ihrer Politik ganz zufrieden. „Wir haben sehr viele Betreuungsplätze im Land geschaffen und die Nachfrage ist weiterhin groß“, sagte Oliver Wittke. „Natürlich müssen wir noch mehr machen und auch die Qualität verbessern.“ Wie viel Geld die Landesregierung in Zukunft pro Kind ausgeben will, ließ er allerdings genauso offen wie die Frage, wann mit den Qualitätssteigerungen zu rechnen ist. Es wurde auch klar, dass die Landesregierung nicht bereit ist, hier für wirkliche Chancengleichheit zu sorgen. Der Eigenanteil der Städte kann nämlich aufgestockt werden und das vermeintlich „arme“ Gelsenkirchen zahlt schon über 1000 Euro pro Kind. Besser gestellte Kommunen wie Mettmann sind sogar in der Lage 2000 Euro und mehr zu zahlen.

Die Politiker bewegten sich in der Veranstaltung immer mehr in Richtung Wahlkampf und der überforderte Moderator hatte so seine Schwierigkeiten zum Thema des Abends zu finden. Die Mitarbeiter der Ganztagsbetreuung hatten im Vorfeld viele Eltern angesprochen und eingeladen, damit „bei der Politik viele Steine ins Rollen kommen und der Ganztag keine Sparversion bleibt“. Die Hoffnung ist enttäuscht worden und den Veranstaltern sei gesagt, dass eine klassische Diskussionsveranstaltung vielleicht nicht dem Zeitgeist entspricht, aber mit Sicherheit für mehr inhaltliche Auseinandersetzung gesorgt hätte.

Das Musiktheater baut am virtuellen Opernhaus

Das Musiktheater im Revier sucht seinen Weg in die digitale Welt und es sucht auch den Weg zu jungen Zuschauern. Mit dem Experiment „Internetoper“ soll ein Anfang gemacht werden. Damit will man die Dynamik und die Kreativität des Netzes mit der Faszination Oper verbinden. Am Ende könnten dann neue Erzählformen, Interpretationsmöglichkeiten und Bildästhetiken stehen. In der Welt der Theater ist man damit ganz weit vorne, denn so etwas gab es bisher nicht. „Das geht weit über das hinaus was man von einem Opernhaus eigentlich erwartet. Über eine virtuelle Community wird hier ein völlig neues Angebot gemacht“, sagt der Intendant Michael Schulz. „Der Freundeskreis auf Facebook ist bereits groß und wir hoffen auf eine eigene Dynamik im Netz“.

Jeder Mensch ist ein Künstler hieß es schon bei Joseph Beuys. „Bei der Internetoper seid Ihr die Regisseure, Darsteller, Bühnenbildner, Filmkünstler“, heißt es auf www.internetoper.de. Erzählt wird die „Affäre Manon“, die Liebesgeschichte zwischen der jungen, luxusliebenden Manon Lescaut und dem armen Studenten Armand. Die tragische Liebesgeschichte wird aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt: Giacomo Puccinis Oper „Manon Lescaut“ aus dem Jahr 1893 und Hans Werner Henzes Drama „Boulevard Solitude“ von 1952 bilden die Grundlage. Mit Hilfe der Romanvorlage von Abbé Prévost wurden die Opern zu einer fortlaufenden Geschichte verknüpft und in 50 kurze Episoden aufgeteilt. „Wir wollten keinen Film mach, was es zum Beispiel ja schon an anderen Häusern gibt“, sagt die Chefdramaturgin Anna Melcher. „Nicht meckern, sondern machen. Man kann selber mit einfachen Mitteln etwas in Bilder fassen. Es ist ein wirkliches Experiment und es funktioniert nur, wenn viele Menschen mitmachen“.

Es lassen sich einzelne Episoden auswählen und die Idee soll dann in einem selbstgedrehten Video verwirklicht werden. Das wird dann hochgeladen und so zu einem Bestandteil der Internetoper. Sänger des Musiktheaters im Revier und die Neue Philharmonie Westfalen haben die Musik dazu aufgenommen. Die musikalische Untermalung kann aus einer so genannten „ToolBox“ geladen werden. Es gibt zu jeder Episode eine genaue Anleitung zum Mitmachen und eine kurze Beschreibung der Handlung. Der Intendant kann sich gut vorstellen, dass die Folgen mit einem Handy aufgenommen werden: „Es ist auch ausdrücklich erwünscht mit der Musik zu arbeiten und sie neu zusammenzusetzen“. Damit technisch alles einwandfrei läuft, hat man sich die Hilfe der Hochschule für angewandte Wissenschaft aus Hamburg gesichert. Die Studenten haben einen Trailer gedreht und auf die Internetseite des Projekts gestellt.

Die zerstückelte Internetoper wird bei so manchem Opernfreund zumindest für Stirnrunzeln sorgen. Bei dieser Kundschaft steht Tradition, Festhalten am Original und das Liveerlebnis besonders hoch im Kurs. Mit der Internetoper sollen Menschen angesprochen werden, die den Weg in die klassischen Kulturtempel bisher nicht gefunden haben. Sollte die Affäre Manon im Netz ein Erfolg werden, dann könnten solche Projekte in Gelsenkirchen zum festen Bestandteil des Spielplans werden. Viel spannender wäre natürlich, wenn die Community Einfluss auf das Geschehen auf der realen Bühne und die Programmgestaltung hätte. Erst dann könnte man wohl von einem virtuellen Opernhaus sprechen.

www.internetoper.de

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Munscheid war ein Familienbetrieb

Wenn Otto Bartsch an der großen Treppe im Arbeitsgericht an der Bochumer Straße in Gelsenkirchen steht, dann denkt er an sein altes Büro im ersten Stock. Da, wo heute über Streitigkeiten aus dem Berufsalltag entschieden wird, war vor vielen Jahren die Verwaltung des Gussstahlwerkes untergebracht.

„Nach dem Kriege bin ich in der Exportabteilung gelandet. Ich habe schon in der Handelsschule Englisch gelernt und habe dann bei den Amerikanern in der Verwaltung gearbeitet“, erinnert sich der 86jährige. „Dann war ich Auslandskorrespondent im Werk – und daraus ist dann später der Fremdsprachenkorrespondent geworden.“ 42 Jahre hat Otto Bartsch hier gearbeitet. Der Weg zum Industriekaufmann war für ihn nur über Umwege möglich. Nachdem er 1940 sein Lehre anfing, musste er zwei Jahre zum Kriegsdienst und kam erst 1947 aus der Gefangenschaft zurück. Seine Ausbildung konnte er erst ein Jahr später als 25jähriger beenden. Sein Arbeitgeber, das Gussstahlwerk Gelsenkirchen, auch Gelsenguss oder Munscheidwerk genannt, ist genau unter diesen Bezeichnungen noch heute in den Köpfen vieler Ückendorfer bekannt.

Das Werk gehörte über viele Jahre zu den größten Arbeitgebern, nicht nur im Stadtteil, sondern auch in Gelsenkirchen. Im Laufe der Jahrzehnte haben die Eigentümer mehrfach gewechselt und damit auch die Bezeichnungen für Gelsenguss. „Die einen arbeiteten bei Grillo und bei Krupp, wir haben eben bei Munscheid gearbeitet“, erzählt Otto Bartsch. „In den Hochzeiten waren über 2.000 Menschen hier an der Bochumer Straße beschäftigt“. Für die Menschen in Ückendorf war das Werk immer von großer Bedeutung. „Die meisten, die hier gearbeitet haben, kamen aus der unmittelbaren Umgebung und sind zu Fuß zur Arbeit gekommen“, sagt Otto Bartsch. „Wir hatten eine Kantine, und als die abgeschafft wurde, gab es gegenüber eine Gaststätte.“ Dort gingen viele Arbeiter nach der Schicht auch hin, um sich die Kehle anzufeuchten und „einen Deckel zu machen“. Das Werk an der Bochumer Straße bestimmte den Alltag im Stadtteil. Für die Mitarbeiter errichtete das Werk in Ückendorf viele Wohnungen, die von der Rheinelbe Wohnstätten verwaltet wurden.

Der heute nur noch in Resten für Alteingesessene erkennbare Bahnübergang der Rheinelbe-Bahn, die am Cramerweg die Bochumer Straße überquerte, führte oft zu einem Stau von Menschen und Fahrzeugen an dieser handbedienten Schranke. Anfangs waren es die Kohlenwagen der Zeche und Kokerei Rheinelbe, später die tiefliegenden Spezialwagen des Munscheidwerkes mit den wuchtigen Lasten stählerner Ungetüme, die von hier aus ihren weiteren Weg antraten. Unter schützenden Planen verließen Zahnräder, Polräder, Retorten, Walzenständer von ungewöhnlichen, mehrfach mannshohen Ausmaßen das Werk. Drei Siemens-Martin-Öfen und umfangreiche mechanische Werkstätten bildeten mit den Stahlgießereibetrieben das Munscheidwerk. Die Stahlgießerei, produzierte in der Regel keine großen Serien. Es wurde nach Kundenwünschen gearbeitet, und der wichtigste Kunde war eine dänische Maschinenbaufirma. Der geschmolzene Stahl kam in Pfannen und wurde dann in die Formerei gefahren. Dort wurde nach Holzmodellen eine Form erstellt, in die der Stahl hineinfloss. Es wurden Zahnräder mit einem Durchmesser von bis zu neun Metern produziert. Geliefert wurde in die ganze Welt von Valparaiso in Chile bis nach Kobe in Japan. Im Jahr 1984 war dann Schluss, und das Werk wurde geschlossen. „Das Gussstahlwerk war sozusagen ein Familienunternehmen, in dem ganze Generationen vom Großvater bis zum Enkel gearbeitet haben. Bei den ersten Umsetzungsmaßnahmen habe die Leute teilweise noch gefeilscht, um ein oder zwei Wochen länger hier bleiben zu können“, erklärte der letzte Betriebsratsvorsitzende Friedhelm Dörmann damals. Heute ist in das ehemalige Verwaltungsgebäude ein Gericht eingezogen, und dort, wo einst Zahnräder produziert wurden, steht jetzt der Wissenschaftspark.